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Wie wäre es, wenn eine Stadt wie Crosswitz plötzlich einen reichen Geldgeber bekäme? Natürlich ist auch hier das Geld knapp. Wenn dann die Chance auftaucht, einen Sponsor für den eigenen Ort zu begeistern, dann lässt man natürlich nichts unversucht. Aber wo liegt dieses Erzincan eigentlich, aus dem sich der Scheich angesagt hat? Ganz sicher ist man sich da nicht, aber Hauptsache, er bringt Geld in die Stadt.
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Seitenzahl: 80
Veröffentlichungsjahr: 2024
Der Scheich von Erzincan
Eine Kommunalkomödie
Die folgende Handlung und alle Personen sind frei erfunden- Jede Ähnlichkeit mit real existierenden Personen ist unbeabsichtigt und wäre zufällig. Das einzig reale an der Geschichte ist Erzincan, eine Stadt und Verwaltungssitz der gleichnamigen Provinz im Osten der Türkei. Ob es dort allerdings einen Scheich gibt, ist dem Autor nicht bekannt.
Die wichtigsten Personen:
Bernd SchnittigKulturreferent
Gerald ÜbertragReferatsleiter Kultur
Bernhard NiedermannMitarbeiter für internationale Verbindungen
Tizian Blechehemaliger Staatsschauspieler und Inhaber eines kleinen Privattheaters „Brettlbühne“
FuchsLokalredakteurin
MajonSekretärin des OB
Friedbert NiedergesäßLeiter Büro des OB
Reinhard SchmidtOberbürgermeister
Es kam wie ein Stich ins Kreuz. Bernhard Niedermann wollte sich gerade von seinem Bürostuhl aus auf den Boden bücken, um den herunter gefallenen Zettel aufzuheben. Mit einem Schlag fiel er vom Stuhl und bekam, gekrümmt am Boden liegend, kaum noch Luft. Ein heftiger Schmerz hatte ihn im Rücken erwischt und fuhr bis in die Beine. Niedermann brauchte eine Weile, bis er begriff, dass er allein nicht würde aufstehen können.
War das ein Hexenschuss! So hatte es ihn noch nie erwischt, auch wenn sich leichte Schmerzen im Rücken in den letzten Tagen schon angekündigt hatten. Aber mit ein paar Ibuprofen konnte man es aushalten.
Als Mitarbeiter für internationale Verbindungen im Büro des Oberbürgermeisters der Stadt Crosswitz war er schließlich nicht so einfach verzichtbar. Crosswitz, eine Stadt in Brandenburg mit knapp 100.000 Einwohnern, unterhielt Partnerschaftsbeziehungen zu über 15 Städten in der ganzen Welt. Also fast der ganzen Welt. Jedenfalls war er, Niedermann, dafür verantwortlich. Auch wenn ausländische Gäste die Stadt besuchten, war er immer an der Seite des Oberbürgermeisters zu finden. Und der Anruf eben, bevor ihn der Stich ins Kreuz ereilte, war ein besonderer Auftrag. Niedermann hatte sich den unaussprechlichen Namen auf einen Zettel notiert, ihn dann aber, als er gerade seinen Chef informieren wollte, mit dem Jackenärmel vom Tisch gewischt.
Und jetzt lag er selbst auf dem Boden, mit schmerzverzerrtem Gesicht und Tränen in den Augen. Es war ihm peinlich, dass er um Hilfe rufen musste, aber was sollte er machen?
Majon hatte ihn schließlich gefunden. Nicht weil sie sein Rufen gehört hätte. Die Bürotür war gepolstert und der Lärm, der vielleicht vom Rathausflur herein dringen könnte, war so nicht zu hören. Aber es drang eben auch nichts nach außen. Jedenfalls nicht durch die geschlossene Tür.
Majon saß im Vorzimmer des Oberbürgermeisters, Eigentlich hieß sie Marion, aber im Dialekt dieser Stadt nannte man sie nur Majon. Auch ihren Nachnamen kannte kaum einer, obwohl Majon schon fast zum Inventar des Rathauses gehörte und auch schon ein wenig auf die Rente schielen konnte.
Es war ein Glück für Niedermann, dass Majon so eine gute Seele war. Sie hätte ja auch einfach anrufen können, wo er denn bliebe. Aber sie war die paar Schritte über den Flur gegangen, denn sie wunderte sich, dass Niedermann erst um einen Termin beim Oberbürgermeister nachgesucht hatte, und nun nicht pünktlich erschien.
Bandscheibenvorfall diagnostizierte sie erfahren und rief von Niedermanns Telefon aus den Notarzt. Dann informierte sie auch telefonisch den OB von Niedermanns Problem und wartete, wenn auch nicht Niedermanns Händchen haltend, so doch tröstend auf ihn einsprechend, bis die vom Notarzt gesetzte Spritze etwas wirkte und die Rettungssanitäter Niedermann, der trotzdem immer noch starke Schmerzen hatte, auf eine Trage heben konnten.
Der Notarztwagen vorm Rathaus erweckte natürlich Aufmerksamkeit und erzeugte sofort reichlich Facebook-Kommentare. Ein paar waren besorgt, aber die meisten ziemlich bissig. Sie reichten von „Da ist wohl einer mit der Hand in den Locher gekommen“ über „Wahrscheinlich beim Nickerchen mit dem Kopf auf die Schreibtischplatte geknallt“ bis hin zu vagen Vermutungen, welcher Verwaltungsangestellte sich mit welchem eine Prügelei geliefert hätte. Niedermann jedenfalls wurde ins Krankenhaus gebracht, und als man dort routinemäßig den Blutdruck ermittelte und ein EKG machte, wurde klar, dass er nicht nur mit den Bandscheiben Probleme hätte, sondern auch mit dem Herzen. Daraufhin wurde entschieden, dass Niedermann wohl längere Zeit auf Kosten seiner Krankenkasse versorgt werden würde und vor allem Ruhe brauchte. Besuche von Arbeitskollegen sollten möglichst unterbleiben, denn was er vor allem brauche, sei Entspannung und Erholung.
Dies war zwar ein etwas unschöner Auftakt unserer Geschichte, aber letztendlich machte er das Folgende erst möglich.
Bernd Schnittig liebte seinen Job, auch wenn der Fachbereich Kultur, in dem er tätig war, eigentlich zu den undankbareren Im Rathaus gehörte. Alles, was hier verwaltet wurde, kostete Geld, aber brachte nichts ein. Doch das war nicht in erster Linie sein Problem. Er schrieb Vorlagen und kontrollierte die Organisation von Veranstaltungen. Wie das alles bezahlt wurde, dafür war sein Chef zuständig, Gerald Übertrag, Leiter des Referates Kultur. Und der war am Telefon, welches gerade aufgeregt vor sich hin piepte.
„Fachbereich Kultur, Bernd Schnittig am Apparat, einen schönen guten Tag, was kann ich für Sie tun“, meldete sich Schnittig, obwohl er genau wusste, dass der Anruf von der anderen Gangseite kam.
„Mensch Bernd, zeigt dir dein Telefon nicht an, wer anruft? Bis du dich gemeldet hast, ist der halbe Tag um!“
„Ja, Gerald?“, fragte Schnittig ins Telefon, den leicht ironisch gemeinten Vorwurf überhörend.
„Komm mal rüber, gleich!“, hörte er, bevor der Hörer auf der anderen Seite aufgelegt wurde. Er griff sich sein grünes Absprachebuch, den Terminkalender und einen Kugelschreiber und trabte zwei Zimmer weiter, wo er anklopfte, obwohl die Tür offen stand.
„Komm rein, setze dich her!“, hörte er seinen Chef rufen. Schnittig ging durch das Vorzimmer, in dem normalerweise die Sekretärin sitzt und betrat das Dienstzimmer von Gerald Übertrag. Es war mehr als doppelt so groß wie sein eigenes und mit edleren Möbeln ausgestattet. Trotzdem türmte sich auf allen Tischen und in manchen Ecken Zeitungen, Prospekte und andere Papierstapel, die zumindest den Eindruck erweckten, hier würde intensiv gearbeitet.
Schnittig saß nun, aber Übertrag rannte von einer Ecke seines Büros in die andere, nur verfolgt von Schnittigs wachsamen Augen. Denn gleich würde er etwas Entscheidendes von seinem Chef hören, dessen war er sich bewusst.
Es kam aber nichts Entscheidendes. Es kam das, was immer in solchen Situationen kommt. Übertrag lief sich förmlich in Erregung und endlich brach es aus ihm heraus.
„Es mag ja Leute geben, die lieben ihren Beruf. Und es gab Zeiten, da habe auch ich meinen Beruf geliebt. Aber das sage ich dir, Bernd, noch fünf Jahre und keinen Tag länger mache ich in dieser Tretmühle. Die machen dich doch fertig. Weißt du, was der Unterschied zwischen mir und einer Fußmatte in Taxis ist? Weißt du das?“
Schnittig wusste es. Denn jedes Mal, wenn Übertrag schlechte Laune hatte, wählte er diese Metapher. Sie war weder gut, noch originell, noch traf sie zu, fand Schnittig. Warum ließ sich sein Chef immer alles gefallen? Nach so vielen Dienstjahren konnte er doch auch mal den Mund aufmachen. Das Rathaus war schließlich nicht das Kaiserreich.
„Du weißt es Bernd, sage es mir!“, ereiferte sich Übertrag immer noch, um Schnittig gleich die Antwort entgegen zu brüllen: „Die Fußmatte wird nur von einer Seite getreten.“
„Was ist passiert, Gerald?“, fragte Schnittig nun, der sein Stichwort aus unendlich vielen Gesprächen vorher genau kannte.
„Hier!“, Übertrag warf ihm einen per Computer geschriebenen und per Hand unterzeichneten Brief auf den Tisch. Die Unterschrift kannte Schnittig nur zu gut. Es war die vom ehemaligen Staatsschauspieler Tizian Blech, der ein kleines, privates Theater in der Stadt betrieb und darin ein paar älteren ehemaligen Schauspielern zur Aufbesserung der Rente verhalf, wenn er dazu in der Lage war. Meistens war er es nicht, weil das kleine Theater nicht so viel abwarf und Tizian Blech bedeutende Beträge für sich als Prinzipal, Regisseur und Darsteller fast aller Hauptrollen beanspruchte.
„Will er wieder Geld?“, fragte Schnittig und kannte die Antwort natürlich schon. „Warum regst du dich so auf, Gerald? Der Blech will immer Geld.“
„Er hat an den OB geschrieben“, antwortete Übertrag leise.
Schnittig sah, dass an der Seite des Briefes jede Menge Vermerke standen, darunter auch: Wiedervorlage, zur Erledigung Übertrag. Und dann das Kürzel vom Oberbürgermeister.
Nun las Schnittig doch den Brief. Mit Textmarker hatte einer, der auch sein Kürzel am Rand hinterlassen hatte, folgende Passage angestrichen:
„Warum wird unser Haus nicht wie jedes andere Theater in der Stadt anerkannt? Warum werden wir wie ein ungewolltes Stiefkind behandelt?“
„Das kannst du doch ganz einfach beantworten, Gerald“, sagte Schnittig. „Das Staatstheater steht außer jeder Konkurrenz und die anderen machen Kinder- und Jugendarbeit. Blech macht Volksbelustigung. Das mag manchen gefallen, aber wird eben nicht gefördert.“
Übertrag antwortete sehr überspannt: „Du denkst, alles wäre immer so einfach, Bernd. Weil du die Zusammenhänge nicht siehst, die ich immer sehen muss. Der Blech hat seinen Brief auch an die Fuchs von der Crosswitzer Rundschau geschickt, und die hat beim OB nachgefragt. Das hat alles erst ins Rollen gebracht.“
„Und jetzt hat der OB Angst, dass die Fuchs was in der Zeitung schreibt und Blech damit in die Lage versetzt, ihm die Leute auf den Hals zu hetzen“, vermutete Schnittig richtig.
„Genau, denn irgendwie hat der Blech sehr gute Kontakte zur Zeitung. Der kriegt auch einen Artikel für die Vorankündigung eines Stücks, das sie schon seit zwanzig Jahren spielen.“
„Ich weiß“, meinte Schnittig, “aber Beziehungen schaden nur dem, der keine hat.“