Weihnachtsgeschichten am Kamin 31 -  - E-Book

Weihnachtsgeschichten am Kamin 31 E-Book

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Beschreibung

Kerzenschein, Plätzchenduft – und eine stimmungsvolle Weihnachtsgeschichte Leise deckt der Schnee die Wiesen und Wälder, die Städte und die Dörfer zu. Die Sterne funkeln, der Mond gießt sein helles Licht über das Land. Drinnen leuchten die Kerzen. Die Kinder sitzen schon vor dem Tannenbaum und warten auf Eltern, Großeltern oder Freunde. Nun kehrt endlich Stille kehrt ein, alle Hektik ist vergessen. Nun ist endlich Zeit für eine Weihnachtsgeschichte!

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Seitenzahl: 274

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Barbara Mürmann (Hg.)

Weihnachtsgeschichten am Kamin 31

Gesammelt von Barbara Mürmann

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Kerzenschein, Plätzchenduft – und eine stimmungsvolle Weihnachtsgeschichte.

 

Leise deckt der Schnee die Wiesen und Wälder, die Städte und die Dörfer zu. Die Sterne funkeln, der Mond gießt sein helles Licht über das Land. Drinnen leuchten die Kerzen. Die Kinder sitzen schon vor dem Tannenbaum und warten auf Eltern, Großeltern oder Freunde. Nun kehrt endlich Stille kehrt ein, alle Hektik ist vergessen. Nun ist endlich Zeit für eine Weihnachtsgeschichte!

Über Barbara Mürmann (Hg.)

Barbara Mürmann wurde in Goslar geboren. Die Autorin lebt mit Mann und Hund in Hamburg. Dort leitet sie den Arezzo Musikverlag.

Vorwort

Als ich etwas müde, aber glücklich nach dem Vorweihnachtstrubel den Heiligabend genoss, nahm ich mir vor, im nächsten Jahr alles anders zu machen. Im Sommer würde ich die Weihnachtsgeschenke besorgen, die Weihnachtskarten noch vor dem ersten Advent schreiben und bereits im November mit der Weihnachtsbäckerei beginnen.

Im Sommer verschob ich die Idee mit den Weihnachtseinkäufen, genau wie das frühzeitige Schreiben der Weihnachtspost und das Backen. Für alle diese Tätigkeiten fehlte einfach die schöne vorweihnachtliche Stimmung und das gewisse Maß an Druck. Und so saß ich wiederum etwas müde, aber glücklich Heiligabend mit der Familie zusammen und verschwendete keinen Gedanken mehr daran, etwas zu ändern.

Dass es Ihnen ähnlich geht, ist aus einigen Ihrer Geschichten gut herauszulesen. Aber ich bin auch immer wieder über die Vielfalt der weihnachtlichen Themen Ihrer Einsendungen überrascht. Ich danke Ihnen für die Mitarbeit an diesem Buch und freue mich auf Ihre Geschichten für den nächsten Band der Weihnachtsgeschichten am Kamin.

 

Barbara Mürmann

Ein Weihnachtswunsch

Bernhard Müller

Er hatte ganz klare Vorstellungen darüber, was er sich in diesem Jahr zu Weihnachten wünschte. Ein Spielzeug für Erwachsene. Nichts anderes sollte es sein. Er war ja kein kleines Kind mehr. Den Glauben an das Christkind hatte er schon vor etwas längerer Zeit verloren, und die Regeln, die in der Familie bezüglich Weihnachtswünschen galten, kannte er nur zu gut. Die würde er leicht einhalten können.

Ein Wunschzettel war Pflicht und der Abgabetermin mit dem 6. Dezember unverrückbar im Kalender eingebrannt. Erfahrung mit der Erstellung von Wunschzetteln hatte er ja genügend, und über die Jahre war er sehr kreativ geworden. Mal wurde der Wunschgegenstand gemalt, mal aus einem Katalog ausgeschnitten, hin und wieder wurde auch gebastelt. Man konnte durchaus behaupten, dass er in diesem Punkt eine richtige Begabung entwickelt hatte.

Um es kurz zu machen, der Gegenstand der Begierde war eine elektrische Eisenbahn. Eine klassische Modelleisenbahn. Nicht groß sollte sie sein, ein Starterpaket mit Lokomotive, ein paar Waggons und ein kleines Gleisbett.

Problematisch war der Preis. Ein teures Geschenk, das wusste er. Und er war nicht sicher, ob das in seinem Alter akzeptiert würde. Vermutlich würden alle erstaunt schauen, wenn er mit diesem Wunsch ankam. Nicht altersgerecht, würden sie sagen, völlig überflüssig, wünsch dir bitte etwas Vernünftiges und so weiter. Das Verlangen war aber groß und er wollte alles geben, damit er das Geschenk an Heiligabend in seinen Händen halten konnte.

Zeit war noch genug, er brauchte sich nicht zu beeilen, schließlich war der erste Advent gerade erst vorbei, und der lag in diesem Jahr sogar noch im November. Langeweile hatte er nie, sein Tag war in der Regel ausgefüllt, denn die Pflichtaufgaben, die ihm auch gegen seinen Willen aufgetragen wurden, waren nicht gerade wenige. Den Mülleimer musste er entleeren, die Straße fegen, auch das Ausräumen der Spülmaschine gehörte hier und da zu den Tätigkeiten im Haushalt, der mit drei Kindern und zwei Erwachsenen nicht klein war.

Kurz und gut, aufgrund vieler anderer Dinge und eines Stadionbesuchs kurz vor Nikolaus mit der Begegnung Mainz 05 gegen den VfB Stuttgart geriet die Erstellung des Wunschzettels in Vergessenheit. Keiner in der Familie fragte ihn nach seinen Wünschen, keine Erinnerung, dass am folgenden Tag der wichtige Bestelltermin vor der Tür stand. Trotz aller Vorsätze hatte er den Wunschzettel vergessen.

Es war ihm erst wieder aufgefallen, als am Morgen des 6. Dezember die kleine Tüte mit Süßigkeiten und den mittlerweile obligatorischen zehn Euro auf dem Frühstückstisch stand.

Die Frist war abgelaufen, ohne dass der Wunsch geäußert worden war. Aus, vorbei. Wenn es eine feste Regel gab, dann war es diese: keine Sonderwünsche mehr nach Nikolaus. Da war die Mutter der Familie ganz strikt, unbarmherzig, hart, unerbittlich, stur, einfach nur eine Katastrophe. Das Alter, um zu wissen, dass in der Regel die Mutter die Geschenke besorgte, hatte er ja schon erreicht.

Es gab also ein großes Problem, und das galt es zu lösen. Noch am selben Tag fing er an, den Wunsch bei jeder Gelegenheit zu äußern. Morgens, mittags und abends. Vor dem Fernseher, im Badezimmer, unter der Dusche. Am laufenden Band wiederholte er seinen Wunsch.

In den ersten Tagen verpufften seine Worte. Keine Reaktion der anderen Familienmitglieder. Das änderte sich auch nicht bis zum dritten Advent. Ab hier trat er in den Hungerstreik, zu Hause, nicht in der Schule. Dort war er ja unbeobachtet und konnte sich in den Pausen vollschlagen. Zum Glück gab es einen Mittagstisch, nur das Fasten am Abend bereitete ihm hin und wieder Probleme.

Dann kündigte er an, nicht mit in die Kirche zu gehen, er würde das Weihnachtsfest ausfallen lassen. Jetzt war er stur und unerbittlich. Sollten sie doch alle merken, dass er sauer war.

Und dann geschah das Wunder. Drei Tage vor Weihnachten willigten alle anderen ein, dass in diesem Jahr mal eine Ausnahme gemacht werden sollte. Die Eisenbahn konnte bestellt werden. Er hatte es geschafft. Er konnte entgegen allen Erwartungen loslegen.

Die Bestellung so kurz vor dem Heiligen Abend war aber eigentlich zu spät. Das wusste er. Somit musste Moritz her. Moritz, der älteste Sohn der Familie, hatte einen Premiumvertrag bei einem großen Versandhandel. Auf diesem Weg konnte es noch klappen. Obwohl Moritz zweihundert Kilometer entfernt in Stuttgart arbeitete und schlecht erreichbar war, hatte er aber Glück, viel Glück. Moritz bestellte ihm das Starterpaket mit Lieferbestätigung zum 24. Dezember.

So verstrichen die letzten Tage, und er stand mit froher Erwartung morgens auf und legte sich vor die Eingangstür, um den Postboten zu empfangen. Es vergingen Minuten und Stunden, aber kein Paketdienst läutete an der Tür. Er wurde immer trauriger und die Enttäuschung war ihm anzusehen. Um drei Uhr hakte er die Sache ab. Er musste sich für den Kirchenbesuch fertig machen.

Als sie das Haus verließen, sah er noch bei den Nachbarn Licht im Wohnzimmer. Deren Kinder waren mittlerweile aus dem Haus und sie hatten beschlossen, die Mitternachtsmette zu besuchen. Davon wusste er allerdings nichts. So betrat er die Kirche, wie immer sehr früh. Er war enttäuscht und traurig. Das Weihnachtsfest war für ihn gelaufen. Vom Krippenspiel bekam er nicht viel mit. Die Darsteller feierten in diesem Jahr mal so richtig Geburtstag, es war viel los und von stiller Weihnacht wenig zu spüren. Das passte so gar nicht zu seiner Laune.

Nach den obligatorischen Weihnachtsgrüßen von Bekannten und Verwandten ging es anschließend schnell nach Hause. Alle außer ihm waren gespannt und frohen Mutes. Dann kam die Bescherung mit vielen Paketen, Geschenken und freudigen Gesichtern. Er verzog derweil keine Miene.

Als er sich gerade an den gedeckten Tisch setzen wollte, schellte es an der Tür. Alle sahen sich erstaunt an, keiner rechnete noch so spät mit Besuch. Als er öffnete, standen die Nachbarn vor der Tür. Sie wollten zur Kirche und vorher noch schnell ein Paket abgeben, das der arme Paketbote noch um siebzehn Uhr bei ihnen abgegeben hatte. Die mussten ja neuerdings bis achtzehn Uhr schuften. Sonderschichten zur Weihnachtszeit.

Glücklich und voller Erwartung öffnete er das Paket und siehe da, es war seine Eisenbahn, die er, so schnell es ging, unter dem Tannenbaum aufbaute und dann von Kindheitserinnerungen übermannt wurde.

So einfach kann man fünfundfünfzigjährige verträumte Lehrer glücklich machen.

O du fröhliche Weihnachtszeit.

Hinter dem Acker

Albrecht Gralle

Es war Advent, und es regnete. Ich verließ das Haus, um ein paar Lebensmittel einzukaufen, und wurde von einem lauten Autohupen aufgeschreckt. Ich blickte über die Straße und sah einen dunklen Golf im Schritttempo auf der anderen Seite neben mir entlangfahren.

Der Fahrer beugte sich aus dem Fenster und rief mir zu: «Entschuldigung, ich suche die Straße Hinter dem Acker.»

«Hinter dem Acker?», überlegte ich laut und blieb stehen. «Tut mir leid, aber die Straße gibt es hier nicht. Noch nie gehört.»

«Aber die Straße muss hier irgendwo sein», rief der Mann ärgerlich zurück, «in der Nähe der Vivaldi-Straße, wo sie einen Knick macht. Im Navi ist sie zwar nicht zu sehen, aber auf meiner Karte!»

«Ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen», rief ich durch den Regen, nickte dem Autofahrer zu und schlug die Richtung zum Supermarkt ein. Aber irgendwie beschäftigte mich diese seltsame Straße, und ich beschloss, sie mir nachher einmal anzusehen.

Als ich eine Stunde später meine Einkäufe verstaut hatte, griff ich mir eine Taschenlampe und ging nach draußen. Der Regen hatte aufgehört und ein schmierig-glänzender Belag überzog den Asphalt. In ein paar Minuten erreichte ich die Vivaldi-Straße, in der ein paar neue Einfamilienhäuser standen, aus deren Fenstern künstliche Sterne blinkten.

Jetzt begann der Knick und die Straße wurde dunkler. Keine Straßenlaternen. Es gab tatsächlich auch kein Schild weit und breit, aber soweit ich sehen konnte, ging von dort, wo die Straße eine Kurve machte, ein Weg ab, und daran reihten sich drei ältere Fachwerkhäuser, die mit der Beleuchtung sparten. Das musste wohl Hinter dem Acker sein.

Ich erwartete, dass der dunkle Golf vor einem der Häuser stand, aber es war ab dem Knick kein Auto zu sehen.

Hinter dem Acker machte seinem Namen alle Ehre, denn der Asphalt war so gut wie ganz abgenutzt und ließ ein löchriges Kopfsteinpflaster erkennen, das von lehmiger Erde umrahmt war.

Mittlerweile fragte ich mich, was ich eigentlich hier wollte. Was hatte ich erwartet? Ein freundliches Haus, in dem eine Adventsparty stattfand? Stattdessen musste ich aufpassen, dass meine Stiefel nicht in den riesigen Pfützen versanken.

Jetzt erreichte ich das erste Haus. Im zweiten Stock brannte ein trübes Licht, sonst war alles dunkel. Ein Holzzaun mit einem eisernen Gartentor umschloss einen kleinen Vorgarten, auf dem ein paar verwelkte Astern ein kümmerliches Dasein fristeten. Ich blickte mich um. Niemand war zu sehen, und so traute ich mich, das eiserne Gartentor zu öffnen, und dachte: Typisch Advent. Man öffnet Türen.

Wie ein Dieb schlich ich zur Haustür und hatte den Eindruck, dass ich verbotenes Terrain betrat. Rechts neben der Tür hingen drei verrostete Briefkästen. Ich leuchtete mit meiner Lampe auf sie und entzifferte: Silesius, Brandt, Krottendiek.

«Suchen Sie jemanden?»

Erschrocken fuhr ich herum und ließ meine Taschenlampe in meine Manteltasche gleiten. Hinter mir stand eine ältere Frau in einem Pelzmantel, den geschlossenen Regenschirm in der Hand, und blickte mich fragend an.

Das kam mir eigenartig vor, denn ich hatte mich erst vor ein paar Sekunden umgedreht und keinen Menschen weit und breit erblickt. Wo kam die Frau her?

«Also, wenn Sie … wenn Sie mich so fragen», stotterte ich, «ich suche eigentlich niemanden. Ich habe nur … na ja … erst jetzt gemerkt, dass es diese Straße überhaupt gibt, und bin neugierig geworden.»

«Ja», nickte sie und klappte völlig unmotiviert den Regenschirm auf und zu, als sei er eine Waffe und sie müsste sie vorher testen. «Das Straßenschild ist irgendwann umgefallen und die Stadt hat es noch nicht wieder aufgerichtet.»

«Wann war das?», fragte ich zurück, nur um etwas zu sagen.

«Vor ungefähr fünf Jahren.»

«Was?» Ich schüttelte ungläubig den Kopf. «Sie behaupten, dass die ganze Zeit niemand …»

«Genau», kürzte sie meinen Satz ab. «So, jetzt wissen Sie alles. Darf ich Sie zu einer Tasse Tee einladen, bevor Sie hier Wurzeln schlagen?»

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, denn die Einladung klang nicht sehr einladend, eher so, als wollte sie mich von den Briefkästen weglocken. Ich überlegte. Irgendwie schien mir hier nicht alles zu stimmen. Aber meine Neugier war nun einmal geweckt worden. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, dass die Stadt fünf Jahre lang kein neues Straßenschild aufgestellt hatte.

«Ja, wenn es Ihnen mit dem Tee nichts ausmacht. Aber nur ganz kurz, zum Aufwärmen.»

«Natürlich macht es mir etwas aus. Ich muss Wasser zum Kochen bringen und den Tee aufsetzen. Aber ich halte es für meine Pflicht, Fremdlinge, die vor meiner Tür stehen, einzuladen.»

Fremdlinge! Ein merkwürdiges Wort.

«Kommen Sie, gehen wir hinein.» Sie holte einen riesigen Schlüssel aus ihrer Manteltasche und schloss auf.

Im Flur war es dunkel, und sie sagte gleich: «Gehen wir nach oben, da brennt eine Lampe. Ich hoffe, der Herd in der Küche ist noch an, sonst kann es mit dem Tee unter Umständen länger dauern.» Sie ging voraus.

Ich tastete mich die Stufen nach oben und fand die richtige Tür zur Küche, weil dahinter ein schwaches Licht zu erkennen war.

Als ich öffnete, knirschte es unter dem Holz, und ich trat ein. Von der Decke hing eine Petroleumlampe und an der Wand stand einer dieser mit Emaille überzogenen altertümlichen Herde, die noch mit Holz befeuert wurden. Als Kind hatte ich so einen bei meiner Großmutter gesehen.

Meine Gastgeberin zog ihren Mantel aus, hängte ihn an einen Haken hinter der Tür und öffnete die Ofenklappe.

«Es ist noch Glut drin», nickte sie erfreut.

Unterhalb, vom Steinfußboden, holte sie zwei trockene Scheite heraus und legte sie in die Glut. Dann hob sie den Wasserkessel an, der auf der Herdplatte stand.

«Gut», meinte sie. «Dann wird es bald kochendes Wasser geben.»

Ich dachte bei mir: Wahrscheinlich wohnen hier nur ein paar alte Leute, die ihre Gewohnheiten nicht aufgeben wollten.

«Haben Sie denn keinen Strom?», fragte ich mit spöttischem Unterton.

«Einen Strom?», wiederholte sie das Wort, als passte es nicht hierher. «Ein Strom», fuhr sie fort, «fließt ein paar hundert Meter weiter hier vorbei und ich bin froh, dass wir nicht so dicht dran wohnen. Im Frühjahr gibt es Überschwemmungen, und ich mag keine nassen Keller.»

Sie hatte mich missverstanden, und ich sagte: «Ich meine die Stromleitungen.»

Sie zuckte die Schultern. «Ich weiß nicht, was Sie meinen.»

Ich drehte mich um und suchte neben der Tür nach den Lichtschaltern, aber ich fand keine. Sollte das ein Haus ohne Strom sein? Ein Haus, das von den Stadtwerken abgeschnitten oder übersehen worden war? Unmöglich. So was konnte es doch nicht geben. Nicht hier in Deutschland, in meiner eigenen Stadt, im einundzwanzigsten Jahrhundert!

Inzwischen hatte die Frau aus einem Schrank einen Behälter geholt, in dem wohl Tee war, und schüttete die Blätter in eine alte Porzellankanne.

«Setzen Sie sich doch und ziehen Sie Ihre Jacke aus», sagte sie kurz.

Ich setzte mich und war sprachlos. Ein Haus ohne Stromanschluss. Und die Frau kannte offensichtlich das Wort Strom nicht einmal. Herr Alzheimer hatte wohl kräftig zugeschlagen. Ich nahm mir vor, eine unverfängliche Konversation aufzubauen, und sagte: «Die Adventszeit ist in diesen Tagen ziemlich verregnet, was?»

Der Teekessel pfiff. Die Frau hob ihn vom Herd und goss das heiße Wasser in die Kanne.

«Was für eine Zeit?», fragte sie.

«Die Adventszeit», wiederholte ich etwas lauter.

«Was ist das?»

«Sie kennen das Wort Advent nicht?»

«Nie gehört. Doch, warten Sie.» Sie blieb mit dem Wasserkessel in der Hand stehen. «Ich hatte mal Latein in der Schule. Es heißt Ankunft. Komisch … Ankunftszeit. Verwendet die Eisenbahn jetzt lateinische Wörter? Na ja, denen ist ja alles zuzutrauen.»

Ich wurde allmählich ungehalten. Wollte sie mich auf den Arm nehmen?

«Meine Güte!», sagte ich drängend. «Adventszeit – die Zeit vor Weihnachten. Jede Woche wird eine neue Kerze auf dem Kranz angezündet.»

«Ein Kranz?»

«Ja, ein Kranz aus Tannenzweigen.»

«Komische Sitte.» Sie schüttelte mit dem Kopf. «Zucker?»

Ich nickte, griff zu der kleinen Zuckerdose und ließ den Zucker in die leere Tasse rieseln.

«Und was soll das nun mit dem Kranz und den Kerzen?», fragte sie.

Sie goss den Tee in die zwei Tassen, und ich sah jetzt, dass bei meiner der Henkel abgebrochen war.

Inzwischen war ich mir fast sicher, dass nicht nur die Teetassen einen leichten Schaden hatten, sondern dass eine Menge Tassen im Oberschrank dieser adventslosen Frau fehlten.

Langsam verrührte ich meinen Zucker und sagte dann in ruhigem Ton: «Advent nennt man die Zeit vor Weihnachten. Jeden Sonntag wird eine neue Kerze angezündet … Und dann gibt es noch Adventskalender mit vierundzwanzig Türen. Jeden Tag darf man eine öffnen und …»

«Weihnachten kenne ich», unterbrach sie mich und schlürfte ihren Tee.

«Na, wunderbar! Immerhin etwas!»

Unsere an sich schon bizarre Unterhaltung steigerte sich, je kühler der Tee wurde. Die Frau hatte offenbar noch nie ein Auto gesehen und wusste auch nicht, was ein Radio war. Ganz zu schweigen von einem Telefon.

Aber eines schien ihr ganz wichtig zu sein: einen Fremdling zu bedienen und ihm etwas zu trinken zu geben. Denn das stünde schon in der Bibel, meinte sie. «Die Bibel kennen Sie doch, oder?»

Ich nickte.

«Na, sehen Sie. Schon wieder etwas Gemeinsames.»

* * *

Ich verabschiedete mich bald, verließ das düstere Haus und trat in den trüben Advent.

Es nieselte.

Als ich das Gartentor schloss und mich umdrehte, war das Haus verschwunden, und ich stand einsam in freier Natur. Mir war, als sei ich aus einem Adventskalender geklettert und nicht hinter, sondern auf dem Acker angekommen.

Am selben Abend forschte ich nach, wann das Feiern des Advents eigentlich erfunden worden war, und stellte fest, dass es zwar schon sehr lange einen grünen Kranz gab, den man im Monat vor Weihnachten an die Tür hängte, und dass das Wort auch in der Kirche benutzt wurde. Aber die Idee, Kranz und Kerzen zusammenzubringen, stammte von einem gewissen Herrn Wichern, der 1860 in seinem Waisenhaus für die Kinder einen großen Kranz aus Tannenzweigen mit dreiundzwanzig Kerzen gebastelt hatte, damit das Warten auf Weihnachten verkürzt wurde.

Die Frau, die mich bewirtet hatte, musste tatsächlich aus einer anderen Zeit gekommen sein, mitsamt ihrem düsteren Haus, zumindest vor 1860.

Sie stammte noch aus einer Zeit ohne Strom, in der man Fremdlinge, die vor dem Haus herumlungerten, zu einer Tasse Tee einlud.

Das blaue Paket

Friederike Steinborn

Früher bedeutete Weihnachten für uns Kinder auf dem Dorf eine Freude und wir fieberten den wohldosierten Gaben entgegen. Alles in der Adventszeit umgab noch ein Geheimnis, besaß einen Zauber.

Es war für meine Geschwister und mich ungeheuer verlockend, dieses Geheimnis zu lüften, sodass die Dezembertage nur schwer auszuhalten waren. Ob das Christkind den Herzenswunsch erfüllen würde? Wer brav die Zeit bis Heiligabend durchstand, wählte den besseren Teil. Wer aber das Geheimnis vor der Zeit lüftete, bereute es. Ich lernte diese Lektion vor vielen Jahrzehnten.

Es geschah in den Tagen vor Heiligabend, dass meine zwei älteren Schwestern und ich nach der Schule erst zur Großmutter liefen. Sie wohnte gleich um die Ecke, und wir waren gewohnt, dass sie uns immer eine Kleinigkeit schenkte. Einen Apfel meistens oder gar ein Fünferle hie und da. Bei ihr lebte noch die Tante Pepi. Die hatte durch einen Unfall ihren rechten Arm verloren. Sie sah Großmutters freigebige Hand gar nicht gern. Wir mochten Pepi nicht und sie uns auch nicht.

Die Tante übergab uns ein blaues Paket. Quelle war groß aufgedruckt. Das sollten wir der Mutter bringen. Es war bereits geöffnet und nur lose mit einer Kordel zusammengebunden. Sie verbot unter Strafandrohung, in das Paket hineinzugucken, und dann schickte sie uns schnellstens nach Hause.

Unser Haus lag damals noch am Dorfrand. Für den Heimweg gab es nun zwei Möglichkeiten: entweder die vom Schnee geräumte Dorfstraße oder den verwunschenen, tief verschneiten schmalen Pfad um den Friedhof herum.

Den nahmen wir und stapften langsam durch kniehohen Schnee bis zu der sichtgeschützten hintersten Ecke an der Friedhofsmauer.

Das blaue Paket brannte geradezu unter den Armen. Sein Geheimnis zu lüften, verlockte uns schon wegen des Verbots. Ein kurzer Gewissenskampf. Ach was, hier sieht uns keiner, überlegten wir. Die Kordel geht fast von alleine auf. Außerdem sind wir katholisch und können ja am Samstag alles beichten.

Um das Abenteuer gebührend zu beginnen, trieben wir erst einmal allerhand Unfug. Wir Jüngeren rollten uns im Schnee und machten etliche «Engelchen». Die Älteste baute derweil eine Schneefrau und stattete sie mit allen weiblichen Attributen aus. Dann fielen wir wie im Rausch über das Paket her. Wir fassten es kaum! Was wir uns so brennend wünschten, alles fand sich in diesem blauen Karton. Die große Schwester entdeckte ihren ersehnten Malkasten. Gleich tat sie Schnee und Spucke in die Töpfchen und malte Blümchen an die Friedhofsmauer. Die andere probierte die erhoffte kleine Handnähmaschine aus und stichelte dabei ihren Unterrock am Kleid fest. In einer Schachtel mit der Aufschrift «Zigeunertraum» fand sich mein Herzenswunsch: eine Mundharmonika. Selig entlockte ich ihr die süßesten Töne. Es sollte ein bisschen wie «Stille Nacht, heilige Nacht» klingen. Wir vergaßen die Zeit. Es dunkelte bereits. Erst als die Schwester mich anstupste, sah ich das drohende Unheil. Durch den wirbelnden Schnee stapfte eine Gestalt auf uns zu, einen langen Stock schwingend. O heilige Mutter Maria, steh uns bei, der Vater!

Starr vor Schreck tat keine von uns einen Mucks. Jetzt musste gleich ein Strafgericht einsetzen, wie es noch nie eines gegeben hatte. Doch der Vater sagte kein einziges Wort. Stumm musterte er die Szenerie. Sein Blick schweifte über die vollbusige Schneefrau hin zu unserer vorgezogenen Bescherung, dann drehte er sich um und ging Richtung nach Hause fort. Kein einziges Wort kam über seine Lippen! Das Schweigen war schlimmer als alles andere, die Angst unbeschreiblich, die Scham groß. Hätte der Vater uns doch an Ort und Stelle gezüchtigt! Damit wäre es aus und vorbei gewesen. Aber das!

So schnell wir konnten, ordneten und verschnürten wir das blaue Paket und folgten dem Vater. Wir hielten angemessenen Abstand, aber wir mussten ihm nach. Die Alternative war ja nur das Erfrieren in der Winternacht. Direkt am Friedhof. Was für ein Drama!

Zu Hause weinte die Mutter. Sie sah uns nicht einmal an. Die drei kleinsten Geschwister verstanden gar nichts, verfielen aber vorsichtshalber auch in Schweigen. Nach dem Ableisten der schulischen Pflichten wurden wir in die Küche gerufen. Wir erwarteten, unser Essen zu bekommen. Aber nichts da! Uns wurde nur geheißen, das Geschirr der Geschwister vom Mittagstisch zu spülen und abzutrocknen. Auch zum Abend gab es keine Mahlzeit. Stattdessen folgte das Verhör des Vaters. Weinend und zerknirscht gestanden wir, was nicht zu leugnen war. Das Urteil verkündete Vater ohne längere Überlegung: Es lautete, dass das Christkind uns dreien selbstverständlich nichts brachte und dass der Vater dieses Jahr auch die Krippe nicht aufbaute, obwohl er schon Moos und Rinden vom Wald geholt hatte. Einzig einen Christbaum sollte es geben, der drei Jüngsten wegen.

 

Der Heilige Abend verlief dann, wie zu erwarten war, in gedrückter Stimmung. Wir beteten zusammen, sangen Weihnachtslieder und spielten mit den Kleinen. Wir drei Großen durften mit dem Vater um Mitternacht zur Christmette gehen. Immerhin ein paar Sternsprüher kriegten wir mit auf den Weg. Es kamen Leute aus allen Richtungen zu unserem schönen und weithin bekannten Münster. Entlang der Wege blitzten überall immer wieder Sternenfunken auf.

In der Kirche war es während der Mette eisig kalt, und der Frost auf dem Heimweg kühlte uns weiter aus. So waren wir dankbar, dass die Mutter eine heiße Suppe bereithielt und dazu eine Überraschung: Das Christkind sei wider Erwarten noch einmal gekommen. Es habe wohl Erbarmen gehabt mit den reumütigen Missetätern. Wir sollten unterm Christbaum nachsehen.

Dort fanden sich drei Päckchen, jedes mit unseren Namen versehen. Staunend und sprachlos hielt jede ihr Wunschgeschenk in Händen: den Malkasten, das Nähmaschinchen, die Mundharmonika. Dazu gab es jeweils eine ganze Tafel Schokolade. Nun rollten Tränen der Freude und Erleichterung, sogar der Vater schmunzelte. Bald schliefen wir, vom Kummer befreit, einem umso schöneren Christtag entgegen.

Geschenke mit viel Liebe

Gerda Thormählen

Ach, Weihnachten! Das letzte war besonders spannend. Als Vater einer sechsjährigen Tochter kann einen nicht mehr viel überraschen, glaubt man. Soll ich mal erzählen, wie toll unsere Svea uns beschenkt hat? Also:

Alle Geschenke lagen verpackt unter dem hübsch geschmückten Tannenbaum. Nach dem obligatorischen Weihnachtslied bestand unsere Kleine darauf, mit ihren Gaben für Oma und Opa und für uns beginnen zu dürfen. Anderenfalls würde sie vor Aufregung platzen. Dem Antrag wurde stattgegeben.

Svea entnahm einem größeren Karton eine kleine Schachtel, hielt sie in die Höhe und begann zu erklären: «Das ist für Opa. Die musste ich ganz vorsichtig da reinlegen. Das war das allerschwierigste Geschenk, das ich je gebastelt habe. Als Opa mir erklärt hat, wie die gemacht werden, klang das ganz einfach. Zuerst hab ich Blätter getrocknet und kleingeschnitten. Dann wollte ich die Krümel in ein getrocknetes Blatt einwickeln. Aber das ging immer kaputt. Da hab ich dann ein frisches weiches genommen. Und als sich das immer wieder abgerollt hat, fielen mir Mamas Rouladen ein. Sogar braunes Nähgarn war im Nähkasten. Na, Opa, ahnst du schon, was das sein könnte?»

Der Senior runzelte bedeutungsvoll die Stirn: «Wenn mich nicht alles täuscht, ist das eine Zigarre geworden.»

Svea strahlte: «Gut, Opa! Aber als die trockener wurde, fing sie an zu krümeln. Ich hab ne ganze Tube Uhu gebraucht. Das macht doch nichts. Oder?»

«Nein, ist ja nur von außen», beschwichtigte der Großvater und nahm sein Geschenk neugierig und staunend entgegen. «Die hast du toll hingekriegt. Danke. Ich werde sie mir für ganz besondere Stunden aufheben.»

Nun wurde ein rundliches Geschenk in der Größe eines Apfels aus dem Karton genommen und in Richtung Oma getragen.

«Liebe Oma, ich weiß nicht, ob die besser sind als deine. Aber als ich die hinter der Gastwirtschaft beim Spielplatz gefunden habe und die wirklich wie neu aussahen, fiel mir ein, wie doll du immer auf deine alten Zähne schimpfst.»

Oma hatte sichtbar Mühe damit, ihr Geschenk auszuwickeln. Und das lag nicht am Klebeband, sondern daran, dass sie mit aller Mühe ihr Lachen unterdrückte. «Oh, wie schön, dass du sie so gründlich geputzt hast. Heute Abend behalte ich aber meine eigenen drin. Diese können mich so lange vom Regal her anlächeln. Vielen Dank.»

«So, Mama, jetzt bist du dran. Mir ist das gerade noch rechtzeitig eingefallen, weil ich immer gut zuhöre, wenn ihr was sagt. Weißt du noch, worüber du dich gestern so aufgeregt hast?»

Nach kurzem Überlegen schüttelte meine Frau den Kopf.

«Aber du hast doch die Salbe gegen Pilze gesucht. Obwohl ich gar keine auf deiner Haut gesehen habe. Aber ich sehe ja auch keine Falten oder wenn dir was juckt oder wehtut. Für alles Mögliche hast du Creme oder Salbe. Dass du da noch nicht selber drauf gekommen bist! Wenn man nun alle zusammentut und gut umrührt, braucht man nur einen Topf und hat immer die richtige dabei. Ist doch ganz einfach. Hier ist dein großes Glas mit Deckel. Umgerührt hab ich schon.»

Die Gedanken meiner Frau standen ihr auf der Stirn geschrieben, nämlich: Nicht heute Abend, aber später werde ich es ihr erklären müssen. Also sagte sie: «Oh, mein kleiner Schatz, deine Idee war ganz toll. Aber wir müssen uns mal genauer darüber unterhalten.»

Mir war klar, dass ich jetzt an der Reihe war. Ihr glaubt nicht, was mir in diesem Moment durch den Kopf ging. Welche Bemerkungen hatte ich gemacht? Vielleicht über unsere hübsche Nachbarin? Oder etwas über mein Werkzeug? Nein, bitte nicht. Vieles davon war teuer. Die Größe des letzten Päckchens ließ keine Vermutungen zu. Warum nur war mir so mulmig?

«Papa, sei mir bitte nicht böse. Für dich ist mir nichts Besonderes eingefallen. Das ist nur eine Tafel Schokolade.»

Irgendwie fiel mir ein Stein vom Herzen. Selten habe ich mich so über Schokolade gefreut, und ich verlieh dem Ausdruck, indem ich meine Kleine in die Arme nahm und drückte: «Du bist süßer als alle Süßigkeiten zusammen. Frohe Weihnachten uns allen.»

Chanel N° 5

Anni Wollrath

Lange bevor der Wecker rappelte, war sie wach, hörte, dass der Wind leise an den Fensterläden entlangstrich. Beim Aufstehen spürte sie die Kälte im Schlafzimmer. «Oje, meine Knochen!»

Jeden Morgen ging das so, aber Grete war siebzig, da blieb das nicht aus. Sie reckte sich, lachte im Vorbeigehen ihr Spiegelbild an, ging zum Fenster und schaute hinaus. «Das wird ein guter Tag», murmelte sie. Noch war der Morgen schwarz, aber für die ersten Stunden war wechselhaftes Wetter gemeldet, gegen Abend Schnee. Das Wetter war sehr wichtig, heute, am dritten Advent. Ihr Enkel Felix und sie wollten auf dem Flohmarkt Nützliches und Überflüssiges verkaufen. Wenn die Sonne schien, würden die Leute spazieren gehen. Bei Regen und Sturm ging keiner vor die Tür. Beides konnten sie nicht gebrauchen. Wechselhaft war gut fürs Geschäft. Felix hatte sich viel vorgenommen, heute wollte er das Geld dafür verdienen.

Im Sommer hatte sich Felix’ Vater verabschiedet. «Mach’s gut, Felix», hatte er fest gesagt. «Ich ziehe aus. Es gibt da eine andere Frau in meinem Leben. Aber zwischen uns bleibt alles beim Alten, ich werde …»

Grete wusste, dass das in den Ohren des Jungen unwirklich geklungen hatte, so als hätte sein Vater gesagt, ich mache das Licht aus, aber es bleibt hell. Den Rest hatte Felix wohl nicht mehr gehört, für ihn war die Welt zusammengebrochen. Er hatte offensichtlich immer geglaubt, seine Eltern wären glücklich miteinander. Nun ging der Vater weg. Was sollte denn da beim Alten bleiben für den Jungen?

Mit der Zeit hatte Felix sich zusehends an das Leben allein mit seiner Mutter gewöhnt. Mit seinen fast fünfzehn Jahren half er ihr, wo er konnte. Kaufte schon Anfang Dezember den Tannenbaum, und Grete merkte, dass vor Weihnachten besonders viele Erinnerungen in dem Jungen wach wurden. Doch Grete konnte sehen, dass die Plätzchen, die sein Papa gern gegessen hatte, ihrem Enkel nun nicht mehr schmeckten und der Adventsschmuck für ihn keine festliche Stimmung verbreitete.

Felix hatte Grete erzählt, dass er einmal in der Woche im Supermarkt arbeiten wollte. Damit wollte er sich einen Traum erfüllen: Unterricht am Schlagzeug. Doch heute, auf dem Flohmarkt, das wusste Grete, ging es für ihn um etwas Besonderes, um das Weihnachtsgeschenk für seine Mutter. Als die beiden am Anfang der Adventszeit zusammen durch die Geschäfte gebummelt waren – so hatte Felix es Grete nachher erzählt –, hatte Mama in der Parfümerieabteilung des großen Kaufhauses an den verschiedenen Fläschchen gerochen.

«Toll, schnupper mal.» Sie hatte Felix eine viereckige Flasche unter die Nase gehalten.

Inzwischen hatte offensichtlich eine Verkäuferin die beiden entdeckt. «Sie haben sich etwas ganz Besonderes ausgesucht. Chanel N° 5», hatte sie gesagt, gekonnt ein Papier besprüht und elegant mit dem Streifen vor ihren Gesichtern gewedelt.

Felix hatte wohl nach langer Zeit ein Lachen im Gesicht seiner Mutter gesehen. «Toll», hatte sie zu der Verkäuferin gesagt, «aber danke, das kommt für mich nicht in Frage.»

Grete wusste: Außer seiner Mutter gab es einen ganz wichtigen Menschen in Felix’ Leben, und das war sie, Oma Grete. Sie war immer für ihn da, konnte Waffeln backen und zuhören.

«Oma, wie kann ich Geld verdienen?», hatte Felix in den Tagen vor Weihnachten wissen wollen.

«Wofür brauchst du Geld?»

«Ich möchte Mama ein Parfüm schenken. Oma, ist Chanel N° 5 teuer?»

«Teuer? Ich glaube, eine Flasche kostet fast hundert Euro.»

Das hatte der Junge offensichtlich nicht erwartet. Aber er wollte, dass seine Mutter zu Weihnachten dieses Geschenk bekam, das hatte Grete ganz klar sehen können. Er wollte, dass sie lächelte, wenn sie die schönen Schleifen und dann das seidige Papier entfernte und das entdeckte, was sie sich nie würde leisten können. Felix wollte, dass seine Mutter alles Traurige vergaß, so wie in dem Moment im großen Kaufhaus, von dem er seiner Oma erzählt hatte.

Grete hatte gespürt, wie wichtig dem Jungen das Geschenk war. «Da hast du dir aber viel vorgenommen.» Bewundernd hatte sie ihren Enkel angesehen. «Alle Achtung.»

Sie war ganz stolz auf Felix gewesen, der so tapfer versuchte, den Papa zu ersetzen, und sie hatte bemerkt, dass er fast so groß war wie sie.

«Weißt du was, Felix, bald gehe ich wieder auf den Flohmarkt. Komm einfach mit. Hast du etwas, was du verkaufen kannst?»

«Klar. Playmobil und Legosteine. Die brauche ich nicht mehr, aus dem Alter bin ich raus.»

«Stimmt», hatte Grete gelacht.

Gestern nun hatten sie Gretes altes Auto vollgepackt, waren damit zur Messehalle gefahren, hatten aus dem Tapeziertisch einen Designerverkaufstresen, aus einem alten Kleiderständer eine kleine Boutique gezaubert und alles schön dekoriert.

«Unser Stand muss die Leute anspringen», hatte die Großmutter ihn über die Grundlagen des Verkaufserfolgs aufgeklärt. «Der Kunde ist König, auch auf dem Flohmarkt.»

Heute Morgen waren sie in aller Frühe losgefahren, und hatten noch Kleinigkeiten dabei, die sie zu den Büchern, Schuhen und Blumenvasen gestellt hatten.

Nun war es so weit, Oma und Enkel standen vor ihrem Verkaufssortiment. Da entdeckte Felix einige original verpackte Geschenke.

«Was ist das denn?», wollte er wissen.

«Och, na ja …» Grete geriet ins Stottern. «Okay, aber behalt’s für dich. Das sind Geschenke von Tante Elli. Du weißt doch, sie hat viel Geld, aber keinen Geschmack. Die Vase, zum Beispiel, würde ich nie auf den Tisch stellen. Sie ist nicht billig, wir können sie für dreißig Euro verkaufen. Damit können wir die Standmiete verdienen.»

Felix staunte nicht schlecht. Das hätte er seiner Oma wohl gar nicht zugetraut.

Jeder hatte eine Bauchtasche, darin verstauten sie ihr Wechselgeld.

«Pass aufs Geld auf», mahnte Grete den Jungen. «Wenn es für ein Weihnachtsgeschenk reichen soll, immer gleich nachrechnen, nicht falsch rausgeben und Scheine sofort bei mir abliefern, die kommen dann in den Safe.»

«Gut, Chefin.»

Die beiden waren sehr vergnügt. Inzwischen waren die