Weihnachtsgeschichten am Kamin 33 -  - E-Book

Weihnachtsgeschichten am Kamin 33 E-Book

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Beschreibung

Der Zauber von Weihnachten in zauberhaften Geschichten Der Wind pfeift um die Häuser, er rüttelt an den Bäumen und Fensterläden. Es regnet, Sonne und Mond haben sich versteckt. Da springt die Tür auf, die Kinder wirbeln kalte Luft und Laub herein. Schnell heraus aus den Winterstiefeln und den dicken Jacken. In der Stube ist es warm, die Lichter am Tannenbaum leuchten schon! Großeltern, Eltern und Freunde sind da. Kommt, Kinder, die Weihnachtsgeschichte fängt an!

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Seitenzahl: 269

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Barbara Mürmann (Hg.)

Weihnachtsgeschichten am Kamin 33

 

Barbara Mürmann (Hg.)

 

 

Über dieses Buch

Der Zauber von Weihnachten in zauberhaften Geschichten

 

Der Wind pfeift um die Häuser, er rüttelt an den Bäumen und Fensterläden. Es regnet, Sonne und Mond haben sich versteckt. Da springt die Tür auf, die Kinder wirbeln kalte Luft und Laub herein. Schnell heraus aus den Winterstiefeln und den dicken Jacken. In der Stube ist es warm, die Lichter am Tannenbaum leuchten schon! Großeltern, Eltern und Freunde sind da. Kommt, Kinder, die Weihnachtsgeschichte fängt an!

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, November 2018

Copyright © 2018 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Redaktion Stefanie Röders

Umschlaggestaltung any.way, Hamburg

Umschlagabbildung MHJ/iStockphoto.com

ISBN 978-3-644-40534-9

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Vorwort

«Was, du liest im Frühling Weihnachtsgeschichten? Wie schrecklich!»

Das höre ich häufig aus dem Bekanntenkreis, wenn ich den neuen Band der Weihnachtsgeschichten am Kamin vorbereite.

Ich erkläre dann, wie viel Freude ich beim Lesen der eingesandten Geschichten habe und dass mir schon allein dadurch der Sinn von Weihnachten nicht verlorengeht. Selbsterlebtes wird liebevoll geschildert, oder es entstehen mit viel Phantasie Geschichten und Gedichte.

Ohne Ihre Einsendungen, liebe Autorinnen und Autoren, gäbe es dieses Buch nicht. Auch die Geschichten, die nicht in den Band aufgenommen werden können, wurden nicht vergeblich geschrieben, sondern bleiben schöne Erinnerungen an die Weihnachtszeit. Außerdem besteht immer die Chance, dass sie in einer der nächsten Ausgaben veröffentlicht werden.

Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich für Ihre Mühe und hoffe auch im nächsten Jahr auf viele Einsendungen.

 

Barbara Mürmann

Spinnerei oder …?

Michael Hahn

Wo es das ganze Jahr über versteckt wurde, habe ich nie herausgefunden, aber es hat mich auch nicht so richtig interessiert. Jedenfalls habe ich mich nie auf die Suche danach gemacht. Hauptsache, es war pünktlich zum ersten Advent wieder da.

Unser Adventshaus.

So wie der Adventskranz mit seinen vier Kerzen gehörte auch dieser Adventskalender, solange ich denken konnte, zu den Adventsabenden in unserer Familie.

Ein großes Haus aus starkem Papier, ringsherum vierundzwanzig verschieden große Fenster. Jedes dieser Fenster hatte zwei Fensterläden, die am jeweiligen Tag geöffnet wurden, und für den Heiligen Abend war ein großes zweiflügeliges grünes Tor angebracht. Im Inneren des Hauses sorgte eine Kerze für die richtige Beleuchtung, und manchmal zeigte sich am Kamin sogar ein leichtes Rauchwölkchen.

An den Adventsabenden versammelte sich die ganze Familie um den großen Tisch in der Küche. Wir Kinder meist auf der Eckbank, die für uns am sichersten war, die Eltern auf den Stühlen, und Oma saß immer im alten Sessel direkt neben dem Herd. Die Kerzen des Adventskranzes brannten, ebenso wie die eine oder andere Kerze mehr, damit der Vater in seinem Textbüchlein die Strophen der Weihnachtslieder lesen konnte. Im Herd knisterte und knackte das Holz. Eine wohlige Wärme erfüllte die Küche und ließ uns die Kälte und Dunkelheit draußen vergessen.

Welche Spannung erfüllte unsere kleinen Herzen, wenn das elektrische Licht gelöscht wurde und der Vater das erste Weihnachtslied anstimmte! Von Leise rieselt der Schnee bis zu O Tannenbaum kannten wir Kinder zumindest die ersten Strophen auswendig und sangen lauthals mit. Mein persönliches Lieblingslied in dieser Zeit war allerdings Morgen, Kinder, wird’s was geben, denn aus diesem Text ging immer hervor, wie viele Nächte bis zur Bescherung ich noch schlafen musste.

Dann wurde ein Fenster im Adventshaus geöffnet. Jeden Tag kam ein anderes der Kinder an die Reihe, und an den Tagen, an denen ich der Glückliche war, war ich ganz schön stolz. Aber nicht Schokolade wie heute üblich erwartete mich, sondern hinter jedem Fenster war mit buntem Papier ein Bild von einem Heiligen oder von einer Szene aus der Adventsgeschichte angebracht, das von der Kerze im Inneren des Hauses beleuchtet wurde. Dann war alles mucksmäuschenstill, und der Vater begann, die Geschichte zu erzählen, die sich um dieses Bild rankte. Es gab kein Fenster, zu dem er nicht eine lange Geschichte zu erzählen wusste. Wir Kinder drängten uns um das Adventshaus, damit jeder das jeweilige Bild genau begutachten konnte. Nur die Oma saß abseits in ihrem Sessel und sah mit glänzenden Augen zu der Gemeinschaft am Küchentisch herüber.

Zum Abschluss eines jeden Abends wurden nochmals Weihnachtslieder gesungen, und danach durften die Kerzen ausgeblasen werden. Um Streit zu vermeiden, war damit jeden Tag ein anderes von uns Kindern an der Reihe.

So verging die Zeit bis Heiligabend schnell. Am Tage duftete es des Öfteren köstlich nach Weihnachtsplätzchen, doch diese wurden dann für uns Kinder unerreichbar in einer Kiste versteckt, meist auf dem Schlafzimmerschrank.

 

An Heiligabend war das Wohnzimmer verschlossen.

Wir hielten uns den ganzen Tag in der Küche auf. Ausnahmsweise gab es an diesem Tag fast nie Streit unter uns Kindern. Wir saßen am Küchentisch, malten, bastelten oder spielten und hörten Weihnachtsgeschichten im Radio. Auch die Unterhaltung war meist gedämpft, als hätten wir Angst gehabt, durch zu lautes Reden das Christkind zu verscheuchen.

Am Abend zogen sich alle warm an für den gemeinsamen Kirchgang, der fest zu diesem besonderen Anlass gehörte, und so halte ich es noch heute. Nach dem Gottesdienst wieder zu Hause angekommen, gab es zum Abendessen in jedem Jahr Saitenwürstle und Kartoffelsalat, so sicher wie das Amen in der Kirche.

Danach wurden die Kerzen angezündet und Weihnachtslieder angestimmt. Wir öffneten das letzte Tor unseres Adventshauses, und dann konnte die Bescherung beginnen.

 

An einen dieser Heiligabende erinnere ich mich heute noch besonders.

In jenem Jahr war ich an der Reihe, einen Flügel des Tores zu öffnen, auf dem die Vierundzwanzig geschrieben stand. Ich mochte wohl so um die fünf Jahre alt gewesen sein und war den ganzen Tag schon mehr als aufgeregt gewesen. Ich sehnte den Abend förmlich herbei, damit sich die Türe zu unserem Wohnzimmer endlich öffnen möge und wir sehen konnten, was uns das Christkind in diesem Jahr gebracht hatte.

Endlich war es so weit. Für mich war das etwas ganz Besonderes. Bevor ich meine Hand nach dem Türchen ausstreckte, schaute ich nochmals in die Runde. Alle Blicke waren erwartungsvoll auf mich gerichtet.

Als ich dann allerdings meine Oma so abseits von uns allen in ihrem Sessel sitzen sah, überkam mich ein Gefühl, das ich nicht erklären konnte. Hier war ich und fühlte mich überaus glücklich – und dort saß meine Oma abseits von uns allen in ihrem Sessel neben dem Herd. Auf einmal hatte ich den Eindruck, dass sie sehr einsam war.

Plötzlich wollte ich das Türchen nicht mehr öffnen. Wie konnte ich mich so gut fühlen, wenn dort ein Mensch meiner Nähe bedurfte? Ich ging hinüber zu meiner Oma und nahm sie ganz fest in meine kleinen Arme. Auch sie drückte mich voller Freude an sich, so als hätte sie darauf gewartet, ein Zeichen der Liebe zu erhalten.

Die anderen forderten mich auf, doch endlich das Türchen zu öffnen, hinter dem Maria, Josef und das Kind in der Krippe verborgen waren. Aber um nichts in der Welt hätte ich in diesem Moment meine Oma loslassen können. Schließlich durfte eines meiner Geschwister die Flügel des kleinen Tores öffnen.

 

Ich kann heute nicht mehr sagen, ob mich jemand nach dem Grund meines Verhaltens gefragt hatte, aber ich bezweifle, dass mir in diesem Augenblick eine Erklärung möglich gewesen wäre. Einige meiner Geschwister hielten es sicherlich für Spinnerei. Heute halte ich es für das, was den Sinn von Weihnachten ausmacht: Liebe.

«’tschuldigung, würd’n Sie mal ’n Engel spielen?»

Petra Piater

Rummel, nichts als Rummel! Jeder heuchelte Freundschaft und Frieden, jedem musste irgendetwas geschenkt werden, obwohl man nur wenige Menschen wirklich beschenken wollte. Alles reine Routine. Herr Fischer verabscheute Weihnachten.

In der Mittagspause setzten die Kollegen zur Jagd auf das letzte Geschenk an. Er hingegen fand das ganze Theater mehr als lächerlich, zog sich seinen Mantel an und ging stattdessen in den Park auf der anderen Straßenseite. Hier hatte er wenigstens seine Ruhe.

 

Kleine Schneeflocken fielen langsam zu Boden. Es war beinahe windstill. Herr Fischer atmete tief durch – wie gut die Ruhe tat! Er schlenderte den Parkweg entlang, den im Bodenfrost verhärtete Rillen von Fahrradreifen im Herbstmatsch ziemlich uneben gemacht hatten. Vor ihm lag die große Wiese mit dem Spielplatz. Erstaunt sah er einige Kinder dort, denen es offenbar nichts ausmachte, trotz Kälte hier zu sein. Er kam näher. Es waren drei: ein dunkelhaariges Mädchen und zwei Jungen. Vermutlich waren sie Grundschüler, aber mit Kindern kannte er sich nicht so gut aus.

Erleichtert stellte er fest, dass es nicht noch mehr Kinder waren. Waren es mehr als zwei oder drei, pflegten seine ohnehin gestressten Nerven überempfindlich zu reagieren. Er mochte Kinder – solange sie auf Distanz blieben. Ihnen beim Spielen zuzusehen war in Ordnung.

Langsam folgte er dem Pfad, der in einem großen Bogen um den Spielplatz herumführte. Es hatte aufgehört zu schneien.

«Du sitzt also mit dem Baby da, und dann kommt der Bastian, der ist dein Mann und …», sagte einer der Jungen.

Empört rief das Mädchen dazwischen: «Immer muss der mein Mann sein – in echt ist er mein Bruder, und beim Spielen muss er immer mein Mann sein. Das ist doof!»

Der Junge kratzte sich am Kopf. «Dann … dann ist der Basti eben die königlichen Gäste, und ich mach deinen Mann … Ist aber genauso doof, nur dass du das weißt, Dani!»

Herr Fischer war über diesen kindlichen Schlagabtausch amüsiert. Er blieb ein wenig unter den schneebedeckten Bäumen stehen und hoffte auf weitere Ablenkung von seinem Alltag.

«König ist mir eh lieber! Und Mama sagt auch immer, dass ich ihr Goldstück bin – das sagt sie zum Papa nämlich nich’!», rief der andere Junge, der eben Bastian genannt worden war und eine Stupsnase hatte.

«Könn’ wir jetzt endlich anfangen?», maulte das Mädchen.

«Da is’ noch was!», schaltete sich der stupsnasige Bastian ein. «Holger, wer spielt bitte schön die Hirten und den Engel?»

Holger öffnete seine ohnehin großen Augen noch weiter. «Manno, stimmt – heut fehlen Ella und die andern … Na, dann musst du dir deinen Mann eben einfach denken und ich mach die Hirten.»

«Is’ mir sowieso lieber!», grinste Dani frech, während sie ihre Hände aneinander rieb.

«Und was is’ dann mit dem Engel? Ohne den macht das ganze Proben ja gleich gar keinen Sinn!», warf Bastian ein.

Holger ließ die Arme an die Hüften fallen, wobei seine dicke Daunenjacke die Situation mit einem Geräusch untermalte, das wie ein lauter Seufzer klang.

«Ja, stimmt, ohne den Engel geht das nicht. Wie hätten die Hirten denn sonst wissen sollen, wo das Baby Jesus da gerade in Bethlehem rumliegt …»

Herr Fischer stöhnte, plötzlich gereizt. Selbst hier blieben ihm diese Weihnachtsgeschichte und dieser ganze Weihnachtsquatsch nicht erspart. Noch nicht einmal im fast menschenleeren Park hatte man seine Ruhe von diesem Firlefanz. Aber was konnte er auch anderes erwarten: Kinder glaubten so etwas noch, für die war das wohl genau das Richtige, naiv, wie sie waren.

Schon hatte er sich wieder dem Weg zugewandt und wollte von dannen ziehen – da stand der kleine Holger plötzlich vor ihm und sah ihn mit seinen großen blauen Augen an. Gar nicht zaghaft fragte er: «’tschuldigung, würd’n Sie mal ’n Engel spielen?»

Sein Blick war voller Erwartung, geradezu eindringlich, sodass Herr Fischer gar nicht polternd ablehnen konnte, wie er eigentlich wollte. Dieser Junge hatte einen Blick, wie er ihn von jungen Hunden kannte, auf die man mit dem Futternapf zukam. Da konnte selbst er nicht barsch reagieren.

«Einen Engel?», brachte er erstaunt heraus.

«Ja, dauert auch gar nicht lange – wir müssen ja gleich nach Hause», sagte Dani, die mutig dazugekommen war.

«Das kann ich nicht. Ich weiß doch gar nicht, wie das geht! Und die Geschichte mit diesem Jesus, die kenne ich auch nicht!», entgegnete Herr Fischer triumphierend und dachte, damit sei die Sache für ihn erledigt.

«Sie kennen die Weihnachtsgeschichte nich’?», fragten die drei Kinder nahezu aus einem Munde, halb ungläubig, halb empört. «Die ist schnell erklärt!», meinte Bastian mit einer Handbewegung, die jede Problematik wegzuwischen schien.

Das amüsierte Herrn Fischer dann doch. Er zögerte und wusste selbst nicht, wieso er sich tatsächlich in die Winterluft sagen hörte: «Na gut, aber nur kurz – und möglichst schnell!»

Ehe er sichs versah, gestikulierten und redeten die drei enthusiastisch auf ihn ein und tanzten dabei vor lauter Begeisterung um ihn herum. «Also die Menschen sind ganz arm dran, weil sie mit Gott nichts mehr zu tun haben wollen und gaaaanz weit weg von ihm sind, damals … Das macht sie kalt und jeder denkt nur an sich», fing Bastian an.

«Und das tut Gott ganz dolle weh, weil er wie ein lieber Papa für uns Menschen sein will – und er uns auch voll lieb hat! Klar, dass er uns Menschen da raushelfen will», fügte Dani hinzu. «Und das geht halt nur, wenn jemand den ganzen Schrott, der den Weg zurück zum Vater im Himmel versperrt, wegschafft. Damit der Weg wieder frei ist – weil der is’ ja wie mit Riesen-Löchern total kaputt … mit sooo einem tiefen Graben und da kommt kein Mensch von sich aus rüber.»

«Genau!», rief Bastian. «In der Jungschar sagen sie immer: Erst muss einer ’ne Brücke bauen, und das kann eben nur Gott selbst, wir Menschen haben’s ja schon vergeigt – und damit das passiert, hat Gott seinen Sohn geschickt.»

Nun sprang Holger ein. «Gott ist nämlich der Einzige, der das kann! Und das hat er dann auch Ostern gemacht. Da ist er ans Kreuz gegangen. Und das Kreuz, das ist wie ein fetter Balken, über den man rübergehen kann, wenn man den hinlegt.»

Herr Fischer wusste gar nicht, welchem der drei Kinder er zuerst zuhören sollte, sie redeten jetzt alle zugleich auf ihn ein.

«Damit ist er wie die Brücke, die über diesen Graben geht, der uns Menschen alles so schwer macht», erklärte Holger eifrig weiter. «Jetzt ist der Weg wieder frei, weil er für uns gestorben ist – an Ostern eben.»

«Und Weihnachten ist der Anfang von Ostern», drängte sich Dani nun wieder etwas nach vorne, «denn er musste ja erst herkommen, Mensch werden, also geboren werden und so, damit er nachher seine Rettungsmission übernehmen konnte.»

«Und deshalb feiern wir Weihnachten!», stellte Bastian nahezu stolz fest.

«Das haben Sie aber sicher schon einmal gehört, oder?», fragte Holger, während er Herrn Fischer mit seinen großen Augen ansah. «Wir hören das mindestens ein Mal im Jahr, da machen wir daraus ein Krippenspiel in der Kirche – und dafür brauchen wir halt ’nen Engel zum Proben.»

Herr Fischer war – verständlicherweise – etwas verwirrt. Er kannte Gespräche über Weihnachten, lauter gewohnheitsmäßige Floskeln, leere Worthülsen und nichtssagende Heuchelei. Dass jemand wirklich an die Weihnachtsgeschichte glaubte, war ihm neu. Dass Menschen darüber so begeistert sein konnten und ehrlich überzeugt schienen, auch wenn es Kinder waren – so etwas hatte er noch nie erlebt. Ihr Enthusiasmus und ihre einfachen, wenn auch etwas wirren Worte weckten eine Sehnsucht in ihm, die er sich nicht erklären konnte.

Weiter und weiter redeten die drei auf ihn ein und erklärten ihm gerade seinen Text als Engel von «großer Freude, die allen Menschen gilt», als Holger erschrocken auf die Uhr sah.

«Wir sind schon voll spät dran! Jetzt wird’s nichts mehr mit Proben!», rief er hastig.

Große Enttäuschung war auf den Kindergesichtern zu lesen.

Doch Bastian schien eine Idee zu haben und strahlte plötzlich wieder: «Könn’ Sie nich’ morgen wiederkommen? Wenn die anderen dann da sind, bleiben Sie einfach der Engel. Oder wir finden ’ne andere Rolle für Sie, sonst auch als Schaf oder so. Kommen Sie?»

Diesmal brauchte Herr Fischer nicht lange zu überlegen: «Ja, gern!»

Und er meinte es wirklich so.

Die Kinder machten Freudensprünge, riefen wieder wild durcheinander und rannten dann winkend davon. «Bis morgen!»

 

Herr Fischer blieb stehen und sah ihnen nach. Von «großer Freude, die allen Menschen gilt» hatten sie geredet. Es gab da noch so viel, was er die Kinder fragen wollte.

Er ging zügig los. Das lange Stehen hatte ihn ausgekühlt und seine Mittagspause war fast vorüber. Aber morgen – morgen würde er wieder eine Mittagspause haben. Und auf die freute er sich schon jetzt.

Die Weihnachtsmannfalle

Dagmar Günther

«Ich muss mal …»

Mit einem Ruck springt Anton von seinem Sessel am Wohnzimmertisch auf. Dabei zerrt er an der Tischdecke, und die Mensch ärgere dich nicht-Figuren rutschen über das Spielbrett.

«So eine Gemeinheit!», beschwert sich seine Schwester Leona. «Das hat er absichtlich getan, nur weil ich gerade am Gewinnen bin!»

«Aber wenn er doch mal zur Toilette muss», versucht Mama zu schlichten.

«Das glaubt ihr ja selbst nicht. Der rennt nun schon das dritte Mal raus», empört sich das Mädchen.

«Das kann schon passieren», mischt Oma sich ein, «der Kleine ist bestimmt nur aufgeregt, weil er auf den Weihnachtsmann wartet.»

«Der Kleine», schimpft Leona, «kann nur nicht verlieren.»

«’tschuldigung», murmelt Anton und verdrückt sich.

«Na immerhin hat er sich entschuldigt», hört er Papas Stimme im Hinausgehen.

 

Antons Nerven liegen blank. Aufgeregt? Die haben ja keine Ahnung, denkt er, als er im Flur steht. Wo bleibt denn der Weihnachtsmann nur?

Wenn der nicht gleich kommt, wird Antons genialer Plan platzen. Wochenlang hat er darüber nachgedacht, wie es gelingen könnte, dass Leona und er den Rauschebart auch mal zu Gesicht bekommen. Bei den Nachbarskindern Arne und Paul und auch bei Charlotte und Erika ist er im vergangenen Jahr schließlich auch höchstpersönlich erschienen.

Nur bei Antons Familie steht immer ganz plötzlich ein Sack mit Geschenken vor der Haustür. Vom Weihnachtsmann keine Spur. Er sei bestimmt in Eile gewesen, weil er doch noch zu den anderen Kindern weitermusste, versicherte Opa letztes Jahr, als Anton ihm davon erzählte.

Tja, Opa – der kann ihm womöglich auch noch in die Quere kommen! Schon vor zwei Stunden ist er verschwunden, um im neuen Flüchtlingsheim am Ende der Straße beim Aufstellen des Weihnachtsbaumes zu helfen. Das kann doch unmöglich so lange dauern! Vielleicht ist er inzwischen ja längst wieder hinten im Gartenhäuschen, das Papa im Frühjahr ausgebaut hat und in das die Großeltern im Sommer eingezogen sind. Von dort, so hofft Anton inständig, nimmt Opa sicher den kürzeren Weg über die Terrasse zum Haus und bringt damit seinen ausgetüftelten Plan nicht durcheinander.

Aber was ist das? Da knirschen doch Schritte im Schnee? Mit dem bereitgelegten Fernglas schaut Anton aus dem Flurfenster. Tatsächlich: Ein Mann in rotem Mantel, die rote Kapuze tief ins Gesicht gezogen, nähert sich.

Das muss der Weihnachtsmann sein!, denkt Anton.

Vorsichtig dreht er den Schlüssel im Schloss der Wohnzimmertür herum. Geschafft! Er steckt ihn in die linke Hosentasche. Leise eilt er vom Hausflur in die Garage und verschließt auch die Übergangstür dorthin. Nur die Haustür steht einen Spalt offen. Der Haustürschlüssel steckt von außen. Bis jetzt läuft alles nach Plan.

 

Der Weihnachtsmann kommt heran, klopft den Schnee aus seinem Mantel, streift die Schuhe am Fußabtreter ab und betritt das Haus. Anton schiebt das Garagentor auf, rennt zur Haustür und schließt sie von außen zu. Den Schlüssel verstaut er in seiner rechten Hosentasche. Er schleicht um das Haus herum. Gott sei Dank hat niemand die Terrassentür, die er nur angelehnt hatte, zugesperrt. Unbemerkt schlüpft er wieder ins Wohnzimmer. Einträchtig sitzen alle am Tisch, nur Opa fehlt immer noch.

Anton stupst Leona von hinten an. «Wo warst du denn so lange?», fragt sie ihren Bruder erstaunt. «Los, lass uns noch eine Runde spielen.»

Mama schaut zur Uhr: «Nun müsste er aber langsam kommen …» Verschwörerisch blinzelt sie Papa zu.

«Wer? Opa?», fragt Leona.

«Nein, der Weihnachtsmann», entgegnet Oma.

«Der ist doch längst da!», platzt Anton heraus.

Alle Augen richten sich auf ihn. Triumphierend zieht er den Wohnzimmerschlüssel aus seiner linken Hosentasche und sperrt die Tür auf. «Tada! Komm herein, Weihnachtsmann!», ruft er stolz.

«Woher …? Wieso …?», stammelt Leona.

Der rot gekleidete Mann tritt ein. «Nun, ich wusste ja, dass ihr schon seit langer Zeit den Weihnachtsmann persönlich kennenlernen wollt», brummt er und streicht sich über den wallenden weißen Bart. «Da bin ich also.»

«Aber du hast ja gar nicht deinen Geschenkesack dabei!», stellt Anton erschrocken fest.

Der Rauschebart kramt in seiner Manteltasche und holt zwei kleine Schokoladenfiguren heraus.

«Ist das alles?», fragt Leona kleinlaut.

«Wir … Wir da… dachten, du hättest vielleicht noch etwas Spielzeug …», stottert Anton.

Auch Oma schaut den Weihnachtsmann an und scheint die Welt nicht mehr zu verstehen.

Der zuckt mit den Achseln und murmelt etwas von Helfer-Elfen und Wichteln, die wohl mit dem Verpacken noch nicht fertig seien. «Spielzeug, davon besitzt ihr doch so viel, dass ihr welches abgeben könntet. Aber schauen wir mal. Später vielleicht …», sagt der Alte etwas vage.

«Spielen wir doch zuerst einmal ohne Spielzeug!»

«Das geht doch gar nicht», erwidert Anton, noch etwas unsicher.

«Na, das werden wir ja sehen! Du hast dir doch Ritter von mir gewünscht», entgegnet der Weihnachtsmann, «dabei wärst du bestimmt viel lieber selbst einer.»

«Was, ein echter Ritter?» Anton ist Feuer und Flamme.

Der Rauschebart packt das Mensch ärgere dich nicht-Spiel in die Kiste, nimmt Omas bestickte Weihnachtsdecke vom Tisch und hängt sie Anton um.

«Was für ein toller Umhang, Weihnachtsritter Anton!», sagt der Alte zufrieden, während er die Decke vorsichtig um Antons Hals knotet.

Zu Mamas Entsetzen werden nun die gute Kuchenplatte zum Schild und der Schürhaken aus dem Kaminbesteck zu Antons Schwert umfunktioniert.

«Steig auf!», ruft der Alte und wiehert wie ein richtiges Pferd. Lachend ziehen beide in den Kampf und befreien die Jungfrau Leona aus den Fängen des stürmischen Papa-Drachens. Anton quietscht vor Freude.

Oma klopft dem Weihnachtsmann energisch auf die Schulter, und der scheint sich nun zu besinnen, dass es ja auch noch Antons ältere Schwester gibt.

«Nun zu dir, Leona», sagt er etwas außer Atem. «Wolltest du nicht einen Kaufmannsladen?»

Mit ein paar Handgriffen und ein paar Schachteln aus der Küche baut er den Wohnzimmertisch zur Ladentheke um. Er bestimmt Oma zur Lastwagenfahrerin, die mit ihm die Waren aus dem Depot holen soll. Anton sieht beide in die Küche verschwinden.

 

«Was ist hier eigentlich los?», fragt Oma verdattert.

«Ich wollte nur die alten Arbeitsstiefel unseres Sohnes ausleihen, damit unsere Enkelkinder mich nicht an den Schuhen erkennen», erklärt Opa kleinlaut. Deshalb sei er im Weihnachtsmannkostüm ohne Geschenke herübergegangen. Und dann habe er in der Falle gesessen. Die Haustür sei abgeschlossen, die Geschenke stünden im Gartenhaus und er habe keine Ahnung, wie diese nun ins Wohnzimmer kommen sollen. Wenigstens habe er im Flurschrank die Stiefel gefunden, sodass der Weihnachtsmann nicht in Opas Filzlatschen erscheinen muss. Er lacht zaghaft.

«Kommt Zeit, kommt Rat», sagt Oma.

 

Dann schaffen sie Brot, Milch, Eier, Zucker, Mehl, Salz, Butter, Käse, Würstchen, Nudeln, Ketchup, Möhren, Kartoffeln und sogar Papas Bier und Mamas frisch gebackene Quarktorte aus der Küche in die Stube. Mama schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

Auf einem Notizblock schreibt Verkäuferin Leona die Produkte auf, die Anton kaufen will. Mit Papas Taschenrechner rechnet sie aus, wie viel das Ganze kostet.

«Aber ich habe gar kein Geld», sagt Anton traurig.

«Kein Problem», entgegnet der Rauschebart, «wir borgen uns ein paar Münzen aus der Sammlung von deinem Vater.»

Papa schüttelt heftig den Kopf.

«Du willst doch dem alten Mann keinen Wunsch abschlagen!», mischt Mama sich ein.

Sie zieht ein Münz-Album aus dem Regal, und Anton kann seinen Einkauf mit echtem Geld bezahlen. Die Kinder sind so ins Spiel vertieft, dass sie gar nicht bemerken, wie Oma über die Terrasse in Richtung Gartenhaus entwischt.

«Und jetzt spielen wir Aufräumen», schlägt der Weihnachtsmann vor.

«Aber das ist doch gar kein Spiel», wirft Anton ein.

«Oh, doch!» Der Weihnachtsmann krempelt sich die Ärmel hoch. Da schrillt die Klingel an der Haustür.

«Nanu, wer kann das denn sein?», fragt Papa.

«Vielleicht ist es ja Opa!»

Anton und seine Schwester eilen in den Flur. Anton holt den Schlüssel aus der rechten Hosentasche hervor und schließt auf. Sie trauen ihren Augen nicht. Im Mondlicht leuchten zwei Kartons – an einem ist ein Einkaufskörbchen befestigt, an dem anderen eine goldene Ritterfigur. Daneben steht der Geschenkesack des Weihnachtsmanns. Die Kinder jubeln.

«Ja, wo kommt das denn alles her?», fragt Papa den Weihnachtsmann mit einem Lächeln und schaut dann zu Anton.

«Da sind meine Helfer wohl endlich fertig geworden», brummelt der Alte und trägt den Sack ins Wohnzimmer. Papa eilt mit den Kisten schnaufend hinterher.

Nachdem Anton und Leona artig ihre Weihnachtsgedichte aufgesagt haben, übergibt der Weihnachtsmann die Geschenke. Antons Freude ist riesengroß.

Plötzlich sieht der Alte ungläubig auf seine Armbanduhr: «Herrje, ich habe ja gar nicht bemerkt, wie schnell die Zeit verflogen ist. Und ich muss doch noch zu den Kindern im Flüchtlingsheim. Hoffentlich sind die Geschenke für alle Kinder dort schon fertig verpackt, denn Zeit zum Spielen bleibt mir jetzt nicht mehr.»

«Ich habe da eine Idee …», beruhigt Anton den Weihnachtsmann und flüstert Leona etwas zu.

«Warte kurz.» Sie strahlt. «Wir schauen in unseren Zimmern nach, womit wir nicht mehr spielen, dann hast du schon mal etwas zum Verteilen.»

Eilig schaffen Anton und seine Schwester Bausteine, einen Traktor, Autos, Plüschtiere, Bücher und eine Puppe herbei. Mama und Papa packen das Spielzeug in Geschenketüten und verstauen es in einem großen Karton.

«Das ist ja wie Weihnachten!» Der alte Mann ist ganz gerührt. «Aber jetzt räumen wir schnell noch auf.»

«Nein, das schaffen wir auch allein», legt Anton fest. Er nimmt den Weihnachtsmann bei der Hand und begleitet ihn hinaus.

Im Flur zieht er ihn ganz fest an sich. «Das ist mein schönstes Weihnachten», sagt er und fügt hinzu: «Und falls du unseren Opa triffst, richte ihm bitte aus, wir warten schon auf ihn.»

Der wird staunen, wenn er erfährt, was hier inzwischen passiert ist, denkt Anton.

«Klar doch, mach ich!» Der Rauschebart stapft durch den Schnee davon. Anton winkt ihm nach, bis der Alte in der Dunkelheit verschwunden ist.

 

Als Opa eine Stunde später endlich auftaucht, haben Anton und Leona gemeinsam mit Mama, Papa und Oma das Wohnzimmer in Ordnung gebracht. Unter dem funkelnden Weihnachtsbaum spielen die Kinder mit der neuen Ritterburg und dem Kaufmannsladen.

Mit hochroten Köpfen bestürmen die beiden ihren Großpapa: «Du wirst es nicht glauben, aber unser Super-Weihnachtsmann hat den ganzen Abend mit uns gespielt!», berichtet Anton voller Freude.

«Und weil er dann noch zu den Flüchtlingskindern musste und nicht sicher war, ob seine Helferchen schon die Pakete für alle gepackt hatten, haben wir ihm für alle Fälle Spielzeug von uns mitgegeben», fügt Leona aufgeregt hinzu.

«Jetzt verstehe ich auch, warum der Weihnachtsmann erst so spät im Flüchtlingsheim eintraf», sagt Opa und zwinkert Oma zu. Die Kinder dort hätten sich aber sehr über die Geschenke gefreut. Und während er Anton und seine Schwester in den Arm nimmt, sagt er: «Kein Wunder, dass mir einige der Spielzeuge so bekannt vorgekommen sind.»

Die Eisenbahn

Dietmar Thiel

Wenn das Weihnachtsfest vor der Türe steht, muss ich immer an Weihnachten 1954 denken, und Erinnerungen, die schon lange in den ‹Papierkorb› meines Gehirns verschoben wurden, nehmen wieder Gestalt an.

Wer wie ich im selben Jahr wie die Bundesrepublik Deutschland aus der Taufe gehoben wurde, weiß von den Umständen in den ersten zehn bis fünfzehn Nachkriegsjahren eingehend zu berichten, denen Familien mit einem Spätheimkehrer als Vater ausgesetzt waren.

Wir besaßen nur sehr begrenzte finanzielle Mittel, die mein Papa samstags in einer viel zu dünnen Lohntüte meiner Mutter überließ.

Und nun lag ich auch noch täglich meinen Eltern mit der Bitte «Ich wünsche mir vom Christkind eine Eisenbahn» in den Ohren.

Wir wohnten in einem kleinen Haus in einem Dreihundert-Seelen-Dorf im Westerwald. Im selben Haus lebten meine Großeltern und die beiden jüngsten Geschwister meiner Mutter.

Unsere Wohnung? Wir lebten zu dritt auf knapp dreißig Quadratmetern! Eine Enge, die einem Kind nur wenig Raum zum Spielen ließ. Aber ich war zufrieden. Bis – ja, bis auf die Eisenbahn!

Ich hatte im Herbst Scharlach bekommen und durfte wegen der strengen Quarantäneauflagen das Zimmer sechs Wochen lang nicht verlassen. Nun aber waren die Symptome der damals noch sehr bedrohlichen Kinderkrankheit abgeklungen und fast vergessen.

Noch heute bescheinigt mir meine Mutter, dass ich ein sehr geduldiger Patient gewesen sei, der alle Therapien gut gelaunt über sich ergehen ließ. Eine Zusage meiner Eltern, in Sachen Eisenbahn mit dem Weihnachtsmann zu sprechen, war wohl der Grund für die mit Gleichmut ertragenen Entbehrungen.

Es wurde kalt und es schneite in den Tagen vor Weihnachten. Und obwohl ich am Schlittenfahren und Schneemannbauen viel Spaß hatte, freute ich mich noch mehr auf den Weihnachtsmorgen, denn das Christkind kam bei uns immer in der Nacht zum ersten Weihnachtstag.

Am Heiligen Abend wollte ich vor Aufregung kaum einschlafen: Morgen ist es so weit, morgen, morgen …

 

Ich erwachte schon früh und konnte mich kaum zügeln. War ich artig genug gewesen?

Durch den Türspalt konnte ich rote Wachskerzen sehen, die neben ein paar silbernen Kugeln und Lametta ein kleines Tannenbäumchen schmückten. Mein Vater saß, die Beine gekreuzt, unter dem Tisch mit einer schwarzen Lok mit Kohlentender, die schwer an vier bunten Eisenbahnwagen zog.

Mein Herz sprang und hüpfte. Das Christkind hatte mir meinen Wunsch erfüllt! Endlich, endlich hatte ich eine Eisenbahn, mit der ich spielen konnte und von der ich in der Langeweile der Quarantäne mehr als nur einmal geträumt hatte.

Mit einem Schwung öffnete ich die Küchentür, lief herein und verschlang mein Frühstück in Weltrekordzeit. Und dann saß endlich ich unter dem Küchentisch und ließ mich von den Wagen meiner neuen Eisenbahn umrunden.

Es war bis kurz vor Mittag das schönste Weihnachtsfest meines Lebens.

Wie gesagt, bis kurz vor Mittag!

Meine Eltern waren mit einem jungen Ehepaar aus der Nachbarschaft befreundet, und so besuchte uns Frieda, so hieß die junge Mutter einer kleinen Tochter, noch vor dem Mittagessen an diesem ersten Feiertag. Frieda, sie möge mir im Himmel verzeihen, hatte eine enorme Sehschwäche, und zwar auf beiden Augen. Ihre Brillengläser waren so dick, dass man ihre Augen dahinter nur verschwommen wahrnahm und sich die Pupillen wie zwei große schwarze Löcher daraus hervorhoben.

Die Eisenbahntrasse hatte sich unter Mithilfe meines Vaters vergrößert und führte inzwischen vom Küchentisch an einem Stuhl vorbei und schlug dann wieder den kürzesten Weg zum Bahnhof unter dem Tisch ein.

Frieda trat laut «Frohe Weihnachten» wünschend als Erste in die Küche und dann geradewegs auf die Schienen meines Weihnachtsgeschenkes, die unter dieser enormen Belastung knirschend ihre ursprüngliche Form in Höhe und Breite verloren. Die kleine Lok hat ab diesem Zeitpunkt keine Runde mehr gedreht, weil sie an der Stelle, an der die Gleise platt getreten waren, immer wieder entgleiste.

 

Ich habe keine andere Eisenbahn bekommen und mir auch nie mehr eine neue gewünscht.

Heute, als Großvater, würde ich mit meinen Enkeln bestimmt wieder Eisenbahn spielen, doch ihre Wunschlisten gehen von Dinosauriern über Tipp-Kick-Spiele bis hin zu ferngelenkten Lkws und Spielkonsolen. Aber Eisenbahn? Weit gefehlt!

Eigentlich schade, denn mit den heutigen technischen Möglichkeiten – wie Videokameras für Frühwarnsysteme – könnte man einen Anschlag auf den Bahnkörper wie den von Weihnachten 1954 bestimmt verhindern.

Weihnachtszauber

Brigitte Harkou

Zum ersten Mal wollten wir Weihnachten in den Bergen verbringen. So viele Jahre hatten wir es an der heimatlichen Ostsee ausgehalten bei Regen, Kälte und Schmuddelwetter. Es musste Jahre her sein, dass die Rodelschlitten im Einsatz gewesen waren. Unsere Jüngste, fünf Jahre alt, kannte Schnee nur aus dem Fernsehen.

Jetzt hatten wir genug davon. Die Kinder waren groß genug, dass man etwas Neues wagen konnte, und so beschlossen wir schon Monate im voraus, das Fest diesmal im Schwarzwald zu verbringen.

«Ihr werdet sehen, wie schön es dort ist», schwärmte mein Mann. «Die dunklen Wälder glitzern in der Sonne, über und über mit Schnee bedeckt. Wenn ihr vom Weg abkommt, versinkt ihr in den hohen Schneewehen. Und die Berge! Es gibt dort Rodelstrecken, kilometerlang. Und Skifahren werdet ihr lernen, das geht dort wie von selbst!»

Die Kinder hörten mit großen Augen zu und waren ebenso begeistert wie ihr Vater.