Weil du es bist - Linda Lael Miller - E-Book

Weil du es bist E-Book

Linda Lael Miller

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Beschreibung

Tate McKettrick weiß, wohin eine Nacht der Leidenschaft führen kann: ins Unglück und ins Verderben. Nie wieder! hat er sich geschworen. Denn so hat er einst verspielt, was er am meisten begehrt: das Vertrauen seiner großen Liebe Libby. Wird sie ihm jemals wieder ihr Herz öffnen? Im Kampf um das Glück gibt ein Mann wie Tate so schnell nicht auf...

Libby Remington bekommt weiche Knie, wenn Tate in ihrem Coffeeshop vorbeischaut. Doch mehr als ein heißer Flirt? Nie im Leben! Auch wenn Tate schwört, dass Libby die Einzige für ihn ist, kann sie nicht vergessen: Schon einmal hat er ihre Liebe verraten...

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Seitenzahl: 502

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Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Linda Lael Miller

Die McKettricks aus Texas:

Weil du es bist

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Jutta Zniva

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

McKettricks of Texas: Tate

Copyright © 2010 by Linda Lael Miller

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Corbis GmbH, Düsseldorf

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz;

John Hall Photography

Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN (eBook, PDF) 978-3-86278-389-2 ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-388-5

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Für Leslee Borger, ein Cowgirl wie ich, in Liebe und Dankbarkeit.

PROLOG

Silver Spur Ranch

Blue River, Texas

Das Frühlingsgewitter explodierte regelrecht am Himmel. Es entlud sich so heftig, dass ein einziger Blitz genügt hätte, um das Dach in der Mitte zu spalten und alle Fenster in den drei Etagen zum Bersten zu bringen.

Tate McKettrick fluchte leise vor sich hin, während der Regen wie ein Kugelhagel auf das alte Gemäuer prasselte.

Wahrscheinlich hatte der Fluss die Straße bereits überschwemmt, und Tate würde einen Umweg in die Stadt nehmen müssen. Er war – wieder mal – zu spät dran. Cheryl, seine Exfrau, würde ihn mit den üblichen Vorwürfen bombardieren, das stand fest.

Sie würde ihm vorwerfen, er hätte kein Interesse an den gemeinsamen Zwillingstöchtern, weil er ja lieber Jungs gehabt hätte. Jungs, so wild und verwegen wie er selbst und seine Brüder früher. Das war ihre bevorzugte Spitze gegen ihn. Sie würde nie erfahren, wie sehr diese spezielle Bemerkung ihn immer traf – denn er hatte nicht vor, es sich anmerken zu lassen. Doch sie traf ihn, und zwar mitten ins Herz. Er würde sein Leben für Audrey und Ava geben. Die Zwillinge waren das einzig Positive aus dieser Ehe, die es eigentlich nie hätte geben sollen.

Da Cheryl ein einziger verbaler Treffer nie genügte, würde sie höchstwahrscheinlich weitersticheln. Sie würde sagen, dass er deshalb zu spät zur Tanzaufführung der gemeinsamen Töchter kam, weil er sie, ihre Mutter, damit ärgern wollte. Cheryl würde darauf beharren, dass er seine eigenen Kinder funktionalisierte. Denn er wusste doch, dass sie es hasste, wenn er zu spät kam. Er wusste doch, dass …

Bla, bla, bla.

Tate brauchte die Zwillinge nicht zu „funktionalisieren“, um bei Cheryl irgendetwas durchzusetzen. Das hatte er nach der Scheidung getan – und zwar nicht zu knapp. Damals hatte er seine Exfrau gezwungen, in Blue River zu bleiben, damit sie sich das Sorgerecht teilen konnten. Seither pendelten Audrey und Ava zwischen dem Haus ihrer Mutter in der Stadt und der Ranch hin und her. Bis auf gelegentliche Ausnahmen lebten sie eine Woche hier, eine Woche dort. Sobald Tate die Kinder an den vereinbarten Tagen abholte, traf Cheryl sich mit ihren eleganten Freundinnen, um die Kreditkarten zum Glühen zu bringen.

Mit grimmig vorgeschobenem Kinn setzte Tate sich auf die Kante seines Betts. Frustriert griff er nach seinen Stiefeln, die er poliert hatte, bevor er seine regennassen Arbeitsklamotten ausgezogen und sich schnell geduscht hatte. In seinen steifen, neuen Jeans und dem langärmeligen weißen Westernhemd – der Cowboyversion eines Smokings – hörte er mit halbem Ohr dem Rodeo-Kommentator im Fernsehen zu, dessen monotone Stimme aus den Lautsprechern des großen Flachbildschirms über dem Kamin tönte.

Er wollte gerade nach der Fernbedienung greifen und ausschalten, als er den Namen seines Bruders aufschnappte.

Tates Nackenhaare stellten sich auf. Er spürte, wie sich in seiner Magengrube irgendetwas zusammenballte – nicht unähnlich einer Schlange kurz vor dem Angriff.

„… Austin McKettrick ist der Nächste. Er reitet einen Bullen namens Buzzsaw …“

Abrupt richtete sich Tates Aufmerksamkeit auf den Bildschirm. Tatsächlich, das war sein kleiner Bruder – in High Definition und lebendigen Farben. Er stand auf der Galerie hinter der Startbox. Jetzt ging er kurz auf und ab, blieb wieder stehen und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.

Die Einstellung konnte nicht länger als eine, zwei Sekunden gedauert haben. Ein anderer Cowboy hatte seinen Ritt eben beendet, und gleich würde dessen Ergebnis auf dem riesigen Bildschirm angezeigt werden. Doch der kurze Kameraschwenk auf Austin hatte genügt, dass es Tate kalt den Rücken hinunterlief.

Die Punktezahl des anderen Cowboys war gut, das Publikum jubelte, und die Kamera schwenkte zurück zu Austin. Er hatte Kameras immer geliebt, der verdammte Idiot, und diese Liebe hatte stets auf Gegenseitigkeit beruht.

Das Gleiche galt für Frauen, Kinder, Hunde und Pferde. Nun hockte sich Austin in der Galerie auf den Boden, während der Bulle sich unten in seiner Startbox verdächtig ruhig verhielt. Das Tier stierte lediglich zwischen den Gitterstäben in die Arena und wartete, bis seine Zeit gekommen war. Die ruhigen Bullen waren immer die schlimmsten, dachte Tate. Buzzsaw war ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch und sammelte gerade all seine Kräfte für die Arena. Dort würde er Platz genug haben, das zu tun, wofür er gezüchtet worden war: auszurasten.

Knochen zu zertrümmern … lebenswichtige Organe zu zerquetschen …

Als ehemaliger Rodeoreiter wusste Tate – obwohl er selbst nur im Bareback Bronc Riding, also dem Reiten von Wildpferden ohne Sattel, aktiv gewesen war – dass dieser Bulle nicht einfach nur aggressiv war; er war eine neunhundert Kilo schwere Katastrophe für jeden Cowboy und bereit, jeden Moment zu explodieren.

Austin musste das alles und noch viel mehr mittlerweile wissen. Er hatte seine Karriere im Alter von drei Jahren als Hammelreiter auf der Dorfkirmes begonnen und war mit rot-goldenen Siegerschleifen geehrt worden. Anschließend war er Little Britches Rodeos speziell für Jugendliche geritten und hatte später bei den National Highschool-Rodeos einige Wettkämpfe gewonnen. Auch während seiner College-Zeit war er ein Star gewesen.

Es war also nicht so, dass er sich mit Bullen nicht auskannte. Austin wirkte eher übermütig als nervös; sein Motto in jeder gefährlichen Situation war: „Packen wir’s an!“

Tate sah zu, wie sein Bruder seinen Hut noch einmal zurechtrückte und sich vom Geländer auf den Rücken des Stiers hinunterließ. Dann schob er seine Hand unter den Ledergurt und schlang sich ihn einmal in einer sogenannten „Selbstmord-Schlinge“ ums Handgelenk, wodurch er sich regelrecht an das Tier fesselte. Einen Augenblick später nickte er den Männern am Gatter zu.

Tate konnte den Blick nicht abwenden. Er hatte ein ungutes Gefühl. Ganz ähnlich wie in jener Nacht, als Mom und Dad gestorben waren. Er war schweißgebadet aus dem Schlaf hochgeschreckt und hatte wild um sich geschlagen, um sich aus den eisigen Fängen seines Albtraums zu befreien. Das Krachen hatte so echt in seinem Kopf gedröhnt, als hätte er den Unfall, der weit weg passiert war, selbst mit angesehen.

Er hatte längst gewusst, dass Jim und Sally McKettrick beide tot waren, ehe man es ihm am Telefon mitgeteilt hatte. Und jetzt hatte er die gleiche beklemmende Vorahnung.

Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er brachte nur ein einziges Wort über die Lippen.„Nein.“

Natürlich konnte Austin ihn nicht hören. Und selbst wenn – er hätte es ignoriert.

Der Bulle verharrte in geradezu unheimlicher Reglosigkeit. In seinem Inneren schienen sich seine Urkräfte zu ballen. Dann schwang das Metalltor auf, und das Tier schoss wie eine Rakete aus seiner engen Startbox in die Arena.

Buzzsaw, dessen Kräfte nun entfesselt waren, buckelte, sprang und drehte sich blitzschnell im Kreis.

Austin hielt sich auf ihm und trieb ihn mit den Absätzen seiner Stiefel weiter an. Er hatte die rechte Hand in die Luft gestreckt und wirkte dabei so cool und gelassen, als würde er in dem alten Gummireifen schaukeln, der an einem Ast über der tiefsten Stelle des Schwimmteichs baumelte. Fünf lange Sekunden vergingen, bevor er überhaupt seinen Hut verlor.

Tate hätte am liebsten die Augen geschlossen, aber die Botschaft schaffte es einfach nicht von seinem Gehirn zu den winzigen Muskeln, die für die Bewegung notwendig waren. Er und sein Bruder hatten immer wieder Meinungsverschiedenheiten – einige davon schwerwiegend –, doch nichts davon war jetzt wichtig.

Die Ziffern der Uhr auf dem Bildschirm schienen sich in Zeitlupe zu bewegen; acht Sekunden konnten, wie jeder Cowboy wusste, eine Ewigkeit sein. Tate sah die ganze Szene Einzelbild für Einzelbild vor sich ablaufen wie in einem leeren, hallenden Raum. So, als hätte man aus allem, was sich abspielte, eine Dimension entfernt.

Schließlich schnellte der Bulle in die Luft, wie eine Forelle, die aus einem Bach springt. Dabei krümmte er sich, als wollte er seinen Bauch zur Decke der Arena drehen. Austin rutschte seitlich vom Stier, fiel aber nicht zu Boden.

Die Pickup-Männer ritten in die Arena, um Austins Hand aus der Schlinge zu schneiden und ihn zu befreien. Doch der Bulle war ein wahrer Hurrikan auf Hufen, der sich im Kreis drehte und wild in alle Richtungen ausschlug.

Auch die Bullfighter – die man früher als Rodeo-Clowns bezeichnet hatte, weil sie das Publikum während der Show auch unterhielten – versuchten einzugreifen. Normalerweise mussten sie nach dem Ritt den Bullen ablenken, damit der Cowboy Zeit hatte, über den Zaun zu klettern und sich in Sicherheit zu bringen.

Unter den gegebenen Umständen allerdings gab es nicht viel, was die Männer tun konnten.

Austin, der immer noch am Gurt des Bullen hing, schleuderte es erst auf die eine Seite des Tiers, dann auf die andere. Sein Körper war schlaff. Vielleicht leblos.

Tate wurde schlecht vor Angst.

Endlich gelang es einem der Pickup-Männer, sich dem Bullen zu nähern, Austin aus dem Gurt zu schneiden und ihn schließlich vom Bullen zu ziehen. Austin bewegte sich nicht, während die Bullfighter und ein paar andere Männer das Tier aus der Arena trieben.

Tates Handy, das in der Tasche seiner durchnässten Jeansjacke steckte, die er heute für die Arbeit mit den Rindern auf der Ranch getragen hatte, läutete. Er ignorierte das schrille, penetrante Klingeln.

Sanitäter warteten mit einer Trage auf Austin. Der Kommentator murmelte irgendetwas, das Tate nicht verstehen konnte, weil das Blut so laut in seinen Ohren rauschte.

Die TV-Kameras schwenkten mit schwindelerregender Geschwindigkeit über die Arena. Auf der Tribüne waren die Fans aufgesprungen. Sie sahen blass und besorgt aus. Die meisten Männer hatten ihre Hüte abgenommen und drückten sie sich an die Brust – so, wie sie es taten, wenn die Nationalhymne gespielt wurde.

Oder wenn irgendwo langsam ein Leichenwagen vorbeifuhr. Hinter den Startboxen standen die anderen Cowboys und schauten gebannt zu, wie Austin abtransportiert wurde. Ein paar hatten die Köpfe gesenkt und beteten leise.

Wie gelähmt stand Tate in der Mitte seines Schlafzimmers. Ihm war übel, und es würgte ihn.

Jetzt klingelten beide Telefone – das Handy und der Nebenanschluss des Festnetzes neben seinem Bett.

Das Durcheinander der Töne war nervenaufreibend, doch Tate machte keine Anstalten abzuheben.

Im Fernsehen wurde die Übertragung des Rodeos abrupt beendet und durch einen Werbespot für Aftershave abgelöst.

Das riss Tate aus seiner Starre; er drehte sich um und hob seine Jacke auf, die er vorhin achtlos auf den Boden geworfen hatte. Dann durchsuchte er die zahlreichen Taschen nach seinem Handy, das mittlerweile verstummt war. Als er es gefunden hatte, klingelte es erneut. Er klappte es auf.

„Tate McKettrick“, sagte er wie ferngesteuert. „Verdammt“, hörte er seinen Bruder Garrett fluchen. „Ich dachte schon, du würdest nie abheben! Hör zu, Austin ist gerade mit einem Bullen aneinandergeraten. Für mich sieht es so aus, als wäre er schwer verletzt …“

„Ich weiß“, fiel ihm Tate ins Wort. Vergeblich versuchte er, sich zu erinnern, in welcher Stadt Austin in dieser Woche an Rodeos teilgenommen hatte. „Ich habe es im Fernsehen gesehen.“

„Wir treffen uns am Flugplatz“, sagte Garrett. „Ich muss ein paar Anrufe erledigen und komme dann so schnell wie möglich hin.“

„Garrett, das Wetter …“

„Zum Teufel mit dem Wetter“, unterbrach Garrett ihn barsch. Er hatte vor nichts Angst – außer, sich an eine Frau zu binden. „Wenn du Waschlappen dich nicht traust, bei diesem lächerlichen Gewitter zu fliegen, dann sag es mir besser jetzt gleich.

Dann kann ich mir die Fahrt sparen, okay? Ich jedenfalls werde herausfinden, wohin sie unseren kleinen Bruder gebracht haben, und dann zu ihm fahren. Egal, wie ich dorthin komme. Und zwar deshalb, weil er vielleicht stirbt, verdammt noch mal. Verstehst du das, Cowboy?“

„Ja, ich verstehe“, erwiderte Tate mühsam beherrscht. „Ich erwarte dich am Flugplatz, Top Gun.“

Garrett, der von einem Festnetztelefon aus angerufen hatte, hatte den Vorteil, beim Auflegen den Hörer auf die Gabel knallen zu können. Tate nahm seine Brieftasche von der Kommode und holte seine lederne Bomberjacke aus dem begehbaren Kleiderschrank. Nachdem er sie angezogen hatte, trat er durch die Flügeltür hinaus in den breiten Korridor.

Generationen von McKettricks hatten, als das Familienvermögen sich stetig vermehrt hatte, immer wieder neue Flügel an das Haus angebaut. Mittlerweile war es mit seinen über tausendsechshundert Quadratmetern geradezu grotesk groß.

Tate ging eine der drei Haupttreppen hinunter, die das Gebäude in drei Teile gliederten. Der handgewebte Treppenläufer verschluckte jedes Geräusch seiner Stiefelabsätze. Vermutlich war er für irgendeinen Sultan angefertigt worden, lange bevor die McKettricks einen Fuß in die Neue Welt gesetzt hatten.

Unten in der Eingangshalle, deren Fußboden aus Marmor war, schaute er rasch auf die antike Standuhr. Tate trug keine Armbanduhr mehr, seit sein Job bei McKettrickCo im Zuge des Börsengangs des Jahrhunderts nicht mehr vonnöten gewesen war. Als er sah, wie spät es war, schüttelte er ungläubig den Kopf.

Halb fünf.

Die Tanzaufführung von Audrey und Ava hatte vor dreißig Minuten begonnen.

Auf dem Weg durch den Glasgang neben dem Swimmingpool – es hatte olympische Maße, ein Schiebedach und eine schwimmende Bar – klappte er sein Handy erneut auf und drückte Cheryls Kurzwahl.

Sie sagte nicht „Hallo“. Sie sagte: „Wo zum Teufel bist du, Tate? Audrey und Ava sind als Nächste mit ihrem großen Auftritt dran. Die beiden gucken ständig zwischen den Bühnenvorhängen ins Publikum, weil sie hoffen, dich zu sehen. Und …“

„Austin hat sich verletzt“, unterbrach Tate sie. Bei der Vorstellung, wie seine Töchter in ihren Paillettentrikots und Tutus nach ihm Ausschau hielten, wurde ihm weh ums Herz. „Ich schaffe es heute Abend nicht.“

„Aber es ist deine Woche, und ich habe einiges vor …“ „Cheryl“, meinte Tate ungeduldig, „hast du überhaupt gehört, was ich gesagt habe? Austin ist verletzt.“

Er konnte sie direkt vor sich sehen, wie sie den Mund verzog und eine perfekt gezupfte schwarze Augenbraue hob.

„Also bitte, Tate, wenn das eine Entschuldigung sein soll, dann …“

„Es ist keine Entschuldigung. Sag den Kindern, dass es einen Notfall gegeben hat und ich sie anrufe, sobald ich kann. Aber erwähne Austin nicht. Ich will nicht, dass sie sich Sorgen machen.“

„Austin ist verletzt?“ Für eine Anwältin konnte Cheryl manchmal ziemlich schwer von Begriff sein. „Was ist passiert?“

Tate war jetzt in der Küche mit ihren unendlich langen, glänzenden Arbeitsplatten aus Granit und den zahlreichen Kühlschränken mit Glastüren angelangt. Cheryls Frage traf einen wunden Punkt bei ihm. Und das nicht nur, weil er nicht sicher war, ob er Austin jemals wieder lebendig zu Gesicht bekommen würde.

Angenommen, es war schon zu spät für eine Versöhnung? Was, wenn er und Garrett von dort, wo auch immer ihr verrückter Bruder gerade sein mochte, zurück nach Hause flögen, und Austin läge in einer Holzkiste im Frachtraum?

Tates Augen brannten wie Feuer, als er die Tür zur Garage aufstieß, die für zehn Autos konzipiert war.

„Er hat einen üblen Bullen erwischt“, antwortete er schließlich. Er hatte Mühe, die Worte auszusprechen. Sie kratzten wie Stacheldraht in seiner Kehle.

„Oh mein Gott“, flüsterte Cheryl erschrocken. „Er wird doch nicht … sterben?“

„Ich weiß es nicht.“

Austins zerbeulter roter Pick-up, eines der zahlreichen Autos, auf denen sein Name stand, war an seinem üblichen Platz neben dem schwarzen Porsche geparkt, den Garrett fuhr, wenn er zu Hause war. Beim Anblick des Wagens gab es Tate einen Stich ins Herz. Er riss die Tür seines mit Schlamm bespritzten Chevrolet Silverado – die größere Version mit Rückbank und offener Ladefläche – auf und kletterte hinters Steuer. Dann drückte er den Knopf, damit das Garagentor hinter ihm nach oben rollte.

„Ruf an, sobald du etwas weißt“, sagte Cheryl eindringlich. „Ruf auf jeden Fall an.“

Tate steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Dann fuhr er so schnell im Rückwärtsgang hinaus in den Regen, dass er beinahe einen der Ranch-Trucks gerammt hätte, der quer vor der Garage stand.

Der bereits etwas ältere Rancharbeiter, der am Steuer saß, wich zügig aus.

Tate hielt nicht an, um sich zu entschuldigen.

„Ja, ich rufe an“, meinte er zu Cheryl, während er das Lenkrad scharf einschlug. Er nahm es ihr übel, dass sie ihm dieses Versprechen abgenommen hatte. Doch der Weg zu seinen Töchtern führte nun mal immer über seine Exfrau.

Cheryl weinte jetzt. „Okay. Vergiss es nicht.“

Tate klappte sein Handy zu, ohne sich zu verabschieden. Auf dem Flugplatz wartete er fünfundvierzig quälend lange Minuten in seinem Wagen und schaute zu, wie der schwere Regen auf die Windschutzscheibe prasselte. Dabei dachte er an seinen jüngsten Bruder und sah ihn in all seinen Lebensphasen wieder vor sich: Austin als Baby, das er und Garrett schon nach kurzer Zeit am liebsten zur Adoption freigegeben hätten, dann als kleiner Hammelreiter und später als Schwarm aller Mädchen an der Highschool und auf dem College.

Der Mann, von dem Cheryl behauptet hatte, er hätte sie in einer Nacht in Vegas verführt, als sie vor dem Gesetz immer noch Tates Ehefrau gewesen war.

Das Kleinflugzeug, das früher zur Flotte von McKettrickCo gehört hatte, war gelandet. Tate wartete, bis es zum Stillstand kam. Dann stieß er die Tür seines Wagens auf und rannte auf den Jet zu.

Garrett stand in der Tür. Die hydraulische Treppe fuhr mit einem Summen aus.

„Er ist in Houston“, sagte er. „Sie operieren ihn, sobald er einigermaßen stabil ist.“

Tate schob sich an ihm vorbei ins Flugzeug. „Wie ist sein Zustand?“

Garrett fuhr die Treppe wieder ein, drückte die Tür mit der Schulter zu und verriegelte sie. „Kritisch. Nach Einschätzung des Chirurgen, mit dem ich gesprochen habe, stehen seine Chancen nicht allzu gut.“

Tate ging zum Cockpit. Die Zeit, in der er Garrett den Rücken zukehrte, nutzte er, um sich mit Daumen und Zeigefinger seine brennenden Augen zu reiben. „Los, starten wir.“

Wenige Minuten später waren sie in der Luft. Das kleine Flugzeug kämpfte sich durch die stürmischen Luftströmungen Meter um Meter in die Höhe. Ein Blitz durchzuckte den Himmel und schien die Tragflächen, den Bug und das Heck nur um Zentimeter zu verfehlen.

Irgendwann klärte sich der Himmel endlich auf.

Als sie auf einem Privatflughafen außerhalb von Houston landeten, wartete auf dem trockenen, heißen Asphalt bereits ein Geländewagen, den Garrett gemietet und dorthin bestellt hatte. Der Schlüssel steckte im Zündschloss. Garrett setzte sich hinters Steuer, und sie rasten in die Stadt.

Der Weg zur besten Privatklinik in Texas war ihnen nur allzu vertraut. Ihre Eltern waren dort vor zehn Jahren gestorben, nachdem ein Sattelschlepper über die Mittellinie ausgeschert hatte und frontal in ihr Auto gekracht war.

In der Empfangshalle erwarteten Tate und Garrett eine Krankenschwester und zwei Mitarbeiter der Klinikverwaltung. Keiner von ihnen war bereit, ihnen in die Augen zu schauen, geschweige denn, ihre Fragen zu beantworten.

Als sie auf der chirurgischen Abteilung ankamen, sahen sie Austin vor einem hochmodern ausgestatteten Operationssaal auf einer fahrbaren Krankentrage liegen. Er war umringt von Menschen in grünen OP-Kitteln.

Garrett und Tate drängten sich an den Leuten vorbei, bis sie schließlich links und rechts neben ihrem Bruder standen.

Austins Gesicht war derartig geschwollen und mit Blutergüssen übersät, dass sie ihn fast nicht erkannten. Doch dann zog er einen Mundwinkel hoch und grinste sie so schief an, wie nur er es konnte.

„Das war vielleicht ein fieser Bulle“, sagte er.

„Du wirst wieder gesund“, versuchte Garrett ihn zu beruhigen. Er blickte finster drein.

„Verdammt, natürlich werde ich wieder gesund“, krächzte Austin. Seine Augen, die unter den violetten Schwellungen fast verschwanden, suchten Tate. „Falls aber nicht, gibt es da etwas, was du wissen musst, großer Bruder.“ Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer. Seine Stimme war so leise, dass Tate sich zu ihm hinunterbeugen musste, um ihn zu verstehen. „Ich habe nie mit deiner Frau geschlafen.“

1. KAPITEL

Drei Monate später.

C heryls verhältnismäßig kleiner Garten war mit Girlanden und Luftballons geschmückt und voll mit schreienden Kindern. Klapptische bogen sich unter dem Gewicht selbst gebackener Kuchen und unter Bergen bunt verpackter Geschenke. Zwei Clowns und eine leicht schäbig wirkende Cinderella mischten sich unter die kleinen Gäste, die allesamt bis oben hin mit Süßigkeiten vollgestopft waren. Bamboozle, das Pony, das Austin schon als Kind besessen hatte, war von der Silver Spur Ranch extra für die Geburtstagsparty hierher gebracht worden. Mit engelsgleicher Gelassenheit ließ es die Kinder auf sich reiten.

Ohne das Pferd aus den Augen zu lassen, betrachtete Tate seine Töchter, die an diesem sonnigen Junimorgen um 7 Uhr 52 sechs Jahre alt geworden waren. Er wusste dieses Glück nach all den Schwierigkeiten, die das Schicksal für ihn bereitgehalten hatte, sehr zu schätzen. Die Mädchen waren fast zwei Monate zu früh auf die Welt gekommen und hatten zusammen keine drei Kilo gewogen. Es war keineswegs sicher gewesen, dass sie überleben würden. Obwohl die beiden zweieiige Zwillinge waren, sahen sie sich so ähnlich, dass fremde Leute sie meistens für eineiige Zwillinge hielten. Beide hatten die auffallend blauen Augen der McKettricks geerbt. Ihr langes Haar war fast schwarz – genau wie das von ihm und ihrer Mutter Cheryl. Mittlerweile waren seine Mädchen gottlob gesund, dennoch war Tate ständig um sie besorgt. Sie wirkten so zerbrechlich auf ihn, so schmal mit ihren langen, dünnen Beinen. Und Ava trug eine Brille und ein Hörgerät, das alles andere als unsichtbar war.

Cheryl riss Tate aus seinen Gedanken, indem sie ihn mit einem Klemmbrett in die Rippen stieß. Sie hatte ihr hüftlanges Haar heute zu einem Zopf geflochten und im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt. „Unterschreib das“, verlangte sie mit gedämpfter Stimme.

Tate hatte sich geschworen, dass er höflich zu seiner Exfrau sein würde. Den Zwillingen zuliebe. Während er Cheryl in ihre grünen Augen schaute – sie war früher Schönheitskönigin gewesen –, fragte er sich, was er an jenem Abend, als sie sich kennengelernt hatten, wohl getrunken hatte.

So toll Cheryl auch aussah – sie war einfach nicht sein Typ und war es nie gewesen.

Er warf einen Blick auf das Blatt Papier auf dem Klemmbrett und runzelte die Stirn. Dann las er sich den in Juristenjargon verfassten Text genauer durch. Es war im Grunde genommen eine Einverständniserklärung, die Audrey und Ava erlaubte, an einer Sache namens „Miss Elfe“ teilzunehmen, einem Schönheitswettbewerb für kleine Mädchen. Er fand zu Schulbeginn im Blue River Country Club statt. Gemäß der Sorgerechtsvereinbarung brauchte Cheryl seine Zustimmung für alle außerschulischen Veranstaltungen, an denen die Kinder teilnahmen. Es hatte ihn seinerzeit viel gekostet, Cheryl so weit zu bringen, diese Vereinbarung zu unterschreiben.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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