Weiße Lilie - Barbara Cartland - E-Book

Weiße Lilie E-Book

Barbara Cartland

0,0

Beschreibung

Ilitta schafft es, den Herzog von Marazion ständig aufs Neue zu überraschen. Mit ihrem Verhalten im Rasthof, wo sie sich zum ersten Mal begegnen, ihrem seltenen Talent als Künstlerin und besonders Menschen als Tiere darzustellen, seien sie gut oder böse, und ihrem Mut als sie mit Waffengewalt gefangen gehalten werden. Nachdem sie zusammen Gier, Verrat und allerlei Gefahren überstanden haben, fürchtet Ilitta jedoch von der verführerischen Comtesse de Soisson ausgestochen zu werden und läuft davon. Mit fast magnetartiger Wirkung angezogen, die ihre Herzen erzeugen, schafft es der Herzog mit seinen Küssen schließlich, Ilitta davon zu überzeugen, daß er sie, jetzt wo er sie gefunden hat, nie wieder gehen lassen wird…

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 182

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Weiße Lilie

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2015

Copyright Cartland Promotions 1985

ISBN: 9781782137085

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1

„Der Nebel wird dichter, Euer Gnaden!“ sagte der Diener besorgt.

Der Herzog gab keine Antwort. Er hatte es längst bemerkt.

Mit jeder Meile war er gezwungen worden, langsamer zu fahren, und hielt es inzwischen für ratsam, eitle Bleibe für die Nacht zu finden, anstatt zum Marquis von Buxworth zu eilen, wo man ihn erwartete.

Der Herzog haßte es, seine Pläne in letzter Minute umwerfen zu müssen. Wäre es nach ihm gegangen, wäre er einfach weitergefahren.

Sein ihm angeborenes Durchhaltevermögen hatte ihn zum besten Athleten seiner Generation gemacht.

Als Student hatte er sich bereits im Rudersport hervorgetan und hatte einen Rekord nach dem anderen gebrochen. Später hatte er das Matterhorn bestiegen, sein Land bei allen Fechtmeisterschaften Europas vertreten und jedes Mal gewonnen. Seine Pferde hatten bei allen bedeutenden Rennen einen Sieg davongetragen, beim Hindernislauf hatte er prinzipiell als Erster das Ziel erreicht.

Hinzu kam, daß er als hervorragender Schütze galt. Ob er auf der Jagd nach Elefanten und Tigern, oder Fasanen und Rebhühnern war, er war treffsicher wie kein zweiter.

Seine riesigen Besitzungen in den verschiedensten Teilen des Landes liefen so reibungslos wie geölte Maschinen, denn er kümmerte sich persönlich um die Organisation.

Im Gegensatz zu den meisten Männern, die dadurch überfordert gewesen wären, stellte er sich täglich neuen Aufgaben und hatte somit keine Zeit, über Unwesentliches nachzudenken.

Obwohl er keine Lust hatte, die Nacht in einem unbequemen Bett zu verbringen, wollte er seine Pferde nicht schinden und beschloß, bei nächster Gelegenheit anzuhalten.

„Wenn mich nicht alles täuscht, Hanson“, sagte er daher zu seinem Diener, „gibt es hier in der Nähe ein Gasthaus.“

Er war schon lange nicht mehr in dieser Gegend gewesen, aber wie alles andere bei ihm war auch sein Gedächtnis phänomenal.

Als sie einige Minuten später das verschwommene Flackern von entferntem Licht durch den Nebel kommen sahen, wußte er, daß er sich nicht getäuscht hatte.

Der Gasthof war sauberer, als der Herzog vermutet hatte. Da selten Gäste über Nacht blieben, konnte sich der Herzog die besten Zimmer aussuchen und sogar darauf bestehen, daß die Nachbarräume nicht an irgendwelche Störenfriede abgegeben wurden, die eventuell die ganze Nacht husteten oder über Möbel stolperten, weil sie zu viel getrunken hatten.

Leicht verwundert über die Bitte seines vornehmen Gastes war der Wirt gleichzeitig froh, die Zimmer an einen Herrn vermieten zu können, der offensichtlich gut bei Kasse war.

Der Herzog bat um ein separates Speisezimmer, das ihm selbstverständlich zur Verfügung gestellt wurde.

Leider war die Kutsche mit seinem Gepäck im Nebel verloren gegangen. Diese Kutsche wurde von sechs Pferden gezogen und von seinem ersten Stallknecht, einem äußerst vorsichtigen Mann, geführt, der wahrscheinlich längst angehalten und das Gespann an einem sicheren Ort untergestellt hatte.

Daran gewöhnt, in feiner Leinenbettwäsche zu schlafen, mußte sich der Herzog damit abfinden, diese Nacht mit dem vorlieb zu nehmen, was er vorfand. Normalerweise wurden seine eigenen Fußmatten ausgelegt und sein Reisewaschtisch aufgestellt. Auch auf diese beiden Annehmlichkeiten mußte er verzichten.

Nachdem er sich notdürftig frisch gemacht hatte, stellte er in aller Ruhe sein Abendessen zusammen und befahl seinem Diener Hanson, die Zubereitung in der Küche zu überwachen.

„Ich werde mein Bestes tun, Euer Gnaden“, entgegnete dieser.

„Sir!“ verbesserte ihn der Herzog mit scharfer Stimme. „Ich habe Sie ausdrücklich darauf hingewiesen, daß ich nicht als Herzog von Marazion reise, sondern als Sir Ervan Trecarron.“

„Sehr wohl, Euer ... Sir.“

Da es ihm unangenehm war, wenn man ihm zu viel Ehrfurcht zollte, pflegte der Herzog unterwegs einfachere Titel zu benutzen, und zog es vor, quasi anonym zu bleiben.

Mit seinen fast ein Meter neunzig war er ein stattlicher Mann und mußte den Kopf einziehen, als er die knarrenden Stufen hinauf und in sein Schlafzimmer im ersten Stock ging.

Es war ein großes Zimmer mit niedriger Decke. Im Kamin knackten dicke Buchenscheite, Hanson hatte Kerzen angezündet, und es war wohlig warm.

Der Herzog, ein sehr kritischer Mann, stellte zu seiner Zufriedenheit fest, daß das Zimmer erstaunlich sauber war.

Wie oft hatte er es schon erlebt, daß die Laken schmuddelig waren oder die Matratze und die Decken voller Ungeziefer.

Hanson hatte mit Hilfe des Gastwirtes den einen Koffer nach oben gebracht, den der Herzog sicherheitshalber in seine Reisekutsche hatte laden lassen. Da es ihm schon einmal passiert war, daß die zweite mit dem Gepäck nicht rechtzeitig eingetroffen war und er sich notdürftig mit dem hatte begnügen müssen, was er auf dem Leib getragen hatte, hatte er diese Vorsichtsmaßnahme getroffen.

Er hatte das dringende Bedürfnis, sich seiner staubigen Sachen zu entledigen. Obwohl er liebend gern gebadet hätte, gab er sich mit dem warmen Wasser zufrieden, das für ihn bereit stand.

Da er Hanson in die Küche geschickt hatte, mußte er ohne dessen Hilfe zurechtkommen, was ihm im Grunde nur lieb war.

Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er gern auf einen Kammerdiener verzichtet, aber mit derlei modernen Ansichten erregte man leider immer noch Anstoß.

Bevor er den Titel geerbt hatte, hatte er viele Monate in entfernten Ländern verbracht, wo es nicht einmal den einfachsten Komfort gegeben hatte.

Verglichen mit den Strapazen, die er in jenen Tagen freiwillig auf sich genommen hatte, war diese harmlos.

Er empfand es als Herausforderung, allein zu sein.

Trotzdem ärgerte er sich, daß seine Pläne über den Haufen geworfen worden waren und er den Marquis von Buxworth wegen des Nebels nicht rechtzeitig erreicht hatte.

Der Marquis hatte ihm eine reichlich überschwengliche Einladung zukommen lassen. Es war anzunehmen, daß er zu Ehren des Herzogs ein Fest vorbereitet hatte und nun enttäuscht war, daß sein Ehrengast ausblieb.

Der Herzog konnte jedoch nichts daran ändern. Er versuchte, nicht mehr darüber nachzudenken, nahm ein Buch aus seinem Koffer und begab sich in sein separates Speisezimmer.

Der Rotwein, den er bestellt hatte, stand auf dem Kaminsims. Er goß sich ein Glas ein, trank einen vorsichtigen Schluck, fand den Wein angenehm und setzte sich in einen Sessel, um auf das Abendessen zu warten.

Er schlug das Buch auf, las aber nicht, sondern dachte über den Zweck seiner Reise nach.

Er konnte nur hoffen, daß er nicht umsonst hierher gekommen war.

Captain Daltry hatte das Projekt so überzeugend geschildert, daß der Herzog sich schließlich einverstanden erklärt hatte, es wenigstens zu besichtigen.

„Hier bietet sich Ihnen die Chance Ihres Lebens“, hatte Daltry gesagt. „Wie Ihr wißt, verehre ich Euch sehr, und habe aus diesem Grunde als erstem Euch das Angebot gemacht. Ein besseres Geschäft kann man sich nicht wünschen.“

An derlei Komplimente gewöhnt, hatte der Herzog nur schwach gelächelt, geschwiegen und darauf gewartet, daß Captain Daltry zur Sache kam.

Es hatte sich herausgestellt, daß Daltry das Kohlebergwerk eines Bekannten zu verkaufen hatte.

„Ein Kohlebergwerk“, hatte er immer wieder betont, „gehört heutzutage zu den Dingen, die ein fortschrittlicher Großgrundbesitzer besitzen muß. “

Der Bau der geplanten Eisenbahnstrecken stehe praktisch vor der Tür, wodurch die Nachfrage nach Kohle drastisch zu steigen verspreche.

Schon viele Adlige seines Ranges seien im Besitz von Kohlebergwerken und machten mit Sicherheit große Gewinne.

Das Dampfschiff habe die Transportmöglichkeiten auf dem Wasser bereits revolutioniert. Die zunehmende Zahl von Zügen verdränge das Pferd.

„Nicht, was mich betrifft“, hatte der Herzog betont.

Er war bisher ein einziges Mal mit einem Zug gereist und hatte die Fahrt unbequem, laut und gräßlich gefunden. Dessen ungeachtet - das war ihm durchaus klar - war die Eisenbahn das Transportmittel der Zukunft.

Je mehr er jedoch darüber nachgedacht hatte, desto intensiver hatte er sich mit seinen Pferden beschäftigt und seine Stallungen erweitern lassen.

Obwohl er sich seiner Trotzreaktion sehr wohl bewußt war, und ihm nicht viel an diesem Daltry lag, hatte er die Investition in Erwägung gezogen.

Er hatte Daltry in einem seiner vielen Clubs kennengelernt, hatte als erstes Erkundigungen über dessen Leumund eingezogen und dabei erfahren, daß Daltry in Indien gedient und nach ein paar Jahren den Abschied genommen hatte. Obwohl es kaum jemanden gab, der diesen Mann kannte, hatte niemand etwas gegen ihn vorzubringen gehabt.

„Daltry? Daltry?“ hatte man wiederholt und überlegt. „Meinen Sie den Daltry, der bei allen Pferderennen auftaucht? Er macht einen recht soliden Eindruck, aber viel weiß ich nicht über ihn.“

Was er wirklich hatte wissen wollen, hatte der Herzog nicht erfahren.

Wenigstens stand Daltry nicht in dem Ruf, unehrlich zu sein. Er hatte dem Herzog Papiere über das Kohlebergwerk zu lesen gegeben, an denen nichts auszusetzen gewesen war.

Da der Herzog nicht bereit war, die Katze im Sack zu kaufen, hatte er darauf bestanden, das Kohlebergwerk persönlich zu begutachten, ehe er Geld investierte.

„Das ist doch nicht nötig, Euer Gnaden!“ hatte Captain Daltry erklärt. „Der Bericht, den ich Euch vorgelegt habe, stammt aus der Feder von mehreren Experten. Außerdem habe ich das Bergwerk schon drei Mal besichtigt und war jedes Mal von den Ausbaumöglichkeiten beeindruckt.“

„Mag sein“, hatte der Herzog entgegnet. „Da ich jedoch ohnehin seit langem beabsichtigte, Freunde in Lincolnshire zu besuchen, werde ich es endlich tun, einen Abstecher machen und mich mit eigenen Augen überzeugen.“

„Das ist natürlich etwas anderes“, hatte Daltry zugegeben. „Wenn Sie schon in der Gegend sind, sollten Sie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Verzeihen, Euer Gnaden, wenn ich darauf bestehe, Euch persönlich durch das Bergwerk zu führen. Das dazugehörige Land ist sehr reizvoll, die Dörfer und Häuser, die Ihr miterwerben würdet, sind in recht gutem Zustand. Ihr müßtet eventuell etwas Geld investieren, aber nicht viel.“

Nachdem er sich zu der Reise entschlossen hatte, hatte der Herzog den Marquis von Buxworth angeschrieben und prompt Antwort bekommen.

Der Marquis war ein enger Freund seines verstorbenen Vaters und demnach viel älter als er.

Nichts, hatte er geschrieben, bereite ihm eine größere Freude, als den Sohn seines besten Freundes zu Gast zu haben.

Auf dem Rückweg beabsichtigte der Herzog, bei Lord D’Arcy Armitage Halt zu machen. Der Lord gehörte zu seinen Clubkameraden und war ein in ganz England bekannter Pferdenarr.

Da Captain Daltry ihm nahegelegt hatte, seine Pläne für sich zu behalten, hatte der Herzog den wahren Grund seiner Reise verschwiegen.

„Das Kohlebergwerk war im Besitz eines alten Landedelmannes, der vor kurzem gestorben ist“, hatte Daltry erklärt. „Sein Sohn hat keine Ahnung, wie wertvoll der Grund ist. Offensichtlich wohnt er nicht gern auf dem Land, sondern verbringt seine Zeit lieber in London. Euer Gnaden werden deshalb in der Lage sein, das Bergwerk weit unter seinem eigentlichen Wert zu erwerben. Ihr werdet etwas Geld für neue Maschinen ausgeben und eventuell mehr Leute einstellen müssen. Aber vorerst solltet Ihr das, was ich Euch gesagt habe, besser für Euch behalten.“

Dem Herzog waren Heimlichkeiten dieser Art zuwider. Er spielte lieber mit offenen Karten. Jemanden zu übervorteilen, dem der eigentliche Wert des Bergwerks nicht bewußt war, war ihm letztlich unangenehm.

Captain Daltry hatte seine unausgesprochenen Bedenken geahnt und zu zerstören versucht.

„Der junge Newall ist ein sehr vergnügungssüchtiger Mann“, hatte er gesagt. „Der größte Teil seiner Erbschaft ist bereits verpraßt. Wenn Euer Gnaden das Bergwerk nicht kaufen, gerät es unter Garantie an einen geldgierigen Spekulanten, der die Arbeiter ausbeutet und jegliche Sicherheitsmaßnahmen mißachtet, was den Menschen, die ihr Brot dort verdienen, nur schaden würde.“

Dieses Problem war dem Herzog bekannt. Im Februar 1842 war ein schockierender Bericht herausgekommen.

Seither war es um die Sicherheit in den Bergwerken etwas besser bestellt. Dennoch gab es noch unzählige skrupellose Besitzer, denen Geld wichtiger war als ein Menschenleben. Es kam nach wie vor unter Tage zu Unfällen, die mit angemesseneren Sicherheitsvorkehrungen vermeidbar gewesen wären.

Sich um die Sicherheit seiner Leute zu kümmern, war dem Herzog oberstes Gesetz. Die gute Überwachung des Bergwerks - sollte er es erwerben - war für ihn Selbstverständlichkeit.

Da es ihm nicht entgangen war, daß Daltry mit geschickten Argumenten operiert hatte, hatte er auf einem Treffen an Ort und Stelle bestanden.

Vor seiner Abreise hatte er seine Mutter besucht, die ganz andere Vermutungen bezüglich der Reisepläne ihres Sohnes geäußert hatte.

„Sollte es möglich sein, Ervan“, hatte sie gesagt, „daß mein Gebet erhört worden ist? Beabsichtigst du, dir eine Frau zu nehmen?“

Der Herzog hatte sie erstaunt angesehen.

„Wie kommst du denn auf diese Idee, Mama?“

„Du hast mir gesagt, daß du den Marquis von Buxworth besuchen willst. Soviel ich weiß, hat er eine sehr hübsche Tochter, genau im richtigen Alter.“

„Ich verstehe nicht, was du unter richtigem Alter verstehst, Mama“, hatte der Herzog abwehrend entgegnet.

Seine Mutter hatte ihn leicht verträumt angesehen.

„Ich habe immer gedacht, daß gerade ein Mann wie du, Ervan, etliche Jahre älter sein sollte als seine Frau.“

Sie hatte die Vergangenheit an sich vorbeiziehen lassen.

„Dein Vater war genau zwölf Jahre älter als ich, und du weißt, wie glücklich wir waren. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich ihn das erste Mal sah. Ich fand ihn so schön wie einen Gott, und das hat sich bis zu seinem Todestag nicht geändert.“

„Papa hatte großes Glück mit dir, Mama“, hatte der Herzog lächelnd erklärt. „Ich dagegen habe bis jetzt noch keine Frau getroffen, die ich gern heiraten würde. Ich bleibe daher lieber Junggeselle.“

„Gott sei’s geklagt“, hatte die Herzogin mit scharfer Stimme entgegnet. „Du solltest dir darüber im Klaren sein, daß du ein sehr attraktiver Mann und obendrein Herzog bist. Jeder bewundert dich, und du darfst nicht vergessen, daß du die Pflicht hast, deinen Namen und deinen Titel an einen Erben weiterzugeben. “

Der Herzog hatte gelacht.

„Mama! Wenn man dich hört, könnte man meinen, daß ich schon einen Fuß im Grab habe. Ich habe doch noch genug Zeit. Schließlich bin ich noch keine neunundzwanzig Jahre alt.“

Die Herzogin hatte einen tiefen Seufzer ausgestoßen.

„Noch genug Zeit! In zehn, zwanzig oder dreißig Jahren wirst du immer noch dasselbe behaupten.“

„Du bist zu pessimistisch, Mama“, hatte sich der Herzog verteidigt. „Wer weiß, vielleicht finde ich die ideale Frau auf dem Gipfel des Himalaya oder an den Ufern des Amazonas.“

Oder in der Tiefe eines Bergwerks, hatte er gedacht, sich jedoch gehütet, den Satz auszusprechen, den seine Mutter kaum lustig gefunden hätte.

Die Herzogin intrigierte gern, vor allem, wenn es um die Heiratspläne ihres Sohnes ging.

„Ich verstehe nicht . . “, hatte sie erneut anfangen wollen, doch der Herzog hatte sie unterbrochen.

„Was verstehst du nicht, Mama?“

„Du hast so viel Charme und bist ständig von schönen Frauen umgeben. Warum verliebst du dich nicht einmal?“

Der Herzog hatte es sich nicht verkneifen können, sie ein wenig zu ärgern.

„Woher willst du denn wissen, daß ich noch nie verliebt gewesen bin, Mama?“ hatte er gefragt.

„Ich spreche von echter Liebe“, hatte die Herzogin streng erwidert. „Nicht von flüchtigen Bekanntschaften, von denen ich allzu viel höre.“

„Ihr solltet nicht hinhören!“ hatte ihr der Herzog geraten.

Manchmal hätte er sich die Haare raufen können. Alles, was er tat, kam seiner Mutter sofort zu Ohren.

Kaum war eine ,flüchtige Bekanntschaft’ begonnen, wußte sie Bescheid. Sie war über alles unterrichtet, selbst über Dinge, die sich noch gar nicht abgespielt hatten.

Er hatte sich neben seine Mutter auf das Sofa gesetzt und ihre Hand genommen.

„Ich liebe dich, Mama“, hatte er gesagt. „Ich möchte dir nur Freude bereiten, aber du bist schuld an der Tatsache, daß ich noch nicht verheiratet bin.“

„Ich?“ hatte sie entsetzt gefragt. „Dabei habe ich dich schon fast auf Knien angefleht, eine Frau zu finden.“

„Ich weiß, Mama. Aber ich vergleiche jede Frau mit dir. Und wenn ich das tue, wird mir sofort klar, daß mich die Betreffende nicht nur enttäuschen wird, sondern auch langweilen.“

Die Herzogin hatte die Schmeicheleien ihres Sohnes genossen.

Als sein Vater sie geheiratet hatte, war sie eine der schönsten Mädchen Englands gewesen. Im Laufe ihres Lebens war sie dann zur Legende geworden.

Hoheiten, Staatsmänner, Politiker, jeder, ob bedeutend oder unbedeutend, hatte die Herzogin von Marazion vergöttert und vergötterte sie noch heute.

Ihr Charme machte jeden Mann, der ihr begegnete, zu ihrem Sklaven. Sie wurde sogar von den Frauen umschwärmt.

Der Herzog glaubte, den Grund für ihre Beliebtheit zu wissen. Auf eine Frau, die so warmherzig und großzügig war, konnte man einfach nicht eifersüchtig sein.

Sie war mit ihrem Mann so glücklich gewesen, daß ihre Zufriedenheit ansteckend wirkte und sich auf andere Menschen übertrug. Außerdem war sie eine hochintelligente und interessante Frau.

Der langweiligste Mann zeigte Witz, wenn die Herzogin mit ihm sprach. Farblose Frauen waren plötzlich von einer Schönheit, die sie nie zuvor besessen hatten.

Qualitäten dieser Art hatte der Herzog noch bei keiner anderen Frau gespürt. Seine Mutter war einzigartig, niemand konnte ihr das Wasser reichen.

Nach dem Taumel der ersten körperlichen Begegnung verblaßten seine Affären regelmäßig und langweilten ihn.

Die Herzogin hatte plötzlich Verständnis für die Schwierigkeiten ihres Sohnes aufgebracht. Genau wie sein Vater, suchte er das Perfekte, das Unvergleichliche.

Sein Vater, der Dritte Herzog, hatte seine Frau, die Tochter eines verarmten Barons, beim Reiten kennengelernt.

„Ich weiß, daß du anders bist als jede Frau, die ich je getroffen habe“, hatte er damals spontan zu ihr gesagt.

Sie hatte ihn durch ihre Reitkunst beeindruckt und für ihn alles Schöne und Liebenswerte verkörpert.

Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Dennoch hatte das ,Aschenputtel’ gezögert, als er um seine Hand angehalten hatte.

„Ihr seid zu beeindruckend und vornehm“, hatte sie, die damals mit ihrem Vater auf einem bescheidenen Gut gelebt hatte, entgegnet.

„Das spielt keine Rolle, denn ich liebe Euch“, hatte der Herzog erwidert. „Und ich weiß, daß Ihr mich liebt.“

„Woher wißt Ihr das?“ hatte sie gefragt.

„Ich sehe es Euren Augen an“, hatte er geantwortet. „Außerdem weiß ich, daß wir wie füreinander geschaffen sind. Ich habe es schon an dem Tag gespürt, als ich Euch beim Ausritt kennengelernt habe.“

„Dabei sind wir einander nicht einmal vorgestellt worden“, hatte sie lächelnd zu bedenken gegeben.

„Das ist doch unwesentlich“, hatte der Herzog erklärt. „Wichtig ist, daß ich von Anfang an wußte, daß Ihr die Richtige seid.“

Sie hatte ihn nur zu gut verstanden, denn sie hatte das Gleiche empfunden.

Seit ihrer Kindheit hatte sie von einem Mann wie ihm geträumt. Und dann war er plötzlich in Fleisch und Blut vor ihr gestanden. Er war auf einem stattlichen Pferd gesessen und hatte prachtvoll ausgesehen. Er hatte sie auf eine Weise angelächelt, die ihr Herz hatte höher schlagen lassen.

Obwohl es ein trüber Tag gewesen war, hatte sie das Gefühl gehabt, von der Sonne geblendet zu werden.

Während die Herzogin in Erinnerungen geschwelgt hatte, hatte sie eine Hand auf den Arm des Sohnes gelegt, ihn angesehen und zum tausendsten Mal festgestellt, wie ähnlich er seinem Vater war.

„Ich will doch nur dein Bestes“, hatte sie gedankenverloren gesagt.

„Ich weiß, Mama“, hatte der Herzog entgegnet.

„Was hast du eigentlich mit dem rothaarigen Wesen vor, das man - wie ich höre - mit der Medusa vergleicht?“ hatte die Herzogin plötzlich unvermittelt und in einem völlig anderen Ton gefragt.

Der Herzog hatte den Kopf in den Nacken geworfen und gelacht.

„Deine Freunde wären über deine Ausdrucksweise entsetzt, Mama. Die Prinzessin gilt als die schönste Frau Wiens.“

„Das mag schon sein, aber sie hat einen miserablen Ruf“, hatte seine Mutter spitz entgegnet. „Ich möchte dich daran erinnern, Ervan, daß Ehemänner sehr empfindlich sind, wenn es um ihre Ehre geht.“

„Keine Angst, Mama“, sagte der Herzog. „Die Prinzessin verläßt morgen England und trifft sich mit ihrem Mann in Paris.“

„Das ist aber auch kein Tag zu früh“, sagte die Herzogin.

„Sie ist eine ganz besonders attraktive Person, Mama“, erklärte ihr Sohn. „Ich lasse es nicht zu, daß man sie kritisiert.“

Der Herzog dachte mit einem stillen Lächeln an die Prinzessin, mit der er eine seiner leidenschaftlichsten und aufregendsten Affären gehabt hatte.

Sie hatte ihn mit einer Entschlossenheit verführt, die er nur hatte bewundern können.

Sie gehörte zu den Frauen, deren Sehnsüchte und Begierden kaum zu stillen waren.

Der Herzog, selbst ein glühender, unermüdlicher Liebhaber, verschwendete selten einen Gedanken auf Beziehungen, die abgestumpft und lieblos geworden waren. Deshalb hatte er auch keine Ahnung, wie viele Frauen ihn anbeteten und von ihm träumten, während sie keinen Schlaf finden konnten.

Natürlich fühlte sich der Herzog von schönen Frauen angezogen und nutzte bereitwillig jede Gelegenheit, die sich ihm bot.

Seine tiefsten geheimen Wünsche waren bisher jedoch unerfüllt geblieben.

Ihm schwebte vor, eines Tages von einer so bedingungslosen Liebe erfaßt zu werden, wie seine Eltern sie füreinander empfunden hatten.

Er hatte sie von klein auf gespürt. Sie hatte sowohl seine Gedanken als auch seine Gefühle geprägt.

Seine Kindheit und Jugend waren ungetrübt und glücklich gewesen. Die grenzenlose Zuneigung seiner Eltern, ihre Güte, ihre Aufrichtigkeit, ihre Fröhlichkeit und ihr Lachen hatten ihn stets begleitet.

Die Herzogin hatte sich nicht damit zufrieden gegeben, von ihrem Sohn zu hören, daß wieder einmal eine seiner Affären beendet sei.

Sie hatte wissen wollen, warum er den Marquis von Buxworth besuche, wenn ihn dessen Tochter absolut nicht interessiere.

„Weil er Pferde hat, die mich interessieren“, hatte der Herzog geantwortet.

„Pferde!“ hatte die Herzogin entsetzt ausgerufen. „Denkt ihr Männer denn auch einmal an etwas anderes?“

„Durchaus, Mama, aber darüber hast du dich ja eben beschwert.“

Die Herzogin hatte nun doch lachen müssen.

„Jedenfalls“, hatte sie gesagt, „bin ich froh, daß die Prinzessin aus deinem Leben verschwunden ist. Ich frage mich bloß, wer ihr folgen wird.“

„Das frage ich mich auch, Mama“, hatte der Herzog in leicht provozierendem Ton entgegnet.

Inzwischen saß er vor dem Kamin, hing seinen Gedanken nach und überlegte, ob er seine Frau bezüglich des Bergwerks zu Rate ziehen würde - wäre er verheiratet gewesen.

Kaum, dachte er. Die meisten Frauen, zumindest die, denen ich bisher begegnet bin, langweilen sich, wenn von Fortschritt und Technik die Rede ist. Sie interessieren sich nur für Mode und Gesellschaftsklatsch.

Das beliebteste Thema jedoch war die eigene Person.

„Womit befassen sich Frauen eigentlich?“ hatte der Herzog einmal seinen besten Freund gefragt.

„Im Zusammenhang mit dir, Ervan - mit der Liebe“, hatte er zur Antwort bekommen.

Es störte den Herzog im Grunde wenig, sich einen Abend oder eine Nacht lang über dieses Thema zu unterhalten. War er aber auch tagsüber einmal allein mit einer Frau zusammen, wurde prompt wieder über die Liebe gesprochen.

Da er leider die Erfahrung gemacht hatte, daß jede Unterhaltung mit einer Frau mit diesem Thema endete, war es ihm mittlerweile zuwider.