Weitere Memoiren einer Mistgabel 3 -  - E-Book

Weitere Memoiren einer Mistgabel 3 E-Book

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Beschreibung

"Der Geruch auf dem Land ist mit nichts zu vergleichen – ein Geruch nach reiner, unverfälschter Schöpfung. Als Gott die Natur schuf, muss er an einen Bauernhof gedacht haben." Auch der dritte Band der "Memoiren einer Mistgabel" zeigt in 23 Kurzgeschichten die Farbigkeit des Lebens auf dem Lande. Sie erzählen von einer entbehrungsreichen Existenz voll harter beschwerlicher Arbeit, aber auch von den Schönheiten und Glücksmomenten, die das ursprüngliche Leben mit der Natur den Menschen schenkt. Auf dem Lande leben heißt den Frühling fühlen können, herrliches Obst vom Baum pfl ücken, im duftenden Heu liegen und von einer Perspektive, von einer Zukunft träumen. Eine Fundgrube spannender, amüsanter und nachdenklich stimmender Episoden – ein Lesespaß.

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Seitenzahl: 198

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Weitere Memoiren einer Mistgabel

dreiundzwanzig Kurzgeschichten von Freiheit und Verwurzelung

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Die Autoren

Impressum

Vorwort

„Die Enten werden gelber“, so lautet die Überschrift des Jugendnatur- reports, der regelmäßig von der Universität Marburg erstellt wird. Die Verfasser stellen darin fest, dass von Studie zu Studie immer mehr Kinder auf die Frage nach der Farbe von Enten mit „Gelb“ antworten.

Während das Bewusstsein für die Umwelt und ihre Probleme wächst, nimmt das Sein in der Natur und damit die Kenntnis elementarer Zusammenhänge immer mehr ab.

Dies bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Vorstellungen vom Leben derjenigen, die in dieser Natur arbeiten und sie nutzen: die Bäuerinnen und Bauern. Immer seltener haben Menschen die Möglichkeit, die Leistungen der Landwirtschaft direkt zu erleben, sie im Wortsinne zu erfassen. Sie sind vielmehr darauf angewiesen, dass ihnen Fakten in Wort und Bild vermittelt werden.

Und auch die Landwirtschaft ist darauf angewiesen. Wie jede andere Berufsgruppe benötigt sie die Akzeptanz der Verbraucher, muss sie deren Wünsche kennen und sich daran orientieren.

Um die Kommunikation zwischen Stadt und Land zu fördern, wurde vor über 40 Jahren der Verein information.medien.agrar – die i.m.a – gegründet. Sie wird getragen von Persönlichkeiten und Organisationen der gesamten Agrar- und Ernährungswirtschaft.

Gemeinsam mit dem deutschen Bauernverband hat die i.m.a nun Autorinnen und Autoren aus ganz Deutschland gebeten, Kurzgeschichten rund um die Landwirtschaft zu verfassen und so insbesondere Jugendlichen einen Einblick in das Leben auf dem Lande zu geben.

Der Landwirtschaftsverlag Münster-Hiltrup hat die eingereichten Geschichten gesichtet und im vorliegenden Band eine Auswahl zusammengestellt. Die i.m.a bedankt sich für die damit geleistete Unterstützung ihrer Arbeit und wünscht allen Leserinnen und Lesern dieses Buches eine vergnügliche wie auch Erkenntnis und Verständnis fördernde Lektüre.

Hermann Bimberg

information.medien.agrar e.V.

Praktikum auf einem Schwarzwaldhof

Ingrid Andriessen-Beck

Da lag er also vor mir, der Hof, auf dem ich während der Semesterferien als Praktikantin für mein Landwirtschaftsstudium leben würde. Am Nachmittag des fünfzehnten Februar erreichten wir die Gartenmauer, die das kleine Schlösschen mit den angrenzenden Wirtschaftsgebäuden und ehemaligen Parkanlagen einfasste. Wir, das waren drei Frauen – mein Pony Prinzess, meine Studienfreundin Anette und ich, mit einer zweirädrigen Kutsche, in der wir unser Gepäck transportierten. Anette würde ihre Praktikumszeit auf dem Nachbarhof verbringen. Sie griff sich ihren Wanderrucksack und verschwand in der Einfahrt zu einem landwirtschaftlichen Betrieb zwischen hohen Fichten, wo sie der aufkommende Nebel verschluckte. Weil ich nicht wusste, ob es auf dem weiteren Weg mögliche Hindernisse gab, führte ich das Pony die letzten Meter am Halfter.

Die müde Prinzess wurde in einem Schuppen untergebracht, in einer Behelfsbox unter dem Hafersilo, ebenso die Kutsche. Das Pony sollte nicht mit den Pferden des Schwiegersohns zusammen in einem Stall stehen und womöglich Krankheiten übertragen. Das konnte ich verstehen. Mein Zimmer lag im renovierungsbedürftigen alten Schloss, direkt neben dem Schlafzimmer meines Chefehepaars. „Wir stehen früh auf“, sagte Herr Seiler. „Wir sind Direktvermarkter und bringen jeden Morgen mit unserem Lieferwagen Vorzugsmilch, frisches Brot und Eier in die Reformhäuser.“

Meiner Mutter beschrieb ich in einem Brief die neue Umgebung:

„Liebe Mutti,

mein Zimmer liegt im Schloss und ist recht kalt. Es hat zwei zugige hohe Fenster. Ansonsten ist es nicht im Entferntesten schlossmäßig. Nur die Blümchengardinen sehen ganz gut aus. Ich schreibe auf einem riesigen runden Tisch und sitze dabei in einem Korbsessel. Ein zweiter Sessel steht neben mir. Die Chefin hat ihn extra für Anette gebracht, die mich aber nicht bis hierher begleitet hat, und ich habe ihn nicht wieder zurückgebracht. Mein Zimmer ist ein Eckzimmer, davor das Klo und ein winziges Waschbecken mit kaltem Wasser und daneben das Schlafzimmer von Seilers. Ich werde durch ihren Wecker geweckt und stehe deshalb nie zu spät auf.

Am Aschermittwoch ist die Chefin für vier Wochen zur Kur gefahren. Sie macht die Buchführung und ihr Mann hat schon gebrummt, dass er das dann auch noch mit erledigen muss. Aber da hat sich die Tochter dazu bereit erklärt, die sowieso im Haus arbeitet, weil sie ihre beiden kleinen Kinder im Auge behalten muss. Außer den Seilers hausen im Schloss noch Kaspar, der Knecht, und ein Lehrlingsehepaar mit einem neugeborenen Sohn. In einem Nebengebäude wohnt ein Melkerehepaar und im Backhaus die Tochter von Seilers mit Mann und Kindern.

Es gibt hier viel zu tun, auch am Wochenende. Das war vielleicht ein Sonntag! Nach und nach sind alle Leute verschwunden und haben mich mit der Arbeit allein gelassen. Also musste ich die Küche aufräumen und mich um die Hühner kümmern. Die leben hier in Bodenhaltung. Im Winter können sie nicht nach draußen, weil sie die Grasnarbe von ihrem Auslauf zerstören würden. Gefroren hat es nämlich nicht. Heute lief wieder ein halb tot gepicktes Huhn herum, und niemand war da, den ich hätte bitten können, das Vieh zu schlachten. Ich musste es selber machen. Wenigstens war das Badezimmer endlich mal frei, und ich konnte mich gründlicher waschen als sonst an dem kleinen Waschbecken vor meinem Zimmer. Zum Abendbrot habe ich von dem Kuchen gegessen, den wir gestern gebacken haben, und mir einen Krug voll Most aus dem Keller geholt. Die komischen Kräutertees, die es hier immer gibt, werde ich mir nicht noch selber kochen. Wann die anderen zurückgekehrt sind, weiß ich nicht. Ich hatte nachmittags einen langen Ausritt mit Prinzess zu Anettes Praktikumsbetrieb unternommen und bin kurz nach acht Uhr abends todmüde ins Bett gefallen und gleich eingeschlafen.

Morgens stehe ich meistens so um sechs Uhr herum auf. Dann wird der Tisch gedeckt und in der Thermoskanne heißes Wasser aus der Milchküche geholt. Das Melkerehepaar fängt schon um drei Uhr mit der Arbeit an. Den Kuhstall und den Melkstand darf ich aus Gründen der Hygiene nicht betreten, auch die anderen dürfen das nur in Ausnahmefällen. Das heiße Wasser wird für den Kräutertee benötigt. Frühstücken kann jeder, wenn er gerade Zeit dafür hat. Dann werden die Hühner, Prinzess, die Kälber und die Reitpferde versorgt. Meistens helfe ich vormittags beim Brotbacken. Dazu wird am Vortag aus den vom letzten Sturm heruntergeworfenen Ästen der schönen Schwarzwaldkiefern und überzähligen Birken Brennholz gehackt. Am anstrengendsten ist es, den zähen Teig in der richtigen Portionsgröße aus dem Trog zu holen. Immerhin werden hundertzwanzig Brote in zwei Backgängen gebacken. Freitag musste ich den ganzen Tag die Fenster und die Tür vom Backhaus scheuern, weil ich sie nächste Woche streichen soll. Dabei habe ich in dem wild herumwirbelnden Schneeregen ganz schön gefroren. Beim Backen ist die einzige Gelegenheit, sich mal so richtig aufzuwärmen. In meinem Zimmer wird ja immer die Heizung abgedreht. Die Seilers sind sehr sparsam, weil sie nur Pächter sind und den Hof gern kaufen möchten.

Samstag war großer Putztag. Abends hat uns der Chef gezeigt, dass er ein guter Wünschelrutengänger ist. Immerhin fand er mit seiner Wünschelrute eine Wasserleitung im Schloss. Ohne seine Frau bleibt ihm etwas mehr Zeit übrig, und er hat mir von seinem vergeblichen Versuch erzählt, selbst eine Heizung zu konstruieren, die mit dem Biogas aus dem Kuhstall betrieben wird. Nun will er den Auftrag an einen Fachmann vergeben.

Viele Grüße, deine Nicole.“

Und der nächste Brief lautete:

„Liebe Mutti,

heute habe ich den Dachboden vom Schloss aufgeputzt und die Kräuter, die dort zum Trocknen aufgehängt waren, in Leinensäckchen abgefüllt. Sie werden direkt im Hofladen verkauft. Das Wetter ist immer noch scheußlich, nur Nebel und Schneematsch. Die Fenster vom Backhaus sind inzwischen gestrichen. Jetzt kommen die vom Schloss dran. Zwei Kühen musste ich nach dem Kalben Kräutertee kochen. Eine ist trotzdem verreckt. Alma ist für die Freibank freigegeben worden. Ich habe das noch verwendbare Fleisch von ihrem Schädel geschabt, die Zunge in Essig eingelegt und den Rest zu Ochsenmaulsalat verarbeitet. Nach dem Sezieren brachte ich den Kuhschädel in den Hundezwinger. Das ist Nahrung für einige Tage. Das Herz hatten wir schon gestern zu einer Mahlzeit verarbeitet. Alle nicht für den menschlichen Verzehr geeigneten Teile habe ich als Hundefutter eingefroren.

Gestern hat sich Kaspar beim Birkenfällen verletzt. Da musste ich ins Silo, Futter für die Kühe herausholen. Der Schwiegersohn meinte anschließend beim Abendessen, ich würde noch nach Silage stinken, und sperrte mich in den Schlosskeller ein, als ich gerade heruntergegangen war, um Most für das Abendessen aus dem großen Holzfass zu holen. Da sind die Mäuse nur so um mich herumgeflitzt, bis ich mit einem Besen um mich schlug. Morgen soll ich helfen, die Hühnerställe auszumisten. Eier sammle ich sowieso täglich ein.

Es gibt vier mutterlose Lämmer, die ich mit der Flasche aufziehen darf. Letztes Wochenende hat mich Anette besucht. Sie kennt sich mit Schafen aus, denn sie hat vergangenes Jahr bei einem Schäfer gearbeitet und meinte, eines der Lämmer habe eine Lungenentzündung. Der Stall wäre viel zu kalt und zugig. Ich habe ihn mit ihr zusammen mit viel Stroh abgedichtet. Hoffentlich nützt das was.

Am Sonntag weckt mich der Chef schon um halb sieben, damit ich ihm für den Kirchgang (Taufe von dem Sohn der Lehrlinge) die Schuhe putze. Das macht sonst seine Frau … Ich bin freiwillig dageblieben und habe Hühner, Pferde und Lämmer gefüttert. Dabei habe ich entdeckt, dass nachts das Hafersilo ausgelaufen ist und Prinzess mit ihrem Lieblingsfutter überschüttet wurde. Natürlich hat sie von dem Segen Gebrauch gemacht und so viel davon gefressen, wie sie nur schaffen konnte. Als ich den Schuppen betrat, lag sie glücklich und friedlich hoch oben auf einem Berg Hafer. Ich war nur froh, dass sie keine Kolik oder sonst eine Krankheit davon bekommen hat. In der nächsten Nacht nieselte es wieder. Im Gegensatz zu Prinzess musste ich schuften und den ausgelaufenen Hafer einsacken. Er wird jetzt an die Hühner verfüttert. Prinzess ist ganz schön lustig nach so einer Kraftfuttergabe und so viel Müßiggang auf der Weide.

Wenigstens den Praktikumsbericht habe ich hier zustande gebracht. Ansonsten habe ich kaum in meine mitgebrachten Lehrbücher geguckt oder sonst was für mein Studium getan. Hoffentlich lässt sich der Mann vom Praktikantenamt von meinen Ausführungen beeindrucken. Herr Seiler hat mir, so gut er konnte, beim Formulieren geholfen.

Viele Grüße

Deine Nicole.“

An einem Wochenende Mitte April tauchte dann wieder Anette mit ihrem Rucksack auf. Diesmal übernachtete sie bei mir im Zimmer, denn wir wollten am nächsten Morgen sehr früh aufbrechen, um mit der Kutsche zurück an die Uni zu fahren und möglichst noch bei Tageslicht dort anzukommen. Anette war begeistert von der gruseligen Atmosphäre auf dem baufälligen barocken Landschlösschen. Sie hatte ihre Praktikumszeit auf einem moderneren Hof mit konventioneller Wirtschaftsweise und Feriengästen verbracht. Deshalb schaute sie mir gerne zu, wie ich das letzte Mal Kräuter, Eier, Mohrrüben und Äpfel im Hofladen verkaufte. Beim Abendessen grinste sie heimlich darüber, wie die Chefin, die inzwischen von der Kur zurückgekommen war, in die Fernsehzeitung guckte und beschloss, dass die kommenden Sendungen nichts taugten, und ihrem Mann einfach das Fernsehgerät abschaltete.

Die letzte Nacht im Schloss war so romantisch vom Vollmond beleuchtet, dass Anette und ich um Mitternacht aus den Betten krochen und uns auf den Dachboden schlichen. Dort lagen alte rostige Ketten herum, die wir uns samt unseren Betttüchern umhängten. Wir rasselten durch die staubigen Dachkammern und über den Hof. Die Hunde ließen sich durch die Vermummung nicht verunsichern. Sie bellten nicht, denn sie hatten von mir schon oft genug Futter bekommen. Seilers bekannten am nächsten Morgen, dass es vorher noch nie gespukt hätte. Statt Geld erhielt ich zum Abschied ein paar frische Brote aus dem Backhaus als Wegzehrung für die bevorstehende Kutschfahrt und Mehl und Sauerteig für eigene Backversuche.

Petra und Peter

Ivar Bahn

Peter fuhr in diesem Jahr zum dritten Mal in Folge zu Petra. Mit seinen Eltern. Peter erzählte allen, die ihn fragten, wo er denn Urlaub macht, dass er zu Petra fährt. Und auf einen Bauernhof. Denn schließlich fuhr Peter nicht nur zu Petra, sondern auch zu den Pferden und Kühen, den Ziegen und Schafen, zu den Hühnern und Gänsen, den Hunden und Katzen. Ja, auch zu den Ratten und Mäusen fuhr er und zu den Feldern, auf denen das Getreide fast reif für die Ernte war, und zum Wald, in dem er letztes Jahr mit Petra eine Höhle entdeckt hatte. Das heißt, Petra kannte sie schon und hatte Peter zu der Höhle geführt, damit er sie endlich auch entdecken konnte.

Peter fuhr also zu Petra. Petra ist nämlich seit vorigem Jahr Peters Freundin. Das kam so: Im Dorf wurde ein Fest gefeiert, das Erntefest. Die Ernte war gut gewesen, besser als im Jahr davor, dem Jahr, als Peter das erste Mal bei Petra war. Deshalb wurde auch richtig gefeiert. Ein Feuer loderte, sie hielten an geschnitzten Stöcken Kartoffeln und Würstchen in die Glut, tranken Apfelsaft und tanzten bis tief in die Nacht. An dem Abend gab Petra Peter einen Kuss auf die Wange, ja, und Peter gab Petra einen Kuss. Auf die Stirn. Der Kuss von Peter war schon etwas länger als der von Petra. Und feuchter. Ja, und seitdem sind sie Freunde, richtige Freunde.

Natürlich fuhr Peter nicht nur zu Petra und den Tieren. Er fuhr auch zu Petras Eltern. Ihr Vater ist ein richtiger Bauer, ein Landwirt, und Petras Mutter hilft ihm. Außerdem vermieten sie Zimmer im Haus. Auch eine Ferienwohnung ist für die Gäste da. In der wohnen jedes Jahr Peter und seine Eltern.

Peter ist wie Petra dreizehn Jahre alt. Peter hat noch zwei größere Brüder, die schon alleine Urlaub machen. Petra hat auch zwei größere Geschwister, Schwestern, die zwar noch zur Schule gehen, aber ihren Eltern viel und gern bei der Arbeit helfen. Denn es gibt eine Menge zu tun auf so einem Hof.

Als Petras Vater noch ein Kind war und seine Eltern den Hof, die Felder und den Wald bewirtschafteten, gab es so etwas wie Ferien auf dem Bauernhof noch nicht. Das Leben war härter damals und es war selbstverständlich gewesen, dass Petras Vater den Hof einmal übernehmen würde. So ist es dann auch gekommen. Er ist noch bis zur achten Klasse in die Schule gegangen, obwohl sein Vater, Petras Opa also, ihn dann und wann schon mal aus dem Unterricht zur Arbeit geholt hatte. Dem Lehrer hatte das nicht gefallen, schließlich sollten die Kinder noch etwas anderes lernen als das, was sie schon von frühester Kindheit an kannten. Doch der Lehrer war wie seine Schüler aus demselben Dorf und seine Eltern waren auch Bauern gewesen. So kannte er, wie der Pfarrer, die Sorgen und Nöte der Leute. Der Pfarrer war nämlich in der Zeit, als Petras Vater noch ein kleiner Junge war, neben dem Förster der wichtigste Mensch im Ort. Ja, und neben dem Lehrer.

Heute ist das anders. Viele junge Menschen vom Land träumen von einem Leben in der Stadt und gehen dann tatsächlich auch dorthin. Petras Schwestern wollen das auch, obschon sie die Arbeit hier gern tun.

Petra möchte den Hof später weiterführen. Das hat sie nicht nur einmal gesagt. Und wenn sich Petra etwas so fest vorgenommen hat, dann wird es wohl auch eintreffen. Jedenfalls sagen das die Eltern immer und sehen dabei ihre jüngste Tochter mit Bewunderung an. Besonders der Vater ist froh, wenn er Petra so reden hört. Denn als festgestanden hatte, dass auch ihr drittes Kind ein Mädchen sein würde, hatte der Vater Angst um die Zukunft des Hofes bekommen. Aber die Mutter hatte ihn damit getröstet, dass es ja auch noch echte Kerle geben soll, und so einen würde sich eine ihrer Töchter schon suchen und mit ihm dann den Hof weiterführen. Das hat sie gesagt, damals, als Petra gerade geboren und die Schwestern noch kleine Mädchen gewesen waren.

Nun war aber erst mal Peter Petras Freund und Peter war ein Stadtkind.Doch darüber machte sich in diesem Jahr noch niemand wirklich Sorgen, außer vielleicht Petras Vater. Aber auch er nur ein bisschen.

Jedenfalls war dies ihr dritter gemeinsamer Urlaub und der erste, in dem sie von Beginn an richtige Freunde waren. Peter stand jeden Morgen, wie Petra und ihre Eltern, um fünf Uhr auf, um gemeinsam mit ihnen die Ställe auszumisten, die Tiere zu füttern und die Kühe zu melken. In den warmen Nächten blieben auch die Pferde, die Ziegen und Schafe auf der Weide. Petra und Peter holten Eier von den Hühnern und trieben die Gänse zum Teich. Sie halfen der Mutter beim Buttern und Käsen, backten mit ihr Brot und auch sonst war ihnen keine Arbeit zu viel. Alles ging den beiden leicht von der Hand, und Zeit zum Baden im kleinen Bach und zum Versteckspielen im Wald blieb ihnen immer noch genug.

Peters Eltern sahen ihrem Sohn erfreut dabei zu, wie er sich für die Technik und die Natur interessierte, und dabei, wenn er mit Petra Hand in Hand den Obstbaumweg entlangschlenderte, der sie an die alten Alleen zu Hause erinnerte. Peters Eltern genossen es auch, ab und an allein etwas zu unternehmen. Das hatten sie viele Jahre lang nicht tun können. Und so entdeckten sie hier auch ihre Liebe füreinander noch einmal neu.

Eines schönen Nachmittags waren Peter und Petra wieder einmal am Bach. Es war ein heißer Tag. Petras Eltern hielten eine kleine Mittagsruhe und Peters Eltern waren unterwegs zu einer Stadt, in der sie eine Ausstellung berühmter Gemälde besuchen wollten. Peter und Petra zogen ihre Sachen aus und legten sich in das sandige Bett aus klarem Wasser. Ihre Haare waren von der Sonne strohblond gefärbt und ihre Gesichter und die Arme und Beine herrlich braun, ihre Körper da, wo sonst Hose und Hemd sitzen, fast so weiß wie im Winter.

Im Vorjahr noch waren sie kaum voneinander zu unterscheiden gewesen. Doch in diesem Jahr begannen ihre Körper denen der Erwachsenen ähnlich zu werden, Petras schon etwas mehr als Peters.

Das Wasser war kalt. Sie sprangen gleich wieder aus dem Wasser ans Ufer und hüpften über die Wiese. Petra versuchte, Peter zu fangen. Peter ließ sich gern von ihr einholen.

Während sich Petra natürlich und unbefangen bewegte, war Peter noch etwas schüchtern. Er fragte sie nach Bäumen und Insekten, doch sie schaute ihm immer nur tief in die Augen und gab nur wie nebenbei Antworten auf seine Fragen.

Peter erfreute sich am frischen Wasser und an der sauberen Luft.

Petra nahm nun seinen Kopf zwischen ihre Hände.

Peter sagte ihr, dass er froh sei, hier auf dem Land und bei ihr zu sein.

Petra küsste ihn.

Peter umarmte Petra und flüsterte ihr ins Ohr, dass er glücklich sei.

Petra presste ihren Körper ganz fest an Peters.

Dann zogen sie sich schnell an und liefen zurück zum Hof.

Petras Eltern waren schon wieder bei der Arbeit. Peters Eltern würden wohl erst am Abend wiederkommen. Petra und Peter halfen der Mutter beim Herrichten der Zimmer. Für morgen hatten sich neue Gäste angemeldet.

Peter und Petra gingen nun fast jeden Tag zum Bach. Manchmal, wenn es kühler draußen war, spazierten sie den Obstbaumweg entlang und redeten. Meistens unterhielten sie sich über die Zukunft. Wann und wie oft sie, solange sie noch zur Schule gingen, sich wiedersehen würden. Was sie, wenn die Schule einmal zu Ende sein würde, alles gemeinsam tun könnten. Wie groß ihre Familie später werden sollte und wer von beiden für welche Arbeit auf dem Hof verantwortlich wäre. Dabei kamen sie so richtig in Fahrt und sie lachten viel, rannten kreuz und quer über die Wiesen, alberten herum und ließen sich dann erschöpft ins Gras fallen.

Sie küssten sich oft in diesem Sommer. Und sie waren manchmal ernst dabei, wenn sie die Vorstellung einholte, dass manches, was sie sich so schön zusammengesponnen hatten, auch ganz anders kommen könnte.

Die Wochen vergingen schnell und der Tag des Abschiednehmens rückte näher. Petra und Peter schwiegen nun mehr, als dass sie miteinander redeten, wenn sie unterwegs waren. Sie versprachen sich, dass sie sich schreiben und mit ihren Eltern reden würden, ob sie sich nicht öfter, vielleicht Weihnachten oder Ostern, besuchen könnten oder zu einer anderen Zeit, wenn Schulferien wären, weil doch ein Jahr in ihrem Alter so lang ist.

Petra weinte, als Peter mit seinen Eltern in den Zug stieg, zu dem Petras Eltern sie gebracht hatten. Doch sie sprang hoch und winkte ihnen immer noch nach, als Peter sie immer kleiner werden sah.

Peter besuchte Petra noch viele Male. Eine Zeit lang mit seinen Eltern, dann ohne sie.

Peter war zwanzig Jahre alt, als er sich aufmachte, zu Petra zu ziehen. Er kam wie immer mit dem Zug zu ihr. Die letzten Kilometer fuhr er mit dem Fahrrad, das er von zu Hause mitgenommen hatte. Das Dorf war schon zu sehen, als ihn ein Sportwagen erfasste und mitriss.

Enjoying life

Chris Stone

„Du sollst nicht die ganze Zeit vor dem Fernseher hocken“, sagten meine Eltern.

„Okay“, antwortete ich. Das tat ich schließlich auch nicht. Ich hing mit den Punks an der Tanke rum, zockte an den Spielkonsolen im Einkaufszentrum oder gab den Sprayern unter der Autobahnbrücke Designtipps.

Meine Eltern hatten sich aber offensichtlich etwas anderes für mich überlegt. Sie schickten mich in den Herbstferien in die Jugendfreizeit! Gesponsert vom evangelischen Kirchenkreis!

Widerstand war zwecklos, also schlich ich mich am Montagmorgen in aller Herrgottsfrühe zu den Bussen und erwartete, mich bald auf dem highway to hell wiederzufinden. Ich brauchte allerdings gar nicht abzuwarten, bis wir auf der Autobahn waren. Schon vor dem Einsteigen wurde ich mit dem Grauen konfrontiert. Meine Mitreisenden waren nämlich allesamt Ripel. Rich people enjoying life. Die Kids aus der besseren Wohngegend. Lauter nette Kinder, guter Umgang, jedenfalls wenn man einige Erwachsene so reden hörte. Im Gegensatz zu denen ist jemand wie ich ein Popel.

Okay, im Nachhinein entdeckte ich noch ein paar Leute aus meiner Nachbarschaft. Aber die ließen sich nicht anmerken, dass sie in Plattenbauten hausten. Sie sind Pretender. Die, die so tun, als ob. Die dazugehören wollen und niemals kapieren werden, dass sie allerhöchstens Schoßhündchen der Ripel sind. Blöde Idioten!

Auf der Fahrt tat sich ein anderes Problem auf. Das größte Problem der Kids von heute. Was kann das wohl sein? Ist es die Klimakatastrophe? Die Arbeitslosigkeit von morgen? Ein wiedergeborener Präsident? Nein! Es ist die wichtigste Entscheidung eines jungen Lebens. Tokio Hotel oder US5!

Da wurde mir klar geworden, dass ich mich schon längst in den tiefsten Abgründen der Hölle befand.

Die Jugendherberge sah nicht danach aus. Kein Feuerschein, kein Schwefelgeruch, nichts. Nur ein großes Gebäude mitten auf dem platten Land. Es lag einsamer als eine Hallig im Herbststurm. Die einzige Möglichkeit, dort wegzukommen – wenn man mal von unseren Bussen absah –, war zu trampen oder auf einem Bauernhof einen Trecker zu klauen. Es ist aber nicht so, dass mir das, was ich sah, nicht gefiel. Ich mag die Natur. Ist mal was anderes als Mauern, Zäune, Asphalt, Staub, Abgas und was weiß ich noch.

Und eigentlich waren wir ja auch nur zum Schlafen da. Die Jugendherberge war sozusagen unsere Homebase. Ich wurde untergebracht in einem Raum mit sieben Schnepfen. Hölle hoch zehn. Eine der Schnepfen war Carola aus meiner Parallelklasse. Die dümmste Kuh auf dem Planeten.

Ich kam zwar als Letzte ins Zimmer, aber wenigstens machten die anderen respektvoll Platz, als ich mir mein Bett ausgesucht hatte. Es war also ein guter Einstieg.

Den ersten Tag, also eigentlich nur noch den Abend, verbrachten alle damit, auszupacken, den Kicker und den Billardtisch einzuweihen und rumzuhängen. Draußen regnete es, was meine Theorie von der Hölle irgendwie wegschwemmte.

Im Freien drückten sich naturgemäß nur die Raucher herum, die sich vor den Betreuern zu verstecken versuchten. Es war wirklich witzig: Mirko, der kleine gepiercte Schnösel, ließ sich schon beim Anzünden erwischen und musste seine Zigaretten abgeben. Danach kaufte er Dirk – der wohnt bei mir zu Hause im selben Wohnblock – eine halbvolle Schachtel für zehn Euro ab. Mirko ist unverkennbar ein Rip. Wobei das, bei den Aussichten, die seine Lunge hat, auch für etwas anderes stehen könnte.