Weltenerbe / Weltenerbe. Das Geheimnis der Zylinder - Umbrella Brothers - E-Book

Weltenerbe / Weltenerbe. Das Geheimnis der Zylinder E-Book

Umbrella Brothers

4,9

Beschreibung

Nicht mal die Archäologen können sich erklären, was es mit den geheimnisvollen Zylindern auf sich hat. Sie sind offensichtlich mehrere tausend Jahre alt und ca. drei Meter lang, aber mehr verraten die steinernen Behälter nicht. Ein amerikanisches Team untersucht die seltsamen Funde, die auf verschiedenen Kontinenten liegen. Auch in Grönland wird solch ein Zylinder gefunden. General Setter und Major Carson fliegen dorthin, um die hoffnungsvollen Untersuchungen zu beaufsichtigen. Aber sie sind nicht allein in der kalten, unwirklichen Schneelandschaft. Sie werden von zwei Gruppen beobachtet. Die eine Gruppe verfolgt die Aktivitäten mit freudigem Interesse, während die andere alles daran setzt, die Sache geheim zu halten. Notfalls auch mit Waffengewalt. Und mittendrin steckt Daniél, der mit seiner Frau Claire in einem kleinen Dorf in der Nähe von Carnac in Frankreich lebt. Die Beziehung ist schwierig für ihn geworden und er versucht krampfhaft ihr alle Wünsche zu erfüllen. Als Claire mit ihrer Mutter in den Urlaub fährt, möchte Daniél einen Brunnen für sie anlegen. Bei den Bohrungen in seinem Garten stößt er auf ein unerklärliches Hindernis. Aus Neugier reißt er seinen halben Garten auf und findet auch solch einen Zylinder. Er stellt auf eigene Faust Nachforschungen an, um zu ergründen, was sich da in seinem Garten befindet. Bald schon wird er ein wichtiger Teil in einem Kampf, in dem man kaum erkennen kann, wer die Guten und wer die Bösen sind. In dieser spannenden und manchmal humorvollen Trilogie wird der Leser für ein paar Stunden auf eine Reise um die Welt mitgenommen. Und es ist nicht nur unsere Welt.

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Umbrella Brothers

Weltenerbe

Das Geheimnis der Zylinder

Umbrella Brothers: Weltenerbe. Das Geheimnis der Zylinder, Hamburg, ACABUS Verlag 2009

Originalausgabe

ISBN: 978-3-941404-89-2

Lektorat: E. Imping, ACABUS Verlag

Umschlagsgestaltung: Aki Huck, 3MAXX

Der ACABUS Verlag ist ein Imprint der Diplomica Verlag GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Buch-Ausgabe dieses Titels trägt die ISBN 978-3-941404-88-5 und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

© ACABUS Verlag, Hamburg 2009

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

Weltenerbe

Das Geheimnis der Zylinder

Für meine Eltern

1 Das Loch im Garten

»Ah! Es geht doch nichts über Pizza!«

Luc nickte, schluckte und sagte: »Da hast du recht.«

»Du magst Ananas also als Belag?«

»Ja klar, das schmeckt. Was hast du für eine?«

»Nun, sie ist grün, weiß und rot. Was kann das wohl sein?«

Luc zuckte mit den Schultern.

»Na?«

Luc zuckte erneut und Daniél erlöste ihn: »Na Italiano, Mensch!«

»Gut, hätte man drauf kommen können. Gibst du mir noch einen Schluck Wein?«

»Natürlich, wie unhöflich.« Daniél schenkte noch einmal nach. Er füllte das Glas seines Freundes zu zwei Drittel. Kleine Kondenswassertropfen bildeten sich am Glas und das Licht der Deckenlampe brach sich in tausend Farben im Kristall.

Auf richtige Teller hatten sie allerdings verzichtet. Sie aßen die Pizza direkt aus den Pappschachteln. »GoPizza!« stand in rot-grüner Schrift auf dem weißen Karton. Die Deckel hatten sie abgerissen, weil sie zu groß für den kleinen Esstisch waren. Aus den Lautsprechern der Stereoanlage dröhnte Musik, die irgendwo zwischen Grunch und Heavy Metal angesiedelt war.

Luc studierte die Karte des Lieferservices. Dabei verzog er immer wieder den Mund von einer Seite zur anderen. Schließlich sagte er: »Ich frage mich jedes mal, ob ich mal dieses Funghi-Zeug probieren soll. Aber ich habe keine Ahnung was das ist.«

»Wenn du wirklich mal eine Funghi bestellst, dann kannst dir du sicher sein, dass irgendwo ein Pilz versteckt ist.«

»Wie lange ist Claire noch weg?«, fragte Luc.

»Bis Montag noch.«

»Schön!«

»Kommt drauf an.«

»Stimmt. Wie lange seid ihr denn eigentlich schon verheiratet?«

Daniél sagte sofort: »Zwei Jahre und drei Monate.«

»So lange schon? Wie lange muss sie denn noch?«

»Sehr komisch!«

Solche Witze fand Daniél überhaupt nicht lustig. In letzter Zeit machte er sich immer mehr Gedanken, ob seine Beziehung noch in Ordnung war. Es lief nicht mehr so rund wie früher.

Luc lehnte sich zurück und sagte: »Ich weiß noch, wie du mit ihr hier zum ersten Mal angekommen bist. Alle Männer standen mit offenem Mund da. Und erstmal die Frauen. Die waren vielleicht sauer.«

Daniél dachte damals, dass es nicht einfach werden würde für Claire in seinem kleinen Dorf in der Nähe von Carnac. Aber der Kulturschock von der französischen Großstadt in die tuschelnde Gemeinde blieb aus. Sie fühlte sich sehr wohl.

Aber mit der Zeit kühlte ihre heiße Liebe ab. Daniél war nicht mehr ihr Ritter auf dem hohen Ross. Und um etwas zu bekommen, musste er vorher immer eine Kleinigkeit geben. Sie wurden mit der Zeit größer, diese Kleinigkeiten.

»Ich habe ihr einen Brunnen versprochen. Jetzt nehmen wir immer das Wasser aus dem Hahn. Aber das wird über die Jahre zu teuer.«

Luc verschluckte sich beim Trinken. »Hast du mich deshalb eingeladen? Hey, man! Du kennst meinen Preis! 600 Kracher für einen Brunnen. Festpreis. Keinen Cent mehr. Schließlich muss ich hier fast acht Meter runter!«

»Luc! Ich bin dein Freund! Da muss man doch etwas mit dem Preis machen können?«

Luc schüttelte den Kopf und sagte: »Die Hälfte der Leute aus dem Dorf sind meine Freunde. Erst Recht, wenn es um einen Brunnen geht.«

»Luc! Gib dir einen Ruck.«

»Also, ich weiß nicht..«

Daniél hatte Luc wirklich deswegen zum Essen einladen wollen. Ursprünglich hatte er ein Restaurant in Betracht gezogen. Aber Luc mochte eher die einfachen Dinge des Lebens.

»Geht da denn gar nichts?« Daniél hatte Lucs Preis schon vorher gewusst. 600 Euro waren einfach zu viel. Vielleicht sollte er sich den Brunnen mit seinem Nachbarn teilen. Aber nein, das würde bedeuten, dass er mehr als ›Guten Tag, Herrn Trautwein‹ sagen müsste. Und sein Nachbar war nur dann ein guter Gesprächspartner, wenn man seiner Meinung war. Für gewöhnlich war niemand seiner Meinung.

Luc kratzte an seinem nicht mehr vorhandenen Bart. »Bei meinem Bart ...«

Daniél korrigierte: »Du hast ihn dir letzte Woche abgeschnitten, wegen Marie.«

»Ach ja, die.«

Marie mochte keine Männer mit Bart. Als Luc sich den Bart rasiert hatte, stellte sich jedoch heraus, dass sie ihn weder mit noch ohne Bart mochte. Eigentlich gar nicht. Luc war aber schon fast darüber hinweg. Er war sehr oberflächlich. Äußerlich jedenfalls. Durch harte Arbeit kann man eine Menge Frust abbauen. Luc hatte Lust auf diesen Brunnen.

»Ich sag dir was.«

»Ja?«, wollte Daniél wissen.

»Der Brunnen wird angelegt für ... hm ... 300 Kracher.« Luc sagte immer Kracher, wenn es sich um mehr als 20 Euro handelte.

»Aber ...«

»Aber? Oh nein!«

»... aber du wirst mir dabei helfen!«

»Was?«

»Und ich bekomme deine ›Temple of the dog‹ CD.«

»Bitte?«

»Deine ›Temple of the dog‹ ! Die, die mir noch fehlt!«

Daniél schüttelte heftig den Kopf: »Nein! Es geht hier nicht um die CD. Die kannst du haben. Aber ich soll dir helfen?«

»Ja!«

»Oh!«

Luc sah in etwa so aus wie der junge Arnold Schwarzenegger. Vielleicht ein wenig muskulöser. Daniél war zwar nicht völlig untrainiert, aber sehr schlank. Er war der Letzte, den man bei einer Möbelspedition einstellen würde.

Daniél schürzte die Lippen. »300 Euro, ja?«

»Ja, Festpreis. Keinen Cent mehr.«

»Und wann hast du Zeit?«

»Morgen früh.«

»Dein ›Früh‹ oder mein ›Früh‹?«

»Meins!«

»Ich wusste, dass du das sagen würdest. Noch Wein?«

»Ja. Erstaunlich, wie schnell so etwas leer wird. Findest du nicht?!«

Luc trank einen Schluck. In seiner Hand war das Glas kaum noch zu sehen.

»Was ist das für ein Wein? Der schmeckt gut.«

»Ein italienischer. Ein Pinot Grigio.«

»Das werde ich mir merken. Und was haben wir davor getrunken?«

»Einen Riesling, einen badischen. Der kommt aus Deutschland. Der war aber zu warm.«

»Und davor?«

»Einen Bardolino.«

»Cool!«

Sie schwiegen einen Moment, lauschten den Klängen von ›Soundgarden‹ und wippten dabei leicht mit dem Kopf. Luc betrachtete das Glas in seiner Hand und sagte dabei: »Das nächste Mal gibt es wieder Bier, okay?«

Daniél holte tief Luft, seufzte und sagte: »Ja, klar.«

Er fragte sich, wie man als Franzose Bier trinken durfte, aber er mochte ja auch keine Chansons. Gut, dass er nicht seine besten Weine für diese Bestechung verschwendet hatte.

Es war spät, als Luc ging.

Es klingelte an der Tür. Es war Freitag und – eindeutig zu früh. Daniél erwachte. Zumindest mit einem Auge. Wenn das jetzt schon wieder die Zeugen ...

Jemand hämmerte einige Male kräftig gegen die Eingangstür.

Armageddon, dachte Daniél.

»Los, Daniél! Mach auf! Ich habe einen Mörderschädel! Ich brauche dringend Aspirin!«

Luc also. Was wollte der denn hier? Ach ja, der Brunnen!

Daniél öffnete die Tür und konnte sie somit vor der Zerstörung bewahren.

Der Hüne vor der Tür wartete nicht, bis er hereingebeten wurde, sondern stürmte in die Küche. Daniél schaute noch einmal heraus, um zu prüfen, ob Luc irgendwelche Leute aus der Nachbarschaft geweckt hatte. Ja, das hatte er. Alle.

Vor der Tür stand ein Karton mit Kunststoffabflussrohren. Daniél wunderte sich und rief in die Küche: »Was ist mit dem Karton, der vor der Tür steht?«

»Den kannst du schon mal rein tragen. Der andere ist noch im Auto.«

»Na prima!«

Ein Kunststoffrohr ist leicht. Viele sind es nicht.

Daniél erinnerte sich daran, was er gedacht hatte, als er das erste Mal davon hörte, dass Luc Brunnen baut. Das lag schon einige Zeit zurück. Für Daniél war ein Brunnen ein gemauerter Steinkreis mit einem Holzgestell darüber, an dem ein Eimer hing. Und zwar ein Holzeimer, den man mit einer Kurbel herablassen konnte. Halt dieses klassische Model, in das Prinzessinnen für gewöhnlich ihre güldenen Kugeln hineinwarfen.

Wie enttäuscht war er, als er erfuhr, dass es sich einfach nur um ein schlichtes Loch handelte. Mit einer Pumpe. Elektrisch!

Aber hierbei ging es wohl mehr um Funktionalität, als um Ambiente. Auf Dauer konnte er den Rasen und die Beete nicht mit teurem Leitungswasser versorgen. Der Sommer war extrem heiß gewesen und der Sprenger lief jeden Tag zweimal.

»Daniél?«

»Ja?«

»Deine Aspirinrolle ist alle!«

»Na, wer stellt denn wohl eine leere ... «, begann er, stoppte aber, als er sich an seine letzten Kopfschmerzen erinnerte. »Ich glaube, ich habe oben noch eine angebrochene Packung. Warte kurz.«

»Bleibt mir wohl nichts anderes übrig.«

Daniél hastete nach oben, fand zwei fast leere Packungen mit Kopfschmerztabletten und brachte eine davon mit nach unten.

»Hier, bitte!«, sagte er, als es erneut an der Tür klingelte.

Es ist mein freies langes Wochenende, dachte er, und dennoch bin ich schon um 7.00 Uhr wach. Aber wer zur Hölle klingelt außer Luc um 7.17 Uhr an meiner Haustür?

Vor der Tür stand Sophie mit einer Glasdose in der Hand und wackelte damit vor Daniéls Augen herum. »Mein Kaffee ist alle. Kannst du mir wohl etwas leihen? Ich habe gesehen, dass du schon wach bist und dachte ...«

Wieso bringen Menschen immer eine leere Dose mit, wenn sie Kaffeepulver haben wollen? Nehmen sie etwa an, dass man ihnen sonst nicht glauben würde? Dieser Gedanke schoss Daniél durch den Kopf. Und tatsächlich! An Sophies rechtem Handrücken hing eine Spur Kaffeepulver. So etwas bekam man automatisch, wenn man versuchte den letzten Rest aus einer zylindrischen Dose zu kratzen. Rechtshänder, also. Daniél schaute kurz auf die Dose und dann in Sophies Augen.

Sie lächelte verlegen. So als ob sie Kaffeepulver haben wollte oder ...

Aber dafür hatte er jetzt keine Zeit.

»Warte, ich habe noch ein paar Packungen im Keller.«

»Danke«, sagte Sophie und versuchte dabei ein Lächeln in ihr Gesicht zu zaubern.

»Ja. Kein Problem.«

Daniél ging gemächlich die Treppe zum Keller hinab und stellte sich vor, dass es in Sophies Küche jetzt überall nach Kaffee riechen würde. Das war aber nicht so schlimm. Sophie wohnte allein.

Sie war Daniéls rechte Nachbarin. Vielleicht wohnte sie schon zu lange allein, wenn sie anfing Leute unnötigerweise nach Kaffee zu fragen.

»Hier, der Kaffee!«

»Danke! Ohne Kaffee schaffe ich es einfach nicht über den Tag.«

Daniél wäre der eine oder andere Kommentar dazu eingefallen, aber er entschloss sich nur freundlich zu nicken und dann die Tür zu schließen. Nicht sehr höflich, aber effizient.

»Was war denn mit der los?«, fragte Luc, der darauf wartete, dass sich seine Tablette endlich vollends auflöste.

»Koffeinentzug, würde ich sagen. Du hast da gerade meine letzte Tablette zum Trinken genommen. Danach gibt es nur noch die zum Schlucken.«

»Die mag ich gar nicht. Hast du den anderen Karton schon geholt?«

Daniél seufzte und antwortete: »Ich bin noch nicht dazu gekommen. Entschuldigung!«

»Na los, hopp hopp!«

»Autoschlüssel?«

»Ist offen!«

Murrend holte Daniél die zweite Kiste. Diese war sogar noch schwerer als die erste.

»Bring das mal alles in den Garten!«, sagte Luc schmatzend, denn er hatte sich selbstständig ein reichhaltiges Frühstück zubereitet. »Hast du noch Kaffee? Oder hast du alles dieser Brillenschlange von nebenan gegeben?«

»Weiß nicht. Im Schrank rechts neben den Gläsern ist eine offene Packung.«

»Ach, stimmt ja. Sag mal, leiht die sich öfter bei dir Kaffee?«

»Ne, wieso?«

»Die ist irgendwie komisch. Die Leute im Dorf sagen, sie sei lesbisch. Die hatte noch nie einer mit einem Mann gesehen, obwohl die genauso scharf ist, wie deine Claire. Ohne die doofe Brille jedenfalls.«

»Keine Ahnung, ist nur eine Nachbarin. Nicht mehr.«

»Aber du siehst sie doch jeden Tag, oder?«

»Eigentlich nicht.«

Luc frühstückte für drei und Daniél brachte derweil alles in den Garten. Als er die zweite Kiste abstellte, tauchte Herr Trautwein hinter dem Zaun auf. Man konnte nur seine Haare und Augen sehen. Das war auch gut so, dachte Daniél.

»Na, was wird das denn?«

»Eine Hundehütte.«

Herr Trautwein ließ sich nicht beirren. Er war einer von der Sorte Menschen, die alles wissen und alles schon einmal gemacht haben. Und zwar besser! Ein Schwätzer halt.

»Das wird ein Brunnen, nicht? Tja, wenn ich Ihnen dabei irgendwie helfen kann. Ich kenne mich mit so etwas aus.«

Herr Trautwein arbeite bei der Stadt und stellte Personalausweise und Visa aus. Also quasi ein Fachmann auf dem Gebiet des Brunnenbaus.

»Mach ich, Herr Trautwein, mach ich.«

Wieso war der eigentlich schon wach? Ach, ja! Luc hatte ihn durch sein Hämmern an die Haustür geweckt. Egal, er würde in ein paar Stunden ins Büro müssen. Dann hatte er seine Ruhe.

Luc kam in den Garten und reichte Daniél zwei Mettbrötchen. Die musste er mitgebracht haben. Ganz sicher sogar. Daniél konnte sich nicht daran erinnern, frische Brötchen im Hause zu haben.

»Danke!«

»Iss tüchtig; das ist eine sehr anstrengende Arbeit.«

»Ja, ich freue mich schon. 300 Euro, ja?«

Luc nickte: »Und keinen Cent mehr. Festpreis.«

»Was bedeutet eigentlich Festpreis bei dir?«

»Ist doch klar! Die 300 Kracher bekomme ich nur dann, wenn der Brunnen funktioniert. Wenn wir tiefer gehen müssen, zum Beispiel, sagen wir, elf Meter oder so, kostet es das Gleiche.«

»Ach so. Kann das sein? Ich meine, müsste das Grundwasser nicht überall gleich hoch sein?«

»Ja, so ungefähr. Aber das schwankt schon mal. Beim alten Pierre musste ich zwölf Meter tief rein. Aber bei der Marie nur sechs.«

»Marie hat auch einen Brunnen?«

Luc grummelte: »Ja, hat sie. Los, lass uns anfangen.«

»Seit wann?«, bohrte Daniél.

»Seit letzter Woche! Wo ist deine Schaufel?«

»Warte, ich hole sie.«

»Nicht nur holen«, sagte Luc, »auch buddeln!«

Daniél holte die Schaufel und fing an einen Schacht zu buddeln. Herr Trautwein lugte über den Zaun und bemerkte: »Sie müssen mit der linken Hand weiter unten anfassen!«

Daniél seufzte: »Mach ich, Herr Trautwein, mach ich.«

»Dann geht es gleich viel leichter!«

Luc steckte derweil einige Rohre zusammen. Am letzten befestigte er eine Stange mit zwei Fahrradgriffen. Es sah aus wie ein Presslufthammer. Dann holte er noch einen Gartenschlauch.

Mit einem Auge schaute Luc Daniél über die Schulter. »Ja, sieht gut aus! Jetzt lass mich mal.«

Daniél war erleichtert. Jede Pause war ihm willkommen. »Mensch, das ist wirklich anstrengend!«

»Sei froh, dass wir so früh angefangen haben. Heute Mittag wirst du zerfließen. Obwohl, bei dir ist ja kein Fett dran.«

»Hey!«, empörte sich Daniél.

»Na, ist doch so!«

»Kann ja nicht jeder wie Conan aussehen«, scherzte Daniél.

»So, nun lass mich mal ran.«

Luc stellte sich mit seiner Apparatur an das Loch und füllte Wasser hinein, um das Erdreich zu lockern. Dann begann er mit wilden Drehbewegungen, als ob er sich nicht entscheiden könne, ob er mit seinem Fahrrad nun rechts oder links abbiegen möchte. Dann wieder Wasser. Und erneut ließ er die Apparatur um die Hochachse rotieren. Luc wiederholte das Ganze ein paar Mal und schließlich zog er das Rohr heraus. Im Rohr befand sich nun Matsch. Luc hatte gute 20 cm geschafft. Nur, dachte Daniél. Aber Luc sagte: »Anfangs geht es immer leicht.«

»Das war leicht?«

»Jetzt bist du dran!«

Das wäre an sich nicht so schlimm gewesen, wenn nicht zwei Augen über den Zaun hinweg sein Tun beobachten würden. Auch Daniél rührte nun in der Erde herum. Er brachte es auf stolze 15 cm.

Herr Trautwein rief: »Sie müssen mehr drehen!«

»Ja, mach ich, Herr Trautwein. Ich werde es nicht vergessen.«

Im Kopf rechnete er sich aus, wie lange es dauern würde, wenn sie mit dieser Geschwindigkeit weitermachen würden. Dreisatz. Das wären dann 182 Minuten, also etwas mehr als drei Stunden.

»Mensch, wenn das so weitergeht, dann sind wir ja noch vor Mittag fertig damit.«

»Daniél«, Luc legte ihm eine Hand auf die Schulter, »wir können froh sein, wenn wir morgen Mittag fertig sind.«

»Echt? So lange dauert das?«

»Ja, echt. Wenn du das mit dem Brunnen vorher gewusst hättest, dann hättest du dem Baggerfahrer mal fünf Euro in die Hand gedrückt und er hätte die ersten drei Meter schon mal schnell fertig gemacht.«

»Hätte, könnte, sollte. Hinterher ist man immer schlauer.«

»Du weißt ja jetzt wie das geht. Ich geh eben einen Schluck trinken, okay?

« Daniél setzte erneut mit dem Apparat an. Nach ein paar Minuten standen ihm Schweißperlen auf der Stirn. Das war alles nicht so schlimm. Immerhin sparte er viel Geld. Aber er wünschte sich, dass Herr Trautwein endlich ins Büro ginge. Was wäre, wenn er heute einen freien Tag hätte?

Nach einer halben Stunde war Daniél am Ende. Er setzte sich einfach auf den Boden und machte erst mal eine Pause. Luc kam. Was um alles in der Welt war das für ein Getränk, für das man eine halbe Stunde brauchte?

»Und? Wie viel hast du geschafft?«

»Etwas über einen Meter. Wieso bekommst du eigentlich 300 Euro, wenn ich das hier alles mache?«

»Ach? Du kannst noch?«

»Nein.«

»Ja, lass mich mal machen.«

»Was hast du eigentlich getrunken? 40 Liter O-Saft?«

»Ich habe noch etwas Frühstücksfernsehen geschaut. Dabei muss ich wohl kurz eingenickt sein.«

»Du siehst vormittags schon fern?«

»Nö, meistens penn’ ich dabei ein.«

Luc betrachtete kurz das Loch und fügte dann ein neues Rohrsegment an die Apparatur. Auch Luc schaffte in einer halben Stunde einen Meter. Danach wechselten sie sich jedes Mal ab. Herr Trautwein war mittlerweile ins Büro gefahren.

Gegen Mittag hatten sie schon über drei Meter tief gebohrt und Daniél taten die Arme weh.

»Mahlzeit!«, rief Luc.

»Schon?«, flachste Daniél, »gehen wir etwas essen?«

»Logisch, deine Frau ist ja nicht da. Aber die kann eh nicht kochen. Die kann nur Speisen erwärmen.«

»Ich habe sie nicht geheiratet, weil sie so gut kochen kann.«

Luc hob den Finger und bemerkte: »Na, ob das so weise war? Du weißt ja was man sagt. Das Essen ist der Sex des Alters!«

»Bitte? Ich bin gerade mal 29!«

»Du musst auch an die Zukunft denken! Aber scharf ist deine Claire, das muss man dir lassen.«

»Ja, aber behalte deine Gedanken bei der Arbeit, okay? Möchtest du Hamburger und Pommes?«

»Klingt verlockend!«

Sie nahmen eine unspektakuläre Mahlzeit ein und kehrten dann an ihr Loch im Boden zurück.

Bei einer Tiefe von 3.40 Meter geschah etwas Sonderbares.

»Man! Ich komme nicht mehr weiter!«, stöhnte Daniél.

»Tja, dir liegen wohl die Pommes schwer im Magen. Lass mich mal!«

Luc probierte es, aber auch er hatte das Gefühl, als ob ein großer Stein im Weg liegen würde. Sehen konnte man nichts durch das kleine Loch. Erneut goss er Wasser nach. Aber das Erdreich war mächtiger. Mächtiger sogar als Luc. Nach einer Viertelstunde gab er sich geschlagen.

»Da ist kein Durchkommen. Wir müssen sprengen!«

»Was?«, schrie Daniél. Er hatte eine panische Angst vor allem, was in die Luft fliegen konnte. Selbst sein Haus heizte er ohne Zuhilfenahme von Gas oder Erdöl.

»Hey, ruhig, Daniél! War nur Spaß.«

»Puh.«

»Aber da unten ist irgendetwas. Ein großer Felsen oder so. Da kommen wir nicht dran vorbei. Ich kann schlecht um die Ecke bohren!«

»Ja? Und nun?«

»Ja, was wohl? Du bist der Ingenieur!«

»Ich habe keine Ahnung! Das ist mein erster Brunnen!«

Luc zeigte auf den Boden, etwa einen Meter entfernt von dem Loch: »Na, wir müssen eine neue Bohrung ansetzen.«

»Oh, echt? So ein Mist!«

Luc hob die Schultern: »Was soll ich machen? Mir gefällt das genauso wenig wie dir.«

»Aber das Loch sollte dort in die Ecke! Claire wird ausflippen, wenn ich ihren Garten umgestalte. Das war alles besprochen!«

»Sag das dem Felsen!«

Daniél beugte sich zum Loch herunter und rief: »Hey, Felsen! Geh zur Seite!«, und dann an Luc gewandt, »So! Jetzt kannst du es noch einmal probieren.«

Luc zeigte nur ein müdes Lächeln, riss einen Kirschlorbeerstrauch aus dem Boden und fing an zu graben.

Als sie nach Stunden die 3.40 Metermarke passierten, atmeten beide erleichtert auf.

Gegen Abend hatten sie eine Tiefe von 3.90 Metern erreicht, als der Bohrer erneut auf ein Hindernis stieß.

»Verdammte Scheiße! Das kann doch nicht sein!«, schrie Luc.

»Oh nein! Und nun?«, fragte Daniél. Dann winkte er ab und sagte: »Sag nichts! Ich weiß! Noch ein Loch.«

»Richtig, aber nicht mehr heute! Das machen wir morgen früh.«

Morgen also. Vielleicht regenerierten sich bis dahin seine Muskeln wieder. Die Wahrscheinlichkeit dafür lag bei zwei, vielleicht drei Prozent. Morgen würde auch Herr Trautwein nicht ins Büro müssen.

Samstag. Jemand hämmerte an die Tür. Das bedeutete für gewöhnlich, dass Claire aufstand und sie öffnete. Aber Claire war ja nicht da. Sie war ja mit ihrer Mutter an die See gefahren. Wer könnte dann wohl die Tür öffnen? Nach einiger Zeit wurde Daniél klar, dass er der einzig verbliebene Bewohner des Hauses war. Zwangsläufig musste er aufstehen. Aber eine höhere Macht hinderte ihn daran. Und sie hieß Muskelkater.

Unter Schmerzen schleppte er sich zur Tür und öffnete sie.

»Verpennt, oder was?«, lachte Luc ihm entgegen und drängte sich in die Wohnung.

»Nein, nein«, sagte Daniél und rieb sich die Augen.

Der kräftige Mann steuerte direkt auf die Küche zu und suchte Kaffee. Er fand ihn.

»Hey Daniél, geh noch mal zum Wagen! Ich habe Brötchen mitgebracht. Die liegen auf der Rückbank. Ich mache schon mal Kaffee.«

Sie frühstückten zusammen und Daniél spürte wie seine Lebensgeister zurückkehrten. Luc schien überhaupt kein Problem mit der anstrengenden Arbeit zu haben.

»Das war ganz schöner Mist gestern«, sagte Luc.

»Ja, passiert dir das öfter?«

Luc fragte: »Was, dass ich dreimal ansetzten muss? Nein, dass ist mir noch nie passiert. Aber gleich wird es funktionieren, da bin ich völlig sicher.«

»Aber es ist eine verdammt blöde Stelle. Claire wird das nicht mögen. Der Schacht liegt dann genau im Beet.«

»Na, da fällt ihr bestimmt irgendetwas Dekoratives ein, so wie ich deine Frau kenne. Hier ein Blümchen, da ein Strauch und schon sieht es keiner mehr.«

Sie gingen wieder in den Garten. Herr Trautwein war schon da. Hatte dieser Mann denn niemals etwas anderes vor?

»Ach, guten Morgen, Herr Nachbar!«, sagte Herr Trautwein.

»Herr Trautwein! Gut geschlafen? Oder überhaupt?«, fragte Daniél.

Ein wenig regte er sich über seinen Nachbarn auf. Dadurch fiel das Graben zu Beginn leichter. Aber schnell wurde klar, dass Daniél heute nicht für harte Arbeit zu gebrauchen war. Nach einer halben Stunde bestand seine Hauptaufgabe darin Getränke und etwas Nahrhaftes für Luc zu besorgen. Die Sonne brannte vom Himmel. Luc hatte sein Hemd und seine Jeans ausgezogen und arbeitete nun nur mit einer halblangen Turnhose und einem hautengen T-Shirt bekleidet.

Zentimeter um Zentimeter arbeitete sich Luc seinen Weg nach unten. Heute war er nicht bereit sich vom Erdreich etwas vormachen zu lassen. Heute würde er der Sieger sein.

Bis zum Mittagessen hatte Luc trotz der Hitze fast die Tiefe von drei Metern erreicht.

»So, ich fahre jetzt erst mal nach Hause. Ich muss duschen und mir andere Klamotten anziehen. Und dann gehen wir fein essen. Du zahlst!«

»Hamburger und Pommes?«

»Ein Gedicht! Es gibt nichts besseres!«, sagte Luc.

Daniél wusste sehr wohl, dass es doch etwas Besseres als Pommes gab. Aber er kannte Luc schon seit Jahren und ein Feinschmecker würde der nie werden. Das war ja auch nicht weiter schlimm. Einigen Leuten genügen eben ein wenig gebratenes Hackfleisch mit einer hauchdünnen Gurkenscheibe darüber und frittierte Kartoffeln. Selbst Daniél hatte schon wesentlich schlechter gegessen. Und dafür sogar noch erheblich mehr bezahlt.

Früh am Nachmittag war Luc bereits wieder durchgeschwitzt. Auch Sophie hatte den Weg aus dem Bett gefunden und mal kurz in den Garten zu ihren Pflanzen geschaut.

»Hallo Daniél!«, rief sie über den Drahtzaun.

»Ach, hallo Sophie. Reicht der Kaffee noch?«

»Der Kaffee? Ach so! Ja, ja. Danke. Sag mal, seid ihr immer noch am Brunnen bauen?«

»Ja. Aber ich nicht mehr. Ich bin erledigt. Wir haben gestern zweimal angesetzt und sind immer auf irgendetwas Hartes gestoßen.«

»Etwas Hartes, ja?«, sagte Sophie.

»Ja, wir haben auch keine Ahnung, was das sein kann.«

Luc sagte: »Daniél, der O-Saft ist schon wieder alle! Hol’ noch mal Nachschub. Und vergiss die Eiswürfel nicht.«

»Oh, die sind alle. Ich mache gerade neue, aber das dauert noch«, sagte Daniél.

»Ich habe noch welche, die kannst du haben«, meinte Sophie.

Luc trank fast einen ganzen Liter und kaute dann auf den Eiswürfeln herum. Das erfrischte, sorgte aber auch dafür, dass er noch mehr schwitzte.

Er fügte noch ein weiteres Rohrelement hinzu und bohrte weiter. Luc ließ das Wasser aus dem Schlauch erst über seinen Kopf laufen und beugte sich über den Bohrer, so dass es in den Schacht tröpfelte. Dann schüttelte er sich wie ein Hund nach einem Spaziergang im Regen. Aber seine Haare waren zu kurz, um für einen richtig guten Effekt zu reichen. Auch bei Luc merkte man nun, dass der gestrige Tag und die heutige Hitze Spuren hinterlassen hatten. Er seufzte des Öfteren und regte sich über Kleinigkeiten auf. Bei einer Tiefe von 4.40 Metern stieß der Bohrer erneut auf ein Hindernis.

»Verfluchte Scheiße!«

Daniél kam aus der Küche nach draußen gerannt. In den Händen hielt er eine Kanne O-Saft mit halbfertigen Eisstückchen und ein paar belegte Brötchen auf einem Teller. »Ich komm ja schon, ich komm ja schon!«

Wortlos nahm Luc die Kanne und trank sie leer. Dann biss er in ein Brötchen und kaute missmutig darauf herum.

»Dein Scheißgarten ist verflucht. Da kann man nichts machen.«

»Bist du schon wieder auf ein Hindernis gestoßen?«

»Ja. Und weißt du, was ich jetzt mache? Ich packe meine sieben Sachen und verschwinde. Du musst dir jemand anderen für deinen Kram suchen. Über das Geld reden wir noch.«

»Geld? Wieso? Du hast doch gesagt, dass wir einen Festpreis haben.«

Luc schrie: »Ich reiß mir doch nicht zwei Tage lang den Arsch auf für – nichts!«

Daniél blieb relativ ruhig: »Tut mir Leid, aber das war so abgemacht. Deine Worte waren: ›Du musst nur zahlen, wenn der Brunnen funktioniert.‹ Und er funktioniert nicht, oder?«

»Ich werde auf jeden Fall nicht noch eine Bohrung ansetzen. Du kannst selber sehen, wer dir das macht!«

Wütend griff Luc nach dem Schlauch und begann seine Rohrelemente vom Schlamm zu befreien. Dabei machte er sich nur geringfügig Sorgen um Daniéls Rasen. Er packte nach einer Viertelstunde alles wieder ordentlich in seine zwei Kisten, schleppte sie in seinen Wagen und fuhr nach Hause.

Daniél stand nun allein im Garten und besah sich das Chaos. Sträucher und abgerissene Blumen lagen herum oder waren platt getreten und ein Großteil des Rasens war mit einer dicken Schlammschicht bedeckt.

»Ist er weg?«, fragte Sophie über den Zaun.

Als ob man Luc übersehen könnte, dachte Daniél.

»Ja, hat nicht geklappt mit dem Brunnen.«

»Schade. Hast du Lust auf einen Kaffee? Ich habe mir gerade einen gemacht.«

»Nein, danke«, antwortete Daniél. Mit dem Gartenschlauch versuchte er den Rasen vom Schlamm zu reinigen, aber er machte es nur noch schlimmer. Schließlich ging er in die Küche und machte sich einen Kaffee. Jetzt wollte er lieber allein sein. Er setzte sich mit seinem Becher an den Esstisch und raufte sich die halblangen Haare. Was würde Claire wohl dazu sagen?

In dieser Nacht schlief Daniél unruhig. Zwar war er immer noch erledigt von der Hitze und der Strapazen des Vortages, aber irgendetwas ließ ihn nicht einschlafen. Er drehte sich von einer Seite auf die andere. Wenn er sich auf sein Ohr legte, konnte er seinen Pulsschlag hören. Also legte er sich auf den Rücken und starrte die Decke an. Das fahle Vollmondlicht schien durchs Fenster und warf merkwürdige Schatten auf seine Bettdecke. Claire und Daniél hatten sich beim Bau des Hauses entschieden, ein Fenster in die Dachschräge über dem Bett einbauen zu lassen, damit sie nachts die Sterne sehen konnten. Ihm fiel auf, dass die merkwürdigen Schatten von der schmutzigen Fensterscheibe herrührten. Morgen würde er sie putzen. Er schaute an den Flecken vorbei und betrachtete den Mond. Da war es, das ›Mare Crisium‹ - das Meer der Gefahren. Gemäß Athur C. Clarke sollte dort der erste Kontakt mit Außerirdischen stattfinden. Was für ein Humbug. Als Ingenieur wusste er, wie unwahrscheinlich das wahr, wenn man das Ausmaß des Universums berücksichtigte.

Aber es lag nicht am Mond, dass er nicht schlafen konnte. Der Grund war dieser blöde Brunnen. Oder wie er es nannte: Loch. Irgendetwas stimmte damit nicht. Da war eine Sache, die er bislang außer Acht gelassen hatte, obwohl sie ihn neckte. Da ist mehr, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Denk nach! Aber er kam nicht darauf und fiel in einen unruhigen Schlaf.

Um zwei Uhr schreckte er hoch und rief Luc an. Dieser war sehr erfreut.

»Sag mal spinnst du?«

»Luc! Wie tief war das erste Loch?«

»Hä?«

Daniél ließ sich nicht beirren und fragte erneut: »Das erste Loch, das wir gebohrt haben, wie tief war es? Du weißt es doch, oder? Du kennst die Länge der Rohrelemente.«

»3.40 Meter. War’s das jetzt? Kann ich mich wieder hinlegen?«

»Und die anderen beiden?«, wollte Daniél wissen.

»3.90 Meter und 4.40 Meter.«

»Und sie waren jeweils einen Meter auseinander?«

»Ich denke.«

Daniél schloss mit: »Danke! Gute Nacht!«

Das war es!

Da hätte er viel früher drauf kommen können.

Es gibt ein paar grundlegende Gesetze für Ingenieure, die die tägliche Arbeit ungemein erleichtern. Eins davon lautete: »Wenn du eine Gerade erwartest, miss nur zweimal!«

In diesem Fall lagen aber alle drei Punkte auf einer Linie. Was immer auch da unten war, es war absolut gerade. Von so einem Felsen hatte er noch nie etwas gehört. Und wenn man ein wenig weiterrechnete, stellte man fest, dass das – Ding – exakt 30 Grad schief lag. Also war es auch keine unterirdische Leitung oder ein Abwasserrohr. Nein, außerdem hatte er die Baupläne gesehen. So etwas gab es hier nicht.

Viertel nach Zwei. Ihm waren die Hände gebunden. Daniél legte sich wieder ins Bett. Jetzt konnte er noch weniger schlafen. Erst in den frühen Morgenstunden fielen ihm die Augen zu.

Am nächsten Morgen rief er seinen Onkel Pierre an, der ein Geschäft für Baufahrzeuge hatte: »Hallo Onkel Pierre. Hier ist Daniél. Wie geht es dir?«

»Was willst du?«

Er machte nie viel Worte, es sein denn, es ging um bautechnische Dinge.

»Äh ... einen Bagger. Einen kleinen.«

»Am Sonntag, ja? Na, dann will ich für meinen Lieblingsneffen mal ein Auge zudrücken. Sonst noch was? Wie tief willst du denn buddeln?«

»Och, so drei Meter«, sagte Daniél.

»Denk dran, mindestens 40 Grad Gefälle an der Seitenwand, sonst stürzt dir alles zusammen.«

Ach ja! Das hatte Daniél vergessen. Was war er doch für ein toller Ingenieur.

»Und wenn das nicht geht? Aus Platzgründen?«

Das gäbe ein Loch von sechs mal vier Metern. Wenn er diese Bedingungen einhalten würde, war er bereits auf dem Grundstück von Herrn Trautwein. Der würde sich freuen.

Sein Onkel listete auf: »Dann brauchst du solche Stützwände, wie sie die Kanalarbeiter verwenden. Die habe ich auch. Geht es immer noch um den Brunnen? Du wirst dir den ganzen Rasen kaputt machen. Leg dir bloß Bretter unter die Ketten! Sonst sackt dir der ganze Garten ab. Wird das ein Swimmingpool?«

Daniél hatte während seines Studiums viel bei seinem Onkel gearbeitet. Er konnte einen Bagger problemlos bedienen. Er hatte sogar einen Führerschein dafür.

Gegen elf Uhr war er bereits beim Graben. Sein Onkel hatte ihm beim Verladen geholfen, musste dann aber wieder weg zu einer Großbaustelle in Vannes.

Mit Maschinen kannte Daniél sich besser aus, als mit körperlicher Arbeit. Allerdings hatte er schon jahrelang keine dieser Maschinen mehr bedient. Normalerweise saß er an einem Computer und stellte Berechnungen an.

Aber die Bedienung der diversen Hebel war ihm noch geläufig. Wie Fahrradfahren, dachte er.

Das ausgehobene Erdreich legte er auf einer Plane und hob es in regelmäßigen Abständen auf den Laster. Sein Onkel konnte es zwischenlagern. Mit dem Bagger kam er sehr schnell voran. Und was das Beste war; Herr Trautwein hatte offensichtlich keine Ahnung davon und war sichtlich beeindruckt, dass sein Nachbar so ein gigantisches Gerät bedienen konnte. Er vergaß sogar Daniél darauf hinzuweisen, dass das Baggern an Sonntagen als Lärmbelästigung zu werten war. Sophie war in ihrem Haus und hatte Fenster und Türen geschlossen. Trotz der unerträglichen Hitze.

Es gab zwei Gründe warum er so schnell vorankam. Zum einen grub sich die Baggerschaufel durch den Boden wie ein heißes Messer durch Butter und zum anderen wollte er wissen, was da unten lag.

Am frühen Nachmittag hatte er die beiden Stützwände herabgelassen. Jetzt reichte die Baggerschaufel nicht mehr bis zum Boden der Grube, aber er war auch schon fast auf dem kritischen Level. Er stellte eine Leiter hinein und stieg mit einer Schaufel bewaffnet hinab. Der erste Spatenstich ließ ihn bereits erzittern, weil er auf etwas extrem Hartes gestoßen war. Eifrig kratzte er die Erde zur Seite.

2 Queen Live – Killers

Das Licht des Laternenpfahls war weit genug entfernt, um ihnen nicht ins Gesicht zu scheinen. Sie waren rechtzeitig gekommen, um ihr Opfer nicht zu verpassen. Allerdings auch nicht zu früh, damit sie kein Aufsehen in der Nachbarschaft erregten. Aber selbst wenn sie jemand bemerkt hätte, hätte man keinen Verdacht geschöpft. Niemand dachte bei diesen beiden Personen an Attentäter. Sie trugen blütenweiße Hemden und graue Krawatten und dazu passende Anzüge, die sie sehr gut ausfüllten. Beide schienen innige Beziehungen zu Friseuren zu unterhalten, denn ihre Haare wirkten sehr gepflegt. Sie saßen in einem frisch gewaschenen, schwarzen Mercedes SLK und im CD-Spieler lief in mäßiger Lautstärke ›Bicycles‹ von Queen. Sie wirkten wie Männer von einer Behörde. Aber das waren sie nicht.

Mr. Scheider saß hinter dem Steuer und wischte sich mit der linken Hand den Schlaf aus den Augen. Er war seit gestern Abend unterwegs. In den frühen Morgenstunden war er in Des Moines losgeflogen und hatte sich am Nachmittag mit Mr. Brook hier in New York getroffen. Alles musste schnell gehen. Nun saßen beide im Wagen der Organisation und warteten. Sie hatten sich bisher selten gesehen, aber sie waren sich von Beginn an sympathisch gewesen. Das lag vor allem an ihrem Beruf.

Mr. Brook öffnete das Handschuhfach. In der Regel machte die Organisation keine Fehler, wenn sie einen Wagen zur Verfügung stellte. Aber Mr. Brook machte noch viel weniger Fehler. Was daran lag, dass er alles überprüfte. Das Handschuhfach beinhaltete nur zwei paar Lederhandschuhe. Die Handschuhe nahm er heraus und zog sie an. Das andere Paar gab er Mr. Scheider. Mr. Brooks drückte auf einen nicht sichtbaren Knopf an der Verkleidung und aus dem Bereich, wo ansonsten der Beifahrerairbag verstaut wurde, glitt ein zweites Handschuhfach an die Stelle des ersten. Mr. Brooks nickte zufrieden. Es war alles da, so wie er es bestellt hatte. Sogar die Größe der Latexhandschuhe stimmte. Mr. Brook war, soweit er wusste, der Einzige, der die Größe S benötigte. Er hatte die kleinsten Hände der ganzen Organisation, aber zweifelsfrei auch die geschicktesten und ruhigsten. Er nahm einen Umschlag heraus. Er tippte das Fach zweimal an, woraufhin es wieder nach oben fuhr. Er hatte noch etwas Zeit.

Mr. Brook öffnete den Umschlag und holte zwei Schwarzweißfotos hervor. Eins gab er Mr. Scheider. Jeder von ihnen betrachtete ca. 20 Sekunden lang das jeweilige Bild und dann tauschten sie.

Mr. Brook meinte: »Sie sieht ganz gut aus. Ungewöhnlich!«

»Elle est deja mort.«

»Was?«

»Es hat keinen Sinn sie attraktiv zu finden. Sie ist bereits tot.«

»Ich meine ja auch nur, dass sie normalerweise nicht so hübsch sind. Wo liegt eigentlich Des Moines?«, fragte Mr. Brooks.

»In Iowa. Ich komme aber nicht von dort. Ich war auf der Durchreise und hatte dort geschäftlich zu tun.«

»Erfolgreich?«

Mr. Scheider schaute vom Bild auf, wandte sich zu Mr. Brook und hob kaum merklich die rechte Augenbraue.

»Verstehe«, sagte Mr. Brook. Er nahm die beiden Bilder wieder an sich und steckte sie in den Umschlag. Dieses Gesicht war leicht aus einer größeren Menge herauszufinden. Den Umschlag steckte er in die Innentasche seines grauen Anzugs und prüfte aus den Augenwinkeln die Uhrzeit auf dem Armaturenbrett. Er mochte keine Armbanduhren, sie behinderten ihn bei der Arbeit. Mr. Brook musste die Handgelenke frei haben. In zwei Minuten war das Theater aus. Im Kopf rechnete er die Zeit für Garderobe und Smalltalk hinzu. Noch kein Grund nervös zu werden.

Auch Mr. Scheider wirkte gelassen. Mit der rechten Hand fasste er sich an die linke Brust. Die Zigaretten waren noch da. Er griff nach dem Lenkrad. Mr. Scheider hatte ein Allerweltsgesicht. Man konnte es sich stundenlang ansehen, aber nach fünf Minuten hatte man es wieder vergessen. Das war von Vorteil.

Beide zogen gleichzeitig die Lederhandschuhe aus und lächelten deswegen kurz. Es war das einzige Mal, dass man sie an diesem Abend lächeln sah. Mr. Brook legte die Handschuhe wieder ins Handschuhfach und ließ die Klappe offen.

Wortlos blickten sie durch die Windschutzscheibe.

Miss Swanson hatte den Abend nicht sonderlich genossen. Sie war mit ihren Gedanken immer noch bei ihrer Arbeit.

Der Name ›Miss‹ Swanson war etwas irreführend. Eigentlich hatte sie eine Professur am Institut für Archäologie und Geschichte. Aber heute Abend war sie nur Miss Swanson. Peter hatte sie vorgestern angerufen und gesagt, dass er sich nach einer anderen Frau umschauen würde, wenn sie nicht sofort zurückkomme. Natürlich hatte er nur gescherzt. Aber da sie nicht ganz sicher war, hatte sie sich in den ersten Flieger gesetzt und war nach drei Monaten aus Mexiko zurück in ihre Heimatstadt New York geflogen. Arbeit war gut und schön. Aber Alleinsein war furchtbar.

Peter hatte sie in ein nettes Restaurant geführt und ein Candlelight-Dinner bestellt. Anschließend der Theaterbesuch und was jetzt kam, sollte der Höhepunkt des Abends werden. Sie freuten sich beide darauf.

Aber ihre Gedanken kreisten noch immer um die Gegend von Tiahuanaco und die Olmeken. Dort beschäftigte sie sich gerade mit Ausgrabungen. Und was für welchen! Es war das erste Mal, dass sie nicht über ihre Arbeit sprechen durfte. Es war schwierig gewesen einen freien Tag zu bekommen. Nur durch den guten Draht zum Missionsleiter hatte sie es geschafft. Ihre Arbeit wurde vom Militär finanziert. Genau genommen durfte sie nur über eine Sache nicht sprechen. Etwas, das sie bei El Rincon im Hochland von Guerre gefunden hatte. Die Einheimischen nannten die dort existierenden Schutthügel ›las tinajas de los ídolos‹. Der mexikanische Führer hatte ihr gesagt, dass das ›Krüge der Götter‹ bedeutete. Jetzt wusste sie warum.

»An was denkst du?«, fragte Peter plötzlich.

Professor Swanson legte 3500 km in einer Sekunde zurück, schaute ihm ins Gesicht und antwortete: »An dich natürlich!«

Peter lächelte: »Nun, zumindest solltest du das. Es ist trotzdem schön, dass du gekommen bist. Also, körperlich jedenfalls.«

»Tut mir Leid. Aber ich bin gerade an einer ziemlich großen Sache dran. Ich werde versuchen nicht mehr daran zu denken.«

»Nun, vielleicht kann ich dich gleich ein wenig davon ablenken.«

»Bestimmt!«, sagte sie lächelnd. Sie legte ihren Kopf schief und zwinkerte.

»Hat dir das Theaterstück gefallen?«, fragte Peter.

»Ehrliche Antwort?«

»Ja, ich fand es auch nicht so toll. Dr. Miller hat es mir empfohlen. Vielleicht sind wir einfach zu alt für so etwas.«

Sie waren beide alt genug, um offen darüber zu sprechen. Professor Katie Swanson war 52 und Dr. Peter Bodaibo 53.

Sie lachte und sagte: »Na, ich weiß nicht. Ich glaube, wir sind noch ganz frisch.«

»Auf jeden Fall siehst du ganz bezaubernd aus.«

Und das tat sie wirklich.

»Okay, da kommt sie!«, sagte Mr. Scheider.

»Ich sehe sie.«

»Fünfundvierzig Sekunden von jetzt an«, sagte Mr. Scheider mit Blick auf seine Armbanduhr.

Mr. Brook griff in die Seitenwand und das zweite Handschuhfach glitt erneut herunter. Er zog sich in aller Ruhe die Latexhandschuhe an. Mr. Brook öffnete ein kleines Schmuckkästchen. Darin fand er einen runden, porösen Stein mit einem Durchmesser von etwa einem Zentimeter. Mit der linken Hand griff er nach einer weißen Kunststoffflasche und mit der rechten nach einer Pinzette. Er öffnete die Flasche und legte den Deckel zur Seite.

Mr. Scheider tastete noch einmal seine linke Brust nach den Zigaretten ab und stieg aus. Er ging auf die Kreuzung zu. Die Theaterbesucher kamen ihm entgegen.

Mr. Brooks hatte den Stein mit der Pinzette eingefangen und hielt ihn für ein paar Sekunden in den aus der Flasche aufsteigenden Nebel. Schließlich stellte er die Flasche zur Seite und steckte den Stein in das letzte Utensil aus dem geheimen Handschuhfach: Ein Blasrohr.

Mr. Scheider hatte die Zielperson erreicht und fragte: »Entschuldigung, haben Sie Feuer?« Dabei stellte er sich so hin, dass Mr. Brook freie Schussbahn hatte. Mr. Brook konnte auch gehende Personen auf diese Entfernung treffen, aber er vermied Risiken.

»Nein, ich rauche nicht«, sagte die Frau. Dann traf sie etwas am Hals, und sie griff instinktiv mit der Hand an die Stelle.

»Na, dann kann man nichts machen«, sagte Mr. Scheider, ging zurück zum Wagen und fuhr mit Mr. Brook davon. Das Kontaktgift aus dem Herzen Malis würde den Rest erledigen.

3 Der General

»Sir?«

»Ja, was ist denn?«

Der Major kam einen Schritt näher: »Sir, wir haben noch einen Behälter entdeckt.«

Das war eine Nachricht, auf die der General schon sehr lange gewartet hatte.

»Wo?«

»In Grönland. Ein Langläufer ist zufällig darauf gestoßen. Er dachte, es handle sich um Altölentsorgung.«

»Haben Sie ihn überzeugen können?«

»Das war nicht nötig, er hat es von sich aus gesagt. Er hat sich gefreut, dass sich die Regierung so schnell um sein Problem kümmert und er ernst genommen wird. Das Gebiet haben wir natürlich gesperrt. Ich habe ein Lager errichten lassen.«

»Ich muss das hier eben noch schnell über die Bühne bringen. Dann würde ich mir das Ding gern einmal ansehen.«

»Der Hubschrauber steht bereit, Sir.«

Nach einem kurzen Flug mit dem Hubschrauber stiegen sie in eine Militärmaschine um. Sie war recht komfortabel, aber hierin waren ja auch keine einfachen Soldaten unterwegs. Der General machte es sich in einem imposanten Sessel bequem. An der linken Lehne war ein schwenkbarer PC befestigt. Für Notfälle. Nun, dies war keineswegs ein Notfall, vielmehr ein Glücksfall. Wenn es sich tatsächlich um einen 9000er Behälter handeln sollte, dann hatten sie jetzt schon vier davon entdeckt. Alle diese Behälter gehörten zu einer großen Sache, das konnte man förmlich spüren. Was das für eine Sache war, blieb aber bislang ein Rätsel. Beiläufig warf der General einen Blick auf den Bildschirm. »Was? Major, dieser hier scheint defekt zu sein! Gemäß dieses Berichtes jedenfalls.«

»Das heißt, sie können ihn öffnen?«, fragte der Major.

»Dass sie mir das ja nicht ohne mich machen!«

»Ich werde sofort der Einsatzleitung Bescheid geben.«

Sie flogen über endlose weiße Flächen. Teilweise sahen sie zahlreiche Flüsse mit kristallklarem Wasser mitten auf dem Eis. Einige Schneeberge tauten von den Strahlen der Sonne und das Schmelzwasser suchte seinen Weg zum Meer. Aber die Temperatur erinnerte die beiden Männer nicht gerade an den Sommer in ihren Vereinigten Staaten.

Bevor sie ausstiegen, zogen sie sich dicke Mäntel an. Die angenehme Wärme des Flugzeugs war verflogen. Der Kühlschrank Grönland hatte sie nun fest im Griff. Hier gab es keinen Schnee, der in leichten Flocken von oben auf sie herab fiel. Kleine Eisbrocken flogen ihnen ins Gesicht und sie mussten ihre Augen mit Brillen schützen.

»Wie weit ist es noch?«

»Von hier aus noch etwa zwei Stunden, Sir. Es sei denn, dass die Straße zu ist, dann kann es schon mal etwas länger dauern.«

»Ich hoffe, dass wir den nächsten Behälter in Argentinien finden!«

»Ja, Sir, das hoffe ich auch.«

Sie stiegen um in einen geräumigen aber zugigen Armeejeep. Die Fahrt war holprig.

»Zwei Stunden sagten Sie Major, ja?«

»Der Major nickte. Dann schaute er auf das Display seines Handys. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. So, als ob man sich an eine schöne Begebenheit oder ein liebenswerte Person erinnert. Oder beides. Der Major klappte sein Handy wieder zu und setzte erneut eine Miene auf, die zu einem Soldaten passte, der nur an seine Mission dachte. Der General hatte währenddessen aus dem Fenster geschaut. Um so überraschter war der Major, als er plötzlich sagte: »Neuigkeiten von zu Hause?«

»Nichts Wichtiges.«

»So?«

»Ja, Sir.«

»Wenn Sie weiterhin mit mir zusammen arbeiten wollen, sollten Sie sich angewöhnen, dass es keine unwichtigen Dinge mehr gibt. Wir beide bilden von nun an eine Einheit. Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen und Sie erzählen mir von Ihren Angelegenheiten. Verstanden?«

Der Major nickte erneut.

»Also?«

»Es war eine Nachricht von meiner Frau. Unsere zweite Tochter ist soeben geboren worden. Sie hat mir ein Bild geschickt.«

»So? Herzlichen Glückwunsch! Und da hat sie gleich ein Bild gemacht, ja? Zeigen Sie mal her!«

Der General nahm das Handy und sah sich das Bild einer verschwitzten Mutter und eines zerknautschten Babys an: »Süß, die Kleine.«

Er gab das Handy zurück. »Wären Sie gerne bei der Geburt dabei gewesen?«

Die Fahrt zum Behälter würde noch lange dauern, daher entschied sich der Major für die Wahrheit: »Ja, Sir, wenigstens diesmal.«

Er schaute auf die endlose, weiße Straße vor ihm. Ein markanter Punkt war nicht zu erkennen. Der General schaute ebenfalls wieder aus dem Fenster und schien Eisstückchen zu zählen.

»Sir? Haben Sie Kinder?«, fragte der Major. Er bereute seine Frage in dem Moment, in dem er sie ausgesprochen hatte.

»Ich hatte mal zwei Söhne. Mein Zweiter ist allerdings gestorben, bevor ich das Wort ›Papa‹ aus seinem Mund hören konnte. Ich war damals im Irak. Spezialeinsatz.«

»Das tut mir sehr Leid, Sir.«

»Ist schon eine ganze Weile her«, sagte der General. Dann schwieg er für einen Moment.

»Aber Henry, der ist mein ganzer Stolz. Der kommt ganz nach seinem Vater. Aus dem wird mal was.«

»Sehen Sie sich oft?«

»Wir haben beide viel zu tun. Wir telefonieren ab und zu.«

»Was macht Ihr Sohn?«, fragte der Major.

»Er arbeitet als Leiter einer Codierstation. Aber nicht mehr lange. Das ist jetzt nur für die Übergangszeit. Damit er seine Führungsqualitäten unter Beweis stellen kann. Ab September fängt er bei der Irakischen Botschaft an.« Er machte eine Pause: »Ist schon seltsam. Ich habe ein ungutes Gefühl dabei. Aber es ist seine Entscheidung.«

Der General verschwieg, dass er seinen Sohn schon seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Auch das letzte Telefonat fand zu Weihnachten statt. Schließlich fragte er den Major: »Würden Sie gerne Ihre Tochter sehen?«

»Ja, Sir.«

»Das ist Ihre zweite Tochter?«

»Ja, Susan ist schon drei Jahre alt.«

»Ich hoffe, ich kann Sie mit dem entschädigen, was wir gleich sehen werden.«

»Ja, bestimmt.«

Der Jeep grub sich mit seinen wuchtigen Rädern in die verschneite Landschaft. Niemand sonst war unterwegs. Plötzlich sah der Major einen Mann mit einem dicken Mantel und buschiger Fellmütze am Straßenrand. Er hielt eine Art Speer in der rechten Hand und blickte gebannt auf das vorbeifahrende Auto.

Der General sagte: »Haben Sie den gesehen? Seltsame Menschen gibt es hier. Der sah aus wie ein Eskimo.«

»Das war ein Inuit, Sir.«

»Ach ja, man sagt ja nicht mehr Eskimo. Ein Inuit also?«

»Ja.«

»Jagen die immer noch mit Speeren?«

»Ich bin sicher, dass er ein Gewehr dabei hatte.«

»Waren Sie schon einmal hier? Hier in Grönland, meine ich.«

»Vor zwei Tagen, Sir. Ich habe die Fundstelle sichern lassen und bin dann zurückgeflogen.«

»Gibt es hier viele von diesen Einheimischen?«

»Nein, Sir, wir werden ungestört operieren können«, antwortete der Major. »Es ist nicht mehr weit.«

»Na, dann werde ich uns mal anmelden. Die sollen uns eine starken Kaffee aufbrühen.«

Inmitten der weißen Landschaft tauchte eine olivgrüne Zeltstatt auf. Der General riss erschrocken die Augen auf. »Was zur ...?«

Noch bevor der Wagen zum Stillstand kam, sprang er aus der Tür und ging einem salutierenden Mann entgegen. »Sergeant! Sergeant! Was soll das?«

»Sir? Was, Sir?«, fragte der Mann.

»Wollen Sie damit sagen, dass Ihnen entgangen ist, dass diese Zelte nicht weiß sind? Sie sind olivgrün, Mann! Was haben Sie sich dabei gedacht?«

Sicherlich war dieser Mann nicht für die Farbe der Zelte verantwortlich. Er war einfach nur der erste Ansprechpartner.

»Es handelt sich um einen Fehler bei der Bestellung, Sir. Die weißen Zelte kommen morgen.«

»Das will ich hoffen!«

Der General ließ den Sergeant stehen und ging in das Größte der zwölf Zelte. Offensichtlich handelte es sich um das Hauptquartier. In der linken Ecke stand ein großer Klapptisch von hochrangigen Offizieren umzingelt. Aber der General ging zu einem Stuhl auf dem eine Kaffeemaschine stand. Er nahm sich zwei Pappbecher und fragte den Major, der ebenfalls den Weg ins Zelt gefunden hatte: »Immer noch ohne Milch?«

»Ja, nur Zucker, Sir«, antwortete der Major. Er fühlte sich unwohl, weil er es eigentlich sein sollte, der sich um den Kaffee kümmerte.

»Meine Herren«, sagte der General, »dies ist Major T.C. Carson! Wenn es etwas gibt, was Sie ihm nicht sagen wollen, dann sagen Sie es mir, damit ich es ihm dann sagen kann. Haben wir uns verstanden?«

Die Männer und eine Frau nickten alle stumm.

»Gut! Das Ding ist also defekt? Wir können es öffnen?«

Die Frau trat vor. »Ich möchte davon abraten! Wir sollten es erst gründlich untersuchen. Ich habe bereits Proben von der Oberfläche entnommen. Sie scheinen ungefährlich zu sein. Aber wir sollten den ganzen Behälter ausgraben, um ganz sicher zu sein. Sie können den Behälter nicht einfach so öffnen.«

Die anderen Männer, die um den Tisch standen, bemerkten gar nicht, dass sie jeder einen Schritt zur Seite machten. Sie stand nun allein an einer Ecke und sah den General fragend an. Und der Verdacht keimte in ihr, dass sie vielleicht etwas zu aufbrausend war.

Der General schaute ihr direkt in die Augen. Dann wandte er sich an den Major und übergab den zweiten Kaffeebecher. »Major Carson, wer ist diese Frau? Und was macht sie hier?«

»Sir, das ist Mercedes Bolina. Sie ist neu im in unserem Team.«

»Ach? Und seit wann?«, fragte der General.

»Miss Swanson hatte einen Unfall. Mrs. Bolina ist mit ihrer Arbeit vertraut. Sie hat Archäologie und Biologie studiert. Sie scheint mir für diese Aufgabe am geeignetsten.«

»So, so«, sagte der General. Er trank einen Schluck und blickte der Frau dabei in die Augen. Was schwierig genug war, denn der Kaffee war noch sehr heiß.