Wem die Kuckucksuhr schlägt - Markus Fix - E-Book

Wem die Kuckucksuhr schlägt E-Book

Markus Fix

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  • Herausgeber: Emons Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Mörderische Schnitzeljagd Nach einer überraschenden Erbschaft zieht Hauptkommissar Thomas Häberle von Berlin nach Freiburg. An die Genuss- Metropole muss sich der standhafte Currywurst-Liebhaber allerdings erst noch gewöhnen. Dabei hilft ihm sein neues Team, das hartnäckig versucht, dem Widerspenstigen die Augen für die Freuden der Region zu öffnen. Gleich sein erster Fall führt Häberle tief in den Schwarzwald und wirft jede Menge Fragen auf. Woher hatte der Tote, der immer bescheiden lebte, plötzlich so große Mengen an Bargeld? Wer schickte ihm die vielen mysteriösen Briefe? Und was hat die Geocacher-Szene mit dieser ganzen Sache zu tun?

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Seitenzahl: 530

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Markus Fix, Jahrgang 1974, ist Journalist, Autor und Pressereferent. Nach seinem Magisterstudium (Germanistik/Politik/Ethnologie) an der Universität Freiburg und ausgedehnten Radreisen folgte ein Volontariat bei einer Tageszeitung in Offenburg. Fünfzehn Jahre arbeitete er anschließend als Redakteur in der dortigen Nachrichtenredaktion. 2021 wechselte er in die Pressestelle einer Behörde. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin in Emmendingen nahe Freiburg. Den Schwarzwald kennt er durch viele Touren auf dem Rennrad, dem Mountainbike und in Wanderschuhen. Er liebt die steilen Höhen und die einsamen Täler dieser Berge.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2023 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: shutterstock.com/Radiocat

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Hilla Czinczoll

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-98707-026-6

Schwarzwald Krimi

Originalausgabe

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Dieser Roman wurde vermittelt durch die Literaturagentur Beate Riess.

Prolog

ElmiRa wartete jetzt bereits seit zwanzig Minuten auf Taubenhaucher. Mitten im Wald, kurz vor Mitternacht, bei gerade mal sechs Grad Celsius, wie die Anzeige im Auto ihr verraten hatte. Zumindest hatte es, kurz bevor sie ausgestiegen war, aufgehört zu regnen. Trotzdem war es eine feuchte Nacht und irgendwie unheimlich, daran konnte auch die große Stabtaschenlampe nichts ändern, mit der sie alle paar Sekunden in den Wald leuchtete. Immer wieder glaubte sie, ein Geräusch zu hören.

Hier machte der Schwarzwald seinem Namen alle Ehre, die Fichten und Weißtannen standen so dicht, dass selbst am Tag unter den Bäumen nur schummriges Licht herrschte. Jetzt in der Nacht war es wirklich stockdunkel, nicht mal bei Vollmond und wolkenlosem Himmel hätte sie etwas erkennen können.

»Ich gebe ihm noch fünf Minuten, dann ist Mitternacht, und dann wird aus dem Gruppen-FTF eben ein Einzel-FTF«, murmelte sie vor sich hin. FTF stand für »First to Find«, was wiederum für »I am the first to find this cache« stand, und war bei Geocachern der begehrte erste Fund eines neu veröffentlichten Cache.

Elena, so lautete der richtige Name von ElmiRa, fand diese FTF-Jagd eigentlich ziemlich bescheuert, vor allem wenn sie mitten in der Nacht in ein einsames Waldstück weit weg von der nächsten Ortschaft führte. Aber als Christoph, wie Taubenhaucher mit richtigem Namen hieß, sie vor etwa einer Stunde per WhatsApp gefragt hatte, ob sie Lust hätte, den eben erst veröffentlichten Cache »Wie ruft’s aus dem Wald?« zu suchen, hatte sie nicht Nein sagen können. Zu groß war die Versuchung, einen wirklich beschissenen Tag, der mit Verschlafen und Zuspätkommen bei der Arbeit begonnen hatte, einem Einlauf vom Chef weitergegangen war und mit einem ekelhaften Mikrowellengericht, das ihr im Homeoffice arbeitender Mann ihr beim Nachhausekommen stolz präsentierte, seinen zweifelhaften Höhepunkt erreicht hatte, mit einem FTF und somit doch noch einem kleinen Lichtblick zu beenden.

Außerdem mochte sie Christoph, er war lustig, nett, und seine Begeisterung für das Geocachen war ansteckend. Es war fast so etwas wie eine Auszeichnung, wenn er jemanden zu einem Gruppen-FTF einlud, immerhin war er mit über fünfundzwanzigtausend gefundenen Geocaches in der Cacher-Szene rund um Freiburg eine kleine Berühmtheit. Also war sie sehr zum Unmut ihres Mannes, der ihr Hobby leider nicht teilte, noch mal ins Auto gestiegen und zu den im neu veröffentlichten Cache angegebenen Parkkoordinaten gefahren.

Aber Berühmtheit hin oder her, sie wartete jetzt schon fast eine halbe Stunde, das war lange genug, fand sie. Dann musste er sich eben mit einem STF begnügen. Elena schaute auf ihr Handy, das hier oben im Wald leider keinen Empfang hatte, sodass sie Taubenhaucher nicht fragen konnte, wo er denn blieb. Dann leuchtete sie mit ihrer Taschenlampe in die Richtung, in die die Koordinaten des Cache sie führten. Dreihundertachtzig Meter, sagte ihre Geocaching-App. Also lief sie los.

Laut der abgespeicherten Karte auf ihrem Smartphone konnte der Cache eigentlich maximal vier bis fünf Meter rechts von dem schmalen, mit Laub bedeckten Weg liegen, der von dem kleinen Parkplatz an der Landstraße in den Wald führte. Zwanzig Meter vor den Koordinaten wurde Elena langsamer und leuchtete auf den Boden, um mögliche Spuren zu entdecken. Schließlich hatte es in den vergangenen Tagen viel geregnet, und der Boden war aufgeweicht, den ein oder anderen Fußabdruck musste der Cache-Besitzer beim Verstecken also eigentlich hinterlassen haben.

»Da haben wir sie ja«, murmelte Elena zufrieden, als sie Spuren im Matsch sah, die in den Wald führten. Allerdings waren es mehrere verschiedene. »Oh, bitte nicht, ich will nicht schon wieder zu spät sein«, fluchte sie laut. Es gab nichts Schlimmeres, als mitten in der Nacht auf FTF-Jagd zu gehen und dann festzustellen, dass einem nur der undankbare zweite, dritte oder noch schlechtere Platz blieb. Es war ihr schon des Öfteren passiert, und nicht selten war es der Name Taubenhaucher gewesen, der bereits im Logbuch stand, wenn sie es aufschlug.

Dementsprechend schlecht gelaunt ging sie die letzten Meter, bis ihr Smartphone schließlich nur noch zwei Meter Entfernung zu dem Cache anzeigte. Sie konzentrierte sich auf mögliche Auffälligkeiten und drehte sich langsam mit der Taschenlampe in der Hand im Kreis.

Sie sah den Geocache sofort. Allerdings nicht in einem hübschen selbst gebauten Versteck, sondern auf dem Waldboden liegend, zwischen Ästen und Laub vom vergangenen Herbst. Das Zweite, was sie sah, war eine Hand, aus der der Cache anscheinend gefallen war.

»Was soll denn der Mist?« Elena schüttelte verärgert den Kopf. Da wollte ein Geocacher wohl mal wieder besonders witzig sein und für einen Gruselmoment sorgen, so wie die Idioten, die in kleinen Baumhöhlen neben den Cache Plastikspinnen oder Plastikratten setzten, damit man beim Hineinleuchten mit der Taschenlampe einen gehörigen Schreck bekam. Was bei ihr immer wieder funktionierte und sie jedes Mal wütend machte. Nun also mal zur Abwechslung eine Schaufensterpuppenhand oder was auch immer das war.

Erst als Elena über die Hand hinaus leuchtete, bemerkte sie, dass sie sich geirrt hatte. Da lag nicht nur eine Hand, sondern ein kompletter Mensch. Und der war nicht aus Plastik, sondern echt. Echter ging es nicht. »Christoph«, flüsterte Elena noch, bevor sie mit einem entsetzten Schrei zurückzuckte und mit dem Schreien auch nicht aufhörte, als sie von Panik geschüttelt die Strecke zurück zu ihrem Auto rannte.

Teil 1

Tag 1

»You’re in love with a psycho, you’re in love with a psycho, and there’s nothing you can do about it …«

Thomas Häberle rollte sich schlaftrunken auf den Rücken, als sein Smartphone ihn mit dem von seiner ehemaligen Lebensgefährtin eingestellten Song weckte. »Zum Glück nicht mehr«, seufzte er bei dem kurzen Gedanken an sie und gähnte, während er nach seinem alten Samsung griff. Ein Blick darauf sagte ihm, dass es ein Uhr zweiundzwanzig war.

Bestimmt wollte Melanie ihm mal wieder erklären, warum dies alles seine Schuld war, nur um ihn dann später unter Tränen um Verzeihung zu bitten und zum Schluss übel zu beschimpfen. »Same procedure as nearly every night«, murmelte er vor sich hin. Hätte er doch schon früher bemerkt, dass der als Weckton gespeicherte Song der britischen Band Kasabian kein lustiger Gag, sondern die reine Wahrheit war. Aber das mit der Liebe war ja nun vorbei, das lag alles hinter ihm.

Er wollte gerade auf das rote Telefonsymbol drücken, sich auf seiner schmalen Matratze umdrehen und weiterschlafen, als ihm die fremde Nummer auffiel. Oder besser gesagt: eine andere, als er erwartet hatte, denn sie kam ihm dennoch bekannt vor.

»Was soll denn das jetzt, soll ich zu einem Auffahrunfall, oder was?« Die Nummer war von einer Polizeidienststelle in der Nähe von Freiburg, wie er an der Vorwahl erkennen konnte.

Beunruhigt war er deshalb nicht, er hatte zwar Bereitschaftsdienst, aber seit er sich vor einem Monat von Berlin zur Kripo Freiburg hatte versetzen lassen, waren diese Dienste immer ruhig gewesen. Es passierte hier sehr wenig, fand er. Genau wie er es sich erhofft hatte, als er sich nach einer sehr überraschenden Mitteilung eines Freiburger Testamentsvollstreckers kurzfristig dazu entschlossen hatte, die immer unter Strom stehende Hauptstadt gegen die Provinz einzutauschen und somit einen Neuanfang zu wagen. Eine Bewerbung und ein Vorstellungsgespräch später war er hier gewesen. Schnell und unkompliziert.

»Häberle«, meldete er sich.

»Hallo, Herr Hauptkommissar, Sie müssten bitte schnell nach Freiamt-Sägplatz fahren, wir haben eine Leiche.«

Sofort war er hellwach. »Was heißt ›wir haben eine Leiche‹? Ein Unfall?«

»Nein, nach allem, was wir wissen, dürfte es sich um einen Mord handeln, die Kollegen sind schon vor Ort, und die sagen, das sollte sich einer von der Mordkommission anschauen.«

Häberle seufzte. Also raus aus den Federn, rein in die Klamotten und nachschauen, ob die Kollegen mit ihrer Vermutung richtiglagen. Er war schon oft zu einem »Mord« gerufen worden, der sich dann als bedauernswerter Haushaltsunfall, Herzinfarkt oder Ähnliches herausgestellt hatte. Perverserweise war da bei den Polizisten der Streife oft der Wunsch der Vater des Gedankens, zumindest zu Beginn Teil einer Mordermittlung gewesen zu sein.

»Schicken Sie mir die Adresse per SMS und sagen Sie auch bitte gleich der Spurensicherung und dem diensthabenden Gerichtsmediziner Bescheid«, gab er erste Anweisungen, während er sich unter der Decke hervorquälte und seinen Blick suchend durch das große Zimmer mit den stuckverzierten hohen Decken schweifen ließ, um herauszufinden, in welche Ecke er gestern Abend seine Klamotten geschmissen hatte. Die Kollegen würden nicht begeistert sein, aber es musste alles nach Protokoll laufen, falls tatsächlich ein Tötungsdelikt vorlag.

»Eine richtige Adresse haben wir nicht, die Leiche liegt mitten im Wald. Aber wir haben die genauen Koordinaten. Moment mal bitte.«

Häberle hielt beim Anziehen seiner ausgebeulten Jeans, die er auf einem der vielen immer noch nicht ausgepackten Umzugskartons entdeckt hatte, erstaunt inne. Mitten im Wald? Die genauen Koordinaten lagen vor?

»Ja, also, die Leiche liegt bei Nord achtundvierzig Grad, eins null Komma fünf eins zwei und Ost sieben Grad, fünf vier Komma vier null sechs.«

Jetzt ließ Häberle die Jeans sogar wieder auf die Knöchel hinabrutschen. »Wie kommt es denn, dass Sie so genaue Koordinaten vom Fundort haben, geben die Kollegen von der Streife das seit Neuestem durch?«, fragte er perplex ins Telefon. Und wie soll ich mir die merken?, fragte er sich selbst.

»Die Dame, die die Leiche gefunden hat, sitzt hier bei mir und hat mir die Koordinaten auf irgend so einer App gezeigt. Ich schicke sie Ihnen gleich, dann können Sie die Daten in Ihr Navi eingeben.«

Okay, der Kollege denkt mit, dachte Häberle, während er die Hose wieder hochzog und endlich den Gürtel zumachte. Immer noch nicht im von ihm anvisierten Loch, aber immerhin bekam er den Knopf der Hose inzwischen wieder zu, ohne den Bauch allzu sehr einziehen zu müssen. Noch ein paar Wochen Diät und etwas mehr Sport, dann sollte es wieder klappen mit unter neunzig Kilogramm auf seine hundertzweiundneunzig Zentimeter Körpergröße und damit dann auch mit dem Gürtelloch. Von wegen, lieber gleich neue Hosen kaufen, anstatt sich eine Diät anzutun, wie es ihm ein Freund geraten hatte.

»Sehr gut, vielen Dank. Und lassen Sie die Dame nicht gehen, Sie soll warten, ich will noch mit ihr reden. Personalien aufnehmen, und dann geben Sie ihr einen Kaffee«, spulte er seinen Text runter, während er sich sein Hemd, nachdem er es sich kurz unter die Nase gehalten und den Geruch als gerade noch akzeptabel eingestuft hatte, einfach über das T-Shirt zog, in dem er seit mindestens vier Nächten schlief. Addierte sich Schweißgeruch eigentlich, wenn man mehrere stinkende Klamotten übereinander anzog? Dann fiel ihm gerade noch ein zu fragen: »Von welchem Polizeirevier rufen Sie eigentlich an, und wie ist Ihr Name?«

»Emmendingen, Polizeiobermeister Ehring.«

»Alles klar, Herr Ehring, dann sehen wir uns später.« Er wollte auflegen, als er noch mal die Stimme des Beamten hörte.

»Hallo? Hallo, Herr Häberle?«

»Ja, was gibt es noch?«

»Ich wollte fragen, ob ich auch Hauptkommissarin Dupont Bescheid geben soll.«

Häberle überlegte kurz. »Nein, ich schau erst mal, was vorliegt, und gebe der Kollegin dann Bescheid, falls es nötig sein sollte.« Damit legte er auf.

Er zweifelte kurz, ob das die richtige Entscheidung gewesen war. Hauptkommissarin Maria Dupont war eine gute Polizistin, keine Frage. Aber in den wenigen Wochen, die er jetzt in Freiburg war, hatten sie noch keinen Draht zueinander gefunden, und wenn er ehrlich war, hatte er ganz einfach keine Lust, die Nacht mit ihr im Wald zu verbringen. Nicht sehr professionell, wie er zugeben musste. Dabei hatte sie alle seine Vorurteile widerlegt, die er damals beim erstmaligen Lesen ihres Nachnamens gehegt hatte. Denn Franzosen fand er unhöflich, arrogant und sehr selbstbezogen. Und ja, er wusste, dass Vorurteile und Verallgemeinerungen scheiße waren. Aber eben auch oft zutreffend, sonst würde es sie ja nicht geben, oder?

Maria Dupont war allerdings keine Französin, wie er dann festgestellt hatte, sondern eine waschechte Schwarzwälderin, zudem herzlich, nett und immer hilfsbereit, daher passte das mit den Vorurteilen sowieso nicht. Sie stammte aus einem kleinen Ort namens St. Blasien, ein ganzes Stück weit weg von Freiburg, wenn er sich richtig erinnerte. Sie hatte ihm beim ersten Treffen einen groben Abriss über ihren Lebenslauf gegeben und ihn erwartungsvoll angeschaut, als sie St. Blasien erwähnt hatte. Da er aber nichts mit dem Ortsnamen anfangen konnte, hatte er nur fragend zurückgeschaut. St. Blasien, okay. Hier in der Gegend stand vor gefühlt jedem dritten Ortsnamen ein »Sankt«.

Inzwischen lebte sie sowieso in Neuf-Brisach, einem kleinen Ort direkt hinter der Rheinbrücke hinüber nach Frankreich, wie sie ihm bei anderer Gelegenheit erzählt hatte. Dort war sie mit einem elsässischen Landwirt verheiratet und pendelte täglich zur Arbeit nach Freiburg. Und nein, hatte sie gleich dazugesagt, das Pendeln über diese große Entfernung mache ihr nichts aus. Große Entfernung, am Arsch! Aber er hatte nach seinem Umzug von Berlin ziemlich schnell gemerkt, dass die Leute Entfernungen hier anders maßen. Nur eine halbe Stunde brauchte man laut Google Maps von Neuf-Brisach in die Freiburger Innenstadt. Eine halbe Stunde! Ein Katzensprung!

Er grinste schuldbewusst, als er an die beiden Gespräche mit der Kollegin dachte. Er hatte, wenn er ehrlich zu sich war, exakt so reagiert, wie er es den Franzosen vorwarf: unhöflich, arrogant und sehr selbstbezogen.

Okay, weniger Vorurteile, mehr Offenheit in deinem neuen Leben, ermahnte er sich, während er die Schnürsenkel seiner knöchelhohen Wanderschuhe festzog. Bestimmt würde es im Wald ziemlich matschig werden. Zudem nahm er sich mal wieder vor, wie so oft, seit er nach Freiburg gezogen war, einfach öfter mal einen Ausflug über den Rhein zu machen. Wäre ja gelacht, wenn er keine netten Franzosen und keine höflichen Französinnen finden würde!

Häberle hatte sich endlich fertig angezogen, schaute kurz in den Spiegel, den er im Keller gefunden und an die Wand gehängt hatte, strich sich über die ziemlich genau seit seinem fünfundvierzigsten Geburtstag vor einem Jahr grau werdenden und schon wieder zu langen Haare, die nun zumindest farblich zu den Bartstoppeln passten, schlüpfte in einen alten Parka, zog sich eine warme Mütze über und rannte die Treppen runter, die in die Empfangshalle der riesigen Stadtvilla führten.

Nein, heimisch war er hier noch nicht geworden. In dem Zimmer, das er bis zur Klärung der exakten Besitzverhältnisse und dann hoffentlich zum Verkauf dieses von einer Tante geerbten Hauses bezogen hatte, steckten seine Sachen noch immer in Kartons, die bestenfalls als Ablage für seine Hose dienten. Er schlief auf einer Matratze, aß vom immer gleichen Teller Fertiggerichte – oder Salat, zwecks Diät –, trank aus der immer gleichen Tasse absolut ekelhaften löslichen Kaffee, wenn es morgens schnell gehen musste, und suchte sich seine Klamotten aus den beiden Koffern, in die er sie vor einem Monat ziemlich überstürzt geschmissen hatte. Die einzigen sonstigen Einrichtungsgegenstände in seinem Zimmer, wenn man sie denn so nennen wollte, waren sein Rennrad und sein Mountainbike.

Er konnte noch immer nicht wirklich glauben, dass die alte Villa im feudalen Freiburger Stadtviertel Herdern jetzt ihm gehörte oder zumindest ein Teil davon. Denn dummerweise war die Untermieterin der Tante ebenfalls in dem Testament bedacht worden, und zwar mit einem lebenslangen Wohnrecht. Und so groß das Haus auch war – vierzehn Zimmer mit insgesamt dreihundertvierzig Quadratmetern auf drei Stockwerken und dazu einem großen Garten mit hübschem Gartenhäuschen und altem Baumbestand –, war es nicht dafür konzipiert, in mehrere Wohnungen unterteilt zu werden. Die riesige Empfangshalle mit sehr großzügigem Treppenhaus machte das schlicht unmöglich. Also lebten sie momentan nebeneinanderher in ihrer ungewollten Wohngemeinschaft mit nur einem zuletzt in den achtziger Jahren renovierten und wirklich nutzbaren Badezimmer, er und Lotte Merckheim.

Sie war zweiunddreißig Jahre jung, Köchin mit Leib und Seele und in der Freiburger Gastro-Szene wohl eine ziemlich große Nummer. Zumindest hatte sie das ab und zu angedeutet, wenn er sich mal wieder auf ihrem Gasherd eine Dosensuppe warm gemacht hatte, die laut ihr nur aus »Küchenabfällen und dreckigem Wasser« bestand. Von ihren Kochkünsten hatte er sich bisher nicht selbst überzeugen können oder wollen, obwohl sie ihn mehrfach eingeladen hatte. Ob er aus Trotz oder Unsicherheit abgelehnt hatte, war ihm selbst nicht ganz klar.

Die Küche war natürlich wie alles in diesem Haus ebenfalls riesig, schließlich war sie vor hundertzwanzig Jahren beim Bau der Villa so geplant worden, dass das Personal für große Gesellschaften kochen konnte. Jetzt war sie zweigeteilt, in der einen Hälfte stand ein wahrscheinlich noch aus den 1970ern stammendes Sammelsurium an alten Geräten und Schränken, in dem nichts mehr funktionierte außer einem uralten Toaster. In die andere Hälfte hatte seine Tante für seine Mitbewohnerin eine Top-Profi-Küche mit allem Schnickschnack einbauen lassen – und sie ihr zusammen mit dem Wohnrecht vererbt. Die beiden mussten sich wirklich gut verstanden haben.

In ihrer Küche probierte Lotte Merckheim an einem sechsflammigen Gasherd und an Geräten, von denen er weder Namen noch Funktion kannte, ihre Rezepte aus und hatte die vergangenen Jahre auch seine Tante bekocht. Natürlich nicht mit Dosensuppe. Falls sie wirklich so gut kochte, war das Essen vielleicht dafür verantwortlich, dass sie im Testament stand. Wobei er sich nicht beschweren konnte, er hatte die Tante seit seiner Kindheit so gut wie gar nicht mehr gesehen, zuletzt auf den Beerdigungen seiner Eltern, die auch schon vier beziehungsweise sechs Jahre zurücklagen. Er wusste von ihr eigentlich nur, dass sie Gertrude Mittig geheißen hatte – wobei seine Mitbewohnerin immer nur liebevoll von »Gertie« sprach –, die Schwester seines Vaters gewesen und durch Heirat und späteren Tod ihres Mannes in den Besitz der Villa gekommen war. Von daher hatte er sicher nicht mehr Anrecht auf das Haus als seine Mitbewohnerin.

Die teure Küche war wahrscheinlich einer der Gründe, warum Lotte Merckheim nichts von seiner Idee hielt, die Villa einfach zu verkaufen und ihr einen Teil des Erlöses zu geben. Auf dem Immobilienmarkt in Freiburg würde er locker eine siebenstellige Summe bekommen, auch wenn ein großer Sanierungsstau bestand. Alte Fenster, alte Rohre, alte Elektrik, feuchte Wände, uralte Ölheizung, verwahrloster Garten. Aber seine Mitbewohnerin wollte nicht. Sie brauche Platz, hatte sie gesagt. Für ihre Küche. Und den gebe es in Freiburg nirgends mehr, außer eben in solchen alten Villen.

Häberle schüttelte unwillig den Kopf, als er im Erdgeschoss ankam, in dem tatsächlich ein alter Kronleuchter von der Decke hing, so wie man es in einem solchen alten Herrenhaus irgendwie erwartete. Platz ist Luxus, dachte er, genau wie dieses von ihr so in den Himmel gelobte gute Essen. Sobald sie ihm eine bessere Currywurst machen würde als Wurst-Willi in seinem Berliner Stamm-Imbiss, würde er vielleicht mit sich reden lassen, was den Nichtverkauf der Villa anging. Ansonsten war sein momentaner Plan, den Riesenbunker loszuwerden, sich eine kleine Wohnung zu mieten und dann zu entscheiden, ob seine Zukunft wirklich in Freiburg lag – oder ob es nur eine Zwischenstation war.

Niemand brauchte eine Villa mit einer Treppe, auf der man sich jedes Mal wie Scarlett O’Hara aus »Vom Winde verweht« vorkam, wenn man sie hoch- oder runterlief. Obwohl Lotte Merckheim mit dem passenden Kleid – anstatt der Latzhosen, die sie immer trug – und längeren Haaren statt kurz geschnittener Locken bestimmt eine gute Figur beim Scarlett-O’Hara-Lookalike-Contest machen würde, wie er zugeben musste. Er konnte gar nicht verstehen, warum sie Single war.

Mieses Macho-Schwein, dachte er kurz über sich, als er sich bei den oberflächlichen Vorurteilen und der Annahme ertappte, es würde einzig und allein am Aussehen einer Frau liegen, ob sie einen Partner hatte oder nicht. Oder eine Partnerin, wies er sich gleich ein zweites Mal zurecht. Aber sie war wirklich hübsch, seine Mitbewohnerin, was das Zusammenleben für ihn nicht leichter machte, zumal sie immer mal wieder nur in ein kurzes Handtuch gewickelt vom Bad über den Flur zu den beiden von ihr bewohnten Zimmern lief. Anfangs hatte er tatsächlich geglaubt, dass sie ihn vielleicht reizen und sogar mit ihm flirten wollte. Inzwischen hatte er aber einsehen müssen, dass er ihr einfach schlichtweg egal war und sie es in keinster Weise einsah, wegen eines vierzehn Jahre älteren Mannes irgendwelche Umstände wie das Mitnehmen von Klamotten ins Badezimmer in Kauf zu nehmen.

Freiamt-Sägplatz? Emmendingen? Ich muss mich dringend mal mit der Umgebung hier befassen, keine Ahnung, wo das alles ist, dachte Häberle, als er das im großen, von alten Eichen überdachten Hof geparkte Auto öffnete und sich hinter das Lenkrad setzte. Polizeiobermeister Ehring hatte ihm inzwischen wie versprochen die Koordinaten per SMS geschickt, allerdings dauerte es eine Weile, bis er an seinem Navi die Funktion gefunden hatte, bei der man die Koordinaten direkt eingab und nicht eine bestimmte Adresse suchte.

Endlich klappte es. Den Ton des Navis hatte er gleich als Erstes abgestellt, als er sein Dienstauto, einen sieben Jahre alten VW Passat, bekommen hatte, die Stimme nervte ihn immer kolossal. »Dreiunddreißig Minuten bis zum Ziel«, las er, dann zoomte er erst aus den Zielkoordinaten heraus, um sich zu orientieren, und dann hinein, um genauer zu sehen, wo er hinmusste. Das war wirklich mitten im Wald.

Vielleicht ist ein Jäger bei der Pirsch tot umgefallen, dachte er, während er über den knirschenden Kies in der Auffahrt fuhr und die Heizung auf volle Pulle stellte. Es war wirklich lausig kalt. Allerdings gingen Jäger nicht um Mitternacht auf die Jagd. Und was hatte eigentlich die Frau um diese Zeit im Wald gesucht? Möglicherweise würde es ja doch ein interessanter Fall werden.

Er war zwar schon viel zu lange beim Morddezernat, um noch einen richtigen Adrenalinschub zu bekommen, wenn die Möglichkeit einer Mörderjagd gegeben war – ohnehin eine ziemlich miese Sache, schließlich gehörten zu einer Mörderjagd immer mindestens eine Leiche und somit meistens auch trauernde Angehörige –, aber immerhin würde er sich nicht umsonst die Nacht um die Ohren schlagen.

***

Auf der Bundesstraße 3Richtung Norden war Häberle schnell aus Freiburg raus, was definitiv an der Uhrzeit und nicht an der guten städtischen Verkehrsplanung lag. Er hatte hier schon gefühlt mehrere Stunden im Stau stehend verbracht, vor allem im Berufsverkehr konnte man verzweifeln.

Nachdem er von der B3 runter- und durch Sexau gefahren war – seltsamer Name –, wunderte sich Häberle unterwegs mehrfach über die vielen Ortsschilder. Es gab anscheinend Dutzende Gemeinden, die zu Freiamt gehörten, ohne die genauen Koordinaten hätte er sich wahrscheinlich an den vielen Kreuzungen und auf den kurvigen, teils schlaglochübersäten Straßen, die durch Acker- und Wiesenlandschaften, durch kleine Dörfer und oft auch mitten durch dichten Wald führten, hoffnungslos verfahren.

Kurz vor dem im Navi gekennzeichneten Ziel sah er dann einen Streifenwagen auf einem kleinen Waldparkplatz stehen und stellte sein Auto daneben ab. Mitten im Nirgendwo. Erneut fragte er sich, was eine Frau – oder irgendein Mensch – hier mitten in der Nacht zu suchen hatte. Vielleicht ein heimliches Treffen zweier Verliebter?

Nachdem er den Motor ausgestellt hatte und ausgestiegen war, fiel ihm als Erstes die Stille auf. Es war absolut nichts zu hören, kein Laut. Kein Auto, keine Menschen, keine Vögel, nicht einmal der Wind wehte und brachte die Bäume zum Knarzen. Auf der Fahrt hierher hatte er eine seiner alten Pearl-Jam-CDs ziemlich laut gehört – die hatte er nach Ankunft in Freiburg erst mal in seinen Umzugskisten suchen müssen, da er Musik eigentlich nur noch digital hörte und das alte Autoradio im Passat, ohne Möglichkeit, sein Smartphone anzuschließen, ihn ziemlich überrascht hatte. Umso eindrücklicher war diese Stille. Er fühlte sich wie in Watte gepackt oder als ob er einen dieser geräuschunterdrückenden Kopfhörer auf den Ohren hätte. Fast schon beängstigend.

Er machte seinen Parka zu und zog sich die Mütze tiefer über die Ohren. Kalt und feucht war es, und er bereute jetzt, dass er nicht noch ein paar Minuten investiert hatte, um in seinen Koffern nach den warmen Handschuhen zu suchen. Er holte die Taschenlampe aus dem Kofferraum und leuchtete einmal im Kreis um sich herum. Verdammt, war das dunkel hier. Er hatte mal irgendwo gelesen, dass der Schwarzwald nicht immer so dunkel gewesen war. Früher, also vor mehreren tausend Jahren, wuchsen hier wohl vor allem Laubbäume wie Esche, Eiche, Linde und Ahorn. Später übernahmen dann Tannen und Buchen die Anhöhen, und nach ein paar Jahrhunderten, in denen die Menschen so gut wie jeden Baum im Schwarzwald gefällt hatten, um sie zu Flößen zusammengebunden auf den Flüssen bis nach Amsterdam zu verschiffen oder um mit dem Holz zu bauen, zu heizen und die Öfen der Glashütten zu füttern, wurde großflächig mit der schnell wachsenden Fichte wieder aufgeforstet, und auch Buche und Tanne wuchsen wieder vermehrt.

Häberle vergrub die Hände tief in den Parkataschen. Unvorstellbar, dass vor nicht einmal zweihundert Jahren hier kein Baum mehr gestanden und der Schwarzwald fast nur noch Busch- und Grünland gewesen war. Wie hatten die Leute die Gegend zu der Zeit wohl genannt? Schwarzwald hatte es ja nicht mehr ganz getroffen. Jedenfalls war die Zeit von Fichte, Buche und Tanne hier wohl auch bald vorbei, durch den Klimawandel wurde es den Baumarten zu warm, wie er im Radio gehört hatte. Was kam wohl als Nächstes? Platanen? Akazien? Palmen?

Auf dem schmalen, vom Regen der vergangenen Tage aufgeweichten Waldweg, den er vom Parkplatz aus eingeschlagen hatte, um zu den auf dem Navi angezeigten Koordinaten zu gelangen, hörte er nach etwa dreihundert Metern zwei Stimmen.

»Nein, wir müssen das großflächiger absperren!«

»Ja, wie groß denn noch? Da können wir ja gleich den ganzen Scheißwald mit Sperrband einwickeln!«

»Jetzt sei nicht gleich wieder beleidigt, du weißt doch, wie die von der Spurensicherung sind. Die finden dann zehn Zentimeter neben der Absperrung ein abgebrochenes Ästchen und regen sich über die unfähigen Kollegen auf.«

Als Häberle nah genug war, um neben den zwei Taschenlampenlichtern auch zwei menschliche Schemen zu erkennen, leuchtete er kurz zweimal mit seiner Taschenlampe auf. »Hallo, Kollegen, Hauptkommissar Häberle, Morddezernat.«

Er kam sich etwas blöd vor mit seiner Vorstellung, aber sicher war sicher. Er hatte schon erlebt, dass ein Polizist an einem Tatort vor Schreck seine Waffe gezogen hatte, als er mitten in der Nacht grußlos zur Leiche getreten war. Und er hatte es ihm nicht mal verdenken können. Die zwei Kollegen hier waren aber von einem ganz anderen Kaliber.

»Ah, der Herr Kommissar Häberle, Kollege Ehring hat Sie angekündigt. Jetzt lernen wir den Mann aus dem Schwabenländle auch mal kennen«, sagte der eine. »Polizeiobermeister Rosenbusch mein Name, Rufname Rosi.«

Da sind sie wieder, die Vorurteile, dachte Häberle und musste ein Grinsen unterdrücken. Wenn man in Baden Häberle hieß, kam man in der Vorstellung der meisten Leute hier aus Württemberg und sprach mit einem schwäbischen Akzent, aß am liebsten Spätzle, war geizig und fegte jeden Samstag die Straße. Keines der Klischees traf auf ihn zu. Selbst wenn er es gewollt hätte – er beherrschte den schwäbischen Akzent nicht. Er war genau wie seine Eltern ein waschechter Berliner, seine Großeltern waren kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von Stuttgart in die Hauptstadt gezogen, daher der urschwäbische Nachname.

Seine Eltern, beide Akademiker, hatten immer nur Hochdeutsch mit ihm gesprochen, genau wie die Lehrer in der Schule, und für seinen Zivildienst und ein nicht zu Ende geführtes Studium – Germanistik, er hatte erst auf Umwegen zur Polizei gefunden, es aber nie bereut – hatte er insgesamt fünf Jahre in Hamburg gelebt. Er hatte also überhaupt nicht die Möglichkeit gehabt, sich irgendeinen Dialekt anzueignen, auch mit der berühmten Berliner Schnauze konnte er nicht dienen.

Bisher hatte sein Nachname keine Rolle gespielt, die meisten Menschen wussten gar nicht, dass es in Baden-Württemberg die Badener und die Schwaben gab. Aber hier war er mit seinem Nachnamen in »Feindesland«, jeder Badener hielt ihn für einen Schwaben, und nicht wenige fühlten sich bemüßigt, ihm schlechte Schwabenwitze oder doofe Sprüche wie »Über Baden lacht die Sonne, über Schwaben die ganze Welt« um die Ohren zu hauen. Allerdings hatte er schnell gemerkt, dass nichts davon ernst gemeint war und die Leute die Frotzeleien über die schwäbischen Nachbarn einfach nur genossen und lustig fanden. So wie er teilweise auch, wenn er ehrlich war.

Er rang sich ein kleines Lachen ab, als er zu den beiden Beamten trat.

»Polizeimeister Basler mein Name. Hallo«, stellte sich der zweite Polizist etwas förmlicher vor. »Wir haben bisher nichts angefasst, Herr Kommissar, wir wollten warten, bis die Spurensicherung kommt. So wie es aussieht, handelt es sich um einen Mann, ich schätze, so Ende fünfzig, und ihm wurde wohl der Schädel eingeschlagen. Schauen Sie, hier, am Hinterkopf.«

Basler leuchtete mit seiner starken Taschenlampe aus etwa fünf Metern Entfernung – da hatten sie das Absperrband um einen Baum gewickelt – auf die Leiche. Sie lag zwischen abgebrochenen Ästen und Laub aus dem vergangenen Herbst auf dem Bauch. Häberle schaute genauer hin. Ja, das sah tatsächlich nach Mord aus, so eine Wunde konnte man sich nicht selbst zufügen, und sie entstand auch nicht durch einen Sturz.

»Okay, sehr gut so weit. Sonst noch irgendwelche Erkenntnisse oder Beobachtungen? Steht irgendwo ein Fahrzeug, mit dem der Mann möglicherweise hergekommen ist? Er wird ja nicht zu Fuß gekommen sein, dafür scheint mir die Gegend ein bisschen zu abgelegen.«

»Kein Fahrzeug bisher, aber ich habe noch eine Beobachtung gemacht …«, fing Kollege Basler an, wurde aber sofort von Rosi unterbrochen.

»Lass doch den Mist, das ist doch nur Herumraterei!«

»Nein, sagen Sie ruhig, was Sie beobachtet haben.« Häberle wusste aus Erfahrung, je mehr Ideen, Vermutungen und Varianten zu einem Tathergang geäußert wurden, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass zwischen all den abstrusen Theorien eine Spur gefunden werden konnte, die tatsächlich etwas zu den Ermittlungen beitrug.

Der Beamte, er war um einiges jünger als Kollege Rosi, wie Häberle jetzt sah, druckste ein bisschen herum. »Also, ich habe einen Neffen, mit dem war ich mal wandern, hier im Schwarzwald. Oben am Belchen, sehr schön da. Jedenfalls hat der so ein Spiel gespielt, da muss man mit GPS-Daten kleine Dosen und andere Dinge im Wald finden, Geocaching heißt das. Und die Dose da, die vor der Leiche auf dem Boden liegt, die sieht genauso aus wie ein paar der Dosen, die mein Neffe bei der Wanderung gefunden hat.«

Häberle sah erst ihn und dann die Dose an, auf die er nun leuchtete. Von Geocaching hatte er schon mal gehört, aber sich nie näher damit befasst. Es schien ihm etwas für Nerds zu sein, und er brauchte bestimmt kein GPS-Spiel, um raus in die Natur zu gehen und sich dort wohlzufühlen. »Haben Sie sich die Dose denn schon genauer angeschaut?«

»Nein, wir warten ja auf die Spurensicherung«, erwiderte Basler.

Häberle überlegte kurz. Der Mann hatte recht, aber es war jetzt kurz nach zwei Uhr nachts, ihm war kalt, und er hatte keine Lust, hier ewig herumzustehen und Däumchen zu drehen, während sie auf die Spusi warteten. Also zog er sich Einweghandschuhe an. Die Leiche würde er den Kollegen überlassen, aber in die Dose wollte er hineinschauen. Vielleicht ließ sich der Mord ja schnell klären, vielleicht ging es um Drogen und hier war eine Übergabe schiefgegangen. Vorsichtig nahm er die Dose hoch und leuchtete auf den Deckel.

»Dies ist eine Geocaching-Dose, kein Müll. Bitte liegen lassen. Weitere Infos unter www.geocaching.com«, war auf einem Aufkleber zu lesen. Na, das ist ja einfach, dachte Häberle und musste fast lachen. Wenn nur alles an einem Tatort immer so gut beschriftet wäre.

Dennoch wollte er jetzt auch wissen, was in der Plastikdose war. Sie war auf allen vier Seiten mit einem Klappmechanismus gesichert, die Häberle einen nach dem anderen öffnete. Dann nahm er den Deckel langsam ab und faltete den Zettel, der darin lag, auseinander.

»Herzlichen Glückwunsch zum FTF, Taubenhaucher!«, las er. Es war in einer etwas krakeligen Handschrift geschrieben worden. Und darunter stand ein wenig kleiner: »Und falls du nicht Taubenhaucher bist, dann doppelten Glückwunsch zum FTF, du hast dich offenbar extrem beeilt.« Dahinter mehrere gezeichnete Smileys. Häberle runzelte die Stirn. Er hoffte, dass irgendjemand etwas mit dem Text anfangen konnte, er konnte es jedenfalls nicht.

Aber da lag noch mehr in der Dose, eine kleine Spielzeug-Kuckucksuhr aus Plastik, ein Ikea-Bleistift, so etwas Ähnliches wie eine Medaille und drei Figuren aus Überraschungseiern. Also wer aus dem Zeug ein Motiv oder sonst etwas Nützliches für den Fall bastelt, der darf später dieses Medaillendings behalten, dachte Häberle ratlos.

»Kollege, kommen Sie doch mal her«, rief er. »Schauen Sie mal, sahen die Inhalte der Geocaches damals bei Ihrem Neffen auch so aus?«

Der Beamte trat vorsichtig näher und schaute Häberle über die Schulter. »Ja, schon irgendwie«, sagte er zögernd. »In der Kuckucksuhr ist vermutlich das sogenannte Logbuch, darin trägt man sich mit seinem Namen und dem Datum des Fundes ein, wahrscheinlich ist dafür der Bleistift gedacht.« Er überlegte kurz. »Ich glaube, das Spielzeug kann man tauschen, hat mir mein Neffe damals erklärt. Falls man Kinder dabeihat, damit die auch Spaß am Suchen haben. Aber was die Medaille sein soll, weiß ich nicht.«

»Aha«, meldete sich Rosi aus dem Hintergrund, »und warum sucht man so etwas bitte schön mitten in der Nacht?«

Basler runzelte die Stirn. »Keine Ahnung. Vielleicht gibt es da irgendwelche Regeln. So genau kenne ich mich auch nicht aus.«

Häberle wollte noch etwas fragen, als er auf dem Waldweg das Licht einer Taschenlampe näher kommen sah. »Gut, die Spurensicherung ist da. Na, dann hoffen wir mal, dass sie was findet.« Etwas ungelenk richtete er sich auf – ein weiteres Indiz dafür, dass er tatsächlich so langsam auf die fünfzig zuging und noch ein paar Kilo abnehmen musste – und machte sich nicht die Mühe, die Dose wieder möglichst genau an die vorherige Stelle zu legen. Die Kollegen würden sowieso sofort sehen, dass sie bewegt worden war.

»Einen schönen guten Morgen, wo ist meine Leiche?«

Häberle hatte in seiner kurzen Zeit in Freiburg schon viel vom Chef der Abteilung Spurensicherung gehört, ihn aber noch nicht persönlich kennengelernt. Unter anderem hieß es über Manuel Palmer, dass er sehr gewissenhaft arbeite und immer gut gelaunt sei. Zumindest die zweite Behauptung konnte der Kommissar schon mal bestätigen. Wenn man mitten in der Nacht zu einer Leiche in einen kalten und feuchten Wald gerufen wurde und dabei mit einem fröhlichen Grinsen einem nach dem anderen der Anwesenden die Hand reichte, konnte einem wohl wirklich gar nichts die Stimmung verderben.

Dann stand er vor Häberle, wobei sie sich fast in die Augen schauen konnten, Palmer war höchstens fünf Zentimeter kleiner als er. Ansonsten sah er sportlich und durchtrainiert aus, obwohl er sicher schon auf die sechzig zuging, trug eine randlose Brille mit kleinen Gläsern und hatte einen modischen blauen Anorak an, der einen starken Kontrast zu der roten Pudelmütze auf seinem Kopf bildete, die selbst gestrickt und sehr alt aussah.

»Hallo, Palmer mein Name, Spurensicherung. Und Sie sind wahrscheinlich Hauptkommissar Häberle. Na, ich verkneife mir zu dieser frühen Stunde jetzt mal die Schwabenwitze. Aber ich habe einige auf Lager!« Damit drehte er sich zum Tatort um. »Aha, wie ich sehe, wurde hier einigermaßen großflächig abgesperrt, das lobe ich mir. Trotzdem bitte ich jetzt mal die Herren zu mir auf den Waldweg, damit wir uns in aller Ruhe umsehen können.«

Die beiden Beamten traten aus dem Wald, wobei Basler seinem Kollegen Rosi ein »Siehst du, großflächig« zuflüsterte.

Vom Parkplatz kamen zwei weitere Männer und eine Frau den Weg entlang, jeweils mit einem großen Strahler in den Händen.

»Prima, da sind ja die Strahler, dann leuchten wir mit denen jetzt mal strahlenderweise auf den Toten. Bitte immer denselben Pfad vom Waldweg zum Tatort nehmen, dann können wir bei Tageslicht später auch die weitere Umgebung absuchen, ohne dabei nur unsere eigenen Schuhabdrücke zu finden.«

Palmer war inzwischen bei der Leiche in die Hocke gegangen. »Na, die scheint mir ziemlich frisch zu sein, die zuckt ja fast noch!«

Wenn es das Opfer auch nicht tat, Häberle zuckte dafür umso mehr zusammen. Die Leute von der Spurensicherung hatten oft ihre sehr eigene Art von Humor, und Palmer schien da keine Ausnahme zu sein. Trotzdem kam Häberle immer wieder an seine Grenzen, wenn es darum ging, für die derben Sprüche Verständnis zu zeigen.

»Wann wurde der Tote denn gemeldet?«, fragte Palmer.

Häberle schaute auf seinem Smartphone unter den eingegangenen Anrufen nach. Der Kollege vom Bereitschaftsdienst hatte ihn um ein Uhr zweiundzwanzig aus dem Schlaf gerissen und gesagt, die Zeugin sei gerade bei ihm auf der Wache und er habe schon die Kollegen hochgeschickt, die den Fund einer Leiche bestätigt hätten. Er überschlug kurz die benötigten Fahrtzeiten. »Gemeldet wurde er wohl ein paar Minuten nach Mitternacht, gefunden kurz davor«, sagte er dann.

Rosi und Basler nickten zustimmend.

»Aha. Da hat der glückliche Finder den Mörder, und für mich sieht es definitiv nach Mord aus, mit ziemlicher Sicherheit nur ganz knapp verpasst«, sagte Palmer. »Die Leiche ist noch nicht mal ganz kalt, trotz der niedrigen Außentemperatur, keine Spur von Leichenstarre also. Das wird der Kollege Gerichtsmediziner bestimmt bestätigen. Ein kleines bisschen schneller, und man hätte sogar überlegen können, ob Straßensperren Sinn machen. Wobei, hier oben in Freiamt gibt es wahrscheinlich Dutzende Zufahrtswege, da hätte man schon Glück haben müssen.«

Palmer ging um die Leiche herum. »Also, auf den ersten Blick skizziere ich mal folgendes Szenario – natürlich wie beim Lotto alles ohne Gewähr: Das Opfer saß hier in der Hocke, Gesicht in Richtung Straße. Der Täter kam von hinten und hat dem Opfer mit einem schweren stumpfen Gegenstand, mit dem er Schwung holen konnte – möglich wäre hier der ach so beliebte Baseballschläger –, mit voller Wucht den hinteren Teil des Schädels zertrümmert. Der eine Schlag genügte, und das wusste der Mörder wohl auch, denn es gab keinen zweiten Schlag. Wie er auf dem Waldboden mit dem vielen Laub und den Ästen so nah an sein Opfer herangekommen ist, ohne dass dieses etwas gehört und sich umgedreht hat, ist mir allerdings ein Rätsel. Möglicherweise waren sie zusammen hier und das Opfer hat einfach nicht mit einem Angriff gerechnet. Aber vielleicht finden wir später bei Tageslicht ja noch ein paar Hinweise, die eine logische Erklärung liefern.« Zufrieden schaute er Häberle an.

Der schaute nachdenklich zurück. »Der Schlag wurde also mit solch einer Wucht ausgeführt, dass der Täter keinerlei Zweifel am Tod des Mannes hatte. Das spricht für Vorsatz und eine Tat ohne Skrupel. Kein Zögern, ein Plan wurde rigoros durchgeführt.«

Palmer schmunzelte. »Nicht schlecht! Keine Spuren, kein Motiv, keine Verdächtigen, aber Sie haben schon ein Psychogramm fertig. Gefällt mir, der Schwabe, gefällt mir gut!«

Mit einem kleinen Lachen wendete sich Palmer ab und leuchtete mit seiner starken Taschenlampe in den Wald hinein. »Sie können dann übrigens gehen, wenn Sie wollen. Auch die Kollegen von der Streife. Die Leichenfledderer von der Rechtsmedizin dürften jeden Moment hier sein, um das Opfer mitzunehmen, wenn ich mit ihm fertig bin. Sobald ich was über deren Ergebnisse höre, gebe ich es an Sie weiter, Herr Häberle. Bitte noch unten den Weg absperren, auch in die andere Richtung. Ich habe keine Ahnung, wo der hinführt, aber nicht, dass mir da plötzlich ein paar Radler vorbeikommen, die auf dem Weg zur Arbeit eine Abkürzung durch den Wald nehmen. Ich schaue, dass bis … sagen wir, acht Uhr dreißig? … ein vorläufiger Bericht fertig ist.«

Häberle nickte. Das war ihm recht. Dann konnte er jetzt aufs Revier zu der Zeugin fahren, die den Toten gefunden hatte. »Alles klar, dann haue ich ab. Könnten Sie den Weg noch oben und unten mit dem Band absperren?«, fragte er in Richtung der beiden Streifenbeamten.

»Klar, machen wir. Wie viele Meter sollen wir denn hochlaufen?«, wollte Rosi wissen.

Häberle schaute zu Palmer.

»Schon so zweihundert Meter, wer weiß, wie weit mögliche Spuren hier auf dem feuchten Boden zu finden sind«, sagte der.

Die beiden machten sich auf den Weg, genau wie Häberle, nur ging er in die andere Richtung, zu seinem Wagen.

Er war noch keine hundert Meter gelaufen, als er einen der beiden Beamten laut rufen hörte: »Hallo, Herr Kommissar, Herr Palmer, hier steht ein Fahrrad!«

Sofort machte Häberle kehrt. Vielleicht war das ja schon die Antwort darauf, wie das Opfer zum Tatort gekommen war. Palmer wartete am Weg auf ihn und lief mit ihm mit. Schon nach vierzig Metern sahen sie das Fahrrad, es stand am Wegrand, die beiden Polizisten strahlten es mit ihren Taschenlampen an.

»Oha, das ist ja mal ein schickes Teil«, war Palmers Kommentar zu dem Rad. Womit er recht hatte. Da stand ein ziemlich neu aussehendes Pedelec, mit dem Vorderrad Richtung Tatort, schwarz-rot, Komplettausstattung mit Lichtanlage, Schutzblechen und Gepäckträger. Es sah ziemlich teuer aus.

»Okay«, sagte Häberle. »Gehen wir mal davon aus, dass der Mörder auf der Flucht nicht sein Rad zurückgelassen hat, sondern dass das Opfer damit hergekommen ist. Die Frage, die sich mir stellt, ist dann, von wo ist er denn bitte schön mitten in der Nacht auf diesem Waldweg gekommen?«

»Ich kenne mich durch meine Mountainbike-Touren hier ein bisschen aus«, sagte Kollege Basler, der sich auch schon beim Thema Geocaching mit ein bisschen Fachwissen hervorgetan hatte. »Wenn mich nicht alles täuscht, kann man den Weg als Abkürzung zwischen Freiamt-Sägplatz und Ottoschwanden nehmen, dann muss man nicht über Freiamt-Mußbach fahren und spart sich ein paar Höhenmeter.«

Für Häberle klangen die Ortsnamen alle fremd, aber die Erklärung fand er einleuchtend.

»Gut. Herr Palmer, Sie kümmern sich bitte auch um das Fahrrad, ich fahre jetzt erst mal zu der Zeugin und befrage sie. Bevor wir versuchen, über Rahmennummer oder Geocaching und was weiß ich den Namen des Opfers herauszubekommen, hoffen wir doch einfach mal, dass sie uns weiterhilft. Es kann ja schließlich kein Zufall sein, dass sie und das Opfer mitten in der Nacht fast zur selben Zeit an so einem abgelegenen Ort sind. Herr Palmer, wenn Sie bei der Leiche einen Hinweis auf die Identität finden, am liebsten Portemonnaie mit Perso, Krankenkassenkärtchen, Stadtbibliotheksausweis und unterschriebenem Drohbrief, melden Sie sich bitte gleich.«

Die drei Beamten nickten zustimmend und lächelten pflichtschuldig über seinen schlechten Witz.

»Wir sehen oder hören also später voneinander, bis dann.«

***

Der diensthabende Polizist schaute erleichtert auf, als der Hauptkommissar das Revier betrat. Häberle hatte nur fünfzehn Minuten nach Emmendingen gebraucht, war dann aber erst zum falschen Polizeirevier gefahren. Google Maps hatte ihm eins im Westen der Stadt angezeigt, wo es hinter den Fenstern dunkel gewesen war, also war er erst etwas ziellos durch die Stadt gefahren, um dann Google verfluchend auf einem Parkplatz am Bahnhof ein paar Minuten das Internet zu durchkämmen. Schließlich hatte er das richtige Revier lokalisiert und fünf Minuten später vor dem schmucklosen Betonbau geparkt.

»Kommissar Häberle? Gott sei Dank, jetzt bin ich aber froh«, empfing ihn der Beamte. »Die Dame sitzt nebenan, heult ununterbrochen, will dauernd telefonieren, und ich weiß echt nicht, was ich noch machen soll.«

»Na, sie zum Beispiel telefonieren lassen, Herr Ehring. Die Frau ist ja schließlich keine Verdächtige und hat sich nach bisherigem Wissensstand nichts zuschulden kommen lassen.« Er schaute den Kollegen genervt an.

Der ging gleich in Verteidigungsstellung. »Ja, aber das wusste ich ja nicht! Sie erzählt von einer Leiche im Wald, mitten in der Nacht, verdreckte Schuhe, ist völlig aufgelöst, da geh ich doch vom Schlimmsten aus. Außerdem bin ich nicht Herr Ehring, der ist, gleich nachdem er Sie angerufen hatte, mit der Streife los zu einem Unfall. Mein Name ist Hansen.«

Häberle seufzte. »Warum denn vom Schlimmsten? Verstehe ich nicht. Haben Sie ihr zumindest etwas zu trinken angeboten?«

»Sie wollte nichts«, antwortete der Beamte schmallippig.

Häberle ging am Schalter vorbei zu einer in der Ecke stehenden Kaffeemaschine. Die Kanne war noch gut gefüllt, wie er beim Anheben merkte. »Darf ich?«, fragte er in Richtung des Beamten. Der nickte nur. Häberle nahm zwei Tassen aus einem Regal über der Maschine, steckte sich ein paar Zuckertütchen in die Hosentasche, öffnete dann den kleinen Kühlschrank unter der Anrichte, auf der die Kaffeemaschine stand, und nahm eine angestochene Dose Kondensmilch heraus. Er roch misstrauisch daran und klemmte sie sich dann unter den Arm. »Wie heißt die Dame denn? Haben Sie schon mit ihr gesprochen? Und wo finde ich sie?«

»Sie heißt Elena Müller und kennt das Opfer anscheinend, auch wenn ich aus dem Namen, den sie immer wieder genannt hat, nicht schlau geworden bin. Ich dachte, sie soll sich erst mal beruhigen, und dann übernehmen Sie die Fragen. Sie sitzt im Vernehmungsraum, hier durch den Flur und dann die zweite Tür rechts.«

Häberle schüttelte den Kopf. Nach einem Leichenfund mitten in der Nacht allein in einem Raum auf einem Polizeirevier sitzen, nicht telefonieren dürfen, aber sich beruhigen sollen. Das dürfte schwierig sein. Wortlos ging er den Flur entlang und klopfte dann an die zweite Tür rechts, bevor er eintrat.

Eine verängstigte Frau, Anfang dreißig, schätzte Häberle, sah ihn mit großen und verheulten Augen an.

»Frau Müller? Hallo, ich bin Hauptkommissar Häberle von der Mordkommission Freiburg. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«

Sie schien erleichtert. »Ja. Natürlich. Aber darf ich bitte erst meinen Mann anrufen? Er macht sich bestimmt furchtbare Sorgen.«

»Selbstverständlich können Sie Ihren Mann anrufen, soll ich so lange hinausgehen?«

»Nein, nicht nötig, aber ich bräuchte mein Handy, das hat mir Ihr Kollege weggenommen.«

Einen kurzen Augenblick schaute Häberle sie wortlos an. Dann drehte er sich mit einem »Augenblick bitte« um und ging zurück in den Empfangsraum.

»Sind Sie eigentlich völlig wahnsinnig, einer Frau, die hierherkommt, um einen Mord zu melden, ihr Smartphone abzunehmen und sie dann mehr oder weniger in einem Raum einzusperren?« Er musste sich sehr zurückhalten, um nicht zu brüllen, aber laut war er trotzdem geworden.

Hansen musste sich kurz sammeln. »Ja klar, jetzt ist das falsch, aber wenn ich ihr das Handy gelassen und sie einen Komplizen angerufen hätte, damit der Spuren verwischt, dann wäre es natürlich die einzig richtige Vorgehensweise gewesen, es ihr abzunehmen! Es ist doch immer das Gleiche!«

Häberle ermahnte sich zur Ruhe. »Passen Sie auf. Wenn sie das hätte tun wollen, hätte sie es ja vermutlich gemacht, bevor sie auf die Wache kam, wobei sie dann wohl gar nicht erst gekommen wäre. Und zudem hätte es eine ganz einfache Möglichkeit gegeben, einen solchen Anruf hier von der Wache aus zu verhindern. Sie hätten sich einfach zu ihr setzen können! Wo ist das Handy?«

Wortlos zeigte Hansen auf einen Schreibtisch neben der Tür, auf dem, wie Häberle jetzt sah, ein Smartphone lag. Ebenfalls wortlos nahm er es und ging zurück zu Frau Müller.

»Entschuldigen Sie bitte vielmals, Frau Müller, der Kollege hatte kein Recht, Ihnen das Handy wegzunehmen und Sie nicht telefonieren zu lassen. Bitte, rufen Sie Ihren Mann an.«

Ein bisschen weniger ängstlich nahm Frau Müller ihr Smartphone entgegen. Während sie anrief und darauf wartete, dass am anderen Ende jemand dranging, zog sich Häberle diskret in eine Ecke des Raums zurück und betrachtete dort die Wand. Natürlich konnte er trotzdem jedes Wort hören.

»Rainer? Ja, ich bin’s. … Ja, mir geht’s gut. Ich bin in Emmendingen auf der Polizeiwache. … Nein, mir geht’s gut, aber Taubenhaucher ist tot!« Sie wurde von einem Schluchzen geschüttelt, so als ob das Aussprechen der entsetzlichen Tatsache ihr wieder bewusst gemacht hätte, dass das hier kein Alptraum, sondern die Realität war.

Häberle hörte aufmerksam zu. Sie kannte also wie vermutet das Opfer, auch wenn er wie Kollege Hansen mit dem seltsamen Namen, den er bereits auf dem Zettel in der Dose gelesen hatte, nichts anfangen konnte. Vielleicht ein Spitzname?

»Jetzt hör doch auf zu schimpfen! Jajaja, blödes Geocaching, ich kann es nicht mehr hören, kannst du einmal etwas sensibler sein? Ich habe gerade einen toten Mann mitten im Wald gefunden!« Kurz war sie ruhig. »Nein, ich war bei dem Cache, wir hatten uns da verabredet. Als er nicht kam, bin ich alleine vorausgegangen, und als ich bei den Koordinaten war, lag er da, direkt neben der Dose.«

Jetzt musste Häberle doch eingreifen. »Frau Müller? Bitte keine Einzelheiten, und Ihr Mann soll es bitte nicht weitererzählen, bevor wir die Angehörigen informiert haben. Sie können bald nach Hause und ihm alles erzählen, okay?«

Sie nickte. »Rainer? Ich kann jetzt nicht viel mehr sagen, der Polizist hier sagt, sie müssen erst noch Christophs Familie benachrichtigen.« Sie hörte kurz zu. »Warum soll ich denn bitte verdächtig sein? Und warum du? Kannst du mal bitte nicht nur an dich und deine dir ach so wichtige Ruhe denken? Ein Mensch ist tot!« Wieder war es kurz still. »Moment, ich frage.« Sie schaute Häberle an. »Wann kann ich denn ungefähr gehen?«

Er sah auf die Uhr. Zwei Uhr fünfzig. »Spätestens um vier Uhr, ich kann Sie dann auch gerne nach Hause bringen, falls Sie sich nicht in der Lage sehen, selbst zu fahren. Ist das für Sie in Ordnung?«

Frau Müller sprach wieder ins Handy. »Der Polizist sagt, dass ich spätestens um vier Uhr gehen kann. Kannst du mich dann holen?« Kurze Pause. »Echt jetzt? Seit wann ist es dir denn so wichtig, rechtzeitig zur Arbeit zu kommen? Pass mal auf, entweder du holst mich hier ab, oder ich gehe ins Hotel, und da bleibe ich dann auch erst mal!« Frau Müller nahm das Smartphone vom Ohr und drückte auf die Fläche mit dem roten Telefonhörer. Sie schüttelte wütend den Kopf und schaute nach kurzem Durchatmen auf. »Okay, ich wäre dann so weit.«

Häberle nickte. So unangenehm das Gespräch für sie auch gewesen sein musste, schien es sie zumindest auf komplett andere Gedanken gebracht zu haben. Sie wirkte plötzlich sehr ruhig, die Ängstlichkeit in ihrem Blick war verflogen, sie machte nun eher einen genervten Eindruck.

»Kommen Sie, setzen wir uns an den Tisch. Ich habe Kaffee mitgebracht, wenn Sie einen wollen. Milch? Zucker?«

»Beides bitte. Und ein Schnaps wäre schön, aber dafür bin ich hier wohl an der falschen Adresse.«

Er grinste mitfühlend, schenkte dann die zwei Tassen voll, schob eine der beiden sowie die Kondensmilch und die Zuckertütchen zu der Zeugin hinüber und lehnte sich zurück. »Also, Frau Müller. Dann erzählen Sie mal. Was macht man um Mitternacht mitten im Wald? Und wer ist Taubenhaucher?«

***

Er fühlte sich großartig. Er hatte es tatsächlich getan! Und es war überhaupt nicht schwierig gewesen, alles war genau nach Plan gelaufen, fast schon zu einfach! Christoph war wirklich direkt nach der Veröffentlichung zu dem neuen Cache gekommen, mitten in der Nacht, mitten im Wald, er hatte nur etwa eine Stunde warten müssen, phantastisch! Von wegen Idiot, von wegen zu nichts nutze! So einen perfekt ausgeklügelten Plan sollte ihm erst mal jemand nachmachen!

Er warf einen Blick auf das Tachometer seines Autos. Jetzt bloß nicht zu schnell fahren, hier war in den Ortschaften überall Dreißigerzone, wie dumm wäre es, um diese Uhrzeit geblitzt zu werden und dadurch aufzufallen.

Kurz hatte er gedacht, dass sein Plan scheitern würde, als sein Opfer aus derselben Richtung gekommen war, in der er sein Auto abgestellt hatte. Aber Christoph war trotzdem direkt zu dem Geocache gelaufen, auch wenn er kurz »Hallo? Jemand auf FTF-Jagd?« in den Wald gerufen hatte. Und auch seine Befürchtung, dass Christoph erst noch eine Weile auf der Suche nach dem Cache durch den Wald stolpern, ihn dabei zufällig entdecken und die Situation eskalieren und unschön werden würde, war nicht eingetreten. Er war wirklich direkt Richtung Cache gelaufen, war an ihm vorbeigegangen und hatte sich mit dem Rücken zu ihm niedergekniet. Fast schon so, als wollte er ihn auffordern, den Plan zu Ende zu bringen und ihm den Baseballschläger über den Schädel zu ziehen. Wirklich kaum zu glauben, wie sauber das alles gelaufen war!

Mit einem Blick in den Spiegel versicherte er sich, dass er immer noch völlig allein auf der Straße war. Jetzt musste er nur aufpassen, dass alles weiterhin nach Plan lief. Er war sich sicher, dass er keine Spuren hinterlassen hatte, die zu ihm führen konnten. Natürlich würde die Polizei Fußabdrücke finden, aber die Schuhe, die er anhatte, hatte er vor zwei Monaten auf einem Flohmarkt gekauft, und in Kürze würden sie zusammen mit dem Baseballschläger, dem schwarzen Overall und der schwarzen Sturmhaube in einer alten Öltonne verbrennen, und die Öltonne würde er dann ein paar hundert Kilometer entfernt entsorgen. Die Reifenspuren seines Autos wiesen keinerlei Auffälligkeiten auf, es machte also nichts, wenn die Polizei seinen Fußabdrücken bis zu der Stelle an der Straße folgen würde, an der er es abgestellt hatte. Und sein Smartphone hatte er vorsichtshalber gleich zu Hause gelassen, schließlich hatte er schon genügend Krimis gesehen, um zu wissen, dass darüber die Aufenthaltsorte des Besitzers ermittelt werden konnten. »Tja, das war wohl ein perfektes Verbrechen!«, sagte er laut und grinste zufrieden, während er auf die Autobahn fuhr und endlich Gas geben konnte.

***

»Ich bin Geocacherin. Genau wie Christoph einer ist. So heißt Taubenhaucher richtig. Hieß. War.«

Häberle wunderte sich immer wieder darüber, wie sehr Zeugen bei Vernehmungen zu einem Mord darauf achteten, die Vergangenheitsform zu benutzen, wenn es um das Opfer ging. Doch ihm sollte es egal sein. Er schaute Elena Müller mit ernstem Gesicht an und hörte zu.

»Gestern um kurz vor dreiundzwanzig Uhr hatte er mir eine WhatsApp geschickt. Ob ich Lust auf einen FTF hätte. Dazu den Link zu einem gerade erst veröffentlichten Cache, gar nicht weit entfernt von Malterdingen, wo ich wohne. Also habe ich zurückgeschrieben, dass ich dabei bin, habe mich warm angezogen und bin gleich losgefahren.«

Eigentlich ließ Häberle die Zeugen immer sprechen, bis sie nichts mehr zu erzählen wussten, aber diese Geocaching-Sache war für ihn etwas, von dem er keine Ahnung hatte. »Kann ich die WhatsApp mal sehen?«, fragte er deshalb.

»Natürlich.« Frau Müller zog ihr Smartphone aus der Tasche, wischte ein paarmal über den Bildschirm und wollte es ihm gerade geben, als sie es stirnrunzelnd noch mal zurückzog. »Er hat noch mal geschrieben. Die Nachricht kam aber erst um null Uhr sechzehn bei mir an, da war ich auf dem Weg zur Polizei. Wie kann das sein?« Sie sackte in sich zusammen und fing wieder an zu schluchzen. Die Wut auf ihren Mann war in den Hintergrund getreten.

Behutsam nahm Häberle ihr das Handy aus der Hand. »Darf ich schauen?«

Sie nickte nur. Schnell überflog Häberle die Konversation:

22:54Uhr: »Hallo ElmiRa, Lust auf einen FTF? Kam gerade rein, 23:30Uhr an den Parkplatz-Koordinaten? Gruß Taubenhaucher.«

Dazu ein Link zu einer Internetseite, so wie die Zeugin es ihm gerade erzählt hatte.

22:59Uhr: »Klar, bin dabei und mache mich gleich auf den Weg! Gruß ElmiRa«.

Und dann war da tatsächlich noch eine Nachricht.

23:24: »Mist, wird wohl nur ein STF. Gehe schon mal zum Cache. Bis gleich!«

Häberle überlegte kurz. »Hatten Sie da oben Empfang?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Dann wurde die WhatsApp wohl erst zugestellt, als Sie aus dem Funkloch raus waren.«

Elena Müller nickte. Das war wohl die einzig logische Erklärung.

»Darf ich mir den Link zu dem Cache weiterleiten, Frau Müller? Dann haben Sie auch gleich meine Nummer, falls Sie noch Fragen haben oder falls Ihnen noch etwas einfällt. Und entschuldigen Sie bitte, aber Sie müssen mir hier helfen, ich kenne diese Abkürzungen ja nicht. ElmiRa und Taubenhaucher sind Ihre Namen, die Sie beim Geocachen verwenden, nehme ich an. In diese Welt werde ich mir morgen gleich mal eine Einweisung geben lassen. Können Sie mir fürs Erste aber mal erklären, was FTF und STF bedeuten? Das scheint Ihnen und Ihrem Freund ja sehr wichtig zu sein.«

Frau Müller nickte kurz und versuchte sich wieder zu beruhigen, während Häberle sich den Link weiterleitete.

»Wichtig ist das eigentlich nicht, Geocaching ist ja nur ein Spiel, aber ein paar Cacher nehmen es eben etwas ernster als andere. FTF bedeutet ›First to Find‹, also man ist der Allererste, der sich in ein neues Logbuch einträgt. Es gibt ein paar FTF-Jäger, Christoph ist – war – da einer der aktivsten. Hier in der Gegend war er eigentlich fast immer der Erste, der einen Cache fand. Das liegt auch daran, dass er zu jeder Uhrzeit und bei jedem Wetter loszog, wenn ein neuer Cache veröffentlicht wurde. Und STF bedeutet ›Second to Find‹. Das erklärt sich ja von alleine.«

Häberle nickte, aber nur, um irgendeine Reaktion zu zeigen, nicht, weil er es wirklich verstand. Er schüttete etwas Kondensmilch in die Tasse, nahm einen Schluck und konnte nicht verhindern, dass sich sein Gesicht zu einer angewiderten Grimasse verzog. Gab es eigentlich ein Gesetz, das besagte, dass es in Polizeigebäuden keinen vernünftigen Kaffee geben durfte? Soweit er sich erinnerte, hatte er jedenfalls noch nie welchen getrunken. Er stellte die Tasse wieder ab und schob sie von sich weg.

»Okay. Und Sie hatten sich also für einen FTF verabredet. Machten Sie und Taubenhaucher das denn öfters zusammen?«

»Nein, überhaupt nicht. Ich hatte Taubenhaucher vor einer Weile auf einem Geocacher-Event getroffen und ihm erzählt, dass ich oft zu spät für einen FTF komme, auch deshalb, weil mein Mann mit meinem Hobby nichts anfangen und ich mich meistens einfach nicht überwinden kann, mitten in der Nacht alleine rauszugehen. Und da hat er mir angeboten, mich mal mitzunehmen. So kam das dann.«

Häberle schaute sie nachdenklich an. »Als Taubenhaucher geschrieben hat, dass es wohl nur ein STF wird – wie kam er zu der Annahme?«

»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich wurde schon der erste Found geloggt, während er auf mich gewartet hat.«

»Entschuldigung, aber auch das verstehe ich nicht.«

Frau Müller lächelte schwach. »Der Cache wird im Internet veröffentlicht, auf der Geocaching-Seite. Da stehen dann meist ein paar Hintergründe, warum der Cache gelegt wurde und warum an dieser Stelle, welches Schwierigkeitslevel das Versteck und das Gelände haben, und manchmal auch noch ein Hinweis. Wenn man den Cache gesucht und gefunden hat, kann man diesen Cache loggen, bei Erfolg als »Found«, wenn es nicht geklappt hat als ›Not found‹. Und da sieht man dann eben, ob schon jemand erfolgreich war oder nicht.«

Ihr schien es gutzutun, das Spiel zu erklären, die Ablenkung sorgte wohl dafür, dass sie nicht ununterbrochen daran denken musste, dass sie vor wenigen Stunden keinen Cache, sondern eine Leiche gefunden hatte.

»Aber dazu muss man online sein, oder? Und wir haben ja gerade festgestellt, dass es da oben kein Netz gibt, nicht wahr?«

»Das stimmt. Aber vielleicht hat Taubenhaucher einen anderen Netzbetreiber. Um den Cache zu finden, heimzufahren und von dort zu loggen, war die Zeit zwischen der Veröffentlichung und der Zeit unseres Treffens eigentlich zu kurz.« Sie überlegte kurz. »Vielleicht hat er ja auch irgendwo ein Auto gesehen und sich gedacht, dass es Geocacher sind. Keine Ahnung.«

»Wir werden das überprüfen. Aber apropos Auto, Frau Müller«, unterbrach Häberle sie in ihren Überlegungen. »Wir haben ein Pedelec in der Nähe des Fundorts entdeckt. Könnte das Taubenhaucher gehört haben?«

Sie sah ihn mit großen Augen an. »Ja! Er hatte eins, erst seit Kurzem, soviel ich weiß. Bei Caches, die nicht weit von ihm zu Hause entfernt veröffentlicht wurden, ließ er sein Auto in letzter Zeit wohl stehen und nahm das Rad.«

»Okay, dann ist das schon mal geklärt, danke schön. Wie gut kannten Sie denn Christoph, Frau Müller? Was können Sie mir über ihn sagen? Nachname, Wohnort, Familienstand?«

»Also ich weiß, dass er Christoph Wacker heißt und irgendwo in Freiamt wohnt. Hieß. Wohnte. Er war noch keine sechzig Jahre alt, arbeitete aber nicht mehr, keine Ahnung, ob er arbeitslos war oder genug Geld hatte oder sonst was. Und er war alleinstehend, keine Frau, keine Kinder. Das weiß ich sicher, darüber haben wir mal geredet, bei einem Event.«

Häberle hatte sich Notizen gemacht. »Jetzt zum Fundort, Frau Müller. Können Sie mir beschreiben, was Sie genau gesehen haben? Haben Sie gleich erkannt, dass es Herr Wacker ist? Und haben Sie vielleicht etwas gehört, als Sie warteten und dann hinliefen? Irgendetwas?«

»Nein, ich kann mich nicht erinnern, etwas gehört zu haben. Ich bin zu den Koordinaten des Cache gelaufen, weil Taubenhaucher nicht auftauchte und ich fror und nach Hause wollte. Als ich dort war, habe ich gleich die Dose gesehen …«, sie stockte kurz, »… und eine Hand. Und dann bin ich auch schon weggerannt, ins Auto gesprungen und hierhergefahren.«

Häberle runzelte die Stirn. »Aber Sie haben schon erkannt, wer da lag? Und dass er tot war. Oder?«