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Mit einem Schlag war Saschas Leben aus allen Fugen geraten, denn durch einen Autounfall verunglückte seine Frau so schrecklich, dass sie klinisch tot war.
Da saß er nun am Krankenbett seiner einzigen großen Liebe. Darüber hinaus stand Sara auch noch kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes, das jetzt per Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden und ohne seine Mutter aufwachsen musste.
In den letzten Minuten an ihrer Seite zog ihr ganzes gemeinsames Leben an ihm vorbei. Eine Sandkastenliebe, die nicht wunderbarer hätte sein können. Aus und vorbei!
Nur mit viel Arbeit und der Hilfe seiner Mutter, bei der Versorgung seiner Tochter, bezwang er das erste Jahr nach ihrem Tod.
Der Gedanke je eine neue Beziehung einzugehen, geschweige denn eine andere überhaupt anzusehen … nichts lag ferner.
Auch der spontane Urlaubstrip brachte ihn nicht auf die Idee dem weiblichen Geschlecht mehr Beachtung zu schenken. Selbst die vier netten Mädels, die um seine Gunst buhlten, reizten ihn nicht sonderlich.
Erst der grünäugige Blick einer schwarzhaarigen Giftnatter, die vor seiner Nase im Pool auftauchte, erweckte seine Neugier.
Doch die freche Zicke war verlobt.
Wer meine erotischen Werke kennt, weiß, ich schreibe kurz und knackig. Allen Lesern, die lieber langwierige Liebesschnulzen lesen wollen ... bedienen sich besser bei anderen Autoren ;-)
Allen anderen Lesern ... wünsche ich eine gute Unterhaltung!
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Veröffentlichungsjahr: 2015
Was sollte diese gottverfluchte und unfaire Fügung anderes bringen als seinen persönlichen Weltuntergang? Warum musste es ausgerechnet sie treffen? Warum lag nicht er hier in diesem Krankenbett?
Niemals hatten sie sich solch ein Schicksal ausgemalt.
Nun saß Sascha hier und hielt Saras schlaffe, kühle Hand.
Tief in seinem Seelenloch gefangen, griffen die Erinnerungen aus guten Zeiten, ließen Bilder aufploppen, die er in seinen Gedankensprünge nicht unterdrücken konnte …
Gerade suchte ihn dieses uralte Familienvideofilm heim, in dem sie beide im Garten saßen, knapp eineinhalb Jahre alt, sie hatte sich gegenseitig die Windel auszog und rannten lachend damit über die Wiese, während die erbeuteten Trophäen wild herumwedelt wurden.
So begann eine lebenslange Freundschaft …
Auch im Kindergarten kam keiner gegen dieses Gespann an, immer saßen sie nebeneinander, spielten ausgelassen in der Sandkiste.
Ein paar Jahre später brachten sie sich dann das Fahrradfahren ohne Stützräder bei und schenkten sich gegenseitig die wichtigsten geheimen Schätze für diesen Erfolg.
Und durch die ebenso beginnende Freundschaft ihrer Eltern waren viele Treffen daran Mitschuld, dass sie sich so oft sahen und dann auch auf dieselbe Schule gingen.
Nur zwischen der vierten und siebten Klasse mussten sich beide, während der Unterrichtszeit der Masse anpassen, denn mit dem anderen Geschlecht abzuhängen war verpönt.
Doch dafür gab es ja die Freizeit.
So vergingen die Jahre der Kindheit.
Beide begannen ihr Studium … natürlich auf dem gleichen Unigelände.
Sie wurde Grundschullehrerin, er Architekt.
Nachdem beide ihre Berufe eine Weile ausgeübt hatten, besiegelten sie ihre Beziehung mit einem Treueschwur vor dem Altar. Wenig später plante und baute er ein Eigenheim nach ihren gemeinsamen Wünschen. Dank seiner steilen Karriere und einem kleinen finanziellen Zuschuss seiner Eltern nahezu schuldenfrei …
Und erst als sie sich in ihrem Heim eingelebt hatten, begannen beide ihre familiäre Planung zu besprechen. Auch hier gab es keine Meinungsverschiedenheiten, Sara und Sascha wollte durch die Welt reisen, bevor ein Kind ihre kleine Familie ergänzen sollte.
So vergingen zwei folgenschwere Jahre, die sie umdenken ließen.
Im ersten dieser Jahre, starb Saras Vater bei einem Verkehrsunfall. Dieser Schock traf ihre Mutter so schwer, dass sie kaum nach der Beerdigung ihr Leben in Deutschland aufgab. Lediglich mit einem Koffer im Gepäck folgte sie Saras jüngerer Schwester Sindy, die drei Jahren zuvor als Au-pair Mädchen in die Staaten gezogen war, sich dort in einen Mann verliebt und ihn geheiratet hatte.
Kaum ein Jahr später starb Saschas Vater an Krebs.
Saschas Mutter, Frederike, blieb somit von ihren Elternteilen als einzige in ihrer Nähe.
Nach diesen schweren Schicksalsschlägen war Sara nicht mehr bereit zu warten, so viele schreckliche Ereignisse trieben sie in die schützenden Arme ihre Mannes.
Der Wunsch nach einem Kind wurde für sie immer übermächtiger, doch weitere Jahre zogen ins Land, bis Sara endlich mit zweiunddreißig einen positiven Schwangerschaftstest in Händen hielt. Endlich.
Beide gaben sich den ausgefallenen Gelüsten hin, sie den Gurken, er sich ihr. Nur über eine Sache wurden sie sich nicht einig, den zukünftigen Namen ihres Kindes.
Ewig ging es hin und her. Jonas oder Leon, Fiona oder Melodie.
Dieser liebevolle Zwist unter ihnen war nun so belanglos geworden wie ein einzelner Wassertropfen im Ozean.
In zwei Tagen wäre der voraussichtliche Termin ihrer Entbindung gewesen … und es lang nun drei Tage zurück, als sie von einem Auto erfasst wurde.
Etliche Stunden kämpften ein Ärzteteam um ihr Leben, bis feststand, dass sie hirntot und damit nicht mehr zu retten war. Im Grunde hätten die Schwangerschaft in diesem Stadium auch sofort beenden werden können, doch es mussten noch einige rechtliche Schritte und Vorbereitungen getroffen werden.
Nun tickten und klackten die Instrumente, die sie künstlich am Leben hielten.
„Herr Oppermeier, das Team steht bereit!“
Worte einer lieben Schwester, die mitfühlend in den letzten Stunden für seinen Seelenfrieden immer wieder an seiner Seite war, und doch ließen diese leisen Worte nun eine Gänsehaut über seinen Rücken laufen.
Sara hatte einen Organspendeausweis und nach der Entbindung würde auch sofort alles entnommen, was gebraucht wurde. Alle Listen waren durchkämmt und die Empfänger warteten…
Sicher, es half anderen Menschen … und doch …
Sascha ging dabei nur das makabere Wort ‚Schlachtfest‘ durch den Kopf … und es trocknete seine Kehle aus. Doch wozu bräuchte sie ihre Organe noch?
Damit man Saras Verletzungen nicht so offensichtlich sah, trug sie überall dicke Verbände. Ihr linkes Bein war bandagiert, sowie ihr linker Arm. Die wohl schlimmste Verletzung war am Kopf. Ihre braunen Haare waren abgeschoren und um das riesige Loch in ihrem Kopf zu verbergen, war auch dieser großteils eingewickelt.
Saschas Beine waren bleischwer, doch er musste vom Stuhl aufstehen, denn das Bett konnte sonst nicht bewegt werden.
Kaum dass er stand, beugte er sich über seine Frau, streichelte, wie er es immer tat, zärtlich über ihre Wange, worauf er sie dann auch folgend wie gewohnt küsste. Doch dieser letzte Kuss wurde nicht von ihr beantwortet. Nie wieder würde Sara ihre blauen Augen öffnen und ihn anstrahlen, wenn er ihr einen Kuss gab.
„Herr Oppermeier … ihr Baby … es muss nun geholt werde, damit ihre Frau ihren Frieden finden kann.“
Noch einmal nahm er ihre Hand in seine, führte sie an seinen Mund und hauchte ihr einen Kuss auf, dann nahm er widerwillig Abstand.
Da war er, der endgültige Abschied von seiner Sara, die er liebte wie sein eigenes Leben an ihrer Seite.
Zwei Pfleger machten sich daran, Saras Bett aus dem Intensivzimmer zu schieben.
Der leitende Oberarzt der Abteilung kam ins leere Zimmer. „Herr Oppermeier … möchten Sie dabei sein?“
Diese Frage hätte er vor ein paar Tagen noch mit einem klaren und glücklichen ‚Ja‘ beantwortet … nun schüttelte er energielos den Kopf.
„Ich warte … vor dem … OP“, würgte Sascha aus seinem staubtrockenen Hals hervor.
Mit dem ersten Schritt Richtung Tür merkte er erst, wie weich seine Knie wurden oder eher schon lange waren.
Nein, momentan war alles noch zu frisch, er dachte nicht an morgen.
Sein schwerster Gang lag nun vor ihm, doch er würde ihn gehen, denn eines blieb von ihr … ihre gemeinsame Tochter.
Kurz vor dem OP-Saal traf er auf seine Mutter, die ebenso nervlich betäubt alles in die Wege geleitet hatte, was nach der Entbindung mit Sara passieren würde, die Überführung ins Beerdigungsinstitut, dann die Verbrennung … und was noch erledigt werden musste.
Frederike nahm ihren Sohn in die Arme und zum ersten Mal flossen seine Tränen.
Dora, Saras Mutter würde nicht kommen können, sie lag mit einer schweren Lungenentzündung im Bett. Sindy, Saras Schwester mochte ihr in diesem Zustand auch noch nichts vom Ableben ihrer Schwester erzählen. Allein der Flug von Texas bis hierher hätte Dora das Leben kosten können.
So blieb Sascha mit seiner Mutter allein.
Freunden, Arbeitskollegen und Bekannten bekamen von Frederike Bescheid, sie sollten erst zur Beerdigung kommen. Sascha war ohnehin nicht in der Lage irgendwem auch nur zuzuhören.
„Mama, warum?“
Sie zog ihren Sohn dichter an sich. „Ich kann es dir nicht sagen“, summte sie ihm leise zu und auch ihre bitteren Tränen sickerten in seinen Pullover.
„Wie soll ich das nur ohne sie schaffen?“
„Junge, ich stehe dir zur Seite!“
Ja, das würde sie. Frederike lebte bereits auf, als sie von Saras Schwangerschaft erfahren hatte und freute sich wahnsinnig auf ihr erstes Enkelkind. Ihrer Oma-Pflicht entsprechend hatte Frederike sich auch schon dazu bereit erklärt, auf das Würmchen aufzupassen, wenn Sara wieder arbeiten gehen wollte.
Nun war alles mit einem Schlag hinfällig, doch damit würden sie lernen umzugehen.
Gerade mal zwanzig Minuten später kam eine OP-Schwester mit einem kleinen Bündel aus dem Kreißsaal, lächelnd dem winzigen Baby zu.
Frederike löste die Umarmung und drehte ihren Sohn. „Sie lebt in eurem Kind weiter.“
Er wollte ja, doch in dem Moment, als er sein Kind erblickte, sah er vor seinen Augen den ausgeweideten Körper seiner großen und einzigen Liebe. Der Frau, die er noch vor ein paar Tagen in den Armen hielt, ihr liebevoll über den Babybauch gestreichelt hatte.
Urplötzlich brach alles über ihm zusammen. Er musste zu ihr, für immer bei ihr sein. Sascha rannte davon. Frederike und die Schwester sahen ihm verwirrt hinterher.
Wie er in seinen Wagen kam, wusste er nicht.
Dass er wie ein Irrer durch die Straßen fuhr, war ihm egal.
Alles war taub, jedes Gefühl in ihm erstarb.
Nur der sehnsüchtige Schmerz nach ihr war noch da …
Nein, er bekam auch nicht mit, wie er da nun am Kai stand und ins Wasser starrte.
Erst ein gellender Schrei riss ihn aus seinem Trauma. „Schatz, warte noch einen Moment …“
Was er tat, warum er es tat …
Sascha rannte los, fand eine bizarre Szene vor… ein junges schreiendes Mädchen, das unter einem Mann lag und hilflos versuchte sich gegen ihn zu erwehren. Er zog den brutalen Kerl von ihr runter und schlug achtlos auf ihn ein, bis dieser blutüberströmt und leblos zusammensackte.
Es passierte am helllichten Tag, zwischen den vielen Containern, die hier gelagert wurden.
„Danke!“, wimmerte das junge Mädchen und zog sich die halb heruntergerissene Hose wieder hoch.
Doch er hörte sie nicht, sah durch sie hindurch.
Einige Augenblicke später sank sein teilnahmsloser Blick, er stierte wie benebelt hinab auf seine blutverschmierten Hände.
„Hey, geht’s Ihnen nicht gut?“, fragte das vielleicht vierzehnjährige Mädchen.
„Hab ich ihn umgebracht?“ Hörte er sich selber fragen.
„Hoffentlich! Sieben Mädchen aus diesem Stadtteil wurden in den letzten drei Monaten von einem Triebtäter überfallen und vergewaltigt. Wenn das das richtige Dreckschwein ist, dann hoffe ich es. Der Wichser hat alle fast zu Tode geprügelt.“
Am Rande hatte er es in den lokalen Nachrichten mitbekommen.
Richtig klar wurde Sascha von ihrer Aussage nicht, doch er sah sie zumindest wieder an. „Warum bist du dann allein unterwegs?“
„Meine Mama hatte keine Zeit, mich vom Bus anzuholen und es ist doch total hell! Bisher waren alle am Abend …“ Das Mädchen brach ab, denn die ersten Tränen rollten über ihre Wangen.
Ein Schock löste den nächsten ab, etwas klarer Verstand keimte in ihm wieder hoch. „Hast du ein Handy? Dann ruf die Polizei an!“
Mit zitternden Knien kroch das Mädchen zu ihrem Schulrucksack und wühlte darin herum. Sie holte ihr Handy heraus und guckte Sascha verlegen an.
„Eins, eins, null!“, murmelte er leise.
„Ja, stimmt … Soll ich nicht erst meine Mama anrufen?“
„Nein … Ich muss gehen!“ Auf den Hacken drehte Sascha um und ging, ohne dem Mädchen weitere Beachtung zu schenken, zu seinem Auto.
Schlagartig schlug sein Denken um … Er hatte nun eine Tochter …
Ein Kind, das seinen Schutz brauchte.
Was, wenn er nicht mehr da wäre, um sie zu beschützen?
„Sara, ich kann nicht … Sie wird mich brauchen!“
Etwas später lenkte er den Audi auf den Parkplatz vor seinem Hauses. Der Opel seiner Mutter stand schon da.
Zur Klinik würde er nie wieder fahren! Sara war jetzt nur noch in seinem Herzen und dieses musste nun für ihre gemeinsame Tochter schlagen!
„Sascha, bist du das?“, rief seine Mutter aus der Küche. Sicher, die Frage war unnötig, es konnte ja kein anderer sein …
„Ich komme gleich!“
Er eilte die Treppen zum Schlafzimmer hoch, bog aber dann ins Bad ab. Erst musste das Blut von seinen Händen runter, so konnte er seiner Mutter nicht unter die Augen treten, ohne dass sie einen Herzinfarkt bekommen würde. Scheiß Logik, aber es war so richtig …
Zum ersten Mal, seit er von dem Unfall seiner Frau erfahren hatte, war er im Haus. Nun blickte er sich über dem Waschbecken im Spiegel an. War er schon tot und wusste es nur noch nicht?
Seine trüben grünen Augen sahen in ein eingefallenes, bleiches Gesicht. Ein kaum zu ertragender Anblick, doch es rührte ihn nicht. Kurz schloss er die Lider, neigte seinen Kopf und …
… wie vom Donner gerührt fiel sein Augenmerk auf Saras Sachen, ihre Bürste, die Schminkutensilien … der B-Test, den sie liebevoll in einer durchsichtigen Plastikschale dort hingelegt hatte. Jeden Morgen kam sie damit ins Schlafzimmer und strahlte ihn an. „Schatz, wir bekommen ein Baby!“
Oh Gott, alles lag noch so da … es war ihr letzter Termin beim Frauenarzt, selbst die Tasche für die anstehende Entbindung stand noch im Flur, damit alles fertig war. Windeln, Strampler … ihre Nachthemden …
Sascha wusch sich die Hände mehr mechanisch, als dass er es wahrnahm. Auch den Pulli wechselte er, ohne es bewusst zu merken.
Erst in der Küche, wo Frederike gerade einen Kaffee kochte, kam er wieder etwas zur Besinnung. „Wo ist sie?“
„Ich wollte sie nicht mehr da lassen. Das Mäuschen schläft in der Wiege im Wohnzimmer. Wir sollen uns nur regelmäßig im Krankenhaus melden und in den kommenden Tagen einen Kinderarzt konsultieren, damit die U-Untersuchungen beginnen können.“ Frederike fragte nicht, wo er gewesen war, denn sie hatte in seinen Augen gelesen, dass er mit allem nicht mehr klar kam. Nur des Kindes wegen war sie ihm nicht hinterher gerannt, und mal ehrlich … sie hätte ihn nicht einholen können.
Ihn nun hier zu sehen und zu hören, wie er nach seiner Tochter fragte, ließ Frederike hoffen … und ein fetter Stein fiel von ihrem Herzen. Obwohl ... die Knöchel seiner Hände waren alle aufgeschlagen ... Woher kamen die Verletzungen? Sollte sie ihn fragen?
„Mama … kannst du … ihre Sachen … ich ertrage es nicht! Die Tasche … alles!“
Der Gedanke, die Frage ... Frederike schluckte ... „Sascha, ihr beide kommt mit zu mir! Meine Wohnung ist groß genug. Lass uns alle erst zur Ruhe kommen und Abstand nehmen.“
„Das wird wohl am Beste sein.“
In zwei Tagen würde die Beerdigung sein. Er durfte nicht in diesem Haus bleiben, das er nach Saras Wünschen hatte bauen lassen. Jeder Raum, jeder Winkel, einfach alles … hatte er mehr nach ihrer Vorstellung entworfen als nach seiner.
„Auch wenn ich weiß, du bist erwachsen … ich suche dir ein paar Sachen zusammen, bis du wieder selber dazu in der Lage bist.“
„Ja, danke!“
Als Frederike die Treppen wieder runter kam und die beiden Taschen mit seinen Sachen neben die Tür stellte, schaute sie durch den offenen Bogen in den Wohnraum.
Ein trauriges und doch glückliches Lächeln huschte über ihren Mund … Sascha saß halb zurückgelehnt auf dem Sofa und auf ihm lag bäuchlings seine winzige Tochter. Beide schliefen und boten ein rührendes Bild von einem Vater, der einfach alles für seine Tochter tun würde.
Auf Saras Beerdigung waren alle anwesend. Ihre Kollegen, gemeinsame Freunde, seine Mitarbeiter mit Partnern und entfernte Verwandte. Der Schock über Saras Ableben war allen ins Gesicht gemeißelt.
Sascha hatte seiner Mutter gesagt, er wolle kein Treffen danach, alle folgten seinem Wunsch, fuhren nach der Urnenbeisetzung und einer liebevoll bekundeten Anteilnahme wieder fort.
Dank seines verständnisvollen Chefs kniete Sascha sich daheim bei seiner Mutter in die Arbeit, damit nur keine Erinnerungen an Sara aufkeimten, und schuftete wie ein Besessener.
Und in den Nächten wechselten sich beide ab, betreuten die kleine Melodie, die sich prächtig entwickelte.
So verging fast ein ganzes Jahr, ohne das Sascha es richtig wahrnahm…
Alles lief, es ging voran und doch … Frederike beobachtete ihren Sohn, denn er verhielt sich nicht wie früher.
Was er getan hatte, als er damals aus der Klinik gerannt war, wusste sie immer noch nicht und sie wollte ihn auch nicht bedrängen. Aber was immer geschehen war, es hatte etwas in ihm blockiert, da er nicht in eine normale Trauer um seine geliebte Frau fiel. Er verdrängte es immer mehr, das war nicht gut!
Sicher, er dachte schon an sie, doch eher an die gemeinsame Vergangenheit und die damit verbundenen glücklichen Stunden … so auch jetzt. Mit dem Bleistift in der Hand hielt er inne und schwups drifteten seine Gedanken von dannen.
Immer wieder kamen Urlaubserinnerungen hoch, meist die, in denen sie sich in der Welt herumtrieben. Der Strand auf Kreta … die Einsamkeit … wie sie sich im seichten Wasser liebten.
Die ganzen Jahre stellte keiner der beiden es infrage, ob ihr Sexleben eintönig wäre, weil sie nie anderen Partner hatten. Sie ließen sich treiben, probierten alles aus, lachten und schimpften, albern miteinander, wenn irgendwas im Bett nicht klappte.
Eigentlich hatten sie sich nie richtig gestritten, sodass sie nicht mehr miteinander reden konnten. Und wenn doch mal eine kleine Unstimmigkeit hängen blieb … dann war der Sex danach phänomenal.
Vor sich hinschmunzelnd starrte Sascha ins Nichts, bis Melodie aus ihrem großen Laufstall einen Plastikwürfel in seine Richtung warf.
Jepp, die junge Dame wusste, wie sie die Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte. Der leichte Würfel landete auf seinem Schoß.
Sascha zuckte kurz zusammen, sah an sich herunter und schluckte. Es war ihm nicht aufgefallen, aber in seiner Hose zeichnete sich deutlich etwas ab, das sonst nur noch zum Pinkeln seine Arbeit verrichtete. Aber die Erregung ließ schon wieder nach.
Da sie nicht das Interesse bekam, das sie sich offenbar erhoffte, krakelte Melodie wild vor sich hin. Jetzt mit knappen elf Monaten verfügte die kleine Lady schon über ein beachtliches Organ.
Nee, erst musste seine noch sichtliche Erregung abgeklungen sein! „Melli, ich komm gleich!“
Damit sein Töchterchen erst mal beruhigt war, warf er ihr den Plastikwürfel vorsichtig wieder zu.
Hui, das fand die kleine Maus lustig und wenige Atemzüge später flog alles, was nicht niet- und nagelfest war, im Bogen aus dem Laufstall.
„Wie sieht das denn hier aus?“, lachend schlug Frederike die Hände auf ihre Wangen.
„Melodie übt. Sie zielt bloß noch nicht so genau“, brummelte Sascha und sammelte alles wieder ein.
„Lass mich das machen! Dein Chef hat angerufen. Er braucht die Pläne und du sollst sie ins Büro bringen.“
„Warum holt Lars sie nicht ab?“
„Weil Lars gekündigt hat und Herr Tenner dich auch mal wieder persönlich sehen will.“
Perplex blickte Sascha auf. „Warum hat Lars gekündigt?“
Woher sollte Frederike das wissen? „Vielleicht, weil er lieber Schneeschaufler in Alaska werden will?“
Fast wäre ihm das eingesammelte Spielzeug seiner Tochter aus den Händen gefallen!
Sicher, seine Mutter war so drauf, riss ab und an einen Witz, der alle aus dem Konzept brachte, doch seit …
„Schneeschaufler in Alaska! Melli hör dir den Quatsch von deiner Oma bloß nicht an!“, feixte er und lächelte das erste Mal, seit … einer gefühlten Ewigkeit.
Melodie zeigte sich unbeeindruckt, brabbelte, als ob sie schimpfen würde, vor sich hin und streckte ihre Ärmchen durch die Gitterstangen, weil sie Schmeißnachschub brauchte.
„Ja siehste, sie schimpft auch!“
Frederike zückte ihre Brauen. „Beweg deine Hintern, ich hab deinen Anzug reinigen lassen und er hängt an deinem Schrank!“
Obwohl er schon sieben Jahre in diesem Bürokomplex arbeitete, war der erste Schritt nach diesen vielen Monaten schon etwas seltsam.
Alle zehn Angestellten in dieser Abteilung sahen auf, als sich die Tür vom Fahrstuhl öffnete. Immerhin hatten sie ihn seit der Beerdigung vor einem knappen Jahr nicht mehr gesehen.
Sascha trat heraus und ein Gesicht nach dem anderen zeigte ein unbeholfenes Lächeln. Keiner wusste, wie er anfangen sollte, nicht mal ein ‚Hallo‘ kam den Kollegen über die Lippen.
Tja, dann musste er halt den Anfang machen. „Hallo alle zusammen! Mir geht’s so weit gut und ich bin ein normaler Mensch. Hab’s nicht leicht im Leben und ich vermisse Sara unendlich. Aber man kann mich getrost ansprechen! Meine Heulphase is vorbei!“
Der Reihe nach sah er seinen Kollegen an, und wie deren Mimik sich entspannte. Nach so einem Verluste dachte wirklich keiner mehr daran, Sascha würde sich erholen.
Eine gewissen Spannung in der Atmosphäre blieb zurück, doch Ulf kam als erster auf ihn zu. „Tenner erwartet dich schon! Komm, wir können danach einen Kaffee trinken. Ehrlich, wir wollen alle mehr über dein Töchterchen erfahren. Seit Lars nicht mehr da ist, erfahren wir ja gar nichts mehr!“
„Aber er war doch letzte Woche noch bei mir!“
Ulf grinste verlegen, kratzte sich am Kopf. „Er hat uns immer Handybilder gezeigt und uns von ihren Fortschritten erzählt. Helga aus der Buchhaltung ist ganz wild auf dein kleines Mädchen.“
„Ach, die ganze Firma weiß Bescheid, wann meine Tochter in die Windel kackt?“
Die ersten Luftpruster kamen von den drei weiblichen Mitarbeiterinnen, dann schmunzelten alle und der letzte Damm war endlich gebrochen.
„Vor vier Monaten waren die ersten Zähnchen unten durch!“, kam es von links.
Sascha lächelte zu Gitta rüber. Die Kollegin zeigte auf eine Wand, die eigentlich nur Mitteilungen enthalten sollte, die die Firma betrafen, doch da hing auch ein Foto von Melodie, die fröhlich ihren Teddy knuddelte.
„Hat sie ihren Schnupfen überwunden?“, kam es von Karl, der weiter hinten an einem Zeichentisch saß und mit einem Lineal wedelte.
Die Anteilnahme an seiner Minifamilie rührte ihn. Die ganze Zeit wurde er von seiner Bürofamilie nicht vergessen!
„Hat sie, nachdem sie mich mit ihrem letzten Nieser beglückt hatte und es voll witzig fand, als ich anfing zu niesen!“
Unbemerkt von allen, die knapp davor waren aufzuspringen um Sascha zu umlagern, trat der Chef aus seinem Büro. „Herr Oppenmeier, wir sind alle an Melodies Fortschritten interessiert, aber zunächst … müssen wir das Geschäftliche besprechen.“
Herr Tenner war ein einfühlsamer Boss, hatte viel Verständnis, doch wenn es die Arbeit betraf, dann ging diese selbstverständlich vor.
Sascha nickte ihm zu, nahm den runden Behälter mit seinen Entwürfen hoch und folgte seinem Chef.
Vorbei an allen Mitarbeitern, von denen er jedem einzeln zulächelte, betrat er das Büro, in dem er das letzte Mal vor etlichen Monaten nachgefragt hatte, ob er von zuhause aus arbeiten dürfte.
Diese vorübergehende Ausnahme hatte er nur dem Umstand zu verdanken, dass er nach einem Probelauf von vier Wochen weiterhin professionelle Arbeit abgeliefert hatte.
Nun ja, er war auch der beste Planer, Entwickler und Zeichner in dieser Geschäftsstelle und sein Boss wollte ihn nicht verlieren.
„Bitte setzen Sie sich doch.“
Die Spannung, die Sascha eben noch abgebaut hatte, kam postwendend zurück, denn sein neues Projekt war bisher nur von ihm bearbeitet worden und daher wusste er auch noch nicht, ob es Herrn Tenners Vorstellungen entsprach.