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In einem einzigen Tropfen ist alles, was es zum Leben braucht. Scheint die Sonne darauf, wird das Wunderbare sichtbar. Ein Gewitter tobt über München, als sich Harald und Julia im Tierpark Hellabrunn begegnen. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Harald, der gerade von einer längeren Reise zurück ist, sowie Julia, die dringend nach Ablenkung sucht. Wie viel Tiefe braucht ihre Liebe, um Wurzeln schlagen zu können? Wie viel Wahrheit, um einander offen zu begegnen? Haralds Familienverhältnisse halten das junge Paar in Atem, selbst nachdem Julia alles über Haralds Schieflage erfährt. Verborgene Familiengeheimnisse dringen ans Licht und sorgen für jede Menge Tumult.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Buchinhalt
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Julia
Haralds Mutter
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Romy
Julia
Julias Vater
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Julia
Harald
Julias Vater
Harald
Julia
Harald
Haralds Mutter
Julia
Epilog
Die Autorin
Impressum
Sabine Kneitz
Wenn die Sonne sich im Regen fängt
In einem einzigen Tropfen ist alles, was es zum Leben braucht. Scheint die Sonne darauf, wird das Wunderbare sichtbar.
Wie der Blitz kommt die Liebe über Harald und Julia. Sie verlieben sich auf den ersten Blick.
Mit der Liebe offenbaren sich auch deren Schattenseiten. Besonders Haralds Familienangelegenheiten sorgen für jede Menge Tumult. Ein Roman mit Tiefgang über die Wirrungen und Geheimnisse im menschlichen Gefüge.
Es sind die kleinen Momente, die uns glücklich machen, uns warm umfangen und die das Leben lebenswert machen. „Du bist für mich wie die Sonne, wenn sie sich im Regen fängt.“ Eine Liebeserklärung, wie sie schöner nicht sein kann.
Es war ein schwülheißer Sonntag im Juli. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand erreicht. Die Klimaanlage rauschte durch das Behandlungszimmer und tat gute Dienste. Ein junger Pavian war Haralds letzter Patient für heute. Mit ein paar Stichen versorgte er die gesäuberte Wunde am Oberarm des Tieres, die sich der kleine Kerl bei einer Rauferei mit älteren Kameraden zugezogen hatte. Dann kontrollierte er routinemäßig Puls und Pupillen. Wie erwartet, war alles in Ordnung. Behutsam legte er das noch leicht narkotisierte Tier in einen Käfig.
Seine Assistentin zog sich die Einmalhandschuhe aus. „Servus!“ Harald winkte ihr zum Abschied, doch sie war bereits durch die Tür verschwunden. Haralds Blick glitt über den frisch gesäuberten Behandlungstisch. Es roch nach einer Mischung aus gereinigtem Stahl, Desinfektionsmittel, Medikamenten und Tier.
Sein erster Tag im Tierpark war wie im Flug vergangen. Es kam ihm vor, als wäre er nie weg gewesen. Die erneute Anstellung als Vertragsarzt verdankte er zum großen Teil seinem Freund Tobias, der alles für ihn eingefädelt hatte, während er nur einen Flug zurück in die Heimat hatte buchen müssen. Es wusste noch keiner, dass er wieder in München war. Bei den Gedanken an seine Familie wurden ihm die Knie butterweich.
Mit dem Ende seiner Auszeit war ihm bewusst geworden, er musste sich dem stellen, was ihm immer noch stark zusetzte und umkreiste wie ein Tiger seine Beute. Wenn es ihm nur nicht so schwerfallen würde, den ersten Schritt zu wagen.
Er brachte den Käfig gerade ins Nebenzimmer, als Ralf, einer der Tierpfleger hereinpolterte, um seinen Dienst anzutreten. „Hey! Wen haben wir denn da?“
Harald zuckte kurz zusammen. Sogar der kleine Affe, der langsam aus der Narkose erwacht war, quietschte kurz auf. Dieser Typ war laut und derb wie eh und je. „Sag mal, du lernst es wohl auch nicht mehr, etwas leiser einzutreten.“
Doch Ralf grinste breit und schüttelte Harald fest die Hand. „Bist also wirklich wieder da“, stellte er fest. „Wie wars?“
Harald presste unwillkürlich die Lippen aufeinander. Mit der Reise nach Australien war für ihn ein Traum in Erfüllung gegangen. Es war die grenzenlose Freiheit und das pure Abenteuer. Bevor er etwas erwidern konnte, drückte Ralf erneut kräftig seine Hand.
Harald mochte diese plumpe Art nicht.
„Es war gigantisch!“, antwortete er kurz und knapp.
„Kann ich mir vorstellen“, meinte Ralf in unveränderter Lautstärke. Er wandte sich dem Schreibtisch zu. Harald rieb sich die Finger und rollte genervt mit den Augen. Für beide war damit der Smalltalk erledigt. Harald war das mehr als recht. Sie beugten sich über den PC mit der heutigen Dokumentation.
Kurz darauf ging Harald nach draußen. Die Hitze des Tages umfing ihn und brachte ihn gleich noch mehr ins Schwitzen. Das helle Licht brannte unangenehm in seinen Augen. Mit zusammengekniffenen Augen sah er dem lebhaften Treiben auf den Parkwegen zu. Trotz drückender Hitze befanden sich zahlreiche Besucher im Zoo. Zudem stand dieser Sonntag unter dem Motto Artenschutz in Zeiten des Klimawandels. Ehrenamtliche aus Vereinen, sowie Vertreter von staatlichen Institutionen waren eingeladen und zahlreich erschienen. Sie boten mit zahlreichen Ständen umfassende Informationen rund um das Thema. Ein buntes Publikum, von Familien mit Kindern, Pärchen oder Alleingängern, mit oder ohne Hund, trieb es von einem Platz zum anderen. Erneut ging ihm seine Familie durch den Kopf. Bald würde er sich bei seiner Mutter melden. Bald. Er schluckte den Kloß im Hals hinunter und entschloss sich noch eine Runde auf dem Gelände zu drehen.
Er begab sich in die wandelnde Masse und ließ sich treiben. Statt länger über seine Familie nachzudenken, fand er es interessanter den Park auch mal aus der Sicht eines Besuchers zu betrachten, bevor er nach Hause radeln würde. Sein Zuhause bei Tobias und Romy, im Souterrain.
Es gab noch einen anderen Grund, weshalb er durch den Park lief. Insgeheim hoffte er, Dr. Otmar Bensch über den Weg zu laufen. Er kannte ihn seit Jahren, hatte viel von ihm gelernt und bereits bei einigen seiner Artenschutzprojekte und wissenschaftlichen Studien teilgenommen. Harald war sich sicher, dass Otmar aufgrund seines Engagements als Artenschutzbeauftragter sicherlich auch das Angebot zur einheimischen Biodiversität begutachtete.
Haralds ungestilltes Interesse galt den streng geschützten Tieren, vor allem die Forschung und Erhaltung von Reptilien und Amphibien.
„Grüß dich Harald“, rief ihm ein Kollege am Stand neben dem Elefantengehege zu. Er stand neben einem Glücksrad, an dem die Besucher drehten, wenn sie die Quizfragen erfolgreich beantworten konnten.
„Schön dich wieder zu sehen“, fand eine andere Kollegin, die für die Quizfragen zuständig war. Sie stand unter einem blauen Pavillon, der Schatten spendete.
„Servus“, grüßte er zurück. Es fühlte sich wirklich gut an, wieder hier zu sein. „Wie geht’s?“
„Prima, und dir?“
Harald grinste zufrieden. „Super, bestens! Danke.“
„Seit wann bist du denn wieder hier?“
Harald kratzte sich verlegen am Kopf. „Seit genau einer Woche.“
„Nicht schlecht! Und schon wieder im Einsatz.“
Lachend wippte Harald von einem Fuß auf den anderen. „Ich bin heute für die Heidi eingesprungen. Ab August geht’s dann auch ganz offiziell für mich los. Ihr seid aber auch ganz schön eingespannt, wie ich sehe.“
„Ja, voll dabei!“ Sie stützte sich geschäftig am Tisch ab.
„Wisst ihr zufällig ob Otmar auch hier ist?“
„Logisch“, lachte die Kollegin. „Den findest du im Affenhaus.“
„Ah danke, da werde ich mich mal bei ihm sehen lassen.“
„Der Oti hat übrigens wieder was in Planung.“ Der Kollege zwinkerte ihm munter zu. „So, wie ich dich kenne, genau dein Ding. Es geht um Schwarzlurche.“
„Okay, na mal sehen.“ Harald nahm es gelassen. Er wollte sich nicht gleich wieder verzetteln, wie bei den letzten Projekten. Das nahm er sich jedenfalls vor. Er hob die Hand zum Gruß.
Guter Dinge lief er Richtung Affenhaus. Im Innenhof entdeckte er direkt neben der Tür, den Stand des Amphibienfonds der Stiftung Artenschutz. Otmar war hier Vereinsvorsitzender. Eine Dame mit übergroßer Brille blickte ihm aufmerksam entgegen.
„Ich suche nach Dr. Otmar Bensch“, wandte er sich an die Dame. „Der Oti müsste eigentlich gleich wieder hier sein.“ Sie musterte ihn neugierig. „Vielleicht kann ich so lange weiterhelfen?“ Herausfordernd blickte sie ihm entgegen und ihre ebenso großen Ohrringe, die aussahen wie Bäume, wackelten auf und ab.
Keine Träume ohne Bäume, las Harald auf ihrem hellgrünen Shirt, das lässig ihren fülligen Körper umspielte.
„Vielen Dank! Ich warte da drüben auf ihn.“ Er deutete auf die Zuschauertribüne. „Alles klar, ich gebe ihm Bescheid, sobald er wieder hier ist.“
Harald ließ sich auf eine freie Sitzbank in einer der oberen Reihen der Tribüne nieder. Leichte Kopfschmerzen machten sich bemerkbar. Wann hatte er eigentlich das letzte Mal etwas getrunken? Nachdenklich strich er sich über die Stirn und massierte mit den Fingerspitzen seine Schläfen. Das musste mit dem Jetlag zusammenhängen. Sein Blick schweifte über den belebten Platz. Im Affenhaus hielt er sich gerne auf, besonders bei den Sumatra Orang-Utans. Neugierig beobachtete er die Affenbande hinter der Glasscheibe. Er kannte ein jedes der Tiere. Ruhig und chillig lungerten sie in ihrem Gehege und ließen sich durch den Lärm und Geschäftigkeit der Besucher nicht aus der Ruhe bringen.
Rechts von ihm entdeckte er nach einer Weile eine junge Frau. Auf ihrem Schoß lag ein Zeichenblock, in der Hand ein Bleistift. Es faszinierte ihn, sie so ruhig und konzentriert dasitzen zu sehen. Ab und zu strich sie sich eine widerspenstige braune Locke hinters Ohr, malte und sah wieder vom Gehege auf ihre Zeichnung. Die feinen Linien ihres Gesichtes zeigten einen aufmerksamen und konzentrierten Blick. Er konnte gar nicht mehr aufhören sie zu beobachten. Sie war hübsch, mit einer grazilen Statur, die salopp in einer bunten Bluse und einer kurzen Jeans steckte. Sie ließ sich bei diesem Tumult nicht ablenken, blieb ganz in ihre Sache vertieft und malte. Harald fand Gefallen zu ihr rüber zu laufen, um einen Blick auf ihre Zeichnung zu erhaschen. Er staunte über sich selbst, ertappte sich, wie sehr ihm die Vorstellung gefiel, die Künstlerin tatsächlich anzusprechen.
„Harald!“, hörte er plötzlich eine vertraute Stimme. „Mensch Junge, das ist ja ein Ding! Dachte du bist noch unterwegs.“ Ganz aus den Gedanken gerissen, sah sich Harald um und entdeckte Otmar, der plötzlich vor der Tribüne stand. Er erhob sich von seinem Sitzplatz. Fast hätte Harald vergessen, weshalb er eigentlich hier war. „Hallo!“, rief er und kam ihm entgegen.
Otmar überragte Harald um ein ganzes Stück. Sein graues Haar stand, ganz typisch für ihn, in alle Richtungen. Wie gewöhnlich trug er sein Shirt mit einer völlig verrückten Schlange, die er gern bei solchen Aktionen trug.
„Irgendwann hat jede Reise mal ihr Ende.“ Harald streckte Otmar freudig die Hand zum Gruß entgegen.
„Das Ende einer jeden Reise ist der Anfang einer neuen“, konterte Otmar und schüttelte seine Hand. Harald stimmte ihm lachend zu.
„Ich bin schon ganz gespannt, von deinen Erlebnissen zu hören“, gestand Otmar und schielte verstohlen zum Stand, ob er gebraucht wurde. Doch die Dame mit der großen Brille hatte gerade nichts zu tun.
„Ich habe tausende von Fotos und Videos.“ Harald deutete einen ganzen Berg an.
„Das kann ich mir vorstellen. Lass uns doch gleich mal schauen, wann wir uns verabreden können.“ Otmar holte sein Handy aus seiner Jackentasche und Harald kramte seines auch gleich aus der Hose.
„Ich habe jede Menge interessante Kontakte knüpfen können. Davon kann ich dir einiges erzählen.“
Otmar hielt den Daumen nach oben. „Wir müssen uns vernetzen. Nur als große Gemeinschaft können wir für unser Klima wirklich etwas bewirken.“
Er streifte durch seinen Kalender. „Ach, hier habe ich noch was anderes.“ Otmar klopfte Harald auf die Schulter. „Ich möchte dich unbedingt mit Korbinian Bichler aus Österreich bekannt machen. Er referiert demnächst bei uns zum Thema Schwarzlurche.“
Harald trug sich den Termin gleich ein.
„Für unser Treffen habe ich wohl vor Ende August keine Zeit.“ Ratlos fuhr sich Otmar über die Stirn. „Nächste Woche muss ich in die Schweiz, meine Schwester heiratet. Zum dritten Mal. Die wird auch nicht mehr schlauer.“ Otmar verdrehte gespielt die Augen.
„Kein Problem.“ Harald ließ sein Handy zurück in die Hosentasche gleiten. „Mein Kalender ist noch sehr übersichtlich.“
„Das ist gut, ich schreib dir, wenn ich wieder zurück bin.“ Erneut blickte Otmar in Richtung des Stands. Die Dame mit der großen Brille sprach geschäftig mit einigen Leuten, die interessiert auf die Poster und Flyer blickten, die sie vor ihnen ausgebreitet hatte. Verstohlen schickte sie Otmar einen Daumen nach oben. Er schenkte ihr ein Lächeln und blieb bei Harald stehen.
„Bin ich froh, dass das Wetter bis jetzt gehalten hat.“
Otmar seufzte nach einer Weile und zeigte in Richtung Himmel. „Heut kommt noch was.“
Es lag bereits in der Luft und eine dunkle Wolkenfront im Westen kündigte es sichtbar an. Die Dame mit der großen Brille kam auf Otmar zu, deutete auf den Stand und ebenfalls nach oben in den Himmel.
„Hast du einen Plan?“ Sie neigte ihren Kopf vertraut nahe an sein Gesicht. Ihre ebenso hellgrün lackierten Fingernägel drückte sie dabei auffallend auf seine Schulter. Erstaunt beobachtete Harald ihr Zusammenspiel. Kannten sie sich etwa näher? Soweit er wusste, war Otmar überzeugter Single.
Otmar sah sich um. „Am besten wir bringen erst mal alles ins Innere, Anette.“ Er tätschelte beruhigend ihre Hand.
„Darf ich vorstellen.“ Harald bemerkte ein Leuchten, das über Otmars Gesicht huschte. „Das ist Anette Körber, eine fleißige ehrenamtliche Helferin und eine hervorragende Organisatorin.“ Er räusperte sich. „Und das ist Harald Schönamsgruber, erfolgreicher Tierarzt und Wissenschaftler, vordergründig für Amphibien.“
Freudig gab Anette Harald die Hand. „Nett, Sie kennenzulernen“, flötete sie.
„Ganz meinerseits.“ Harald nickte ihr höflich zu.
„Dann wollen wir mal.“ Otmar räusperte sich erneut.
„Könntest du kurz mithelfen?“, wandte er sich an Harald, der ihnen bereitwillig folgte.
Wenig später packten beide den Tisch, mit allem was sich darauf befand, in den Innenbereich, während sich Anette hektisch nach Taschen und Kartons bückte, die unter dem Tisch aufbewahrt wurden. Ihre Ohrringe baumelten dabei wild um ihre Ohren. Geschäftig kam sie hinter ihnen her.
Als der erste Wind aufkam, gingen viele Blicke nach oben und die ersten Besucher suchten allmählich den Weg Richtung Ausgang. Einzig die Künstlerin saß nach wie vor auf ihrem Platz. Sie schien ganz entrückt nichts um sich herum wirklich wahrzunehmen. Harald sah in dem aufkommenden Durcheinander zu ihr herüber. Bemerkte sie denn nicht, dass sich ein Unwetter näherte?
„Hallo“, rief er ihr mehrmals zu. Sie hob den Kopf in seine Richtung und er deutete nach oben.
Harald sah sie andächtig in den Himmel blicken. Unbeeindruckt zuckte sie mit den Schultern. Anette mühte sich unterdessen mit den Werbebanner ab. Harald griff beherzt danach und half ihr das Teil zu kippen und in den Innenbereich zu tragen.
Otmar verhandelte unterdessen mit der Security, an welcher Stelle sie sich im Inneren ausbreiten konnten. Erste Donnergeräusche kündigten das herantreibende Gewitter an. Immer mehr Menschen drängten sich ins Innere der Halle oder liefen Richtung Ausgang.
Der Zeitpunkt für Harald mit dem Fahrrad trocken nach Hause zu radeln, schwand von Minute zu Minute. Dunkle Wolken schoben sich vor die Sonne. Sein Mund war ganz trocken, er verspürte Durst und auch etwas Hunger.
„Ich geh dann mal“, verabschiedete er sich von Otmar und schüttelte auch Anette die Hand.
„Du wirst nass werden“, rief ihm Otmar hinterher.
„Keine Sorge, ich laufe nur bis zur Pizzeria um die Ecke.“
Eilig bugsierte er sich durch die Leute zum Ausgang der Halle. Schon fielen die ersten Regentropfen vom Himmel. Der Wind nahm deutlich an Fahrt auf, rüttelte an Bäumen und Sträuchern, Staub und Dreck sauste durch die Wege. Schnell hielt er sich die Hand vors Gesicht und steuerte auf die Tür der Pizzeria. Verlorene Servietten und leere Pappbecher flogen ihm um die Füße.
Schwungvoll öffnete er die Tür und betrat den kleinen schmalen Raum. An der Theke standen ein paar Leute und beobachten von dort beeindruckt das Naturschauspiel. Harald lugte über die Theke.
„Kann ich etwas bestellen?“ Das Personal wuselte geschäftig. Keiner von ihnen schien ihn weiter zu beachten. Er versuchte es erneut, bis ein junger Typ gestresst den Kopf hob.
„Ich möchte bitte ein großes Wasser, einen doppelten Espresso und eine Pizza Salami.“ Er zahlte und steuerte mit den Getränken nach dem einzigen Sitzplatz, den die Pizzeria im Inneren zu bieten hatte.
Da entdeckte er die Künstlerin. Sie saß einem Pärchen gegenüber. „Darf ich?“ Die Leute am Tisch nickten ihm zu.
Bisher war dieser Sommer lautlos an Julia vorbeigezogen. Seit Wochen war ihr Terminkalender vollgepackt mit laufenden Ausschreibungen, Baustellenbesichtigungen, Besprechungen und Außenterminen. Ihre Karriere als Architektin lief geradezu fantastisch. Als Tochter eines der Mitbegründer hatte Julia eine stabile Position in der Firma und schwang ihre weibliche Intuition elegant in den sonst sehr männlich geführten Betrieb. Selbst sonntags saß sie fast regelmäßig vormittags im Büro. Für Julia existierte weder das Leben in der Großstadt mit seinen kleinen Cafés, Kneipen und Events, noch sonst irgendeine Verabredung. Das ging bis zu jenem Sonntag, als sie frühmorgens auf ihrem Fahrrad Richtung Hellabrunn loszog und dringend nach Ablenkung suchte.
Die Parkbank wurde mit der Zeit immer unbequemer. Ihre Sitzbeinhöcker drückten, doch der Bleistift schwang über das Papier wie eh und je, spülte dumme Gedanken beiseite und räumte sie fort. Den Achterbahngefühlen zum Trotz hatte Julia ihren Arbeitskollegen Ben heute Vormittag versetzt. Sie wollte ihn nicht sehen. Nicht, nach allem, was sich aktuell wegen ihm im Büro abspielte.
Die Idee, wie früher im Zoo zu malen hätte ihr schon viel früher kommen können. Die Leute kamen und gingen, nur Julia blieb im Schatten sitzen. Eine Welle des Glücks erfasste sie.
Zufrieden blickte sie auf ihre fast fertige Zeichnung. Es zeigte den Blick eines jungen Orang-Utans, der träge an einem Seil hing, sich langsam und gemächlich ein- und ausdrehte und dabei eine übrig gebliebene Banane vor sich her schubste. In dem verträumten Blick erkannte Julia eine Spur Wehmut. Es wirkte wie fern von Allem. Schon sonderbar. Die Affen lebten in diesem Gehege, nahmen es als ihr zu Hause an, weit weg von ihrem ursprünglichen Lebensraum. Es schien als würden sie sich auf ihre Weise über das Publikum freuen, den steten Wechsel vor der Scheibe als eine Art abwechslungsreiches Fernsehen erleben.
Ein kleines Mädchen blickte Julia über die Schulter. „Uih, der Affe mit Banane!“ Sie zwinkerte ihr fröhlich zu. Die Mutter des Mädchens blickte unsicher drein. Sie zog schließlich ihre Tochter zum Weitergehen mit sich fort.
Julia streckte ihre Füße, massierte die Finger. Früher war sie oft mit ihrer Mutter und Schwester hier gewesen. Erst letzte Nacht erinnerte sie sich wieder daran, als sie unverhofft auf ihre alte Zeichenmappe stieß. Julia atmete tief ein und aus. Sie fühlte sich schon viel besser, als die letzten Tage.
Ohne Zeitgefühl gab Julia sich erneut ganz dem Zeichnen hin und blendete alles aus, was nichts damit zu tun hatte.
Nachdenklich betrachtete Julia ihr fast fertiges Portrait und fing erneut den Blick des Orang-Utans ein.
Sie hatte es wirklich gut getroffen. Es war auch eine Spur von tiefem Wissen, die Julia darin erkannte, eine Standhaftigkeit, die auf guten Wurzeln gründet. Es ist ihre Art, lebendig, witzig und bereit zum Spaß haben.
Sie lehnte sich genüsslich nach hinten und gähnte. Da weckte etwas ihre Aufmerksamkeit. Fragend sah Julia sich um. Es winkte ihr jemand.
„Hallo“, rief ein schlanker Typ mit blondem Zopf und Vollbart und deutete nach oben. Neugierig blickte sie in den Himmel. Bedrohlich bauten sich ein paar dunkle Flecken am Himmel zu einem größeren Wolkenteppich zusammen. Schulterzuckend hielt sie ihm dagegen. Es war kurz nach drei Uhr und das Donnern hörte sich erst einmal nur nach einem fernen Grollen an. Geduldig gab sie ihrem Portrait den letzten Schliff. Es bereitete ihr Spaß, als wäre sie selbst wieder zum Kind geworden, die nicht eher aufhören konnte, bis sie fertig war. Hungrig betrachtete sie ihr Werk. Kurzerhand packte sie ihre Sachen zusammen, schenkte dem Orang-Utan zum Abschied ein Lächeln und marschierte zufrieden in Richtung Pizzeria. Der allgemeine Aufbruch der Besucher drängte auch die Gäste der Pizzeria zur Eile. Hastig kurbelte eine Servicekraft die Sonnenschirme rund um die Außentische zusammen, während einer nach dem anderen aufstand und Richtung Ausgang lief.
Julia hielt inne. Sie überlegte, lieber gleich heim zu radeln. Eine halbe Stunde brauchte sie mit dem Fahrrad nach Hause und am Himmel drängte sich die tiefdunkle Wolkenfront bereits vor die Sonne. “Ach was,“ dachte sie bei sich. Vermutlich war es besser das Gewitter vorüberziehen zu lassen. Ihr dünner Rucksack wäre viel zu schnell nass und der Zeichenblock würde aufweichen. Das wollte sie auf keinen Fall. Das wäre jammerschade. Selbst wenn vermutlich niemand außer ihr all die Bilder zu sehen bekommen würde, die in dem Block steckten, wollte sie keines ihrer Zeichnungen verlieren. Entschlossen betrat sie die Pizzeria und bestellte an der Theke. Mit einer Flasche Wasser und einem doppelten Espresso setzte sie sich zu einem jungen Pärchen. Der Kaffeeduft stieg ihr angenehm entgegen. Genüsslich nippte sie daran. Dann entschloss sie sich ihr Handy wieder einzuschalten und es ploppten ein paar eingegangene Nachrichten auf, denen sie zunächst keine weitere Beachtung gab. Sie hatte plötzlich die Idee, ein Foto ihres Portraits zu machen und an ihre Mutter und Schwester zu senden, gespannt, was die beiden dazu sagen würden.
„Pizza Salami Signora!“ Der Pizzabäcker höchstpersönlich hielt ihr die dampfende Pizza über die Theke. „Besten Dank!“ Das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Zeichnen macht hungrig.
Julia biss herzhaft in die knusprige Pizza. Draußen bauschte sich mit einem Mal ein gewaltiger Wind auf. Große Regentropfen hagelten gegen die Scheibe. Wie gut, dass sie sich fürs Bleiben entschieden hatte. Das wäre niemals gut gegangen, gleich heim zu radeln. Gebannt sah sie nach draußen.
„Darf ich?“ Der blonde Typ mit Zopf und Bart von vorhin stand vor ihr. Sie nickte ihm zu und betrachtete ihn interessiert. „Hey“, grüßte sie ihn. „Hast du mich nicht vorhin vor dem Wetter gewarnt?“
Er stellte seine Getränke an den Tisch und setzte sich. „Ja, genau.“ Seine sonore Stimme klang tief und weich zugleich. Er erkannte sie ebenfalls.
Genau in diesem Moment donnerte es laut und kräftig. Harald zählte laut. Ein ehrfürchtiges Raunen ging durch den Raum. Das Pärchen am Tisch krallte sich aneinander und Julia blickte völlig baff in zwei strahlend blaue Augen. Andächtig hielt er ihrem Blick Stand. Bei sechs folgte ein Blitz. Es erhellte für den Hauch einer Sekunde das gesamte Umfeld.
„Wow!“, entfuhr es Julia, ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Einfach der Wahnsinn!“ Er neigte leicht den Kopf zur Seite und diesmal war er es, der gelassen mit den Schultern zuckte. Erneut knallte es gewaltig. Entsetzt rutschte Julia auf ihn zu.
„Oh entschuldige“, entwich es ihr sofort, doch sie bewegte sich keinen Millimeter. Voller Faszination haftete ihr Blick tief in seinen blauen Augen. Sie konnte sich nicht entsinnen, so ein intensives Blau jemals zuvor gesehen zu haben. Vermutlich wusste er nur zu genau, welche Wirkung er mit diesen Augen auf andere machte, zugleich stellte sie fest, wie aufmerksam er sie betrachtete ohne aufdringlich zu wirken.
Wieder donnerte es. Gemeinsam warteten sie einander zugewandt auf den Blitz, der nicht lange auf sich warten ließ.
Das Licht ging aus, es war, als ob ein jeder die Luft anzuhalten schien. Nur das Prasseln des Regens war zu hören.
Dann fluchte eine der Servicekräfte hinter der Theke. „Strom ist weg!“ Bewegung kam ins Spiel, ein wildes Gewimmel und Gemurmel, nur die beiden waren immer noch beschäftigt sich gegenseitig in die Augen zu sehen. Spürte sie tatsächlich sein Herz schlagen oder war es ihr eigenes Herz, das mit einem Mal loshämmerte?
Julia war die erste, die sich bewegte. Sie rückte etwas von ihm ab.
Harald räusperte sich. „Deine Pizza wird kalt.“
Sie warf einen Blick auf ihren Teller und überlegte. „Hast du auch Pizza bestellt?“
Harald nickte. „Aber aus der wird erst mal nichts, so wie es aussieht.“ Julia sah von der Pizza zu ihm. „Wenn du willst, kannst du mir bei der hier helfen.“
Er blieb wie angewurzelt sitzen. Ohne auf sein Zögern einzugehen, schob sie ihren Teller in die Mitte. „Greif ruhig zu. Sie ist bereits geschnitten.“
Er überlegte. „Also gut.“ Er griff nach einem kleinen Stück. „Danke, ich bin übrigens Harald.“
„Und ich, die Julia.“
Sie nahm sich ebenfalls ein Stück und biss hinein. „Die ist wirklich gleich kalt.“
„Das geht schnell.“ Er biss herzhaft in sein Stück.
Sie lächelte ihm vorsichtig zu und das Donnern hörte sich schon nicht mehr so nah an.
„Hast du die Orang-Utans gezeichnet?“, wollte Harald wissen und deutete auf den Zeichenblock, der seitlich am Tisch lag. Sie fuhr sich mit der Serviette über den Mund und nickte.
„Einen davon. Ja.“ Es blitzte in der Ferne.
„Und konntest du deine Zeichnung fertigstellen?“
Ihr Ergebnis war vorzeigbar, dennoch war es etwas sehr Persönliches, das sie nicht einfach so zur Schau stellen wollte. „Ja, schon.“ Sie konnte sein Interesse daran nicht einschätzen. „Möchtest du es etwa sehen?“
Harald schluckte seinen Bissen hinunter. „Total gern.“
Mit leicht zittrigen Fingern wischte sie sich mit der Serviette die Hände sauber. Warum eigentlich nicht? Sie zog den Block zu sich heran und blätterte ihn von hinten auf, bis das heutige Bild auftauchte. Auch Harald säuberte seine Hände. Sie übergab ihm den Block. Merkwürdig, ein Gefühl von kribbeliger Vorfreude keimte in ihr auf. Es verstärkte sich, als er das Bild aufmerksam betrachtete, während die übrigen Gäste auf das Ende des Gewitters warteten.
„Es ist der weiche Blick und die Art, wie sie nachdenken und fühlen. Das hast du gut getroffen. Wunderschön ist es geworden.“ Julia spürte, wie ihr die Wärme ins Gesicht stieg.
„Malst du öfter hier?“ Julia schluckte. „Heute hatte ich Zeit und Lust.“ Eigentlich schade. Sie sollte es sich viel öfter gönnen.
„Danke, dass ich einen Blick darauf werfen durfte.“ Harald reichte ihr den Block zurück.
„Tiere sind bestimmt nicht einfach zu zeichnen.“ Er sah sie dabei so neugierig an, dass sie weitersprach. „Kommt drauf an. Meist beobachte ich das Tier eine ganze Weile und präge mir seine charakteristischen Züge gut ein.“ Er hing aufmerksam an ihren Lippen.
„Dann zeichne ich einfach drauf los. Es ergibt sich alles wie von selbst.“ Harald nahm sich ein weiteres Stück Pizza vom Teller.
„Tierbeobachtungen können sehr aufschlussreich sein. Den Orang-Utans könnte ich stundenlang zusehen.“
Julia mochte seine Stimme, die sich wie Balsam anfühlte. Auch sie könnte stundenlang von Gehege zu Gehege pilgern, beobachten, was die Erdmännchen sich zuraunen, wie die Giraffen sich zart mit ihren Nüstern berühren, das Tapsen der Eisbären verfolgen, das Spiel mit den Rüsseln der Elefanten…
„Früher war ich mit meiner Mutter und meiner Schwester ganz oft hier in Hellabrunn.“
Während sie sich unterhielten und die Pizza aßen, zog das Gewitter weiter. Der Regen blieb. Das Pärchen gegenüber war längst gegangen. Sie bemerkten nicht einmal, dass der Strom schon wieder lief.
Der Pizzabäcker klingelte an der Theke. Er hielt erneut eine dampfende Pizza in den Händen. Harald blickte erstaunt auf. „Das ist meine Bestellung.“ Flink erhob er sich. „Nachschub!“
Julia stieg erneut Hitze ins Gesicht.
„Sieh an, wir haben beide das Gleiche bestellt.“ Lustig zwinkerte sie ihm zu. „Nur her damit.“ Er erwiderte ihren Blick und stellte den Teller vor ihr ab. Mit dem Messer teilte Julia die Pizza in verschiedene Stücke.
Sie prustete auf. „Verdammt heiß!“
„Gut so,“ entfuhr es Harald. Julia gluckste lustig auf. Ihr Teller leerte sich ebenso schnell wie die Pizzeria. Sie blieben als einzige Gäste übrig.
Julia überlegte laut. „Was mache ich nun mit meinem Block?“ Mit den Fingern fuhr sie über den dünnen Stoff ihres Rucksacks. Leicht schmollend lugte sie aus dem Fenster auf den immer noch strömenden Regen.
„Ehrlich gesagt, habe ich gar nicht daran gedacht, dass sich das Wetter ändern könnte. Ich bin mit dem Rad gekommen.“
Harald folgte ihrem Blick aus dem Fenster. „Zu dumm, ich bin ebenfalls mit dem Fahrrad hier.“ Er deutete mit der Hand Richtung Theke. „Soll ich mal nach einer Tüte fragen?“
Julia blickte skeptisch. „Ob das ausreicht?“
Unsicher lauschten sie auf das Prasseln des Regens.
„Ich könnte deinen Block auch in unserem Büro aufbewahren. Natürlich nur, wenn dir das recht ist.“ Julia hob überrascht eine Augenbraue.
„Ich arbeite hier als Tierarzt.“
„Oha, das klingt interessant.“ Er ist Tierarzt! „Dann rettest du mich heute zum zweiten Mal.“
Harald zupfte sich mit einem schelmischen Blick am Bart.
„Was so ein Gewitter alles mit sich bringt.“
„Nicht schlecht für einen Sonntag.“
Harald erhob sich und fragte über die Theke, ob er eine Plastiktüte bekommen könnte. Mit einer Mülltüte kam er wieder zurück. „Besser wie nichts.“ Dann holte er sein Handy. „Ich gebe dir meine Nummer und dann telefonieren wir nächste Woche, wie du am besten wieder an deinen Schatz kommst.“
Julia legte den Block vor ihm ab.
„Ich passe auch gut darauf auf.“ Er strich mit den Fingern vorsichtig darüber.
Julia schluckte beim Blick auf ihren Skizzenblock, doch sie vertraute Harald, auch wenn sie ihn gerade mal ein paar Stunden kannte.
Es hatte deutlich abgekühlt, als sich Julia von Harald verabschiedete. Sie lief eilig zu ihrem Fahrrad, das einsam an einem Busch am Parkplatz lehnte. Hastig bückte sie sich nach ihrem Fahrradschloss.
Beschwingt stieg sie auf. Der Regen prickelte angenehm auf der Haut und innerhalb kürzester Zeit war sie klatschnass. Flüchtig strich sie sich das nasse Haar nach hinten und leckte sich die Regentropfen von den Lippen. Gerade fühlte es sich einfach nur fantastisch an, so lebendig, wie schon lange nicht mehr.
Die Reifen des Fahrrads flitzten ihrem Zuhause entgegen. Das Anwesen ihrer Eltern lag im Münchner Stadtteil Grünwald. Die märchenhafte Villa war Julia so sehr ans Herz gewachsen, dass sie nie von dort weg wollte. Das Wasser der Pfützen spritzte wild auf. Statt sie zu umfahren, fuhr sie mitten hindurch, bis vor das eiserne Tor der Villa. Das Tor öffnete sich und Julia schob ihr Rad zur Garage. So durchnässt sie auch war, blieb sie kurz andächtig vor dem Haus stehen. Der herrschaftlich gotische Stil gab dem Haus seinen unverwechselbaren Charakter. Schwarz, wie Ebenholz passte die wunderschöne Eingangstür zu dem breiten, steinernen Treppenaufgang und den zwei gegenüberliegenden tragenden Säulen. Sie zog sich die Sandalen von den Füßen und betrat barfüßig den großzügig gehaltenen Hauseingang. Ihre nackten Füße trippelten über die glatten Mosaikfliesen von Quadrat zu Quadrat, die geschwungene Holztreppe nach oben. Dabei strich sie wie gewohnt über das schnörkelige Geländer. Eine Angewohnheit, die sie schon als Kind faszinierte.
Das Haus war zuletzt in zwei Wohneinheiten umgebaut worden. Julia bewohnte den oberen Teil mit einem herrlich rundlich gebogenen Balkon mit Blick ins Grüne. Die untere Wohnung vermieteten ihre Eltern samt Garten an ein kinderloses Ehepaar mittleren Alters. Die obere Etage gehörte ihr ganz allein und blieb über Jahre eine ewige Baustelle. Sie machte viel selbst und ein paar Zimmer blieben zunächst unbenutzt.
Die Dusche wärmte sie angenehm auf. Schnell schlüpfte Julia in das Oversized Shirt und ließ sich mit ihrem Handy erleichtert auf die Couch fallen. Mit klopfenden Herzen blickte sie auf den neuen Kontakt, die Nummer von Harald. Die Gedanken über das heutige Kennenlernen wärmten Julia ebenso. Die verpassten Anrufe und Nachrichten nahm sie nur beiläufig wahr.
Harald Schönamsgruber, hatte er ihr verraten und sie konnte es sich nicht verkneifen, ihn im Internet zu suchen. Julia fand ihn nicht sofort. In seiner Vita las sie das Studium der Tiermedizin an der LMU in München, seine Beteiligung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an internationalen Naturschutzprogrammen, sowie die Vorbereitung und Durchführung von Natur- und Artenschutzprojekten.
Julia grübelte kurz, ob er sie wohl auch im Internet suchen würde, dann tippte sie geschwind mit Daumen und Zeigefinger: „Hallo Doc, ich bin wieder trocken auf meinem Sofa gelandet. LG Julia.“ Sein Profilbild zeigte den Kopf einer Eidechse als Schwarzweißbild, das Julia einige Zeit beinahe schon fast andächtig betrachtete. Es sah aus wie ein kleiner Drache aus einer anderen Welt. Sie hatte keine Ahnung, warum er es als Profilbild verwendete. Sie wusste, es konnte tausend Gründe dafür geben, weshalb sich jemand für ein bestimmtes Bild entschied.
„So, wer hat mich denn heute alles sprechen wollen?“ Julia stutzte. Ihr Vater hatte mehrmals versucht sie telefonisch zu erreichen. Von Ben, ihrem Arbeitskollegen waren zwei Nachrichten eingegangen. Einmal fragte er, ob Julia Sonntag Zeit habe, wegen der aktuellen Änderung in einem Projekt und die zweite Nachricht von ihm war, dass er alles fertig gemacht habe und ob er sich Sorgen machen muss, weil sie sich überhaupt nicht gemeldet hatte. Julia stellte sich vor, wie er sich alleine mit den Änderungen für den Umbau einer ehemaligen Druckerei in ein Fitness Center abgemüht hatte und unterdrückte einen Schluchzer. War er sich denn nicht bewusst, was er dabei war anzurichten? Dabei hatte sie keineswegs die werdende Muckibude im Kopf.
Als Julia ihren Vater anrief, war sie gespannt, was er so dringend von ihr wollte.
„Du lässt ganz schön auf dich warten“, waren seine ersten Worte. Ihre Eltern aßen offensichtlich zu Abend, weil er nebenbei kaute.
„Das war das erste Mal seit Wochen, dass ich mir ein Wochenende ohne Arbeit gegönnt habe.“ Julia bemühte sich gelassen zu bleiben. „Und wie du weißt, funktioniert das nur, wenn ich das Handy ausschalte“, fügte sie etwas gepresst hinzu.
„Ich wollte dich noch vor morgen früh wegen einer Angelegenheit sprechen und es ist besser, du weißt schon vorher darüber Bescheid, wenn du morgen ins Büro kommst.