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Als die junge Cecilia Berger nachts im Wald aufwacht, nimmt ein Alptraum Gestalt an. Denn sie hat keine Ahnung, wie sie dorthin gekommen ist. In ihrer größten Angst trifft sie auf den Polizisten Marc, der ihr Halt gibt. Zumindest er scheint ihr anfangs zu glauben, auch wenn keinerlei Hinweise auf ein Verbrechen gefunden werden. Die beiden fühlen sich sogleich zueinander hingezogen, doch es passieren weitere, seltsame Dinge um die junge Frau herum, die die zarte Liebe auf eine harte Probe stellen. Als Marc ebenfalls beginnt, an ihren Erzählungen zu zweifeln, bricht für sie eine Welt zusammen. Oder hat er Recht und sie braucht dringend professionelle Hilfe? Wird Marc am Ende zu ihr halten? Auch Valerie trifft auf einen Mann, der sie fasziniert. Marcs Kollege Dean ist attraktiv und bringt sie zum Lachen. Doch obwohl er sich um sie bemüht, zieht sie sich schweren Herzens zurück, denn sie hat einen Nebenjob, den Dean niemals akzeptieren würde. Oder unterschätzt sie ihn etwa? Wer gewinnt im Kampf zwischen Liebe und Vergangenheit, zwischen Liebe und Angst, zwischen Liebe und den Schatten der Gegenwart...?
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Seitenzahl: 176
Veröffentlichungsjahr: 2019
WENN
DU DA BIST
Impressum
Wenn du da bist
Auflage 2019 Copyright © 2019 Johanna von der SchulenburgAlle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten. ISBN 9783752894172Umschlag & Layout: Johanna von der Schulenburg Johanna von der Schulenburg Sudetenstraße 4 61191 Rosbach [email protected]
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt
VORWORT
Der Schrei war laut und spitz und obwohl er ihn niemals zuvor in der Form gehört hatte, wusste er doch, wer ihn ausgestoßen hatte. SeinMagen zog sich zusammen. Er starrte auf seine rechte Hand, die auf seinem Knie lag und über die sich plötzlich eine andere, etwas größere Hand legte. Sie gehörte zu Laura, die neben ihm saß. Als er aufschaute, sah er direkt in ihre hellen Augen. Laura sah entspannt aus, sie hatte den Mund zu einem Lächeln verzogen und sie strahlte geradezu. Sie war glücklich und er vergaß für einen Moment das leise Gefühl der Panik, das begonnen hatte, sich bemerkbar zu machen. „Siehst du, sie schreit deinetwegen“, flüsterte Laura geradezu aufgeregt und drückte seine Hand. „Du hast das gemacht. Du kannst entscheiden, wie sich die Menschen fühlen. Ist das nicht toll?“, fügte sie hinzu und schaute ihn geradezu beseelt an. Er dachte an Henri, der hinten im Garten auf dem Rücken lag und dem man nicht gleich ansah, was mit ihm passiert war, Henri, der jedoch nun bewegungslos war und starr und der nicht mehr herumrannte und einen dazu brachte, über ihn zu fallen, wobei er freudig mit dem Schwanz wedelte. Nun lag Henri da, in der Ecke des Gartens neben dem Komposthaufen, vom dem er gewusst hatte, dass seine Mutter ihn heute noch aufzusuchen würde. Er stellte sich vor, wie seine Mutter auf den Hund starrte und auf den dünnen Gürtel um seinen Hals. „Fühlst du, wie toll es ist? Merkst du, dass es wunderbar ist, zu entscheiden?“, fragte Laura, die noch immer seine Hand hielt. Er lächelte und nickte, obwohl er sich nicht so sicher war, ob es wirklich so toll war, wie sie sagte. Doch er wollte einfach alles tun, damit sie glücklich war. Laura, die ihm immer half, die zu ihm stand und ihn immer dann aufheiterte, wenn alles unerträglich und trostlos war. Und er hatte es geschafft, sie glücklich zu machen, sie zufriedenzustellen. Laura wusste, was sie tat, davon war er überzeugt. Und sie zeigte es ihm. Also tat er, was sie sagte. Es gab ihm ein Gefühl der Wärme, er fühlte sich sicher. Endlich war da jemand, der wusste, wie das Leben funktionierte. Und das Sterben… Sie redeten nun nicht mehr, saßen einfach nur zusammen, den ganzen Rest des Nachmittags lang. Hand in Hand saßen sie da, in ihrer Hecke, der kleine neunjährige Junge mit dem immer blassen Gesicht und das elfjährige Mädchen mit den langen, hellblonden Haaren. Erst spät ging er zurück nach Hause zu seiner Mutter, die in der Küche stand und Gemüse schnitt, die nichts sagte und ihn nur anlächelte. Henri war verschwunden und wurde seit diesem Tag nie wieder erwähnt. Doch er merkte die Blicke seiner Mutter von diesem Moment an, die sie ihm ab und zu zuwarf, wenn sie dachte, er würde es nicht bemerken: abschätzende, musternde und vor allem besorgte Blicke. Und trotz seiner Alpträume und der plötzlichen Übelkeit, die ihn nun manchmal überkam, war er überzeugt, glücklich zu sein, denn er hatte entschieden, entschieden über das Leben und über das Glück und das Entsetzen der Menschen um ihn herum, das manchmal so nah beieinander lag. Später rief er sich immer wieder den Satz ins Gedächtnis, den Laura an diesem Nachmittag zum Abschied zu ihm gesagt hatte: „Du bist stark, Conny. Du entscheidest, merk dir das!“
KAPITEL 1
CECILIA
Es rauschte. Das war das Erste, was Cecilia wahrnahm, als sie mühsam die Augen öffnete. Sofort war das angenehme Gefühl verschwunden, das der Traum von Moritz hervorgerufen hatte. Denn das Geräusch, das sie hörte, konnte sie nicht zuordnen. Es gehörte nicht zu denen, die sie normalerweise morgens nach dem Aufwachen vernahm. Ihr Kopf tat weh und sie schloss die Augen wieder. Kurz darauf zwang sie sich, sie erneut zu öffnen. Sie sah nichts. Es war dunkel und sie wollte nach dem Lichtschalter neben sich greifen, doch ihr Arm gehorchte dem Befehl ihres Hirnes nicht und sie schaffte es nur, die Finger leicht zu bewegen. Sie bekam etwas Feuchtes, Weiches zufassen. Auch das passte nicht in den Moment des Aufwachens. Sie versuchte, sich zu konzentrieren, doch in ihrem Kopf war ein Nebel, den sie nicht kannte, der jedoch verhinderte, dass sie es schaffte, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie ergab sich der Schwere und schloss die Augen erneut. Als sie wieder erwachte, wusste sie nicht, wie viel Zeit seit dem letzten Mal vergangen war. Der Nebel war nach wie vor da, hatte aber ein wenig nachgelassen. Sie hatte noch immer Kopfschmerzen und ihr Mund war trocken. Die Dunkelheit hatte sich teilweise verflüchtigt und nun sah sie riesenhafte Schemen weit über ihrem Kopf. Sie begriff, dass sie nicht in ihrem Bett lag, doch den Sinn hinter dieser Erkenntnis verstand sie nicht. Sie erinnerte sich, dass sie sich Moritz‘ Shirt übergezogen hatte und schlafen gegangen war. Wo war sie nun? Sie hatte das Gefühl, keine richtige Kontrolle über ihren Körper zu haben und musste sich konzentrieren, um ihre Arme zu bewegen. Doch da war ein Widerstand. Die Arme, die sich hinter ihrem Rücken befanden, ließen kaum eine Bewegung zu. Und Cecilia fühlte sich so schwach, dass alleine der Versuch, sie nach vorne zu ziehen, zu einem Schweißausbruch führte. Sie atmete tief durch und sah erneut nach oben. Und dann erkannte sie, um was es sich bei den großen Schatten weit über ihr handelte: Es waren Bäume, große Tannen. Langsam wurde es noch ein wenig heller und Cecilia bemühte sich erneut, ihre Hände nach vorne zu ziehen. Schließlich schaffte sie es mit viel Anstrengung. Ihr ging die Puste aus und sie atmete erst einmal tief durch. Danndrehte sie den Kopf und sah das Band, das um einen Baumstamm einer dieser Tannen gebunden auf dem Boden lag. Scheinbar hatte es bis eben, nicht sehr fest, ihre Hände an den Baum gefesselt. Sie schaute auf ihre Handflächen, die bräunlich waren: Erde. Ihr Hirn formte einen logischen Gedankengang und verdrängte den Nebel beinah vollkommen. Sie saß also, im Morgengrauen, auf dem Boden inmitten eines Waldes. Als sie an sich hinunterschaute, sah sie Moritz‘ Shirt. Darunter war sie barfuß. Doch die Panik kam erst einen Moment später, als sie den Kopf nach links drehte und etwas wahrnahm, das ihr augenblicklich eine Gänsehaut über den Rücken und die Arme schickte. Nicht weit von ihr entfernt, vielleicht zehn Meter, befand sich ein Loch. Es sah frisch ausgehoben aus;dicht neben dem Loch war ein kleiner Hügel frisch wirkender Erde, aufgehäuft. Das Loch war präzise geformt, länglich und rechteckig, nicht sehr tief, aber gerade tief genug um etwas darin zu vergraben. Jemanden. SIE. Obwohl ihre Beine sich wie Wackelpudding anfühlten, rappelte sie sich in Windeseile hoch. Sie hielt sich am Baumstamm fest und wartete, bis der Schwindel verschwand. Dann lief sie los. Die plötzliche Panik trieb sie an. Sie hatte keinen blassen Schimmer, wo sie sich befand und auch nicht, wieso sie hier war. Das Einzige, was sie wusste, war, dass sie hier weg musste und zwar so schnell wie möglich. Das Entsetzen, das ihren Körper erfasst hatte, verlieh ihr immer mehr Kräfte und sie beschleunigte den Schritt, bis sie schließlich rannte. Der Wald war dicht und sie lief durch das Dickicht, während die Zweige und Büsche die Haut auf ihren Armen und Beinen zerkratzten und sich irgendwelche Steinchen in ihre nackten Fußsohlen bohrten. Sie rannte und rannte und irgendwann merkte sie, dass sie schrie, ohne dass sie im ersten Moment ihre eigene Stimme erkannt hätte. Sie musste hier weg.
MARC
Marc rannte durch den Wald und fluchte innerlich, als ihn ein Ast streifte und einen blutigen Kratzer auf seinem Arm hinterließ. Das morgendliche Licht war noch verhalten und man sah nicht klar. Trotzdem liebte er diese Läufe ganz alleine, frühmorgens im Wald. Sie waren zu einem Ritual geworden, seit er vor drei Wochen hierhergezogen war. Er hatte verschiedene Strecken ausprobiert, doch dieses Stück Wald, das er zufällig entdeckt hatte, war ihm am liebsten. Und so lief er jeden Morgen, bevor die Sonne aufging und es in diesem heißen Hochsommer unmöglich machte, zu rennen. Er war schon immer gerne und regelmäßig gelaufen, doch seit der Geschichte mit Theo tat er das noch häufiger, um dem Frust und der Trauer zu entkommen und den Kopf, zumindest für eine kurze Weile, freizubekommen. Er hatte seine Runde beinah beendet und verlangsamte den Schritt, nachdem er über einen querliegenden Ast gesprungen war. Gleich würde er den Parkplatz sehen, der verlassen mitten im Wald lag und auf dem er sein Auto abstellte, wenn er hierherkam. Er würde einsteigen, in die Wohnung fahren, die er, ohne sie vorher zu besichtigen, gemietet hatte, duschen und ins Präsidium fahren. Gerade wollte er wieder loslaufen, um den Rest des Weges zu bewältigen, da hörte er ein Geräusch. Er sah sich um, konnte aber nichts erkennen. Doch das Geräusch war da und er begriff, dass es knickende Äste waren,die er hörte. Das war zumindest ein Teil des Geräusches. Den anderen Teil konnte er nicht einordnen. Jemand rannte da jedenfalls, offensichtlich sehr schnell, durch das Dickicht. Dass es ein anderer Jogger war, war unwahrscheinlich. In den drei Wochen war ihm um diese Uhrzeit, weg von den normalen Wegen, nie irgendjemand begegnet. So dachte er zuerst an ein Wildschwein. Marc trat hinter einen Baumstamm, denn mit einem wütenden Wildschwein war nicht zu spaßen. Interessiert lugte er jedoch hervor. Und dann sah er tatsächlich etwas durch das Gestrüpp auftauchen, etwas Helles, und er begriff, dass er neben den knackenden Ästen einen schrillen Laut gehört hatte, der nicht zu einem Tier gehörte. Da lief ein Mensch und schrie. Marc trat hervor und sah bereits im nächsten Moment, dass er recht hatte. Die Frau war barfuß und trug nur ein einfaches helles Shirt, das knapp über ihrem Hintern endete. Lange, helle Haare schwangen um ihren Kopf. Mehr konnte er nicht aufnehmen, denn die Frau war bereits auf seiner Höhe und instinktiv trat er noch einen Schritt vor und streckte den Arm aus, mit dem er sie berührte und zu fassen bekam. Die Frau war schmal und zart, doch er hatte die Kraft, die Angst und Adrenalin verleihen konnten, unterschätzt. Die Frau schrie erneut auf und schlug nach ihm. Sie erwischte seine Wange und er spürte das Blut darüber laufen, kümmerte sich aber nicht weiter darum. Er hatte alle Hände voll zu tun, die Frau festzuhalten. Er schaffte es schließlich auch, ihren anderen Arm zu fassen und festzuhalten. „Nein“, schrie sie. „Nein, bitte nicht!“ „Beruhigen Sie sich“, rief Marc, doch sie schien ihn gar nicht zuhören. Sie schrie weiter und versuchte, sich zu befreien. Er hielt sie fest, ging in die Knie und zwang sie mit sich auf den Boden. „Beruhigen Sie sich“, sagte er erneut und außer Atem. Die Frau schien zu begreifen, dass sie keine Chance mehr hatte, zu entkommen, denn von einer auf die andere Sekunde hörte sie auf, sich zu wehren. Sie sah zu ihm auf, aus zwei hellblauen Augen, und Marc sah die Panik darin. Sie war leichenblass. „Bitte, tun Sie mir nichts, bitte“, murmelte sie. „Es ist alles gut, ich helfe Ihnen“, sagte er. „Ich bin Polizist. Ich tue Ihnen nichts.“ Sie sah ihn schweigend an, völlig erschöpft und er hatte Angst, dass sie gleich zusammenklappen würde. Er betrachtete sie genauer. Ihre Arme und Beine waren aufgeschrammt und voller Blut, was wahrscheinlich von den Zweigen kam. Viel schlimmer fand er den handgroßen Fleck, den er auf ihrem Shirt entdeckte. Er war sich ziemlich sicher, dass es sich hierbei um Blut handelte. „Was ist passiert?“, fragte er. Doch sie antwortete ihm nicht. Da er annahm, dass sie vor etwas geflüchtet war, rechnete er jeden Augenblick damit, dass gleich noch jemand aus dem Dickicht auftauchen würde, vielleichtsogar bewaffnet. Er schaute in die Richtung, aus der die Frau gekommen war, aber nichts bewegte sich mehr. „Sind sie verletzt?“, fragte er und wandte sich ihr wieder zu. Sie sah ihn mit großen Augen an, schien ihn aber immer noch nicht zu verstehen. Er beschloss, sie erst einmal aus dem Wald herauszubekommen. Sollte noch jemand im Wald sein, ein Täter oder ein Opfer, jemand, der sie verletzt hatte, oder den sie ihrerseits verletzt hatte, müsste der leider noch warten. Denn Marc hatte sein Handy im Auto liegen lassen und er musste sich nun erstmal um die Frau kümmern. „Ich bringe Sie hier weg“, sagte er. Die Frau schien noch immer nicht davon überzeugt zu sein, dass er gute Absichten hegte und sah ihn ängstlich an. Doch dann nickte sie. Sie hatte auch einfach keine andere Wahl, als mit ihm mitzugehen, und das schien sie wohl begriffen zu haben.Marc erhob sich, wobei er sie noch immer festhielt, falls sie nochmal auf den Gedanken kommen sollte, fliehen zu wollen. Doch sie schien die Kraft dazu gar nicht mehr zu besitzen. Das Adrenalin hatte nachgelassen und war einer tiefen Erschöpfung gewichen. Er umfasste ihre schmale Taille, damit sie nicht zusammensackte und sie gingenlangsam los. Marc beschloss, erstmal keine weiteren Fragen zu stellen, denn sie schien ihre ganze verbleibende Energie zu brauchen, um einen Schritt vor den anderen zu setzen. Zum Glück war es nicht mehr weit und er war mehr als erleichtert, als er endlich seinen Jeep sah. Er ließ die Tür aufschnappen und öffnete mit einer Hand die Beifahrertür,während die andere noch immer die Frau festhielt, die er auf Anfang zwanzig schätzte. „Setzten Sie sich“, sagte er und sie gehorchte augenblicklich, ließ sich auf den Sitz fallen und schaute mit starren Augen aus dem Fenster. Er war sicher, dass sie nicht viel um sich herum wahrnahm. Marc setzte sich auf den Fahrersitz und während er sie nicht aus den Augen ließ, schnappte er sich sein Handy vom Rücksitz und wählte die Nummer des Präsidiums.
CECILIA
Sie starrte aus dem Fenster und hörte, wie der Mann neben ihr telefonierte. Sie glaubte ihm mittlerweile, dass er Polizist war und ihr helfen wollte, oder vielleicht wollte auch nur alles in ihr diese Version glauben. Dass sie ausgerechnet einem Polizisten um diese Zeit mitten in einem verlassenen Wald in die Arme rannte, war eigentlich so unwahrscheinlich, dass es schon wieder stimmen konnte. Er konnte natürlich auch nach wie vor derjenige sein, der dafür verantwortlich war, dass sie mitten in der Nacht in diesem Wald aufgewacht war, doch dann konnte sie sowieso nichts dagegen tun. Sie hielt sich an dem Gedanken fest, dass es eher unwahrscheinlich war, denn sonst hätte er ja schon längst mit ihr machen können, was auch immer er vorgehabt hatte. Nun hörte sie, wie er jemandem am anderen Ende der Leitung sachlich erklärte, was passiert war. ‚Junge Frau … Blut … vielleicht noch jemand … herkommen…‘ All diese Worte hörte sie, verstand sie aber doch nicht richtig. Etwas war mit ihrem Kopf passiert, etwas, was diese verdammten Gedanken so langsam machte und sie nichts richtig begreifen ließ. Vielleicht war das im Moment jedoch auch besser so, denn sie hatte das Gefühl, wenn sie alles wirklichverstehen sollte, was eben passiert war, würde die Panik sie erneut übermannen. „Wie heißen Sie?“, fragte der Polizist, nachdem er aufgelegt hatte. „Cecilia Berger.“ „Frau Berger. Wir warten auf meine Kollegen. Können Sie mir erzählen, was genau passiert ist?“ Sie sah auf, er schaute sie freundlich an mit seinen braunen Augen. Er war einige Jahre älter als sie, glaubte Cecilia. Mit seinenbraunen, kurzen Haaren und dem eher kantigen Gesicht sah er gut aus, dachte sie abwesend und es wunderte sie, dass sie es in dieser Situation überhaupt wahrnahm. Jetzt wollte er also von ihr wissen, was passiert war. Ja, was war denn passiert? Plötzlich fühlte sie sich so müde und erschöpft, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie wollte nicht weinen, nicht jetzt, nicht vor diesem fremden Mann. Doch sie konnte nicht verhindern, dass ihr ein paar Tränen über die Wangen liefen. Schnell wischte sie sie weg. „Hey“, sagte der Polizist, dessen Namen sie noch immer nicht kannte. „Hey.“ Er legte seine Hand auf ihre und lächelte ihr zu. „Sie sind in Sicherheit. Es wird nichts mehr passieren.“ Seine ruhige, dunkle Stimme tat ihr gut und sie merkte tatsächlich, dass sie ebenfalls ruhiger wurde. Dann sah sie seine Wange. „Oh Gott, war ich das?“, fragte sie entsetzt und deutete auf die Wunde, die frisch aussah. Sie erinnerte sich plötzlich verschwommen daran, dass sie nach ihm geschlagen hatte.„Nein, ich habe mich an einem Ast geschrammt, beim joggen“, entgegnete er und machte eine abweichende Handbewegung. Cecilia war klar, dass das nicht stimme, aber sie fand es nett, dass er so tat, als wäre nichts passiert. Sie schluckte und räusperte sich. Dann erzählte sie ihm, was sie wusste und das war nicht viel. Sie erzählte, dass sie schlafen gegangen und im Wald aufgewacht war. Sie erzählte von den Fesseln an ihren Händen und von der Grube. Als sie letztere erwähnte, biss sie beim Reden die Zähne zusammen um nicht erneut in Panik zu geraten. Sie spürte den forschenden, eindringlichen Blick des Mannes neben ihr. „Und Sie haben überhaupt keine Ahnung, wie sie hierhergekommen sind? Und wer sie hergebracht haben könnte?“ „Nein.“ Er zögerte einen Moment. „Nehmen Sie manchmal Medikamente, zum Beispiel Schlaftabletteoder …Drogen?“ Sie sah ihn verständnislos an. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, natürlich nicht.“ Er nickte und sie fragte sich, ob er ihr glaubte oder nicht. Ihr war klar, dass ihre Geschichte seltsam klang, sie selbst hatte Schwierigkeiten, zu begreifen, was vorgefallen war. Plötzlich fiel ihr der Mann im Garten ein. Schnell schüttelte sie den Gedanken an ihn ab. In dem Moment fuhren ein paar Wagen auf den Parkplatz. Sie hob den Kopf und sah mindestens zwei Streifenwagen und einen Krankenwagen. „Sie lassen sich jetzt am besten erstmal untersuchen, während ich mit meinen Kollegen spreche“, sagte der Polizist. Cecilia unterdrückte den Wusch, ihn festzuhalten. Obwohl sie ihn kaum kannte, hatte sie das Bedürfnis, in seiner Nähe zu bleiben. Vielleicht war das so, wenn man von jemandem sozusagen gerettet worden war, dachte sie. Er half ihr erneut aus dem Auto und führte sie zu den bereits wartenden Sanitätern, mit denen er ein paar Worte wechselte, während einer von ihnen Cecilia in den Krankenwagen und auf die Liege half. Sie untersuchten zuerst ihren Bauch, doch unter dem Shirt war sie nicht verletzt. Der weiteren Prozedur schenkte sie kaum Beachtung, dem Blutdruckmessen,Brust abhören und all den anderen Dingen, sondern sie versuchte krampfhaft zu verstehen, was heute Nacht passiert war. Irgendwann kam der Polizist erneut zu ihr. Cecilia saß mittlerweile auf der Liege. Einer der Sanitäter hatte ihr gerade versichert, dass sie körperlich in Ordnung zu sein schien. Dann sprach er kurz mit dem Polizisten, der nickte und sich dann wieder Ceciliazuwandte. „Kommen Sie, Frau Berger, ich bringe Sie ins Präsidium.“ „Ins Präsidium?“ Sie musste genauso schockiert geklungen haben, wie sie sich fühlte, denn der Polizist setzte eine nachdenkliche Miene auf. Sie wollte nur noch nach Hause. Allein der Gedanke daran, sich in irgendeinen Raum in einer Polizeistation zu setzten und Fragen beantworten zu müssen, die sie wahrscheinlich nicht einmal richtig beantworten konnte, versetzte ihr einen Stich.„OK, in Ordnung“, sagte der Polizist. „Sie sind wirklich nicht inder Verfassung, jetzt auf das Präsidium zu kommen. Sie haben ja nicht einmal richtige Klamotten an.“Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie die ganze Zeit in Unterhose und Shirt mit diesem Mann zusammen war. Sie musste derart eingenommen gewesen sein von dem, was ihr zuvor passiert war, dass ihr das bis dahin nicht einmal bewusst gewesen war. Jetzt zog sie sich die Decke, die der Sanitäter ihr gegeben hatte, enger um den Körper, obwohl ihr nicht kalt war. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag, ich bringe Sie nach Hause“, sagte der Polizist und Cecilia war erleichtert. „Dort müssten Sie mir allerdings noch ein paar Fragen beantworten.“ Sie nickte. Solange sie endlich nach Hause gehen durfte, war ihr alles andere egal. Kurz darauf saß sie erneut in dem Jeep und nachdem sie dem Mann ihre Adresse genannt hatte, fuhren sie schweigend über die Landstraße. Es stellte sich heraus, dass der Wald, in dem sie aufgewacht war, nicht weit von ihrem Elternhaus entfernt lag; etwa vier Kilometer. Sie war auch schon mehrmals in diesem Wald gewesen, hatte ihn jedoch heute nicht wiedererkannt. Woran auch, die Bäume sahen überall gleich aus. Endlich hielten sie vor der großen Villa, die ein wenig erhöht dalag und über ein paar Steintreppen zu erreichen war. Sie stiegen aus und sie spürte die Anwesenheit ihres Begleiters dicht hinter ihr. „Warten Sie“, sagte er, als sie an der Haustür