Wenn du zweifelst, freue dich - Wolfgang Rachbauer - E-Book

Wenn du zweifelst, freue dich E-Book

Wolfgang Rachbauer

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Beschreibung

Zweifel prägen unsere Zeit, darunter auch Zweifel an Gott und solche, ob die eigene Religion in Anbetracht der "Globalisierung" vieler Religionen die richtige ist. Der Zweifel am persönlichen Glauben rückt vor dem Hintergrund einer immer atheis­tischeren westlichen Kultur in den Fokus. Dabei geht es nicht nur um die Zweifel, die Theologen und Priester beschreiben, sondern um alltägliche Glaubens­zweifel von uns allen. Das Buch beschäftigt sich mit der Ökumene und deren nachkonziliaren Strömungen, mit der Freude an Gott und am Glauben, mit Toleranz gegenüber anderen Religionen ohne Verlust der eigenen Identität. Es zeigt Probleme auf, die über religionskritische Äußerungen hinausgehen, und beschreibt Wege zum Überwinden unserer Zweifel. Trotz aller negativen Schlagzeilen, die die Kirche in der jüngeren Vergangenheit gemacht hat, unternimmt der Autor den Versuch, an Gott zu glauben und zeigt, dass man Gott nicht nur in der Kirche erfährt, sondern ihm auch im Beruf begegnen kann.

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2014 Verlag Anton Pustet

5020 Salzburg, Bergstraße 12

Sämtliche Rechte vorbehalten.

Titelfoto: Toni Anzenberger

Grafik, Satz und Produktion: Tanja Kühnel

Lektorat: Dorothea Forster

eISBN 978-3-7025-8009-4

ISBN 978-3-7025-0753-4

www.pustet.at

Unsere Zeit ist geprägt von Zweifeln, darunter auch vom Zweifel an Gott und an der Richtigkeit der eigenen Religion. Dabei geht es nicht nur um die Unsicherheiten der Theologen und Priester, sondern um die alltäglichen Glaubenszweifel, in denen sich viele von uns wiederfinden.

Das Buch handelt von der Ökumene und deren nachkonziliaren Strömungen, von der Freude an Gott und am Glauben, von der Toleranz gegenüber anderen Religionen ohne Verlust der eigenen Identität. Es werden Probleme aufgezeigt und es werden Wege zum Überwinden unserer Zweifel beschrieben. Wolfgang Rachbauer unternimmt den Versuch, an Gott zu glauben, und zeigt, dass man Gott nicht nur in der Kirche erfährt, sondern ihm auch im Beruf begegnen kann.

Wolfgang Rachbauer

Geboren 1966 in Salzburg; 8 Jahre Privatgymnasium der Herz-Jesu-Missionare in Salzburg; Matura; LKW-Disponent und LKW-Fahrer; Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Wien; Mitarbeiter und seit 15 Jahren Führungskraft im mittleren Management der Raiffeisen Bank International AG in Wien; berufliche Auslandsaufenthalte in New York, Moskau und St. Petersburg.

wolfgang rachbauer

wenn du

zweifelst,

freue dich

ein versuch,

an gott zu glauben

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1

Die Bedeutung des Zweifels

Kapitel 2

Unbequem sein

Kapitel 3

Horizontales Schisma

Kapitel 4

Ich habe Angst

Kapitel 5

Tränen, die wir lachen, weinen wir nicht

Kapitel 6

Bräuche, Gewohnheiten, Rituale

Kapitel 7

… wirst du mit mir im Paradies sein

Kapitel 8

Weg der Wunder und Pfad der Zweifel

Kapitel 9

Gebete und Schoßgebete

Kapitel 10

Zu nah am Tabu

Kapitel 11

Wen liebt Gott?

Kapitel 12

Was heißt hier Ökumene?

Kapitel 13

Fragen, hinterfragen und Menschen führen

Kapitel 14

Der größte Sieg des Teufels ist, dass die Menschen nicht mehr an ihn glauben

Kapitel 15

Missionar wider Willen

Kapitel 16

So viele Götter, an die wir glauben

Kapitel 17

Der Verein, in dem man nicht lügen darf

Kapitel 18

Religiöse Komfortzonen

Kapitel 19

Judas, der Freund Jesu

Kapitel 20

Das Kreuz: Symbol der Hoffnung oder Folterinstrument?

Kapitel 21

Was die Kirche falsch gemacht hat oder Die Frage, ob wir an Gott glauben oder an die Kirche

Kapitel 22

… Beichtvater sein dagegen sehr

Kapitel 23

Gottesdienst ist uncool

Kapitel 24

Mit dem iPhone zum iGod

Kapitel 25

Could we start again, please

Kapitel 26

Meine Fragen an Gott

Kapitel 27

Gottes Fragen an mich

Kapitel 28

Wie leicht macht es uns Gott zu zweifeln?

Kapitel 29

Das Gleichnis vom daheimgebliebenen Sohn

Kapitel 30

Ich glaube nicht

Vorwort

Was bringt einen Menschen, der im harten Bankgeschäft erfolgreich tätig ist, dazu, ein solches Buch zu schreiben?

Sind es Reuegefühle, Gewissensbisse, Selbstzweifel?

Nein.

„Ein Versuch, an Gott zu glauben“ widmet sich dem Zweifel, und das in einer Form, wie ich sie spannender und ehrlicher noch nie erlebt habe.

Hier lässt uns ein Mensch durch sein Seelenfenster schauen. Lässt uns teilhaben an seinen Zweifeln, an seinen Gotteserfahrungen.

In klarer, eindringlicher Sprache wird der Leser zum Beispiel auf den „Weg der Wunder und Pfad des Zweifels“ geführt.

Dieses Buch will nicht belehrend oder besserwisserisch sein. Seine unerschrockene Offenheit verführt jedoch zur Nachdenklichkeit, zum Zweifel und schließlich zu der Erkenntnis, dass es sich lohnt, an Gott zu glauben.

Sepp Forcher

Kapitel 1

Die Bedeutung des Zweifels

Für viele Menschen ist Zweifel etwas Schlimmes. Verwerflich. Das darf nicht sein. Das geht nicht. Gar nicht. Ein absolutes No-Go, würde ein Manager sagen. Zweifel ist der erste Schritt zur Verdammnis. Wenn man bei echten Zweifeln angekommen ist, dann ist es eigentlich schon vorbei. Nein, nicht bei den ironischen Zweifeln, auf die man ja noch stolz ist. Die sind Ausdruck einer emanzipatorischen Selbstbestimmtheit und zeigen einem, dass man nicht alles akzeptiert. So eine Mischung aus pubertärem Trotz und Don’t-believe-in-Jesus von John Lennon. Nein, diese Zweifel sind eine lässliche Sünde. So wie das Zuspätkommen zum Gottesdienst, das man bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil tolerierte. Bis zum Opfergottesdienst, ja sogar bis zum Ertönen des Klingelzeichens vor der Wandlung. Mit dem nächsten Schuldbekenntnis ist das erledigt und man erspart sich den geknickten, reumütigen Gang in den Beichtstuhl. Nein, diese Zweifel meine ich nicht.

Es geht um die wirklichen Zweifel. Jene Zweifel, die sich leise anschleichen, über Jahre, vielleicht Jahrzehnte. Die einem gar nicht auffallen, weil sie auf Samtpfoten daherkommen. Anfangs kann man sie vom ironischen Zweifel, den man selbstverliebt zur Kenntnis nimmt, gar nicht unterscheiden. Aber dann merkt man, dass sie da sind. Natürlich, es gibt Dogmen. Zum Beispiel die Unbefleckte Empfängnis Marias. Ganz abgesehen davon, dass die meisten ohnehin nicht wissen, was damit wirklich gemeint ist. Eigentlich schade. Aber wie kann man das jemandem erklären? Ohne Erbsünde empfangen. Schön und gut. Aber ohne theologische Ausbildung muss das ja zu ziemlichen Zweifeln führen.

Oder die Jungfrauengeburt Marias. Auch so eine schwierige Sache. Jede Erklärung, die man findet, kommt einem wahrscheinlicher und realistischer vor als die Erklärung, die die Kirche nennt: der Heilige Geist. Wer da nicht zweifelt, hat sich wahrscheinlich noch nie die entscheidende Frage gestellt, nämlich „Glaube ich wirklich daran?“. Ganz abgesehen davon, dass man sich das öffentlich ja gar nicht zu sagen traut. Naja, in der Kirche schon, beim Gottesdienst, gleich nach der Predigt. „Geboren von der Jungfrau Maria.“ Tausendmal gebetet. Tausendmal ausgesprochen. Und dann fragt mich ein in selbstgefälliger Gelassenheit ruhender atheistischer Arbeitskollege mit einem esoterischen Lächeln, ob ich denn wirklich daran glaube. Und plötzlich ist es ganz schwer auszusprechen, was man doch im Sonntagsgottesdienst immer wieder voller Überzeugung betet. Ganz fest einstudiert hat. Da kann man schon so seine Zweifel bekommen.

Oder die Auferstehung – sozusagen der Klassiker im Christentum. Ob wirklich jeder, der in der heiligen Messe das Glaubensbekenntnis betet oder in der Osternachtsfeier sein Taufversprechen erneuert, ob sich also jeder dieser Gläubigen am Dienstag nach Ostern am Arbeitsplatz noch so ganz sicher ist, was er da in der Ostermette „versprochen“ hat, als der Priester fragte „Glaubt ihr an die Auferstehung der Toten?“ und er mit „Ich glaube!“ geantwortet hat. Ob sich da nicht auch schon einmal andere Überlegungen aufgetan haben, wie zum Beispiel die Möglichkeit, dass die Jünger den Leichnam Jesu verschwinden lassen haben, dass es sich um einen Scheintod gehandelt haben könnte, dass der Leichnam niemals in das Grab gelegt wurde oder die Auferstehung Jesu bildlich gemeint war, nicht physisch, also eine Folge des Glaubens war und keine historische Tatsache.

Ja, diese Zweifel sind die ernsten Zweifel. Die meine ich. Da steht man plötzlich vor einer Weggabelung und muss eine Entscheidung treffen, wohin man gehen soll. Entweder man folgt bedingungslos den kirchlichen Dogmen und fragt nicht nach. Gott wird sich schon etwas dabei gedacht haben. Oder man wendet sich von der Kirche ab. Endlich geschafft, endlich hat mir jemand aufgezeigt, welchen Irrtümern ich seit damals, als mich meine Eltern in die Kirche mitnahmen, unterlegen bin. Oder man wird Priester. Aus Trotz. Jetzt erst recht. Dann darf ich, muss ich daran glauben. Und es wird mich niemand mehr mit der Frage quälen, warum ich das glaube. Mein Beruf sagt ja schon, dass ich über jeden Zweifel erhaben bin, dass ich gar nicht zweifeln darf. Dann bin ich es, der selbstgefällig lächeln kann, und Gott wird mir diese Selbstgefälligkeit in seinem Dienst verzeihen.

Und dann gibt es den Weg, den ich gewählt habe. Zweifel sind gut. Zweifel gehören zum Glauben wie Wasser zum Leben. Nur über Zweifel kommt man zum wahren Glauben. Glaube kann ohne Zweifel nicht entstehen und nicht weiterexistieren. Ohne Zweifel gibt es keinen Glauben. Und man kommt erst über Zweifel zum Glauben. Zweifel können niemals den Glauben erschüttern, sondern ihn nur festigen. Viele Menschen glauben, dass Zweifel der erste Schritt zur Verderblichkeit sind. Und das Rezept scheint deshalb ganz einfach: Man darf sich nicht mit Zweifeln auseinandersetzen. Man darf sich nicht auf Diskussionen mit dem eigenen Gewissen einlassen. Solche Diskussionen kann man nicht gewinnen. Und eine ehrliche Diskussion kostet uns Energie und Zeit. Beides haben wir in der heutigen Zeit nicht oder wollen wir nicht opfern. Aber Zweifel sind kein Schritt in die Verdammnis.

Der bekannte Schriftsteller Umberto Eco lässt in seinem Roman „Der Name der Rose“ den in der Antike verhafteten Jorge von Burgos über den Zweifel philosophieren: „Wer zweifelt, wende sich an eine Autorität, befrage die Schriften eines heiligen Vaters oder Gelehrten, und schon endet jeder Zweifel.“ So einfach sieht es Jorge, der Benediktinermönch. Der für seine Zeit erstaunlich aufgeklärte Franziskanermönch William von Baskerville – quasi der Gegenspieler zu Jorge – ist da anderer Meinung:

„Gott will, dass wir unsere Vernunft gebrauchen, um viele dunkle Fragen zu lösen, deren Lösung uns die Heilige Schrift freigestellt hat. Und wenn uns jemand eine Meinung vorträgt, sollen wir prüfen, ob sie akzeptabel ist, bevor wir sie übernehmen, […].“

(Eco: Der Name der Rose, S. 178)

Zweifel ist demgemäß also keine Sünde und schon gar nicht soll man unkritisch die Meinung von sogenannten Autoritäten übernehmen, um Zweifel aus der Welt zu schaffen. Man sollte vielmehr den eigenen Verstand nutzen, kritisch sein und sich selbst ein Bild machen.

Echte Zweifel sind gut. Sie stärken den Glauben, weil sie uns zum Nachdenken bringen. Und sie lassen uns weiterforschen, so wie es beim heiligen Thomas, dem Ungläubigen, der Fall war. Er hat sich nicht damit zufriedengegeben, dass ihm seine Freunde von der Auferstehung Jesu erzählt haben. Nein, er wollte mehr. Er wollte einen Beweis. Er wollte den auferstandenen Jesus leibhaftig sehen – ansonsten braucht man ihm mit der Geschichte über den auferstandenen Jesus gar nicht kommen, die glaubt er nicht.

Das Nachdenken und Nachforschen führt uns zu mehr Wissen. Und je mehr Wissen man hat, desto mehr steigen wieder die Zweifel. Oder es kommen andere, neue Zweifel. So wie es Johann Wolfgang von Goethe auf den Punkt brachte: „Mit dem Wissen wächst der Zweifel.“ Fast möchte man sagen, dass das ein „Teufelskreislauf“ ist. Aber mir gefällt das Attribut „Teufel“ hier nicht. Es ist ein Kreislauf, der gut und sinnvoll ist. Denn er zeigt uns, dass wir gar nicht aus dem Zug des Zweifels aussteigen können. Gott schenkt uns Zweifel und wir müssen sie annehmen. Natürlich kommt man nicht immer zu einem Ergebnis. Manchmal wird man resignieren. Manchmal wird man sich zurücklehnen und glücklich darüber sein, dass man nicht alles erklären muss. Man darf dem Zweifel einfach seinen Raum geben. Und darauf vertrauen, dass der Zweifel von Gott kommt und wirken darf. Ja, echter Zweifel ist gut.

Kapitel 2

Unbequem sein

Manche Menschen lieben ein bequemes Leben. Nein, ich glaube, es sind sogar viele Menschen, die ein bequemes Leben lieben. Eigentlich liegt die Bequemlichkeit in der Natur des Menschen. Das lehrt uns schon die Evolution. Der Mensch braucht die Energie zum Jagen und zum Kämpfen. Wenn er nicht auf der Jagd ist und nicht kämpft, dann muss er seine Energiereserven schonen. Heute würde man sagen, dass der Mensch den Weg des geringsten Widerstandes geht. Das ist sogar wissenschaftlich erwiesen. Und vor diesem Hintergrund scheint es uns dann besonders bemerkenswert, wenn jemand aus dem sprichwörtlichen bequemen Eck hervortritt und sich auf etwas Außergewöhnliches, ja vielleicht sogar auf etwas Unbequemes einlässt. Das heißt, man erhält Gegenwind, weil man Dinge tut oder sagt, die andere verwirren. Weil man ganz einfach lästig und unbequem ist. Vielleicht auch, weil man die Wahrheit sagt, die heute die meisten nicht mehr hören wollen. Unbequem sein – auch das muss man lernen. Ich meine damit aber nicht die angeborene Eigenschaft des ständigen Haderns mit dem Schicksal, des Meckerns, des Murrens. Oft sagt man ja den Österreichern, besonders den Wienern, diese Eigenschaft nach. „Raunzen“ wird das genannt. In Westösterreich auch „Sempern“. Nein, mit Unbequemlichkeit meine ich hier, dass man Meinungen vertritt, die nicht Beifall, sondern Kritik hervorrufen, ja gefährlich sein können. Aber genau das ist wichtig in unserer Gesellschaft.

Viele Menschen haben ein verklärtes Bild von Gott. Und von Jesus. Er war ein Mensch, der Kranke geheilt hat. Der Tote zum Leben erweckt hat. Der sich um die Armen gesorgt hat. Der einfach alles richtig gemacht hat. Und ich mache es ihm nach, indem ich am Sonntag ein paar Euro in den Korb gebe, der am Beginn des Opfergottesdienstes durchgereicht wird. Ja, und dann gibt es den Bettler vor der Kirche, dem habe ich auch einen Euro gegeben. Ich bin wahrlich ein Jünger Jesu.

Nein, so einfach geht es eben nicht. Und Jesus war sicher auch nicht nur der Tröster der Armen. Jesus war unbequem und Gott verlangt auch von uns, diese Unbequemlichkeit zu leben.

Wie oft hat Jesus seine Mutter, seine Jünger, ja seine ganze Umgebung vor den Kopf gestoßen. Er ist als heranwachsender Junge auf und davon, ist in den Tempel, und seine Mutter hat nicht gewusst, wo er ist. Sie hat sich gesorgt. Jetzt stellen Sie sich – liebe Leserinnen und Leser – einmal vor: Sie kaufen in einem Einkaufszentrum in einer großen Stadt ein und plötzlich ist Ihr Kind verschwunden. Da klingeln alle Alarmglocken und Sie werden in panischer Angst die Polizei informieren, herumlaufen, weinen. So ähnlich ist es Maria, der Mutter Jesu, auch ergangen, als sie Jesus plötzlich nirgends mehr finden konnte. Jesus war – wie wir aus der Bibel wissen – im Tempel, und als ihn seine Mutter dort fand, gab er ihr nur eine bittere Antwort. Jesus war rebellisch. Er war eben nicht angepasst.

Oder erinnern wir uns nur an die Hure, die Jesus die Füße gewaschen, mit ihren Haaren getrocknet und dann gesalbt hat. Alle waren empört. Wie kann es sein, dass sich der Sohn Gottes mit den Sandlern, Bettlern und Huren abgibt. Das wäre so, als wenn der Papst nicht in der voll besetzten Kathedrale eine zweistündige Mozart-Messe zelebriert, sondern am Bahnhof Zoo in Berlin mit den Prostituierten ein Abendessen zu sich nimmt. Wahrscheinlich wäre das sogar einmal ein gutes Zeichen für einen Papst und ich traue es Papst Franziskus auch zu. Nun ja – Jesus war jedenfalls unbequem und gab seinem Umfeld viele Rätsel auf.

Heute ist das Christentum eine anerkannte Religion. Aber damals? Da herrschte ein Judentum, das geprägt war von vielen, sehr vielen Regeln. Alles, was man tun durfte oder unterlassen musste, war bis ins letzte Detail geregelt. Wie viele Schritte man am Sabbat gehen darf. Da gab es ernsthafte Diskussionen, ob man ein Kind, das in den Brunnen gefallen ist, retten darf, wenn man dabei mehr Schritte tut, als am Sabbat erlaubt waren. Da waren viele Regeln dabei, die uns heute unverständlich sind, aber sicher gab es auch sehr vernünftige Leitlinien. Und in dieser Zeit ist Jesus geboren. Als Jude. Auch seine Mutter Maria war Jüdin. Alle seine Apostel – ebenfalls Juden. Man vergisst heutzutage oftmals, dass Jesus und sein Umfeld vom Fleische her Juden waren. Und der jüdische Glaube war damals ein fixer Bestandteil des Lebens, in dem Religion, Glaube und weltliche Macht eng miteinander verflochten waren. Jesus ist in einer Zeit geboren, in der es wahrhaftig als höchst befremdlich, ja sogar frevelhaft erscheinen musste, wenn jemand das Judentum in Frage stellte. Da kommt einer, der behauptet, Gottes Sohn zu sein und mit den ganzen Regeln aufräumen zu wollen. Einer, der im Tempel ganz unerhörte Geschichten erzählt. Er war noch ein Jugendlicher und glaubte, dem Hohepriester etwas erzählen zu können. Das ging damals gar nicht, das war auch so ein No-Go. Die ganze Jesus-Geschichte kann man getrost als gewaltige Revolution bezeichnen. Jesus lehnte sich auf, war ganz und gar unbequem. Für seine Mutter, für seine Jünger, für die herrschende Klasse.

Unter Historikern besteht heute Einigkeit, dass Jesus sowohl für die judäische Elite als auch für die römischen Besatzer gefährlich wurde. Man musste ihn verschwinden lassen, er war zu unbequem.

Es gibt so viele interessante Persönlichkeiten in der Geschichte, die ebenfalls unbequem waren. Oftmals haben wir ein sehr einseitiges Bild von diesen Personen. Ein Bild der Verkürzung. Ein Bild der Reduktion auf das, was wir sehen wollen. Ein Bild der frommen Heiligkeit und Angepasstheit. Dass es sich dabei aber um ganz unbequeme Menschen gehandelt hat, ist oftmals nicht bekannt oder wird ausgeblendet.

Nehmen wir Paulus. Er ist einer der bedeutendsten Heiligen, ein Märtyrer. Er wird heute als der wichtigste Verbreiter des Evangeliums im ganzen Mittelmeerraum gesehen. Aber wer denkt eigentlich bei Paulus daran, dass er früher Saulus hieß, dass er Christen verfolgen und ermorden ließ und dass viel Blut an seinen Händen klebte? Ja, richtig, unser heiliger Paulus, der in unserer Kirche einen hochrangigen Platz einnimmt. Er war am Ort des Geschehens, als Stephanus gesteinigt wurde, und er hat es gebilligt. Und dann erlebte er einen Wandel in Damaskus und änderte sein Leben. Er glaubte nunmehr an Gott und wurde zum unumstrittenen Verkünder der Botschaft Jesu. Paulus zweifelte dennoch ein Leben lang. Er haderte mit sich selbst und mit Gott. Er ging von Stadt zu Stadt, wurde vielfach verachtet, verschmäht. Er begab sich in Gefahr und wurde verfolgt. Einmal steinigten sie ihn fast zu Tode, weil er sich zu Jesus bekannt hatte. Paulus war unbequem und umstritten. Aber er war von seiner Sache überzeugt. Ich denke, es gibt kaum einen Menschen, der so oft wie Paulus sein Leben und seine Gesundheit bei der Verkündigung des Evangeliums aufs Spiel gesetzt hat. Paulus war nie in der Komfortzone. Dort hätte er sich gar nicht wohlgefühlt. Er war ständig – bis zu seinem Tod – ein Verächter des Behaglichen, ein Unbequemer.

Eine ähnliche Person war Mutter Teresa von Kalkutta. Heute verehrt, ja sogar seliggesprochen. Vorbild für viele. Wie stellen wir sie uns vor? Eine kleine, zerbrechliche Frau, die sich für die Ärmsten der Armen einsetzte? Ja, das stimmt. So haben wir sie über die Medien kennengelernt. Aber Mutter Teresa war auch eine von den ganz Unbequemen. Und – sie zweifelte. Sie hat Aufzeichnungen hinterlassen, in denen sie über ihre Zweifel sprach: „Der Himmel bedeutet mir nichts mehr, für mich schaut er wie ein leerer Platz aus.“ Wer kennt Mutter Teresa so? Mit diesen großen Zweifeln, die sie zeitlebens geplagt haben? Die immer größer wurden? Sie war eigenwillig und streitbar. Auch und vor allem gegenüber der Kirche und ihren Vertretern. Auch wenn sie nur einen Sterbenden wenige Stunden pflegen konnte, auch wenn sie ihm nur ein Lächeln zu schenken vermochte, bevor er starb – es bedeutete für Mutter Teresa die Welt. Es war 1964, als Papst Paul VI. die ob ihrer Nächstenliebe bekannte Frau in Indien besuchte und ihr ein Geschenk überreichen wollte. Es war alles ganz feierlich geplant, aber Mutter Teresa kam nicht. Nein, sie war gerade an der Seite eines schwer kranken Obdachlosen, der die letzten Minuten seines Lebens in ihrer Station verbrachte. Das war für Mutter Teresa viel wichtiger als der Papst mit seinem Geschenk. Einmal antwortete sie auf die Bemerkung eines äthiopischen Gouverneurs, dass sie aufgrund des Bürgerkrieges dort kein Obdachlosenheim errichten könne: „Ich bin eine Revolutionärin, aber meine Revolution besteht nur aus Liebe.“ Ja, Mutter Teresa war wirklich eine Revoltierende, radikal, unerschrocken und unbequem.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Diese berühmten Zeilen von Dietrich Bonhoeffer stammen aus einem Gedicht, das er 1944 an seine Eltern und an seine Freundin Maria geschrieben hatte. Damals, in Gefangenschaft, ahnte er bereits, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Und tatsächlich, sechs Monate später wurde er im Konzentrationslager Flossenbürg erhängt.

Dietrich Bonhoeffer wurde nicht einmal 40 Jahre alt. Aber er hat sich bedingungslos dem Widerstand gegen die Mächtigen verschrieben, gegen die Verfolgung der Juden und für die wahre Kirche, für die „Bekennende Kirche“. Er stammte aus einer sehr angesehenen bürgerlichen Familie mit Verwandten in hochrangigen Positionen. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, den Widerstand zu beenden und ein gutbürgerliches Leben zu führen. Aber er ist den unbequemen Weg gegangen. Und zwar sehr konsequent. Er trat immer wieder aus der Komfortzone heraus und begab sich dadurch wissentlich und willentlich in Schwierigkeiten. Er eckte immer an und ich denke auch, dass er es manchmal schier genoss zu provozieren.

Im Jahr 1935, als mit den „Nürnberger Rassengesetzen“ den Juden alle Rechte genommen wurden und an den Eingängen zu den Universitäten und Restaurants „Juden unerwünscht“ zu lesen war, sagte Bonhoeffer ganz öffentlich: „Nur wer für Juden schreit, darf gregorianisch singen.“ Und er wusste, dass seine Aussagen politisch höchst brisant und für ihn lebensgefährlich waren. Er musste seine unbequeme Art, seinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus während des Krieges letztlich mit dem Leben bezahlen. Heute kann man getrost sagen, dass Bonhoeffer für alle Menschen, die ungemütlich sind oder eine unbequeme Meinung haben und sich nicht davor fürchten, diese Meinung laut zu sagen, Vorbild sein kann.

Kapitel 3

Horizontales Schisma

Vielleicht möchten viele unter Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, dieses Kapitel überspringen. Entweder, weil sie zu jenen gehören, die mit dem Begriff nichts anfangen können und irgendeinen intellektuellen, theologischen Streit dahinter vermuten, den man besser den Gelehrten an den Universitäten überlassen sollte. Oder Sie sind unter jenen, für die der Begriff des horizontalen Schismas schon so alt und mühsam ist, dass Sie nicht auch noch meine Meinung hierzu lesen wollen.

Egal, welcher Gruppe Sie sich zuordnen würden, Sie haben recht. Es handelt sich um einen Streit, ich meine sogar, um einen handfesten und ganz problematischen Streit in der heutigen Kirche. Und den können wir, die theologischen Laien, nur schwer lösen. Das ist nur etwas für die Berufskatholiken, denken Sie vielleicht. Und richtig, die Sache mit dem horizontalen Schisma ist schon sehr alt, jedenfalls schon einige Jahrzehnte. Aber lassen Sie mich zunächst den Begriff kurz umreißen.

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) sahen viele Katholiken die Kirche in einem Aufbruch, in einem großen Sprung nach vorne. Sie erwarteten sich eine Modernisierung, nicht nur der Liturgie, sondern eine echte Erneuerung der Kirche. Vieles hat sich getan, aber vieles ist auf halbem Weg ins Stocken geraten. „Im Sprung gehemmt“ lautet auch der bezeichnende Titel des Buches von Weihbischof Helmut Krätzl über diese kirchengeschichtlich so wichtige Epoche. Manche sehen mit Bedauern eine Kirche, die sich dann doch nicht traute, die „heißen Eisen“, die man im Zweiten Vatikanischen Konzil im Feuer hatte, fertigzuschmieden. Andere sehen hingegen dieses Konzil als eine unnötige Reformbewegung. Diese kontroversen Meinungen kursieren bis heute.

Da gibt es jene Katholiken, die eine stärkere Einbindung der Laien fordern, eine offene Diskussion über den Zölibat, über das Frauenpriestertum, über ein neues Sakramentsverständnis in Verbindung mit wiederverheirateten Geschiedenen, über eine verantwortliche Elternschaft und generell über eine neue zeitgemäße kirchliche Sexualmoral. Diese „Forderungen“ werden oftmals von „denen da unten“, von der „Basis“, von der „Ortskirche“ gestellt.

Und dann gibt es „die da oben“, allen voran den Papst und die römische Kurie. Sie werden häufig als die eigentlichen Bremser gesehen, als jene, die das Zweite Vatikanische Konzil bloß als Bestätigung für vielerlei Glaubenswahrheiten sehen und sich den Forderungen vonseiten der Basis nur schwer bis gar nicht anschließen können.

Einfach ausgedrückt gibt es also ein „Oben“ gegen ein „Unten“. Kirchenkenner würden dies auch als einen Streit zwischen der Theologie, ich nenne sie gerne die „Forschung“ der Kirche, und dem kirchlichen Lehramt sehen.

Und diesen Streit, diesen Dissens, bezeichnet man als „horizontales Schisma“ in der katholischen Kirche. Der Begriff ist schon sehr alt und es gibt mehrere Theologen, die ihn für sich in Anspruch nehmen. Ich denke, dieses Wort beschreibt sehr gut einen kontroversen Zustand und kann demgemäß ganz universell eingesetzt werden.

Es gab keine Zeit während der zweitausendjährigen Geschichte des Christentums, in der kein Kampf zwischen Tradition und Moderne, zwischen Konservativismus und Fortschritt stattgefunden hat. Gerade in der katholischen Kirche scheint man diesen Konflikt zu hegen und zu pflegen. So gesehen ist das horizontale Schisma auch nichts Neues, aber es hat doch nach dem Zweiten Vatikanum eine neue Qualität bekommen.

Grundsätzlich stand ja dieses Konzil selbst bereits unter dem Streit zwischen Traditionalisten und Modernisten. Es ließ – nachdem zwei Weltkriege beendet worden waren und nun die Position der Kirche neu überdacht werden sollte – diesen Konflikt wieder mehr in den Mittelpunkt rücken. Weder die einen noch die anderen hatten es zunächst Angelo Giuseppe Roncalli, dem früheren Patriarchen von Venedig und in Folge Papst Johannes XXIII., diesem etwas pummeligen, sehr volksnahen Papst zugetraut, ein Konzil einzuberufen. Und bereits zu Beginn schien für die Traditionalisten festzustehen, dass das Konzil in den vorbereitenden Gremien die geltende Lehre einzementieren würde und die notwendigen Konzilsbeschlüsse in wenigen Wochen getroffen sein würden. Nichts davon ist geschehen, auch wenn es massive Interventionen der konservativen Bischöfe und Meinungsmacher gegeben hat.

Gerade nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzte eine Welle des optimistischen Aufschwungs ein. Und die katholische Kirche hatte ihren Anteil daran. Es herrschte unter der jüngeren Generation eine Aufbruchstimmung nicht nur in der säkularen Welt, sondern auch in der geistlichen. Junge Priesterseminaristen – und von denen gab es damals erstaunlich viele – waren voller Enthusiasmus, als Priester etwas bewegen zu können. Dieses Lebensgefühl floss wohl auch in die Bestrebung ein, die Kirche verändern zu wollen. Und letztlich prägten einige Bischöfe mit ihren fortschrittlichen Ideen das Konzil.

Die Versammlung war jedoch voller Spannungen, Entrüstungen und Enttäuschungen. Das Zweite Vatikanum war mit Sicherheit keine einfache Sache und schon gar kein frommes, besinnliches Beisammensein von Mitbrüdern. Es war eher ein Kampf zwischen Alt und Neu, zwischen Tradition und Fortschritt. Das Konzil wollte einen Sprung vorwärts machen, aber nicht nur Weihbischof Helmut Krätzl, damals als Konzilsstenograph im Einsatz, stellte sich bald seine bekannte Frage nach der Sprunghemmung. Wurden die Gedanken rund um das Verhältnis der Kirche zu nichtchristlichen Religionen, Ehe, Laienapostolat oder Ökumene wirklich zu Ende gedacht? Oder ließ man diese so schwierigen Themen dann doch lieber bewusst „einschlafen“?

In Wirklichkeit sind viele Fragen, die das Zweite Vatikanum aufgeworfen hat, weiterhin ungelöst und werden sehr diametral gesehen. Den Traditionalisten ist das Zweite Vatikanum in seinen fortschrittlichen Ansätzen ein Dorn im Auge – und sie verweigern auch heute noch die Handkommunion oder den Empfang der Kommunion durch einen Pastoralassistenten. Für sie ist der Geist des Konzils ein bewahrender, kein reformistischer. Sie stehen auch dem Laienapostolat skeptisch gegenüber.

Die Fortschrittlichen möchten die Ideen des Auf- und Ausbruchs aus den zu engen Fesseln der Kirche verwirklicht sehen, indem sie mehr Mitbestimmung der Basis oder die Abschaffung des Zölibats fordern und zu „Ungehorsam“ aufrufen. Manchmal scheint die Kirche an diesen unterschiedlichen Positionen zu zerbersten. Aber es scheint eben nur so. Zum einen würde ein gläubiger Katholik sagen, dass es so von Gott gewollt ist und dass sich eine der beiden entgegengesetzten Strömungen durchsetzen würde, wenn Gott es wollte. Gut, sagen Sie sich jetzt, liebe Leserinnen und Leser, aber das ist eine Glaubensfrage, die nicht einmal gläubige Katholiken ganz befriedigt. Da haben Sie recht. Das wäre vielleicht wirklich zu einfach, denn es muss ja im Sinne Gottes sein, dass wir Unzulänglichkeiten, Konfrontationen und Streit vernünftig klären und zu ordentlichen Lösungen kommen. Es wäre eben zu unbequem, den lieben Gott einen lieben Gott sein und den Heiligen Geist als behäbige Taube im winterlichen Park nach Brotkrümeln suchen zu lassen. Aber nur um der Bequemlichkeit willen eine Sache zu akzeptieren, das war noch nie mein Ding.