Wenn es Gott gibt ... - Ingo Hoffmann - E-Book

Wenn es Gott gibt ... E-Book

Ingo Hoffmann

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Beschreibung

Voltaire sagte einmal: "Zufall ist ein Wort ohne Sinn; nichts kann ohne Ursache existieren.". Viele kleine Erlebnisse im Leben des Autors sind solche Ereignisse, die scheinbar ohne Ursache eine Wendung nahmen, wie sie nicht hätten vermutet werden können. Und doch sind sie erlebt worden. Genau dadurch ist der Titel des Buches, der eine Bedingung beschreibt, mehr eine Frage an den Leser. Es geht nicht um die Frage nach Glauben oder Unglauben oder welches der wahre Glaube ist. Bewegende Momente, die am Ende doch meist gut ausgehen, sind genauso beschrieben wie kleine Unwichtigkeiten. In allem ist aber immer die fantastische Schöpfung zu erkennen, von der wir wissen, dass hinter jeder Antwort eine neue Frage auf uns wartet.

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Seitenzahl: 276

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Panta rhei oder alles fließt.

Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung.

Zitat von Heraklit von Ephesus, ca. 540 – 480 v. Christus

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Worum geht es?

Wenn Kinder somatisieren

Wie tief kann ein Mensch fallen?

Unter Wasser

Lebensplan verkorkst

Ein Engel mit braunen Augen

Déjà-vu, Déjà-vu

Gehört ein Kind zur Familie?

Wenn Grenzen fallen

Noch ein kleiner Engel, auch mit braunen Augen

Es tut nicht mehr weh

Gemeindewechsel

Andalusien zum Ersten

Alles bleibt anders

Sterben tut weh - für die Lebenden

Herzeleid macht krank

Campari Orange

Licht und Schatten

Gelassenheit durch Krankheit

Trennung auf Zeit

Bauen wir doch mal ein Haus

Studienplatz gesucht

Protuberanzen

Klagen auf höchstem Niveau

Und wie weiter?

Vorwort

Eine verrückte Idee ist es schon, einfach so mal ein Buch schreiben zu wollen. Aber meine Freunde und Bekannten, Arbeitskollegen und zum Teil auch meine Familie sagt, für Ideen bin ich immer gut zu haben. Und sicher wäre es auch eine von diesen Ideen gewesen, die ich auf einen Zettel schreibe, den ich dann wegwerfe oder von der ich jemandem erzähle, in der Hoffnung, dass ein Anderer diese Idee realisiert. Nun kann mein Buch aber kein anderer schreiben, ohne dass er meine Gedanken kennt. Und wenn ich sowieso die Gedanken ordnen muss, kann ich es auch selber schreiben.

Der Titel ist sicher gewagt, und vielleicht sagt sich auch manch ein Leser schon an dieser Stelle, der Autor hat weder Theologie, Philosophie noch Psychologie studiert, woher soll hier die passende Erkenntnis kommen? Dieses Buch erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch und soll auch nicht auf den wahren Glauben, sofern es diesen überhaupt gibt, verweisen. Es soll vielmehr zum Denken und Sehen, zum Reden und Austauschen anregen. Über Erlebtes, Gefühltes, Wahrgenommenes und Vermutetes, über Freudiges wie Trauriges.

Der Anstoß kam in einem Urlaub an der wunderbaren Costa de la Luz im Betrachten von Pflanzen, die in unwirtlicher Umgebung in sengender Hitze auf Dünensand in den Salinas wachsen und blühen. Diese Pflanzen hatten wir in den Jahren davor schon häufiger gesehen, immer nur aus der Ferne und standen nun direkt davor und waren erstaunt. Weil wir die Entfernung auf der Karte nicht einschätzen konnten, waren wir zu Fuß nun weitab vom Getümmel und meine Frau hatte ein wenig Sorge. Ohne Wasser, ohne Sonnenschutz und ohne ausreichende Kenntnis der Sprache waren wir nur mit uns und Gott allein.

Die über Jahrtausende geformte Landschaft lädt zum Ruhen und in sich gehen ein. Weit ab von unserer Gemeinde und einem Gottesdienst dachte ich bei mir, hier beweist sich die Größe Gottes in der Winzigkeit und Schlichtheit dieser genügsamen Pflanzen und einiger Tiere. Der Atlantik in seinem Farbenspiel, welches sich mit jedem Sonnenstrahl und jedem Windstoß anders darstellt, ließen es ganz still in mir werden.

Düne an der Costa de la Luz

Gleichzeitig wurde in den Abendnachrichten über Tumulte und Sorgen der Region berichtet. Natürlich in Spanisch, emotional und schnell gesprochen, so dass ich nur wenig verstand und dennoch waren die Menschen in der Stadt und in dem Ort, in dem wir Urlaub machen, relativ entspannt. Es ist wenig was sie haben und trotzdem scheinen sie glücklich zu sein. Und die Prozessionen zum Feiertag nehmen genauso viel oder mehr Zeit in den Nachrichten in Anspruch wie die Weltnachrichten.

Lässt Gott sich beweisen? Nach dem Urlaub wird genau dieser Gedanke im Gottesdienst bewegt. Der Priester, der den Gottesdienst hielt, wusste nichts von meinen Gedanken, sprach sie aber aus. Gott lässt sich erleben, sofern ich darauf achte. Es gibt viele Dinge um uns, die geschehen, ohne, dass wir sie wahrnehmen. Und es gibt Dinge, die uns geschehen, ohne dass wir sie wahrnehmen.

Wem Abschnitte aus dem Buch bekannt vorkommen, weil die Gedanken schon mal in einem anderen Zusammenhang verwendet wurden – gut aufgepasst. Nicht alles was geschrieben oder gesagt ist, ist geistiges Eigentum und unterliegt dem Urheberrecht. Manchmal ist es sogar gewünscht, Gedanken weiter zu tragen.

Weil ich gelegentlich ein wenig abschweife, habe ich versucht, meine Erlebnisse zeitlich zu ordnen. Wer hier die wahre Erkenntnis sucht, möge das Buch wieder bei Seite legen. Es ist nur zur Kurzweil und Freude geschrieben.

Worum geht es?

Kann es einen Gott geben? Bei so viel Ungerechtigkeit und Not in dieser Welt ist dies eine Frage, die uns häufig umtreibt. Häufig ist der Titel des Buches in unseren Gedanken ohne jede böse Absicht, ohne Zweifel einfach so da. Kann Gott so etwas zulassen?

Und ist der Gott, der so etwas zulässt, ein liebender Gott? Wie oft wird in der Not zu Gott gefleht und wenn keine Hilfe kommt, mit ihm gehadert. Wir haben eine Idee von der Art, wie uns geholfen werden soll. Hat der Arzt nur bittere Medizin, so ist er kein guter Arzt.

In einem Training für Führungskräfte lernte ich einen Mann kennen, der sich von Nietzsche und Jesus von Nazareth gleichermaßen beeinflusst und beeindruckt sah. Was hat die größere Wirkung? Als Sonntagsschullehrer habe ich faszinierende Gedanken von Kindern aufnehmen dürfen, von denen ich hier einige mit anführen möchte.

Und einige Gedanken sind aus meinem Arbeitsumfeld. Ich hoffe, niemanden persönlich nahe zu treten und werde versuchen, Namen und Eigenschaften von Personen nach Möglichkeit nicht zu nennen.

Gibt es Dinge außerhalb unserer Vorstellungskraft? Kann es sein, dass alles, was ist, zufällig so ist, wie es ist? Ist eine ordnende Kraft vorhanden oder passen sich die Dinge einfach an? Was wird aus uns nach diesem Leben? Alles vorbei und aus? Fragen über Fragen und ich gebe keine Antworten. Weil ich gern Ausbilder war, gebe ich Denkanstöße. Unterstützen ist zum Lernen besser als Helfen.

Die Antworten findet der interessierte Leser allein. Wir sind doch schon alle groß? Oder?

Wenn Kinder somatisieren

Es gibt Erkrankungen, für die finden die Ärzte bei besten Willen keine körperlichen Ursachen. Dinge, die uns schwer im Magen liegen, sind nicht immer schwerverdauliche Lebensmittel, sondern gelegentlich ärgerliche Situationen. Kopfzerbrechen ist im übertragenen Sinne häufig der Auslöser für Kopfschmerz und Migräne. Etwas geht uns an die Nieren oder zu Herzen, häufig ist das auch sinnbildlich gemeint.

Dennoch weiß die Schulmedizin heute, dass Stress und psychische Belastungen den Organismus schwächen und anfällig machen, Magengeschwüre und Bluthochdruck erzeugen, panisches Herzrasen und Angstsituationen auslösen können. Stress beginnt im Kopf. Auf der Website meiner Krankenkasse habe ich letztens einen Onlinestresstest gemacht mit der Feststellung, es geht mir gut. Richtig gut. Auch wenn das Weltklima, die unsichere Wirtschaftslage und die Gesundheit meiner Familie sich nicht in allen Fällen in einem wünschenswerten Zustand befinden. Doch kann ich die Dinge mit Unzufriedenheit, Verbitterung und Sorge verbessern? Und warum greift Gott nicht ein?

Krankheiten haben Ursachen, Auslöser oder sind Wechselwirkungen von Erlebtem und Gefühltem. Und gerade bei Gefühltem sind wir so schlecht im Beschreiben, noch schlechter im Erkennen von Zusammenhängen. Für mich gilt das genauso oder vielleicht sogar ein bisschen mehr. Und wer der Sprache noch nicht ausreichend mächtig ist oder sich nicht gut mitzuteilen versteht, kann nicht unbedingt auf das Verständnis seiner Mitmenschen hoffen. Gelegentlich wollen wir auch niemandem unsere Gefühle mitteilen. Angst wird in unserer Gesellschaft häufig als Schwäche ausgelegt.

Kindern versuchen wir die Angst zu nehmen, auch weil wir ihnen die Zusammenhänge nicht begreifbar machen können. Nicht, weil Kindern nicht verstehen könnten, sondern weit häufiger, weil wir uns den Fragen nicht stellen wollen. Warum ist das so? Haben wir selbst Angst, unsere Verletzlichkeit zu offenbaren? Wollen wir unsere Kinder nicht mit unseren Sorgen belasten?

Unsicherheit am Arbeitsplatz, finanzielle Nöte, gesundheitliche Probleme, Ärger mit Mitmenschen, dennoch wollen wir unseren Kindern eine möglichst heile Welt bieten. Nur sind wir Menschen, fehlerhaft und nicht perfekt. Und unsere Umwelt ist es auch nicht. Nur weil wir es uns wünschen wird diese Umwelt nicht freundlicher oder sicherer.

Da Kinder im Normalfall diese Situationen nicht so wahrnehmen, verdrängen sie diese äußeren Einflüsse und leben ihr ach so sorgloses Kinderleben. Das Dumme ist nur, diese kleinen Wesen haben unheimlich sensible Antennen. Sie nehmen den Subtext in den Nachrichten zwischen Erwachsenen sehr viel intensiver wahr, als dies manch eine psychologisch geschulte Person bei aufmerksamer Betrachtung vermag. Weil keiner über die Sorgen spricht, fragt ein Kind auch nicht danach. Es übernimmt das Verhaltensmuster, nicht über das Unaussprechliche zu sprechen. Vielleicht gibt es auch Erwachsene, die Kindern antworten: „Dafür bist du noch zu klein.“. Oder: „Frag nicht!“.

Meine Eltern waren auch wegen ihrer Herkunft aus Arbeiterfamilien nicht mit den besten Einkommensmöglichkeiten ausgestattet. Auch wenn beide über einen Schulabschluss und eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügten, waren die Einkünfte nicht sonderlich hoch.

In den 60ziger Jahren war es in Ostberlin normal, dass auch die Frau arbeitete und so waren meine Ma und mein Pa beide voll berufstätig.

Oma und Opa mütterlicherseits wohnten im hinteren Teil einer Altberliner Durchgangswohnung an dessen vorderem Flurende sich die Wohnung meiner Eltern befand. Da die beiden schon Rentner waren, war so immer eine Möglichkeit für meinen Bruder und mich gegeben, in einer betreuten Umgebung zu sein.

In der Nähe unserer Wohnung befand sich auch ein Kindergarten und wir hatten auch beide einen Kindergartenplatz. Aber die Erzieher waren nicht so nett wie Oma, bei der wir zugegebenermaßen einige Freiheiten genossen. Dennoch ging ich für meinen Teil ganz gern in die Kita. Es war interessant, mit immer neuen Kindern spielen zu können, die Auswahl an verschiedenem Spielzeug war größer als zu Hause und ich hatte dort Freunde. Weil mein Pa mir alles, was mich interessieren konnte, erklärte, wusste ich für meine drei Jahre schon ganz schön viel und setzte dieses Wissen auch ein.

Mein Pa arbeitete auf dem Bau, im Hochbau, hat am Berliner Fernsehturm mitgebaut. Nun fragt sich der Leser vielleicht, wie ein Familienvater nach einem 9 Stunden Arbeitstag in einer 6-Tage Arbeitswoche noch Zeit hat, sich um seine Kinder zu kümmern. Ich weiß es nicht. Es ist die Liebe, die ich nicht erklären kann.

Und ich bin dankbar, dass ich ihn haben durfte. Um mit ihm zusammen zu frühstücken, musste ich um fünf Uhr morgens aufstehen, es gab Haferflockensuppe mit Milch und ich krabbelte danach meist in sein Bett um noch eine Runde weiter zu schlafen. Wenn er nach Hause kam, spielten wir am Boden im Wohnzimmer mit Autos seiner Modelleisenbahn, wobei er meist einschlief. Ich kuschelte mich dann auf seinem Rücken ein und ruhte ein wenig oder schlief auch. Wir waren ja so früh aufgestanden. Etwa 25 Jahre später schlief meine Tochter fast in der gleichen Position auf meinem Rücken. Mein gleichmäßiges Atmen hat sie immer einschlafen lassen. Haferflockensuppe hat sie auch mal ausprobiert. Allerdings hat sie dann mitbekommen, welche Energiemenge diese Mahlzeit mit sich bringt und dass man dafür etwas mehr körperliche Arbeit braucht um nicht dick zu werden. Dennoch mag sie diese Speise sehr.

Irgendwann bekam der Pa die Möglichkeit, auch auf größeren Baustellen etwas weiter weg von zu Hause zu arbeiten. Heute weiß ich, dass die Zulagen fast eine Verdopplung des Lohnes verursachten. Nur damals war es für uns Kinder nicht zu verstehen. Warum musste Papa immer so weit weg arbeiten? Für mich war dieses weit weg besonders grausam. Der Pa verabschiedete sich am Sonntagabend um am Montagmorgen mit seinen Kollegen auf Montage zu gehen. Er ging so früh aus dem Haus, dass er sich nicht mal von uns Kindern verabschieden konnte. Die Strecken, die damals in den 70zigern des letzten Jahrhunderts zurückgelegt wurden, kommen uns heute so banal vor. Wenn ich einen Termin in Hamburg oder Hannover habe, fahre ich morgens von Berlin los und bleibe nicht mal über Nacht. Das lässt sich doch alles in der normalen Arbeitszeit von max. 10 Stunden realisieren. Und zu Hause schlafe ich immer besser als in jedem Hotelbett. Aber ohne ICE und Tempo 120 auf den Autobahnen war es halt anders. War der Pa erst mal weg, ging es mir überhaupt nicht gut. Obwohl ich gern und viel aß, hatte ich dann keinen Appetit. Auf Haferflockensuppe schon gar nicht. Zu Bauchschmerzen kam meist auch noch Fieber und die Kinderärztin verzweifelte. Keine zu ertastenden oder durch Blutbild feststellbaren Ursachen konnten diagnostiziert werden. Es ging mir schlecht und keiner konnte sagen, was mir fehlte. Naja, bis auf meine Ma. Die sagte immer, mir fehlt mein Pa. Und wenn es Samstag wurde (6-Tage-Arbeitswoche) und sich der Schlüssel in der Wohnungstür unserer Alt-Berliner Durchgangswohnung drehte, so hätte es doch auch mein Opa sein können. Oma und Opa wohnten nebenan und Oma kümmerte sich liebevoll um mich kranken Kleinen.

Also woher kam es, dass mein Fieber am Samstagnachmittag weg war, ich den Sonntag mit meinem Vater durch das Wohnzimmer tollen konnte, teilweise sogar mit ihm nach draußen ging und am Montag wieder krank war? Der Pa war eben nicht nur für mich da, er war auch für mich wichtig. Extrem wichtig. Als er starb, brach es mir das Herz. Ich war 36 Jahre alt und doch war die Liebe zu ihm nicht gealtert oder verändert. Um den Verlust zu verarbeiten, dachte ich, es wäre eine gute Idee, wenn ich auf der Trauerfeier die Trauerrede halte. Er hätte es sich so gewünscht. Und ich wollte nicht, dass irgendjemand, vielleicht noch für Geld, irgendetwas über meinen Pa sagt. Er war lange krank, war berufsunfähig verrentet und hatte Asbestose. Im Prinzip gab es mit der Diagnose, dass der Krebs sich ausbreitet, kaum eine Chance. Gekämpft hat er nur für uns. Auch wenn ihm am Schluss die Kraft fehlte. Auf der Trauerfeier fanden es alle gut, dass ich die Trauerrede hielt, aber ich konnte nicht loslassen. Ich war immer noch sein kleiner Sohn. Und der war krank, wenn der Pa nicht da war. 1973 bekam mein Vater eine akute Hepatitis B. Ist wohl ansteckend, vor allem, wenn man sich als liebstes Kind beim Pa ankuschelt. Weil im Krankenhaus kein Platz war, lag mein Vater ein paar Tage bei uns zu Hause im Krankenbett. Aber obwohl es ihm schlecht ging mit Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, spielte er mit mir. Nun waren die hygienischen Verhältnisse im real existierenden Sozialismus alles andere als fortschrittlich. Gemeinschaftsklo eine halbe Treppe tiefer, ein Waschbecken in der Küche und zum Baden gingen wir zur Oma um die Ecke oder in die Badeanstalt. Entsprechend war es doch fast logisch, dass sich erst mein großer Bruder und natürlich auch ich anstecken musste. Erst kam unser Vater ins Krankenhaus, anschließend mein Bruder. Und sogar ins gleiche Krankenhaus. Nur ich kam dann in ein anderes. Nur meine Mutter konnte mich anfangs besuchen. Oh wie grausam ist diese Welt. Natürlich bekam ich hohes Fieber, die Ärzte waren ein wenig ratlos bis meine Ma versuchte, ihnen die Ursachen zu erklären. Zuerst waren sie sehr skeptisch.

Zum Glück hatte mein Vater aber dann ein Attest mit dem Nachweis, dass er jetzt ja Antikörper ausgebildet hatte und so durfte er dann wenigstens bis zur Glastür. Wir konnten nicht reden, die Tür war doppelt verglast und musste geschlossen bleiben. Allein ihn zu sehen half mir wieder gesund zu werden. Meine Mutter erzählte uns später, dass mein Pa sich, noch lange vor meiner Geburt, mit Meningitis angesteckt hatte. Sie besuchte ihn auf der Quarantänestation und war immer geschockt, wenn wieder vor einem Fenster die Vorhänge zugezogen worden waren. Dann hatte es wieder ein Patient nicht geschafft.

Ich durfte meinen Papa während der ganzen Kindheit haben. Damit hatte ich es besser als viele Kinder. Und er versuchte mir alles kindgerecht zu erklären. Fast so lieb wie meinen Pa hatte ich noch Opa Bruno, der eigentlich mein Uropa war. Mit Opa Bruno zusammen zu sein, war immer etwas Besonderes. Alle sagten immer, Opa Bruno wäre streng und würde auf alles ganz genau achtgeben. Das gute Sofa im Wohnzimmer seiner großen Wohnung war ein ganz besonderer Ort. Weil wir uns dort die Bücher anschauten, die sonst immer sorgsam verstaut im Bücherschrank standen und nicht angefasst werden durften. Märchenbücher, Fachbücher über sein Handwerk und eine bebilderte Bibel. Die Zeit bei ihm war genau eingeteilt, zuerst kam immer ein Spaziergang, meist zum Friedhof, auf dem drei seiner Frauen lagen, alle nebeneinander auf einer Grabstelle. Danach ging es zum Bäcker und dann zu Opa nach Hause. Mit dem Tod gehen Kinder einfacher um. Es ist eine Trennung auf Zeit, sagte Opa. Dennoch konnte ich nicht so recht verstehen, warum er noch einmal heiratete und dafür von uns aus Berlin weg und an die Nordsee zog. Als dann die Nachricht von seinem Tod kam, konnte ich mir mit meinen sieben Jahren das Ganze nicht so recht erklären. Weil er vorher aus der DDR ausgewandert war, durfte er nicht mehr einreisen. Nachdem er dann tot war, sah ich ihn aber noch ein paar Mal. Meine Mutter sagte, ich hätte geträumt.

Aber ich war doch wach gewesen … und der Pa hatte gesagt, Opa kann jetzt nicht mehr zu uns kommen. Oma und Opa, die nebenan wohnten, waren immer da. Beide waren Rentner, Opa hatte Krebs und Oma hatte Gürtelrose und offene Beine. Deswegen war sie auch nicht mehr draußen seit ich drei Jahre alt war. Opa hatten die Ärzte im Alter von 61 Jahren mit der Diagnose Blasenkrebs nach Hause geschickt, er solle sich noch mit seiner Frau ein paar schöne Wochen gönnen, man könne ihm nicht helfen. Dann wurde er doch noch 94. Und Oma spielte gern mit mir Karten, am Liebsten schlesische Lotterie. Aber als es Oma schlechter ging, versuchte uns unsere Mutter von dem Bild der Strebenden fern zu halten. Es war ihre Mutter. Adoptivmutter um genau zu sein. Das wusste sie nur nicht, bis Oma nicht mehr da war. Ihre Eltern hatten sie zur Adoption freigegeben und meine Großeltern hatten sie mit so viel Liebe umgeben, dass es ihr nie in den Sinn gekommen wäre, dass die beiden nicht ihre leiblichen Eltern wären. Nach ihrem Tod war dann auch Oma wieder bei mir. Ich verstand es nicht und mein Pa konnte mir das nicht so richtig erklären, aber er hatte ja auch noch eine Mutter.

Oma Mullekatze – wir nannten sie so, weil sie einen getigerten Kater hatte, der wahrscheinlich Garfield Pate stand – war Angestellte der evangelischen Kirche. Sie arbeitete in der Kirchenverwaltung und war im Glauben fest. Sie frömmelte nicht, sondern lebte ihren Glauben und konnte ihn erklären. Sonntags ging sie in die Kirche und in der Woche arbeitete sie für die Kirche. Sie versuchte mir das Thema Ewigkeit zu vermitteln. Nun ist es schwer, einem wissbegierigen kleinen Jungen Dinge wie Jenseits oder das Empfinden der Seele zu erklären. Sie bot mir an, mit in den Gottesdienst zu kommen. Der Pfarrer hatte sich sicher Mühe gemacht, die Predigt auszuarbeiten. Ich weiß nicht mehr, worum es ging, aber er war rhetorisch einfach nicht gut drauf. Eine Maschine hätte den Text spannender transportieren können.

Dazu war es kalt in der großen Kirche, der glatte Fußboden hatte etwas Ungemütliches an sich und die Menschen machten keinen fröhlichen Eindruck. Nein, hier war Gott nicht direkt zu finden und von der Ewigkeit waren wir hier so weit entfernt wie man auf der Erde nur von irgendeinem Ort entfernt sein kann. Alles wirkte so künstlich und aufgesetzt. Weil Oma wusste, dass ich jedes Buch, was mir in die Hände kam, las, bekam ich zu Ostern eine Bibel. Eine Bibel sollte man nicht von vorn bis hinten lesen. Ein Tipp, den ich aus Erfahrung nur jedem geben kann, der sich für Geistiges interessiert. Die Geschichtsbücher, die Register, die Chroniken – ein Telefonbuch liest sich spannender. Wie es kam, dass ich Uropa und Oma nach ihrem Tod noch sehen konnte, wurde mir nicht klar. Aber ein neues Interesse für das Thema Totenkulte war geweckt. In jedem Kulturkreis wissen die Alten, dass es nach dem Tod weitergeht. Die Seele, von der wir nicht wissen, wo sie sitzt, empfindet Dinge, die wir wissenschaftlich nicht nachweisen können. Dennoch gibt es die medizinischen Bereiche der Psychiatrie, der Psychologie und der Psychotherapie. Seelenkunde eben. Auch darüber kann ein Mensch viel lesen, sich austauschen und Gedanken machen. Auf einer Fahrt nach Görlitz habe ich einen Friedhof mit wunderschönen uralten Grabhäusern, Krypten und Gräbern aus alter Zeit gefunden. Einige davon sind bis zu 500 Jahre alt. In alter Zeit war es den Menschen besonders wichtig, ihre teuren Toten würdig zu bestatten. Heute sind wir, auch aus pragmatischen Gründen, zu einer Art Entsorgungskultur übergegangen. Dies soll keine Kritik sein. Mir persönlich gefallen Kolumbarien in der Art spanischer Friedhöfe. Und überhaupt geben Friedhöfe für mich immer so ein Bild der Ruhe ab. Friedlich eben. Als unsere Tochter noch sehr klein war und sonntags den Mittagsschlaf der Familie nicht so sehr mochte, sind wir häufig auf dem nahen gelegenen Friedhof spazieren gegangen. Eine Oase der Ruhe in unserem sonst so quirligen Berlin. Heute steht auf einem Teil dieses Friedhofes inmitten des tosenden Weddings ein Supermarkt.

Die Gemeinde konnte sich den Erhalt des großen Geländes im innerstädtischen Raum nicht mehr leisten. Gräber wurden umgebettet, der Bereich entwidmet und schon gab es einen Supermarkt mit Parkplatz mehr. Als ich vor kurzem zu einem Seminar in einer an den Friedhof angrenzenden Bildungsstätte war, konnte ich auf den Friedhof sehen. Die meisten Flächen sind heute Rasenflächen für anonyme Bestattungen. Auch einige Bekannte von mir liegen mittlerweile dort. Und die Familien wohnen nicht mehr in der Nähe. Wer sollte sich um die Gräber kümmern? Mein Pa war gestorben, ich hatte die Trauerrede gehalten und war vom Verstand her schon damit klargekommen, dass er nun tot war. Die letzten Wochen vor seinem Tod waren auch nur grausam, so dass es eigentlich besser für ihn und uns war. Ich stürzte mich in die Arbeit und alles war wie immer. Nur nicht wirklich. Er fehlte mir sehr. Die Auswirkungen auf meine Gesundheit habe ich in einem anderen Kapitel beschrieben. Meiner Mutter auch fehlte er auch, sie waren immerhin 38 Jahre verheiratet und sehr aufeinander eingespielt. Nicht immer nur glücklich, aber eben doch meist zufrieden oder zumindest gaben sie sich so. Und nun war er weg. Vieles in handwerklichen Dingen habe ich mir von ihm abgeschaut, manchmal habe ich ihn einfach gefragt, wie geht dies oder jenes besser. Auch noch mit 35 Jahren und nicht nur, um ihm das Gefühl zu geben, er würde gebraucht werden. Er hatte nicht immer sofort die passende Antwort aber unheimlich viele Bücher. Und er wusste genau, wo er nachschauen konnte. So ähnlich, wie es heute die Kollegen von mir behaupten. Schau bei Google oder besser, fragt doch Ingo. Dabei weiß ich nicht viel, ich merke mir nur Dinge, die ich erfragen oder ergründen muss, weil ich zu faul bin, ein zweites Mal danach zu suchen. Für mich war der Pa mein Google. Komisch war, dass, als er nicht mehr da war, viele Dinge, bei denen ich ihn hätte fragen wollen, sich dann plötzlich wie von selbst erklärten. Ich fand altes Werkzeug von ihm, genau in dem Moment, wenn ich es brauchte.

Oder ich erinnerte mich an Dinge, die er gesagt oder getan hatte, die mir den Zusammenhang der Situation erklärten. Ist er immer noch bei mir? Darauf ein ganz klares Jein. Wissenschaftlich betrachtet, lässt sich solch ein Erleben mit Wahrscheinlichkeiten und selektiver Wahrnehmung erklären. Wir nehmen die Dinge, auf die wir besonders achten, intensiver wahr. Sind wir auf der Suche nach einem bestimmten Gegenstand oder Produkt, so sehen wir es häufiger in unserem Umfeld, obwohl es nicht häufiger auftritt. Wahrscheinlichkeiten lassen sich berechnen und wer das macht, reduziert über diese Steuerung seines Unterbewusstseins die selektive Wahrnehmung. Weil nicht sein kann, was nicht geht. Nun bin ich ja manchmal ein wenig abgedreht, wenn es um solche Dinge geht. Also setzte ich mich hin und analysierte mein Erleben. Mit dem Ergebnis, dass ich wahrscheinlich meine Wahrnehmung manipuliert habe? Diese hier dargestellten Begebenheiten, waren eine nicht immer leichte Schule. Heute habe ich zum einen ein sehr viel besseres Verständnis für psychische Probleme in meiner Umgebung. Zum anderen weiß ich heute besser denn je, dass das Leben nicht von Dingen, sondern von Liebe bestimmt sein sollte. Viel Gelassenheit darf ich heute haben. Und ich mache die Sachen, die mir Spaß machen und was keinen Spaß macht und doch gemacht werden muss, wird mit der nötigen Sorgfalt aber eben nicht mit der gleichen Energie gemacht.

Wir leben nicht um zu arbeiten – wir arbeiten um zu leben. Und Leben ist Liebe. Immer.

Wie tief kann ein Mensch fallen?

Gibt es einen Engelschutz, der uns vor dem tiefen Fall bewahrt? Das Ding mit der Schwerkraft ist meist hilfreich. Zum Glück fallen alle Dinge nach unten. Wir haben uns als Jugendliche mal ausgemalt, wie blöd es wäre, wenn wir jedes Mal, wenn uns was aus der Hand rutsch, wir eine Leiter holen müssten. Kurz darauf wurde es bei uns zu einer Art geflügeltem Wort, da ist etwas nach unten gefallen. Mein Pa war durch seine Arbeit zu Höherem berufen. Die Baugerüste waren immer höher als die Häuser, an denen gebaut wurde. Sicherheit war zwar auch schon immer ein Thema, aber die Rüstungen wurden zum Teil aus Holz errichtet, was nicht immer im besten Zustand war. Abschrankungen, wie man sie von heutigen Baugerüsten kennt, gab es teilweise überhaupt nicht. Netze zum Schutz der durchlaufenden Passanten waren auch eher eine Seltenheit. Waren die Baustellen im Berliner Raum, so konnte ich meine Pa manchmal von der Arbeit abholen. Ich lernte also schon im Kindergartenalter die Unterseite eines Schuldaches mit Schindeleindeckung kennen. Sogar auf den Rüstungen durfte ich an Papas Hand in die Regenrinne schauen und mit einem Ball testen, wie lange es dauert, bis der unten rausrollt und war immer wieder von der Aussicht in der Höhe fasziniert. Krane oder Lastenlifte waren auf den Baustellen der DDR in den 70ziger Jahren ebenfalls eine Seltenheit und so war ein Teil der Beschäftigten die so genannten Hucker. Auf einem Huckerstuhl wurden bis zu 32 Ziegel à 3,7 Kilogramm, also mehr als zwei Zentner oder in Tubben, kannenähnlichen Gefäßen, wurden ca. 30 Liter Mörtel über die Holzleitern der Rüstungen auf dem Rücken transportiert. Das zu verarbeitende Material wurde dann auf der Rüstung zwischengelagert und veränderte natürlich auch die Statik der Rüstung. Es war also nötig, die Lasten möglichst gleichmäßig zu verteilen. Rüstungsanker waren meist nur aus Holz und in Lücken aus Ziegelsteinen gesetzt und durch die Schwerkraft gehalten.

Auch wenn die sprichwörtliche Arbeitsweise, ein Kalk - ein Stein - ein Bier, nicht unbedingt der Realität entsprach, so gab es doch, wie fast überall in Deutschland, zum Mittag ein Bier. Oder auch zwei. An einem Tag, von dem ich nicht mehr weiß, ob es im Spätsommer, Herbst oder Winter war, führte wahrscheinlich die mangelnde Objektivität eines Huckers zu einem folgenschweren Unfall. Und dass mein Pa das überlebt hat, hat er selbst als unverdientes Glück bezeichnet. Vom Unfall selbst hat der Pa mir später auf einer unserer Bootstouren erzählt. Mitbekommen habe ich nur, dass am Nachmittag meine Mutter im Flur einen furchtbaren Schrei losließ. Der Pa stand mit einem arg blutverschmierten Verband um den Kopf und dem Arm in der Binde vor der Wohnungstür, denn er hatte nicht aufschließen können. Er war zwar ehrenamtlicher Rettungssanitäter hatte sich aber selbst nicht ausreichend versorgen können. Die Krankenwagen hatten nur die beiden lebensgefährlich verletzten Kollegen mitgenommen, weil nicht mehr Platz war. Der Pa wollte doch aber zu Hause Bescheid sagen, dass er nur noch mal ins Krankenhaus muss. Ein Handy wäre damals genial gewesen. Was war passiert? Der Pa erzählte mir später, dass sich die Rüstung an einem Wohnhaus, an dem sie bereits im vierten Obergeschoss mauerten, plötzlich zur Straße neigte und zusammenbrach. Die genaue Ursache konnte später nicht festgestellt werden. Jedoch war wegen des Regens am Vormittag die Arbeit unterbrochen worden und man hatte im Bauwagen auf Wetterbesserung gewartet. Als es dann aufklarte, legten die Hucker ein ordentliches Tempo beim Nachschub vor. Ob es zu viel für die Rüstung war oder die Balance nicht gehalten wurde, die Last zu weit an der Außenseite gelagert hatte oder die Anker nicht hielten, ist unklar. Drei Mann, einer davon mein Pa, stürzten aus dem vierten Stock mit Mörtelbutten, Ziegelsteinen und der Rüstung in die Tiefe. Einer der beiden Kollegen war danach im Rollstuhl, der andere wurde arbeitsunfähig verrentet.

Mein Pa hatte ein angebrochenes Stirnbein, Platzwunden an allen möglichen und unmöglichen Stellen, einen angebrochenen Arm und konnte nach ein paar Wochen wieder arbeiten.

Zufall? Gibt es Engelschutz auch für Heiden?

Wir waren seit meinem vierten Lebensjahr jeden Sommer auf dem Zeltplatz. Am Rande von Berlin, auf der Schmöckwitzer Werder, gab es vier Zeltplätze. Für die meisten war es als Gartenersatz und Freizeitmöglichkeit genial. Von Ende April bis Ende September waren wir jedes Wochenende und in den Ferien draußen im Grünen. Der Zeltaufbau glich jedes Mal einem Umzug, der Abbau ebenso. Den ganzen Winter warteten wir auf das letzte Wochenende im April. Auch wenn es nicht so komfortabel war, wie es heutige Campingplätze vermuten lassen, so war es doch für uns Kinder doppelt schön, aus dem Grau der Stadt fliehen zu können. Seit 1970 hatten wir dann auch ein kleines Motorboot und so lernte ich auch die Berliner Wasserstraßen bis nach Treptow kennen. Ab dem Treptower Hafen war damals Schluss. Mit diesem Boot waren wir jeden Sommer auf den Seen in und um Berlin unterwegs. Ein Steg als Anlegeplatz am Zeltplatz musste jedes Frühjahr neu gebaut werden und im Herbst wieder entfernt werden. Die Erwachsenen bauten mit Holz und langen Nägeln eine stabile Konstruktion in den See hinaus. Bis zum Ende des Schilfgürtels, meist so um die 15 bis 20 Meter lang und einen halben Meter breit. An den Stegenden hatten die meisten Anleger eine kleine Plattform auf der auch Bänke zum Sitzen waren. Wir Kinder nutzen diese Plattform aber lieber als Badeplatz. Die seitlichen Pfosten waren gleichzeitig die Hauptpfeiler der Plattform und hatten Poller zum Festmachen der Boote. Eine kleine Leiter am Rand ermöglichte dem Bootsführer an das Ruder oder den Motorenschaft zu kommen. Diese Leiter war ebenfalls mit langen Nägeln befestigt um nicht durch den Auftrieb weggetrieben zu werden.

Für uns war es die Badeleiter und die Pfosten waren der Sprungturmersatz. Je schneller wir hintereinander sprangen, desto nasser waren die Pfosten und es wurde immer rutschiger auf der Plattform. Ausgelassen und unbeschwert, wie es nur Kinder im Sommer sein können, tobten wir im Wasser und auf dem Steg wie wir es schon oft getan hatten. Und mitten drin rutschte ich vom Pfosten ab, fiel in die Lücke zwischen Steg und Leiter. Die Leiter löste sich, ein Nagel drehte sich ungünstig und bohrte sich unter meinem rechten Knie in mein Schienbein und weil ich kopfüber ins Wasser fiel, riss dieser Nagel mein Schienbein bis zum Fußgelenk auf. Das Wasser färbte sich rot und als ich auf die Plattform krabbelte, rannten alle anderen Kinder weg. Ich weinte und irgendwer muss aber meine Tante Gisela gerufen haben. Sie kam mit Mullkompressen und Verbandsmaterial. Das Telefon auf dem Zeltplatz war wieder mal defekt und so war der Ruf eines Notarztes einfach nicht möglich. Zeltnachbarn brachten mich dann mit ihrem Auto ins Krankenhaus, wo die Wunde genäht wurde. Da der Nagel bis fast auf den Knochen durchgedrungen war, fragte sich der Arzt, weshalb ich nicht mehr Blut verloren hätte. Ich hätte ein unwahrscheinliches Glück gehabt, auch weil ich beim Sturz nirgendwo aufgeschlagen war und mir nichts gebrochen hatte …

Die Zeit auf dem Zeltplatz war eine schöne Zeit. Mit der Bewirtschaftung der Wälder durch die Berliner Forsten wurden große Teile der nutzbaren Flächen in Monokultur mit schnellwachsenden Gehölzen bepflanzt. Größtenteils wurde die märkische Kiefer gesetzt. Auf der Schmöckwitzer Werder konnten wir alle Wachstumsstadien des Waldes kennen lernen. Von der Forstkultur aus Samen und Setzlingen über Schonungen von unterschiedlichen Altersstufen über den Jungwald und dem alten Wald, der ausgeholzt, gerückt und abgefahren wurde bis hin zur Rodung der Stubben gab es auf unserer Insel alles. Natürlich gab es damals auch Wildschweine, die über das Eis auf die Insel kamen.

Um die Wälder zu schützen wurde vom Förster der Bestand kontrolliert und gegebenenfalls auch bejagt. Für diesen