Wenn ich sterbe, mein König, denk' an mich ... - Alexander Dengler - E-Book

Wenn ich sterbe, mein König, denk' an mich ... E-Book

Alexander Dengler

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Beschreibung

Preußen im Frühjahr 1756, kurz vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges. Das bisher Undenkbare im Königreich Preußen geschieht: Ein junger Offizier, Favorit des Königs Friedrich des Großen kommt durch Mörderhand auf bestialische Art um's Leben. Es gibt keine Zeugen, scheinbar auch kein Motiv. Der König, außer sich, dringt auf rascheste Aufklärung. Der Kommandeur des Toten, ein hochgebildeter, humaner General, erfahren durch jahrzehntelangem Dienst, gerät durch den königlichen Befehl unter erheblichen Druck. Mit den Ermittlungen beauftragt er den jüngsten Kompaniefeldwebel seines Regiments. Der ist ein landfremder ehemaliger Student aus dem Altbayerischen. Vor vielen Jahren in einer Garnisonsstadt einer begangenen Bluttat wegen vor die Wahl gestellt "Galgen oder Soldatenlos" bleibt ihm nur das Dienen. Für ihn, Gunther Saldenau, beginnt nun ein gnadenloser Wettlauf gegen die Zeit, denn ihm ist nur eine allzu kurze Frist zur Aufklärung bemessen. Nicht nur das, gerät er doch von Anfang an zwischen zwei Mühlsteine. Zum Einen stehen da die Erwartungen des von ihm verehrten, väterlichen Generals. Zum Anderen beginnt im Zuge der Ermittlungen ein zähes Ringen mit Standesdünkel und Vorurteilen eines Teils des adeligen, standesbewussten Offizierskorps, das ihm eigentlich nicht nur in allen Stücken behilflich sondern auch Rede und Antwort zu stehen hätte, was die gestellte Aufgabe nicht gerade erleichtert. Gleichermaßen beginnt ein Anrennen gegen herrschenden Aberglaube und Ignoranz der einfachen Soldaten. Denn bald stellt sich heraus, dass sein Kampf einem blutrünstigen Phantom gilt, das im Geheimen eine unheilvolle Macht über sie ausübt. Es hebt nun ein gnadenloses Ringen mit dem wesenlosen Schatten auf Leben und Tod an. Je näher Saldenau diesem kommt, umso tödlicher wird die Gefahr, der er nur knapp entgeht, andere aber das Leben kostet. Wie unser Held mit Hirn und Herz den Fall Zug um Zug aufklärt, das zu erfahren ist der hoffentlich erwachten Neugier des Lesers überlassen. Noch ein persönliches Wort: Der Handlungsrahmen bietet auch eine authentische Zeitreise in das friderizianische Zeitalter, in die Kultur und Gepflogenheiten der Bauern und des Adels und nicht zuletzt in die harte Welt des preußischen Soldaten. Der Autor hofft, dass dies der Leser nicht als unnötigen Ballast noch gar störend empfindet, es eher bereichernd aufnimmt.

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Inhaltsverzeichnis

WENN ICH STERBE, MEIN KÖNIG, DENK' AN MICH ...

AUFBAU

VORWORT

PROLOG

AUFTAKT

Kapitel I: SCHLACHTHAUSSZENE

Kapitel II: GESCHICHTEN, SCHICKSALE, LINIEN ...

Kapitel III: DRACHENSAAT

Kapitel IV: IM SCHATTEN DES DOMINOS

Kapitel V: DAS REDEN DER DINGE - ODER DER BLOSSE SCHEIN TRÜGT HÄUFIG ...

Kapitel VI: DER TAG DES HERRN

Kapitel VII: DER WEG DES SCHWERTES

Kapitel VIII: DAS LACHEN DES MÖRDERS

NACHSPIEL

EPILOG

Impressum

WENN ICH STERBE, MEIN KÖNIG, DENK' AN MICH ...

Morgenrot,

leuchtest mir zum frühen Tod?

Bald wird die Trompete blasen,

dann muss ich mein Leben lassen,

ich und mancher Kamerad!

Meinem Großvater,

Heinrich Reimeier zu Rehbruck und Lichteneck,

posthum gewidmet

Danke meiner Frau Ingeborg, für ihre große Geduld, die nicht müde wurde, meinen ausschweifenden Erzählungen geduldig zuzuhören.

Danke auch an Herrn Axel Mayer, nicht nur für Korrektur und Kritik, sondern auch für immer freundschaftliche und kreative Unterstützung.

Danke auch an Menschen, die mir halfen, aus einer Idee ein Buch zu machen. Ohne sie wäre dieser Roman nicht entstanden.

AUFBAU

DRAMATIS PERSONAE

VORWORT

PROLOG

AUFTAKT Die Nacht von Sonntag auf Montag

Anfang Mai 1756

Kapitel 1: SCHLACHTHAUSSZENE

Montag: Ein bedrohlicher Tagesbeginn – Heimliche Liebe – Eine grässlich zugerichtete Leiche – Ein schwieriger Auftrag – Feierabendgelage – Ein ungewöhnlich kostbarer Fang – Doppelte Todfeindschaft - Ich begehe eine große Dummheit - Ein Alptraum

Kapitel 2: GESCHICHTEN, SCHICKSALE, LINIEN

Dienstag: Gespräche und Befragungen – Drohungen - Eine Festnahme – Ein seltsamer Fund – Arrest – Hilfe von ganz unerwarteter Seite - Schicksale – Ein bezweifelter Selbstmord – Ein schlechter und ein guter Gehilfe – Trübe Aussichten - Der Tag endet mit großer Sehnsucht im Herzen

Kapitel 3: DRACHENSAAT

Mittwoch: Gestörte Nachtruhe – Gewaltsamer Tod einer Fremden – Menschliches Treibgut - Eine peinliche Strafe – Die Dressur des Bösen – Ein Brief nach langer, langer Zeit – Eine schreckliche Operation – Fährnisse des Polizeidienstes – Eine große Enttäuschung – Das unheimliche Phantom – Heimliche Verlobung – Eine Morddrohung

Kapitel 4: IM SCHATTEN DES DOMINOS

Donnerstag / Freitag: Eine ungeheuerliche Enthüllung - Ein glatter Mordversuch – Treue oder ein erregend-heimlicher Besuch – Notwehr – Sehr gefährliche Abmachung mit einem Geächteten – Der gefürchtete Zastrow wird unter schrecklichem Verdacht verhaftet – Die unheimliche Exhumierung – Nächtliches Grauen – Der Tag endet in Angst und wilder Flucht

Kapitel 5: DAS REDEN DER DINGE - oder der bloße Schein trügt häufig

Samstag: Worin das Außerordentliche ein peinliches Verhör, viel auszuhaltende Schmerzen, der Besuch des Feldmarschalls, ein gewaltiges, verheerendes Unwetter und der seltsame Tod Zastrows ist – ansonsten wird nachgedacht – alles dreht sich im Kreise, obwohl nach einem toten Punkt des Forschens das Rätsel des Tatortfragments und einiges Andere des Falls gelöst ist

Kapitel 6: DER TAG DES HERRN

Sonntag: Wieder Sonne – Der Hut des Lieutenants – Eine launige Predigt – Ein abenteuerlicher Spaziergang – Die Bestie – Der Schäfer – Zum Geschenk eine Mordwaffe – Heimliches Rendezvous mit Adelheid beim uralten Invaliden - Dieser kramt in längst Vergessenem – Exkursion in die örtliche Unterwelt – Ein spannender Spitzelbericht – Ich gehe zum General-Feldmarschall, zu einer unmöglichen Zeit und benutze sein Archiv – Ich habe ihn!

Kapitel 7: DER WEG DES SCHWERTES

Montag: Eine kostbare Leihgabe – Der Name des Mörders wird bekannt – Der Schäfer – Ein Plan wird gefasst – Adelheit

Kapitel 8: Das Lachen des Mörders

Die Nacht von Montag auf Dienstag / Dienstag: Noch einmal Adelheit – Am Treffpunkt – Der Schleier des Dominos – Am Abgrund – Einer muss fallen – Grausige Abschiedsvorstellung – Die geschlagene Stadt – Der lachende Tod – In letzter Sekunde – Ein Begräbnis – Abrechnung und die Wiederkehr des Alltags – Der Adjudant sieht rot – Ein Herzensgeschenk und ein sehr nobles Geschenk – Freude und Freunde – Abschließende Gedanken über einen Teufel

DER KÖNIG

Zu

Kapitel 1: MITTAGSTAFEL

Kapitel 2: TAGESBEGINN

Kapitel 3: TAGESENDE

Kapitel 4: WIE MAN REGIERT

Kapitel 5: FLÖTENKONZERT

Kapitel 6: PRIVAT

Kapitel 7: POLITIK AUF LEBEN UND TOD

Kapitel 8: DER KÖNIG ERHÄLT ZWEI BOTSCHAFTEN

NACHSPIEL

EPILOG

D R A M A T I S P E R S O N A E

GUNTER SALDENAU

Ein viel geplagter Kompaniefeldwebel, mit der Aufklärung eines überaus blutrünstigen Mordfalls betraut

ADELHEID ELEONORE von KOROW

Die außerordentlich hübsche Tochter eines adeligen Stabsoffiziers im selben Regiment und heimliche Geliebte Saldenaus. Von ihrem Vater wie ein Augapfel behütet

JOHANNES MARQUARD

Sein lernbegieriger Putzer, ein ergebener, treuer Gehilfe, mit hellem Kopf

GÖDEHOF

Auch ein Soldat des Feldwebels, aber weniger ergeben und weniger treu, doch manchmal außerordentlich gut zu gebrauchen

CHMIELOW

Ein „überjähriger“, viel erfahrener und mit allen Wassern gewaschener Freikorporal und der verlässliche Vertreter Saldenaus, ein Kerl wie ein Baum und Gemütsmensch

DER GENERAL-FELDMARSCHALL

Ein schon sehr alter Mann, in der gesamten Armee bekannt als im Dienst unbeugsam streng – aber auch ein bedingungsloser Menschenfreund. Unübertroffener Soldat und Weltmann, verehrter Chef der Garnison

FRIEDRICH II

Der König, genannt der Große – ein Genie mit zerrissenem Charakter

UND NOCH VIELE ANDERE

VORWORT

Diesem Roman liegt eine Handschrift zugrunde, die mir von meinem Großvater überkommen ist, der als Berufsoffizier in der Kaiserlichen Armee und als solcher vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Großen Generalstab, kriegsgeschichtliche Abteilung I diente.

Die Schrift – oder besser Fragmente – die er, wie er mir noch selber erzählte, vom Original, das in seiner Dienststelle archiviert lag, transkribierte (anscheinend aus purem Interesse, für private Zwecke, ob er dazu das Recht hatte, weiß ich nicht), ist in „Sütterlin“ verfasst und vom Zahn der Zeit (das Entstehungsjahr ist 1913) angenagt. Während er noch lebte, bekam ich die Blätter wohl zu Gesicht, doch las ich sie nicht. Nachdem sie in meinen Besitz übergegangen waren, lagen sie Jahrzehnte in meinem Bücherschrank, aufbewahrt aus Pietät, ungelesen und unberührt. Der Zufall wollte es, dass ein von mir geschätzter Kollege meine ausdauernde Neugierde an diesen Papieren erweckte.

Leider stieß ich bei der Beschäftigung mit ihnen zunächst auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Da war zuallererst der dem heutigen Empfinden und Verständnis sehr entfernt stehende Ausdruck der Sprache sowie die Gewichtung von Ereignissen und Lebensumständen. Dies umso mehr, da die geschilderten, ungewöhnlichen Begebenheiten ganz und gar im Milieu der Altpreußischen Armee im Jahre 1756, kurz vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, spielen (ein Thema also, auch heute noch sensibel genug, um jedwedem Vorurteil ausgeliefert zu sein, verzerrt durch der Parteien Gunst und Hader).

Der ursprüngliche Verfasser setzt die täglichen Gegebenheiten und Bedingungen, die den Rahmen seiner Geschichte geben, als bekannt voraus. Von uns Heutigen aus gesehen bedeutet dies natürlich, dass in seinem Erzählfluss bedauerliche Verständnislücken vorhanden sind. Zum Beispiel erwähnt er weder den Namen seines Garnisonsstandortes, noch den des Regimentsinhabers oder die nähere Bezeichnung seines Regiments. Schließlich schweigt unser Held auch über seine Person recht beharrlich. Vermutlich war er ein weltlicher Student, der wegen eines Trunkenheitsdelikts unter die Soldaten geriet, und zwar ungefähr Ende oder Anfang 1742/ 43. Die Stelle seiner Aufzeichnungen: “Minerva nahm mich ein, aber Baccus liefert mich dem Mars in die Hände ...“ lässt darauf schließen. Wohl hat er auch etwas von der weit verbreiteten evangelisch-pietistischen Zeitströmung Preußens aufgenommen, - unser katholischer Bayer; die in seinen Aufzeichnungen immer wieder durchschimmert.

Er muss auch dem Schönheitsideal seiner Zeit entsprochen haben. Denn Lesen, Schreiben und gute Dienstkenntnisse alleine genügten nicht um als Nichtadeliger zum Offizier vorgeschlagen zu werden, wie dies bei unserem Helden der Fall war.

Ferner teilt er über die Seiten verstreut Wesenszüge und tägliche Gewohnheiten Friedrichs II. des Großen mit, die von intimer Kenntnis zeugen. Die Frage nachdem Woher, wird nirgendwo beantwortet. Eine andere Schwierigkeit ergab sich aus der verschiedentlich eigentümlichen Schreibweise des 18. Jahrhunderts. Zum Beispiel habe ich die erstaunlichen Inkonsequenzen der Orthographie und Interpunktion, die sich aus dem Fehlen verbindlicher Normen erklären, selbstverständlich nicht beibehalten. Was für meinen Großvater das 1/m für Eintausend, oder der 14. 8te (römische Schreibweise der Monatszahl) noch klar, so war es für mich keineswegs selbstverständlich, dass damit der 14. Oktober gemeint sei. Von den übermäßig vielen französischen Einsprengseln sowie der antiken Sprache und Mythologie zum größten Teil fehlerhaft und oft wahllos, ohne einen tatsächlichen Zusammenhang im Text stehend (eine Sucht jener Zeit) will ich ganz schweigen.

Dem Autor – besser Nacherzähler – ergaben sich also folgende Aufgaben: Dem 18. Jahrhundert, in Hinsicht seiner Kultur, Geschichte, Politik und Soziologie sich allgemein zu nähern; im Besonderen aber, sich in das Wesen und das Selbstverständnis der Altpreußischen Armee einzuarbeiten. Und nicht zuletzt, dem Schreiber der von mir nicht zu Gesicht bekommenen Urfassung, die wohl schon längst in den Feuerschlünden und Wirren der Zeitgeschehnisse unseres letzten Jahrhunderts untergegangen ist, jenem braven Feldwebel des „Alten Fritz“ und seinen Kameraden Kolorit zu geben und ihnen ein Andenken zu setzen.

Vielleicht gelingt es mir sogar, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, denn etwas vom Schrecken der alten Preußen spukt immer noch in den Köpfen der Menschen, desgleichen von der Faszination, die sie immer noch ausstrahlen. Denn das verheerende Klischee das uns von der Armee des „Alten Fritzen“ überkommen ist, hat seinen Ursprung zum größten Teil in der Epoche nach dem Sieben-jährigen Krieg: 1762 – 1786.

In der Tat hatte sich die Lebensgestaltung der Soldaten in dieser Zeitperiode dramatisch verschlechtert. Die Preise stiegen unentwegt, der Sold blieb immer der gleiche. Sozialer Aufstieg war fast unmöglich. Das gesamte System verfiel einer Art von Versteinerung. Die Folge war, dass sich überwiegend das soziale Treibgut Europas unter den Fahnen der Preußen fand. Und dies zumeist keineswegs freiwillig, sondern unter Zwang und Gewalt. Das bestimmt das uns überlieferte Bild: Auf der einen Seite die rohe, schwer zu bändigende Soldateska. Auf der anderen ihre grausame Disziplinierung, dies stets vor aller Augen der Öffentlichkeit. Der Adel und mit ihm die Offiziere, verarmte in einem nie gekannten Ausmaß. Man kompensierte das mit einem übersteigerten Standesdünkel. Mit ihm einher ging ein rapider Leistungsabfall des Offizierskorps. Der Staat brauchte eine starke Armee; sie war für ihn lebenswichtig. Er hatte aber kein Geld. Neuem blieb der König verschlossen. So lebte man von vergangenem Ruhm. Nie wieder sollte man die Qualität von 1756 erreichen. Daher war es dann ein wirklich großes Unglück, Soldat in lebenslanger Sklaverei zu sein.

1806 ging diese nach außen hin so glänzende Armee sang- und klanglos unter -weggefegt vom Geist einer neuen Zeit.

Aber nun zurück zu unserem Helden. Ob seine Aussage zutrifft:

„Ich wollent Mir nicht prätendieren eine Mär zu ertzellen, sondern nur was ich erlebet und dies ist erschrögklich wiegleichen die Armee und sonder Leut niemalen gesehn.“

Dies mag der Leser entscheiden; und auch, ob es mir gelungen ist, mich in seine Welt einzufühlen und sein Abenteuer so spannend und packend wiedergegeben zu haben, dass er nach der Lektüre nicht bereut, in eine uns fremde und schon sehr entfernte Welt eingetaucht zu sein. Und freilich, der hehre Maßstab unserer Zeit - wie werden die Späteren vielleicht darüber ihre Köpfe schütteln - dürfen wir hier nicht ansetzen. Denn jede Epoche mit ihrem spezifischen Ort gibt das Gefühl des Selbst, oder schlichter: Das Unfassbare, Unwahrscheinliche, das uns in diesem Bericht über Zustände und Menschen begegnen wird, war vor über 250 Jahren alltäglich, kaum beachtete gesellschaftliche Realität.

Belohnung für den Verfasser wäre, wenn der neugierig Interessierte mit in das Wort Mörikes einstimmte:

„Betroffen stehst du plötzlich still,

den Blick gedankenvoll auf das Vergangene haftend; ...“

*** *** ***

PROLOG

Da rückt das Regiment in staubbedeckten Gamaschen heran, blitzendes Gewehr und Seitengewehr, schnurgerade Linien, Verlorene, Verachtete, Vergessene, Hurensöhne, landfremde Söldner – Verbrecher, Kleinbauernsöhne und Knechte der Gutshöfe, Leibeigene, entlaufene Studenten, Schüler, Lehrburschen und missratene Söhne angesehener Familien, Aushub der Gesellschaft, Ausgegrenzte aller Herren Länder.

Soldaten – Und ich unter ihnen.

Da rücken sie heran, unter Zopf und Puder, mit eigentümlich, langsam schwerem Schritt, Knie steif durchgedrückt, mit scharfem Beitreten des Fußes, unter Trommelwirbel, lufterschütternd, bauchdeckenvibrierend, gehirnberauschend. Spielleute mit bunten Tressen, kalbfellumgürtet, Oboenklänge, flatternd dunkle Töne, Querflötenklang, hysterisch schrill – in hohen Intervallen. Musik die das taktmäßige Dröhnen des Schritts, das Klirren des Metalls, das Knirschen des Leders untermalt. Da rücken sie heran, die Exoten im Marschblock, die Grenadierzimmerleute, riesenhafte, schnauzbärtige Gestalten in grob-braunen Lederschurzfellen, Muskete quer über den Rücken, langstielige schwere Äxte geschultert, Blatt und Schneide blaumetallen in Schritt und Tritt kalt reflektierend, unter seltsam hoch geformten, mit blitzendem Vorderblech beschlagenen, spitzen Mützen.

Und ich, als einer ihrer namenlosen Aufpasser, unter ihnen.

Da rücken sie heran, die Herren des Regiments – die Offiziere vor und neben ihren Zügen, Kompanien und Bataillons. Adelige – Knechte des Königs. Eigene Privilegien und Ehrenkodex stolz bewahrend. Gold auf abgeschabtem, nachtblauen Tuch appliziert, Taille schwarz-silbern umflochten.

Vom Hofmeister mit Fäusten traktiert, den Rücken vom blanken Stahl des Degens zerschunden als Junker, zwanzig Jahre lang und mehr, an Armut gewöhnt, hart gegen sich und ihre Soldaten, den Bürger verachtend.

Und ich, stets auf der Hut vor ihnen, ihr Gehilfe.

Das Regiment rückt heran, überragt von zehn Fahnen aus dünnem Seidentaft, ölfarbenbemalt, abgenützt und mitgenommen von Wind und Wetter, mit aufwärts flatternden, fliegenden Fahnenbändern; unter ihnen marschiert über tausendköpfig, farbenprächtig, die bewaffnete, hochgewachsen-sehnige, uniformierte Masse mit geradem, freien Blick. Die Fahnen – Symbole ihres Daseins, mörderisches Leitmotiv ihres Handwerks: „PRO GLORIA ET PATRIA.“ Der Abscheu der Braven – immer gut für ein abschreckendes Beispiel. Die, die den Tod aufrecht empfangen und ihn gleichmütig austeilen, in allen Schlachten unbesiegt, unter Stock und Fuchtel dressiert.

Und ich, in ihren Augen nicht Fisch noch Fleisch, unter ihnen - so rücken sie heran.

Das Regiment. 1.620 Mann. In den Tod.

*** *** ***

AUFTAKT

Die Nacht von Sonntag auf Montag, Anfang Mai 1756.

„Hora ruit: Es läuft die Stunde.“

Er hatte seinen Hausmantel ausgezogen und achtlos in eine Ecke geworfen. Dort lag er nun im Ungewissen der Schatten als lebloses Gespenst. Obwohl mitten in der Nacht, zeigte er wache, ungeduldige Energie und Spannkraft. Der Ärger, von dem er beherrscht war, verwischte die weichen, noch auffallend unfertigen Gesichtszüge. Die Schokolade, die man ihm serviert hatte, war kalt. Er war nur von Idioten umgeben. Anspannung und Wut stiegen.

Wo war der Lump und Hundsfott von einem Burschen? Er hatte ihn doch präzise auf die Zeit befohlen. Sollte er sich vielleicht die Perücke selbst aufputzen, die Gamaschen – die verhassten – mit ihren unzähligen Knöpfen eigenhändig anlegen? Selbst durch die nächtliche Stadt laufen um sich das Reitpferd zu holen, die Laterne in der Hand wie ein gemeiner Bürger? „Verflucht, ich könnte ...“

Er ließ seinen Blick durch die Zimmerfluchten gleiten, die er seit einiger Zeit für schweres Geld bewohnte. Von den kostbaren Seidentapeten bis zu der zierlichen Tischuhr, von den geschweiften Möbeln, nach modernstem Geschmack, bis zu den schwersilbernen Kerzenleuchtern. Er achtet es nicht, all das war er ja von Kindheit an gewohnt. Ein unbefangener Besucher hätte dafür gewettet, dass dies die Wohnung eines wohlbestallten Generals darstellte; mit den Einkünften zweier oder dreier Freigüter, mindestens.

Ein Blick auf die Uhr belehrte ihn, dass es noch nicht zu spät war.

Trotzdem ... vor ihm stand ein wichtiges, alles entscheidendes Treffen. Die Frucht seines jahrelangen, unermüdlichen Bemühens, das er mit allen Fasern seiner Seele herbeigewünscht hatte, ein Finale. Die endgültige Entdeckung eines furchtbaren Geheimnisses vielleicht! Dafür hatte er Beziehungen geknüpft, keine Geldausgabe gescheut und alle erdenklichen Mühen ertragen; sogar diese verdammte Armee! Verzichtete er nicht sogar auf Berlin, auf den Umgang mit dem König, den gesellschaftlichen Annehmlichkeiten, den Reizen der bezaubernden Damen ... Gewisse Vorteile hatte natürlich diese Garnison. Die Stadt war Universitäts- und bedeutende Handelsstadt. Sie hatte etwa zehntausend Einwohner, das Regiment mit Soldaten und deren Anhang nicht eingerechnet. Bedeutende Geister befanden sich in ihren Mauern. Aber ..., Berlin – welche Stadt in Preußen konnte sich schon mit ihr messen?

Ein Lächeln umspielte seine Züge, ein paar lumpige Stunden noch und alles war ausgestanden ... Wo blieb der Kerl von einem Burschen nur?

Sein schwellender Zorn brach sich ungehemmte Bahn als dieser, nach zaghaftem Klopfen, vor ihm stand. Er brachte es nicht einmal zur Meldung. Zwei blitzartige Schläge trafen ihn im Gesicht. Blut strömte aus Nase und Mund. Die nach Fusel und abgestandenem Kleidermief riechende Gestalt taumelte. Der Hut war ihm vom Kopf gefallen.

„Mondieu ... Merde ... du infame Bestie ...“ Angeekelt betrachtete der Lieutenant

seinen Burschen, der sich bemühte mit dem Unterarm das Blut aus dem Gesicht zu wischen; was dieser Visage einen noch erbärmlicheren Ausdruck gab. Und er fluchte auf den Feldwebel, der ihm diesen Kerl zugeteilt hatte, gegen dessen Entscheidung man nichts machen konnte.

„Hat Er mein Pferd gebracht?“ Der Offizier zeigte nun eine aufreizende Ruhe. Der Geprügelte nickte, sich einen Handrücken unter die Nase haltend. Das Blut strömte.

„Kerl, wasche dich! Und dann kleidest du mich fertig an!“

Schweigend gehorchte der Bursche.

Mit ausgestreckten, ausgebreiteten Armen hielt er ihm den Offiziersrock entgegen in dem er bequem schlüpfte. Der Degen war bereits umgeschnallt. Während er ihm jetzt die lange, aus Silber und Seide gewirkte Schärpe geschickt um den Leib wand, leerte dieser ein Glas Champagner.

Und nun meine Perücke, du Esel!“

Der Bursche entnahm sie vorsichtig dem Perückenständer. Über dem mit einem feinen Netz gehaltenen Haupthaar, setzte er sie auf und platzierte sie. Die gepuderte grau-weiß-silberne Perücke, mit den seitlich eingedrehten Locken und langem, zierlich geflochtenen Zopf unterstrich bedeutsam die vornehm modische Blässe des Trägers. Gesichtsbräune war nämlich das untrügliche Zeichen des Pöbels und das der Soldaten und „seiner Kameraden“, die im täglichen Felddienst standen, und sich nichts dabei dachten! Die ihn nicht als Mann betrachteten, die ihn beneideten und doch mit ihm nicht tauschen wollten. Die gemeine Witze über ihn hinter vorgehaltener Hand machten.

Diese Blässe – unterstützt durch Salben und Mixturen und natürlich den so beliebten, modisch-schwarzen Schönheitspflästerchen sowie die reich gepuderte, kostbare Perücke – sie hatte bei weitem mehr gekostet als der Jahressold eines einfachen Subalternoffiziers – und er hatte mehrere davon, war mehr als Extravaganz, sie war die reine Provokation. In der Armee galt das ungeschriebene Gesetz, dass, solange der natürliche Haarwuchs hinreichte, sich niemals dergleichen zu bedienen. Dies diente auch der Gleichheit des Standes, denn wer konnte so ein Ding schon bezahlen? Endlich fertig angekleidet betrachtete er sein Erscheinungsbild wohlgefällig vor einem mannshohen, mit Gold protzig aufwendig gerahmten Spiegel. Er zog die Taschenuhr, ein überaus kostbares, filigranes Meisterstück französischer Handwerkskunst, aus schwerem Gold und seitlich über und über mit edlen Steinen besetzt. Eine Uhr, die man ihresgleichen im Königreich weit suchen musste. Noch einmal stellte er nicht ohne Befriedigung fest, dass die vorausgegangene Verzögerung keine Bedeutung hatte.

Ein letztes Glas Champagner genehmigte er sich noch. Er rekapitulierte noch einmal alles laut seinem Spiegelbild, was er in den nächsten Stunden tun und sagen wollte, in französischer Sprache, damit ihn der dumme Kerl da ihn nicht verstand. Der sah ihn nur aus dem Halbdunkel ängstlich an.

„Vorwärts, Kanaille!“ sagte er zu seinem Burschen gut gelaunt.

Der hatte eine Laterne entzündet und ging ihm voraus.

Vor dem stattlichen Patrizierhaus, das dem Lieutenant zur Wohnung diente, stand sein gesatteltes Pferd. Natürlich war es von edelster Rasse, und ebenso natürlich verlieh er es nie an einen seiner Kameraden.

Der Bursche hielt seinem Herrn den Steigbügel. Elastisch warf sich dieser in den Sattel, der Rappe begann nervös zu tänzeln. Ein starker Schenkeldruck brachte ihn zur Ruhe. Und wieder einmal ärgerte sich der junge Lieutenant, dass es ihm nicht erlaubt war, Reitstiefel zu tragen wie die Stabsoffiziere. Aber - auch so, befand er, war er eine außerordentliche Erscheinung (alle Damen bestätigten dies). Im ungewissen Licht der Laterne traten die Besatzschleifen des Uniformrocks und die Tresse des Huts, - in feinstem Gold, besonders hervor.

Hochgewachsen, wohlproportioniert, selbstsicher, den Helden der Antike gleich, setzte er sich in leichten Trab. Sein Bursche, die Kanaille, laufend, in Händen das flackernde Sturmlicht, keuchend vor ihm her.

Die Nacht war für diese Jahreszeit ungewöhnlich mild, ja, man konnte sie fast als warm bezeichnen. Aber das war seit letzter Woche schon so. Die Straßen taten sich vor ihnen dunkel und leer auf, nur spärlich beleuchtet.

Der Lieutenant hatte mit Bedacht einen Weg gewählt, auf dem kaum eine Gefahr bestand, einer der Nachtstreifen in die Arme zu laufen. Nach einiger Zeit wurden die Straßen schlechter, die Bürgerhäuser wichen zurück. Aus den schlechten Straßen wurden unbemerkt recht und schlecht Wege, aus ihnen lumpige Stege, da und dort von jämmerlichen Katen und baufälligen Schuppen gesäumt. In ihnen mochte um diese Zeit manch' lichtscheues Gesindel ihr Unwesen treiben.. Endlich gelangte man an einen wild bewachsenen, verrufenen Fleck der sich an einen Teil der Stadtmauer lehnte, die hier Eingeweihten als besonders altersschwach und morsch bekannt war. Ein Mann konnte sie da mühelos überwinden, leider aber nicht mit Pferd. Soweit es einem Reiter möglich war, drang man in das wirre Busch- und Baumwerk ein. Unter normalen Umständen eine schiere Zumutung! Aber der Lieutenant war auf der Jagd - nach zweibeinigem Hochwild!

Er schwang sich aus dem Sattel und landete knöcheltief im Morast; dass es nur so

klatschte und spritzte. Mit einem Fluch warf er seinem Begleiter die Zügel zu. „Lösche das Licht!“ sagte er leise aber nervös. „Höre, in höchstens einer bis eineinhalb Stunden bin ich zurück. Rühre dich hier ja nicht vom Fleck, mache keinen Lärm und rauche nicht. Wehe, du lässt dich von jemanden sehen! Hast du das alles verstanden, Trottel!“

„Jawohl, Herr Lieutenant,“ beeilte sich dieser zu bestätigen.

„Na dann!“ er entschwand im Laubwerk und Dunkeln. Kurze Zeit noch waren feine Duftspuren seines Parfums und Geräusche in Richtung Stadtmauer hörbar.

Der schweißüberströmte und noch nach Luft ringende Soldat band das Pferd fest, dann lauschte er einige Zeit angestrengt. Als er sich wirklich sicher war, dass der Offizier außer Hör- und Reichweite war, fluchte er leise grimmig: „Aufgeblasener Hund du ... wenn’s kein andrer tut, dann ich! Dir stoße ich meinen Säbel durch den Leib ...“

Er befühlte sein aufgeschwollenes Gesicht. Dann setzte er sich und lehnte sich bequem an einen Baumstrunk. Er kramte Pfeife und Tabak hervor. Das bittere Los, Soldat zu sein, blies er mit den ersten Rauchwolken von sich. Nun beschloss er eine Runde zu schlafen, das erste ungewöhnliche Geräusch, antrainiert im jahrelangen Wachdienst, würde ihn rechtzeitig, instinktsicher wecken. Das leise Schnauben des Pferdes begleitete ihn in den Schlaf.

Den Lieutenant trieb das Jagdfieber.

Eine innere Begierde, ein ungestilltes, verzehrendes Brennen, vergleichbar dem nach einer Frau, aber doch wieder ganz anders, ein tiefer Schmerz einer nicht sichtbaren Wunde, trieb ihn vorwärts. Er kannte in seinem Leben bisher nur dienstbare Geister, Menschen ohne Gesichter. Verfügungsmasse. Nur von einem hatte er jemals Zuwendung und Liebe erfahren. Den wollte er rächen.

Es ging knapp der zweiten Morgenstunde zu. Die leisen Geräusche der Nacht, die manchmal doch so erschreckend waren, das sanfte Streifen des Windes, der die Blätter schwankend bewegte, er gewahrte es nicht. Er achtete nicht des feuchten Laubes, des sperrig niedrigen Geästs das den Weg hemmte, ihn um Körper und Gesicht klatschte. Sein Dämon trieb ihn. Der rief: „Vorwärts, vorwärts, vorwärts!“

Auch sein Stolz rief ihm zu: „Du, du ganz alleine hast es geschafft, einem Ungeheuer die Maske vom Gesicht zu reißen!“

Einem Ungeheuer, blutgierig, schlau und tückisch, das ihm nun zahm aus der Hand fressen würde! Dem würde er nun bald kalt lächelnd und überlegen in seine Fratze sehen! Er würde ihm seine maßlose Überlegenheit und Verachtung deutlich spüren lassen. Er würde das Wimmern und Winseln des Ungeheuers um Gnade genießen. Er würde es zum Schluss, nach seinem Geständnis, als ein seltenes Tier, zum Gespött aller, durch die Straßen und Plätze der Garnison treiben. Diese Gedanken, im Widerstreit seiner Gefühle, entlockten ihm einen lauten Ausruf grimmiger Freude. Was würde der General-Feldmarschall, der Regimentsinhaber, über seinen Erfolg staunen (der hatte seine Verdienste - aber freilich, er war schon verkalkt).Wie erst würden ihn die schlichten, einfachen Gemüter der „Offizierskameraden“ bewundern, ob der Heldentat eines der Lieblingsoffiziere des Königs! Und wie würde dieser ihn belohnen!

Diese Empfindungen, die ihn berauschten, ließen ihn den unangenehmen Weg als ein Nichts erachten; sodass er einmal, sich in einer Wurzel verfangend, böse hinfiel, dass ihm Hören und Sehen verging. Aber was zählte das schon!

Sich maßlos überlegen fühlend erreichte er den Treffpunkt. Er war alleine. Der ungewohnte Marsch hatte ihm den Schweiß aus allen Poren getrieben. Mit einem fein parfümierten Tuch trocknete er sich vorsichtig das Gesicht und Stirne, um ja nicht das aufgetragene Rouge und die kunstvoll platzierten Schönheitspflästerchen zu ruinieren. Stoßweise atmete er tief durch, um kalte Ruhe und Besinnung wieder zu gewinnen. Nun bemerkte er, dass er irgendwo auf seinem Fußmarsch den Hut verloren hatte. Egal! Er besaß mehrere davon.

„Wo bleibt der Schweinehund eigentlich!?“ rief er ungehalten, als er zu Atem gekommen war. Sollte der nicht kommen? Das war ja gar nicht möglich! Seine übliche Ungeduld kehrte wieder. Doch, da! Na endlich!

Zwischen den schweren Schlagschatten des Kusselgeländes nahm sein Auge einen sich nähernden, erhöhten Punkt war. Schnell wurde aus ihm die finstere Silhouette eines Reiters. Als er näher kam, war Auffallendes an ihm bemerkbar: er war von Kopf bis Fuß vermummt.

Um die Mundwinkel des ungeduldig Wartenden zuckte es verächtlich. Jetzt hatte der Geheimnisvolle ihn bis auf wenige Pferdelängen erreicht. „Wegen mir hätten Sie Ihre Verkleidung nicht anlegen brauchen!“ ruft er ihm entgegen.

Aus Gewohnheit hatte er das „Sie“ gebraucht. Das ärgerte ihn.

„So etwas wie dich erkennt man auch so!“ fügt er rasch hinzu.

Unter dieser Anrede zuckte der angekommene Reiter wie unter einem scharfen Hieb zusammen. Diese Form gebrauchte man dem Pöbel und den einfachen jungen Soldaten gegenüber! Aber er beherrscht sich.

Nachdem er sein Tier angebunden hatte, standen sie sich Auge in Auge gegenüber. Zwischen ihnen war tödlicher Hass spürbar.

„Sie haben das vereinbarte Stillschweigen gewahrt?“

„Selbstverständlich, du glaubst doch wohl nicht, dass mein Sieg über dich – Bursche ...“ Er vollendet den Satz nicht, holt tief Luft, denn seine innere Erregung war immer noch gewaltig. „Den Sieg will ich mir einzig und alleine selbst zurechnen, - den teile ich nicht!“ Selbstgefällig betupft sich der Lieutenant seine Schläfen, zupft an den Seitenlocken der Perücke.

„Gut so,“ sagt der andere vieldeutig. „Das ist gut so!“

„Hast du,“ ergreift der Lieutenant wieder das Wort, „hast du auch den Pallasch mitgebracht?“

„Das habe ich.“

„Auch die Dokumente?“

„Auch die!“

„Und das andere? Hast du es!?“

„Ich sagte Ihnen doch bereits mehrmals, dass ich es nicht mehr besitze …“

Geringschätzung und Abneigung überschwemmten und verzerrten nun das gepflegte Gesicht des jungen Offiziers. In seiner Stimme schwang nun offener Hohn und Verachtung mit und der Wille, den andern zu vernichten.

Er gab sich im Ansatz keine Mühe mehr, dergleichen zu unterdrücken.

„Kerl, dann werde ich dir auf die Sprünge helfen - zur Sache Bursche!“ Er machte einen ungestümen Schritt auf seinen Feind zu. Der bewegte sich nicht, griff aber langsam unter seinen Umhang.

„Also zur Sache …“ Die Stimme des unheimlichen Reiters klang klar und kalt und bedrohlich. Da aber traf seine linke verhüllte Gesichtsseite blitzartig eine heftige und – schlimmer – alles entehrende Ohrfeige. ...

Die angegebene Zeit, in der der Lieutenant zurückkehren wollte, war längst verstrichen.

„Wo bleibt dieses unberechenbare Miststück nur!“ fragte sich sein Bursche ein ums andere Mal verzweifelt. Er besaß keinen durchdringenden Verstand, und ganz selten hatte er es jemals mit Denken versucht, aber nun musste er ganz einfach eine Entscheidung treffen.

Bald würde es hell werden, und was dann?

Der Lieutenant würde unglaublich zornig werden, wenn er - von Vielen gesehen -sein Pferd am hellichten Tage zurückführen würde. Denn war die Sache hier nicht geheim? Soviel hatte er begriffen. Andererseits, war der Lieutenant, einer seiner sprunghaften Launen folgend, nicht schon längst wieder zuhause? Was würde das für ein Donnerwetter geben, wenn er ihm nicht rechtzeitig aufwartete! Ahnungsvoll befühlte er eine seiner geschwollenen Backen. Fluchend, dumpf im ahnte er, dass für langwierige Überlegungen keine Zeit mehr war, und dass, ganz gleich, wie er entschied, dies höchstwahrscheinlich falsch war.

Und wieder, wie so oft, verfluchte er sich und den Lieutenant.

Auf verborgenen Schleichwegen, ziemlich ungesehen, brachte er das Pferd zurück.

*** *** ***

Kapitel I: SCHLACHTHAUSSZENE

Es ist ein Schnitter, heißt der Tod,

hat Gewalt vom großen Gott ...-

Montag:

Ein neuer, anscheinend ungeahnt heißer Frühlingstag machte sich bereit. Schon kündeten verworren die Stimmen der Vögel den baldigen Sonnenaufgang an. In meiner Stube lag erstes Dämmern. Ein diffuses Grau, schon untermischt mit der Ahnung von hellem Blau und Gold eines machtvoll aufsteigenden Tagesgestirns.

Dünner Schweiß bedeckte Gesicht und Hals.

Meine Schulzeit! Ich hatte von meiner Schulzeit geträumt (zusätzlich auch noch verwirrend von Adelheid.) Von den würdigen Patres, der von mir zwangsweise besuchten Klosterschule, die so freigiebig mit Stock und Peitsche und frommen Sprüchen waren; und anderes verwirrendes und beängstigendes Zeug von früher, das man wie eine unlösbare und unsichtbare Kette sein Leben lang mit sich schleppte.

Müde, und noch reichlich energielos, kämpfte ich gegen die Lähmung von Körper und Geist, welche die nun schnell weichende Nacht zurückließ.

Mühsam dem Zwischenreich von Schlaf und Wachen mich entwindend, betrachtete ich die Risse an der grob gekalkten Decke. Meiner Rechnung nach konnte ich wenigstens noch eine gute halbe Stunde so verbringen, dann würde die alte und unbefriedigte Hauswirtin, eine Witwe, kommen, um mich endgültig zu wecken. Die Orakel der Risse an der Decke hatten nichts Neues zu verkünden, keine Antwort auf die Zukunft zu vergeben, außer der Wiederkehr schon andrer tausend so verflossener Tage in der Mühle des Kompaniedienstes, auch kleiner Dienst genannt; und was würde der Sommer bringen? Hitze und noch einmal Hitze, so wie es momentan aussah, befürchtete ich. Ich schloss, immer noch betäubt und willenlos die Augen und drehte mich zur Wandseite.

Die Herrschaft des Halbschlafes, der ich mich soeben hätte entwinden können, übte ihre weitere Gewalt aus. Durch die halbgeöffneten Fenster drang mit der sich verlierenden Kühle der Nacht das Rumpeln und Peitschenknallen von Bauern- und Lastkarren, das erste Brüllen und Muhen hungriger und ungemolkener Rinder, das Geschrei der Hähne und der volltönende Chor der munteren Singvögel, vereinzelte rauhe Stimmen der früh erwachten Ackerbürger, das Singen munterer Mägde die sich nun in den Ställen zu schaffen machten und der Schritt der gemächlich zur Arbeit gehenden Tagelöhner an mein Ohr. Die vertraute Geräuschkulisse des erwachenden Tages verstärkte einerseits meinen Hang, träge unter der Zudecke zu verweilen, andererseits gemahnte sie mich gebieterisch an das unmittelbar Kommende des strengen Dienstes, das sich in ungeformten Gefühls- und Gedankenfetzen in meinem Gehirn breit machte - ein Zustand, den ich hasste, der sich aber fast jeden Morgen wiederholte und dem ich wehrlos ausgeliefert war.

Halb abgedeckt, wartete ich jetzt auf die Rückkehr der abhanden gekommenen Lebensgeister. Der Gedanke an Adelheid – meinem Mädchen, beflügelte sie. Der mächtige Glockenschlag der Garnisonskirche verschluckte fast das kurze, trockene Klopfen an meiner Türe. Beides ließ mich meine soeben begonnene Tätigkeit – ein ausgedehntes sich Strecken, Recken und Gähnen unterbrechen. Automatisch, ohne zu denken, rief ich mit einer rauh-belegten Stimme: „Eintreten!“

Die sich öffnende Türe gab ein finster gähnendes Rechteck frei, aus dem sich ein massiger Schatten in die Stube schob. Nur das scharf kontrastierende Weiß des breiten Bandeliers, das von der linken Achsel zur Hüfte verlief, verriet mir den Soldaten. Was wollte der? Nach einer üblichen Ehrenbezeugung meldete er:

„Musketier Hinze, vierte Kompanie, derzeit auf Wache, hat Befehl, den Herrn Feldwebel Saldenau sofort zum Herrn Oberst zu befehlen!“

Der Wachstubenmief, den der Mann da verbreitete, war mir fatal. Ziemlich wach geworden, brachte ich meine Beine mit Schwung über die Bettkante zu Boden. Vornüber gebeugt, am Rande des Bettes sitzend, glitt mein Blick über die groben, blank gescheuerten Bretterdielen, auf denen erste Sonnenkringel ihre Wanderschaft antraten, zu dem Standort des Soldaten.

Auf dem tiefdunklen Blau des Uniformrocks – Preußisch-Schwarz vom Ausland genannt – gerahmt vom stumpfen Rot der nach außen geschlagenen und am Rock festgehakten Futterteile, zeichneten sich deutlich die aus weißer Wolle mit schmalen roten Zickzackstreifen gefassten, mit ebensolchem Material durchzogenen Linien der Borten und Bandschleifen um Brust- und Ärmelaufschläge, Rockknöpfe und –löcher ab. Abzeichen und Farbe meines Regiments. Die Unteroffiziere trugen ohne Unterschiede des Rangs auf den beiden Brustklappen je sechs kleine geflochtene Goldschleifen um die Knöpfe, aus halbedlem Material. Der einfache Soldat liebte diese Schmuckelemente und die Ehre, einen Säbel zu tragen. Sie hoben ihn von den drittrangigen Garnisonstruppen und den neuen, unbewährten Feldregimentern, mit ihren ganz einförmigen Monturen ab. Die Uniform war der Ausdruck eines persönlichen Treueverhältnisses zum König.

Verdrießlich kam mir jetzt in den Sinn, dass ich mein Morgengebet nicht in gewohnter Weise verrichten konnte. Bestimmt ein böses Vorzeichen. Vermutlich hatte ich mich einige Augenblicke zu lange in meine Betrachtungen vertieft. Taktvoll, aber deutlich, räusperte sich der Mann, sein rechter Fuß glitt schleifend vor.

„Habe mich noch zu waschen,“ sagte ich mehr zu mir selbst. Zugleich fiel mir ein, dass der Soldat in seiner Meldung das Wort sofort gebrauchte. Und dieser Kerl, der da in straffer, aber in ungeduldiger Haltung vor mir stand, war ein alter Musketier; sein wettergegerbtes braunes Gesicht spiegelte wache Erfahrung, sein kompakt gestutzter Oberlippenbart die Strenge des Altgedienten. Der hatte sich jedes Wort seiner Meldung überlegt.

„Bringe mir Strümpfe und Gamaschen, sie hängen dort drüben über der Stuhllehne,“ sagte ich zu ihm.

Er reichte die besagten Dinge. Während ich die Strümpfe überstreifte, gab ich ihm

den Auftrag, die restliche Uniform zu holen. Ich begann zu grübeln, was dieser Auftritt wohl zu bedeuten habe. Natürlich wurde ich ab und an vor der Zeit dienstlich aufgesucht, aber stets von Angehörigen der eigenen Kompanie; dass der Oberst, also der Regimentskommandeur mich holen ließ, war beunruhigend ungewöhnlich. Dieser Soldat, wie nannte er sich gleich wieder? Ach ja, Hinze, von der vierten Kompanie, ich hingegen befand mich in der zweiten des ersten Bataillons, gab mir Rätsel auf.

Nachdem ich mich erhoben hatte, zog ich die lichtgelben Kniehosen an. Das Unterhemd schlug ich vorher zwischen die Oberschenkel ein. Leibwäsche stand nicht auf dem Etat der Armee. Ich setzte mich wieder auf den Bettrand. „Hilf‘ mir beim Anlegen der Gamaschen!“ befahl ich dem Soldaten.

Die Frage nach dem Hintergrund seines hier Seins lag mir auf der Zunge. Ganz gewiss aber war sie sinnlos. Gemeinsam legten wir die unterschenkelbetonten, knielangen weißen Gamaschen, die für den Sommerdienst vorgeschrieben waren, um meine ausgestreckten Beine an.

Das Schließen von je vierzehn Gamaschenknöpfen, das Glattstreichen des festen, groben Leinengewebes war strapaziös und zeitaufwendig, und jeden Tag eine Quälerei.

Ich gab den Gedanken endgültig auf, zu fragen.

Der Kerl, den ich flüchtig vom Sehen kannte – Garnisonsstadt und Regiment waren überschaubar, sozusagen eine große Familie – würde wohl mit verständnislos-vorwurfsvollem Blick reagieren und schweigen. Schließlich hatte er in seine Meldung gepackt, was er zu sagen hatte, nicht mehr und nicht weniger. "Zum Henker", durchfuhr es blitzartig mein Gehirn, "das Ganze bedeutet wohl eine Unannehmlichkeit - Unannehmlichkeiten für mich!" Und jetzt – siedend heiß – fiel mir der gestrige Abend ein:

Vor meinem geistigen Auge tauchte ein Stück des Wallgrabens außerhalb der Stadt auf. Dämmern unter ausladendem, frisch belaubtem Gezweig, einkehrende Kühle, erregende Düfte und sie – Adelheid mir gegenüber. Augen so groß und so blau, dass sich das Gute der Welt in ihnen spiegelte, umrahmt von schweren, seidig schimmernden Geflecht lichten kastanienbraunen Haars, verrutschendes Brusttuch, - gewahr werdende nackte Wölbung der Brüste. Ihre Wangen wie frische Frühlingsknospen, mit kleinen Grübchen. Verheißung. Meine Lippen heiß auf ihren.

Diese Treffen fanden viel zu selten statt. Leider! Adelheid von Korow, einzige Tochter des Major von Korow; erster Adjutant des Regiments und Chef der Leibkompanie. Unsere heimliche Liebe, deren Einsatz mein Kopf war. Ihren Atem vermeinte ich immer noch auf meiner Haut zu spüren. Sie - der Inbegriff meiner Vorstellung von Liebe. Hatte man vielleicht davon erfahren? – Um Gottes Willen!

Ich trat vor dem Spiegel, frisierte mich flüchtig mit fliegenden Pulsen, legte die rote Halsbinde an.

Hinter mir stand Hinze, den Uniformrock haltend. Eben, als ich das ärmellose, körperbetonte Kamisol mit ungeschickten Fingern zugehakt hatte, Flüche gebrauchend und dabei war, den Säbel mit der schwarz-weißen Quaste der Unteroffiziere umzuschnallen, erhob sich im Hause lautes Gepolter. Gleich darauf wurde die Türe aufgerissen. Mit zornigem Gesicht stand plötzlich ein drahtiger Grenadierkapitän vor mir, der Adjutant des ersten Bataillons, der war als ein hervorragender Offizier anerkannt, aber im ganzen Regiment als hart und brutal gefürchtet.

„Teufel, schläft Er immer noch? Oder glaubt Er an eine Extraeinladung! Soll ich Ihm Beine machen!!“

Ohne auf Antwort zu warten, ließ er seine Blicke über die Einrichtung meiner Kammer schweifen, flüchtig uninteressiert. Plötzlich blieben seine Augen an irgendetwas haften. Was mochte seine Aufmerksamkeit erregt haben? Tisch, Stühle, Kommode, Bett oder Truhe?

„Er hat zwei Kerzenleuchter, siebenarmig, zinnern, mit reinen Wachskerzen! Woher hat Er die? Verdammt, auch Bücher! Ist er Kanzleischmierer oder Soldat ... (In der Armee wurde den Künsten des Lesens und Schreibens traditionell kein Wert beigelegt. Weil es sehr viele nur recht und schlecht oder gar nicht konnten und unbeschadet dessen, trotzdem befördert wurden, verachtete man diese Fertigkeiten oder gar die Liebe zu Büchern.)

"Man muss die Herren Feldwebel in ihren Quartieren öfter visitieren, zum Teufel! Die Kerls leben ja auf größerem Fuße als Lieutenants von Adel!“

Das Gesehene mochte die Wut, dass er als Kapitän zu einem - in seinen Augen -Bauern geschickt wurde, noch steigern.

Seinem energiegeladenen cholerisch, reizbaren Bulldoggengesicht war die erste Bräune des Jahres einem jähzornigen Rot gewichen, was darauf schließen ließ, dass ein baldiger Aderlass beim Regimentschirurgus fällig war.

Vergeblich setzte ich zu einer Erwiderung an.

„Halte Er sein Maul! Folge Er mir!“ In weitem Bogen spuckte er auf den Boden (dieses Spucken war gang und gäbe, alle übten es, überall, sogar in der Kirche). Als Kompaniefeldwebel, der einzige Nichtoffizier der Kompanie, der das streng geheime Reglement „vor die Königlich Preußische Infanterie“, über siebenhundert Seiten stark, auswendig im Kopf haben musste, als Solcher hatte ich - wie die Offiziere auch - Anspruch auf das höfliche Sie und natürlich demgemäß auch auf den entsprechenden Umgangston. Dieses rücksichtslose Übergehen der Form durch den Grenadierkapitän schloss mir den Mund.

Beschämt und niedergeschlagen, über die Treppe hinab, an der scheu zur Seite sich drückenden Wirtin vorbei, setzte ich den schwarzen Tressenhut mit den schwarz-weiß qaudrierten Wollpuscheln auf und hakte meinen Rock zu. Vor der Tür des Hauses standen zwei Korporale, Musketen mit aufgepflanztem Seitengewehr, locker in Händen aufgestützt, was mich nicht weiter verwunderte, denn bei den Preußen war ich während meiner langen Dienstzeit schon an vieles gewöhnt.

Wir setzten uns in Bewegung. Schon nach wenigen Schritten begannen sich die klobigen, vorne abgestoßenen, noch vor kurzem in einwandfreiem Schwarz schimmernden Schuhe, von trockenem Kot, Sand und Straßenstaub weißgrau zu verfärben, denn die meisten Straßen und Plätze der Stadt waren nicht gepflastert. Außer einem mächtigen Fluch eines der Korporale, der in ein mitteltiefes Pflasterloch gestolpert war, bekam ich nichts zu hören.

Ein Misthaufen, den wir an der Vorderfront eines Hauses umrundeten, erinnerte mich daran, dass ich vergessen hatte, mein Stubenfenster zu schließen. Wenn ich nach Hause kam, würde ich Schwärme von Schnaken und Fliegen vorfinden. Aber kam ich noch nach Hause?

Während wir in die Hauptstraße einbogen, bemerkte ich, dass die Unteroffiziere argwöhnisch die Häuserfronten, die wir passierten, beobachteten. Klar, die passen auf, dass wir nicht die Inhalte der Nachtstühle auf den Kopf bekamen. Die ehrsamen Bürger der Stadt begannen um diese Zeit rege zu werden. Der gewohnte Geruch von Mist, faulenden Küchenabfällen, Fäkalien, Viehställen und feuchtem Hausmoder, der um diese frühe Morgenstunde noch zaghaft in den Straßen und über den Plätzen der Stadt lag, von mir sonst kaum wahr genommen, versetzte mich heute in einen seltsamen Erregungszustand. Das Schmettern eines Hahns, in irgend einem der Hinterhöfe, rief mir zu: „Verhängnis, Verhängnis!“

Ich sah – und sah doch nicht – dass Musketiere Straßen, Zufahrten, Plätze abriegelten. Menschen in ihre Häuser zurücktrieben, Fuhrwerke aufhielten und durchsuchten, Belagerungszustand übten, widerstandslos, widerspruchslos von Seiten der Betroffenen. War doch der Militärstand hier, wie anderswo in Preußen auch, der erste im Staate. Ein einfacher Korporal galt mehr als ein in Ehren ergrauter Handwerksmeister; der jüngste Fähnrich, der unterste Offiziersdienstgrad, ging im Ansehen dem Universitätsprofessor voran. Ersterer ist auf jeden Fall hoffähig, letzterer nicht!

Die Menschen waren aber seit Zeiten nichts anderes gewohnt, und waren froh, wenn sie ruhig in ihrem alten Geleise fortschreiten konnten. Ich sah, dass die zusammengetriebenen, gestoßenen Bürger im Verein mit Dienstboten, Tagelöhnern und Bettlern, in bürgerlichem Grau und Schwarz, in proletarischem Blau der abgetragenen und dann von den Soldaten verkauften Röcken oder in Lumpen Gekleideten, mich – tatsächlich mich! neugierig, aufdringlich, gaffend im Visier ihrer stumpfen Aufmerksamkeit hatten! Zeitgefühl und Denkvermögen hatten mich verlassen. Ich fühlte wie mir Schweiß, vor allem unter den Achseln, aber auch am Rücken, wie bei einem Fieberkranken, ausbrach. Ich bewegte mich wie auf Watte; die hautenge Montur klebte mir am Körper. Vornüber gebeugt, wie ein armer Sünder – welch ein Unding für einen königlichen-preußischen Soldaten, noch dazu ein Feldwebel - hing mein Blick gebannt auf beiden großen Stickereischleifen an den Seiten der Taille des vor mir gehenden Grenadierkapitäns, die im Rhythmus seiner Schritte in ihrem Golde funkelten und glänzten.

Die würgende Unsicherheit der Situation ließ mich dumpf erahnen, dass ich plötzlich Figur in einem beginnenden Spiel war, dessen Einsatz, Wert, Ausgang und Regeln ich nicht kannte.

Zunächst schemenhaft, doch dann immer deutlicher tauchte in meinem Gehirn ein Hoffnungsschimmer auf: Ich bin in der preußischen Armee und nicht in einem zerlumpten Haufen eines kleinen Reichsfürsten, der aus Renommiersucht Feldherr spielt und dabei seine so genannten Truppen dem Hunger, der allgemeinen Verachtung und der Willkür seiner höfischen Kreaturen preisgibt. Sogar Österreich, der große und mächtige Staat, schaffte es im Gegensatz zu Preußen nicht, seine Truppen jährlich neu einzukleiden. Und mit welcher Brutalität und Härte man bei den Russen mit den Soldaten und bei den Engländern mit den Matrosen der Kriegsmarine umging ...

Ich trage den Rock des Königs. Es gilt Ordnung, Recht, Pflichterfüllung, Mechanismus des Ganzen, Schutzschild gegen Unrecht und Despotie.

Die Erfahrung einer knapp über zwölfjährigen Dienstzeit ließ meine alte Sicherheit wiederkehren. Durch eine dumme Geschichte – knapp achtzehnjährig – fand ich mich im hiesigen Infanterieregiment als Rekrut wieder. Nach einer knapp einjährigen verschärften Grundausbildung – man bereitete uns auf einen kommenden Krieg vor – marschierten wir so gut wie fertig ausgebildet nach Schlesien. Zunächst war unser Regiment bei Säuberungsaktionen in Oberschlesien mitbeteiligt. Hier sah ich die ersten Toten zuhauf, grässlich Verstümmelte und hier lernte ich ein Menschenleben gering achten.

Dann, am 4. Juni desselben Jahres , in der gewaltigen, siegreichen Schlacht bei Hohenfriedeberg, deren Lohn der Erhalt Schlesiens für Preußen hieß (unser Regiment bezahlte dabei einen außerordentlich hohen Blutzoll). Dass ich diese Schlacht überlebte, ja, ohne eine einzige Blessur überstand, ist nur der besonderen Gnade Gottes zuzuschreiben! Und am 23. November im kurzen und erfolgreichen Kampf um Katholisch Hennersberg, bei der wieder einmal alle Ehren der hochnäsigen Kavallerie zufielen.

Und der König immer mitten unter uns. Anders als die unnahbaren Fürstlichkeiten und Durchlauchtigkeiten der Gegner, die trennte ein unüberbrückbarer Abgrund aus Standesdünkel und Vornehmheit von ihren Soldaten. Bei denen begann der Mensch erst ab dem Oberstleutnant.

Unser König wurde von den einfachen Soldaten auf den Feldzügen geduzt und mit Fritz angesprochen. Er schlief inmitten ihres Lagers, aß mit ihnen, setzte sich wie alle den Gefahren aus, tadelte, spaßte, hatte sein Auge auf den tausenderlei kleinen Dingen, war jedem Vorbild. Keiner, der ihn nicht vergötterte.

Ich hatte also als sehr junger Mensch nicht nur die Härte der Ausbildung und die Tretmühle des Garnisonsdienstes erfahren, sondern ebenso alle Entbehrungen und Plagen des Krieges, wobei ich von den gewöhnlichen Qualen, die den Soldaten treffen, wie Hitze, Durst, Hunger, Ungeziefer, Erniedrigung und ausgestandener Todesangst nicht spreche. Sondern von Cholera, Ruhr, Typhus und dem zumeist todbringenden Lazarett, in dem man grauenvoll alleine, unter vielen, starb. Ansteckende Krankheiten, die doppelt so viele meiner Kameraden hinrafften, wie die feindlichen Waffen und auch Invalidität, die ein weiteres Leben in Schmerzen und bitterer Armut garantierten, hatten mich also verschont. Was Wunder, dass mir die anschließenden Friedensjahre halbwegs erträglich erschienen.

Ich beschloss, mich in mein aufgezwungenes Schicksal zu fügen, denn ich war sehr jung und fühlte mich immer noch als der Herr meines Geschicks. Dies bewirkte auch mein Interesse an diesem Handwerk. Hinzu kam mein Bestreben, Selbstachtung und Verantwortung meines Handelns so wenig wie möglich aus der Hand zu geben. So wurde ich Gefreiter, Korporal und Sergeant. Hier war die Stufenleiter für einen Nichtadeligen gewöhnlich zu Ende. Ein Glücksfall bescherte mir die Dienststellung eines Feldwebels. Der war für den inneren Dienst und die gesamte Ökonomie einer Kompanie verantwortlich. Der Aderlass an alten Berufssoldaten, durch die zwei vorhergegangenen Schlesischen Kriege, kam mir dabei ungewollt zustatten.

Was lehrten mich all diese Jahre? - Dass dem Alltag des Soldaten, angefüllt mit unnachgiebiger Strenge der Vorgesetzten, harter und rascher Bestrafung auch bei geringen Verfehlungen andererseits unparteiisches Recht, reglementierte Fürsorgepflicht und der König selbst – unser Soldatenvater – gegenüber stand. Verlässliche Sicherheit hieß dies.

Je mehr dieser Gedanke in meinem Innern Raum griff, umso mehr erfüllte er mich mit Energie. Ich richtete mich auf, atmete freier, mein Gehirn wurde klarer. Jetzt wurde ich auch gewahr, dass ich die ledernen weißen Stulpenhandschuhe – eben- falls obligates Ausrüstungsstück für Offizier und Unteroffizier – nicht trug, mein Haar zum straffen Zopf nicht gebunden war; sondern nur mehrfach aufgesteckt über die Achseln bis zur Hüfte fiel. Dies hatte mir vermutlich die Blicke der Passanten in so aufdringlicher Weise eingebracht. Denn Derartiges hatte man noch nicht gesehen.

Bei dieser Gelegenheit kam mir eine Begebenheit von letzter Woche in Erinnerung, eine Exekution im Vorwerkgarten. Sie stand auch im Parolebuch:

„Heute war Exekution ... Erschossen wurde der Soldat N. weil er beim Exerzieren den Säbel entblößt und nach dem Lieutenant von R. geschlagen hat.“

So etwas kam immer wieder einmal vor. Gedankenlos hatte ich das Ereignis hingenommen; ebenso es der Kompanie aus dem Parolebuch bekannt gegeben. Wie sich aber der zum Tode Geführte gefühlt haben musste, wie sein letzter Gang beschaffen war, davon hatte ich jetzt einen Geschmack.

Während ich also diesen Gedanken nachhing, hatten wir die Stadt durch eine ihrer flussseitigen Tore verlassen. Das Gelände, auf dem wir uns befanden, erstreckte sich etwa eine Viertelmeile zur Stromseite, eben und parkähnlich bewachsen. Das zarte, helle gelbe Grün der frisch belaubten Bäume wurde von der nun vollends aufgegangenen Sonne zu fast unwirklichen Gold- und Schattenkontrasten verwandelt. In einiger Entfernung stand eine unbewegliche Linie von Grenadieren. In den mit Vorblechen beschlagenen, hohen Grenadiermützen sowie den Bajonetts auf den Metallteilen der Musketen spiegelte sich der junge Tag, ließ eine Kette spielerisch glitzernder, blitzender Effekte entstehen.

Der Alp, der mich noch vor kurzem so fest in seinen Klauen hielt, war vergessen. Die Brust weitete sich. Die Lungen schöpften im vollen die Würze der Natur, die Augen tranken Licht und Farben. Etwas von der Unschuld des Tages – so wollte es mir scheinen – ging auf mich über. Ich hatte meine alt gewohnte Ruhe wieder. Wie um mir zu beweisen, dass dieses Gefühl trügerisch war, richtete der ungehobelte Kapitän von Zastrow seine bellende Stimme an mich:

„Gleich wird es sich zeigen, ob Er ein ganzer Kerl ist – oder ob er bloß das Lieblingskind des General-Feldmarschalls ist!“ Den letzten Teil des Satzes hättest du dir schenken können, dachte ich mir, zog es aber - klug genug - vor zu schweigen.

Mittlerweile hatten wir fast eine Gruppe von Soldaten erreicht, die rauchend oder schnupfend, schweigend einen Halbkreis bildeten. Ihre bartlosen wettergegerbten Gesichter, die um den Leib geschlungenen Schärpen und die Silberportepees an den Griffen der langen Degen verrieten, dass sie Offiziere waren. Zastrow meldete, beide grüßten wir. Der oberste des Regiments, Abraham von Dhyrrn, Chef des ersten Bataillons, der Chef des zweiten, der Regimentsadjutant und mehrere Kapitäne waren anwesend; sogar der Regimentsauditeur – der oberste Gerichtsbeamte unserer Einheit – fehlte zu meiner Überraschung nicht.

„Na, dann wollen wir!“ rief aufmuntern von Dhyrrn. Die Gruppe setzte sich nach Dienstalter und Dienstrang in Bewegung.

Ich bildete das Schlusslicht. Seitlich, etwas vor mir, der Regimentsauditeur, der als Beamter einen paramilitärischen Status hatte und zum Unterstab des Regiments zählend nicht als Offizier galt. Was man vor allem daran sah, dass sein Degengriff kein Portepee zierte. Sein Name, Daniel Hänsel, gab zu vielerlei Spott Anlass. Allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Man verachtete ihn als bürgerlichen Federkleckser, und doch fürchtete man ihn, war er doch ein unbestechlicher Ehrenmann und Hüter eines unerbittlichen Rechts. Sein äußeres Merkmal war der Offiziersrock der kein Schmuckelement aufwies, dafür aber zeichnete sich die darunter getragene Weste durch Tressenbesätze aus. Ein durchaus altertümliches Standes- und Schmuckelement!

Jetzt durchschritten wir den Kordon der Grenadiere. Die uns Nächststehenden hatten Front gemacht und grüßten mit vorgehaltenem Gewehr. Nachdem wir die Elitesoldaten hinter uns gelassen hatten, beschrieben wir einen halbkreisförmigen Bogen. Wir befanden uns nahe dem Ufer des Stromes, das an dieser Stelle ungewöhnlich abschüssig war. Die Fluten wälzten sich breit, mächtig in Wirbeln langsam dahin. Der glucksende Wellenteppich des behäbig ziehenden Gewässers reflektierte die Strahlen der Sonne in zahllosen flimmernd-farbigen Punkten. Das gegenüberliegende Ufer zeigte einen dichten, undurchdringlichen Bewuchs und wirkte geheimnisvoll; die herrschende Stille vermittelte dem Betrachter etwas von ländlichem Frieden.

Das Ende unserer Exkursion markierten zwei Eichen. Die breiten Kronen warfen Ihre Schatten in unsere Richtung. Zwei Fähnriche, mit Esponton, einer pikenähnlichen Waffe, hatten hier schon Posten bezogen.

Auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches ...

Und doch, eine unerklärliche, merkwürdige Stimmung ergriff mich. Während unseres Marsches waren ab und an halblaute, kurze Gespräche geführt worden, deren einzelne Satzfetzen an mein Ohr drangen; die ich aber nicht beachtete. So auch jetzt – ein Fehler! Die Vorderleute der Gruppe traten unter das ausladende Geäst – und prallten wie von Musketenkugeln getroffen zurück.

„Um unseres Erlösers Willen!“ rief jemand in hellem Entsetzen aus.

Die Folge war, dass die Hinterleute - neugierig geworden - nach vorne drängten. Und – wie überall, wo das Entsetzen sich mit Sensationsgier paart - entstand ein hektisches Durcheinander.

Mein Blick fiel auf die beiden Fähnriche. Sie standen nicht, sie hingen vielmehr wie das Leiden Christi mit grünen Gesichtern an ihren Stangenwaffen, was mich ehrlich empörte. Ich drängte mich durch den entsetzten und verwirrten Haufen der Offiziere.

Das schwere Blätterdach nahm mich auf. Das „meine Herren, meine Herren,“ des Obersten von Dhyrrn, ebenso die Anwesenheit meiner Begleitung, versank vor dem was ich nun sah. Der erste Gedanke der sich zäh und klebrig in meinem Gehirn breit machte: Das gibt es nicht, - das gibt es nicht ...!

Unwillkürlich schob ich den nächststehenden Offizier neben mir, mit einer ausladenden Armbewegung, zur Seite. Der ließ es sich widerspruchslos gefallen, ja er bemerkte es nicht einmal. Alles was Frühling, Leben, Hoffnung war, war an diesem Ort zusammengebrochen. Hier herrschte das Schweigen des Schindangers. Ein Heer von Aasfliegen schwirrte, surrte, brummte von abgestandenen, verkrustetem, geronnenem Blut und Tod trunken, von Lichtbündeln getroffen, metallen, giftgrün, blaublitzend-schillernd im wahnsinnigen Tanz der Hölle. Unwillkürlich griff ich zu meinem Schneuztuch, um es vor Mund und Nase zu pressen, so wie es die anderen vor mir getan hatten. Alle meine Sinne empörten sich; aber leider, - das Gehirn tat weiter seinen Dienst. Etwas hatten meine Augen ganz zu Anfang registriert, was ich nicht sehen wollte! Ein etwas hingeworfenes, Ausgehöhltes, Entleertes - etwas ganz und gar nicht für möglich Gehaltenes:

Ein Mensch.

Die Oberschenkel überzogen vom schweren und kompakten Geflecht und Gewirr des nach außen geholten Gedärms, die Ränder der offen klaffenden Bauchhöhle, wimmelnd von kriechenden Insekten, gesprenkelt mit der Farbe des Blutes und den Wällen gestülpten Fleisches: Purpurfarben, Rostbraun, Schwarz, beunruhigendes lebendiges Scharlachrot. Die Brust im weit geöffneten Uniformrock, überschwemmt vom Hell und Dunkel verströmten Blutes – verursacht durch zahlreiche Stiche, wie es schien...

Das Gesicht konturlos, wie grau gekalkt verwischt. Seltsam weiß das Blecken der Zähne, des im Todesgebrüll erstarrten Mundes. Die Arme weit ausgebreitet, die linke Hand in die Erde gekrallt, die rechte abgeschlagen zu seinen Füßen... Der da geschlachtet auf dem Rücken lag, war ein junger Offizier unseres Regiments. Das aggressive Summen und Brummen der ungezählten Fliegen, wie ein widerlich, infernalisches Totenlied, der dicke Blutdunst, der süßliche Geruch geschlachteten Fleisches, dieser überwältigende Eindruck geschändeter Natur, machte alle Sinne trunken.

Heftig wurde ich an der Schulter gerüttelt: „Kommen Sie, Feldwebel!“ Der Offizier, der mich zur Seite führte, war der Chef der fünften Kompanie, Hartmut von Rosenbruch. „Januar!“ stieß ich hervor.

„Was! – Wie!!“ Rosenbruch war verwirrt.

„Da ist es kalt, - da gibt es keine Fliegen! – Da würde es nicht so nach Scheiße und Blut stinken ...“

„Das ist wahr,“ drang es fast unhörbar an mein Ohr.

Und da ich das sagte, überfiel mich ein würgender Brechreiz. Rosenbruch bot mir sein Riechfläschchen an. Ich lehnte ab. Wenige Schritte weg von dieser Bühne des Todes, ging es mir rasch besser.

Unsere Gruppe war jetzt alles in allem gefasst. Was uns aus dem Geleise geworfen hatte, war nicht diese grausame Szene an sich - noch furchtbareres hatten wir in Schlachten gesehen und zu Genüge ertragen; es war vielmehr diese sinnlose Brutalität mitten im Frieden.

Und ich glaube, dass der wahre Schrecken, der uns ergriffen hatte, aus der unbewussten Erkenntnis kam, dass hier etwas noch nie da Gewesenes geschehen war, dessen hilflose Zeugen wir nun abgaben. Denn es lag außerhalb der Vorstellungsmöglichkeit und –kraft, einen Offizier zu ermorden. Wer sollte so etwas tun? Im ganzen Königreich würde es niemand wagen!

Ungefragt einen Offizier nur zu berühren war bereits Sakrileg, und sei es auch nur den jüngsten, unverschämtesten Fähnrich der Armee! Gerieten Offiziere untereinander in die Haare, was oft genug geschah, trug man es in einem Duell aus. Dessen althergebrachte Normen waren allbekannt. Jeder anerkannte sie: Floss der erste Tropfen Blut, brach man ab. Es sei denn, es war ein abgemachter Kampf auf Leben und Tod. Niemals aber würde es jemanden einfallen, seinen Gegner so abzuschlachten. Dafür stand die Ehre des Einzelnen und die Sekundanten.

Nein, hier stand man vor einem grauenhaften, furchtbaren Rätsel.

Wieder war es Oberst Dhyrrn, der das Wort ergriff, (noch kämpfte er mit seinem inneren Gleichgewicht wie man sah.): „Offiziere, Soldaten des Regiments!“ - Pause. Er nestelte nervös an seiner Rocktasche, holte mit der linken eine Tabakdose, nahm daraus eine Prise; andere machten es ihm nach. So gekräftigt fuhr er fort:

„Dieses Menschen empörende Bild, dessen Zeugen wir soeben wurden, bleibt auf ewig in unseren Herzen bewahrt ... Wir werden über das Gesehene schweigen, - gegen jedermann!“

Wieder trat eine Pause ein. Nach Luft ringend fuhr er fort: „ Zugleich aber werden wir, so wie wir hier versammelt sind, dieses ruchlose Verbrechen unerbittlich verfolgen und rächen. Bis zum Ende, bis der Mörder auf dem Rade liegt! Vergatterung !“ brüllte er.

Die Anwesenden durchlief ein scharfer Ruck, alle standen bolzengerade und still. „Der Rosenbruch, der Auditeur und der Feldwebel bleiben hier und warten auf den Regimentchirurgus. Sie überwachen Untersuchung und Abtransport der Leiche. Anschließend Rapport bei mir. Verstanden!“

Das „Jawohl, Herr Oberst!“ kam aus einem Munde.

Außer uns entfernte sich schweigend der Rest der Gruppe.

„Schöne Scheiße, das ...“

Rosenbruch stellte das ganz sachlich fest. Er winkte die beiden Fähnriche heran, die hier immer noch die Offizierswache stellten. Ohne Spannkraft kamen sie an. Ihrem Dienstgrad gemäß waren sie sicher nicht länger als zehn Jahre Soldat, hatten also noch kein Gefecht, geschweige denn einen Krieg mitgemacht.

Ein aufmunterndes „Na!“ von Seiten Rosenbruchs beflügelte sie. Er strahlte ihnen in die käsigen Gesichter. Der eine, von Sayerl - über den das zähe, unausrottbare Gerücht umging, seine Vorfahren seien in früheren Zeiten reiche Pfeffersäcke gewesen und einer von ihnen habe das Adelsprädikat von einem der immer finanziell maroden Kaiser für ein „schweres Stück Geld“ erkauft, und das sei das einzige Verdienst dieser Sippe - versuchte mit Hilfe seiner Stangenwaffe Haltung anzunehmen, was ihm nicht gelang.

„Entsetzlich!“ sagte er matt.

„Ihre Privatgefühle interessieren uns nicht!“ wies ihn Rosenbruch grinsend zurecht. „Ich möchte wissen, wie Sie hergekommen sind, wer sie informiert hat, ob ihr die Ersten am Ort wart, etc.!“

Sayerls Leidensgenosse, Ludwig von Langelair, raffte sich nun zu einem Bericht auf, nicht zuletzt, weil er ein direkter Untergebener des vor ihm stehenden Fragers war. Das Grinsen des Chefs der fünften vertiefte sich. Mir taten die beiden leid, war doch dies ihr erster Zusammenstoß mit der grausamen Wirklichkeit des Soldatentums. Freilich, einer gut versteckten, unheimlich-heimlichen, vor der sie plötzlich ungeschminkt und grell überfallen wurden.

Mit vielen Stockungen und etwas wirr berichtete also Langelair mit vibrierender Stimme folgendes: Noch vor vier Uhr morgens sei ein Grenadiersergeant in das Quartier gekommen, das er und sein Kamerad von Sayerl sich teilten; er habe sie grob aufgefordert, sich unverzüglich zur Hauptwache zu begeben. Auf seine und seines Kameraden Fragen habe er auf seinen Kapitän von Zastrow (jener Grenadierkapitän, der bereits mich beehrte), verwiesen. Da dieser wegen seiner rauen Art bekannt sei, habe man sich beeilt, schnellstmöglich zu dem befohlenen Ort zu kommen. Zastrow habe bereits vor der Hauptwache ungeduldig auf sie gewartet. Er sei mit standesverletzenden Äußerungen über sie hergefallen, da sie ihre Espontons vergessen hatten. Dieser Fehler sei aber von ihnen im Laufschritt behoben worden. Wieder an der Hauptwache angekommen, sei man sofort in Begleitung des Grenadiersergeanten dem Tatort zugeeilt.

„Augenblick mal, Herr Fähnrich,“ unterbrach ich seinen etwas zähen Erzählfluss. „Ist Ihnen während der Zeitspanne, die sie hier schilderten etwas aufgefallen – im Sinne von merkwürdig, seltsam?“

Rosenbruch sah mich erstaunt an.

Der Fähnrich überlegte.

„Ja doch! An der Hauptwache war niemand!“

„Was soll das heißen, war niemand,“ fragte ich.

„So wie ich es sagte, außer dem Grenadierkapitän - und ja, dem Schildergast, einem Gefreiten, niemand, Herr Feldwebel!“

„Wie wollen Sie das wissen? Schaltete sich Rosenbruch ein: „Die Hauptwache

ist groß; haben Sie diese betreten?“

„Ja,“ sagte er schlicht.

„Warum? Ich dachte, Zastrow habe Druck gemacht.“

„Ich musste mal, Herr Kapitän, obwohl Zastrow noch wütender wurde, und da sah ich eben niemanden, auch keine Musketen in den Gewehrständern.“

„Seltsam, höchst seltsam!“ Rosenbruch sog hörbar die Luft ein.

„Das ist das erste Mal in Preußen, dass eine Wache so gut wie nicht besetzt ist!“ rief ich verblüfft.

„Die Sache da,“ der Kapitän wies in Richtung Leiche, „muss wie eine Bombe eingeschlagen haben ... Man hat sich töricht und ungeschickt benommen. Wie die Trampeltiere ... Von Geheimhaltung kann da keine Rede mehr sein!“ In meinem Inneren gab ich ihm recht.

„Und dann? Wie ging es weiter, was war am Tatort?“ fragte er wieder.

„Da stand die Besatzung der Hauptwache, wir und uns folgende Grenadiere haben sie abgelöst.“

„Ihr seid Idioten!“ sagte Rosenbruch überzeugt.

Warum die beiden Idioten waren, war mir nicht ganz klar.

„Zurück zur Leiche, marsch!“

Die Fähnriche trollten sich wie geprügelte Hunde. Für sie war es kein guter Tag. Mein Magen machte sich bemerkbar. Ein dumpfer, bohrender Druck erinnerte mich daran, dass ich den ganzen Morgen noch nichts genossen hatte. Fahrig glitten meine Hände suchend über die Montur. Natürlich, Tabak und Pfeife lagen in meiner Stube. Die Übelkeit nahm zu. Für kurze Zeit entfernte ich mich. Ich nahm den geradesten Weg zum Wasser. In seinen klaren Fluten spiegelte sich der Himmel und das gab etwas Tröstliches. Mit vollen Händen schöpfte ich aus ihm, benetzte Unterarme und Gesicht, trank begierig.

Mit Erleichterung fühlte ich, wie gut mir das tat. Der kühle Hauch des Flusses belebte mich. Kräftig durchatmend genoss ich den momentanen Frieden. Näher kommendes Rumpeln eines Fuhrwerks riss mich aus der kurzen Beschaulichkeit. Mit Interesse sah ich ihm entgegen.

Ich begab mich zurück zu Rosenbruch. Gemeinsam gingen wir den Ankommenden entgegen. Es war der Regimentchirurgus mit einigen Knechten und zwei Feldscherer als Gehilfen im Gefolge. Wohl oder übel mussten wir uns dazu bequemen, ihn zu der scheußlich zugerichteten Leiche zu begleiten. Wieder standen der Kapitän und ich – Schnupftuch vor das Gesicht haltend – neben dem halb ausgeweideten, ausgebluteten menschlichen Kadaver, über den sich neugierig, ohne Scheu, der Chirurgus beugte.

Mit Leidenschaft, so wollte es mir wenigstens scheinen, unter halblautem Gebrumme und Selbstgesprächen ( „... subkutanes Fett ... Bauchdecke ... Gift … Durchtrennung der Aorta … Blutfontäne - bis zu zwei Meter Höhe ... Organe nicht penibel herausgeschnitten ...“) hob, teilte und prüfte er die Masse des Gedärms, befühlte die grauenhaften Wundränder, öffnete mit einem geschickten Längsschnitt den großen Rest des an den Oberkörper durch Blut und Blutwasser festgeklebten Hemdes, betastete die anderen widerlichen Wunden, fuhr mit einem Instrument in die Einstichlöcher. Alles umsaust vom Crescendo schwarzer, fast undurchdringlicher Wolken toll und wild gewordener Aasfliegenschwärme.

Der Raum um uns beschränkte sich auf die Enge eines dumpfen Schlachthauses. Mit Grausen sahen wir ihm zu. Als ob dies alles nicht genüge, begann er nun auch den Armstumpf , aus dem gelblich-weiß, glatt und scharf der Rand des Unterarmknochens ragte, zu betasten. Mit dieser Operation fertig, begann er sogar die Lippen zu beriechen, befingerte das Innere der Mundhöhle; - dies alles mit bloßen Händen.

„Jetzt untersucht er, ob er an Zahnschmerzen gestorben ist,“ flüsterte ich dem Kapitän zu.

Dieser begann zu lachen. Das wirkte befreiend und steckte mich an. Als der Chirurgus sich sozusagen auf allen Vieren bewegte, wollten wir schier unter unseren Schnupftüchern bersten. Auf den Hacken sitzend, selbstvergessen die abgeschlagene Hand – die in den seinigen, von Blut und zähem Schleim verschmierten, seltsam sauber und gebrechlich schien, - drehend und wendend, sah er uns verächtlich an. Rosenbruch zügelte sich, während ich noch zu kämpfen hatte.

„Zu welcher Erkenntnis sind sie denn gekommen?“ fragte er.

„Die Diagnose meiner vorläufigen Untersuchung werde ich selbstverständlich nur dem Kommandierenden mitteilen!“

Der zur Schau gestellten Verachtung gesellte sich jetzt noch der fachliche Hochmut des unappetitlichen Knochensägers.

„Aufladen!“ befahl er den Knechten.