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"Ein Meisterwerk von Thriller und Mystery. Auf großartige Art und Weise hat Blake Pierce seine Charaktere entwickelt, und dabei deren psychologischen Seiten so präzise beschrieben, dass wir uns in deren Gedankenwelt einfinden und ihren Ängsten und ihren Erfolgserlebnissen folgen können. Dieses Buch ist so reich an unerwarteten Wendungen, dass es Sie bis tief in die Nacht wachhalten wird, bis zur letzten Seite." --Buch- und Film-Kritiken, Roberto Mattos (über Once Gone) WENN SIE WÜSSTE (Ein Kate Wise Mystery) ist das erste Buch der neuen Psycho-Thriller Reihe von Bestseller Autor Blake Pierce, dessen Nummer 1 Bestseller Once Gone (Buch Nr. 1) (erhältlich als gratis Download) mehr als 1000 Fünfsterne-Kritiken erhalten hat. Kate Wise, eine fünfundfünfzigjährige FBI-Agentin im Ruhestand, deren Tochter schon aus dem Haus ist, wird aus ihrem ruhigen Vorstadtleben gerissen, als die Tochter ihrer Freundin ermordet in deren Haus aufgefunden wird – und Kate angefleht wird, sich in den Fall einzuschalten. Kate ist der Meinung gewesen, das FBI nach 30 Jahren als Top-Agentin hinter sich gelassen zu haben; 30 Jahre, in denen sie für ihren scharfsinnigen Verstand und ihre brillante Fähigkeit, Serienmörder dingfest zu machen, großen Respekt geerntet hat. Kate, die vom Leben in der ruhigen Stadt gelangweilt ist und sich an einem Scheidepunkt ihres Lebens befindet, wird von ihrer Freundin um Hilfe gebeten; eine Bitte, die sie ihr nicht abschlagen kann. Während Kate den Killer jagt und sie sich schnell an vorderster Front der Jagd wiederfindet, tauchen immer mehr Leichen auf – alles Mütter, die die perfekten Ehen geführt haben – und es wird offensichtlich, dass ein Serienmörder in dem ruhigen Städtchen sein Unwesen treibt. Von den Nachbarn erfährt sie Geheimnisse, von denen sie am liebsten gar nichts gewusst hätte, und schon bald ist sie sich im Klaren darüber, dass nicht alles in diesem Vorzeigemodell an hübschen Straßen und netten Nachbarn so war, wie es den Anschein hat. Affären und Lügen kommen ans Licht, und Kate kämpft sich durch die dunkle Seite des Städtchens, um den Killer zu fassen, bevor er noch einmal zuschlagen kann.
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Seitenzahl: 308
Veröffentlichungsjahr: 2019
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w e n n s i e w ü s s t e
(Ein Kate Wise Mystery – Buch 1)
B l a k e P i e r c e
Blake Pierce
Blake Pierce ist der Autor der zwölfteiligen RILEY PAGE Mystery-Bestsellerserie (Fortsetzung in Arbeit). Blake Pierce hat außerdem die MACKENZIE WHITE Mystery-Serie, bestehend aus acht Büchern (Fortsetzung in Arbeit), die AVERY BLACK Mystery-Serie, bestehend aus sechs Büchern (Fortsetzung in Arbeit) und die KERI LOCKE Mystery-Serie, bestehend aus fünf Büchern, und die KATE WISE Mystery-Serie, bestehend aus zwei Büchern (Fortsetzung in Arbeit) geschrieben.
Als leidenschaftlicher Leser und langjähriger Fan von Mystery- und Thriller-Romanen freut sich Blake Pierce, von Ihnen zu hören. Besuchen Sie www.blakepierceauthor.com für weitere Infos.
BÜCHER VON BLAKE PIERCE
DIE MAKING OF RILEY PAIGE SERIE
BEOBACHTET (Band #1)
KATE WISE MYSTERY-SERIE
WENN SIE WÜSSTE (Buch Nr. 1)
WENN SIE SÄHE (Buch Nr. 2)
RILEY PAIGE KRIMI SERIE
VERSCHWUNDEN (Band #1)
GEFESSELT (Band #2)
ERSEHNT (Band #3)
GEKÖDERT (Band #4)
GEJAGT (Band #5)
VERZEHRT (Band #6)
VERLASSEN (Band #7)
ERKALTET (Band #8)
VERFOLGT (Band #9)
VERLOREN (Band #10)
BEGRABEN (Band #11)
ÜBERFAHREN (Band #12)
GEFANGEN (Band #13)
MACKENZIE WHITE KRIMI SERIE
BEVOR ER TÖTET (Band #1)
BEVOR ER SIEHT (Band #2)
BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)
BEVOR ER NIMMT (Band #4)
BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)
EHE ER FÜHLT (Band #6)
EHE ER SÜNDIGT (Band #7)
BEVOR ER JAGT (Band #8)
VORHER PLÜNDERT ER (Band #9)
AVERY BLACK KRIMI SERIE
DAS MOTIV (Band #1)
LAUF (Band #2)
VERBORGEN (Band #3)
GRÜNDE DER ANGST (Band #4)
RETTE MICH (Band #5)
ANGST (Band #6)
KERI LOCKE KRIMI SERIE
EINE SPUR VON TOD (Band #1)
EINE SPUR VON MORD (Band #2)
EINE SPUR VON SCHWÄCHE (Band #3)
INHALT
PROLOG
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FÜNFZEHN
KAPITEL SECHSZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG
KAPITEL EINUNDZWANZIG
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
KAPITEL ACHTUNDZWANZIG
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
KAPITEL DREISSIG
KAPITEL EINUNDDREISSIG
KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG
KAPITEL DREIUNDDREISSIG
KAPITEL VIERUNDDREISSIG
KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG
KAPITEL SECHSUNDDREISSIG
KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG
KAPITEL ACHTUNDDREISSIG
Niemand sah ihn, als er die stille Straße des Wohngegend hinunterschlich. Es war ein Uhr morgens, und dies war die Art Nachbarschaft, in der die Leute zu respektabler Uhrzeit zu Bett gingen; in der eine wilde Nacht aus zu vielen Gläsern Wein während der Sendung The Bachelor bestand.
Es war die Art Nachbarschaft, die er verabscheute.
Hier bezahlten sie in den Verband der Grundstückseigentümer ein, der Hundekot wurde aufgesammelt und in kleine Tüten verfrachtet, damit sich die Nachbarn nicht ärgerten, und die Kinder nahmen garantiert nicht nur am Schulsport teil, sondern spielten auch in privaten Vereinen. Diese Welt war ihr Rückzugsgebiet; hier fühlten sie sich sicher. Klar, sie schlossen ihre Türen ab und stellten die Alarmanlagen an, aber ultimativ fühlten sie sich sicher.
Das sollte sich nun ändern.
Er überquerte einen bestimmten Rasen. Sicherlich würde sie jetzt zuhause sein. Ihr Mann war auf Geschäftsreise in Dallas. Er wusste, welches ihr Schlafzimmerfenster war. Und er wusste auch, dass die Alarmanlage an der Rückseite des Hauses bei Regen nicht richtig funktionierte.
Er bewegte sich ein wenig und fühlte sich bestärkt durch das Messer, das an seinem Kreuz ruhte, zwischen dem Bündchen seiner Boxershorts und seiner Jeans. Er pirschte sich an der Hausseite entlang, öffnete dabei die Wasserflasche, die er bei sich trug, und hielt an, als er die Rückseite des Hauses erreichte. Da war das grünleuchtende Licht des kleinen Kastens der Alarmanlage. Er wusste, wenn er sich daran zu schaffen machte, würde der Alarm losgehen.
Aber er wusste auch, dass sie im Regen nicht richtig funktionierte. Es hatte irgendetwas mit der Feuchtigkeit zu tun, obwohl dieses System angeblich hundertprozentig wasserdicht sein sollte. Daran dachte er, als er die Wasserflasche erhob und den Inhalt über den Kasten goss.
Er beobachtete, wie das grüne Licht flackerte und immer schwächer wurde.
Lächelnd betrat er den schmalen hinteren Garten. Er stieg die Treppe zur hinteren Veranda, die mit Fliegengitter eingefasst war, hinauf. Es war ein Leichtes, die Tür mit dem Messer aufzuhebeln; in der Stille der Nacht war fast kein Geräusch zu vernehmen.
Er schritt auf den Korbstuhl in der Ecke zu, hob das Kissen an und griff mit seiner behandschuhten Hand nach dem dort versteckten Schlüssel, ging zur Hintertür, steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn und trat ein.
Im schmalen Flur, der zur Küche führte, brannte ein schwaches Licht. Er ging den Flur hinunter bis zu einer Treppe, und erklomm diese.
Anspannung machte sich in ihm breit. Er spürte die Erregung – nicht sexueller Art, sondern so wie früher, wenn er mit der Achterbahn fuhr, als die Vorfreude, als er die höchste Steigung hinauffuhr, ihn erregte.
Er umklammerte das Messer, das noch immer in seiner Hand lag, nachdem er damit die Tür aufgehebelt hatte. Oben am Treppenabsatz hielt er einen Augenblick inne, um den Moment zu genießen. Er atmete die Reinheit dieses Hauses der gehobenen Mittelklasse ein, und ihm wurde ein wenig übel. Es fühlte sich zu vertraut an, und doch fühlte er sich unbeteiligt.
Er hasste es.
Das Messer umklammernd betrat er das Schlafzimmer am Ende des Flurs. Da lag sie in ihrem Bett.
Sie schlief auf der Seite, die Knie leicht angezogen. Sie trug ein T-Shirt und ein Paar Shorts, nichts allzu aufreizendes, jetzt, wo ihr Mann nicht da war.
Er trat an ihr Bett und beobachtete eine Weile, wie sie schlief. Er dachte über das Leben nach. Wie zerbrechlich es war.
Er erhob das Messer und stach auf eine fast entspannte Art und Weis zu, so als ob er einen Pinsel hielt oder eine Fliege verscheuchte.
Von all den vielen Lektionen des Lebens, die Kate Wise während des ersten Jahres ihres Ruhestands gelernt hatte, war die wichtigste, dass der Ruhestand ohne einen soliden Plan schnell langweilig wurde.
Sie hatte von Frauen gehört, die im Ruhestand neue Interessen entwickelt hatten. Einige eröffneten online kleine Etsy Shops. Andere malten oder häkelten. Wiederum anderen fngen an, ein Buch zu schreiben. Kate fand, dies waren alles nette Arten, sich die Zeit zu vertreiben. Aber nichts davon fand sie interessant.
Für jemanden, der dreißig Jahre mit einer Waffe zugebracht hatte, war es nicht einfach, eine Beschäftigung zu finden, die glücklich machte. Stricken würde nicht den Nervenkitzel ersetzen können, den man verspürte, wenn man einen Killers zu Fuß verfolgte. Gärtnern würde nach den gleichen Adrenalinschub bringen wie das Eindringen in ein Haus, ohne zu wissen, was einen dort auf der anderen Seite der Tür erwartete.
Nichts, was sie anfing, konnte es mit der Freude aufnehmen, die sie als FBI Agent verspürt hatte. Deshalb hatte sie nach einigen Monaten aufgehört zu suchen. Das einzige, was ähnlich war, waren ihre Besuche des Schießstands, wo sie zweimal pro Woche hinfuhr. Sie wäre noch öfter hingefahren, wenn sie nicht befürchtete, dass sie jüngeren Besucher dort in ihr nur den pensionierten FBI Agenten sahen, die versuchte, einen großen Moment ihres Lebens zurückzuerobern.
Es war eine berechtigte Sorge. Denn schließlich war das genau, was sie tat.
Es war Dienstag, kurz nach vierzehn Uhr, als ihr diese Tatsache wie Schuppen von den Augen fiel. Sie kam gerade wieder vom Schießstand und legte ihre M1911 Pistole wieder in ihre Nachttischschublade, als ihr diese Tatsache urplötzlich schmerzlich bewusst wurde.
Einunddreißig Jahre. Sie war einunddreißig Jahre beim FBI gewesen. Sie hatte an mehr als einhundert Razzien teilgenommen, und war sechsundzwanzig mal Teil des Sondereinsatzkommandos gewesen, dass sich mit High Profile Fällen befasste. Sie war bekannt gewesen für ihre Schnelligkeit, ihre scharfe Auffassungsgabe und ihre allgemeine Ihr-könnt-mich-alle-mal-Einstellung.
Sie war auch berühmt gewesen auf Grund ihres guten Aussehens, was sie selbst im Alter von fünfundfünfzig noch ein wenig ärgerte. Als sie mit dreiundzwanzig Agent wurde, dauerte es nicht lange, bis sie vulgäre Spitznamen hatte wie Beine und Barbie – Namen, auf Grund dessen Männer heutzutage rausfliegen würden, die aber für weibliche Agenten damals, als sie anfing, Gang und Gäbe waren.
Kate hatte schon Nasen zerschmettert, weil ihre männlichen Kollegen ihr an den Hintern gefasst hatten. Einen hatte sie durch den fahrenden Aufzug geschleudert, weil er ihr etwas Obszönes ins Ohr geflüstert hatte, während er hinter ihr stand.
Während die Spitznamen bis locker in ihre Vierziger blieben, galt dies nicht für die Avancen und lechzenden Blicke. Nachdem es die Runde gemacht hatte, dass sie sich wehrte, hatten ihre männlichen Kollegen gelernt, sie zu respektieren und sie nicht nur über ihren Körper zu definieren; ein Körper, der, das musste sie mit Stolz zugeben, sehr gut in Schuss war und dem die meisten Männer eine „Zehn von Zehn“ geben würden.
Aber jetzt, mit fünfundfünfzig, merkte sie, dass sie selbst die Spitznamen vermisste. Sie hätte nicht gedacht, dass der Ruhestand so schwierig sein könnte. Der Schießstand war okay, jedoch nur ein Schatten dessen, was ihre Vergangenheit ausgemacht hatte. Durch Lesen hatte sie versucht, ihrer Sehnsucht nach der Vergangenheit beizukommen. Sie wollte sich speziell über Waffen belesen. Sie hatte schon zahllose Bücher über die Historie der Waffen gelesen, wie sie hergestellt wurden, die Präferenz von Generälen für bestimmte Waffen und ähnliches. Deshalb benutzte sie jetzt eine M1911, nämlich wegen der Historie dieser Waffe und welche Rolle sie in den amerikanischen Kriegen gespielt hatte; ein frühes Modell war schon im Ersten Weltkrieg benutzt worden.
Sie hatte versucht, Romane zu lesen, aber sie kam einfach nicht rein in die Geschichten, obwohl ihr viele der Romane, in denen es um Cyberkriminalität ging, gefielen. Und obwohl sie viele Bücher, die ihr in jungen Jahren gefallen hatten, wieder gelesen hatte, konnte sie doch den erfundenen Charakteren nichts abgewinnen. Um nicht die traurige alte Frau zu sein, die gerade in den Ruhestand gegangen war und all ihre Zeit in der örtlichen Bücherei verbrachte, hatte sie all ihre Bücher im letzten Jahr bei Amazon bestellt. Mehr als einhundert davon stapelten sich jetzt in Kartons in ihrem Keller. Eines Tages würde sie ein paar Bücherregale bauen und den Keller in eine Art Arbeitszimmer umwandeln.
Es war ja nicht so, als hätte sie viel anderes vor.
Als sie mit Schrecken feststellte, dass sie das ganze letzte Jahr über eigentlich gar nichts gemacht hatte, setzte sie sich auf ihr Bett. Dort blieb sie einige Minuten bewegungslos sitzen. Sie schaute hinüber zum Schreibtisch, auf dem die Fotoalben lagen. Darin war nur ein einziges Familienbild. Darin hatte ihr verstorbener Mann Michael seinen Arm um ihre Tochter gelegt, während Kate lächelnd an seiner Seite stand. Es war ein Foto, das am Strand entstanden war, von schlechter Qualität, aber es hatte immer ihr Herz erwärmt.
Alle anderen Bilder in den Alben waren von ihrer Arbeit: Bilder von der Arbeit hinter den Kulissen, Bilder von Partys ihrer Abteilung, sie selbst in jüngeren Jahren, wie sie im Swimming Pool Bahnen zog, auf dem Schießstand, auf der Aschenbahn und so weiter.
Wie der Kleinstadtbürger, der nie seine Komfortzone verließ, sein Leben lebte, so hatte sie ihre letzten Jahre verbracht - immer in der Nähe derjenigen, die so taten, als hörten sie die Erlebnisse seines letzten Touchdowns während der High School Jahre gern.
Sie war kein bisschen besser.
Mit leichtem Schaudern erhob sich Kate und griff sich die Fotoalben von ihrem Schreibtisch. Langsam, fast methodisch, sah sie alle drei durch. Sie sah Bilder von sich selbst, als junge Frau, fortschreitend durch die Jahre, bis alle Bilder schließlich mit einem Handy aufgenommen waren. Sie sah sich selbst und Leute, die sie einst kannte; Leute, die direkt neben ihr während eines Falls gestorben waren, und ihr wurde klar, dass diese Momente zwar wichtig waren, um sie die Frau werden zu lassen, die sie war; dass diese Momente sie jedoch nicht komplett definierten.
Die Zeitungsausschnitte, die sie hinten im Album gesammelt hatte, erzählten die Geschichte weiter. In allen ging es um sie. AGENT IM ZWEITEN JAHR SCHNAPPT KILLER titelte ein Artikel. WEIBLICHER AGENT EINZIG ÜBERLEBENDE IN FEUERGEFECHT MIT 11 TOTEN. Und dann der Artikel, der sie wirklich zur Legende gemacht hatte: MONDSCHEIN-KILLER NACH 13 OPFERN ENDLICH DINGFEST DURCH AGENT KATE WISE.
Nach normalem gesundheitlichen Maßstab hatte sie noch gut zwanzig Jahre vor sich – sogar vierzig, wenn sie sich wirklich anstrengte und dem Tod entgegen stellte. Selbst das Mittelmaß von dreißig Jahren, also mit fünfundachtzig zu sterben… dreißig Jahre waren eine lange Zeit.
In dreißig Jahren konnte sie viel tun. Für zehn der Jahre konnte sie vielleicht sogar noch eine wirklich gute Zeit haben, bevor die Gebrechlichkeit sie einholte und an ihrer Gesundheit fraß.
Die Frage war natürlich, was sie mit diesen dreißig Jahren anfangen sollte.
Und trotz ihres Rufes, einer der besten Agenten zu sein, die das FBI in den letzten zehn Jahren gesehen hatte, hatte sie keine Ahnung, was sie anfangen sollte.
***
Abgesehen vom Schießstand und ihrer geradezu zwanghaften Leserei hatte Kate sich angewöhnt, sich einmal pro Woche drei anderen Frauen zum Kaffeetrinken zu treffen. Die vier amüsierten sich über sich selbst, indem sie behaupteten, den traurigsten Klub aller Zeiten gegründet zu haben: vier Frauen, alle gerade in den Ruhestand versetzt, ohne jegliche Idee, was sie mit ihrer neu gewonnenen Freizeit anfangen sollten.
Am folgenden Tag fuhr Kate zu ihrem bevorzugten Café. Das Café in Familienhand hatte nicht nur besseren Kaffee als das überteuerte Gebräu von Starbucks, aber es war auch nicht überlaufen von Yuppies und Fußball-Muttis. Sie ging hinein und erblickte ihren Stammtisch hinten im Café, bevor sie ihren Kaffee am Tresen bestellte. Zwei der anderen drei Frauen waren schon da und winkten ihr zu.
Kate schnappte sich ihren Kaffee mit Haselnussgeschmack und gesellte sich zu ihren Freundinnen. Sie setzte sich neben Jane Patterson, einer siebenundfünfzigjährigen, die seit sieben Monaten im Ruhestand war, nachdem sie ein Leben lang für verschiedene Firmen in der Telekommunikationsbranche in der Akquise gearbeitet hatte. Gegenüber saß Clarissa James, seit gut einem Jahr im Ruhestand von ihrem Job als Kriminologie-Ausbilderin beim FBI. Das vierte Mitglied ihres traurigen kleinen Klubs, die fünfundfünfzigjährige Debbie Meade, war noch nicht da.
Merkwürdig, dachte sich Kate, Deb ist normalerweise immer als erste hier.
Als sie sich setzte, schienen Clarissa und Jane sich zu versteifen. Das war vor allem für Clarissa ungewöhnlich, denn sie plauderte normalerweise sofort drauf los. Im Gegensatz zu Kate hatte Clarissa am Ruhestand schnell Gefallen gefunden. Es half sicher, dachte sich Kate, dass Clarissa mit einem zehn Jahre jüngeren Mann verheiratet war, der in seiner Freizeit an Schwimmwettkämpfen teilnahm.
„Was ist los mit euch“, fragte Kate. „Ihr wisst, ihr sollt mich motivieren in Sachen Ruhestand. Ihre beide seht geradezu traurig aus.“
Jane und Clarissa warfen sich einen Blick zu, den Kate schon zahllose Male gesehen hatte. Während ihrer Zeit als Agent war ihr dieser Blick in Wohnzimmern begegnet, in Vernehmungsräumen, und in Wartezimmern von Krankenhäusern. Dieser Blick sprach Bände. Wer sagt es ihr?
„Was ist los?“, fragte sie.
Plötzlich war sie sich Debs Abwesenheit sehr bewusst.
„Es geht um Deb“, sagte Jane und bestätigte damit ihre Befürchtung.
„Naja, nicht um Deb selbst“, fügte Clarissa hinzu. „Es geht um ihre Tochter Julie. Bist du ihr je begegnet?“
„Einmal, glaube ich“, sagte Kate. „Was ist passiert?“
„Sie ist tot“, sagte Clarissa. „Ermordet. Bis jetzt haben sie keine Ahnung, wer es getan hat.“
„Oh mein Gott“, stieß Kate hervor, ehrlich betroffen für ihre Freundin. Sie kannte Deb seit ungefähr fünfzehn Jahren, hatte sie in Quantico kennengelernt. Damals arbeitete Kate als Assistenzausbilderin mit einer neuen Gruppe von Agenten, und Deb arbeitete mit den Technologieexperten an einem neuen Sicherheitssystem. Die beiden waren sofort auf einer Wellenlänge gewesen und hatten sich schnell angefreundet.
Die Tatsache, dass Deb sie weder angerufen noch ihr die Nachricht getextet hatte zeigte, wie sich Freundschaft über die Jahre verändern konnte.
„Wann ist es passiert?“, fragte Kate.
„Irgendwann gestern“, antwortete Jane. „Sie hat mir heute Morgen getextet.“
„Und sie haben keinen Verdächtigen?“ wollte Kate wissen.
Jane zuckte die Schultern. „Sie sagte nur, sie wissen nicht, wer es ist. Kein Anhaltspunkt, keine Spur, nichts.“
Sofort spürte Kate, wie sie in den Agentenmodus hineinrutschte. Wahrscheinlich war es genauso, als ob ein professioneller Läufer sich nach zu langer Zeit auf der Aschenbahn wiederfand. Sie hatte vielleicht kein Feld und keine jubelnden Zuschauer, die sie an ihre glorreichen Tage erinnerten, jedoch hatte sie ihren scharfen kriminologischen Verstand.
„Fang nicht an damit“, sagte Clarissa, die wusste, was Kate durch den Kopf ging.
„Womit?“
„Werde jetzt nicht zum weisen Agenten“, sagte Clarissa. „Sei jetzt einfach ihre Freundin. Ich kann sehen, wie die Rädchen sich in deinem Kopf in Bewegung setzen. Mensch, Lady. Hast du nicht eine schwangere Tochter? Wirst du nicht demnächst Großmutter?“
„Nochmal nachtreten, wenn ich schon am Boden liege, was?“, sagte Kate mit einem Lächeln. Sie ging nicht weiter darauf ein und fragte, „Debs Tochter… hatte sie einen Freund?“
„Keine Ahnung“, meinte Jane.
Eine unangenehme Stille überkam die kleine Runde. Während des letzten Jahres, seitdem sich die frischen Ruheständler angefangen hatten zu treffen, waren die Gespräche immer leichter Art gewesen. Dies war das erste ernste Thema, und es passte nicht in die Runde. Kate war natürlich an so etwas gewöhnt. Durch ihre Zeit beim FBI wusste sie solche Situationen zu handhaben.
Doch Clarissa hatte Recht. Als sie die Nachricht gehört hatte, war Kate ganz schnell wieder in ihren Agentenmodus gerutscht. Sie wusste, sie hätte zuerst als Freundin denken sollen – sie hätte an Debs Verlust und ihren emotionalen Zustand denken sollen. Aber der Agent in ihr war zu stark, ihre Instinkte waren stärker als alles andere, nachdem sie ein Jahr lang brachgelegen hatten.
„Was also können wir tun, um ihr zu helfen?“, fragte Jane.
„Ich dachte daran, sie mit Essen zu versorgen“, meinte Clarissa. „Ich kenne ein paar andere Frauen, die sich sicher gern daran beteiligen. Einfach sicherstellen, dass sie in den nächsten Wochen nicht selbst für ihre Familie kochen muss, während sie versucht, mit allem fertigzuwerden.“
Über die nächsten zehn Minuten planten die drei Frauen, wie sie dies für ihre trauernde Freundin am effektivsten bewerkstelligen konnten.
Aber Kate war bei diesem Gespräch nur oberflächlich dabei. Ihre Gedanken waren ganz woanders; sie versuchte, Fakten und versteckte Dinge über Deb und ihre Familie zusammen zu tragen; versuchte, einen Fall zu entdecken, wo vielleicht gar keiner war.
Oder vielleicht doch, dachte sich Kate.
Als sie in den Ruhestand ging, zog Kate wieder zurück nach Richmond, Virginia, wo sie in der Kleinstadt Amelia aufgewachsen war, ungefähr vierzig Minuten von Richmond entfernt. Zum College war sie direkt dort in der Innenstadt gegangen. Sie hatte dort ihre ersten Jahre verbracht, wollte nichts mehr als Kunst zu studieren. Nach drei Jahren war ihr durch einen ihrer Psychologiekurse klar geworden, dass sie ein Herz für die Kriminologie hatte. Der Weg nach Quantico und ihre anschließende, dreißigjährige Vorzeigekarriere war alles andere als geradlinig gewesen.
Jetzt fuhr sie durch einige Straßen Richmonds, die ihr so vertraut waren. Sie war erst einmal bei Debbie Meade zuhause gewesen, aber sie wusste noch genau, wo sie wohnte. Sie wusste es deshalb so genau, weil sie die Nachbarschaft neidvoll betrachtet hatte. Es war eines dieser älteren Gegenden, dicht an der Innenstadt gelegen, wo die Straßen von Bäumen gesäumt waren anstatt von Straßenlaternen und Hochhäusern.
Derzeit war Debs Straße voller buntem Laub der Ulmen, deren Äste sich über der Straße ausbreiteten. Sie musste drei Häuser weiter parken, da Familienangehörige und Freunde schon alle Parkmöglichkeiten vor Debs Haus in Beschlag genommen hatten.
Sie schritt den Bürgersteig entlang und versuchte sich zu überzeugen, dass dies keine gute Idee war. Ja, sie plante, das Haus als nichts als eine Freundin zu betreten – obwohl Jane und Clarissa sich entschieden hatten, bis zum Nachmittag zu warten, um Deb ein wenig Ruhe zu ermöglichen. Doch da war auch noch etwas anderes, etwas Tieferes. Die ganzen letzten Monate hatte sie nach etwas gesucht, was sie beschäftigen könnte, etwas von Bedeutung. Oft schon hatte sie davon geträumt, auf selbständiger Basis für das FBI arbeiten zu können, und wenn es sich dabei nur um Recherchearbeiten handelte.
Schon die kleinste Referenz zu ihrem Beruf versetzte sie in Aufregung. Sie war beispielsweise nächte Woche geladen, bei Gericht eine Aussage hinsichtlich einer Bewährungsanhörung zu machen. Sie war zwar nicht scharf darauf, sich wieder mit Kriminellen zu umgeben, aber schon der kleinste Ausflug in ihre alte Arbeitswelt war ihr willkommen.
Aber das war nächste Woche. Im Moment erschien ihr das wie eine Ewigkeit entfernt.
Sie beäugte die vordere Veranda von Deb Meades Haus. Sie wusste, warum sie in Wirklichkeit hier war. Sie wollte Antworten finden auf einige Fragen, die ihr durch den Kopf tobten. Sie fühlte sich egoistisch, so als benutze sie den Verlust ihrer Freundin um wieder etwas tun zu können, das sie seit einem Jahr nicht hatte tun können. Dass die Situation eine Freundin involvierte, machte sie delikat. Aber der alte Agent in ihre hoffte, dass sich hieraus etwas anderes ergeben würde. Die Freundin in ihr sah allerdings das Risiko. Insgesamt fragte sie sich, ob sie es nicht dabei belassen sollte, weiterhin von der Rückkehr zu ihrer Arbeit nur zu träumen.
Vielleicht tu ich gerad genau das, dachte Kate, als sie die Stufen zum Haus der Meades emporstieg. Und wenn sie ehrlich war, war sie nicht sicher, wie sie sich dabei fühlen sollte.
Zart klopfte sie an die Tür. Sofort wurde von einer älteren Dame geöffnet, die Kate nicht kannte.
„Gehören Sie zur Familie?“, fragte die Frau.
„Nein“, antwortete Kate, „ich bin nur eine sehr enge Freundin.“
Die Frau nahm sie in Augenschein, bevor sie sie einließ. Kate trat ein und ging den Flur entlang. Sie kam an einem Wohnzimmer vorbei, in dem mehrere ernst dreinblickende Leute um eine Person in einem Sessel herum saßen. Die Person in dem Sessel war Debbie Meade. Den Mann, der neben ihr stand und sich mit einem anderen Mann unterhielt, erkannte Kate als Debs Ehemann Jim.
Ein wenig befangen betrat Kate den Raum und ging direkt auf Deb zu. Ohne Deb die Zeit zu geben, sich aus dem Sessel zu erheben, beugte sich Kate zu ihr hinab und umarmte sie.
„Es tut mir so leid, Deb“, sagte sie.
Das Weinen hatte Deb zweifellos ausgelaugt; sie konnte nur nicken. „Danke, dass du gekommen bist“, flüsterte Deb in ihr Ohr. „Lass uns in ein paar Minuten in der Küche treffen.“
„In Ordnung.“
Kate befreite sich aus der Umarmung und nickte den anderen Personen, die sie erkannte, zu. Sie fühlte sich fehl am Platze, und so ging sie den Flur entlang in Richtung Küche. Niemand hielt sich dort auf, aber es standen noch benutzte Teller und Gläser herum. Auf dem Tresen standen einige Quiches, Schinkenbrote und anderes Finger Food. Kate fing an, aufzuräumen und das Geschirr zu spülen.
Kurz darauf kam Jim Meade in die Küche „Das brauchst du nicht“, sagte er.
Kate drehte sich zu ihm um; er sah müde und unglaublich traurig aus. „Ich weiß“, sagte sie. „Ich bin hergekommen, um meine Unterstützung zu zeigen. Als ich hereinkam, herrschte im Wohnzimmer eine sehr bedrückende Stimmung. Ich unterstütze euch lieber, indem ich hier klar Schiff mache.“
Er nickte, wobei er so aussah, als ob er auf der Stelle einschlafen könnte. „Eine Freundin sagte, sie habe eben eine Frau hereinkommen sehen. Ich bin ziemlich froh, dass du es bist, Kate.“
Kate erblickte eine weitere Person, die in Richtung Küche kam. Sie sah genauso müde und gebrochen aus. Deb Meades Augen waren verquollen und rot vom vielen Weinen. Ihre Haare waren durcheinander, und als sie versuchte Kate anzulächeln, schien ihr dieses Lächeln geradewegs vom Gesicht zu rutschen.
Kate legte das Geschirr weg, das sie gerade spülte, trocknete schnell ihre Hände an einem Geschirrtuch ab, das neben der Spüle hing, und ging zu ihrer Freundin hinüber. Sie war noch nie ein Fan von körperlichem Kontakt gewesen, aber sie wusste, wann eine Umarmung nötig war. Sie hatte erwartet, dass Deb während dieser Umarmung anfangen würde zu weinen, doch da war nichts, nur ihr Gewicht, das sie hinunterzog.
Wahrscheinlich kann sie inzwischen nicht mehr weinen, dachte sich Kate.
„Ich habe es erst heute morgen erfahren“, sagte Kate. „Es tut mir so leid, Deb. Für euch beide“, fügte sie hinzu, während sie Jim einen Blick zuwarf.
Jim nickte und schaute dann den Flur hinunter. Als er sah, dass sich niemand in der Nähe aufhielt – das Murmeln der anderen Gäste war aus dem Wohnzimmer zu hören – trat er auf Kate zu, gerade als sich Deb aus der Umarmung löste.
„Kate, wir müssen dich etwas fragen“, flüsterte er kaum hörbar.
„Und bitte“, sagte Deb und ergriff ihre Hand, „lass uns ausreden, bevor du etwas Vernichtendes sagst.“ Kate spürte, wie Debs Hand ganz leicht zitterte, und ihr Herz brach.
„Sicher“, entgegnete Kate. Ihre bettelnden Blicke und das Gewicht der Trauer hing über ihnen wie ein Amboss, der jederzeit auf sie hinab zu stürzen drohte.
„Die Polizei hat absolut keinen Schimmer, wer es getan haben könnte“, sagte Deb. Plötzlich verwandelte sich ihre Erschöpfung in etwas, das Zorn ähnelte. „Basierend auf einigen Dingen, die wir gesagt haben und auf einigen Textmitteilungen, die sie auf Julies Handy gefunden haben, hat die Polizei ihren Ex-Freund sofort verhaftet. Aber er wurde für weniger als drei Stunden festgehalten und dann haben sie ihn gehen lassen. Einfach so. Aber Kate… ich weiß, dass er es getan hat. Er muss es gewesen sein.“
Während ihrer Zeit als Agent hatte Kate dieses Verhalten vielfach gesehen. Trauernde Familien verlangten nach sofortiger Gerechtigkeit. Aus dem Bedürfnis heraus, Rache zu üben, schoben sie jegliche Logik und die Notwendigkeit einer gründlichen Untersuchung beiseite. Und wenn die Resultate der Ermittlungen nicht schnell genug kamen, stellte die trauernde Familie die Polizei oder das FBI als inkompetent dar.
„Deb, wenn sie ihn so schnell haben gehen lassen, muss die Beweislage solide gewesen sein. Schließlich… wie lange es her, dass sie zusammen waren?“
„Dreizehn Jahre. Aber seit Jahren hat er versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen, sogar nachdem sie geheiratet hatte. Einmal musste sie ihn sogar per einstweiliger Verfügung von sich fernhalten.“
„Trotzdem… die Polizei muss ein gutes Alibi für ihn gesehen haben, dass sie ihn so schnell wieder freigelassen hat.“
„Also, wenn es ein gutes Alibi gab, dann haben sie mir jedenfalls nichts davon erzählt“, sagte Deb.
„Deb… sieh‘ mal“, sagte Kate und drückte tröstend Debs Hand. „Dein Verlust ist noch zu frisch. In ein paar Tagen wirst du klarer denken können. Das habe ich schon hunderte male erlebt.“
Deb schüttelte den Kopf. „Kate, ich bin mir da ganz sicher. Sie waren drei Jahre lang zusammen und nicht ein einziges Mal hat er mein Vertrauen gewonnen. Wir sind ziemlich sicher, dass er sie mindestens zweimal geschlagen hat, aber Julie hat sich uns nie anvertraut. Er wurde schnell wütend. Selbst er sagte das.“
„Ich bin sicher, dass die Polizei…“
„Das ist der Gefallen, um den es geht“, unterbrach Deb sie. „Ich will, dass du dich darum kümmerst. Ich will, dass du dich in den Fall einschaltest.“
„Deb, ich bin im Ruhestand. Das weißt du.“
„Ja, weiß ich. Und ich weiß auch, wie sehr du die Arbeit vermisst. Kate… dieser Mann, der meine Tochter umgebracht hat, ist mit einem kleinen Schrecken und etwas Zeit im Vernehmungsraum davongekommen. Und jetzt sitzt er gemütlich zuhause während ich planen muss, wie ich meine Tochter beerdige. Das kann nicht richtig sein, Kate. Bitte… wirst du dich darum kümmern? Ich weiß, dass du es nicht offiziell tun kannst, aber… was immer du tun kannst. Ich weiß das zu schätzen.“
Soviel Schmerz lag in Debs Augen, dass Kate spürte, wie dieser auf sie überging. Alles in ihr sagte ihr, dass sie sich nicht überreden lassen sollte, dass sie Deb keine Hoffnung machen sollte. Aber zur gleichen Zeit hatte Deb Recht. Sie hatte ihre Arbeit vermisst. Und selbst, wenn es sich nur um einige Anrufe beim Richmond Police Department handelte oder bei ihren früheren Kollegen beim FBI, es wäre immerhin etwas.
Auf jeden Fall wäre es besser, als wie besessen über ihre Karriere nachzudenken, gepaart mit einsamen Trips zum Schießstand.
„Also, was ich tun kann ist folgendes“, fing Kate an. „Als ich in den Ruhestand ging, habe ich all meine Autorität verloren. Natürlich, hin und wieder werde ich nach meiner Meinung gefragt, aber Autorität habe ich nicht mehr. Abgesehen davon läge der Fall komplett außerhalb meines Zuständigkeitsbereichs, selbst wenn ich noch beim FBI aktiv wäre. Aber ich werde einige meiner alten Kontakte anrufen und sicherstellen, dass die Beweise, auf Grund dessen er freigelassen wurde, wirklich solide sind. Ehrlich, Deb, mehr kann ich nicht tun.“
Die Dankbarkeit stand sowohl Deb als auch Jim ins Gesicht geschrieben. Deb umarmte sie noch einmal, und dieses Mal weinte sie. „Danke.“
„Kein Problem“, saget Kate. „Aber ich kann wirklich nichts versprechen.“
„Das wissen wir“, sagte Jim: „Aber jetzt wissen wir wenigstens, dass jemand Kompetentes auf unserer Seite ist.“
Kate war nicht wohl bei dem Gedanken, dass die beiden sie als eine Art interne Kraft sahen, die ihnen zur Seite stand. Ferner missfiel ihr der Gedanke, dass sie beiden annahmen, die Polizei kümmere sich nicht hinreichend um den Fall. Ihr war klar, dass es hier um ihre Trauer ging, welche sie auf der Suche nach Antworten blind machte. Deshalb ging sie jetzt nicht näher darauf ein.
Sie dachte daran, wie müde sie am Ende ihrer Karriere gewesen war – nicht körperlich müde, sondern emotional erschöpft. Sie hatte ihren Job immer geliebt, aber wie oft hatte sie beim Abschluss eines Falls gedacht: Mann, ich habe wirklich die Schnauze voll…
In den letzten Jahren war dies war immer öfter vorgekommen.
Aber im Moment ging es nicht um sie.
Kate verlor keine Zeit. Sie fuhr zurück nach Hause und setzte sich einen Augenblick an den Schreibtisch in ihrem kleinen Arbeitszimmer. Sie schaute zum Fenster hinaus, auf ihren kleinen Garten. Der Fußboden, wie auch fast im ganzen Rest des Hauses, barg die Schrammen und Narben seit der Erbauung in den 1920ern. Hier, in der Carytown Gegend von Richmond, fehlte sich Kate oft fehl am Platze. Carytown war eine hippe kleine Ecke der Richmonder Innenstadt und sie wusste, dass sie relativ bald woanders hinziehen würde. Sie hatte genug Geld, um sich quasi überall ein Haus zu kaufen, wo sie wollte, aber allein der Gedanke an einen Umzug erschöpfte sie.
Vielleicht war es diese Motivationslosigkeit, die ihr den Ruhestand so schwer machten. Das, und die Weigerung, sich von den Erinnerungen zu trennen; Erinnerungen daran, wer sie während ihrer dreißig Jahre beim FBI gewesen war. Wenn diese Gefühle zusammenkamen, fühlte sie sich oft unmotiviert und orientierungslos.
Aber nun war da die Bitte von Deb und Jim Meade. Natürlich, die Bitte war etwas fehlgeleitet, aber Kate fand nichts dabei, wenigstens ein paar Telefonate zu tätigen. Wenn nichts dabei herauskam, konnte sie zumindest Deb anrufen und ihr sagen, dass sie ihr Möglichstes versucht hatte.
Als erstes rief sie den Deputy Commissioner der Virginia State Police an, ein Mann namens Clarence Greene. Mit ihm hatte sie über die letzten zehn Jahre ihrer Karriere an vielen Fällen eng zusammengearbeitet und sie respektierten sich gegenseitig. Sie hoffte, dass das vergangene Jahr diese Beziehung nicht vollkommen aufgehoben hatte. Da sie wusste, dass Clarence sich fast nie in seinem Büro aufhielt, rief sie erst gar nicht auf seinem Festnetz an, sondern wählte gleich seine Handynummer.
Gerade als sie dachte, dass er nicht ranging, wurde sie von einer vertrauten Stimme begrüßt. Für einen kurzen Moment kam es ihr so vor, als habe sie die Arbeit nie verlassen.
„Agent Wise“, sagte Clarence. „Wie zum Teufel geht es Ihnen?“
„Gut“, gab sie zurück. „Und selbst?“
„Wie immer. Wobei ich zugeben muss… ich dachte, ich wäre durch damit, Ihren Namen auf meinem Handydisplay zu sehen.“
„Ja, also…“, sagte Kate. „Ich hasse es, nach mehr als einem Jahr Funkstille mit so etwas zu Ihnen kommen zu müssen, aber eine Freundin von mir hat gerade ihre Tochter verloren. Ich habe ihr versprochen, in die Ermittlungen hinein zu schnuppern.“
„Also, was wollen Sie von mir?“, fragte Clarence.
„Der Hauptverdächtige war der Ex-Freund der Tochter. Wie es scheint, wurde er verhaftet und dann drei Stunden später wieder freigelassen. Die Eltern fragen sich natürlich, warum.“
„Oh“, sagte Clarence. „Sehen Sie… Wise, diese Informationen kann ich nicht mit Ihnen teilen. Und bei allem Respekt, das sollten Sie eigentlich wissen.“
„Ich habe nicht vor, mich in den Fall einzumischen“, sagte Kate. „Ich frage mich nur, warum den Eltern kein triftiger Grund dafür genannt wurde, dass der einzige Verdächtige freigelassen wurde. Sie ist eine trauernde Mutter, die Antworten sucht und …“
„Nochmal, bis hierher und nicht weiter“, entgegnete Clarence. „Wie Sie sehr wohl wissen, habe ich regelmäßig mit trauernden Müttern, Vätern und Witwen zu tun. Nur weil Sie gerade zufällig eine davon persönlich kennen heißt das nicht, dass ich mich nicht an die korrekte Vorgehensweise halte und beide Augen zudrücke.“
„So eng, wie wir zusammengearbeitet haben, sollten Sie wissen, dass ich es nur gut meine.“
„Oh, da bin ich mir sicher. Aber das letzte, was ich brauche, ist ein pensionierter FBI Agent, der seine Nase in einen aktuellen Fall steckt, egal wie uninvolviert es erscheint. Das werden Sie doch wohl verstehen, nicht wahr?“
Das Schlimme war, dass sie es verstand. Trotzdem musste sie es noch ein letztes Mal versuchen. „Ich würde es als einen persönlichen Gefallen ansehen.“
„Ganz sicher würden Sie das“, gab Clarence ein wenig von oben herab zurück. „Aber die Antwort lautet nein, Agent Wise. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss jetzt los zum Gericht, um mit einer dieser trauernden Witwen zu sprechen, von denen ich Ihnen eben berichtet habe. Tut mir leid, Ihnen nicht helfen zu können.“
Ohne sich zu verabschieden legte er auf und überließ Kate sich selbst, die ein langsam wanderndes Quadrat anstarrte, das die Sonne auf den Holzfußboden warf. Sie dachte über ihren nächsten Schritt nach. Deputy Commissioner Greene hatte gerade preisgegeben, dass er auf dem Weg zum Gericht war. Ein schlauer Schachzug wäre wahrscheinlich, seine Weigerung, ihr zu helfen, als Niederlage zu akzeptieren. Aber die Tatsache, dass er ihr nicht helfen wollte, spornte sie nur noch mehr dazu an, tiefer zu graben.
Als Agent wurde mir immer gesagt, ich sei stur, dachte sie, als sie sich von ihrem Schreibtisch erhob. Schön zu sehen, dass sich einige Dinge nicht ändern.
***
Eine halbe Stunde später parkte Kate ihren Wagen auf dem Parkplatz neben der Third Precinct Police Station. Auf Grund der Gegend, in der der Mord an Julie Meade – mit verheiratetem Namen Julie Hicks – stattgefunden hatte, war sich Kate sicher, dass dies die beste Informationsquelle war. Das einzige Problem war, dass sie außer Deputy Commissioner Greene innerhalb des Departments niemanden wirklich kannte, ganz zu schweigen vom Third Precinct.
Selbstsicher betrat sie das Gebäude. Ihr war klar, dass es Dinge gab, die ihre derzeitige Situation verrieten und die einem aufmerksamen Beamten auffallen würden. Erstens trug sie keine Waffe. Sie besaß eine Genehmigung, eine verdeckte Waffe zu tragen, aber im Hinblick darauf, was sie vorhatte, meinte sie, dass sie sich mehr Probleme machte als die Sache wert war, wenn sie sich dabei schnappen ließ, auch nur im Geringsten unehrlich zu sein.
Und Unehrlichkeit war etwas, das sie sich nicht leisten konnte. Im Ruhestand oder nicht, hier ging es um ihren Ruf – einen Ruf, den sie mit größter Sorgfalt über dreißig Jahre aufgebaut hatte. Die nächsten Minuten musste sie mit äußerster Vorsicht bewältigen, und sie freute sich darauf. Das ganze letzte Jahr seit Beginn ihres Ruhestandes war sie nicht so aufgeregt gewesen.
Sie näherte sich dem Informationstresen, ein hell erleuchtetes Areal, das durch eine Glasscheibe vom zentralen Teil des Gebäudes abgetrennt war. Eine uniformierte Beamtin saß an einem Schreibtisch und stempelte etwas in einem Buch. Als Kate sich näherte, sah sie auf mit einem Gesicht, das aussah, als ob es seit Tagen nicht gelächelt hätte.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie.
