Wenn wir doch nur Löwen wären - Line Baugstø - E-Book

Wenn wir doch nur Löwen wären E-Book

Line Baugstø

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Beschreibung

Malin besucht die 7. Klasse, die beliebteren Mädchen wollen mit ihr nicht viel zu tun haben. In Emil ist sie aus der Ferne verliebt und nur die couragierte Amina unternimmt ab und zu etwas mit ihr. Mehr als alles Andere wünscht sich Malin eine beste Freundin. Als die schüchterne Leona in ihre Klasse wechselt, scheint dieser Traum in Erfüllung zu gehen. Zwar ist Leona nicht die löwenstarke Heldin mit Superkräften, die Malin sich ersehnt hat, aber die beiden kommen einander schnell näher. Beide lieben Musik und beide wollen Schriftstellerinnen werden, wobei Leona eigentlich am liebsten Lady Gaga werden möchte. Aber Leona hat ein Geheimnis. Sie erzählt nichts aus ihrer Vergangenheit, sie ist auf keinen sozialen Medien, es gibt keine Fotos von ihr. Bald steht Malin vor einer schwierigen Entscheidung. Ist sie mutig genug, sich dem Druck ihrer Klassenkamerad*innen zu widersetzen und zu ihrer neuen Freundin zu stehen? In klarer und schlichter Sprache und ohne Sentimentalität zeichnet Line Baugstø ein sehr realistisches und lebendiges Bild einer Gruppe von Kindern an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Wenn wir doch nur Löwen wären ist ein Buch über den ganz normalen Wahnsinn von Teenagern, über Freundschaft, Liebe und Loyalität; aber es ist auch ein Buch, das sich der Stigmatisierung und Ausgrenzung von Trans*personen annimmt und damit einer der am härtesten diskriminierten Gruppen eine Stimme in der Jugendliteratur verleiht.

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Seitenzahl: 135

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Titel der norwegischen Originalausgabe: Vi skulle vært løver

Copyright © Line Baugstø

First published by H. Aschehoug & Co. (W. Nygaard) AS, 2018.

Published in agreement with Oslo Literary Agency.

© Luftschacht Verlag – Wien

luftschacht.com

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten.

1. Auflage 2021

Die Übersetzung dieses Romans entstand mit der großzügigen Unterstützung des Deutschen Übersetzerfonds.

Umschlaggestaltung: Lisa Maria Wagner | @fridolinepinselstrich

Übersetzung: Andreas Donat

Lektorat: Teresa Profanter

Sensitivity Reading: Linus Giese

Satz: Paul Frenzel

Gesetzt aus der Scala

Druck und Herstellung: Finidr s.r.o.

Papier: Munken Print Cream 90 g/m2, Bilderdruck matt 350 g/m2

ISBN: 978-3-903422-04-9

ISBN E-Book: 978-3-903422-05-6

Line Baugstø

Wenn wir doch nur Löwen wären

Aus dem Norwegischen von Andreas Donat

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 1

Ich will ehrlich mit euch sein: Als ich Leona zum ersten Mal sehe, bin ich enttäuscht. Sie sieht ganz anders aus, als ich sie mir vorgestellt habe. Leona bedeutet ›Löwin‹, nicht wahr? Und Löwen sind mutige Tiere mit scharfen Krallen. Die lassen sich von keinem etwas sagen. So jemanden brauchen wir hier in der Klasse. So jemanden wünsche ich mir. Eine neue Freundin, die so ist wie eine Löwin.

Leonas Haare sind halblang und blond und hängen ihr ins Gesicht, als wollte sie sich dahinter verstecken. Ihre Kleider sehen nagelneu aus, hellrosa und hellgelb und ohne einen einzigen Fleck. Als hätte sie sich für den ersten Schultag schick gemacht, und irgendwie ist es ja auch ihr erster Schultag. Sie kommt uns auf dem Schulkorridor entgegen und starrt auf den Boden. Schaut niemandem von uns in die Augen.

Yasmin, die hinter ihr geht, sieht richtig aufgeblasen aus. Sie hat nämlich vom Rektor den Auftrag bekommen, sich um das neue Mädchen zu kümmern, und jetzt kommt sie sich wohl besonders wichtig vor. Das war erst gestern, als der Rektor in unser Klassenzimmer gekommen ist, um uns zu sagen, dass eine neue Schülerin bei uns anfangen wird.

»Sie heißt Leona und kommt aus Nordnorwegen«, hat er verkündet.

Als der Rektor das gesagt hat, habe ich mir ein Mädchen mit goldenen Haaren und Superkräften vorgestellt. Ein Mädchen, das es mit Sarah und Yasmin und all den anderen in der Klasse aufnehmen könnte, wenn sie mal wieder gemein sind.

»Sie ist ganz neu in der Stadt und kennt noch niemanden. Könntest du sie morgen früh in meiner Kanzlei abholen, Yasmin?«, hat der Rektor gefragt.

»Das mache ich gerne«, hat Yasmin geantwortet.

»Und pass bitte in den ersten Tagen ganz besonders gut auf sie auf.«

Alle haben sich nach Yasmin umgedreht und sie hat genickt und gelächelt und mit ihren großen braunen Rehaugen ausgesehen wie das reinste Engelchen. Das hat mir einen Stich versetzt. Wenn doch bloß ich diese Aufgabe bekommen hätte! Dann hätte ich Leonas Freundin werden können, noch vor allen anderen Mädchen in der Klasse.

Direkt hinter Yasmin und Leona geht Nils, unser Klassenlehrer. Er schließt die Klassentür auf, und wie jeden Tag gibt es ein Gerangel darum, wer als Erstes hineindarf. Aber im Klassenzimmer bleiben plötzlich alle wie angewurzelt stehen. Nils hat unsere Tische umgestellt. Bisher haben wir immer einzeln im Raum verteilt gesessen, aber jetzt stehen jeweils zwei Tische nebeneinander. Und auf jeden Tisch hat Nils ein Namenskärtchen aus Papier gestellt.

Etwas verwirrt laufen wir durch die Klasse und suchen unsere Plätze. Es dauert nicht lange, bis ich mein Kärtchen gefunden habe. »Malin«. Mein Platz ist in der zweiten Reihe, hinter Masood und neben Ebba.

Ebba und ich sind früher beste Freundinnen gewesen, vom Kindergarten bis zum Ende der vierten Klasse. Jetzt reden wir kaum noch miteinander. Ich weiß nicht genau, warum wir nicht mehr befreundet sind, aber ich glaube, dass Ebba mich kindisch und peinlich findet. Einmal hat sie gesagt, ich sehe aus wie ein Junge. Daraufhin habe ich angefangen, mich zu schminken, und habe mir die Haare wachsen lassen.

Ebba ist viel größer als ich. Sie sieht jetzt fast aus wie ein Teenager, und sie ist meistens mit Sarah und Yasmin unterwegs. Als sie sieht, wer ihre neue Sitznachbarin ist, schneidet sie eine enttäuschte Grimasse. Ich versuche, so zu tun, als wäre nichts.

»Hallo«, sage ich.

»Hmpf«, sagt Ebba.

»Jetzt geht auf eure Plätze und beruhigt euch erst einmal«, ruft Nils.

Wenn ich die Wahl hätte, dann würde ich am liebsten neben Leona sitzen, auch wenn es nicht gerade so aussieht, als hätte sie Superkräfte. Ich habe trotzdem Lust, sie kennenzulernen. Aber Leona sitzt neben Yasmin.

Am Fenster sitzt Amina. Sie hätte ich am zweitliebsten als Sitznachbarin gehabt, gleich nach Leona. Von allen in der Klasse mag ich sie am meisten, und manchmal unternehmen wir nach der Schule etwas gemeinsam. Das einzig Dumme an Amina ist, dass sie lieber mit allen befreundet sein möchte, als eine beste Freundin zu haben. Amina würde nie sagen, dass eine Freundin besser ist als andere, und schon gar nicht, dass eine die beste sein könnte. Aber ich wünsche mir eine beste Freundin.

Nach einer Weile haben alle ihre Namen gefunden und stehen an ihrem Platz. Nils wartet, bis es ganz still ist.

»Guten Morgen«, sagt er schließlich.

»Guten Morgen«, antwortet die ganze Klasse im Chor.

»Setzt euch bitte«, sagt Nils.

Das ist unser festes Morgenritual. Jetzt können wir uns setzen, unsere Rucksäcke aufmachen, unsere Federmappen herausnehmen, mit den Stühlen wippen oder etwas Wasser aus unseren Flaschen trinken. Der neue Tag kann beginnen. Aslaks Stuhl kippt um. Irgendjemand lacht laut. Mads fällt es wieder einmal erst jetzt ein, dass er vor Stundenbeginn hätte aufs Klo gehen sollen, und er hält die Hand in die Höhe.

»Kann ich mit jemandem Platz tauschen? Ich will nicht so weit vorne sitzen«, ruft Masood.

Nils steht lächelnd vor uns. Er übersieht Mads und überhört Masood.

»Alle bleiben dort, wo ich sie hingesetzt habe. Und falls sich jemand über die Namenskärtchen wundert: die sollen Leona dabei helfen, unsere Namen zu lernen. Leona, komm bitte kurz nach vorn«, sagt er.

Leona steht vor der Klasse und sieht aus, als würde sie am liebsten im Boden versinken. Sie erinnert mich an Misse. Als wir sie vor zwei Jahren bekommen haben, war sie nur ein winzig kleines Katzenjunges und hatte fürchterliche Angst. Das Erste, was sie gemacht hat, war, sich blitzschnell unters Sofa zu verkriechen, und dort ist sie dann zwei Tage lang geblieben. Wir haben versucht, sie mit Futter oder Spielzeug hervorzulocken, aber sie wollte nicht. Genau so sieht Leona jetzt aus, als sie zum ersten Mal vor uns steht. Wenn sie könnte, dann würde sie sich bestimmt ebenfalls unter einem Sofa verstecken.

»Das ist Leona Klavestad. Sie ist gerade erst in unsere Stadt gezogen«, sagt Nils und legt Leona eine Hand auf die Schulter.

»Hallo, Leona«, ruft Sivert.

»Hallo, Leona«, wiederholen einige Jungs und ein paar Mädchen.

Eher um Krach zu machen, als weil sie wirklich so große Lust haben, Leona zu begrüßen, glaube ich. Leona zieht den Kopf ein, während ihr Blick durch den Raum flitzt wie eine Maus in Todesangst.

Ich rufe nicht, aber ich versuche ihr zuzulächeln. Niemand hier wird dir etwas tun, will ich zu ihr sagen. Jedenfalls nicht die, die jetzt am lautesten rufen.

Einen kurzen Augenblick lang begegnen sich unsere Blicke. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, sie lächelt zurück.

»Herzlich willkommen in der 7A der Solkleiva-Schule. Und ich hoffe, alle in dieser Klasse werden ihr Bestes geben, damit du dich bei uns wohlfühlst«, sagt Nils.

Leona darf sich wieder setzen, und Nils teilt Mitteilungsblätter aus, die wir unseren Eltern geben sollen. Es geht um den Schwimmunterricht. Diesen Herbst haben alle siebten Klassen drei Stunden pro Woche Schwimmen, und unsere Klasse soll schon nächste Woche damit anfangen.

In der ersten Pause wollen sich alle mit Leona unterhalten.

»Wo hast du früher gewohnt?«

»Was hast du für Hobbys?«

»Machst du Sport?«

»Hast du einen Lieblingsladen?«

Die Fragen prasseln nur so auf sie ein. Aber bevor sie antworten kann, wird sie von Yasmin aus der Menge gezogen. Vielleicht will Yasmin Leona ganz für sich allein haben. Das dürfen wir ihr nicht erlauben.

»Können wir nicht einfach alle gemeinsam etwas machen?«, sagt Amina und rückt sich die Brille zurecht. Seit dem Sommer trägt sie eine Brille und sie hat sich noch nicht richtig daran gewöhnt.

»Wollen wir Gummitwist spielen?«, frage ich schnell.

Sarah stöhnt genervt, so wie immer, wenn jemand etwas vorschlägt, das sie kindisch findet.

»Wie langweilig!«, sagt sie und rollt mit den Augen.

Ich beiße mir auf die Lippe. Sarah ist nicht nur das hübscheste Mädchen der Klasse, noch hübscher als Yasmin, sondern auch das beliebteste. Sie hat Prinzessinnenhaare, solche langen, blonden Locken, von denen alle Mädchen träumen, seit sie fünf sind. Sarah ist der Boss, und wenn Sarah sagt, dass etwas langweilig ist, dann ist es eben langweilig.

»Ja. Langweilig!«, sagt Ebba, die immer mit Sarah einer Meinung ist. Seit einiger Zeit zieht sie sich noch dazu genau so an wie Sarah, jetzt haben die beiden eine völlig gleiche Jacke und die gleichen Schuhe.

Aber Amina wagt es, Sarah zu widersprechen. Sie ist wohl die Einzige in der Klasse, die sich das traut, und sie sagt Ja zu Gummitwist. Da nimmt Sarah Ebba an der Hand und die beiden verlassen die Gruppe. Als sie fort sind, wollen auch noch ein paar andere beim Gummitwist mitmachen.

Leona windet sich und sagt, sie kenne sich mit Gummitwist nicht besonders gut aus. Wir müssen ihr die Regeln erklären, und schon bald merken wir, dass sie es zum ersten Mal spielt.

»Spielt ihr im Norden etwa nicht Gummitwist?!«, fragt Amina.

Leona schaut auf den Boden und murmelt irgendetwas, das niemand von uns versteht.

Sarah und Ebba sitzen die ganze Pause lang allein auf einer Bank. Vielleicht unterhalten sie sich darüber, wie es ist, Brüste zu haben und plötzlich auszusehen wie eine Erwachsene.

An ihrem ersten Tag wollen viele von uns Leona nach Hause begleiten. Ich komme auch mit, und so finde ich heraus, wo sie wohnt. Ihr Haus ist nicht weit von meinem entfernt. Ich hoffe, dass sie uns zu sich einlädt, aber das tut sie nicht.

»Bis morgen!«, sage ich.

Leona lächelt vorsichtig, bevor sie ins Haus verschwindet.

Am Nachmittag wird in unserem Gruppenchat darüber geredet, dass sie süß ist und nett wirkt, und Amina fragt Yasmin, ob sie Leona in unsere Chatgruppe einladen kann. Aber wenig später antwortet Yasmin: »Sie ist nicht auf Social Media.«

»Hää?«, schreibt Ebba.

»Vielleicht versteckt sie sich gern?«, meint Sarah.

»Oder es gibt dort, wo sie herkommt, kein Social Media«, schreibt Ebba.

»Social Media gibt es auf der ganzen Welt, du Dumpfbacke«, schreibt Sarah zurück, ganz ohne Smileys oder Herzchen, und dadurch sieht ihre Nachricht ziemlich gemein aus.

»War nur Spaß«, schreibt Ebba schnell.

Und dann schickt sie drei Emojis mit Lachtränen.

Aber mit Ebba ist es immer so. Man weiß nie genau, ob sie es ernst meint, wenn sie solche Sachen schreibt. Manchmal ist es verblüffend, wie viele Dinge es gibt, die Ebba nicht weiß, auch wenn sie seit den Sommerferien die Größte in der Klasse ist und so aussieht, als ginge sie schon ins Gymnasium.

Ich schreibe nichts im Chat. Ich mache Englisch-Hausaufgaben. Nach einer Weile wird mir langweilig und ich fange an, mit dem Stift gegen die Schreibtischplatte zu trommeln. Dann trommle ich gegen ein Glas und dann gegen die Lampe. Drei unterschiedliche Klänge. In jeder Hand halte ich einen Stift und trommle drauflos. Ich liebe es, zu trommeln, auch wenn ich es nie richtig gelernt habe. Ich brauche nicht mehr als zwei Stifte, um meine eigene Musik zu machen.

Amina schickt mir eine Nachricht und möchte wissen, was ich mache.

»Nichts Besonderes«, antworte ich.

Ich warte ab, ob Amina vorschlagen wird, etwas gemeinsam zu unternehmen, aber es kommt keine weitere Nachricht. Nach einer Weile gehe ich online und suche auf YouTube nach Löwen.

Kapitel 2

Ich habe Löwen immer schon gemocht. Löwen sind die einzige Katzenart, die in Rudeln lebt. Die Männchen sind wunderschön mit ihren großen, goldenen Mähnen. Aber die besseren Jäger sind die Weibchen. Sie leben länger als die Männchen und können auch Rudelführer sein. Viele wissen das nicht.

Als wir in Kristiansand den Tierpark besucht haben, wollte ich mich mit den Tigern und Giraffen gar nicht erst abgeben. Ich wollte nur zu den Löwen. Ich hoffte, einer der Löwen würde so laut brüllen, dass die Erde davon bebte. Aber die Löwen brüllten nicht. Die meiste Zeit lagen sie ganz ruhig unter einem Baum und sahen aus, als würden sie schlafen. Doch dann wurde es Zeit für die Fütterung. Die Tierpfleger ließen ein Fleischstück ein paar Meter über dem Boden hin und her baumeln, sodass die Löwen, wenn sie es erwischen wollten, hoch in die Luft springen mussten. Ich wollte erst weitergehen, nachdem jeder einzelne Löwe zu fressen bekommen hatte.

Dass Leona »Löwin« bedeutet, weiß ich aus einem Buch, das wir zu Hause haben. Darin stehen alle Namen, die es gibt, und deren Bedeutung. Mein Name zum Beispiel kommt von Magdalena und bedeutet »aus Magdala«. Nicht, dass ich wüsste, wo Magdala liegt.

Meine Eltern hätten mich doch auch Viktoria nennen können. Das bedeutet »Sieg«. Oder Sarah, was »feine Dame« bedeutet, »Fürstin« oder »Prinzessin«. Aber nein. Es musste »Malin« sein, ein ganz gewöhnlicher Name für ein ganz gewöhnliches Mädchen. Aus Magdala.

Mit diesem Namen ist es vielleicht kein Wunder, dass ich mich meistens im Hintergrund halte. Fast niemand weiß, dass ich Dinge mag, die so richtig Lärm machen. Ich liebe brüllende Löwen und wummernde Trommeln. Vielleicht wäre ich cooler geworden, wenn ich einen schöneren und mutiger klingenden Namen hätte. Wie Leona. Leona, die Löwin.

Am nächsten Tag stehen Sarah und Ebba schon vor dem Klassenzimmer bereit, als Yasmin und Leona den Korridor herunterkommen. Ebba fragt laut, warum Leona nicht auf Social Media zu finden ist. Leona antwortet so leise, dass niemand ihre Antwort versteht.

»Darfst du etwa nicht?«, fragt Sarah.

»Ich bin noch nicht dreizehn«, sagt Leona etwas lauter.

»Du kannst einfach ein falsches Alter angeben«, meint Ebba.

»Das ist doch wohl ihre Entscheidung, ob sie warten will oder nicht«, sagt Amina.

Dass Amina Leona verteidigt, macht mich froh.

»Aber wie soll man sich dann mit ihr verabreden, wenn sie weder auf Snap ist noch sonstwo«, sagt Ebba.

Die Mädchen in unserer Klasse haben eine eigene Gruppe, »The 7A-Girls Rule«, aber es kommt nicht besonders oft vor, dass in dieser Gruppe Verabredungen getroffen werden, die für alle gelten.

Da erscheint Bjørg und die Diskussion ist zu Ende. Bjørg ist unsere Ethik-Lehrerin. Letzte Woche hat sie uns in Gruppen eingeteilt. Jetzt sollen wir mit der Gruppenarbeit anfangen, also muss auch Leona einer Gruppe zugeteilt werden. Bjørg verschafft sich einen Überblick.

»Du kannst in der Islam-Gruppe mitmachen, Leona«, sagt sie schließlich.

Das ist meine Gruppe! Wir schieben die Tische zusammen und stellen die Stühle um. Leona und ich am selben Tisch! Ich lächle ihr zu, und etwas zögerlich lächelt sie zurück.

Die einzelnen Gruppen sollen religiöse Feste und Gotteshäuser der fünf größten Religionen präsentieren. Jede Gruppe soll ein Plakat machen, das wir in der Klasse aufhängen werden. Die Plakate müssen schön werden, das ist wichtig.

»Wir sollten ein Foto von unserer eigenen Moschee machen und nicht einfach irgendeine Moschee nehmen«, sage ich.

Aslak rümpft die Nase und sagt: »Na jaaa …«

»Ihr habt eine Moschee hier?«, fragt Leona.

»Die ist aber nicht besonders schön«, meint Aslak.

»Immerhin ist es eine richtige Moschee«, antworte ich.

»Oh«, sagt Leona.

»Sie liegt nicht weit weg, man kann zu Fuß hinlaufen. Möchtest du nach der Schule mitkommen? Dann können wir mit meinem Handy ein Foto machen und mein Vater kann es in der Arbeit ausdrucken«, schlage ich vor.

Leona nickt.

»Gern«, sagt sie.

»Und wir werden gar nicht erst gefragt, ob wir mitkommen wollen?«, fragt Emil und schüttelt den Kopf, als wäre er beleidigt.

»Ähh …«, sage ich und spüre, wie meine Wangen ganz rot werden. Ich bin verwirrt. Hat Emil etwa Lust, etwas mit Leona und mir zu unternehmen?