Wer die Wahrheit sagt - Celine Lichtmess - E-Book

Wer die Wahrheit sagt E-Book

Celine Lichtmess

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Beschreibung

"Weißt du Kylie. Es gibt verschiedene Arten von Menschen. Doch im Grunde kannst du sie alle in zwei Kategorien einteilen…" Unverständlich sehe ich sie an. Ich weiß nicht, was sie mir damit sagen will und warte, dass sie weiterspricht. "Es gibt diejenigen, die ein Ziel brauchen, um tun zu können, und diejenigen, die es einfach tun. Ganz gleich, was danach passiert. Doch nur die einen werden je erfahren, wie sich die Liebe anfühlt." Immer noch weiß ich nicht so recht, was sie meint und schaue sie an, damit sie mir vielleicht eine Erklärung liefert. "Du wirst es verstehen, Kylie. Du bist ein schlaues Mädchen. Ich bin mir sicher. Gute Nacht." Eigentlich lebt Kylie zufrieden in ihrer kleinen Stadt Neulingen. Doch taucht auf einmal die mysteriöse Balley auf, die Kylie immer wieder dazu drängt, ihrer Vergangenheit auf die Spur zu gehen.

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Seitenzahl: 457

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog

Teil 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Teil 2

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Teil 3

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Danksagung

Gewidmet meinem Opa Hude

Vorwort

Schon immer hat es mir Spaß gemacht, zu schreiben. Ob nun richtige Bücher oder kleinere Geschichten spielte dabei zunächst keine Rolle. Erst, als ich mich in der Schule einen Tag lang dem Geschichten schreiben zugewandt habe, ist diese Idee in mir gewachsen. Frau Wagner hat dieses Seminar angeboten und mich dazu angetrieben, die in den wenigen Stunden geschrieben Seiten zu Ende zu führen. Ich glaube, es war das zweite Kapitel, welches ich damals beendet hatte, und ich wusste, dass es ein längeres Projekt werden würde. Ich gab ihr dennoch mein Versprechen, ging nach Hause und verstaute die Seiten in meinem Schrank. Dort verweilten sie einige Zeit. Immer wieder habe ich zwar einen Blick darauf geworfen, ein wenig weitergeschrieben, aber letztlich wieder vergessen. Doch die Idee wollte mir nicht mehr wirklich aus dem Kopf gehen…

Nun, ich glaube, fünf Jahre später, habe ich diese Seiten wieder einmal in den Händen gehalten. Ich wusste noch nicht, wozu es führen würde, doch überarbeitete ich die ersten Seiten, schrieb einen Teil um und nutzte die wenigen Seiten als Orientierung für dieses Buch. Jedoch habe ich mich auch entschlossen, den Anfang in etwa so beizubehalten, da hiermit die Idee überhaupt entstanden ist. Langsam machte es mir wieder Spaß, zu schreiben und ich verbrachte einen Großteil meiner Ferien vor meinem Laptop. Die ersten Tage verflogen förmlich, die Seitenanzahl wuchs und die Ideen für mein Buch ließen kein Ende. Dies ging zwar nicht ewig so weiter, aber doch konnte ich pünktlich zum Schulbeginn meinen ersten selbstgeschriebenen Roman beenden.

Ich wünsche Ihnen und euch allen ganz viel Spaß beim Lesen und hoffe, dass es gefällt.

Prolog – Kylie

Es ist nicht einfach zu leben. Das habe ich auch nie behauptet und das würde ich sicherlich nie tun können. Ich versinke gerne in Selbstmitleid und bin oft einfach nur pessimistisch. Ja, manchmal frage ich mich geradezu, was an meinem Leben überhaupt positiv erscheint. Aber dann denke ich wieder an Lenya, meine beste Freundin, an Scott, meinen besten Freund und an all die anderen tollen Menschen in meinem Leben und ich weiß, dass es sich lohnt, dafür weiter zu kämpfen.

Es ist nicht einfach zu leben. Vielleicht war das mein Motto, dem ich immer standhalten wollte. Dabei habe ich wohl völlig vergessen, was es überhaupt bedeutet zu leben, was es überhaupt bedeutet, glücklich zu sein. Man soll nach vorne schauen. Das war es, was mir so oft gesagt wurde. Doch ich habe kein Zurück. Ich habe keine Vergangenheit, also bleibt mir nichts anderes übrig. Doch holt einen diese Leere so oft wieder ein und nur Lenya weiß wirklich damit umzugehen. Ich verbringe so viel Zeit mit ihr und weiß mittlerweile auch nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich sie nicht hätte. Nur leider frage ich mich zu oft, wie viel Zeit uns noch bleibt, denn Lenyas Vater möchte so schnell wie möglich von hier fort… Es klingt fast, als würde ich sie anhimmeln und vielleicht stimmt das in gewisser Weise ja auch, aber ich denke, wenn man sich wirklich in mich hineinversetzen kann, wird man vielleicht verstehen können, warum mir so viel an ihr liegt.

Es ist nicht einfach, akzeptieren zu müssen, dass alles nur von Dauer ist, bis etwas eintritt, was alles zerstören kann. Dabei ist Lenya meine Lebensrettung und das schon seitdem ich denken kann. Vielleicht sollte ich lieber sagen, seitdem ich mich erinnern kann, denn das ist wohl nicht das gleiche, stimmt´s? Es gibt so viele offene Fragen und vielleicht sollte ich Philosoph werden, um all diese Fragen offen stellen zu dürfen. Doch dann würden all die Leute Antworten auf meine zu oft im Kopf gestellten Fragen, die ich mich nicht laut auszusprechen traue, verlangen und die kann ich nicht liefern, obwohl ich doch so gern wöllte.

Mit Lenya kann ich diese Stimmen in meinem Kopf zumindest für eine Zeit lang vergessen und all die neugierigen Blicke, die so viele tagtäglich auf mich werfen. Nur, um es vorwegzunehmen: Ich bin nicht berühmt, aber trotzdem wird sich über mich und mein Leben meiner Meinung nach zu gerne unterhalten. Zum Beispiel letztes Jahr im Frühjahr.. naja, das tut hier och nichts zur Sache. Aber ich frage mich immer wieder wieso? Was wollen denn alle nur von mir? Manchmal kommt es mir so vor, als wäre ich nur ein kleiner Teil meines Lebens und der zweite, ja, viel größere Teil ist so nah und doch nicht greifbar…

Ich habe nie zu vermuten gewagt, wie es wohl sein würde, wenn ich endlich die Wahrheit erfahren würde. Ich habe nie erwartet, dass endlich jemand ehrlich zu mir sein würde und ich weiß auch nicht, ob ich, wenn ich wüsste, was auf mich zukommt, nicht vielleicht viel lieber in meiner kleinen friedlichen Welt weitergelebt hätte und all diese Momente verdrängt. Es ist mir, als wäre es seit jeher meine Aufgabe gewesen, herauszufinden, was hinter allem steckt. Wer oder was dieser große Teil ist, der tief in mir fehlt.

- Teil 1-

-wenige Monate zuvor-

Ich stand auf und wollte einfach Brötchen holen. Heute war der Geburtstag meiner Mom und ich dachte, ich könnte ihr eine kleine Freude bereiten. Ich zog mir schnell eine lange Hose an und meine dünne Jacke und verließ das Haus. Es war noch ziemlich früh, aber ich wollte auch sicher gehen, dass Mom noch nicht wach ist, wenn ich wiederkomme. Meine Jacke zog ich enger um meinen Körper, und verschränkte meine Arme. Es war kalt und den Tau konnte man noch auf den Blättern sehen. Ich schaute mich um. Hier, am Rand der Stadt waren die Straßen noch recht leer. Ich sah einem der wenigen vorbeifahrenden Autos hinterher und bemerkte, dass ich dieses Kennzeichen noch nicht kannte. HR kam mir als Kennzeichen nicht sehr bekannt vor, aber das ist hier nicht weiter unüblich. Wir lebten schließlich am Meer und das war schon länger gerne als Feriendomizil gesehen. Durch das hintere Fenster sah mich ein Mädchen an. Es mochte vielleicht ein Jahr älter sein als ich. Sie hatte lange, dunkele Haare und schaute mir eindringlich in die Augen. Ihr Gesicht kam mir bekannt vor, doch war ich mir ebenso sicher, sie noch nie hier gesehen zu haben. Da fuhr das Auto um die Ecke und wir verloren den Blickkontakt. Nichtsdestotrotz bekam ich dieses Mädchen nicht mehr aus dem Kopf. Mit gesenktem Blick schaute ich auf den Boden und – es musste mir ja passieren – lief in einen relativ großen Mann hinein. Er beschwerte sich und zeigte mir einen Vogel, aber es störte mich nicht. Ich murmelte eine leise Entschuldigung und ging zur Seite, um ihm den Weg frei zu machen, während er kopfschüttelnd an mir vorbeirauschte. In Gedanken war ich aber viel zu sehr bei dieser Begegnung, als dass es mich ernsthaft kümmerte. Vorsichtig schaute ich auf. Ich war mittlerweile in der Stadt und die Straßen füllten sich hier schon in den frühen Morgenstunden. Geschäftsleute eilten zwischen zwei dringenden Terminen hin und her. Mütter machten einen Sparziergang mit den Kindern und ein paar Jogger drehten ihre erste Runde mit dem Hund. Tausende Blicke trafen mich. Ich lief an einem Café vorbei und jeder schaute mich mit einem durchdringenden Blick an. Mir wurde unwohl und so ging ich einen Schritt schneller, aber die Blicke brannten sich in meine Haut. Ich wurde immer schneller und irgendwann fing ich an zu laufen. Ich lief wieder aus der Stadt heraus in einen Park und setzte mich auf eine Bank. Die Tränen flossen über meine Wangen und ich weinte still vor mich hin. Als ich aufblickte, sah ich immer mehr Leute. Wieder Menschen, die mich die ganze Zeit anzustarren schienen. Ich schrie und rannte erneut davon, doch ich wusste nicht wohin, bis ich an die Bucht dachte und mich dort vor allen versteckte. Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder beruhigt hatte und so saß ich allein dort und wusste nicht, was ich tun sollte. Schließlich kam mir mein Verhalten lächerlich vor. Ich bildete mir das doch sicherlich nur ein, oder nicht? Ich trocknete meine Tränen und zog meine Kleidung zurecht, ehe ich einmal tief durchatmete und wieder in Richtung Stadt lief. Reiß dich doch mal zusammen, sagte ich immer wieder zu mir selbst und konzentrierte mich auf den Boden, um niemanden anschauen zu müssen. Viel zu groß war die Angst, dass ich es wieder nicht schaffen würde. Dabei wollte ich doch nur ein paar Brötchen holen. Beim Bäcker stellte ich mich in die Schlange und schaute das erste Mal wieder geradeaus. Die anderen zeigten mit ihren Fingern auf mich, fingen hinter vorgehaltener Hand an, zu reden oder warfen mir mitleidige Blicke zu, doch keiner sprach mich selbst an. Ich versuchte, stark zu sein, wollte das Geschehen um mich herum ausblenden und diese Menschen vergessen, doch es gelang mich nicht. Die Bäckerin rief mich aus meinen Gedanken und alle fingen an zu lachen, als ich noch ganz verstört hektisch aufschaute. Ein grässliches, gemeines Lachen umgab mich. Erneut stiegen mir die Tränen in die Augen, doch ich bestellte. Ich legte Geld auf den Tresen und riss ihr die Brötchen aus der Hand. Ich versuchte, selbstbewusst zu wirken, auch wenn es mir schwer fiel. Mir war es egal, dass ich nun viel zu viel bezahlt hatte, aber ich hielt es nicht eine Sekunde länger aus. Ich lief zurück nach Hause und schlug hinter mir die Tür zu, bevor ich das erste Mal richtig Luft holen konnte.

Es war zu schrecklich. Immer noch hatte ich dieses fiese Lachen in meinem Kopf. Meine Haut brannte, als hätte jemand eine ätzende Säure darüber geschüttet und in meinem Kopf spielten sich immer wieder die gleichen Bilder ab. Nur dieses Gesicht hatte ich vor Augen und im Hintergrund dieses Gelächter. Alle lachten mich aus, nur dieses Mädchen nicht. Sie hatte den Blick starr auf mich gerichtet. Doch sie störte mich nicht. In ihrem Gesicht sah ich Ehrlichkeit und ich wusste, ich könnte ihr vertrauen. Ich schüttelte den Gedanken ab.

Ein Blick auf die Uhr und ich bemerkte, dass Mom eigentlich schon aufgestanden sein müsste, doch konnte ich noch ihre gleichmäßigen Atemzüge aus dem Schlafzimmer meiner Eltern wahrnehmen. Es war unüblich, dass sie erst so spät aufstand, aber es war mir gerade recht. So hatte ich noch genügend Zeit, den Tisch zu decken und mein kleines Geschenk auf ihren Teller zu legen, bevor sie in ihrem zu großen Nachthemd vor mir stand.

<<Happy Birthday, Mom>>, sagte ich mit verheulten Augen und verwischtem Mascara.

Kapitel 1

Balley ist schon in wenig merkwürdig, dachte ich, als wir zu dritt mit Lenya am Strand lagen. Sie ist das Mädchen, das ich im Auto gesehen hatte und zu meinem Glück zogen sie vorigen Monat hierher. Sie waren nur schon früher hier, um sich nach einer passenden Wohnung umzusehen. Einen Monat verbrachte ich nun unendlich viel Zeit mit ihr und meinen anderen Freunden und ihre Vertrautheit war immer noch da. Dennoch fühlte ich mich in ihrer Anwesenheit auch immer unwohler. Sie hatte etwas zu verbergen. Das sah ich ihr an.

Verwundert guckte sie mich an. Ich hatte mal wieder nicht bemerkt, dass ich sie einen Moment zu lange angestarrt hatte. Zerknirscht verzog ich mein Gesicht, das wieder einmal rot anlief.

<<Oh, tut mir leid, das ist so eine blöde Angewohnheit von mir. Ich starre immer wieder irgendwelche Leute an...>>, entschuldigte ich mich schnell und biss auf meine Unterlippe. Kopfschüttelnd wandte sie ab. <<Ist doch kein Thema. Jeder hat so seine Macken, nicht wahr?>>, sagte sie lächelnd und vertiefte sich wieder in ihr Handy, als ich ihren Kommentar aufgriff und sie in unser Gespräch zurückholte.

<<So seine Macken ist gut. Wenn denn nicht mal das ganze Leben eine wäre…>>, sagte ich allerding eher zu mir selbst, als zu ihr.

<<Ach Kylie, jetzt tu mal nicht so, als sei dein Leben nicht lebenswert!>>, entgegnete Balley leicht gereizt. Und wenn es das ist?, fragte ich mich selbst mit gereiztem Ton und hatte dennoch keine Antwort. Tief atmete ich ein und zerschlug diesen Gedanken. Wir wollten Spaß haben und nicht wieder Trübsal blasen. Doch immer wieder erwischte ich mich dabei, wie neue Fragen in mir aufkamen und mich plagten, mochte der Tag auch noch so schön sein.

<<Wollen wir schwimmen gehen? >>, unterbrach Lenya die angespannte Stille und legte ihr Buch zur Seite. Nickend stimmte ich ein, stand auf und zog mein Top aus, unter dem ich meinen pinkfarbenen Bikini trug. Er war sehr auffällig und passte eigentlich gar nicht zu mir, doch Lenya hatte mich bei unserem letzten Shoppingtrip überzeugt. Kritisch sah ich an mir herunter und nahm meine Tasche, in der ich vorsichtshalber noch meinen schwarzen eingesteckt hatte.

<<Ich ziehe mich noch einmal kurz um.>> Entschuldigend blickte ich zu Lenya.

<<Kommt gar nicht infrage, Kylie. Der steht dir super. Ich verstehe gar nicht, was du hast!>>, widersprach Lenya und riss mir meine Tasche wieder aus der Hand. Seufzend gab ich mich meinem Schicksal hin, da ich gegen Lenya in Sachen Mode eh keine Chance hatte und schaute zu Balley, die noch keine Anstalten gemacht hatte, aufzustehen.

<<Was ist mit dir? Kommst du nicht mit?>>, fragte ich sie und hielt ihr fordernd meine Hand hin.

<<Ich komm gleich nach>>, sagte Balley und ignorierte meine Geste, sondern tippte stattdessen etwas in ihr iPhone. <<Ach komm schon, Balley. Eine kleine Abkühlung kannst du doch nicht ausschlagen.>>, versuchte Lenya sie erneut zu überzeugen.

<<Einen Moment. Bitte!>>, drängte da Balley wütend und drehte sich von uns weg.

<<Es tut mir leid. Ich wollte nicht…>> Balley winkte ab ohne sich dabei noch einmal umzudrehen und deshalb gingen Lenya und ich allein ans Wasser. Ich verschränkte meine Arme vor dem Bauch und versuchte, meinen Bikini möglichst weitgehend zu verdecken. Ich fühlte mich unwohl. Ich sah noch einmal zu Balley herüber, die immer noch über ihrem Handy saß. Was hatte sie nur auf einmal? War es meine Schuld? Sie wohnte schließlich noch nicht sehr lange hier, aber hatten wir uns doch zu dritt auf Anhieb gut verstanden.

Lenya guckte sich ebenfalls noch einmal zu Balley um, bevor auch sie ins Wasser kam. Gemeinsam schwammen wir ein paar Züge, bevor wir Lara sahen und beschlossen, uns zu ihr gesellen.

<<Macht es dir eigentlich etwas aus, dass Balley in letzter Zeit so oft bei uns ist? Ich denk nur immer, sie ist noch neu und… naja... sie kennt hier noch nicht so viele... Aber wenn dich das stört… Wir können morgen auch gerne mal wieder was zu zweit machen.>>

<<Lenya, mach dir nicht immer so viele Gedanken. Natürlich stört es mich nicht. Ich…>>

<<Das sagt hier ja wohl die Richtige>>, warf Lenya ein.

<<Ich hab das vorhin sehr wohl mitbekommen.>>

<<Es ist nur… Ach egal, schon gut…>>

<<Was ist? Du kannst mir ruhig sagen, wenn es dich stört.>>

<<Nein, nein, schon gut. Aber du sagtest, morgen darf ich entscheiden? Wir könnten mit Lara und Kim surfen gehen. Sie haben mich gefragt, ob wir ihnen es nicht zeigen könnten und ich habe sie schon das letzte Mal vertrösten müssen.>>

<<Na klar.>> Aufmunternd lächelte Lenya mir zu, dann wurde ihr Gesicht wieder ernst. <<Du weißt, wenn irgendwas ist…>>

<<Dann komm ich zu dir und heul dich voll, jaja.>> Lachend verdrehte ich die Augen und gab ihr einen kurzen Kuss auf die Wange. Mittlerweile waren wir auch bei Lara angekommen und umarmten sie so gut es im Wasser ging zur Begrüßung.

<<Hey, wie geht´s euch?>>, fragte Lara.

<<Gut soweit und dir? Und wo ist überhaupt Kim? Ich dachte, ihr seid unzertrennlich>>, erwiderte ich und zwinkerte ihr zu. Ich wusste ja, dass deren Freundschaft Lenyas und meiner nur zu ähnlich war.

<<Alles bestens>>, antwortete sie lächelnd.

<<Und Kim?>>, fragte nun auch Lenya mit ihrem besorgten Blick.

<<Ach, die ist mal eben mit ihrem Freund spontan in den Urlaub geflogen. So jemanden hätte ich auch nur zu gerne…>> Spielerisch verträumt seufzte Lara und fiel daraufhin in unser Gelächter mit ein.

<<Du hast doch deinen Greg, Lara>>, tröstete ich sie und wir fingen an zu lachen, während Lara sich theatralisch verliebt nach hinten fielen ließ und sich am Wasser verschluckte. Sie tauchte wieder auf und hustete, ehe auch sie in unser Gelächter mit einstieg.

<<Mist, dann können wir morgen ja doch nicht surfen gehen… Das wäre ja unfair Kim gegenüber>>, wandte Lenya ein.

<<Doch, Kim meint, das ist in Ordnung, solange wir das mit ihr dann noch einmal wiederholen. Ich weiß auch nicht. Zuerst wollte sie unbedingt, dann wieder nicht und jetzt doch wieder. Sie ist so unentschlossen… Manchmal habe ich das Gefühl, sie macht manches nur wegen mir und das will ich doch gar nicht… Aber ich kann ihr die Dinge ja auch schlecht verbieten, denn dann wäre sie beleidigt und das könnte ich ja auch verstehen… Es ist manchmal echt nicht leicht mit ihr, vor allem im Moment…>> Lara guckte uns traurig an.

<<Hm… ja, manchmal erweckt ihr echt den Eindruck, als würdest du alles bestimmen. Aber wir wissen ja zum Glück alle, wie Kim ist>>, warf ich schnell ein, um sie zu trösten. Vielleicht waren Kim und ich ja gar nicht so verschieden, dachte ich da plötzlich und nahm mir vor, in nächster Zeit mal ein wenig auf Kim zu achten.

<<Wieso? Was ist denn im Moment mit ihr?>>, hakte Lenya nach, doch Lara zuckte mit den Schultern.

<<Ich weiß es nicht. Sie ist so… so verschlossen geworden. Sie redet kaum noch mit mir und hat immer was vor, wenn ich mal wieder etwas mit ihr allein machen will. Und wenn ich sie darauf anspreche, reagiert sie gleich total zickig.>> Ich merkte, wie sehr das Lara zusetzte und plötzlich tat sie mir leid. Es war das erste Mal seit unserem Zwischenfall, dass sie mir ehrlich leidtat und vielleicht lag es einfach nur daran, dass ich mich nur allzu gut in sie hineinversetzen konnte.

Mittlerweile hatte sich auch Balley zum Wasser gewagt, doch blieb sie in der Brandung sitzen und sah gedankenverloren auf das weite, blaue Meer.

Fragend sah Lara zu ihr herüber. <<Ist alles okay mit ihr?>> Achselzuckend blickten wir uns an, als Scott und Marcus kamen. Scott umarmte Balley vorsichtig von hinten.

<<Wie süß>>, fand Lenya. Doch Balley war da anscheinend anderer Meinung. Wütend sprang sie auf und schrie Scott an, der total perplex da stand, bis sie verstummte und in Tränen ausbrach. Sie lief zu unserem Platz, während Scott ihr noch etwas zurief, doch sie ignorierte ihn. Überrascht blickte er zum ersten Mal zu uns herüber und hob ahnungslos die Arme. Auch Marcus blieb die ganze Zeit über wie versteinert stehen.

Lara schaute währenddessen erst Lenya und dann mich verwundert an. <<Kylie, wirst du denn gar nicht eifersüchtig?>>

<<Was?>> Ich musste lachen. <<Wieso? Ich meine, okay, wir waren zusammen, aber das ist Vergangenheit und das ist auch gut so. Wir sind nur gute Freunde!>>, verteidigte ich mich.

Scott war nämlich neben Lenya der zweitwichtigste Mensch in meinem Leben. Ihn hatte ich in der Schule kennengelernt, als ich vor sieben Jahren mit meinen Eltern hierher gezogen war. Wir waren einige Zeit zusammen, bis er letztes Frühjahr Schluss gemacht hatte. Im ersten Moment brach eine Welt in mir zusammen, aber wenn wir ehrlich zueinander gewesen wären, war das sowieso eine dumme Idee. Wir liebten uns wie Bruder und Schwester, das könnte keine Beziehung jemals ausdrücken. Doch das Wichtigste war, dass unsere Freundschaft das überstanden hatte und jetzt ging es uns beiden besser als je zuvor. Gäbe es da nicht noch so Leute wie Lara, die dachten, wir gehörten zusammen…

Lara wandte den Blick ab und nickte ironisch. <<Hey, wollen wir dem armen Scott nicht trotzdem etwas Gesellschaft leisten? Der steht da wie ein begossener Pudel und weiß ja gar nicht, was um ihn geschieht. Marcus scheint ihm irgendwie auch keine große Hilfe…>>

<<Hört sich gut an. Vielleicht ist Greg ja auch da.>>, stimmte Lenya zu und wir schwammen zurück zum Strand.

<<Hat die was Falsches gefrühstückt oder was ist bei der nicht ganz richtig?>>, fragte Scott, sobald wir in Hörweite waren.

<<Keine Ahnung, die ist heute schon den ganzen Tag nicht so gut drauf>>, antwortete ich ihm und zur Begrüßung hob er mich hoch und drehte sich mit mir, bis wir hinfielen und alle in ein lautes Gelächter ausbrachen. Mit einem Blick zu unseren Handtüchern fügte Lenya noch hinzu, sie hinge heute auffällig viel an ihrem iPhone. Dann begrüßten Scott und Marcus auch Lenya und Lara.

<<Sag mal Lara, wo hast du eigentlich Greg gelassen? Wollte der nicht auch kommen?>>

Wir drei schauten uns an, als ginge die Welt unter. Einen Scott, der nicht weiß, wo Greg oder Marcus, seine beiden besten Freunde sind, haben wir erst selten erlebt.

<<Er ist mit seinem Großvater rausgefahren zum Angeln. Hat er dir denn gar nicht Bescheid gesagt?>> Besorgt schaute Lara ihn an und befürchtete schon, dass die drei Stress miteinander hatten. Scott hielt sich jedoch den Bauch vor Lachen.

<<Eure Gesichter>>, prustete er los <<Ihr hättet euch sehen müssen>>, japste er zwischendrin und stoß Marcus von der Seite an, der sich ebenfalls vor Lachen den Bauch hielt. <<Natürlich weiß ich, was mein Greg macht!>> Beleidigt schaute Lara zu Seite, während ich Scott in die Seite boxte und mich bei ihm beschwerte, dass er uns nicht einfach so reinlegen soll.

<<Scott!>> Jetzt wurde Lara ernst. << Greg gehört mir!>> Erst blickte sie ihn noch gespielt böse an, doch bei Scotts Grimasse fing auch sie erneut das Lachen an.

Gemeinsam gingen wir zu unseren Handtüchern. Scott, Marcus und Lara holten ihre und wir legten uns hin. Balley stand etwas abseits und telefonierte. Schweigend schauten wir ihr zu, doch sie war außer Hörweite und so blieb uns nichts anderes übrig, als auf sie zu warten.

Ich blickte währenddessen auf mein Handy und bemerkte, dass meine Mutter mir geschrieben hatte:

Kylie! Du bist zu spät. Das Essen wird kalt.Mom13:58

Das Essen ist kalt, beschloss ich bei einem Blick auf die Uhr, der mir sagte, dass es mittlerweile schon nach drei Uhr ist. Ständig kriegte ich solche SMS, wenngleich ich ihr auch noch so oft sagte, dass ich erst abends nach Hause kommen würde. Schnell antwortete ich ihr mit verdrehten Augen, dass ich am Strand esse und bis eben im Wasser war, weshalb ich ihr nicht eher antworten konnte.

<<Dein Blick, Kylie>>, bemerkte Marcus und hob dabei eine Augenbraue, während er grinste. Ich wusste ja, dass er Scotts Freund ist, aber mochte ich ihn noch nie besonders gerne leiden. Gerade seine anzüglichen Bemerkungen in der letzten Zeit machten mir zu schaffen. Doch schien kein anderer es wirklich wahrzunehmen. Bildete ich mir das Ganze denn nur ein?

<<Alles okay, honey?>>, fragte Scott.

<<Scott! Du sollst mich nicht so nennen!>>, lachte ich und bewarf ihn mit meinem Handtuch. Mit einem Mal war der Ärger über Marcus vergessen.

<<Danke, HONEY.>> Zwinkernd lächelte er mich an und nutzte es als Kopfkissen, während er sich auf seinem eigenen Handtuch breit machte.

Ich folgte währenddessen Lenyas besorgtem Blick zu Balley, die immer noch telefonierte und dabei weitreichend gestikulierte. Es schien, als hätte sie Ärger.

<<Was ist nur los mit ihr? Sie war doch sonst nicht so.>> fragte Lenya, doch niemand konnte ihr antworten und so entstand eine unangenehme Stille. Die Minuten verstrichen, bis Balley auf einmal vor uns stand und uns genervt anguckte.

<<Was ist?>>, fragte sie. Keiner wusste so richtig, was er darauf hätte antworten sollte und so dauerte es einige peinliche Sekunden, bevor Scott aufstand und das Wort ergriff.

<<Was ist? Das fragst du noch?! Ich – nein, WIR könnten dich das genauso fragen! Ganz ehrlich, erst machst du mir da unten vor allen so eine Szene, obwohl ich dir nichts getan habe und jetzt, anstatt dich mit uns – deinen Freunden!! - zu unterhalten, telefonierst du mit irgendwem und kommst hier an, als wären wir alle bescheuert. Was soll das?>> Erschrocken blickten wir alle zu Scott. Das hatten wir nun nicht erwartet. Scott war zwar kein Mensch, der seine Meinung gerne zurückhielt; eher sprach er frei heraus, was er dachte. Doch meistens war er dabei noch ein wenig gefühlvoller. Was war heute nur los mit allen?

<<Scott, lass gut sein…>>, versuchte ich ihn zu besänftigen.

<<Nein Kylie, wieso? Sie hat´s doch nicht anders verdient.>> Er wandte seinen Blick nicht von Balley ab und schien noch immer auf eine Antwort zu warten.

<<Scott!>> Ich lenkte ihn von unserem Platz ein Stück weg. Widerwillig kam er mit, aber das konnten wir Balley nicht wirklich zumuten. Vielleicht ging es ihr ja wirklich nicht gut.

<<Ist schon okay Kylie, ich muss sowieso gehen. Bye!>>, rief Balley uns hinterher und kramte ihre Sachen zusammen, bevor sie ohne ein weiteres Wort den Steg hinauf lief und mit ihrem Rad davonfuhr. Ich sah ihr noch nach und verlor sie aus den Augen, als sie von den ankommenden Menschenmassen verschluckt wurde.

Zusammen mit Scott ging ich ein paar Schritte am Strand entlang ohne etwas Weiteres zu sagen, doch spürte ich Laras bohrende Blicke auf uns. Dann blieb er stehen und ich wandte mich ihm zu.

<<Warum? Warum darf sie das einfach machen? Sie kann euch nicht behandeln wie Dreck. Nicht mit mir! Sie ist neu hier. Sie kann froh sein, dass ihr euch gleich so gut mit ihr verstanden habt. Das ist nicht selbstverständlich und bei dir erst recht nicht. Ich meine, sie kennt dich noch nicht einmal. Sie weiß doch rein gar nichts über dich, oder? Du wirst es ihr bestimmt noch nicht erzählt haben, ich kenn dich. Bald zerreißen sich wieder alle das Maul über dich und sie wird alles hören und dann? Willst du, dass sich alles wiederholt wie damals? Willst du das ehrlich?>> In seinem Blick las ich Trauer und Besorgnis, aber auch Wut.

<<Scott, hör auf. Das kann nicht noch einmal passieren. Das weißt du. Balley ist anders und mittlerweile ist doch sowieso alles wieder gut. Was willst du eigentlich noch? Das ist Vergangenheit. Ich habe damit abgeschlossen!>>

<<Nein Kylie, öffne DU deine Augen. Bitte! Ich weiß genau, dass das nochmal passieren könnte. Es könnte auch noch öfter passieren und DU weißt das auch. DU darfst nicht immer weglaufen. Man Kylie! Ich würde dir so gerne etwas anderes erzählen, aber du musst aufpassen. Ich habe Angst um dich! Und vielleicht scheint im Moment alles gut zu sein, aber du weißt von allen am besten, wie schnell sich das wieder ändern kann. Das holt dich alles wieder ein und dann? Ich bin nicht immer da, Kylie. Vielleicht ist dann keiner da… Pass doch einfach mal auf dich auf.>> Eine Träne lief ihm die Wange hinunter, während er mir die so harten Vorwürfe versuchte sanft nahezulegen.

<<Scott, bitte…>> Ich wandte mich von ihm ab.

<<Du weißt es genau, Kylie. Ich hab Angst um dich. Du sollst das nicht wieder durchmachen müssen. Das würde ICH nicht aushalten, dich noch einmal so zu sehen.>> Ich schaute auf das Meer und brach in Tränen aus. Mein Körper sackte unter meinem Gewicht zusammen, doch Scott fing mich von hinten auf und umarmte mich. Ich drehte mich zu ihm um und erwiderte seine Umarmung. Die Erinnerung konnte ich nicht ertragen. Lieber wären mir weitere Jahre der Leere. Jahre, an die ich keine Erinnerung hatte. <<Du sollst nicht weinen, Kylie. Aber ich will, dass du aufpasst. Du solltest ihr das erzählen, bevor sie es von anderen erfährt. Ich bitte dich darum, hörst du?>> Schluchzend nickte ich, denn ich wusste, dass er recht hatte. <<Es ist schwer, das weiß ich.>> Fest drückte er mich an sich. Ich sah ihm in seine braunen Augen und er wischte mir meine Tränen von den Wangen und gab mir einen Kuss auf die Stirn. <<Ich hab dich lieb, honey.>>

Zusammen gingen wir nach einiger Zeit zurück zu den anderen. Lenya kam sofort auf mich zu und umarmte mich. Fragend sah sie dabei zu Scott herüber, der sein Handtuch nahm und ihr mit traurigem Blick tief in die Augen schaute. Ohne ein weiteres Wort strich er mir über die Haare, bevor er lautlos Marcus dazu aufforderte, mit ihm zu gehen. Lara war in der Zwischenzeit auch schon gegangen, sodass nur noch Lenya und ich am Strand waren. Ich war aber sowieso nicht mehr in der Laune, mich noch weiter zu vergnügen und eigentlich ganz froh, mich nicht vor allen rechtfertigen zu müssen, schon so früh wieder nach Hause zu wollen. So packten auch wir unsere Sachen und machten uns auf dem Weg nach Hause. Bis zu Lenyas Haus hatten wir kein Wort gesprochen. Wir brauchten keine Worte, um uns zu verstehen. Einfach nur das Zusammensein reichte aus, um die Tränen zu trocknen und die Welt wieder ein bisschen fröhlicher aussehen zu lassen. Diesmal gelang dies zwar nicht, aber es war trotzdem schön, sie neben mir zu wissen. Eine feste Umarmung zur Verabschiedung reichte und ich wollte mich gerade zum Gehen wenden, als Lenya mich doch noch ansprach.

<<Was wollte Scott? Es war wegen damals, oder?>> Niemand traute sich wirklich, es auszusprechen, doch wenn es um damals ging, wusste jeder von uns, was gemeint war.

Ich nickte ihr zu und ging ein paar Schritte. Ich wollte Entfernung zwischen diesem Thema und mich bringen, sonst würde es mich noch umbringen.

<<Er hat recht, Kylie…>>, rief sie mir hinterher. Ohne, dass sie wusste, was genau er gesagt hatte, konnte sie es sich dennoch vorstellen. Denn ich lief immer weg – und sie konfrontierten mich immer wieder damit. Und auch ich wusste, dass er recht hatte, dass sie beide recht hatten und dennoch konnte ich nicht anders, als es einfach von mir weg zu schieben, bis es wieder passierte. Und es würde passieren, wenn ich es ihr nicht erzählte. Das wusste ich genauso gut wie Scott oder Lenya.

Ich nickte ihr zu und ging weiter ohne mich noch einmal umzudrehen, bevor ich dieses gewohnte Türknacken hörte. Da sah ich sie mir durch das Fenster hinterher schauen. Mit einem Blick voller Leid, weil sie genau wusste, dass sie mir nicht helfen konnte, wenn sie doch noch so gern mochte. Nicht solange ich weiter davon lief und es verdrang…

Bei mir zu Hause öffnete ich leise die Tür und hoffte, still und unbemerkt in mein Zimmer zu gelangen. Doch bei seiner lauten Stimme zuckte ich zusammen und kniff verärgert über mich selbst meine Augen zusammen.

<<Kylie?! Wo warst du verdammt nochmal?>> Mein Vater hatte getrunken. Ich hörte es an seinem Ton. Ich ließ meine Schultern hängen und atmete tief durch, um nicht gleich die Kontrolle zu verlieren.

<<Ich habe Mom geschrieben, tut mir leid.>>, sagte ich so höflich wie möglich. Angespannt unterdrückte ich meine Tränen und ging die Stufen nach oben.

Ich holte mir ein paar Sachen und schloss mich im Bad ein, ehe ich unter der Dusche meinem Tränen endlich freien Lauf lassen konnte und das warme Wasser auf mich herab prasselte. In meinem Zimmer zog ich meinen weichen Pullover an, auch wenn es eigentlich noch warm draußen war, wurde mir bei der Erinnerung an den heutigen Tag eiskalt. Ich machte mir einen Tee und kuschelte mich in meinen Sessel, wo ich mein Lieblingsbuch bestimmt zum tausendsten Mal anfing zu lesen. Doch starrte ich eher die Buchstaben an, die erst, wenn sie aneinandergereiht in einem Wort standen und mit vielen anderen Worten einen Satz ergaben, überhaupt einen Sinn hatten. Doch einige Worte ließen sich nicht beschrieben. Einige Worte brauchten keinen Satz, um einen Sinn zu haben. Sie standen für sich und ihre Buchstaben standen genau dafür ein, wie auch das Wort für seine Bedeutung einstand.. Jeder Buchstabe für sich hatte etwas so eigenes, wie das Wort für jeden einzelnen vermutlich auch. LIEBE.

Kapitel 2

<<Ich will dir keine Vorwürfe machen, wegen letztens am Strand. Glaub mir, ich weiß, wie man sich da fühlt. Es ist nicht, dass mit egal ist, was passiert ist, aber ich weiß, wie es ist, wenn man etwas hat, worüber man nicht gerne spricht. Ich möchte dich nur wissen lassen, dass, falls du dich bereit dazu fühlst, darüber zu reden, ich immer da bin. Ich würde es dir nicht übel nehmen, wenn du es nicht tust, aber vielleicht würde es dir ja auch helfen, mal mit jemanden Unbeteiligten zu sprechen…>> Sie sah mich an, als verstünde sie mich nicht. Es schien mir, als sollte ich genau wissen, worum es ging, aber ich hatte selbst keine Ahnung, wie ich das erklären sollte.

<<Ich weiß, unser Start war vielleicht nicht ganz einfach, aber ich hatte einfach Angst und vielleicht wirst du später auch wissen, warum. Vielleicht kannst du mich dann ein wenig besser verstehen. Vielleicht wird es dann auch einfacher für dich. Ich will dich ehrlich nicht drängen mit mir zu sprechen, aber es ist ein Angebot.>> Sie nickte still und wartete ab.

<<Na gut, ich sollte dann wirklich mal anfangen, aber ich möchte dich wissen lassen, dass es mich sehr viel Überwindung gekostet hat, dich hierher zu bitten. Es ist etwas, dass ich niemals von allein getan hätte und dass ich nur Lenya und vor allem Scott zuliebe mache. Sie sind auch diejenigen, die mich davon überzeugt haben, dass es besser ist, wenn du das von mir erfährst. Nun ja, mir ist etwas passiert und das war für uns alle eine sehr schwierige Zeit und jetzt haben alle Angst, es würde sich wiederholen. Doch ich weiß, mit dir ist es anders. Du bist von Anfang an ganz anders mit uns umgegangen und du hast nicht mitbekommen, was alles zuvor passiert ist. Vielleicht ist es auch besser so. Immerhin kannst du dir jetzt ein ganz eigenes Bild von mir machen. Es ist nur das Misstrauen, was dadurch jetzt in jedem von uns steckt.>> Ich atmete tief durch und machte eine kurze Pause. Was redete ich überhaupt die ganze Zeit? Ich sollte langsam echt zum Punkt kommen. Es wurde so doch alles nur noch schlimmer. Ich wollte es schnell hinter mich bringen und jetzt redete ich nur um das Thema herum. Sie saß immer noch stillschweigend da und starrte gebannt auf ihre Hände. Anscheinend war auch ihr es unangenehm, dort zum ersten Mal mit mir allein zu sitzen, ohne zu wissen, was wirklich los war. Wir hatten uns vorher nie allein getroffen. Es hatte sich einfach nicht ergeben, aber für mich fühlte es sich richtig an, ihr das allein zu erzählen. Deshalb saßen wir uns jetzt in meinem beschaulichen Zimmer gegenüber, sie auf meinem Bett, ich mehr oder weniger auf meinem Sessel, wenn ich nicht gerade wieder aufstand und nervös durch den Raum lief. <<Okay, also… wo fange ich am besten an? Also, im Grunde ist meine gesamte Kindheit wie ausgelöscht. Als hätte es sie nie gegeben. Ich bin mit 12 geboren. Nein okay, schon klar, das geht nicht... Ach, ich rede Schwachsinn… Verzeih mir bitte, aber es ist mir wirklich sehr wichtig. Ich weiß nur nicht, ob ich die richtigen Worte dafür finde. Ich bin nicht so gut in diesem… Reden.

Auf jeden Fall kann ich mich an rein gar nichts erinnern, was vor meinem zwölften Geburtstag passiert ist, denn das ist der Tag, an dem wir hierher gezogen sind und da habe ich auch gleich Lenya kennen gelernt, deswegen habe ich so eine feste Bindung zu ihr. Naja, ich fange dann am besten an meinem Geburtstag an, denn davor gibt es nichts. Es ist leer - alles schwarz. Wenn ich meine Eltern danach frage, weichen sie aus. Es gibt keine Erinnerungen, kein Foto. Ich weiß nicht einmal, wo ich vorher gelebt habe. Es machte mir lange Zeit sehr zu schaffen, aber mit der Zeit findet man sich irgendwie damit ab. Es gibt da diesen Spruch. Zeit heilt keine Wunden, aber mit der Zeit lernt man, mit den Wunden zu leben. Ich denke, der beschreibt das ganz gut. Ich habe auch gelernt, damit zu leben, wenn es mich doch immer wieder einholt. Diese ständigen Blicke, dieses willenlose Mitgefühl. Ich verachte diese Menschen, aber dennoch sind sie Teil meines gesamten Lebens.

An meinen Geburtstag jedenfalls kann ich mich noch sehr gut erinnern - als wäre es gestern gewesen. Ich saß im Auto, meine Augen wurden fest verbunden und es dauerte Ewigkeiten, bis ich endlich aussteigen durfte. Mein Vater ist gefahren; Mom war schon in unserem neuen Haus, glaube ich. Nur eine Frau saß neben mir und hielt meine Hand. Ich fragte sie, als wir kurz Halt machten und mein Vater ausstieg, wo wir hin führen, aber sie konnte mir nicht antworten. Ihre Hand war meine einzige Sicherheit und wahrscheinlich war das auch der Grund, wieso ich sie einfach nicht loslassen wollte.>> Immer, wenn ich an diese Dame dachte, zeigte sich ein kleines Lächeln in meinem Gesicht. Ich mochte ihr Alter nicht schätzen. Sie war so liebenswürdig und hilfsbereit. Es fiel mir schwer, eine so liebenswerte Person gerecht zu beschreiben und deswegen hielt ich mich meistens kurz. Keine Worte dieser Welt könnten je zeigen, wie viel mir ihre Anwesenheit zu der Zeit bedeutet hatte, wenn doch ich sie kaum kannte. Auch, wenn ich vermutlich niemals wissen werde, wer sie war oder gar, wie sie aussah, doch wusste ich, dass sie mich liebte. Sie war die erste Person, die mich wirklich liebte. Ihre weiche Haut, die kleinen, knöcherigen Hände, die über meine Wange strichen. Ihre zarte Stimme, die mir die Fahrt über Lieder vorsang. Ich würde alles dafür geben, sie nun noch einmal zu sehen.

<<Als mein Vater anhielt, wurde ich aus dem Auto gezerrt und verlor mit der Hand der Frau auch jegliche Sicherheit. Irgendwer fuhr das Auto weg und meine Mom kam auf mich zugelaufen und hat mich umarmt. Ich weiß noch, wie ich geweint hab, weil ich die Frau nicht verabschieden konnte, die mir zum ersten Mal ein so starkes Gefühl der Liebe gab. Selbst meine eigene Mom konnte mich nicht so eine herzliche Wärme spüren lassen. Die Augenbinde wurde nass von meinen Tränen und mein Vater schimpfte mit mir, ich solle aufhören zu flennen. Ich glaube, er hatte da schon getrunken, aber okay... ich schweife ab. Das tut schließlich nichts zur Sache.

Naja, jedenfalls standen wir dann dort. Das Haus war fertig eingerichtet, mein Zimmer gefiel mir von Anfang an, da ich das erste Mal das Gefühl hatte, etwas zu besitzen. Mom hatte eine Torte gebacken. Du musst wissen, sie ist eine abscheuliche Köchin aber Backen, ja, das kann sie. Nun, dann kamen die Nachbarn zur Begrüßung und so lernte ich Lenya kennen. Wir haben den ganzen Tag zusammen gespielt, sind geklettert und sie hat mir die schönsten Orte gezeigt. Die Ferien haben wir uns fast jeden Tag gesehen, sind in die Bucht gegangen, am Strand geschwommen und sie hat mir das Surfen beigebracht. Wir waren noch klein, aber unsere Eltern hatten nichts dagegen. Hier passiert ja auch nichts. Das dachte ich zumindest…>> Bei der Erinnerung an unsere erste Zeit schmunzelte ich. Wir haben so viel Mist gebaut, sind vor unseren Eltern weggelaufen und haben uns bis spät abends in der Bucht oder sonst irgendwo versteckt, damit wir bloß noch mehr Zeit miteinander verbringen konnten. Es war mit Abstand der schönste Sommer.

<<Nach den Ferien fing die Schule an und wir waren zusammen in einer Klasse, was sich für mich echt als Glück herausstellte. Kaum einer der anderen redete mit mir, keine Ahnung warum und jeder sah mich immer so merkwürdig an. Es ist mir zuvor nie aufgefallen und Lenya hatte auch nichts mitbekommen, aber in der Schule wurde es immer schlimmer. Zum Glück hatte ich Lenya und dann war mir das vorerst egal. Irgendwann hat Scott sich beim Mittagessen neben mich gesetzt und mich gefragt, was ich zeichne. Er war eine Klasse über mir und ich kannte ihn noch nicht, doch war er der zweite, der sich überhaupt in meine Nähe wagte. Manchmal fühlte es sich an, als wäre ich von Gift umgeben und es wollte sich deswegen keiner nähern… Es war jedenfalls ein kleines Mädchen, das ich dort zeichnete, um das herum viele Fragezeichen standen. Das ist mir einfach so in den Sinn gekommen, ohne großartig darüber nachzudenken. Meine Lehrerin empfand es als etwas Besonderes, versuchte mich zu überzeugen, es in der Schule aufzuhängen und sprach mit meinen Eltern über meine „besondere Gabe“. Es störte mich, dass sie das so herausstellte. Schließlich war es nur so eine kleine Kritzelei in der Mittagspause. Ich wollte keinen großen Hehl daraus machen, wollte es schon wieder wegschmeißen, doch so habe ich meinen besten Freund gefunden und das ließ mich alles andere vergessen. Damit hat sich schließlich auch für einige Zeit die Unruhe um mich herum gelegt und einige wenige sprachen mich an, andere wiederum ignorierten mich komplett, doch es störte mich nicht. Ich war nicht allein. Das habe ich erst durch Lenya und Scott gelernt und dafür bin ich ihnen zu tausend dankbar.>> Das Bild hatte ich immer noch. Es lag zwar ganz unten in einer Kiste auf dem Dachboden, aber ich wusste ganz genau, dass es noch da war und dass es immer da bleiben wird. Mittlerweile dachte ich viel darüber nach. Die ganzen Fragezeichen, die auch jetzt in meinem Leben noch existierten. Vielleicht wusste ich schon da, dass etwas anders mit mir war. Vielleicht…

<<Jedoch gab es auch andere „Zeiten“. Zeiten, in denen außer den beiden wieder niemand mit mir sprach. Zeiten, in denen ich mich allein fühlte, als würde es niemanden geben. Es ist immer noch nicht vorbei, doch ich habe gelernt, damit so gut es geht zu leben. Nur fällt es mir deswegen schwer, jemand anders in mein Leben zu lassen. Es folgt immer die Angst, wieder allein gelassen zu werden, ignoriert zu werden.

Schließlich habe ich versucht, diese „Zeiten“ auszulöschen. Wenn niemand mit mir sprechen wollte, sprach ich die Leute an, wie auch Lara. Ich konfrontierte sie, wollte wissen, was los ist. Niemand konnte mir meine Fragen beantworten. Doch Lara fing als erste an, zu verstehen, wir freundeten uns an und ich dachte, es würde alles gut werden. Ich dachte echt, ich hätte eine neue Freundin gefunden…>> Ja, daran hatte ich damals wirklich geglaubt. So naiv und leichtgläubig wie ich war, hatte ich geglaubt, mit Lara eine neue Freundin gefunden zu haben. Ich konnte ja nicht ahnen, dass alles so anders kommen könnte. Das konnte vermutlich niemand ahnen.

<<Nun ja, Lara und ich haben uns gut verstanden, wir waren damals 15 und haben so viel zusammen gemacht. Mit ihr bin ich das einzige Mal geflogen. Okay, es war nur ein Rundflug über unsere beschauliche Stadt, aber es war wunderschön.

Doch dann… Die Leute fingen wieder an zu reden. Erzählten Lara Geschichten über mich. Ich weiß nicht, was genau. Vielleicht ist es auch besser so. Jedenfalls ging es so weit, dass Lara nicht mehr mit mir geredet hat. Kim hat sie völlig eingenommen. Von einen auf den anderen Tag war alles zerstört. Ihr Dad hat es ihr auch verboten. Er ist der Freund von Kims Vater und der ist ein einflussreicher Geschäftsmann und dann verbot ihr Vater ihr den Umgang mit mir! Das war anfangs total schwer für mich. Dann stellte sie sich auf die „andere Seite“; vergaß, was wir alles zusammen durchgestanden haben. Sie erzählte meine Geheimnisse weiter, einfach alles, was ich ihr im Vertrauen gesagt hatte, wusste nun jeder in der Stadt. Mich trafen wieder diese vernichtenden Blicke und mit der Zeit war es mir nicht mehr egal. Ich konnte nicht mehr dagegen kämpfen, wollte niemanden zur Rede stellen, sondern einfach nur, dass es endlich wieder aufhört. Aber es sollte nicht aufhören. Ich habe mich für ein paar Tage in meinem Zimmer verkrochen, aber selbst das wurde mir verboten. Mein Vater hat mich als kindisch bezeichnet und sich mit allen über mich lustig gemacht. Ich hatte das Gefühl, ich wurde von niemandem ernst genommen. Lara war fort, Lenya und Scott waren für mich da, doch ich blockte ab. Ich wollte keinen Kontakt mehr, denn ich konnte niemandem mehr trauen. Schließlich haben sie es alle zusammen doch noch geschafft und ich bin wieder zur Schule gegangen. Aber das war ein Fehler. Eine Art Flugblätter wurden dort verteilt, wo alles Mögliche über mich drauf stand. Es gab keinen Grund, aber jeder redete immer mehr über mich und das Schlimmste war, dass sie alle etwas über mich wussten. Vor allem, dass ich nicht wusste und auch immer noch nicht weiß, was es an meinem Leben so besonderes gibt, macht mich fertig. Schließlich stellte sich das als „kleiner Streich“ von Lara und Kim heraus. Doch für mich war es kein Streich mehr. Es hat mich endgültig zerstört. Lenya und Scott waren nicht da. Nicht für mich. Sie konnten auch gar nicht. Sie waren immer so glücklich. Ich erzählte ihnen nichts, wollte ihre heile Welt nicht weiter zerstören. Einen Teil bekamen sie ja so oder so mit, doch ich blockte ab und ließ es nicht zu, vor ihnen meine Gefühle zu zeigen. Mir ging es immer gut, wenn sie fragten. Ich kam mit der Situation klar. Doch auch, wenn es erst wenige Jahre her ist. Damals waren wir noch klein und naiv. Sie wussten nicht, wie es wirklich in mir aussah. Selbst meinen besten Freuden konnte ich nicht mehr vertrauen und deshalb zog ich mich immer weiter zurück und wurde immer einsamer.

Irgendwann glaubte Lenya mir nicht mehr und so vertraute ich mich ihr doch an. Bei ihr war ich mir sicher, sie würde es niemals weiter erzählen und das war auch so. Aber es war schon zu spät. Diese Gerüchte plagten mich. Ich hatte Albträume, konnte nicht schlafen und das Getuschel tagsüber war noch viel schlimmer. In den Ferien allerdings – du musst wissen, Lenyas Dad kommt nicht von hier – da sind sie weggefahren. Mehrere Wochen, die ich nun allein verbringen musste. Allein, mit all den Blicken auf mir, die ich einfach nicht verstehen konnte und kann.

Ich fühlte mich ganz allein und meine Eltern hatten kein Verständnis. Sie meinten, ich übertreibe mal wieder. Es wäre doch alles halb so schlimm und wenn es mich so störe, solle ich auf einmal doch einfach nur in meinem Zimmer bleiben. Es war für sie sicherlich die einfachste Lösung. Eine Zeit tat ich das dann auch, aber lange hielt ich das nicht mehr aus. Es war schrecklich für mich. Ich wollte alles beenden, wollte den Leuten den Grund zum Reden nehmen. Lara hatte mich total enttäuscht. Es war ein dummer Mädchenstreich, aber er zerriss mich innerlich. Ich weiß jetzt, dass es von ihr gar nicht so gemeint war, nur kam alles zusammen. Die Blicke, die Blätter, die Gespräche, all dies zerstörte mich.>>Ich blickte ihr in die Augen. Es war nicht einfach für mich, das zu erzählen, aber ich musste wissen, ob sie es verstehen kann, und nun war mir ein Stein vom Herzen gefallen, dass ich damit angefangen hatte. Es kam mir lächerlich vor, wenn man jetzt darüber erzählt, aber damals konnte ich damit nicht umgehen. Ich konnte und wollte einfach nicht mehr.

<<Ich kletterte in die Bucht, in der ich mich oft heimlich mit Scott oder Lenya getroffen hatte und ging immer weiter ins Wasser. Es war die Stelle, vor der wir uns als Kind immer alle gefürchtet hatten. Der Wellengang war hoch, die Steine zu nah. Niemals, hatten wir uns geschworen, wollten wir da ins Wasser. Doch das war mir nun alles egal. Der Schwur, die Freundschaft, alles. Ich hatte keine richtigen Freunde. Zumindest dachte ich das.

Auf meinem Schreibtisch lag ein Brief. Mein Abschiedsbrief. Scott musste ihn gefunden haben. Er sollte ihn nicht finden, nicht so früh. Doch er war derjenige, der mich suchte und der genau wusste, wo er mich finden würde.

Die Wellen schlugen sich über mir zusammen. Ich bekam keine Luft mehr und da wusste ich, wie sich sterben anfühlte und da bekam ich Angst. Ich war bereit und gleichzeitig war ich es nicht. Aber es gab kein Zurück mehr. So sehr ich auch wollte, ich kam nicht mehr an die Wasseroberfläche.>> Bei dem Gedanken schloss ich meine Augen. Ich hatte wieder diese Bilder vor mir und verzog mein Gesicht. Es tat weh, sich daran zu erinnern. Es tat weh, zu wissen, in welche Gefahr ich nicht nur mich, sondern auch Scott, meine besten Freund, gebracht hatte. Es fühlte sich erst alles so richtig an, was doch so falsch war.

<<Ich wusste, nun würde ich sterben und ließ mich fallen, als mich eine Hand ergriff. Scott. Ihm habe ich nun mein Leben zu verdanken. Er zog mich an meinem Arm wieder an die Luft. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie er es geschafft hat, diesen Wellengang zu besiegen, doch das weiß er vermutlich auch selbst nicht. Aber er hat es geschafft und für mich sein eigenes Leben riskiert. Am Strand saß er eine ganze Zeit neben mir. Ich weinte vor mich hin und er saß einfach da. Ich weiß nicht genau, wie lange wir da so saßen, aber es spielte auch keine Rolle. Es zählte nichts mehr. Irgendwann stand er auf und wollte gehen. Einfach so, als wäre nichts passiert. <Danke> war das einzige, was ich unter dem Schluchzen herausbekam und da drehte er sich um und kam auf mich zu und dann... Dann küsste er mich. Einfach so. Ich wusste, dass auch er Angst hatte, dort draußen im Meer, aber er ließ es sich nicht anmerken. Er hatte größere Angst, mich zu verlieren. Wir waren zusammen, aber letztes Frühjahr hat es nicht mehr gehalten. Wir sind einfach nur Freunde und ich komme damit gut klar. Egal, was andere auch sagen mögen. Es ist für uns beide besser so, das weiß ich.

Mit Lara ist auch alles wieder in Ordnung, das hast du ja schon mitbekommen. Es hat uns eine ganze Zeit gekostet und es wird nie wieder so wie früher, aber das ist auch okay. Das möchte ich gar nicht mehr. Wir haben uns ausgesprochen und jetzt lernen wir uns wieder neu kennen. Klar, ich bin immer noch vorsichtig, was ich ihr erzähle, aber das bin ich mittlerweile bei jeden. Wem sollte ich jetzt auch schon auf Anhieb vertrauen? Ich lerne, damit zu leben, mit den ganzen Leuten, mit meinen Gedanken, die mich immer wieder plagen. Es wird nicht „weg“ sein, aber es wird besser. Die Hoffnung gebe ich nicht auf.>> Erleichtert atmete ich auf und rieb meine feuchten Handflächen aneinander, wobei ich die Bewegung ganz genau einzustudieren versuchte.

<<So, ich denke, das ist das Wichtigste, was du wissen solltest. Ich hoffe, du verstehst nun, warum Scott so vorsichtig ist, wenn ich neue Freundschaften eingehe. Es ist die Angst, mich zu verlieren und ich kann es ihm nicht einmal übel nehmen, wenn es mich auch immer wieder nervt, wenn er dieses Thema aufwühlt.>> Sie hatte mir die ganze Zeit über stillschweigend zugehört. In ihren Augen sah ich die leichten Tränen.

<<Es tut mir so leid>>, flüsterte sie mit zitternder Stimme.

Fragend schaute ich sie an. <<Was?>>

<<Es tut mir leid>>, wiederholte sie. Sie stand auf und verließ leise mein Zimmer. An der Tür drehte sie sich noch einmal um und verharrte in ihrer Bewegung, ehe sie wieder sprach. <<Er liebt dich immer noch.>>

<<Balley?>> Doch da hörte ich schon die Tür ins Schloss fallen.

Kapitel 3

Zwei Wochen schon. Seit zwei Wochen hatte ich Balley nun weder gesehen, noch etwas von ihr gehört. Das ist nicht fair, dachte ich. Das konnte sie doch nicht machen! Auch Lenya wusste nicht, was mit Balley los war. Sie kam nicht mehr zum Strand und auch, wenn wir uns woanders getroffen hatten, meldete sie sich gar nicht erst auf unsere Anrufe. Das hielt so lange an, bis wir uns fast damit angefunden hatten. Doch dann bekamen wir eine SMS. Eine SMS, die alles verändern sollte.

Sorry, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe, aber ich denke, nun bin ich an der Reihe, euch alles zu erzählen. Alles, was ich kann und darf… Morgen, zwanzig vor drei an der Bucht. Balley 11:24

<<Warum? Warum tut sie das? Sie weiß genau, was da passiert ist. Ich habe ihr doch alles erzählt. Sie war da noch nie. Das ist nicht fair!>>, verzweifelt schrie ich auf. Seit meinem Vorfall mieden Lenya, Scott und ich die Bucht. Wir hatten uns neue Orte gesucht, aber seitdem waren wir nie wieder in der Bucht und das sollte sich meiner Meinung nach auch nicht so schnell ändern. Ich fühlte mich nicht bereit dazu, wieder dorthin zu gehen, wo ich beinahe mein Leben verloren hätte. Es war noch nicht zu lange her und ich hatte noch nicht damit abgeschlossen. Vielleicht würde ich irgendwann einmal wieder bereit dazu sein, aber jetzt war es zu früh. Zu nah waren meine Erlebnisse. Zu nah die Erinnerung.

<<Lass uns doch erst einmal abwarten, wir können froh sein, überhaupt etwas von ihr zu hören, Kylie. Ich sag ihr, dass wir uns woanders treffen, wo es ebenso ruhig ist, okay?>>, versuchte Lenya mich zu besänftigen. Es tat zu gut, dass sie immer so einen kühlen Kopf bewahren konnte. Sie setzte sich immer für mich ein und es war nur zu schön, zu wissen, dass man jemanden auf seiner Seite hatte, wenn gerade alles gegen dich sprach. <<Lass uns jetzt erst einmal mit Kim und Lara surfen. Wir kommen noch zu spät.>>

Schnell tippte sie ein paar Worte in ihr Handy ein. Vermutlich machte sie einen anderen Treffpunkt mit Balley aus. In der Zeit ging ich bereits hinunter, um meinen Eltern Bescheid zu geben.

<<Wir gehen mit Lara und Kim surfen, also wundert euch nicht, wenn ich später nach Hause komme, okay?>> Das „Okay“ erwähnte ich mit einem gewissen und dennoch relativ freundlichen Nachdruck. Schließlich gab ich meine Hoffnung noch nicht auf, dass es irgendwann einmal den Tag geben würde, an dem ich mittags keine SMS bekam und zum Essen gebeten würde.

<<Bist du denn zum Essen wieder da? Gestern habe ich doch auch schon extra für dich gekocht. Alles musste ich wegschmeißen, nur, weil du am Strand die Zeit vergessen hast.>>

<<Mom.>> Genervt verdrehte ich die Augen. <<Auch gestern habe ich dir schon gesagt, dass ich erst spät nach Hause kommen werde. Warum hörst du denn auch nicht zu? Kapiere es doch einfach, wenn ich den Tag lieber mit meinen Freunden am Strand verbringen möchte, als hier mit euch zu hocken und den ganzen Tag blöd die Wände anzustarren.>>