Wer klaut denn einen Pinguin? - Lisa Joan Gabauer - E-Book

Wer klaut denn einen Pinguin? E-Book

Lisa Joan Gabauer

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Beschreibung

Oskar ist ein leidenschaftlicher Tierforscher und in einen heiklen Fall verwickelt: Aus dem Zoo seiner Stadt wurde ein Pinguin gestohlen. Über Nacht und ohne Zeugen. Doch Oskar ist fest entschlossen, das Tier wiederzufinden. Gemeinsam mit Zoodirektor Professor Winthrop, dessen Nichte Lucy, seinem besten Freund Lukas und seiner Schwester Frida macht er sich auf die Suche nach dem Tier und taucht ein in düstere Machenschaften ...

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Seitenzahl: 183

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Für alle kleinen Forscherinnen und Forscher – und für Mama

Oskar BLUMBERG

ist zehn Jahre alt und hat einen auffälligen blonden Lockenkopf. Am liebsten trägt er Karohemden. Sein Berufswunsch: Zoologe oder Verhaltensbiologe. Er ist hochintelligent. Seine Freizeit verbringt er entweder im Zoo oder lesend, in eines seiner vielen Tierbücher vertieft. Er lebt mit seinen Eltern und seiner Schwester Frida in einem alten Haus voller Schaffelle.

Lieblingsgetränk: Schwarztee (mit einem Schuss Zitronensaft).

Lieblingsessen: Pizza.

Lukas KOWALSKI

ist Oskars bester Freund und das absolute Gegenteil von Oskar: Er ist groß, spielt gern Fußball und hat kein Interesse an Büchern. Außerdem sind ihm Tiere irgendwie unheimlich. Chatnachrichten schreibt er am liebsten in Großbuchstaben und auch sonst neigt er zu Übertreibungen. Außerdem isst er für sein Leben gern.

Lieblingssüßigkeit: Salzkaramell-Bonbons.

Frida BLUMBERG

ist Oskars zwei Jahre ältere Schwester. Sie teilt die Leidenschaft ihres Bruders für Pizza, nimmt ihn wegen seiner Faszination für die Tierwelt aber gern mal auf den Arm. Wenn sie nicht gerade Stunden mit ihrer besten Freundin auf Island chattet, ist sie im Internet unterwegs oder liest Nachrichten.

Lieblingsaccessoire: Kopfhörer.

Professor RUDOLPH WINTHROP

ist sechzig Jahre alt, Zoodirektor und einer der bekanntesten Pinguinforscher Europas. Er kennt Oskar von klein auf, ist sein Vorbild und Mentor. Manchmal ist er zwar etwas durch den Wind, er hat aber ein großes Herz und liebt es, sein Wissen weiterzugeben.

Markenzeichen: Bluejeans und Lederjacke.

Lucy WINTHROP

heißt eigentlich Lucinda, wird aber von allen nur Lucy genannt. Sie ist elf Jahre alt, die Nichte von Professor Winthrop und zieht von Amerika nach Deutschland. Sie ist für ihr Alter ziemlich groß und geht nie ohne ihre hellblaue Jeansjacke und ihr Stirnband aus dem Haus. Sie sammelt leidenschaftlich gern Steine und besonders schöne Wörter.

Lieblingsessen: Erdnussbutter-Marmeladen-Sandwich.

INHALT

Eine rätselhafte Nachricht

Dunkle Wolken über dem Zoo

»Hi, ich bin Lucy!«

Oskars verrückte Idee

Nachts im Zoo

Ein Fest für die Presse

Frida hat einen Geistesblitz

Königspython gefällig?

Schlagzeilen und Plagegeister

Ein mysteriöser Zettel

Es wird Ernst

Eine (fast) perfekte Rettungsaktion

Kellermief

Schulfrei!

Die Überraschung

EINErätselhafteNACHRICHT

Ein anstrengender Schultag lag hinter Oskar.

Anstrengend, weil langweilig. Wie immer.

Er warf seinen Rucksack in die Ecke. Endlich zu Hause.

Dann streifte er seine Schuhe ab und ließ seine Füße in das weiche Schaffell sinken. Das ganze Haus war voller Schaffelle. Sie lagen auf den Holzdielen im Flur, im Wohnzimmer, in den Schlafzimmern, hingen an den Wänden, wärmten Oskar nachts im Bett.

Er schüttelte seinen Lockenkopf und damit auch die letzten Gedanken an den öden Unterricht ab und machte sich sofort auf den Weg in seine Höhle.

(Okay, zugegeben, diese Höhle war nur ein abgetrennter Bereich in seinem Kinderzimmer. Ein schützendes Reich aus Kissen, Stofffetzen, Vorhängen und Holzbalken.)

Hier war es schön dunkel, nichts und niemand störte ihn, und der einzige Geruch, der ihm gleich in die Nase stieg, war eine Mischung aus Gras, einer Spur Säure und einem Hauch Vanille.

Oskar grinste.

Natürlich wäre er nie von selbst auf die Idee gekommen,den Geruch der vielen Bücher so zu bezeichnen. So wurde es in einem Bericht britischer Forscherinnen beschrieben, den ihm sein Vater gegeben hatte. Und das hatte sich in sein Gehirn gebrannt: Grasnoten, eine Spur Säure, ein Hauch Vanille.

»Muffig« nannte es seine Mutter.

Immer wieder versuchte sie, in seiner Höhle zu lüften – was Oskar so richtig nervte.

»Genau wie die meisten anderen Höhlentiere lebe ich hier nur vorübergehend! Ich bekomme draußen also genug Sauerstoff ab, hier muss nicht gelüftet werden!«

Und während er so polterte, hatte seine Mutter für gewöhnlich längst mit erhobenen Händen das Zimmer verlassen.

Oskar kletterte auch heute wieder in seinen geliebten Hängesessel und machte es sich auf einem braunen Schaffell bequem.

Er schlug sein Lieblingsbuch, Brehms Tierleben, auf.

Über seinem Kopf schwebten schwarze Papier-Fledermäuse, die an einer langen Schnur von der Decke hingen. Ab und an wurde eines der Augen durch ein LED-Licht erleuchtet. Er grub seinen Rücken tiefer in das weiche Fell.

»Brrr, brrr.« Sein Handy vibrierte.

»Oh, Mann!« Oskar griff sich in die blonden Locken.

Mit einem Knall schlug er das Buch wieder zu. Dabei stieß er mit dem Ellbogen an eine der Fledermäuse, die wild hin und her flatterte.

Staub wirbelte auf, er unterdrückte einen Niesanfall.

(Okay, zugegeben, vielleicht war es mal wieder an der Zeit, hier zu putzen.)

Wer konnte das sein?

Lukas wollte gleich nach der Schule zum Fußballtraining, sein Vater Bernhard war noch in einer Lehrerkonferenz und seine Mutter Rosa arbeitete in ihrem Atelier unterm Dach. Und Frida?

Oskar wusste nie wirklich, wo sich seine Schwester herumtrieb, aber eines war sicher: Sie würde ihm bestimmt keine Handynachricht senden.

Er kletterte umständlich aus dem Hängesessel, stieß mit dem Fuß gegen ein Lexikon über Stachelhäuter, schob die Vorhänge beiseite und quetschte sich wieder durch die enge Röhre aus Pappmaschee, die zugleich Ein- und Ausgang seiner Höhle war.

Er lief zum Schreibtisch und blickte auf sein Handy. Eine Nachricht von Professor Rudolph Winthrop. Um diese Zeit? Eigentlich wollte sich der Zoodirektor erst nächste Woche wieder bei Oskar melden, um ihm den Nachwuchs der Orang-Utans zu zeigen.

Er las die Nachricht und klammerte seine Finger fester um das Handy.

Lieber Oskar,

etwas Furchtbares ist passiert. Es betrifft die Pinguine.

Mehr kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mitteilen, nur so viel: Es geht um Nummer 26.

Kannst du morgen nach der Schule bei mir im Büro vorbeikommen? Ich brauche deine Hilfe.

Rudolph Winthrop

Oskar hielt sich das Handy näher ans Gesicht.

Er las die Zeilen wieder und wieder. So was hatte der Professor noch nie geschrieben. Sonst schrieb er ihm immer nur kurz ein, zwei Sätze zu ihrem nächsten Treffen.

Schnell tippte er ins Handy:

Hallo, Herr Winthrop,

klar komme ich! Gleich nach der Schule.

Was ist denn mit Nr. 26?

Oskar

Er lief in seinem Zimmer auf und ab, seine Haare wippten mit jedem Schritt. Dabei zupfte er immer wieder am Ärmel seines braunen Karohemds, von denen er fünf Stück besaß – für jeden Wochentag eines. So musste er sich morgens vor der Schule wenigstens keine Gedanken darüber machen, was er anziehen sollte. Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen.

Ab und zu blieb er vor dem großen Rundfenster stehen und schaute in den Garten auf den Teich und den alten Apfelbaum. Seine Gedanken rasten.

Er dachte an die Pinguine, die für ihn nicht einfach nur irgendwelche niedlichen Tiere waren, die man sich bei einem Ausflug im Zoo anschauen konnte oder im Kino als Animationsfilm. Nein! Oskar war mit den Tieren im Zoo aufgewachsen. Noch im Kinderwagen liegend, hatte er die watschelnden Tiere mit schwarzem Frack das erste Mal zu Gesicht bekommen. Damals schoben ihn seine Eltern noch durch den Zoo.

(Okay, daran konnte er sich nicht mehr erinnern.)

Aber er erinnerte sich noch genau an den Tag, als er die ersten Babypinguine seines Lebens erblickt hatte. Kurz nach seinem vierten Geburtstag. Er hatte seine Nase an der Glasscheibe platt gedrückt, um ja nicht zu verpassen, wie sich die kleinen Tiere im Eingang einer Steinhöhle aus ihrer Eihülle kämpften. Immer weiter, angespornt durch die Schreie ihrer Eltern, bahnten sie sich langsam, ganz langsam, ihren Weg in die Welt.

Eine seiner ersten Erinnerungen überhaupt.

Wochen später lagen die Pinguine in einem Plastikeimer, ihr graues Gefieder noch ganz flauschig, und wurdengewogen. Oskar durfte die Tiere sogar streicheln und auf der Hand halten. Jedes Tier erhielt eine eigene Flügelmarke und so wurde »Pinguin Nummer 26« geboren.

»Mit dem kleinen Metallband um die Flügel können wir die Tiere bei der Verhaltensbeobachtung genau auseinanderhalten«, erklärte Professor Winthrop Oskar später bei einem ihrer vielen Spaziergänge durch den Zoo.

Und das war auch nötig, denn die dreißig Tiere sahen sich zum Verwechseln ähnlich. Sie waren alle etwa gleich groß, oder besser, mit ihren knapp fünfzig Zentimetern gleich klein, hatten einen schwarzen Schnabel, schwarze kleine Füße mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen und einen weißen Bauch mit schwarzen Punkten. Auf dem Land bewegten sie sich eher schwerfällig, was ihnen – und das nervte Oskar fürchterlich – den Ruf einbrachte, tollpatschig zu sein.

Oder auch süß, wie Frida niemals müde wurde zu betonen.

Für Professor Winthrop und Oskar aber waren sie ein Wunder der Evolution.

Vögel, die gelernt hatten, unter Wasser zu fliegen.

Oskars Handy vibrierte erneut.

Er stolperte zum Schreibtisch und las mit weit aufgerissenen Augen die Antwort des Professors.

Er ist verschwunden.

DUNKLE WOLKENüberDEM ZOO

Die restliche Zeit verging langsam an diesem Tag.

Obwohl es eines seiner Lieblingsgerichte zum Abendessen gab – selbst gemachte Pizza mit eingelegten Paprika, Mozzarella und frischem Basilikum –, schaffte Oskar nicht mehr als zwei Stück davon. Die Nachricht war ihm auf den Magen geschlagen.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte ihn Frida, während sie sich ihr sechstes Stück Pizza in den Mund schob.

»Ja, was ist los, mein Schätzchen?«, mischte sich dann auch noch seine Mutter ein.

Oskar hatte keine Lust auf langes Gerede. Er musste zuerst erfahren, was im Zoo vor sich ging. Vorher würde er seiner Familie sicher nichts erzählen.

»Ich habe einfach nicht so viel Hunger heute, ich glaube, ich werde krank. Kann ich schon in mein Zimmer?«

Seine Mutter blickte ihn lange über ihre roten Brillengläser hinweg an. Dann wechselte sie einen Blick mit seinem Vater, der nur mit den Schultern zuckte, und nickte ihm zu.

Oskar lag in dieser Nacht noch lange mit offenen Augen im Bett und wälzte sich von einer Seite auf die andere. Auch die Schaffelle, die weich unter und über ihm lagen, entspannten ihn nicht wie sonst. Der Pinguin ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

Am nächsten Morgen schleppte er sich in die Küche, wo wie immer das Radio laut lief. Ein Ritual seiner Mutter. Jeden Morgen, bevor sie sich ihren Bildern widmete, hörte sie noch im Pyjama anderen Leuten dabei zu, wie sie aus ihrem Leben erzählten. »Gespräche aus dem Leben« hieß die Sendung, und Oskars Mutter verfolgte sie mit träumerischem Blick.

Sein Vater versteckte sein Gesicht und die angegrauten Haare hinter einer Zeitung. Frida wischte mit ihren Fingern über ihr Tablet. Hin und wieder änderten sie ihre Position, hoben den Kopf, blickten sich aufgeregt an und fragten den anderen: »Hast du das schon gelesen mit ...?«, »Stell dir vor ...!«, »Unglaublich, die schreiben, dass ...!« Keine Frage, die beiden waren Nachrichten-Junkies. Dabei wurden sie immer wieder von Oskars Mutter unterbrochen: »Pst, ich kann das Radio nicht hören!«

So ging das jeden Morgen.

Oskar setzte sich an den Frühstückstisch, ein voller Teller wartete auf ihn. Spiegeleier mit Toast. Lecker! Auch sein Schwarztee, mit einem Schuss Zitronensaft, stand schon dampfend bereit. Oskar nahm einen großen Schluck.

»Geht’s dir heute besser?«, fragte sein Vater und biss genüsslich in seinen Toast.

»Ja, alles wieder gut«, log Oskar.

Er verschlang sein Spiegelei. Es war dezent mit Salz, Pfeffer und Paprikapulver gewürzt, so wie er es liebte. Je schneller er den Vormittag hinter sich brachte, umso schneller konnte er Professor Winthrop treffen.

»Ey, Oskar, das is ’ne Nachricht für dich!« Frida lachte laut und las ihm die Zeilen von ihrem Tablet vor.

Ein sportliches Känguru hat bei einem Spiel der Frauen-Regionalliga in Australiens Hauptstadt Canberra für Furore gesorgt. Es hüpfte über den Rasen, betrachtete den Ball und stellte sich kurzerhand vors Tor. Erst nach einigen Minuten konnte es vom Trainer mit einem Fahrrad wieder vom Platz vertrieben und das Spiel fortgesetzt werden.

»Wie witzig ist das bitte!«

»Hätten sie das arme Tier doch mal ’ne Runde mitspielen lassen«, sagte sein Vater, grinste und rührte in seinem Kaffee.

»Unglaublich witzig. Ich muss los, Leute!«, sagte Oskar und stand schnell auf.

Sein Vater legte die Zeitung auf den Tisch. »Moment mal, nicht so schnell! Willst du dein Pausenbrot nicht mitnehmen? Und wieso bist du plötzlich so übereifrig, in die Schule zu gehen?« Sein Vater blickte ihn über seine Brillengläser hinweg an. Der kritische Blick.

Es wurde leise in der Küche.

Auch seine Mutter folgte jetzt nicht mehr dem Radiogespräch. »Ja, mon chérie, was ist los?«, fragte sie und blickte ihn dabei ebenfalls über ihre knallroten Brillengläser hinweg an.

Frida grinste und verdrehte die Augen.

In Oskar arbeitete es. Eigentlich war ja nichts dabei, seinen Eltern von Professor Winthrops Nachricht zu erzählen. Eigentlich. Andererseits wusste er genau, dass sie das nicht so einfach hinnehmen würden. Sein Vater würde darauf bestehen, ihn in den Zoo zu begleiten, um ebenfalls zu erfahren, was los war. Und womöglich würde am Ende auch noch Frida mitkommen. Nein, danke! Professor Winthrop hatte ihm geschrieben und nicht seinen Eltern – und die Nachricht klang vertraulich. Wenn er nur wüsste, was er sagen könnte ...

Da fiel ihm sein Gespräch mit Frau Eisenlieb von letzter Woche ein.

»Ach, ich ärgere mich einfach über die Eisenlieb. Die meinte, ich wäre mündlich nicht mehr so gut wie früher.«

Das stimmte. Dieses Gespräch hatte stattgefunden. Aber Oskar interessierte sich nicht für seine mündliche Note in Biologie. Wenn er ihre Fragen nicht mehr so ausführlich beantwortete wie früher, dann lag das einzig und allein am todlangweiligen Unterricht von der Eisenlieb. Und Noten interessierten ihn sowieso nicht. Jetzt aber setzte er ein Gesicht auf, als hätte ihn der Direktor höchstpersönlich der Schule verwiesen.

»Ach, komm, Oskar. Die Bettina hat das bestimmt nicht so gemeint«, sagte sein Vater.

Bettina.

Oskar hasste es, wenn sein Vater seine Lehrer beim Vornamen nannte. Als wäre es nicht schon peinlich genug, dass er Biologielehrer an seiner Schule war. Aber heute konnte Oskar darüber hinwegsehen, denn was viel wichtiger war: Sein Vater schien ihm die Antwort tatsächlich abzukaufen. Er schob die Zeitungsseiten wieder langsam vors Gesicht.

»Jetzt mach dich da mal nicht verrückt. Wenn einer ein Biologiegenie ist, dann ja wohl du, Junge!«

Oskar hob seine Mundwinkel zu einem gequälten Lächeln und griff nach seinem Pausenbrot. »Ja, wird schon werden«, murmelte er.

Seine Mutter wuschelte ihm durch die Locken. »Ach, Oskar, mein kleiner Streber.«

»Ja, du kleiner Streber!«, sagte Frida und grinste.

Oskar schnappte sich seinen Rucksack. Nichts wie raus hier.

Bevor er sich auf den Weg machte, steckte er noch schnell das Buch vom Professor ein. Eines der wichtigstenBücher über Pinguine, das Professor Winthrop vor mehr als zwanzig Jahren verfasst hatte. Oskar wollte nicht unvorbereitet beim Zoodirektor erscheinen.

Lukas war nur an seinen großen Augen zu erkennen. Der Rest seines Gesichts war mit einem dicken Schal umwickelt, hier und da ragten braune Haarspitzen heraus.

Sie waren früh dran. Es lag noch Nebel über den Häusern, in der kalten Luft bildeten sich Atemwölkchen. Der Herbst war endgültig da.

»Hi!« Lukas stand vor dem Schulgebäude und hob seine Hand zur Begrüßung. Sie steckte in einem viel zu großen Handschuh.

Oskar war erleichtert, seinen Freund zu sehen, denn er konnte sich in schwierigen Situationen auf ihn verlassen, weshalb er ihm gestern auch noch spät abends eine Nachricht geschrieben hatte.

Muss dir was Wichtiges erzählen!

Morgen schon ’ne halbe Stunde früher vor der Schule, okay?

»Ey, ich friere. Ich hoffe, es ist wirklich wichtig! Hab heute nicht mal gefrühstückt. Also spuck’s aus. Was ist los?«, fragte Lukas.

Oskar kramte in seinem Rucksack und holte Winthrops Buch heraus. Er hielt es Lukas vors Gesicht.

»Pinguine – ein ... Forschungsbericht«, las dieser umständlich vor und sah Oskar fragend an. »Okay – und weiter?« Lukas zog die Augenbrauen hoch, seine Nasenspitze hatte sich von der Kälte bereits rot gefärbt.

»Ich habe gestern eine mysteriöse Nachricht vom Professor bekommen. Etwas ist mit den Pinguinen passiert.«

Lukas runzelte die Stirn und zeigte auf das Pinguinbild auf dem Titel. »Mit denen am Nordpol, oder wie?«

Oskar verdrehte die Augen. »Pinguine leben nicht am Nord-, sondern am Südpol. Aber auch nicht alle, einige sind auch in warmen Gebieten –«

»Ey, wen interessiert das jetzt?«, unterbrach ihn Lukas. »Was ist mit den Pinguinen passiert?«

Oskar hob die Hände in die Höhe. »Sorry! Es geht um die Pinguine im Zoo. Also um einen.«

»Sag das doch gleich!« Lukas schnaubte. »Und?«

»Am Anfang hat der Professor nichts Konkretes geschrieben, ich habe dann aber noch mal nachgefragt und –« Oskar holte tief Luft. »Er ist verschwunden.«

Lukas schlug ihm auf die Schulter und lachte laut auf. »Der war gut! Du meinst, der hat seine Sachen gepackt und ist also verschwunden. In Urlaub oder wie?« Lukas hielt sich den Bauch, lachte weiter und zog langsam die Aufmerksamkeit von Herrn Wachter auf sich.

Oskar beobachtete aus den Augenwinkeln, wie der grimmige Hausmeister sie aus seinem Versteck hinter seinem Häuschen beobachtete. Jetzt kniff er die Augen noch fester zusammen und starrte unaufhörlich, Kinn in die Höhe gestreckt, in ihre Richtung.

»Pst«, raunte Oskar Lukas an. »Nicht so laut! Oder willst du, dass der Wachter alles mitbekommt?«

Er schob Lukas durch die Eingangstür in die Schule.

Ihre Schritte hallten laut in der hohen Halle, die ansonsten noch recht verlassen vor sich hin schwieg. Nur vereinzelt waren Wortfetzen aus einigen Klassenzimmern zu hören.

»Jetzt aber mal ernsthaft«, sagte Lukas, der noch immer feuchte Augen hatte. »Ein Pinguin verschwindet doch nicht einfach so!«

»Das ist es ja«, sagte Oskar leise. »Wie du weißt, können Pinguine nicht fliegen, auch wenn das manche Leute denken, weil sie ja zur Gruppe der Vögel gehören«, sagte er und merkte dabei selbst, noch bevor Lukas Zeit hatte, ihn erneut zu unterbrechen, dass er wieder zu viel erklärte. Er räusperte sich. »Fakt ist, ich weiß noch nicht, was passiert ist. Und um mehr herauszufinden, brauche ich heute deine Rückendeckung.«

Lukas sah ihn skeptisch an. »Das heißt?«

»Ich muss so schnell wie möglich zum Professor in den Zoo. Kannst du der Frohmut später in Mathe einfach erzählen, dass es mir nicht gut geht und ich deswegen früher nach Hause bin oder irgendwas in die Richtung?«

Sie standen vor der Tür zum Klassenzimmer.

»Kann ich nicht einfach mitkommen?«, fragte Lukas.

»Jetzt nicht«, sagte Oskar. »Aber ich werde dich über alles informieren, sobald ich mehr weiß. Versprochen!«

Lukas wirkte nicht begeistert, gab aber achselzuckend nach. »Na gut.«

Die restlichen Stunden zogen sich wie Kaugummi, und erst als Oskar endlich im Bus in Richtung Zoo saß, fiel die Spannung von seinem Körper ab. Er hasste es, wenn er seineganze Konzentration einer Sache widmen wollte und sich nebenher noch mit anderem Kram beschäftigen musste.

Er schlug das Buch Pinguine – ein Forschungsbericht von Professor Winthrop auf und strich sanft über die Seiten. Er liebte dieses Buch, wie er generell alle Bücher liebte, die sich mit der Welt der Tiere beschäftigten. Und niemand beschrieb seine Beobachtungen so schön wie der Professor.

Die kleinen Federn der Pinguine schützen sie vor Kälte. Sie sind gebogen und wie Dachziegel auf der Haut der Vögel angeordnet. Wer den Pinguinen ganz nahe kommt, kann sehen, dass sie ein außergewöhnlich kompaktes Federkleid besitzen: Bis zu zwölf Federn, etwa drei Zentimeter klein, bedecken einen Quadratzentimeter Haut. Die Spitzen der Federn sind glatt und von einer wasserabweisenden Ölschicht umgeben. Das ist der wohl beste Taucheranzug der Welt!

Der Bus bog um die Ecke. Durch die Fenster konnte Oskar jetzt schon den riesigen Park des Zoos mit den hohen Bäumen sehen. Eigentlich war »Park« nicht der richtige Ausdruck. Es handelte sich um ein riesiges Waldstück, das den Zoo umgab, ihn schützte und gleichzeitig ein Zuhause für allerlei heimische Tiere war: Füchse, Rehe, Wildschweine, Eichhörnchen, Luchse ... Auch Falken schwebten als perfekte Jäger durch die Luft, immer auf der Suche nach der passenden Beute. Vereinzelt sah Oskar in den Bäumen auch giftgrüne und rote Farbtupfer. Papageien! Oder besser: Halsbandsittiche. Nachfahren entflohener Käfigtiere, die sich, die feine Luft der Freiheit atmend, schnell vermehrten und nun zu Tausenden im Zoogebiet lebten. Weit dahinter, gutversteckt durch all die Bäume und von der Straße aus nicht erkennbar, lag ein großer See. In ihm tummelten sich unzählige Kois. Diese immer hungrigen Fische waren ihm nicht geheuer, sie machten ihn nervös. Jedes Mal wenn er mit einem Boot durch das Wasser trieb, kam ihm der Gedanke, dass sie ihn womöglich auch auffressen, an ihm knabbern würden, wenn er das Gleichgewicht verlieren und ins Wasser fallen würde. Totaler Quatsch, das war Oskar klar, aber die Angst blieb.

Noch weiter dahinter, hinter dem Wald und dem See, waren die Gehege der Zootiere, dort war auch die Anlage der Humboldtpinguine. Er freute sich darauf, sie wiederzusehen.

Der Bus hielt mit einer Vollbremsung vor dem Eingang des Zoos.

Er packte schnell Winthrops Buch ein, sprang von seinem Sitz und stolperte aus dem Bus.

Dunkle Wolken bedeckten den Himmel und kalte Regentropfen fielen ihm ins Gesicht.

Was für ein passendes Wetter, dachte er, und knöpfte auch noch den letzten Knopf an seinem Wollmantel zu.

Dann rannte er durch den Regen zum überdachten Eingang.

Dort blickte er verwundert in das Kassenhäuschen. Das rothaarige Mädchen hatte er hier noch nie gesehen.

Sie erwiderte seinen Blick mit einem Lächeln.

Er kramte in seinem Rucksack, um ihr seinen Ausweis zu zeigen. Einen richtigen Ausweis, keinen Besucherausweis. Einen, wie ihn auch alle anderen Mitarbeiter des Zoos besaßen. Auf ihm stand in großen Buchstaben:

OSKAR BLUMBERG, ZOOLOGE IN AUSBILDUNG.

Auch Oskars Gesicht war darauf zu sehen, allerdings passten seine vielen Locken nicht ganz auf das Bild und waren seitlich abgeschnitten.

»Du bist Oskar, oder?«

Er hob erstaunt den Kopf und blickte durch die Glasscheibe. »Ähm, ja, genau, ich möchte –«

»Zu Herrn Winthrop, ich weiß schon Bescheid«, unterbrach ihn das Mädchen und grinste. »Der Direktor erwartet dich schon seeehnsüchtig!« Das Grinsen schien in ihrem Gesicht festzukleben.

Doch plötzlich schob sie ihren Kopf ganz nah an die Scheibe und senkte ihre Stimme. »Ich weiß ja nicht, ob du mehr weißt, aber irgendwas geht hier vor sich. Alle benehmen sich so seltsam. So, als wäre etwas Schreckliches passiert!« Sie schaute ihn lange an.

Er wich ihrem Blick aus und stammelte: »Ach so, ähm, echt?«