Wer seine Schuld verschweigt - Bonnie MacDougal - E-Book
SONDERANGEBOT

Wer seine Schuld verschweigt E-Book

Bonnie MacDougal

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wem kann sie noch trauen? Der packende Thriller »Wer seine Schuld verschweigt« von Bonnie MacDougal jetzt als eBook bei dotbooks. Gerade erst hat Philadelphias Top-Anwältin Dana Svenssen den Fall ihres wichtigsten Klienten, dem Chef der Firma Pennsteel, erfolgreich abgeschlossen, als dessen Hubschrauber plötzlich mitten im Flug in Flammen aufgeht. Ein tragischer Unfall … oder doch eiskaltes Kalkül? Im Auftrag der Firma beginnt Dana, Nachforschungen anzustellen. Je weiter sie in den Fall vordringt, desto tiefer gerät sie in ein dichtes Netz aus Korruption, Betrug und Verrat, das sich in der Firma ausgebreitet hat. Doch wer hätte ein Interesse daran, Pennsteel von innen zu sabotieren? Dana ist sich sicher, kurz vor der Lösung zu stehen, als plötzlich ihr Mann spurlos verschwindet und sie erkennen muss: Um diesen Fall zu gewinnen, riskiert sie mehr als ihr eigenes Leben … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Justizthriller »Wer seine Schuld verschweigt« von Bonnie MacDougal wird alle Fans von John Grisham und der TV-Serie »Bad Banks« fesseln. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 571

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Über dieses Buch:

Gerade erst hat Philadelphias Top-Anwältin Dana Svenssen den Fall ihres wichtigsten Klienten, dem Chef der Firma Pennsteel, erfolgreich abgeschlossen, als dessen Hubschrauber plötzlich mitten im Flug in Flammen aufgeht. Ein tragischer Unfall … oder doch eiskaltes Kalkül? Im Auftrag der Firma beginnt Dana, Nachforschungen anzustellen. Je weiter sie in den Fall vordringt, desto tiefer gerät sie in ein dichtes Netz aus Korruption, Betrug und Verrat, das sich in der Firma ausgebreitet hat. Doch wer hätte ein Interesse daran, Pennsteel von innen zu sabotieren? Dana ist sich sicher, kurz vor der Lösung zu stehen, als plötzlich ihr Mann spurlos verschwindet und sie erkennen muss: Um diesen Fall zu gewinnen, riskiert sie mehr als ihr eigenes Leben …

Über die Autorin:

Bonnie MacDougal wurde in den USA geboren und studierte englische Literatur und Jura in Pennsylvania. Ihre langjährige Erfahrung als Anwältin in Philadelphia inspirierte sie zu ihren beeindruckend realitätsnahen Gerichtsthrillern, wegen welcher sie auch als »weiblicher John Grisham« bezeichnet wird. Bonnie MacDougal, mittlerweile Bonnie Kistler, lebt heute mit ihrem Mann in Florida.

Die Website der Autorin: bonniekistler.com/

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Thriller »Im Zweifel für den Angeklagten« und »Wer seine Schuld verschweigt«.

***

eBook-Neuausgabe Mai 2023

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1998 unter dem Originaltitel »Angel of Impact« bei Ballantine Books, ein Imprint von Random House, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Tödlicher Crash« im Paul List Verlag, München.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1998 by Bonnie MacDougal Kistler

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 by Paul List Verlag im Verlagshaus Goethestraße, München

Copyright © der deutschen Ausgabe 2000 by Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Covergestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98690-614-6

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Wer seine Schuld verschweigt« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Bonnie MacDougal

Wer seine Schuld verschweigt

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Charlotte Breuer und Marion Balkenhol

dotbooks.

Für meine Töchter

Alison und Jordan,

die meine Hoffnungen mehr als erfüllt haben und besser sind, als ich es verdient habe.

Gewißheit ist im allgemeinen Illusion, und Stillstand nicht die Bestimmung des Menschen.

Oliver Wendell Holmes, jr.,Der Weg des Gesetzes (1897)

Kapitel 1

Das Fahrwerk wurde ausgefahren und rastete ein. Die Nachtmaschine aus Los Angeles setzte zum Landeanflug auf Philadelphia an. Über New Jersey ging die Sonne auf, und ein rosiger Schimmer legte sich wie ein schillernder Film über den Delaware River. Langsam gewann das Tageslicht an Kraft und erhellte den wolkenlosen Himmel.

Dana Svenssen drückte sich die Nase an der Fensterscheibe platt, um das Schauspiel zu beobachten. Von der Sonne in Kalifornien hatte sie nicht viel gehabt: Einen Monat lang war sie von Gerichtssaal zu Konferenzraum zu Hotelzimmer gehetzt und hatte kaum das Tageslicht zu sehen bekommen. Aber nun war sie wieder zu Hause, beflügelt von ihrem Sieg und voller Vorfreude auf einen wunderbaren zweiwöchigen Strandurlaub mit ihren Kindern.

Der Hüne, der sich auf dem Sitz neben ihr über beide Armlehnen ausbreitete, war eingenickt. Er war Anwalt und über dreißig, aber er schlief so fest wie ein Baby – auch dann noch, als das Flugzeug auf den Flugsteig zurollte und das Gongzeichen zum Verlassen der Maschine ertönte.

Dana beugte sich zu ihm hinüber und flüsterte: »Travis, wach auf. Wir sind da.«

Er schreckte auf, war sofort hellwach und einsatzbereit. »Ich hab überhaupt nicht geschlafen«, sagte er mit seiner typischen Baßstimme, während er den langen Hals reckte, »nur ein bißchen die Augen ausgeruht.«

»Genau. Und das zweieinhalb Stunden lang.«

Dana stand auf. Sie war noch immer eine attraktive Frau, mit hellblondem Haar und Augen, deren Blau so klar und rein war wie das Licht in der Mitte einer Kerzenflamme. Doch mit ihren fast vierzig Jahren hielt sie niemand mehr für ein schwedisches Model. In letzter Zeit betrachtete man sie sowieso mit anderen Augen. In einer juristischen Fachzeitschrift war sie kürzlich als Walküre karikiert worden – mit Wikingerrüstung und Helm.

Travis und die anderen jungen Anwaltskollegen in der Kanzlei nannten sie »Dana die Große«, jedenfalls wenn sie wußten, daß sie außer Hörweite war.

Schwerfällig erhob sich Travis aus seinem Sitz, trat in den Gang und ging einen Schritt zurück, um Dana vorbeizulassen und sich dann gemeinsam mit ihr dem Strom der anderen Fluggäste anzuschließen. Der ehemalige Footballprofi war ihr Vertreter, ihre rechte Hand, und hatte ihr einen Monat lang den Rücken freigehalten.

»Ich habe meinen Wagen am Flughafen stehen«, polterte er. »Soll ich dich in die Kanzlei fahren?«

Nur ein junger Anwalt, der sich Hoffnungen machte, Sozius einer Kanzlei zu werden, wollte nach einem Nachtflug und einem Prozeß, der ihn einen Monat lang in einer anderen Stadt festgehalten hatte, schnurstracks ins Büro fahren.

»Ich hab meinen Wagen hier«, sagte Dana. »Außerdem kann die Kanzlei heute ohne dich auskommen. Miss Texas dagegen wohl kaum.«

Travis’ Frau war eine ehemalige Schönheitskönigin, und obwohl sie diese Wahl niemals gewonnen hatte, nannte er sie stets Miss Texas, wenn er von ihr sprach. Sein Lieblingsspruch lautete: »Man kann keine Miss Texas heiraten, sie dann in den Norden verfrachten und von ihr erwarten, daß sie in einer Mietwohnung lebt« – einen Gebrauchtwagen fährt, oder bei Woolworth einkaufen geht ...

»Was hast du denn heute vor?« fragte er, stets darauf bedacht, mit den Kollegen mitzuhalten, wenn es darum ging, dem Gott der berechenbaren Arbeitszeit persönliche Opfer zu bringen.

»Ich muß heute morgen noch bei Pennsteel vorbei. Aber danach fahre ich nach Hause, und du wirst mich die nächsten zwei Wochen nicht mehr in der Kanzlei sehen.«

»Was gibt’s denn bei Pennsteel? Einsatzbesprechung?«

Sie verdrehte die Augen. Waren sie etwa Geheimagenten? »Nur eine kurze Unterredung mit Vic und Charlie.«

Travis blieb stehen, um sich von Piloten und Bordpersonal per Handschlag zu verabschieden, dann beeilte er sich, Dana wieder einzuholen. »Ich sag’s dir noch einmal, Dana«, rief er, »du hast es diesem Großkotz da drüben gehörig gegeben. Diese Pfeifen wußten gar nicht, wie ihnen geschah.« Dann fügte er hinzu: »Und mit dem Beweisantrag, den ich gestellt habe, hat erst recht niemand gerechnet.«

Sie verkniff sich ein Lächeln, als sie ihre Tasche über die Schulter warf. »Weißt du, Travis, für jemanden, der unbedingt Sozius unserer Kanzlei werden will, gibt es nur zwei sichere Strategien: schamloses Arschkriechen oder schamlose Selbstbeweihräucherung ...«

Ein breites Grinsen legte sich über sein Gesicht. »Und ich verfolge beide!«

Sie mußte lachen. Keinem stand Ehrgeiz so gut wie Travis.

In der Abfertigungshalle folgten sie den Hinweisschildern zum Parkhaus für Dauerparker. Als sie aus der Drehtür traten, traf sie die Hitze wie ein Schlag. Der August in Philadelphia war immer stickig, aber die momentane Hitze- und Dürrewelle war so extrem, daß sie sogar in Los Angeles für Schlagzeilen sorgte. Fünfundvierzig Tage ohne Regen, vierzig Tage mit Temperaturen über vierzig Grad. Dana trug ein fließendes Seidenkleid – eine wahre Erholung nach den dunklen Kostümen –, aber sie spürte, wie der Stoff ihr sofort am Leib klebte, als sie in die heiße Luft hinaustrat.

Travis blieb kurz stehen, als sich ihre Wege im Parkhaus trennten. »Ich habe gerade gedacht, Austin wird für den nächsten internen Rundbrief ein paar Infos über das Urteil haben wollen. Soll ich ein paar Zeilen für ihn aufsetzen?«

Clifford Austin war der Chef der Kanzlei und vertrat die Philosophie, daß die Juristerei auch nicht mehr als ein Geschäft sei. Ein Sieg vor Gericht war ihm nicht so wichtig wie der Profit für die Kanzlei, und gewonnene Prozesse interessierten ihn überhaupt nicht, wenn sie sich nicht für den guten Ruf der Kanzlei ausschlachten ließen.

»Würdest du bitte nach Hause fahren?« Sie legte ihm beide Hände auf die Schultern und drehte ihn in die andere Richtung. »Du kannst keine Miss Texas heiraten, sie in den Norden verfrachten und dann nicht auf schnellstem Wege nach Hause fahren, nachdem du vier Wochen unterwegs warst.«

Verlegen grinsend machte er sich auf den Weg zu seiner Parkebene.

Dana ging zu ihrem Wagen und fuhr zur Ausfahrt. Irgendwann, dachte sie, während sie das Geld zum Bezahlen aus der Tasche holte, würde sie ihn verkaufen. Dieser Mercedes brachte sie immer wieder in peinliche Situationen, vor allem bei Leuten wie dem schlecht bezahlten, pickelgesichtigen Jungen, der ihn mit lüsternen Blicken beäugte, als er die Parkgebühr entgegennahm. Viel lieber hätte sie einen Kombi gefahren – so wie die anderen Mütter. Oder vielleicht einen kleinen roten Miata, um zu zeigen, daß sie noch immer jung und dynamisch war. Alles außer dieser Luxuskarosse. Allerdings hatte der Wagen die beste Schalldämmung von allen, und kaum war Dana unter freiem Himmel, nutzte sie diesen Komfort und rief ihre Kinder an.

Kirstie gewann das Rennen zum Telefon und nahm als erste ab, doch Dana wartete auf das unvermeidliche Klicken des Nebenapparats, bevor sie rief: »Guten Morgen, Mädels! Ratet mal, wo ich bin?«

»In Philadelphia!« jubelten ihre Töchter.

»Genau! Ich wollte euch noch schnell guten Tag sagen, bevor ihr auf euren Ausflug geht. Wann kommt denn der Bus?«

»In fünf Minuten«, sagte Trina.

»Habt ihr euch etwas zu essen und zu trinken eingepackt? Und genug Sonnencreme?«

»Klar, Mama. Bist du zu Hause, wenn wir zurückkommen?«

»Auf jeden Fall. Hat Papa euch Taschengeld gegeben?«

Nach kurzem Zögern antwortete Kirstie: »Ach, das geht schon in Ordnung. Wir brauchen eigentlich nichts.«

»Ist er nicht da?«

»Er schläft«, sagte Trina. »Und wir wollen ihn lieber nicht wecken, denn wer weiß, wann er gestern abend nach Hause gekommen ist.«

Danas Augen füllten sich mit Tränen, die Straße verschwamm hinter einem Schleier. »Ach so«, murmelte sie.

»Wir brauchen kein Geld«, sagte Kirstie. Mit ihren zwölf Jahren spürte sie ganz genau, wann Ärger in der Luft lag. Aber Geld war nie das Problem gewesen – auch jetzt nicht, wie ihr schien.

»Schleich dich ins Zimmer und sieh in meinem Schmuckkästchen nach. Da müßte noch etwas Kleingeld drin sein. Nehmt euch, was ihr braucht, ja?«

»In Ordnung.«

»Ich hab euch lieb.«

»Wir dich auch«, riefen sie in den Hörer.

Dana bemühte sich, gutgelaunt zu klingen. »Viel Spaß euch beiden!«

Noch mehr Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie auflegte. Den ganzen Sommer hatte Whit nichts anderes gemacht, als seine Tage zu verschlafen und sich die Nächte irgendwo um die Ohren zu schlagen. Er hatte sich eigentlich vorgenommen, in diesem Sommer sein Buch fertigzuschreiben, aber nichts deutete darauf hin, daß er damit vorankam. Sie wußte nicht, was mit ihm los war; schlimmer noch, sie besaß nicht den Mut, danach zu fragen. Kriegerin hin oder her – es gab einfach Schlachten, denen sie sich nicht stellen konnte. Die Situation in ihrer Ehe glich inzwischen dem trügerischen Waffenstillstand im Kalten Krieg. Sie hatte nur zwei Möglichkeiten – entweder gleich beide Augen gegenüber den Vertragsverletzungen zu schließen oder einen Atomkrieg vom Zaun zu brechen – mit allen Konsequenzen.

Nein, dachte sie entschlossen und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. Denk bloß nicht an Whit.

Die Hubschrauber der Verkehrswacht kreisten über ihr, als sie auf der Schnellstraße an der Thirtieth Street Station vorbei und dann nach Westen in Richtung Valley Forge fuhr. Vor fünfzehn Jahren hätte sie die Straße stadtauswärts während des morgendlichen Berufsverkehrs noch für sich allein gehabt, doch heutzutage war das Verkehrsaufkommen in beiden Richtungen gleich groß. Philadelphia war einmal ein blühendes Industriezentrum gewesen, doch jetzt arbeiteten nur noch Anwälte und Banker in der Stadt, und selbst die wurden weniger. Über kurz oder lang würde sich die Stadt in einen Friedhof verwandeln, auf dem nur noch ein paar Anwälte zwischen verwesten Gerippen nach Mandanten suchten.

Als Dana die Stadtgrenze erreichte, klingelte das Telefon.

»Hallo, ich hatte gehofft, dich zu erwischen«, ertönte die Stimme ihrer Schwester. »Wo steckst du denn?«

»Karin, hallo! Auf der City Line Avenue.«

»Gut, dann komm doch auf dem Weg nach Hause kurz bei mir vorbei.«

»Schön wär’s. Aber ich habe einen Termin bei Pennsteel.«

»Ich mache dir auch Frühstück.«

»Dort gibt es ja Frühstück.«

»Aha. Du läßt also meine selbstgebackenen Brioches für ein paar trockene Brötchen stehen?« Karin hatte ihre Küche in die Basis eines Partyservice verwandelt, und französisches Gebäck gehörte zu ihren Spezialitäten.

»Bitte«, sagte Dana lachend. »Mach’s mir nicht noch schwerer.«

»Ist ja schon gut. Hör zu, bist du reif für einen Strandurlaub?«

»Psychisch gesehen mehr, als du dir vorstellen kannst. Ansonsten habe ich noch nichts vorbereitet. Aber wenn du morgen kommst, bin ich fertig, und wenn ich die ganze Nacht brauche, um zu packen.«

»Dann leg dich mal ins Zeug. Ich bin um Punkt halb acht bei dir.«

Die Sonne schien hell, und der Himmel war azurblau, als Dana die Autobahn erreichte und nach Norden abbog. Trotz der Trockenheit kam ihr die Landschaft nach einem Monat Los Angeles grün und saftig vor, und in ihrem klimatisierten Wagen nahm sie die Hitze draußen ohnehin nicht wahr. Daß sie zu dem Termin bei Pennsteel fahren mußte, machte ihr gar nicht so viel aus – der Tag war einfach viel zu schön, um ihn nicht zu genießen. Wie sie ihren Mandanten und vor allem den Vorstandsvorsitzenden, Vic Sullivan, kannte, würde es zu der anberaumten Besprechung, bei der es um das Urteil im Palazzo-Hotel-Prozeß ging, Orangensaft mit Champagner geben. Im übrigen würde die Angelegenheit hauptsächlich aus Schulterklopfen bestehen.

Eine Stunde später, als sie gerade die Zahlstelle der Autobahn passiert hatte, klingelte erneut das Telefon. »Bitte, bleiben Sie am Apparat«, sagte eine Frauenstimme, »ich verbinde Sie mit Mr. Sullivan.«

Die Funkverbindung, die schließlich nach einer Minute zustande kam, war voller Störgeräusche.

»Was zum Teufel machen Sie auf der Autobahn?« polterte Victor Sullivan im Scherz los, begleitet von lautem Knacken. »Werden Sie nicht um halb elf bei einer Besprechung erwartet?«

»Ich werde pünktlich dasein«, erwiderte Dana. »Was von dort aus, wo Sie gerade sind – tausend Meter hoch in der Luft und Gott weiß wie viele Kilometer weit weg – kaum zu schaffen sein dürfte.«

Er schnaubte. »Die Wette gilt. Und nur zu Ihrer Information: Wir fliegen in einer Höhe von nur zweieinhalbtausend Fuß.«

Sie wechselte auf die Überholspur und gab Gas. »Wo kommen Sie denn her?«

»Aus New York. Von einem Termin mit den Jungs von der Bank. Das wird heute schon mein zweites Arbeitsfrühstück sein.«

»Nur daß ich dann wahrscheinlich schon wieder weg bin, wenn Sie landen.«

»Mein Gott. Ein kleiner Sieg, und schon werden Sie übermütig.«

»Klein?« entgegnete sie. Seitdem das Hotel Palazzo vor fünf Jahren eingestürzt war, hatten die Buchprüfer die Verbindlichkeiten mit hundert Millionen Dollar eingetragen. Da Pennsteel mit zehn Millionen Dollar Selbstbeteiligung versichert war, sah man sich erheblichen Belastungen ausgesetzt.

»Okay, klären Sie mich auf«, sagte Sullivan.

»Ich dachte, zu diesem Zweck sei die heutige Besprechung angesetzt worden.«

»Sie wissen doch, ich gehe nie in eine Besprechung, ohne vorher so informiert zu sein, daß ich schlauer bin als die anderen.«

»Und Sie wissen, daß ich die Belange meiner Mandanten grundsätzlich nicht über Funk bespreche.«

»Ich spreche ja nicht über ein normales Handy«, setzte er hartnäckig nach, »sondern auf der festen Funkfrequenz unseres Hubschrauberlandeplatzes.«

»Das ist ja noch schlimmer. Das bedeutet, das Gespräch wird von Ihrem Voicerecorder im Cockpit aufgenommen. Wer weiß, wer das alles zu hören kriegt.«

Er stöhnte. »Kommen Sie schon«, schmeichelte er, »geben Sie mir wenigstens die Version durch, die für die Öffentlichkeit bestimmt ist.«

»In Ordnung.« Sie überholte zwei Autos, dann noch zwei, bis ein entschlossener Raser sie auf die rechte Spur zurückdrängte. »Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß sich der T-Träger, der die neunundzwanzigste Etage des Hotels stützte, aufgrund unzureichender Feuerschutzmaßnahmen verzogen hatte und nicht aufgrund eines Materialfehlers im Stahl. Die Geschworenen entschieden gegen die Firma, die für den Brandschutz verantwortlich war, gegen das Unternehmen, das die elektrischen Leitungen verlegt hat und gegen den armen Teufel, der die Katastrophe ausgelöst hat, als er versuchte, in seinem Zimmer neue Leitungen zu verlegen. Pennsteel wurde von jeglicher Haftpflicht freigesprochen.«

»Der Herr segne das ehrenwerte Gericht!«

Sie lachte. »Wer wird heute an der Besprechung teilnehmen?«

»Die üblichen Verdächtigen. Haguewood, Morrison und Schaeffer.« Die drei gehörten zum Firmenvorstand. In der Belegschaft nannte man sie nur die drei Amigos, denn sie konnten sich nicht riechen. Einen von ihnen mochte Dana besonders: Charlie Morrison. Er war der Justitiar der Firma und ihr langjähriger Freund. »Ollie übrigens auch«, fügte Sullivan hinzu. Oliver Dean war der ehemalige Vorstandsvorsitzende und inzwischen im Ruhestand – doch nur, was diesen Posten betraf. Die Besetzung bestätigte ihre Vermutung; die Besprechung sollte eine Siegesfeier werden.

»Womit fliegen Sie, Vic – in einem JetRanger?«

»Ja, der beste Hubschrauber, den es gibt.«

»Aber mit meinem Auto bin ich schneller.« Eine rote Ampel zwang Dana anzuhalten.

»Ich gebe Ihnen eine Chance.«

»Moment mal! Ich weiß ja gar nicht, wo Sie sind. Vielleicht stehen Sie ja schon auf Ihrem Landeplatz.«

»Nee, nee. Ron, wo sind wir?« Die Antwort des Piloten ging im Dröhnen des Motors und dem rhythmischen Flop-Flop der Rotorblätter unter. »Nicht die Koordinaten, wer kann damit schon was anfangen? Moment, lassen Sie mich mal einen Blick aus dem Fenster werfen. He, ich sehe, wo wir sind. Wir fliegen gerade den Vergnügungspark an, wie heißt er doch gleich – Alpine Valley? Da drüben ist die Achterbahn.«

»Echt?« rief Dana. »Winken Sie mal nach unten, Vic. Meine Kinder sind heute dort.«

»Was Sie nicht sagen! He, Ron, ziehen Sie den Kleinen hier mal runter. Wir wollen nach ein paar Blondinen Ausschau halten.«

Dana lachte, während das Gespräch kurz unterbrochen wurde. Die Ampel sprang um, und als sie die Kreuzung überquerte, hörte sie einen lauten Knall im Hörer.

»Vic?«

Keine Antwort. Nur ein metallisches Quietschen, als ob Metall über Metall scheuerte, und dann ein Röhren wie von einem heftigen Luftstrom.

»Vic?«

Stille, dann das Freizeichen.

Sie fuhr an den Straßenrand und starrte das Telefon an. Dann wählte sie die Nummer von Pennsteel.

»Dana Svenssen«, meldete sie sich, als sie mit der Telefonzentrale verbunden war. »Ich habe gerade mit Mr. Sullivan gesprochen, aber wir wurden unterbrochen ...«

»Einen Augenblick, bitte.«

Laut hupend fuhr ein Auto vorbei, und Dana schaltete die Warnblinkanlage an.

»Tut mir leid, Miss Svenssen«, meldete sich die Telefonistin, »ich bekomme keine Verbindung.«

»Würden Sie mich bitte mit Ihrer Flugleitung verbinden?«

»Einen Augenblick.«

Sie spähte durch die Windschutzscheibe. Der Himmel war klar und blau, kein Wölkchen war zu sehen.

»Keller«, meldete sich eine Stimme.

Keller. Dana überlegte. »Ted?«

»Ja?«

Ihre Erinnerung hatte sie nicht getäuscht. Es war der Chefpilot von Pennsteel, der sie schon mehrmals in einem firmeneigenen Flugzeug geflogen hatte. »Ted, hier ist Dana Svenssen von Jackson, Rieders & Clark.« Wahrscheinlich würde es eine Weile dauern, bis er sich an sie erinnerte, doch sie ließ ihm keine Zeit. »Vic Sullivan hat mich eben vom Hubschrauber aus angerufen. Irgend etwas ist passiert.« Sie berichtete ihm von dem Gespräch und den Geräuschen, die sie gehört hatte.

Einen Moment lang herrschte Stille, bis Keller hervorstieß: »Oh, mein Gott!«

Sie schloß ganz kurz die Augen, dann betätigte sie den Blinker und fädelte sich mit quietschenden Reifen wieder in den Verkehr ein. »Ich bin vom Alpine Valley-Vergnügungspark nur zehn Autominuten entfernt«, schrie sie. »Ich fahre sofort hin!«

Sie schaltete den Polizeifunk ein, zog auf die linke Spur und bog an der nächsten Kreuzung links ab. Das Radio piepste und krächzte, bis sie die stärkste Frequenz gefunden hatte.

»Ja, hören Sie zu«, schrie ein Anrufer. »Über dem Vergnügungspark hat es eine fürchterliche Explosion gegeben. Am Himmel ist ein riesiger Feuerball zu sehen, es sieht aus, als wäre ein Komet explodiert oder so was.«

»Ach du Scheiße!« schrie der nächste. »Das ist ein Hubschrauber! Der kommt runter wie ein riesiger Meteorit!«

Danas Kehle schnürte sich zusammen. Ihre Kinder! Sie waren genau dort, wo es förmlich Feuer regnete. Sie trat das Gaspedal durch, und die Tachonadel schnellte auf hundertdreißig, hundertvierzig. Hinter ihr ertönte ein Hupkonzert.

Über Polizeifunk wurden Streifenwagen und Rettungswagen zum Vergnügungspark beordert. Wie es zu dem Unglück kommen konnte, war noch völlig ungeklärt. Doch der nächste Anruf, der die Polizei erreichte, beseitigte jede Ungewißheit.

»Ich hab alles genau gesehen«, sagte ein Mann. »Ein Hubschrauber ist mit einem kleinen Flugzeug zusammengestoßen. Es war fast so wie im Luftkrieg.«

»Gibt es Verletzte?«

»Ja, du lieber Himmel, jede Menge!«

Danas Augen füllten sich mit Tränen. Sie schaltete das Radio aus, als ihr Telefon läutete. Es war die Telefonzentrale von Pennsteel.

»Bleiben Sie bitte dran, ich verbinde Sie mit Mr. Morrison.«

»Dana?« stieß er hervor, »Keller hat mir gerade gesagt ...«

»Oh, Charlie.« Sie verstummte. Sie war seit langem mit Charlie befreundet; sie fürchtete, völlig in Tränen auszubrechen. Sie schluckte. »Ich habe die Berichte im Polizeifunk gehört. Der JetRanger soll mit einem kleinen Flugzeug zusammengestoßen sein. Direkt über dem Vergnügungspark.«

»Fährst du hin?«

»Ja. Können wir uns dort treffen?«

»Ich komme so schnell ich kann. Am besten rufe ich als erstes die Versicherung an.«

»Wie hoch seid ihr denn versichert, Charlie?«

»Genauso wie beim Palazzo-Hotel. Hundert Millionen mit zehn Millionen Selbstbeteiligung.«

»Dann rufst du am besten auch gleich eure Zusatzversicherung an.«

Pause. Ihm wurde schnell klar, was sie damit meinte. »Stimmt«, sagte er.

Kapitel 2

Autos und Lastwagen standen auf dem Seitenstreifen der Autobahn wie Boote, die man an Land gezogen hatte. Die Fahrer liefen auf den Hügel hinauf, von wo aus man das Tal überblicken konnte. Dicke schwarze Rauchwolken stiegen über dem Park auf und trieben auf den Horizont zu. Orangefarbene Flammen loderten in den Rauchschwaden, und die Luft war erfüllt vom beißenden Gestank brennenden Öls.

Schaulustige drängten sich auf der Straße, die Hände an die Stirn gelegt, um die Augen gegen das grelle Sonnenlicht abzuschirmen. Dana drückte auf die Hupe, bis man ihr den Weg freigab, und fuhr durch die Menschenmenge bis an den Eingang des Parks. Neben der Einfahrt lag ein Picknickgelände, das ihr die Sicht versperrte, doch als sie an dem Wäldchen vorbei war, sah sie die Wracks.

Da waren sie. Nicht etwa auf dem Boden, sondern hoch oben auf dem höchsten Punkt der Achterbahn. Sechzig Meter in der Luft hatten sich der Hubschrauber und das Flugzeug ineinander verkeilt. Wie zwei Vögel, die mitten im Liebesrausch plötzlich unter der Sonne verglüht waren. Flammen loderten aus den Trümmern, ein Funkenregen ging zu Boden. Die Bäume ringsum fingen Feuer, auch die bunten Dächer der Imbißbuden und Karussells. Ein paar Streifenwagen hatten sich eingefunden, und die Mannschaft eines Feuerlöschzugs spritzte bereits Löschschaum auf die Wrackteile.

Dana schnappte sich ihre Handtasche und rannte so schnell auf die Achterbahn zu, daß der Kies unter ihren elfenbeinfarbenen Stöckelschuhen nur so wegspritzte. Angestellte des Parks mit ihren Lederhosen und Tirolerhüten strömten an ihr vorbei zum Parkplatz. Dazwischen zeternde Mütter in Turnschuhen und mit Gürteltaschen. Sie riefen nach ihren Kindern, während Tränen weiße Streifen auf den rußgeschwärzten Gesichtern hinterließen.

Dana lief durch den Park, vorbei am Autoscooter, am Spiegelkabinett und am Zauberdrachen, der jetzt echtes Feuer spuckte, über den Burggraben und an der Raupenbahn vorbei, die noch immer mit leeren Wagen im Kreise fuhr. Immer wieder rief sie: »Kirstie! Trina! Kirstie! Trina!«, doch Hunderte anderer Mütter riefen Hunderte anderer Namen, und keine Stimme war aus dem tosenden Lärm überall herauszuhören.

Ein Pfeil mit der Aufschrift TORNADO wies in Richtung Achterbahn, und sie folgte dem Schild, den beißenden Geruch von glühendem Metall in Nase und Rachen. An einem verkohlten Baum, der rauchend vor ihr aufragte, blieb Dana wie versteinert stehen. Neben dem schwarzen Baumstamm lag eine Leiche oder Teile einer Leiche, die bis zur Unkenntlichkeit verkohlt war. Die geschmolzenen Teile eines Kopfhörers klebten am Schädel. Es mußte einer der Piloten sein – vielleicht Ron, der ernste junge Mann, der Vic schon so oft an die Ostküste geflogen hatte. Überall lagen Menschen mit Verbrennungen herum – einige leblos, andere wanden sich und schrien vor Schmerz, während die Sanitäter sie versorgten. Als Dana ein Kind mit versengten Haaren und verbrannter Haut unter ihnen entdeckte, ergriff sie panische Angst.

»Kirstie! Trina!« schrie sie verzweifelt und stolperte weiter, bis sie die Achterbahn erreichte.

Sie hatte geglaubt, sie hätte bereits alle Schrecken hinter sich, die dieser Tag für sie bereithielt, doch der Anblick, der sich ihr jetzt bot, war schlimmer als alles vorher. Ein Achterbahnzug, voll beladen mit Kindern, stand reglos auf den Schienen, in einer Senke fünfzehn Meter unterhalb des Punktes, auf dem die Wrackteile hingen.

»Gott sei Dank hat der Achterbahnführer die Bremse gezogen«, rief ein Mann in Shorts hinter ihr. »Sonst wären die Kinder direkt im Feuer gelandet.«

Die brennenden Wrackteile stießen noch immer dicke Rauchwolken aus, die den Achterbahnzug und die Kinder fast vollständig einhüllten. Feuerwehrleute bespritzten die Trümmer des Hubschraubers und des Flugzeugs durch die Windungen der Achterbahn hindurch mit Löschschaum. Der JetRanger lag seitlich oben auf den Schienen. Ein Rotor war abgerissen, der Heckrotor drehte sich noch. Direkt neben seiner Rumpfspitze – wie angeschweißt – lag ein kleines, einmotoriges Flugzeug, wahrscheinlich ein Viersitzer. Eine Tragfläche war abgeknickt und ragte wie ein schwebender Stützpfeiler in den Himmel.

Plötzlich ertönte ein Ächzen, so als wache ein Riese aus dem Schlaf auf. Die Wrackteile begannen zu schwanken. Ein Aufschrei ging durch die Menge, und alle hielten den Atem an, bis die Trümmer auf den Schienen wieder ins Gleichgewicht kamen und der Lärm erstarb.

Durch die Erschütterung hatte sich jedoch in dem Hubschrauberwrack etwas gelöst: Plötzlich rutschte ein Arm aus der Tür. Es sah zuerst aus, als wolle jemand den Untenstehenden zuwinken. Dann folgte der Rest des Körpers und fiel kopfüber hinaus. Die Kinder im Achterbahnzug schrien auf, als die Leiche an ihnen vorbei in die Tiefe schoß, und Dana sah Vic Sullivan sechzig Meter in freiem Fall auf die Erde stürzen.

Sanitäter rannten zu ihm hinüber, um Erste Hilfe zu leisten, wandten sich jedoch sogleich kopfschüttelnd wieder ab.

Dana starrte auf die Stelle, an der er lag, die Gliedmaßen vollkommen verrenkt. »O Gott! Vic!«

»Kennen Sie ihn?« rief einer der Sanitäter.

Sie nickte benommen.

Mit Massen von Wasser und Chemikalien gelang es, die Flammen allmählich zu löschen. Rauchwolken teilten sich, und als Dana eigentlich schon davon überzeugt war, etwas noch Schlimmeres könne nun wirklich nicht mehr passieren, schaute sie zu dem Achterbahnzug hinauf, der hoch über ihr fest hing, und entdeckte zwei blonde Pferdeschwänze.

In ihren Ohren kam ein Tosen auf wie das von Stromschnellen. Der Himmel färbte sich weiß, und ihr wurde schwindelig, aber sie war noch so weit bei Sinnen, daß sie sich schreien hörte: »Trina! Kirstie!«

Doch sie konnten Dana nicht hören. Sie hielten einander umklammert und vergruben das Gesicht im Nacken der anderen. Katrina schluchzte, während Kirsten wahrscheinlich versuchte, sie so gut wie möglich zu trösten. Noch einmal schrie Dana ihre Namen, aber es war sinnlos. Sie waren ihr das Liebste auf der Welt, und doch konnte sie sie jetzt nicht trösten, geschweige denn, ihnen zu Hilfe eilen.

Sie wagte nicht, den Blick von den Kindern abzuwenden, sie fürchtete, sie würden im Rauch verschwinden, wenn sie den Blickkontakt aufgab. Sie zwang sich, kurz nach rechts und links zu schauen, suchte mit den Augen nach den Leitern, den Netzen oder was immer nötig war, um sie in Sicherheit zu bringen. Zwei Frauen hielten einander schluchzend in den Armen, während sie zu den Kindern in dem Wagen hinaufstarrten. Dana rief ihnen zu: »Was haben Sie vor? Wie wollen Sie die Kinder herunterholen?«

Die Frauen schüttelten hilflos den Kopf, sie wußten es nicht oder waren nicht in der Lage zu antworten, doch ein Mann rief zu ihr herüber: »Die Leitern sind zu kurz. Sie müssen Kletterer raufschicken, die sie einzeln huckepack heruntertragen.«

Als er das sagte, legte schon ein halbes Dutzend Feuerwehrleute am Fuß der Achterbahn ihre Kletterausrüstung an. Dana schaute zu dem Achterbahnzug hinauf; sie zählte die Köpfe und rechnete. Jeder Mann würde fünf Fahrgäste heruntertragen müssen, einen nach dem anderen. Sie hätte ihr gesamtes Vermögen gegeben und zusätzlich ihre Seele verpfändet, um die Männer zu bestechen, ihre Töchter als erste zu retten. Ohne Gewissensbisse rannte sie auf die Männer zu, um ihnen das Angebot zu machen, doch es war zu spät; als sie am Fuß der Achterbahn ankam, waren die Kletterer bereits auf dem Weg nach oben.

Im Park wimmelte es mittlerweile von Rettungswagen, Feuerwehrfahrzeugen und Männern in Overalls und Gummistiefeln. Jemand hatte sich Zugang zur Lautsprecheranlage des Vergnügungsparks verschafft und forderte nun alle Anwesenden auf, sich unverzüglich zum Ausgang zu begeben. Ein uniformierter Polizist fuhr in einem Streifenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht bis dicht an die Achterbahn und stieg mit einem Megaphon in der Hand aus. »Treten Sie zurück, alle«, befahl er in barschem Ton. »Die Wrackteile können jeden Augenblick in die Luft fliegen.«

Als sich weder Dana noch die beiden schluchzenden Frauen von der Stelle rührten, richtete der Polizist sein Megaphon auf sie, obwohl er höchstens vier Meter von ihnen entfernt stand. »Ich hab gesagt, Sie sollen da weggehen. Da rüber.« Mit der freien Hand deutete er auf das Riesenrad.

Dana ignorierte ihn und starrte unverwandt zu dem Achterbahnzug hinauf. Die Kletterer hatten den vordersten Waggon erreicht und waren dabei, die ersten Kinder anzuseilen und ihnen beim Aussteigen zu helfen. Als Dana sah, daß die beiden blonden Pferdeschwänze sich nicht unter den Auserwählten befanden, wurden ihr die Knie weich.

Die ersten Kinder erreichten den sicheren Boden, zitternd, rußverschmiert, aber ansonsten unversehrt. Sie wurden sogleich von ihren Familien in den Arm genommen und weggeführt, fort von den gräßlichen Leichensäcken, die vor einem Eisstand in der Nähe aufgereiht wurden.

Die Kletterer begannen den nächsten Aufstieg, und Dana schaute ihnen wie gebannt zu, doch wieder blieben die blonden Pferdeschwänze zurück.

Erst beim dritten Mal wurden die beiden Mädchen angeseilt, und erst als sie auf halbem Weg unten waren, erkannte Dana, daß sie diese beiden Kinder noch nie gesehen hatte.

Sie fuhr herum und schrie die Namen ihrer Töchter, doch die Leute wurden noch immer über Lautsprecher aufgefordert, sich zum Ausgang zu begeben, und aus einem Dutzend Megaphonen waren krächzende Befehle zu hören. Viele Menschen strömten dem Ausgang zu, und Dana, die unaufhörlich nach ihren Kindern rief, wurde unweigerlich mitgerissen.

Zwei Sanitäter eilten mit einer Trage vorbei. Hinter ihnen her lief eine Frau mit schreckensbleichem Gesicht, einer Totenmaske ähnlich. Unter der Decke schrie ein Verletzter vor Schmerz, und der Gestank von verbranntem Fleisch drang Dana in die Nase.

In all dem Chaos und dem Geschrei, dem Sirenengeheul, dem Lärm der Feuerlöschzüge und dem Wasserrauschen vernahm Dana plötzlich eine Kinderstimme.

»Mama?«

Sie fuhr herum. Dort, in einem Meer von grünen T-Shirts mit der Aufschrift CAMP DISCOVERY entdeckte sie zwei Blondschöpfe, allerdings ohne Pferdeschwanz, und sie begann hemmungslos zu weinen.

Die Mädchen lösten sich aus der Gruppe und rannten auf sie zu. Dana sank auf die Knie, schlang die Arme um sie und schluchzte so heftig, daß Trina vorsichtig fragte: »Mama, bist du verletzt?«

Verblüfft schaute Dana ihre Kinder an, und dann mußte sie lachen. »Nein, Liebes – nein! Und ihr? Geht es euch beiden gut?«

Sie nickten, und Dana schob sie auf Armeslänge von sich weg, um sich davon zu überzeugen. Ihre Gesichter waren rußverschmiert, und auf Trinas Wangen waren Tränenspuren zu erkennen, doch ansonsten wirkten sie gesund und munter. Sogar die Kamera, die um Kirsties Hals hing, war unversehrt.

Eine junge Frau, Betreuerin der Kinder im obligatorischen grünen T-Shirt, kam auf sie zu. Sie hatte die Arme ausgestreckt, um die Kinder zurückzuholen, blieb jedoch im letzten Moment stehen. »Oh, Mrs. Endicott«, sagte sie. »Ich habe Sie gar nicht erkannt.«

Dana stand mit zitternden Knien auf. Kein Wunder, dachte sie. Ihre Strumpfhose war zerrissen, ihr elfenbeinfarbenes Seidenkleid mit grauer Asche beschmutzt, und an einem ihrer Schuhe war der Absatz abgebrochen. Sie hob einen Fuß hoch und brach den anderen auch noch ab.

»Wir haben gerade unsere Gruppe durchgezählt«, sagte die Betreuerin. »Wir sind vollzählig, und niemand ist verletzt.«

»Gott sei Dank«, sagte Dana erschöpft. Diese Studentin hatte einen kühlen Kopf bewahrt. Anders als sie, für die Katastrophen eigentlich zum Alltag gehörten.

»Wollen Sie Ihre Töchter mit nach Hause nehmen, oder sollen sie lieber mit uns im Bus fahren?«

»Nein, ich nehme sie mit«, sagte Dana und drückte ihre Kinder an sich.

»Sie da – he, Sie da!« brüllte jemand hinter ihr. Als Dana sich umdrehte, sah sie zwei Uniformierte eilig auf sich zukommen.

»Ja, das ist sie«, sagte einer der beiden, und Dana erkannte in ihm den Sanitäter, der Vic Sullivan untersucht hatte.

»Würden Sie bitte mitkommen, Ma’am«, sagte der andere. Er trug eine Polizeiuniform, und seine Aufforderung war gewiß nicht als Frage gedacht.

»Was ist? Wieso?«

»Wie wir gehört haben, können Sie eine der Leichen identifizieren.«

»Ja, aber ...«

»Kannst du das?« fragte Kirstie mit weit aufgerissenen Augen.

»Officer, ich muß meine Kinder nach Hause bringen«, entgegnete Dana. Doch der Beamte fiel ihr gleich ins Wort. »Hören Sie, gnädige Frau, wir müssen hier eine Untersuchung durchführen.« Und die junge Frau schlug gleich vor: »Wir bringen sie nach Hause, Mrs. Endicott, machen Sie sich keine Sorgen.«

»Mama?« fragte Kirstie.

Dana schaute ihre Töchter an. Obwohl vier Jahre zwischen ihnen lagen und die eine einen Kopf größer war als die andere, sahen sie aus wie Zwillinge. Sie hatten das gleiche flachsblonde Haar, die gleichen rosigen Wangen und hellen Augen. Doch Kirsten hatte Whits Augen. Der aufmerksame Blick der stahlblauen Sterne war stets begleitet von einer nachdenklich gerunzelten Stirn. Katrinas ruhige, graue Augen dagegen schauten unter einer glatten Stirn ohne jede Sorgenfalte selig in die Welt hinaus. Die ernste Kirsten und die heitere Katrina – sie waren die Frucht ihres Leibes, und sie war mit der Ernte zufrieden.

Doch noch nie hatte sie ihre Mutterschaft so intensiv erlebt wie in der letzten halben Stunde, als es so aussah, als könnte ihr Glück gewaltsam beendet werden. Von dem Augenblick an, als sie das metallische Quietschen im Autotelefon gehört hatte, war sie nur noch von ihrem Mutterherz vorangetrieben worden. Aber als sie nun vor ihren beiden Mädchen stand, die gesund und munter waren, spürte sie, wie die Anspannung nachließ und sich die Anwältin in ihr allmählich wieder gegen die Mutter durchsetzte.

»Hört zu, ihr beiden ...« Die drei steckten verschwörerisch die Köpfe zusammen. »Der Hubschrauber, der hier abgestürzt ist, war der Hubschrauber von Pennsteel.«

»Das ist doch dein Mandant!« rief Kirsten.

»Genau.«

»Dann mußt du aber hierbleiben.«

»Nur wenn es euch nichts ausmacht, mit eurer Gruppe zurückzufahren. Meint ihr, das geht?«

Kirstie nickte so eifrig, daß die Kamera, die sie um den Hals trug, auf und ab wippte, während Trina noch eine Weile über die Frage nachdachte.

»Liebes?« fragte Dana besorgt.

»Wir fahren mit dem Bus«, erwiderte Trina entschlossen.

Dana drückte die beiden noch einmal fest an sich. »Bleibt schön zusammen, ja? Ich komme so schnell wie möglich nach.«

»Ma’am«, sagte der Polizist ungeduldig.

»Hier«, sagte Kirstie und hob den Riemen der Kamera über den Kopf. »Die kannst du mitnehmen, Mama. Ich habe erst ein paar Bilder verknipst.«

Dana stand auf, und die Betreuerin nahm die beiden Mädchen an die Hand, um sie zurück zu ihrer Gruppe zu bringen. Mit bebender Unterlippe sah Dana zu, wie die Kinderschar dem Ausgang des Parks zustrebte.

Als sie die Hand des Polizisten am Ellbogen spürte, hängte sie sich die Kamera um den Hals und folgte den Männern gegen den Menschenstrom, der sich zum Ausgang wälzte. Weitere, anders uniformierte Männer liefen herum wie Hirtenhunde, trieben die Menge an und riefen scharfe Befehle durch ihre Megaphone, um die verstörten Menschen zur Ordnung zu rufen. Neben dem Karussell wurde auf einem Holztisch aus dem Picknickgelände gerade die Kommandozentrale eingerichtet. Ein Mann mit Schirmmütze, auf der man das Zeichen der Feuerwehr von Allentown erkennen konnte, schien das Kommando zu führen. Abwechselnd brüllte er in ein Funkgerät in der einen und in ein Handy in der anderen Hand.

Plötzlich dröhnte ein Hubschrauber über ihren Köpfen, und Dana schaute verblüfft in den Himmel, als erwarte sie, der JetRanger habe sich wie Phönix aus der Asche erhoben. Doch es war ein Rettungshubschrauber auf der Suche nach einem Landeplatz. »Nicht hier, verdammt noch mal!« schrie der Einsatzleiter. »Noch ein Unfall, das hätte uns jetzt gerade noch gefehlt!«

Der Polizist bugsierte Dana zu den Leichensäcken, die vor dem Eisstand lagen. Ein junger Kollege, der die Toten bewachte, sah elend aus. Er führte gerade den schlimmsten Auftrag aus, den er in seiner bisherigen Laufbahn erhalten hatte. In seinen Augen waren schwarze Rußspuren vom vielen Reiben. Irgendwie sah er aus wie Rudolpho Valentino in einem frühen Stummfilm.

»Sie soll die Toten identifizieren«, sagte der Polizist.

Der junge Mann nickte, hockte sich neben den ersten Sack und öffnete den Reißverschluß. Dana holte tief Luft und trat näher. Es war die Leiche, über die sie vorher gestolpert war, die mit dem verschmorten Kopfhörer. Sie schüttelte den Kopf und ging weiter.

Der nächste Sack war nur zur Hälfte gefüllt. »Ein Kind«, erklärte der junge Polizist, und sie ging weiter.

»Hier, die ist aus dem Flugzeug«, sagte der Mann und öffnete den nächsten Sack.

Es war ein aschblonder Mann mit kariertem Hemd. Sein Kopf wies nur leichte Verbrennungen auf; die tödlichen Wunden mußten sich am Körper befinden. Ein Ausdruck von Schmerz und Entsetzen lag auf seinem Gesicht. Dana schüttelte den Kopf, und der Polizist öffnete den nächsten Sack. Es war ein strohblonder junger Mann, fast noch ein Kind, der dem im karierten Hemd sehr ähnlich sah. Die Flugzeuginsassen mußten Vater und Sohn gewesen sein.

Als der nächste Leichensack geöffnet wurde, überkam Dana unwillkürlich ein Würgereiz. Anstelle eines Gesichts war nur noch rohes Fleisch zu sehen.

»Lassen Sie mich seine Hände ansehen«, flüsterte sie.

Eine kalte Hand kam zum Vorschein, und sie hielt sie, wie sie Vics Hände zu seinen Lebzeiten nie gehalten hatte. Die Gelenke waren steif. Sie erkannte die Hand. Sie war äußerst gepflegt, wenn auch die Schwielen noch zu erkennen waren – Überbleibsel aus einer Zeit, in der Vic in einer Gießerei Kohlen geschaufelt und sich in der Fabrik von ganz unten hochgearbeitet hatte. Für keine noch so harte und knochenschindende Tätigkeit war er sich zu schade gewesen. Nach Abschluß eines Ingenieurstudiums jedoch hatte er den Sprung in die Führungsebene endlich geschafft, und Oliver Dean war nichts anderes übriggeblieben, als seinen Aufstieg in den Vorstand zu unterstützen. Vic gehörte einer aussterbenden Spezies in der Industrie an, und jetzt war auch er tot.

»Ja«, sagte sie zu dem Polizisten, der sie hergeführt hatte, und stand auf. »Sein Name ist ...« Sofort war sich Dana bewußt, daß sie die falsche Zeitform benutzte, doch sie beschloß, sich nicht zu korrigieren. »Victor Sullivan.«

»In welchem Verhältnis stehen Sie zu ihm?«

»Er ist mein Mandant. Der Vorstandsvorsitzende von Pennsteel Corporation.«

Damit war das Interesse des Polizisten geweckt, und er zog einen Notizblock aus der Brusttasche. »Ist das ein firmeneigener Hubschrauber?«

»Ja.«

»Wohin war er unterwegs?«

»Er war auf dem Weg von New York zum Hauptsitz der Firma.«

»Wer war an Bord?«

Ihr Blick wanderte wieder zu dem Leichensack, den der junge Beamte gerade verschloß. »Victor Sullivan und sein Pilot. Vielleicht noch ein Copilot.«

»Namen?«

»Einer hieß Ron. Mehr weiß ich nicht.«

Der Polizist notierte sich ihren Namen und ihre Telefonnummer, bevor er ihr gestattete, sich zu entfernen. Sie ging zwischen den vielen Menschen hindurch zur Achterbahn. Das Feuer war gelöscht, und nur kleine Rauchschwaden zogen noch wie Kondensstreifen am Himmel vorüber. Der Hubschrauber hing nur mit einer Gleitkufe an den Schienen. Noch ein Ächzen, noch eine Erschütterung, und er würde zu Boden stürzen.

Bald, das war ihr klar, würden ganze Schwärme von Ermittlern über die Wracks herfallen und nach Anhaltspunkten suchen. Experten können sehr hartnäckig sein, wenn es darum geht, die Ursache für einen mysteriösen Zusammenstoß aufzudecken. Sie hatte einmal einen ähnlichen Fall bearbeitet. Es ging um ein kleines Flugzeug, das in der Wüste abgestürzt war. Die Sicht war gut gewesen, das Wetter ruhig, der Tank der Maschine gefüllt, keinerlei Anzeichen auf einen Motorschaden, und die Autopsie hatte ergeben, daß der Gesundheitszustand des Piloten gut gewesen war. Die Zeitungen schrieben, alles sei ein Rätsel, ein Fall, der in die Serie Unheimliche Geschichten passen würde. Doch einer von Danas Experten hatte das Wrack noch einmal gründlich untersucht und schließlich an einer Plexiglasscheibe Blut- und Haarspuren gefunden, die wahrscheinlich vom Piloten stammten. Einer spontanen Eingebung folgend hatte er die Spuren im Labor überprüfen lassen. Als die Ergebnisse kamen, war das Rätsel gelöst. Der Pilot hatte das Bewußtsein verloren, als ein Hase, der einem Bussard aus den Fängen gefallen war, die Scheibe im Cockpit durchschlagen hatte.

In diesem Fall würde sicher jeder noch so winzige Teil des Wracks analysiert werden, um feststellen zu können, ob der Unfall durch einen Motorschaden, einen Fluglotsenfehler, Materialermüdung oder einfach durch den Zusammenstoß mit dem Flugzeug verursacht worden war. Eines aber würde sich nie rekonstruieren lassen: die Position der beiden Maschinen im Augenblick des Zusammenpralls, die wertvolle Informationen über den Aufprallwinkel liefern könnte.

Dank der Geistesgegenwart ihrer Tochter konnte Dana den Unfallort wenigstens fotografieren. Sie nahm die Kamera und machte ein paar Aufnahmen von den Wracks, doch die Stahlträger der Achterbahn behinderten die Sicht. Sie mußte sich einen besseren Standort suchen. Ein kleiner Hügel hinter ihr schien ihr geeignet, doch er war zu weit entfernt, und sie würde ein Teleobjektiv benötigen, um eine brauchbare Aufnahme zu machen. Rings um die Achterbahn war der Boden eben, und wo das Riesenrad stand, war sogar eine kleine Senke.

Das Riesenrad! Sie drehte sich um und schaute nach oben. Es mußte an seiner höchsten Stelle mindestens dreißig Meter hoch sein, und von dort oben hatte man freie Sicht auf die Achterbahn. Das Riesenrad stand still, ein gelangweilt wirkender junger Typ lungerte am Schaltpult herum. Er trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck ALPINE VALLEY.

Dem Jungen fiel die Kinnlade herunter, als Dana auf das Riesenrad zurannte und in eine der Gondeln stieg. Darin befanden sich zwei gegenüberliegende Sitzbänke mit einem Sicherheitsbügel in der Mitte. »Setzen Sie das Ding in Bewegung«, rief sie ihm zu. »Bringen Sie mich nach oben.«

Er faßte sich rasch wieder. Mit solchen Situationen umzugehen, hatte er gelernt. »Tut mir leid, wir haben geschlossen.«

»Ich muß da rauf, um die Wracks zu fotografieren.«

Sie griff nach dem Sicherheitsbügel, doch der junge Mann war schneller und schob sie zurück. »Wir haben geschlossen, hab ich gesagt.«

Sie zog ihren Gerichtsausweis aus der Tasche. Er besagte lediglich, daß sie Anwältin und beim Bezirksgericht zugelassen war, doch immerhin war ihr Foto darauf und ein amtlicher Stempel. Das genügte dem Jungen.

»Oh, entschuldigen Sie«, sagte er. »Ich wußte nicht, daß Sie ...«

»Schalten Sie das Rad ein, und fahren Sie mich langsam nach oben. Halten Sie es für ein paar Minuten an, und dann lassen mich wieder herunter. Verstanden?«

Er nickte und setzte sich an das Schaltpult.

Der Motor sprang mit tiefem Brummen an, was alle Speichen des Riesenrads erzittern ließ. Langsam wie die Morgendämmerung erhob sich die Gondel, mehr und mehr zeigte sich Dana die Landschaft aus der Vogelperspektive. Der Rettungshubschrauber war auf dem grasbewachsenen Hügel gelandet, und die Sanitäter gingen mit ihren Tragen auf die Achterbahn zu. Die Feuerlöschzüge hatten rundherum einen Kreis gebildet, wie eine Art Wagenburg, wenn auch die Gefahr hier innerhalb des Kreises lag. Einen halben Kilometer entfernt fuhren Personenwagen und Lastwagen in einer langen Schlange langsam aus dem Park hinaus. Dana betete, der CAMP DISCOVERY-Bus möge darunter sein und ihre Töchter sicher nach Hause bringen.

Feuerwehrleute und Rettungsmannschaften mit Tanks auf dem Rücken erklommen das Gerüst der Achterbahn. Zwei von ihnen hatten das Heck des Hubschraubers erreicht und holten etwas aus dem Wrack, das sie jetzt an Seilen herabließen. Als es zu Boden fiel, erkannte Dana, was es war: die Blackbox des JetRanger, die in Wirklichkeit immer orangefarben ist. Sie enthielt den Flugschreiber, der alle Gespräche aus dem Cockpit, auch ihr letztes mit Vic Sullivan, aufgezeichnet hatte.

Der Junge in der Lederhose hielt, ihren Anweisungen entsprechend, das Riesenrad an, als Dana den höchsten Punkt erreicht hatte. Sie stand auf und wartete, daß die Gondel zu schaukeln aufhörte. Von hier aus konnte sie die Trümmer gut sehen. Sie hob die Kamera und machte etwa ein Dutzend Aufnahmen. Dann drückte sie den Deckel auf das Objektiv und verstaute den Apparat in ihrer Tasche.

»Okay! Lassen Sie mich wieder runter!« rief sie nach unten, doch ihre Worte verhallten. Sie legte beide Hände an den Mund und rief noch einmal, aber das Riesenrad rührte sich noch immer nicht.

Dann tat es einen Ruck, und das Rad geriet in Bewegung, so daß Dana auf den Boden der Gondel geschleudert wurde. Eine enorme Hitze, grelles Licht und ohrenbetäubender Lärm umgaben sie plötzlich. Sie legte sich flach auf den Boden und schloß die Augen, während das Riesenrad erbebte und die Gondel wie wild schaukelte.

Dana vernahm trotz der donnernden Explosion ein Zischen ganz in ihrer Nähe. Sie öffnete vorsichtig ein Auge und entdeckte nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt einen glühenden Funken. Sie sprang auf und trat ihn aus, kam aus dem Gleichgewicht und taumelte, bis sie mit beiden Händen den Sicherheitsbügel zu fassen bekam. Das Metall war glühend heiß, doch sie klammerte sich fest, bis sie endlich aufhörte zu zittern.

Die Explosion hatte die Trümmer und die Stahlschienen der Achterbahn zerfetzt, und unzählige Metall- und Glassplitter regneten vom Himmel wie die Funken eines riesigen Feuerwerks. Auf der Erde brannten verstreute Wrackteile. Es waren rotglühende, von schwarzem Rauch umgebene Feuerbälle, die aussahen wie Blumen, die im Zeitraffertempo aufblühten. Die Hitze nahm zu und schlug ihr ins Gesicht, der Rauch brannte ihr in den Augen, so daß sie sich ducken und die Augen schließen mußte.

Fast eine halbe Stunde verging, bis Dana es wagte, wieder aufzustehen. Das Feuer war gelöscht, die Leichensäcke waren fortgeräumt, und von den beiden verunglückten Maschinen war nichts mehr zu sehen.

Es war ihr unbegreiflich. Rumpfteile von zwanzig Metern Länge, Tragflächen und Rotorblätter von ähnlichen Ausmaßen, mehr als zwei Tonnen Metall – einfach verschwunden.

Und als sie über den Rand der Gondel nach unten schaute, fuhr ihr ein weiterer Schock in die Glieder. Von dem jungen Mann, der das Riesenrad bedient hatte, war nichts mehr zu sehen.

»He! Hier oben! Holt mich runter!« schrie sie.

Niemand schaute auf. Sie holte tief Luft und rief noch einmal so laut sie konnte, doch keiner hörte sie.

Natürlich, bei der Hektik dort unten konnte sie auch so leicht keiner hören. Der junge Mann würde sich aber wahrscheinlich irgendwann an sie erinnern und zurückkehren. Und wenn nicht? Dann würde sie noch lange auf ihre Befreiung warten müssen. In zwölf Stunden vielleicht, in der Stille der Nacht, könnten ihre Rufe bis nach unten vordringen und von einem Wachmann gehört werden. Unterdessen würde Charlie Morrison überall nach ihr suchen, und ihre Kinder würden zu Hause auf sie warten, während sie hilflos dreißig Meter über dem Boden fest saß.

Frustriert ließ sie sich auf die Sitzbank fallen.

Im selben Augenblick hörte sie ein Geräusch ähnlich einer Tür, die in ihren rostigen Angeln quietscht. Voller Unbehagen schaute sie sich um. Da, da war es wieder. Es war das tiefe, unheimliche Knirschen, das ertönt, wenn Metall auf Metall trifft.

Der zylindrische Bolzen, der die Gondel auf einer Seite hielt, rutschte aus seiner Halterung. Die Mutter, die den Bolzen absicherte, fehlte; wahrscheinlich war sie durch die Wucht der Explosion abgerissen worden. Dana stand auf und versuchte, ihn wieder zurückzuschieben, doch er ließ sich nicht bewegen. Sie zog einen Schuh aus und schlug damit auf den Bolzen ein. Doch nun geriet die Gondel erst recht ins Schaukeln, so daß er noch einen Zentimeter weiter herausrutschte.

Danas Herz stand still. Sie mußte handeln. Sie konnte auf keinen Fall länger auf ihre Rettung warten; sie mußte hier raus, bevor die Gondel sie mit in die Tiefe riß. Etwa eineinhalb Meter vom Geländer der Gondel entfernt befand sich die erste Sprosse des Gestells – leicht zu erreichen für eine Frau ihrer Größe.

Sie band ihr Haar im Nacken zusammen, zog den zweiten Schuh aus, stopfte beide in die Kameratasche und schlang sich den Riemen ihrer Handtasche über den Kopf und diagonal über die Brust. Dann holte sie tief Luft, schwang ein Bein nach dem anderen über das Geländer und ließ sich langsam ab.

Die Arme wurden ihr steif, und die Hände klammerten sich fest an das Geländer der Gondel, als sie über dem Abgrund baumelte. Sie tastete mit dem rechten Fuß nach der Sprosse, fand sie, rutschte ab, aber ertastete sie erneut. Der linke Fuß folgte, und langsam kletterte sie über die Notleiter nach unten.

In knapp hundert Metern Entfernung beobachtete ein Mann ihren Abstieg durch ein Fernglas, das so gut war, daß er die Nähte ihrer Strumpfhose unter ihrem Kleid erkennen konnte.

Als er das Fernglas absetzte, kam ein braungebranntes, jugendliches Gesicht dahinter zum Vorschein – ein verblüffender Gegensatz zu seinem schlohweißen Haar. Zu seinen Füßen lag ein Mann, der bei der zweiten Explosion verbrannt war. Er zog seine Jacke aus, um den Toten damit abzudecken. Als er sich wieder aufrichtete, hatte er dessen Schirmmütze unter dem Arm. Er trat hinter die offene Tür eines Rettungswagens, und schob die weißen Haare sorgfältig unter die Mütze, bis nichts mehr davon zu sehen war.

Dann hob er das Fernglas wieder und richtete es auf die Frau, die gerade unten angekommen war.

Kapitel 3

Auf dem Schreibtisch vor Whit Endicott lag ein Blatt Papier, weiß, unliniert, leer, nicht einmal ein Wasserzeichen war zu sehen. Wenn er nur lange genug davorsaß und ins Leere starrte, konnte er sich auf diese Weise leicht in eine Art Trance versetzen. Dann wurde das Blatt zu einem rechteckigen weißen Loch im Raum. Er konnte im Geiste auf dem Bauch bis an seinen Rand kriechen und in unergründliche Tiefen schauen.

Aber heute, am zwanzigsten Tag, den er an seinem Schreibtisch vor derselben leeren Seite verbrachte, blieb ihm das Nichts in der Tiefe des Abgrunds verschlossen; heute war es die Fratze des Versagens, die ihm entgegenstarrte, und ein Kreischen voller Panik, das ihm in den Ohren dröhnte.

Vielleicht war es auch nur das Aufheulen des Rasenmähers, der im Garten gerade angeworfen wurde.

Whit warf den Stift hin, froh, einen Grund zu haben, aufzustehen und nach draußen zu gehen. Jerome war dabei, den Rasen rund um den Swimmingpool zu mähen. Er hatte sich ein T-Shirt wie einen Turban um den Kopf gewickelt, und sein nackter Rücken dampfte wie heißer Kaffee.

Als er Whit kommen sah, schaltete er den Motor ab und begrüßte ihn mit einem Handschlag über dem Kopf. »Hallo, Kumpel, hast du deinen faulen Arsch endlich aus dem Bett gewuchtet?«

»Hört, hört, wer’s sagt! Du hättest schon vor drei Stunden hiersein und dir die Hitze ersparen können.«

»Die Hitze tut mir gut. Sie hilft mir, den Whiskey auszuschwitzen, den du gestern in mich hineingeschüttet hast.«

»Das war kein Whiskey, das war Stout.«

»Ach, ist mir doch schnuppe. Wie sieht’s aus, bist du heute abend wieder dabei?«

Whits Lächeln erstarb. »Tut mir leid. Meine Frau kommt heute nach Hause, sie reist schon morgen wieder ab. Ich sollte mich heute abend vielleicht lieber an den heimischen Herd begeben.«

Jerome bleckte die Zähne und grinste süffisant. »Ach so nennt man das neuerdings bei euch Weißen.«

Whit tat so, als wolle er ihm einen Kinnhaken verpassen, und die beiden hüpften eine Weile wie Sparringspartner umeinander, bis Jerome sagte: »Laß gut sein, Mann. Ich werde für den Job bezahlt, aber nicht nach Stunden.«

»Im Kühlschrank steht Eistee. Und schwimm ruhig ’ne Runde, bevor du abhaust.«

»Vielen Dank, mach ich.«

Als Whit über die glühendheißen Terrassenfliesen zurück ins Haus ging, ließ Jerome den Motor des Rasenmähers wieder aufheulen. Das Haus stand auf einem großen flachen Grundstück am Südhang von Valley Forge Mountain. Von hier aus konnte Whit das weite Tal überblicken, das Tal, dem die Stadtplaner, schlau wie sie waren, den Namen The Great Valley gegeben hatten. Neben zwei Autobahnen befanden sich hier Industrieanlagen, Verwaltungsgebäude, riesige Einkaufszentren und Tausende von Wohneinheiten. Doch aus der Entfernung war der Anblick nicht ganz so trostlos: Von hier aus schaute man auch auf Wälder und grüne Felder, die sich auf der anderen Talseite erstreckten, so weit das Auge reichte. »Man kommt sich vor wie auf dem Dach der Welt«, hatte Dana gesagt, als sie das Grundstück ausgesucht hatten, und Whit hatte ihr zugestimmt, obwohl er nie das Gefühl losgeworden war, daß es von hier aus eben nur nach unten gehen konnte.

Er goß sich in der Küche ein Glas Wasser ein. Vom Fenster aus sah er durch die Rhododendronbüsche am Ende der Einfahrt etwas Weißes aufblitzen. Es war das Postauto, darauf hatte er den ganzen Vormittag gewartet. Er sah, wie die Post in den Briefkasten geworfen wurde und der Wagen weiterfuhr. Whit stand am Fenster und trank langsam sein Glas aus. Doch der Inhalt des Briefes würde nicht besser werden, je länger er im Briefkasten lag; er biß die Zähne zusammen und ging hinaus, um ihn zu holen.

Der Briefkasten enthielt einen Stapel Kataloge, Reklamesendungen und Rechnungen, aber obenauf lag ein Umschlag mit dem leuchtendblauen Logo der Universität. Der Brief war adressiert an Thomas Whitman Endicott, III, Ph.D. Auf halbem Weg blieb er in der Einfahrt stehen und riß den Umschlag auf. Sehr geehrter Dr. Endicott. Es war also nicht die Sekretärin des Dekans, die den Brief getippt hatte; sie wußte, daß er Titel wie Doktor und Professor für prätentiös hielt und die simple Anrede Mister bevorzugte.

Aber mit der Anrede hielt er sich nicht auf. Sein Blick wurde von der Zeile darunter magisch angezogen, der Zeile, die mit den Worten begann: Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen ...

Er war nicht sonderlich überrascht; doch die unbändige Wut, die in ihm aufstieg, als er das Urteil schwarz auf weiß vor sich sah, erstaunte ihn doch. Seit Wochen hatte er sich immer wieder gesagt: Sie werden es tun. Aber jetzt hätte er am liebsten laut herausgeschrien: Was bilden die sich eigentlich ein?

Er warf die Post auf seinen Schreibtisch in der Bibliothek, zog sein Hemd aus und lief die Treppe hinunter in den Fitneßraum. Dort versetzte er dem Punchingball einen so heftigen Schlag, daß dieser nur noch wild hin und her pendelte. Er hielt ihn mit beiden Händen fest, um ihn zu stabilisieren, und begann dann rhythmisch mit bloßen Fäusten zu boxen, bis ihm die Knöchel weh taten. Er hörte kurz auf, aber nur, um sich die Boxhandschuhe überzustreifen und sich dem großen Sandsack zuzuwenden, der sich angenehm wie ein menschlicher Körper anfühlte. Er landete einen harten Treffer nach dem anderen, stieß bei jedem Schlag wütend den Atem aus, bis er selbst wahrnahm, daß er mit gequälter Stimme vor sich hin fluchte. Er hielt inne und umschlang den Sandsack mit beiden Armen.

Er keuchte vor Anstrengung, Schweiß rann ihm in Strömen über den Rücken. Er ging ins Bad und warf sich etwas Wasser ins Gesicht. Als er den Kopf hob, schaute er in den Spiegel. Er hatte einen kräftigen, muskulösen Körper, den man bei einem Englischprofessor nicht unbedingt vermutete. Seine Eltern waren aus ganz anderem Holz geschnitzt gewesen. Ein Menschenschlag mit dem für Neu-England typischen eher schmächtigen Körperbau. Doch er brauchte nur in den Spiegel zu sehen, um zu erkennen, daß er auf ältere Vorfahren herauskam, auf solche, die sich wahrscheinlich hauptsächlich von Kartoffeln ernährt hatten. Er war ein urwüchsiger Ire, der die Rolle eines Intellektuellen nur spielte. Sein ganzes Leben lang hatte er in dieser Maskerade glaubwürdig gewirkt, doch nach vierundvierzig Jahren war anscheinend alles aus und vorbei.

Das Telefon klingelte. Er ging nach oben und nahm den Hörer ab.

»Hast du den Brief bekommen?«

Es war Jack Lucas, ein alter Freund aus Studienzeiten, der inzwischen Leiter der Englischen Abteilung dort war.

»Tut mir leid, Jack. Ich hab vergessen, dich anzurufen.«

»Hmm. Dann kann ich mir schon denken, was drin steht.«

»Ja.«

»Diese Kretins! Wie ist es möglich, daß jemand Ende des zwanzigsten Jahrhunderts rausgeschmissen wird, nur weil er in einem Grundkurs Huckleberry Finn durchgenommen hat?«

»Sie haben mich nicht gefeuert. Sie haben nur meinen Vertrag nicht verlängert. Du kennst ja die Formalitäten.«

»Ja, ja, ich weiß schon. Und den Rest kann ich mir auch zusammenreimen. Huck Finn und die Sittenwächter des Campus haben sie in dem Brief natürlich nicht erwähnt.«

»Nein. Weil ich den Weisungen des Rektors nicht Folge geleistet habe, liegt es im Interesse des Instituts, sich von mir zu trennen.«

»Mit anderen Worten, du wirst rausgeschmissen, weil du die schwachsinnige Anordnung eines Idioten mißachtet hast, der politisch korrekt sein will und sich einbildet, von Literatur etwas zu verstehen.«

Whit lachte verbittert. »Ich wünschte, du hättest den Brief geschrieben.«

»Nun, alter Junge«, sagte Jack mitfühlend, »ich habe etwas viel Besseres gemacht. Ich habe dir einen Lehrauftrag fürs Sommersemester verschafft.«

Whit hielt den Atem an. Ein Lehrauftrag an der University of Pennsylvania? Dort hatte er vor zwanzig Jahren als junger Dozent angefangen, doch seitdem war es mit ihm allmählich immer weiter bergab gegangen. Zuletzt hatte er eine Stelle an einer staatlichen Universität, an der Sport das wichtigste Studienfach war. »Wie hast du denn das hingekriegt?«

»Ach, es war nicht einmal besonders schwierig. Du bist ein hervorragender Dozent, Whit. Das wissen die Leute.«

Whit lehnte sich an die Anrichte. Er war überwältigt und sprachlos.

»Es gibt nur eine Bedingung.« Ein neuer Ton lag in Jacks Stimme, er wirkte behutsam, beinahe entschuldigend.

Whit verzog den Mund. »Veröffentlichungen«, sagte er.

»Du brauchst nur dein Buch über Stegner fertig zu schreiben, Whit, dann hast du die Stelle.«

Er brauchte nur zu tun, was er seit zwanzig Jahren vergeblich versuchte. »Danke«, sagte er. »Ich weiß deine Unterstützung sehr zu schätzen.«

»Keine Ursache.«

»Aber tu mir einen Gefallen, ja? Erzähl Dana nichts davon.«

»Wieso nicht?«

»Ach, du weißt schon. Wahrscheinlich beschließt sie dann sofort, das Institut juristisch zu verfolgen.«

»Na, eigentlich gar keine schlechte Idee.«

»Also, das fehlte mir jetzt gerade noch, ihr Mandant zu werden!«

»Na schön, wie du willst.«

»Nochmals vielen Dank, Jack.«

Whit zog sich das Hemd wieder über und ging zurück in die Bibliothek. Auf seinem Schreibtisch lag eine eselsohrige Ausgabe seines Sommerprojekts, Wallace Stegners Angle of Repose. Es war die Geschichte von zwei aufrechten Menschen, deren Liebe daran scheiterte, daß einer vom anderen enttäuscht war. Es blieb ihnen nichts mehr, als sich zu bemühen, eine Ebene gegenseitiger Duldung zu erreichen. Der Titel »Böschungswinkel« war ein Begriff aus dem Bauwesen und bezeichnete den Winkel, unter dem sich körniges Gut anschütten läßt, ohne abzurutschen. Whit hatte sich schon oft gefragt, wie lange es dauern mochte, bis dieser Winkel bei ihm erreicht war; er selbst hatte das Gefühl, von Tag zu Tag weiter abzurutschen.

Sein Kopf war so leer wie das Blatt Papier auf seinem Schreibtisch, als er sich daran zu erinnern versuchte, was er zu diesem Roman zu sagen hatte. Er rollte sich mit seinem Stuhl an den Aktenschrank und zog einen Ordner heraus. Es war leicht, den ersten Entwurf zu finden, den er 1978 geschrieben hatte: Die Seiten waren vergilbt, und obenauf war das Schreiben eines Verlags abgeheftet, der ihn mit Bedauern darüber in Kenntnis setzte, daß man keine Abhandlungen über lebende Autoren herausgebe.

Der zweite Entwurf war durch ein Ereignis an einem Aprilmorgen 1993 notwendig geworden, als Dana strahlend von der Morgenzeitung aufgeblickt und ausgerufen hatte: »He, Whit, Stegner ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Jetzt kannst du dein Buch fertigschreiben!«