Western Dreierband 3006 - 3 dramatische Wildwestromane in einem Band - Timothy Stahl - E-Book

Western Dreierband 3006 - 3 dramatische Wildwestromane in einem Band E-Book

Timothy Stahl

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Western: Ein Greenhorn auf gefährlicher Spur In Devil Town ist die Hölle los! Die Legende vom goldenen Mustang Draußen in der Nacht heulte ein Kojote. John Foxworth wachte auf. Singing Bird stand am Fenster des Schlafzimmers, nackt und aufregend schön. Das Mondlicht überzog ihre Haut mit Silber. John Foxworth stand auf, trat zu seiner Frau und zog sie an sich. Kalt fühlte sie sich an, doch sie schien nicht zu frieren. "Wieder schlecht geträumt?", fragte er die hübsche Navajo. Singing Bird nickte und flüsterte: "Großes Unheil wird kommen." So ging es nun schon seit Nächten. Und wie in jeder Nacht versuchte John seine Frau auf andere Gedanken zu bringen. Er nahm sie auf seine starken Arme, trug sie zurück ins Bett und sorgte dafür, dass sie von bösen Träumen verschont blieb – für eine Weile wenigstens…

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Timothy Stahl

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Inhaltsverzeichnis

Western Dreierband 3006 - 3 dramatische Wildwestromane in einem Band

Copyright

Ein Greenhorn auf gefährlicher Spur

In Devil Town ist die Hölle los!

Die Legende vom goldenen Mustang

Western Dreierband 3006 - 3 dramatische Wildwestromane in einem Band

Timothy Stahl

Dieser Band enthält folgende Western:

Ein Greenhorn auf gefährlicher Spur

In Devil Town ist die Hölle los!

Die Legende vom goldenen Mustang

Draußen in der Nacht heulte ein Kojote. John Foxworth wachte auf.

Singing Bird stand am Fenster des Schlafzimmers, nackt und aufregend schön. Das Mondlicht überzog ihre Haut mit Silber. John Foxworth stand auf, trat zu seiner Frau und zog sie an sich. Kalt fühlte sie sich an, doch sie schien nicht zu frieren.

"Wieder schlecht geträumt?", fragte er die hübsche Navajo.

Singing Bird nickte und flüsterte: "Großes Unheil wird kommen."

So ging es nun schon seit Nächten.

Und wie in jeder Nacht versuchte John seine Frau auf andere Gedanken zu bringen. Er nahm sie auf seine starken Arme, trug sie zurück ins Bett und sorgte dafür, dass sie von bösen Träumen verschont blieb – für eine Weile wenigstens…

Copyright

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Ein Greenhorn auf gefährlicher Spur

Western von Timothy Stahl

Ein CassiopeiaPress E-Book

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© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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Zachary Drake war stets gern nach Hause zurückgekommen. Heute nicht. Weil der Grund seiner Heimkehr furchtbar war.

Das Hochgefühl, das er all die Male zuvor empfunden hatte, wenn der Zug in den Bahnhof von Pederson, Illinois, einlief, stellte sich diesmal nicht ein. Heute verspürte Zachary Drake nur Angst und Beklemmung. Er zitterte wie in tiefster Winterkälte.

Trotzdem sprang Zachary Drake aus dem Waggon, noch bevor der Zug zum Stillstand gekommen war. Ungestüm drängelte er sich auf dem Bahnsteig durch die Schar wartender Leute. Verwünschungen wurden ihm nachgerufen, Fäuste drohend gereckt. Der junge Mann hörte und sah nichts davon. Er war wie blind und taub. Seine Gedanken kreisten nur um eine einzige Sache…

Er musste sich beeilen. Um jeden Preis! Er keine Zeit zu verlieren.

Weil er seine Mutter unbedingt noch einmal sehen wollte, bevor sie starb.

Auf dem staubigen Bahnhofsvorplatz blieb Zachary Drake stehen. Er atmete schwer. Das schnelle Laufen hatte ihn angestrengt. Er war nie besonders ausdauernd gewesen, was körperliche Anstrengung betraf. Dafür war er im Kopf schnell.

Aber das nützte ihm hier und jetzt nichts!

Er suchte eine Möglichkeit, wie er möglichst schnell aus der Stadt gelangen konnte. Die kleine Farm seiner Mutter lag einige Meilen außerhalb von Pederson. Zu Fuß würde er ewig brauchen für diese Strecke.

Und vielleicht zählte ja schon jede Minute! Zack Drakes Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen.

Dem Telegramm, das sie ihm nach Chicago an die Universität geschickt hatten, war nichts Genaues zu entnehmen gewesen. Es hatte nur darin gestanden, dass seine Mutter im Sterben liege und sie ihn noch einmal sehen wolle. Weil sie ihm ein Geheimnis anvertrauen müsse.

Worum es sich dabei wohl handeln mochte? Was für ein Geheimnis konnte das sein, von dem seine Mutter – eine einfache Farmerin, die ihren Sohn alleine hatte großziehen müssen – wissen konnte?

Pfeif auf das Geheimnis!, ermahnte sich Zack in Gedanken. Ich will Mama sehen, sonst nichts!

Dem Bahnhof gegenüber lag der Mietstall. Zachary seufzte. Ein Pferd zu mieten würde ihm nicht viel bringen. Er war nie ein guter Reiter gewesen. Wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass das noch gelogen war: Tatsächlich fiel es ihm schwer, sich überhaupt im Sattel zu halten…

"Eine Kutsche!", entfuhr es ihm. Er schnippte mit den Fingern. Das war eine Idee!

Dort drüben konnte man auch Kutschen mieten, inklusive Kutscher sogar. Nur war das ein teurer Luxus…

Zack Drake langte in seine Hosentasche. Der größte Teil seines ohnedies knappen Bargeldes war für die außerplanmäßige Heimfahrt draufgegangen. Ein paar Münzen klimperten noch in seiner Tasche.

Er marschierte quer über den runden Bahnhofsvorplatz auf den Mietstall zu. Davor waren drei Kutschen unterschiedlicher Größe abgestellt. Die Kutscher saßen dösend auf den Böcken ihrer Gefährte.

Zack hoffte, einen von ihnen dazu überreden zu können, ihm einen Sonderpreis einzuräumen. Wenn er erklärte, warum er es so eilig hatte, mussten sie doch Verständnis zeigen, wenn sie nicht gerade ein Herz aus Stein in der Brust trugen.

Rasch maß Zack die drei Männer auf den Kutschböcken mit musterndem Blick, dann wandte er sich dem zu, der ihm am weichherzigsten erschien. Ein kleiner, rundlicher Mann, der aussah, als sei er ein gemütlicher Kerl. Selbst jetzt, da er eingenickt war, lächelte er. Dieser Mann konnte ganz gewiss nicht nein sagen.

Zachary Drake trat an die Kutsche heran, holte sein restliches Geld aus der Tasche und ließ es klimpern. Das Geräusch weckte den Mann auf dem Kutschbock. Aber er sah Zack nur einen Moment lang an. Dann richtete sich sein Blick auf etwas hinter Zack, und eine steile Unmutsfalte kerbte plötzlich seine Stirn. Irgendetwas schien ihm gründlich zu missfallen.

Zachary drehte sich um.

Und sah die Faust eines Riesen!

So schien es ihm jedenfalls. Die geballte Hand raste auf sein Gesicht zu, füllte sein ganzes Blickfeld aus. Und dann traf sie ihn auch schon auf den Mund.

Für einen Augenblick wurde die Welt für Zack Drake pechschwarz. Er spürte heißen Schmerz, als seine Lippen aufplatzten. Warm rann ihm sein Blut übers Kinn.

Dass er hintenüber gestürzt war, wurde Zack erst bewusst, als er wieder zu sich kam und sich am Boden liegend fand. Benommen richtete er sich auf. Oder er wollte es zumindest tun.

Doch der Kerl, der ihn niedergestreckt hatte, setzte ihm den Fuß auf die Brust und drückte ihn zurück in den Staub.

"Zachary Drake!", hörte er eine Stimme, die er am liebsten niemals oder wenigstens nie wieder gehört hätte. "Willkommen daheim!" Die Worte troffen vor Hohn, den Zack wie ätzendes Gift empfand, das auf ihn herabregnete.

"Burt Roper", sagte er nur. Es klang nuschelnd, weil seine Lippen anschwollen.

Der maisblonde Roper ragte über ihm auf wie ein Turm aus Fleisch und Muskeln. Sie hatten miteinander die Schulbank gedrückt. Manchmal jedenfalls. Burt Roper war nicht allzu oft zum Unterricht gekommen. Er hatte es vorgezogen, sich auf den Straßen herumzutreiben. 'Geschäfte machen' hatte Burt Roper das genannt. Diesen Geschäften ging er offenbar immer noch nach. Und scheinbar liefen sie so gut, dass er sich inzwischen sogar 'Angestellte' leisten konnte.

Auf einen Wink von Burt Roper hin bückte sich nämlich ein anderer Typ zu Zack Drake herab. Zachary kannte diesen Burschen ebenfalls, er hatte nur seinen Namen vergessen, weil er noch seltener zur Schule gegangen war als Roper. Mochte sein, dass er Roper deswegen als Boss anerkannte, weil der schließlich öfter in der Schule gewesen war. Auf Ropers Zeichen hin nahm der andere jetzt die Münzen aus Zachary Drakes Hand.

"Hey, lass das!", protestierte Zack und kassierte dafür einen harten Tritt in die Rippen. Er krümmte sich stöhnend zusammen.

"Es gibt ein neues Gesetz in der Stadt, Drake", erklärte Burt Roper. "Manche Leute müssen jetzt Eintritt zahlen. Hat dir das auf deiner feinen Schule in Chicago keiner gesteckt, du Scheißstreber?" Er lachte hämisch, als sein Kumpan ihm Zacks Geld in die Hand drückte.

Das Lachen verging Burt Roper in der nächsten Sekunde. Es knallte, laut und scharf wie ein Schuss. Roper schrie auf und ließ die Münzen fallen.

Zack Drake sah, wie Roper Blut von der Hand tropfte.

Der scharfe Knall ertönte abermals, und jetzt blutete der andere Galgenvogel aus einer Wunde, die ihm quer über die Wange lief.

Ein Schatten fiel über Zachary. Er schaute hoch.

Der Kutscher hatte sich erhoben und wirkte trotz seiner gedrungenen Gestalt bedrohlich, wie er da auf seinem Gefährt stand. Was vor allem daran lag, dass er seine Peitsche schwang, mit einem Geschick, das man ihm ob seiner so dicken wie kurzen Fingern nie und nimmer zugetraut hätte.

Burt Roper starrte den Kutscher mit wutfunkelndem Blick an und wollte auf ihn zustapfen. Nach zwei Schritten blieb er stehen und riss die Hände vors Gesicht. Blut lief zwischen seinen Fingern hervor. Der Mann mit der Peitsche hatte zielsicher Ropers Nase getroffen und deren Löcher um einen halben Inch erweitert.

"D-danke, Sir", brachte Zack stammelnd hervor, derweil er auf den Knien durch den Staub rutschte, um sein Geld aufzusammeln.

Ropers Kompagnon wollte ihn daran hindern, fing sich allerdings ein blutiges Ohr ein, ehe er Hand an Zack legen konnte, und zog es vor, zu verschwinden. Burt Roper folgte seinem Beispiel, wenn auch nicht ohne den Kutscher zu verfluchen. Seine Beschimpfungen waren jedoch kaum zu verstehen, da er sich noch immer die aufgerissene Nase hielt.

"Du bist Zack Drake?", fragte der Kutscher. "Dorothys kleiner Junge?"

Zachary stand endlich auf. "Nicht mehr so klein", sagte er mit einem schiefen Grinsen, das seine verletzten Lippen noch mehr schmerzen ließ, "aber immer noch der Sohn von Dorothy Drake. Kennen Sie meine Mutter denn?"

Der Kutscher nickte schwerfällig. Der Ausdruck in seinem runden Gesicht veränderte sich. Er weckte die Angst in Zachary. Nicht etwa Angst vor dem Mann – sondern um seine Mutter…

"Was… was ist?", brachte Zack mühsam hervor.

Der Kutscher winkte knapp. "Steig ein, Junge. Mach schon."

Zachary kletterte in das offene Gefährt und beugte sich zum Kutscher vor, um ihm sein Geld zu reichen. "Mehr habe ich leider nicht, Sir."

"Lass dein Geld stecken", antwortete der Dicke. "Solche Fahrten sind umsonst. Und außerdem mochte ich deine Mama gut leiden… Festhalten, Kleiner!"

Abermals knallte die Peitsche, diesmal über dem Rücken des eingespannten Pferdes. Das Tier wieherte erschrocken auf. Die Kutsche setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, so hart und plötzlich, dass Zachary Drake ums Haar herausgefallen wäre.

Er fand irgendwo Halt und setzte sich schließlich auf die Bank.

Seine Gedanken drehten sich um die Worte des Kutschers.

Sie hatten auf erschreckende Weise so geklungen, als würde er zu spät nach Hause kommen, ganz gleich, wie schnell die Kutsche auch fahren mochte…

*

In einer Staubwolke kam die Kutsche vor dem weißgestrichenen Farmhaus zum Stehen. Zachary Drake stieg aus und stolperte ein paar Schritte zur Seite. Die rasante Fahrt steckte ihm in allen Knochen. Seine Knie zitterten. Staub stieg ihm in die Kehle und ließ ihn husten.

"Vielen Dank, Sir!", brachte er dann endlich hervor. Die Kutsche und der Mann auf dem Bock waren in all dem Staub nur als braune Schemen auszumachen.

"Schon gut, Kleiner", drang die Stimme des Kutschers aus der Wolke. "Grüß deine Mutter von mir, wenn…"

Er sprach nicht weiter. Aber Zack wusste, was er hatte sagen wollen.

Wenn es noch nicht zu spät ist.

Wenn sie noch nicht tot ist!

"Werde ich machen, Sir", erwiderte Zachary so fest, als könne er sich mit seinen Worten einreden, dass er noch rechtzeitig angekommen war. Dass seine Mutter noch lebte und er sie noch einmal sehen und mit ihr reden konnte. Dass sie ihm noch sagen konnte, was sie ihr auf dem müden Herzen lag…

Er wünschte, sie hätte ihm früher von ihrer Krankheit geschrieben. Er hätte sein Studium der Rechtswissenschaften unterbrochen oder aufgegeben und sich um sie gekümmert. Aber sie hatte es ihm verheimlicht, wohl um zu verhindern, dass er nicht weiterstudierte. Sie hatte immer gewollt, dass etwas Anständiges aus ihrem Sohn wurde, und sie hatte viele Opfer gebracht, um ihm das Studium zu ermöglichen.

Woran genau seine Mutter erkrankt war, hatte ihm der Kutscher nicht sagen können. "Schlimme Sache", hatte er nur gemurmelt. Und kopfschüttelnd hinzugefügt: "Keine Chance. Arme Dorothy…"

Hinter Zack rumpelte die Kutsche vom Hof der Farm, während er auf das Haus zuging. Auf der Veranda hatte er als Kind im Sommer oft gesessen und den Geschichten der Saisonarbeiter gelauscht. Später hatte seine Mutter ihm dann am Bett etwas vorgesungen.

Zack sah nach oben. Dort links, hinter diesem Fenster lag sein Zimmer. Daneben das seiner Mutter. Hinter ihrem Fenster waren die Vorhänge zugezogen.

Er lief schneller.

Die Tür wurde geöffnet, als Zachary die Stufen zur Veranda hocheilte. Einen Moment lang hoffte er, wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass seine Mutter in der Tür stehen würde. Wie früher, wenn er von der Schule heimgekommen war. Oft genug mit blutiger Nase. Burt Roper war schon immer ein Dreckskerl gewesen…

"Zack, mein Junge! Da bist du ja…"

Für eine Sekunde glaubte Zachary Drake tatsächlich die Stimme seiner Mutter zu hören, so stark war sein Wunsch, dass sie ihm die Tür öffnete. Aber es war nicht seine Mutter, die ihn empfing. Natürlich nicht. Lieber Gott, seine Mutter war sterbenskrank! Vielleicht schon –

"Emily rief Zack und schloss die korpulente ältere Frau, die auf der Schwelle stand, in seine Arme. Er spürte Wärme an seiner Schulter, dort, wo ihr Gesicht ruhte. Emily weinte. Ihre Tränen nässten sein Hemd.

Emily war eine Tante seiner Mutter und ihrer beider einzige lebende Verwandte. Sie wohnte auf der Farm, so lange Zachary zurückdenken konnte, und half seiner Mutter bei der Bewirtschaftung. Erntehelfer und andere Arbeiter hatte seine Mutter seit jeher nur saisonal beschäftigt. Die Farm warf nicht genug ab, um die Helfer übers Jahr anstellen zu können. Und überdies hatten sowohl Zacks Mutter als auch Emily stets wie Männer zuzupacken verstanden.

Zachary wusste das aus eigener Erfahrung. So manches Mal hatten sie ihm als Kind den Hosenboden strammgezogen und ihm den Vater damit auf eine Weise ersetzt, auf die er gerne verzichtet hätte.

Mit sanfter Gewalt schob er Emily von sich und sah ihr ins Gesicht.

"Mama", sagte er, "ist sie…?" Er brachte es nicht fertig, die Frage zu beenden.

Emily wischte sich Tränen aus dem rosigen Gesicht. Mit einem Blick gab sie Zack zu verstehen, dass seine Mutter oben in ihrem Zimmer sei.

Zachary stürmte an ihr vorbei ins Haus. Er rannte durch Kühe und Wohnzimmer zur Treppe und die Stufen hinauf. Die Tür zum Schlafzimmer seiner Mutter stand offen. Die Vorhänge filterten den Sonnenschein. Goldenes Dämmerlicht erfüllte den Raum. Darin erschien Zack seine Mutter wie ein Engel. Es war, als würde sie von einer überirdisch strahlenden Aura umgeben. Als seien die Boten des Herrn schon dabei, sie für ihre letzte Reise vorzubereiten…

"Mama?", flüsterte Zack.

Er wagte kaum, ins Zimmer zu treten. Die Stille und alles dahinter schienen so zerbrechlich, selbst seine Mutter. Ihr Gesicht schien wie aus Porzellan, hell und schimmernd, und es war so schmal geworden, dass die Nase spitz daraus hervorstach.

Dorothy Drake lag in ihrem Bett, die Decke bis zur Brust hochgezogen, die Hände darauf wie zum Gebet gefaltet. Ihre Augen waren geschlossen. Nichts rührte sich. Nicht einmal ihren Atem hörte Zachary.

Er schloss die Lider. Tränen drangen heiß aus seinen Augenwinkeln. Er war zu spät gekommen.

"Zack?"

Er zuckte zusammen. Furcht stieg in ihm hoch, weil er glaubte, der Geist seiner Mutter würde zu ihm sprechen. Doch als er die Augen öffnete, lächelte sie ihn an. Matt und müde zwar, aber ihr Blick war klar und ihr Lächeln herzlich und froh.

"Ich habe auf dich gewartet, mein Junge", sagte sie leise. Zack schluckte. Ihr Ton klang nicht danach, als habe sie ihn erwartet, sondern vielmehr so, als habe sie den Tod warten lassen, bis ihr Sohn eingetroffen war…

Sie winkte ihn mit einer schwachen Geste an ihr Bett. Zack ließ sich daneben auf den Knien nieder.

"Ich muss dir… etwas sagen", begann sie. Ihre Worte waren schwer zu verstehen.

Zack legte seine Hand auf die ihren. "Nicht anstrengen, Mama", sagte er beruhigend. "Du musst dich ausruhen."

Sie schüttelte ächzend den Kopf. "Nein. Ich habe nicht mehr viel Zeit."

Zack wollte sagen: Unsinn. Du wirst wieder gesund, Mama. Aber er verbiss sich die Worte. Sie wären gelogen gewesen. Es war nicht zu übersehen, dass seine Mutter schon an der Schwelle zu Gottes Himmelreich stand. Es fehlte nur noch ein Schritt und –

"Mein Junge", flüsterte sie heiser, "ich habe dich belogen. All die Jahre habe ich dir nicht die Wahrheit gesagt." Dorothy Drake sah ihren Sohn an. Der Glanz in ihren Augen… wurde er nicht schon trüber?

"Mama", stieß Zack verwirrt hervor, "was redest du da? Wovon sprichst du?"

"Von der Wahrheit über deinen Vater", erwiderte sie.

"Mein Vater? Aber er ist tot. Und…"

Wieder schüttelte Dorothy Drake den Kopf. "Nein, eben nicht. Ich habe dir gesagt, er sei vor deiner Geburt gestorben. Aber das ist nicht wahr. Er hat mich verlassen. Aber er lebt."

"Nein!"

"Oh doch."

"Aber warum hast du mir das nie gesagt?", fragte Zachary entgeistert.

"Ich hatte… meine Gründe", antwortete seine Mutter. Ihre Stimme verlor mit jedem Wort an Kraft. Jetzt verschwand ihre schmale, fast knöcherne Hand unter der Decke und holte etwas hervor. Noch aber zeigte sie es ihrem Sohn nicht.

"Hast du dich nie gefragt, wie es mir möglich war, dein Studium zu finanzieren?", fragte sie.

Zack hob unbehaglich die Schultern. "Du… naja, du warst sehr sparsam. Und hast auf vieles verzichtet, denke ich."

Dorothy Drake lachte gequält auf. Das Lachen schüttelte ihren zerbrechlich gewordenen Körper und brachte sie zum Husten. "Oh, Zack, du weißt wirklich nicht viel über das Farmerleben. Diese Farm hat nie genug abgeworfen, als dass ich Geld für dein Studium in Chicago übrig gehabt hätte. Ganz gleich, wie sehr ich auch gespart haben würde. Nein, dein Vater hat immer wieder Geld geschickt, das ich für deine Ausbildung verwenden sollte. Und das habe ich getan."

Die lange Rede hatte Dorothy Drake sichtlich erschöpft. Ihre Wangen schienen fast zusehends einzufallen. Und der Glanz verflüchtigte sich nun sichtlich aus ihren Augen.

Mit zitternder Hand reichte sie Zack, was sie zuvor unter der Decke hervorgeholt hatte. Er nahm es entgegen. Ein Briefkuvert und ein Foto.

Die Fotografie war alt und vergilbt. Sie zeigte einen stattlichen Mann um die Dreißig mit verwegenem Lächeln und dunklen Augen. Mit etwas Phantasie erkannte Zachary Drake eine vage Ähnlichkeit zwischen diesem Mann und sich selbst.

Er drehte das Bild um. Auf der Rückseite stand in schwungvoller Handschrift: In Liebe, Shaun

"Das ist er also", murmelte Zachary. "Mein Vater." Er sah seine Mutter an. "Ist das sein Name? Shaun?"

Sie nickte nur, zu schwach zum Antworten.

"Wie noch? Wie lautet sein Nachname? Und wo steckt er?"

Seine Mutter deutete auf den Briefumschlag.

Zack sah ihn an. Abgestempelt war das Kuvert in Crimson Creek, Arizona. Und als Absender war ein S. Connelly angegeben.

"Shaun Connelly also?", fragte Zack.

Dorothy Drake nickte abermals.

"Und er wohnt in Crimson Creek?"

Dorothy Drake zuckte die schmalen Schultern. "Ich weiß es nicht. Aber dort kamen seine Briefe her." Ein neuer Hustenanfall packte sie. Als er vorüber war, ging ihr Atem rasselnd. Sie schloss die Augen.

Zachary sah in den Umschlag hinein. Ein Blatt Papier steckte darin. Aber es stand nur 'Für den Jungen, wie immer' darauf, und unterzeichnet war die Notiz mit einem schlichten S.

"Warum?", fragte Zack leise. Er berührte die Hand seiner Mutter. "Warum hast du mir das nie gesagt?"

Es dauerte lange, bis Dorothy Drake die Augen wieder aufschlug. Und es verging noch eine Weile, bis sie zu einer Antwort ansetzte.

"Es war… gut so", keuchte sie, "…für dich. Dein Vater, er war…"

Ihr Atem versagte. Sie wollte noch etwas sagen, aber es fehlte ihr schlicht die Luft zum Sprechen. Nur für ein Lächeln reichte ihre Kraft noch, für ein allerletztes.

Dann schloss Zacharys Mutter die Augen.

Diesmal für immer.

*

Viele Leute aus Pederson und von den umliegenden Farmen hatten Dorothy Drake gemocht. Die Zahl der Trauergäste, die zu ihrer Beerdigung gekommen waren, hatte dies eindrucksvoll bewiesen.

Zachary Drakes Schmerz freilich vermochte diese Anteilnahme nicht zu lindern. Und ebenso wenig half sie ihm darüber hinweg, dass seine Mutter ihm die Wahrheit über seinen Vater verschwiegen hatte. Die Wahrheit, die sie nun mit ins Grab genommen hatte. Der Tod hatte sie geholt, bevor sie ihrem Sohn alles hatte erklären können.

Zack saß mit Emily am Küchentisch.

"Und du hast von all dem nichts gewusst?", fragte er sie, wobei er das Kuvert und das Foto anstarrte, die vor ihm auf dem Tisch lagen.

Emily schüttelte den Kopf. "Nein. Sie hat auch mir nie etwas davon gesagt."

"Warum nur?", wunderte sich Zack zum x-ten Male.

"Sie wird ihre Gründe gehabt haben."

"Ich will sie wissen, diese Gründe", sagte Zack und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Emily berührte ihn beschwichtigend an der Schulter. "Vielleicht solltest du die Vergangenheit ruhen lassen, Junge. Wer weiß, woran du rührst."

"Ich werde es wissen, wenn ich es getan habe", fiel ihr Zachary ins Wort.

Emily seufzte schwer. "Wie schwer muss dieses Geheimnis in all den Jahren auf dem Herzen deiner Mutter gelastet haben?", meinte sie leise. "Vielleicht ist sie letzten Endes ja daran zerbrochen…"

"Vielleicht", gab ihr Zack leise recht. Der Gedanke, dass seine Mutter an gebrochenem Herzen gestorben war, hatte etwas Bedrückendes. Zugleich weckte er aber auch Zorn in Zachary Drake.

Und diesen Zorn würde er nur loswerden, wenn er ihn dem Mann, der seiner Mutter das Herz gebrochen hatte, ins Gesicht spie.

Seinem Vater…

An die Tatsache, dass er einen Vater hatte, vermochte sich Zack nicht so einfach zu gewöhnen. Die Eröffnung seiner Mutter hatte seine Welt erschüttert, fast auf den Kopf gestellt.

"Ich bitte dich, Zack, tu's nicht." Emilys Stimme riss Zachary aus seinen düsteren Gedanken.

"Ich muss es tun. Versteh das bitte. Und versuche nicht, mich aufzuhalten."

Sie führten diese Unterhaltung nicht zum ersten Mal. Aber jetzt wohl zum letzten Mal…

Zachary Drake erhob sich und nahm den gepackten Rucksack. Dann ging er zur Tür.

Emily ging ihm nach. "Ich weiß nicht, ob deine Mutter das gewollt hätte."

Zack zuckte die Schultern. "Vielleicht wollte sie, dass ich meine eigene Entscheidung treffe. Und das habe ich getan. Ich gehe."

"Aber du weißt nicht, was dich dort erwartet", wandte Emily ein. Ihr Gesicht war pure Sorge. "Es ist sicher gefährlich dort drunten. Man hört so schlimme Sachen über den Westen."

Zack rang sich ein Lächeln ab und strich Emily über die rosige Wange. "Ich werde dir davon erzählen, wenn ich zurück bin. Versprochen."

Dann machte er sich auf.

Nach Crimson Creek, Arizona.

*

Kitty "Pussy" Pride arbeitete im sogenannten ältesten Gewerbe der Welt. Und wenn sie die Augen schloss, dann machte ihr der Job sogar richtig Spaß.

Im Geiste malte sich Kitty dann aus, sie würde es mit einem dieser gutaussehenden Kerle tun, von denen es leider nicht genug in der Stadt gab. Die meisten ritten nur durch, nahmen drunten im Saloon vielleicht ein Glas oder zwei, aber danach machten sie sich wieder auf den Weg, zogen irgendwelchen Abenteuern entgegen.

Kitty Pride ritt im Moment zwar nirgendwohin, aber zumindest dem Gipfel der Lust entgegen. Parker Lewis, der sich unter ihr einen abstöhnte, mochte zwar ein feistes Gesicht und einen unübersehbaren Bauch haben, aber er war wenigstens ordentlich bestückt.

Kitty lehnte sich im Sattel seiner Lenden zurück, öffnete die Augen und starrte zur fleckigen Decke des Séparées hoch, während sie ihr Becken schneller kreisen ließ.

"Oh, Pussy!", ächzte der Bürgermeister in den Kissen des Bettes. "Ja, ja – reit mich!"

"Wohin du willst, mein wilder Hengst", gurrte Kitty. Sie beugte sich wieder vornüber, schloss die Augen und stützte sich mit beiden Händen auf Lewis' Brust ab. Jetzt bewegte sie sich auf und ab, und ihr fester, kleiner Hintern klatschte vernehmlich auf Parker Lewis' Oberschenkel.

Er fing an, tierische Laute von sich zu geben. Sein gutturales Geschrei törnte Kitty Pride an. Es passte so gar nicht zu den weichen Zügen des Bürgermeisters, viel besser zu dem Gesicht, das sich Kitty in Gedanken vorstellte.

Und so brachte sie schlussendlich das Kunststück zustande, gleichzeitig mit Parker Lewis zu kommen.

Dass der Bürgermeister sich diesen Verdienst selbst zugute schrieb, machte ihr nichts aus. Es gehörte zum Job.

Parker Lewis blieb noch ein paar Minuten schweratmend neben ihr liegen. Derweil gingen seine Finger auf Wanderschaft über die aufregende Hügel- und Tallandschaft von Kittys nacktem Körper.

"Das kostet extra, Bürgermeister", erklärte sie schließlich und rollte sich von ihm weg.

Er grunzte unwillig und kletterte aus dem Bett. Dann wollte er anfangen, sich anzuziehen.

"Erst wird bezahlt, Parker Lewis", erinnerte ihn Kitty Pride.

Der Bürgermeister nahm seine Hose und holte zwei Münzen, die er Kitty aufs Bett warf.

"Das ist ja nicht mal die Hälfte dessen, was ausgemacht war!", protestierte Kitty. "Für die paar Mücken schau ich nackte Kerle nicht einmal an! Geschweige denn, dass ich dafür Hand anlegen würde."

Parker Lewis versuchte ungeschickt, in seine Hose zu steigen.

"Mehr hast du nicht verdient, Pussy Pride", meinte er verächtlich. Offenbar war er vergrätzt darüber, dass Kitty die zweite Runde, zu der er ansetzen wollte, abgeblockt hatte. "Und außerdem: Vergiss nicht, wer ich bin!"

"Ja", knurrte Kitty Pride, "der größte Geizhals in der Stadt. Aber mit mir treibst du dein Spielchen nicht, Parker Lewis!"

Kitty Pride bewegte sich so schnell, dass Bürgermeister Lewis kaum sah, was sie tat.

Sie schnellte vom Bett, griff in der Bewegung unter die Matratze, dann war sie neben ihm, hakte ihr Bein um das seine, und ehe er sich versah, lag Parker Lewis flach und nackt auf den Bodendielen. Kitty Pride stand über ihm und ließ ihn in das kleine schwarze Auge eines winzigen Revolvers blicken. Und den spitzen Absatz ihres Stöckelschuhs, des einzigen Kleidungsstücks, das sie noch trug, spürte Lewis genau unterhalb seines besten Stückes, dort, wo er am empfindlichsten war, in jeder Hinsicht.

"Du wirst zahlen, Parker Lewis", behauptete Kitty Pride kaltlächelnd. Sie lupfte eine Augenbraue. "Entweder mit Geld oder – damit!" Sie verstärkte den Druck ihres Absatzes ein klein wenig.

Parker Lewis stöhnte auf und wollte sich zusammenkrümmen, doch damit bohrte sich Kittys Absatz nur noch tiefer in seine Weichteile.

"Bist du verrückt?", jaulte er.

"Ja, nach deiner Kohle", nickte Kitty. "Also, her damit!"

Blind tastete Parker Lewis nach seiner Hose, vorsichtig darauf bedacht, sich nicht allzu heftig zu bewegen. Dann wollte er in die Tasche fassen, doch Kitty beugte sich blitzschnell vor und riss ihm die Hose aus den Händen.

"Ich hab's mir anders überlegt", erklärte sie. "Ich behalte die ganze Hose mit allem, was drin ist." Sie blinzelte Lewis vergnügt zu.

"Das kannst du nicht –", wollte er sich ereifern.

Doch Kitty unterbrach ihn: "Ich kann eine ganze Menge, Parker. Nur eines kann ich leider nicht: sehen, wie du deiner Alten erklärst, warum du ohne Hose nach Hause kommst! – Los, aufstehen!"

Sie trat zurück und dirigierte den Bürgermeister mit vorgehaltener Waffe zur Zimmertür.

Parker Lewis verlegte sich aufs Betteln. "Kitty, bitte, tu mir das nicht an! Ich bin doch erledigt, wenn ich –"

"Hättest du dir eher den Kopf drüber zerbrechen sollen", meinte Kitty. "Bevor du ein anständiges Mädchen bescheißen wolltest."

"Anständiges Mädchen, ha!", keifte Lewis. Seine Stimmung schlug um. "Eine miese Hure bist du!"

"Erzähl das doch deiner Alten", erwiderte Kitty Pride. "Und vergiss nicht, ihr zu sagen, was du in all den Jahren mit diesen 'miesen Huren' getrieben hast, ja?"

Sie griff an Lewis vorbei, riss die Tür auf, und in derselben Bewegung versetzte sie dem Bürgermeister einen Tritt, der ihn nicht nur zum Zimmer hinaustaumeln, sondern auch die Treppe draußen hinunter stürzen ließ.

Kitty Pride warf die Tür zu und nickte grimmig.

"So behandelt eine Lady miese Freier!"

*

Zachary Drake schrie erschrocken auf!

Gerade wollte er durch die Schwingtüren in den Saloon "Rusty Gullet" treten, da wurde er von einem nackten Mann über den Haufen gerannt!

Miteinander stürzten sie vor dem Eingang auf die Bodenbretter des Sidewalks, der sich entlang der Gebäude die Straße hinabzog.

Zack ächzte unter dem Gewicht des Dicken, der nach Schweiß roch und sich glitschig wie ein Fisch anfühlte. Sein feistes Gesicht zitterte vor Aufregung, Wut und Angst in einem. Aus dem Saloon drang dröhnendes Gelächter.

Der Nackte rappelte sich auf, und während sich mehr und mehr Passanten nach ihm umdrehten und zu kichern begannen, rannte er den Sidewalk hinab, als sei der Teufel selbst hinter ihm her.

Zachary Drake kam auch wieder auf die Beine und klopfte sich den Staub von der Kleidung. Kopfschüttelnd sah er dem nackten Mann hinterher.

Das fing ja gut an…

"Seltsames Städtchen, dieses Crimson Creek", murmelte er. Dann betrat er den Saloon.

An den Tischen und an der Theke war der Nackte noch immer das Gesprächsthema Nummer eins. Zack schnappte seinen Namen auf und hörte, dass Parker Lewis wohl der Bürgermeister von Crimson Creek sei. Offenbar hatte ihn eine Hure, nackt wie er war, vor die Tür gesetzt und damit zur Witzfigur gemacht.

Hinter der Theke hob ein weißbeschürzter, glatzköpfiger Riese die Hand und rief etwas in Richtung des Klavierspielers. Der hieb daraufhin wieder in die Tasten, und sein Geklimper übertönte die Gespräche der Saloongäste.

Zack erdrängelte sich einen Platz am feuchten Tresen und orderte ein Bier, das ihm wortlos hingeschoben wurde. Während er einen Schluck davon nahm, ließ er den Blick umher schweifen.

So also sah ein Saloon im sogenannten Wilden Westen aus. Zack war nie in westlicher Richtung über sein Heimatstädtchen Pederson im Bundesstaat Illinois hinausgekommen, und als er sein Studium in Chicago angefangen hatte, war die Fahrt dorthin die bis dato weiteste Reise seines Lebens gewesen.

Geschichten über den Westen und Süden der Vereinigten Staaten hatte Zack bislang nur aus zweiter und dritter Hand erfahren. Jemanden, der selbst dort gewesen war, wo angeblich raue Sitten herrschten und ganze Männer gefragt waren, hatte er nie kennengelernt.

Und jetzt stand er auf einmal selbst am Anfang einer solchen Geschichte, steckte mittendrin im Wilden Westen.

Er wusste noch nicht, ob ihm das gefiel. Im Moment jedenfalls fühlte er sich nicht allzu wohl, weder in seiner Haut noch in der Gesellschaft der recht raubeinig wirkenden Männer um ihn her.

Dazugehörig jedenfalls fühlte er sich nicht. Obwohl niemand etwas tat, um ihm dieses Gefühl zu geben.

Die Männer im Saloon ignorierten ihn einfach. Sie bekamen sicher täglich Fremde zu Gesicht, die für ein paar Tage in Crimson Creek blieben oder nur auf der Durchreise waren. Warum also sollten sie sich für einen jungen Burschen in sauberer Kleidung und mit ordentlicher Frisur interessieren, der zudem noch grün hinter den Ohren schien und offensichtlich nichts wusste von dem, was richtige Kerle ausmachte?

Plötzlich hielt Zachary Drake gar nicht mehr soviel von seiner Idee, nach Crimson Creek zu reisen, um seinen Vater ausfindig zu machen. Aus der Ferne hatte das alles recht einfach ausgesehen. Zack hatte geglaubt, er müsse nur mit dem Foto seines Vaters hausieren gehen und seinen Namen nennen. Irgendjemand würde Shaun Connelly schon kennen und ihm weiterhelfen können. Vielleicht aber lief ihm dieser Shaun Connelly auch ganz einfach über den Weg, und er, Zack, würde ihn dann schon erkennen…

Aber so leicht würde es nicht werden. Das war Zack jetzt, da er hier war, klar. Crimson Creek war größer als er angenommen hatte, und es gab nachgerade unglaublich viele Leute hier.

Wie sollte er da einen einzelnen finden, von dem er nicht einmal sicher wusste, ob er überhaupt hier zu Hause war?

Und Fragen stellen… Ha! Zack sah sich unbehaglich um. Keiner der Männer ringsum sah aus, als wäre er scharf darauf, Fragen zu beantworten.

Zachary trank wieder von seinem Bier und verschluckte sich daran, als ihm eine süße Duftwolke den Atem nahm. Er hustete und lief rot an.

Jemand klopfte ihm hilfreich auf den Rücken, und eine belustigte Stimme flötete ihm ins Ohr: "Vielleicht solltest du erst mal ein Mann werden, bevor du wie ein Mann trinkst, Kleiner?"

Zack sah auf, krächzte ein "Thanks a lot" – und lief dann von neuem puterrot an.

Neben ihm stand ein Mädchen, dem die Brüste fast aus dem Ausschnitt zu hüpfen drohten. Ihr berüschtes Kleidchen reichte gerade mal bis knapp über ihren Hintern, und ihre Beine schienen Zack endlos.

Sie lachte und warf dabei den Kopf ein wenig zurück, so dass ihre blonden Korkenzieherlocken tanzten.

"Hast du dich sattgesehen, Süßer?", fragte sie dann und sah ihm so tief in die Augen, dass sich Zack beinahe nackt vorkam.

"T-tut mir leid, Miss", brachte er hervor. "Ich wollte nicht… ich meine, es ist ungehörig, so zu… ach, verzeihen Sie einfach, okay?" Er flüchtete sich in ein verunglücktes Lächeln.

"Tu dir keinen Zwang an, Kleiner", erwiderte sie. "Deshalb bin ich hier – zum Angucken…", sie reckte ihren Busen ein wenig vor, "…und zum Anfassen."

"Ach was?", entfuhr es Zachary ungläubig. Er merkte, dass er wie ein Idiot dreinsehen musste, und grinste wieder. Ein flüchtiger Blick in die fleckige Spiegelfront hinter der Theke zeigte ihm, dass er dadurch nicht viel besser aussah.

"Sag mal, wo kommst du denn her?", fragte die Schöne kopfschüttelnd. "Hast wohl von nichts eine Ahnung, wie?" Sie wollte sich abwenden.

"Sorry, Miss, ich –", versuchte Zack sie zum Bleiben zu bewegen.

Aber sie drehte sich auf den Ruf eines anderen Mannes hin um.

"Pussy!"

Die Stimme dröhnte so laut, dass sich die Blicke aller Anwesenden auf den Glatzkopf hinter der Theke richteten. Es wurde mucksmäuschenstill, nachdem selbst das Klavier mit einem Misston verstummt war.

Nur das Mädchen drehte sich nicht nach dem Glatzkopf um.

"Nenn mich nicht Pussy", zischte sie über die Schulter nach hinten. "Mein Name ist Kitty!"

"Ist mir scheißegal!", grollte der haarlose Riese. Sein mächtiger Arm schoss über den Tresen herüber. Er bekam Kitty an der Schulter zu packen und zerrte sie grob an die Theke heran.

"Dein Name, ob Pussy oder sonst wie, wird in diesem Haus nicht mehr fallen, kapiert?", fuhr er sie an. Seine Augen blitzten. Speichel sprüht ihm von den Lippen. "Was du dir mit Parker Lewis erlaubt hast, hat das Fass zum Überlaufen gebracht!"

"Das Schwein wollte mich um mein Geld bescheißen", erwiderte Kitty gelassen, obwohl der Griff des Glatzkopfs ihr wehtun musste. "Und damit wollte er auch dich bescheißen, Dobey. Schließlich kassierst du von uns Mädchen fünfundvierzig Prozent plus fünfundzwanzig Prozent als Zimmermiete, oder?"

Ein Raunen ging durch den Saloon. Zack hörte Ausdrücke wie "Abzocker" und "Ausbeuter". Irgendjemand begann laut zu rechnen: "Das sind ja… meine Fresse, 'ne verdammte Menge Dollars jedenfalls!"

Dobey, offenbar also der Besitzer des "Rusty Gullet", verfärbte sich. Sein blanker Schädel wurde dunkelrot wie eine reife Tomate.

"Bist du völlig übergeschnappt, du kleines Miststück?!", brüllte er dann. "Plauderst hier Geschäftsgeheimnisse aus! Dir werde ich zeigen, was…!"

Mit der einen Hand hielt er nach wie vor das Mädchen fest, mit der anderen holte er weit aus und schlug zu.

Sein Hieb hätte Kitty Pride ins Gesicht getroffen…

…hätte Zachary Drake nicht etwas getan, das er selbst kaum verstand.

Blitzschnell hatte er sein Glas genommen und Dobey das Bier ins Gesicht geschüttet!

Und Zack hörte sich selbst wie einen Fremden sprechen, als er sagte: "Aus welcher Kinderstube wurden Sie denn vorzeitig entlassen? Hat Ihnen niemand beigebracht, dass man Mädchen nicht schlägt?"

*

Im Saloon war es plötzlich so still, dass man die berühmte Stecknadel zu Boden hätte fallen hören. Niemand wagte auch nur zu atmen. Jeder stand starr, wie eingefroren. Auch Zachary Drake.

Dobey, der Saloonbesitzer, bewegte sich als Erster. Das Bier lief ihm noch vom Gesicht, als er seinen Blick Zack zuwandte.

"So?", meinte der Glatzkopf leise, gefährlich leise. "Mädchen schlägt man also nicht, wie?"

Irgendwie brachte Zack es fertig, den Kopf zu schütteln. "Nein, Sir, das tut man nicht."

"Und wie steht's mit Klugscheißern?", fragte Dobey.

Zack schluckte. "Wie…? Ich verstehe nicht ganz –"

"Klugscheißer!", wiederholte der Salooninhaber. "Wie schaut's mit denen aus? Darf man die schlagen?" Dobey verzog das Gesicht und tat so, als überlege er. Dann nickte er. "Ich glaube, ja. Ja, das darf man."

Er stieß das Mädchen davon. Seine riesige Faust schwang herum, auf Zachary zu.

Er wollte ausweichen, war aber viel zu langsam.

Dobeys Hand krallte sich in Zacharys Hemd. Scheinbar ohne besondere Anstrengung riss er ihn in die Höhe.

Und im nächsten Augenblick hatte Zack das Gefühl, zu fliegen. Es dauerte allerdings keine Sekunde lang, und die Landung war so hart wie schmerzhaft.

Dobey hatte ihn kurzerhand in das Flaschenregal hinter dem Tresen geschleudert. In einem Regen verschiedener Whiskey- und Schnapssorten und Glassplittern prallte Zack zwischen Theke und Wand zu Boden.

Und schon war der kahlköpfige Riese wieder über ihm und streckte die Hand nach ihm aus.

Zack kam es vor, als sei ihm jeder Knochen im Leibe gebrochen. Er wollte davon kriechen, aber jede Bewegung tat weh. Und außerdem war Flucht sowieso zwecklos. Er konnte Dobey nie und nimmer entkommen –

– wäre nicht Hilfe von unerwarteter Seite gekommen!

Ein Schatten raste von hinten auf Dobey zu. Und dann hing ihm Kitty Pride wie eine Raubkatze im Nacken und zerkratzte ihm mit den Fingernägeln das Gesicht und den blanken Schädel.

"Lass ihn in Ruhe, du Drecksack!", kreischte sie.

Dobey brüllte auf wie ein brunftiger Büffel und beugte sich ruckartig nach vorne. Kitty flog über ihn hinweg und landete in Zacks Nähe.

"Ihr seid beide Hackfleisch!", drohte er und wollte losstampfen.

Wieder flog etwas auf ihn zu. Eine Flasche zersplitterte an seinem haarlosen Kopf. Und irgendjemand schrie: "Lass die Hände von Kitty! Ich steh' nämlich auf das Wildkätzchen!"

Jenseits des Tresens ging noch mehr Glas zu Bruch. Weitere Stimmen wurden laut. Holz splitterte. Kampflärm brandete auf. Im Nu war eine Keilerei im Gang, an der offenbar jedermann im "Rusty Gullet" teilnahm.

Dobey schüttelte sich wie ein nasser Hund. Dann setzte er zum Sprung an. "Der nächste, der 'nen Stuhl oder Tisch kaputtmacht, ist ein toter Mann!", brüllte er und warf sich mit einem Satz über die Theke und mitten hinein in das Getümmel.

Zachary Drake konnte sein Glück kaum fassen. Er wollte nicht glauben, dass er mit dem Leben davongekommen war. Und er verstand noch immer nicht, welcher Teufel ihn vorhin geritten hatte, dass er den Helden spielen musste.

Er zitterte nach wie vor am ganzen Leibe. Als er aufstehen wollte, knickten ihm die Beine weg. Aufstöhnend sank er von neuem in die Splitter und die stinkenden Pfützen am Boden.

Dass ihm wenig später jemand beim Aufstehen behilflich war, merkte er erst, als er stand und über den Tresen hinweg in den Schankraum des "Rusty Gullet" sehen konnte.

Männer hatten sich regelrecht ineinander verkeilt. Stühle wurden geschwungen und zersplitterten. Gläser und Flaschen wurden als Wurfgeschosse benutzt.

"Runter!"

Jemand schrie Zack direkt ins Ohr, und im selben Augenblick spürte er, wie ihm mit einem raschen Tritt die Beine weggekickt wurden. Er stürzte abermals. Über ihm schlugen Flaschen wie Granaten in die Spiegelfront. Wieder regneten Splitter auf ihn herab.

"Halt den Kopf unten, Kleiner", hörte er die Stimme wieder.

Zack drehte sich im Liegen um und sah in ein geradezu strahlendes Lächeln.

"Sie?", machte er erstaunt. "Ich meine… danke, vielen Dank, Miss Pu…"

"Ah!", unterbrach ihn das Mädchen warnend. "Nenn mich nicht Pussy, Kleiner. Der Name stinkt. Ich heiße Kitty, klar?"

"Klar, Kitty. Und danke, Kitty."

"Ich habe zu danken. Dobey hätte mir glatt den Kopf von den Schultern geschlagen, wenn du nicht eingegriffen hättest, Jungchen. War verdammt mutig."

"Och", winkte Zack geschmeichelt ab, "halb so wild. War mir eine Ehrensache."

Kitty Pride zwinkerte ihm zu. "Sicher doch. Und jetzt komm endlich!"

Auf allen vieren krabbelte sie hinter der Theke davon. Zack folgte ihr und sah dabei vorsichtig nach oben, um sich zu vergewissern, dass von dort keine Gefahr drohte. Als Kitty plötzlich verhielt, prallte er gegen ihren strammen Hintern.

"Oh, sorry", sagte er, obwohl es ihm überhaupt nicht leid tat. Im Gegenteil nahm er den Blick nicht mehr von Kittys Kehrseite, die in einem winzigen Höschen steckte.

"Hilf mir", verlangte Kitty und rückte zur Seite.

In den Boden war eine quadratische Klappe eingelassen. Mittels eines Eisenringes ließ sie sich hochziehen. Das taten sie mit vereinten Kräften. Darunter führte eine Trittleiter ins Dunkle. Abgestandene Luft quoll herauf.

"Der Lagerkeller", erklärte Kitty. "Es gibt einen zweiten Ausgang, der zum Hinterhof führt."

Und damit schwang sie ihre Beine auch schon in die Luke hinein und machte sich an den Abstieg.

Zachary kletterte ihr mit schmerzverzerrtem Gesicht nach und ließ sich von ihr durch die muffige Finsternis führen. Dabei hielt er ihre Hand ein wenig fester, als es hätte sein müssen. Und als ihre im Dunkeln umhertastende Hand seinen Schritt streifte, ertappte er sich bei dem heimlichen Wunsch, die Berührung wäre kein Zufall gewesen.

"Holla!", rief Kitty. "Hast du da 'ne Kanone in deiner Hose versteckt, oder freust du dich, bei mir zu sein?"

Daraufhin wurde Zacks Hose noch eine Nummer enger…

Nach einer Weile fanden sie den Ausstieg ins Freie. Sie standen im Geviert des Hinterhofs, aus dem eine verzogene Brettertür hinausführte. Kisten und Fässer stapelten sich entlang der Wände doppelt mannshoch und höher. Überall lag Müll, in dem es raschelte und wuselte.

"Pfui Teufel!", entfuhr es Zachary. "Ratten!"

"Ja, Ratten." Kitty grinste. "Dobeys haarige kleine Brüder."

"Lass uns verschwinden", schlug Zack vor.

"Gute Idee", meinte Kitty. "Nur – wohin?"

"Ich habe ein Zimmer drüben im 'Rest yer Soul'", antwortete Zachary, "und Sie werden doch auch irgendwo eine Wohnung haben, oder?"

Kitty Pride lächelte schief und blickte an der rückwärtigen Fassade des Saloons hoch. "Ich hatte eine Wohnung. Aber ich schätze mal, Dobey hat mir gerade gekündigt – den Job und das Zimmer."

"Oh", machte Zack. "Das tut mir leid."

Kitty winkte ab. "Ach, halb so wild. Ich werde schon was finden, wo ich unterschlüpfen kann."

Zack lachte auf, bereute es aber sogleich, weil ihm der Brustkorb wehtat.

"Was ist denn so lustig?", fragte Kitty.

"Vielleicht sollten Sie Parker Lewis fragen, ob Sie bei ihm wohnen können", meinte er und hielt sich die Rippen. "Er müsste ja Platz haben. Seine Frau wird wohl ausgezogen sein, nachdem er ohne Hose heimgekommen ist."

Kitty Pride lachte glockenhell. "Das kann sein. Aber ich schätze, unser Bürgermeister ist zu schlecht auf mich zu sprechen, als dass er mir Logis gewähren würde." Sie legte die Stirn nachdenklich in Falten. "Wenn ich es mir recht überlege, sollte ich Crimson Creek vielleicht besser verlassen. Immerhin habe ich jetzt schon zwei Feinde hier, mit denen nicht zu spaßen ist: Parker Lewis und Dobey."

"Und mindestens einen Freund", warf Zachary zaghaft ein.

"Ach ja?"

Zack lächelte schüchtern.

"Oh", machte Kitty. "Das ist nett. Aber ich fürchte, du kannst mir nicht weiterhelfen, Fremder…"

"Oh, verzeihen Sie, ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen. Wie unhöflich von mir." Er reichte Kitty die Hand. "Zachary Drake. Zack für Freunde."

"Okay, Zack", nickte Kitty und schlug ein. "Aber wie gesagt, du kannst wohl kaum etwas für mich tun. Du bist ja nicht aus der Stadt."

Zack hob die Schultern. "Aber ich habe eine Bleibe. Mit Etagenbad! Und eine Wäsche hätten wir jetzt beide nötig, glaube ich." Er schnupperte bezeichnend an seinen Kleidern, die nach Fusel jeglicher Art stanken. Genau wie Kittys knappes Kleidchen.

Sie lächelte kopfschüttelnd. "Danke fürs Angebot. Aber ich glaube nicht, dass Big Mama zulassen wird, dass du ein Mädchen von meiner Sorte mit aufs Zimmer nimmst. Im Gegensatz zu diesem Laden", sie wies mit dem Daumen auf den Saloon, "ist das 'Rest yer Soul' nämlich wirklich ein anständiges Haus."

"Glauben Sie etwa, ich würde in dem Aufzug an Big Mama vorbeigehen wollen?" Zack schüttelte den Kopf. "Bestimmt nicht. Aber ich denke, dass das Hotel auch sowas wie einen solchen Hintereingang haben dürfte." Er deutete auf die Kellerluke, aus der sie eben geklettert waren. "Und ich nehme an", er blinzelte Kitty verschwörerisch zu, "dass Sie diesen Geheimweg in das Hotel kennen. Weil Sie ihn gewiss schon benutzt haben, um sich an Big Mama vorbeizuschleichen, weil der eine oder andere Hotelgast Sie auf sein Zimmer eingeladen hat, stimmt's?"

"Oho." Kitty zog anerkennend die Augenbrauen hoch. "Helles Köpfchen!"

Zachary nickte und grinste. "Tja, hat sich eben gelohnt, in der Schule immer am Fenster zu sitzen."

*

Unruhig trat Zachary Drake von einem Fuß auf dem anderen. Nicht nur, weil er Wache schob und fortwährend den Korridor hinauf- und hinabschaute, in der Hoffnung, dass weder die Hotelbesitzerin Big Mama noch eines ihrer Dienstmädchen kam und neugierige Fragen stellte. Zack war vor allem nervös, weil er Kitty Pride jenseits der Badezimmertür wusste – und weil seine Phantasie sich ohne Unterlass ausmalte, wie sie da splitterfasernackt im Wasser planschte.

Zack korrigierte sich in Gedanken: Er hoffte nicht nur, dass niemand kam, um unliebsamen Fragen aus dem Wege zu gehen. Inzwischen hoffte er es in erster Linie, weil das Handtuch, das er um die Hüften geschlungen hatte, eine Beule zeigte, als wüchse darunter eine Riesennase.

"Beeil dich", zischte er, an die Tür gelehnt.

"Bin schon fertig", gab Kitty von drinnen zurück. "Kannst schon reinkommen."

Zack drückte die Tür auf und schlüpfte durch den Spalt, dann schob er sie leise wieder zu und legte den Riegel vor.

Kitty stieg gerade aus der Zinkwanne. Wasser rann an ihrer Haut entlang wie flüssiges Silber und verzweigte sich in der Landschaft ihrer Kurven wie winzige Bäche.

Rasch drehte sich Zachary um und wandte Kitty den Rücken zu.

Er hörte sie kichern.

"Keine Sorge, Kleiner", meinte sie. "Das ist nichts, wofür du dich schämen müsstest. Ganz im Gegenteil…"

Zack räusperte sich unbehaglich. "Sei vorsichtig, wenn du ins Zimmer zurückgehst, okay?"

"Klar doch. Ich habe Erfahrung im Einschleichen. Das hast du ja selbst schon ganz treffend vermutet."

Kitty strich an ihm vorbei, so dicht, dass er ihre samtene Haut auf seinem nackten Rücken spüren konnte. Er schauderte, und seine Knie wollten weich werden. Ihren Duft nach Blüten roch er noch, nachdem sie das Badezimmer verlassen hatte.

Zack schöpfte einen Großteil des Badewassers mittels eines Eimers zum Fenster hinaus, dann ließ er frisches Wasser, das in einem holzbefeuerten Boiler erhitzt wurde, in die Wanne und sank hinein. Das warme Wasser tat seinem geschundenen Körper gut und linderte die Schmerzen.

Er schrubbte sich am ganzen Körper und ertappte sich dabei, dass er sein bestes Stück länger und gründlicher wusch als sonst. Es fühlte sich einfach zu gut an., und wenn er die Augen schloss, dann –

"Mister?!"

Verdammt, die Tür war nicht mehr verriegelt gewesen, nachdem Kitty hinausgegangen war! Und jetzt stand Big Mama im Türrahmen, den sie – ihrem Namen alle Ehre machend – zur Gänze ausfüllte. Die Augen hatte sie weit aufgerissen, ihr Mund formte ein perfekt gerundetes O und ihr Blick hing wie gebannt an dem, was Zachary, in der Wanne liegend, mit Hingebung gerubbelt hatte – und was jetzt in Sekundenschnelle an Größe verlor.

Big Mamas Mund schloss sich. Vor Enttäuschung wohl.

"Ma'am?", brachte Zachary hervor und versuchte vergeblich, sich im Badewasser zu verkriechen. "Was kann ich für Sie tun?"

Einen Moment lang noch ruhte Big Mamas Blick auf der ungefähren Mitte der Wanne, wo eben noch eine imposante 'Landzunge' aus dem Wasser gelugt hatte, und sie schien sagen zu wollen: Damit? Nichts mehr. Leider…

Tatsächlich aber sagte sie: "Ich wollte nur sehen, wer das Badezimmer so lange benutzt." Eine steile Unmutsfalte erschien auf ihrer blassen Stirn.

Zack lächelte entschuldigend. "Ich war sehr, sehr schmutzig, wissen Sie?"

"Und Sie wissen hoffentlich, dass die Wannenbenutzung extra in Rechnung gestellt wird."

"Oh. Wieviel kostet so ein Bad denn?", fragte Zack beunruhigt. Er war zwar nicht pleite, aber auch kein reicher Mann. Die weite Fahrt per Zug und Kutsche nach Crimson Creek hatte ein gut Teil des Geldes, das ihm seine Mutter hinterlassen hatte, aufgezehrt.

"Muss ich mir noch überlegen", erwiderte Big Mama und verbesserte sich dann rasch: "Ich meine, muss ich nachsehen. In der Preisliste, Sie verstehen?"

"Sicher", meinte Zack. "Wenn Sie dann bitte die Güte hätten, die Tür zu schließen? Ich möchte nicht, dass mein teures Wasser kalt wird, Sie verstehen?"

"Bloß nicht frech werden", grummelte Big Mama, trollte sich aber.