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**Wenn man einen Traum aufgibt, erfüllt sich ein anderer** Sadie weiß ganz genau, wie sehr die Liebe Herzen brechen kann, und möchte ihr eigenes vor diesem Schmerz bewahren. Als sie ihre Profikarriere im Eiskunstlauf aufgibt und in ihre Heimatstadt Winterfields zurückkehrt, hat sie jedoch nicht mit ihrem früheren besten Freund Colin gerechnet. Dieser ist mittlerweile ein bekannter Koch-Influencer und sie drehen prompt zusammen ein Video für seinen Kanal Cooking with Colin. Während sie mit seiner Unterstützung ihren neuen Weg als Eiskunstlauf-Lehrerin für den Nachwuchs findet, stärkt das Wiedersehen auch seine Leidenschaft für das Kochen. Mit jedem weiteren Aufeinandertreffen kommen Sadie und Colin einander so nah wie noch nie, doch für Sadies Herz könnte es gefährlich werden ... Diese Ex-Best Friends to Lovers-Geschichte im verschneiten Colorado ist perfekt für Fans von Sports Romances und Good-Guy-Bookboyfriends. //»Where Hearts Are Melting« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.// Textauszug "Egal, was der Grund dafür ist, dass du zurückgekommen bist und diesen Job angenommen hast: Ich finde immer noch, dass du die beste Eiskunstläuferin der Welt bist." Wärme breitet sich trotz der kalten Temperaturen der Halle in meiner Brust aus. Das Blut schießt mir in die Wangen und ich verdrehe die Augen. "Oh, hör auf. Ich werde gerade schon wieder rot wie eine Tomate, oder?" "Eine ziemlich hübsche Tomate. Das erinnert mich an das Shakshuka, das ich zu Hause noch im Kühlschrank habe."
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Fabienne Lily
Where Hearts Are Melting
*Wenn man einen Traum aufgibt, erfüllt sich ein anderer**
Sadie weiß ganz genau, wie sehr die Liebe Herzen brechen kann, und möchte ihr eigenes vor diesem Schmerz bewahren. Als sie ihre Profikarriere im Eiskunstlauf aufgibt und in ihre Heimatstadt Winterfields zurückkehrt, hat sie jedoch nicht mit ihrem früheren besten Freund Colin gerechnet. Dieser ist mittlerweile ein bekannter Koch-Influencer und sie drehen prompt zusammen ein Video für seinen Kanal Cooking with Colin.Während sie mit seiner Unterstützung ihren neuen Weg als Eiskunstlauf-Lehrerin für den Nachwuchs findet, stärkt das Wiedersehen auch seine Leidenschaft für das Kochen. Mit jedem weiteren Aufeinandertreffen kommen Sadie und Colin einander so nah wie noch nie, doch für Sadies Herz könnte es gefährlich werden …
Buch lesen
Vita
Playlist
Danksagung
© privat
Fabienne Lily wurde im Jahr 2000 in einer Kleinstadt in Bayern geboren. Seit sie denken kann, plant sie täglich neue Geschichten und bringt sie zu Papier. Wenn Fabienne nicht mit einer Tasse Tee am Schreibtisch sitzt, versinkt sie in Büchern, Videospielen, bloggt über ihre Lieblingsbücher auf Instagram und TikTok oder streichelt irgendwo eine Katze.
Für alle, deren Herzen selbst im kältesten Winter lichterloh brennen.
You Are In Love (Taylor’s Version) – Taylor Swift
Let It Snow! Let It Snow! Let It Snow! – Frank Sinatra
I’m a Mess – Ed Sheeran
Dancing With Your Ghost – Sasha Sloan
mirrorball – Taylor Swift
invisible string – Taylor Swift
we can’t be friends (wait for your love) – Ariana Grande
Sweet Creature – Harry Styles
1 step forward, 3 steps back – Olivia Rodrigo
Run to You – Ocie Elliott
You’re Gonna Go Far – Noah Kahan
Snowman – Sia
The Very First Night (Taylor’s Version) – Taylor Swift
Nachdem ich meinen Koffer aus dem Toyota gehievt habe und festgefrorener Pulverschnee unter meinen cremefarbenen Boots knackt, weiß ich, dass ich zu Hause bin.
Das Eis gibt unter meinen Schuhsohlen nach und ein kühler Wind spielt mit meinen Haaren, die in der Nachmittagssonne golden schimmern. In meinem dicken Strickpullover und dem gefütterten rosa Mantel ist mir beim Gepäckschleppen fast schon ein bisschen zu warm. Das Gefühl wird allerdings nicht lange anhalten. Bei der Erinnerung an Winterfields sind mir beim Anziehen sofort die verschneiten Berge, zugefrorenen Seen und Schneehaufen an den Straßenrändern eingefallen. Auch jetzt strahlen die Winterfields Highlands und der Windvein Mountain, der größte Berg hinter der Stadt, in einem grellen Weiß. Der Anblick hat zum Glück überhaupt nichts mit dem ekligen Schneematsch in Bostons Straßen zu tun. Winterfields ist der Ort, an dem zu dieser Jahreszeit sämtliche Weihnachts-RomComs gedreht werden könnten. Boston war zuletzt nur trist und grau.
Du warst viel zu lange weg, Sadie.
Seltsamerweise klingt die anklagende Stimme in meinem Kopf wie die meiner großen Schwester Serena. Ich habe bei unseren Telefonaten irgendwann aufgehört, mitzuzählen, wie oft sie die Frage gestellt hat, wann ich endlich wieder in die Heimat komme. Irgendwann habe ich aus Selbstschutz keine gedankliche Strichliste mehr darüber geführt, wie viele Einladungen ich abgelehnt und wie viele Treffen ich kurzfristig abgesagt habe.
Mein Uber-Fahrer fährt los und lässt mich allein am Straßenrand zurück. Um die dünnen Stämme der Bäume an den Einfahrten herum wurden Lichterketten gewickelt, die beim Einbruch der Dunkelheit ein sanftes Licht spenden werden. Eine Wärme breitet sich beim Anblick der Straße, in der ich aufgewachsen bin, in mir aus und erfüllt meinen Bauch mit einem Gefühl wie heiße Milch mit Honig. Etwas, womit ich nicht gerechnet habe. Ich habe nach all den Jahren eher ein Gefühl von hochprozentigem, brennendem Schnaps in meinem Magen vermutet.
»Tante Sadie!«
Überrascht drehe ich mich zu dem Haus mit den holzvertäfelten Außenwänden, dem rauchenden Schornstein und den Sprossenfenstern. Ein achtjähriges Mädchen mit blonden Locken springt die Treppe der Veranda hinunter und rennt mit ausgebreiteten Armen direkt auf mich zu. Sie trägt ein hellblaues Latzkleid, weiße Hausschuhe, eine geringelte Strumpfhose und passt farblich damit perfekt in die winterliche Szenerie. Ich grinse, gehe in die Hocke, fange sie auf und schließe sie herzlich in die Arme.
»Hallo, Holly.«
Meine Nichte schlingt ebenfalls die Ärmchen um mich und drückt so fest zu, wie sie nur kann. »Endlich bist du da! Ich hab dich sooo vermisst! Ich muss dir so viel erzählen! Ich habe eine neue Lehrerin und mein neuer Banknachbar ist echt cool! Gestern waren wir zusammen Schlitten fahren und durften danach sogar heiße Schokolade trinken. Hast du mich eigentlich auch vermisst?«
»Ich hab dich natürlich vermisst, Pancake«, murmle ich in ihre Haare und schließe für einen winzigen Moment die Augen. »Du bist so groß geworden! Hast du fleißig dein Gemüse aufgegessen?«
Holly kichert und nickt eifrig. »Jaaa! Und Kekse. Aber das darfst du Mommy nicht verraten.«
»Das werde ich nicht. Keine Sorge. Das bleibt unser Geheimnis.« Langsam lasse ich sie wieder los. Holly ist eines der Dinge, die ich in Boston am meisten vermisst habe. Ich richte mich auf und fahre ihr durch die Engelslöckchen. Als ich sie fragen will, ob sie mir beim Tragen hilft, erklingt aus der Nähe aufgeregtes Hundegebell. Eine Dalmatinerdame mit großen schwarzen Ohren springt an mir hoch und begrüßt mich schnüffelnd, hechelnd, schleckend und bellend.
Lachend kraule ich ihr die Ohren. »Hey, Crumpet. Wie geht’s dir?«
Als hätte sie meine Frage verstanden, bellt sie zweimal hintereinander und leckt mir anschließend wieder ausgiebig den Handrücken ab. Schmunzelnd streichle ich ihr über den Kopf.
»Scheint so, als hättest du mich auch sehr vermisst.«
In diesem Moment taucht Serena auf. Meine Schwester steht im Rahmen der Haustür und sieht mit einem müden Lächeln auf den Lippen zu mir herunter. Ihr blondes Haar, das eine Nuance dunkler als meines ist, wirkt stumpf und ist unordentlich zu einem Dutt verknotet. Die Brille auf ihrer Nase sitzt schief und auf ihrem T-Shirt befindet sich irgendein rotbrauner Fleck. Auf ihrem Arm sitzt der kleine Eric, klammert sich an seiner Mommy fest und vergräbt das Gesicht schüchtern an ihrer Schulter. Ich könnte schwören, dass er seit dem letzten Mal, als ich ihn live in Person vor mir gesehen habe, das doppelte an Körpergröße dazugewonnen hat.
»Hey, da bist du ja!«, ruft mir meine Schwester zu. »Tut mir leid, dass ich dich nicht vom Flughafen abholen konnte. Hattest du einen guten Flug? Wie viel hat dein Uber gekostet? Ich übernehme das.«
»Das musst du nicht. Jetzt bin ich ja da.« Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Dass ich wieder hier in Colorado stehe, erzeugt in mir einen wahren Gefühlscocktail. Angst wegen des neuen Jobs, Vorfreude, Glücksgefühle, Erleichterung, Frieden – alles strömt gleichzeitig durch meinen Körper. Ich bin aufgeregter als vor meiner allerersten Meisterschaft. Mit der einen Hand greife ich nach meinem Trolley, die andere lege ich Holly auf die Schulter.
»Sicher?«, fragt Rina.
»Ganz sicher. Mach dir deswegen keine Sorgen.«
Gemeinsam steigen wir die Stufen zum Eingang hinauf, dicht gefolgt von Crumpet, die immer noch überglücklich darüber zu sein scheint, dass ich nach einer halben Ewigkeit wieder aufgetaucht bin.
Sobald wir über die Türschwelle getreten sind, Serena Eric im Flur auf dem Boden abgesetzt hat und die Holztür hinter uns ins Schloss schnappt, zieht mich meine Schwester an ihre Brust. Sie umarmt mich so fest, dass mir für ein paar Sekunden die Luft ausgeht. Ich erwidere ihre Umarmung mindestens genauso intensiv und versuche, ihr so zu verstehen zu geben, dass ich jetzt für sie da bin und sie das alles nicht mehr allein stemmen muss. Unter all die Gefühle, die sowieso schon in mir schlummern, mischt sich jetzt auch noch Wut.
Wut, die sich ungeteilt gegen Oliver James, meinen Ex-Schwager, richtet. Serenas Noch-Ehemann, Vater von Holly und Eric und der Mistkerl, der nach acht Jahren Ehe die Scheidung eingereicht hat, weil er plötzlich keine Gefühle mehr für seine Ehefrau hatte und neu verliebt ist. Ich kann nur erahnen, wie es in Serenas Kopf und vor allem in ihrem Herzen zugeht, und verstärke den Griff um sie nur noch mehr. Dass Oliver meine Schwester verlassen hat, tut mir nicht nur für sie und die Kinder leid. Auch für mich ist es schwer, ihm nicht länger hier zu begegnen. Sonst hat sein Lachen immer das ganze Haus erfüllt. Jetzt ist da nur erdrückende Stille.
Serena lehnt sich in meine Arme. Lässt für einen kurzen Augenblick Schwäche zu. Doch dann fängt sie sich wieder, zieht sich von mir zurück und lächelt tapfer. »Hast du Hunger? Wir haben noch Spaghetti vom Mittagessen übrig.«
Ich schüttle den Kopf, weil Essen gerade das Letzte ist, an das ich denken kann. Außerdem liegen die Stärken und Talente meiner Schwester weit außerhalb der Küche. »Nein danke. Ich hab im Flugzeug gegessen.«
Sie legt die Stirn in Falten. »Du ziehst diesen ekligen Fraß meinen legendären Spaghetti Bolognese vor? Ich hab sogar Soja-Hack für dich benutzt.«
»Ja«, gebe ich mit einem halben Lachen zurück. »Vielleicht bin ich nach acht Stunden Flug aber auch echt fertig und habe keinen Hunger. Trotzdem danke, dass du an mich gedacht hast.«
Serena sieht mich an, als wolle sie mich doch noch einmal für ihre Pasta begeistern, spart sich dann aber doch den Kommentar. »Ich bin wirklich froh, dass du hier bist.«
»Ich weiß«, forme ich mit meinen Lippen, damit die Kinder es nicht direkt mitbekommen. »Ich bin auch froh. Und ich bin für dich da. Egal, was passiert.«
Sie sieht zu Holly und Eric hinunter, die uns mit großen Augen beobachten, und schenkt ihnen ein liebevolles Lächeln. »Wie wäre es, wenn ihr zwei schon mal spielen geht und wir später nachkommen und euch ein bisschen Obst mitbringen?«
Beide Kinder nicken, nehmen sich bei den Händen und verschwinden nach oben.
»Hey! Auf der Treppe wird nicht gerannt!«, ruft Serena ihnen hinterher, ehe sie mit einem Nicken auf die geöffnete Küchentür zeigt. »Komm, ich brauche dringend einen Kaffee.«
Auf dem Weg in die Küche bahnt sich in mir ein kleines Lachen an, das mir im Halse stecken bleibt, sobald ich ihren ernsten Gesichtsausdruck bemerke. »Wie geht es dir?«, will sie wissen.
Sie macht sich am Kaffeevollautomaten zu schaffen und wirft mir einen besorgten Blick zu.
»Das sollte ich viel eher dich fragen. Du bist diejenige, die gerade ihre langjährige Beziehung und Ehe verloren hat und sich allein um zwei Kinder kümmern muss.« Ich setze mich auf die Arbeitsplatte, stütze mich mit den Händen links und rechts an der Kante ab und sehe ihr dabei zu, wie sie zwei Tassen mit kleinen Schneeflöckchen aus einem Hängeschrank holt und die Kaffees einlaufen lässt.
»Und du bist diejenige, die ihr Studium geschmissen, in Boston alle Segel abgebrochen hat und nach drei Jahren an einen Ort zurückgezogen ist, an dem sie nie wieder sein wollte. Was hast du dir nur dabei gedacht, Sadie?«
»Ach«, sage ich beruhigend und winke ab. Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass es in meinem Inneren genauso aussehen würde. »Ich hab sowieso gemerkt, dass ich das nicht länger machen will.« Es klingt wie eine beiläufige Bemerkung. Dabei steckt mehr dahinter. So. Viel. Mehr.
»Ich weiß, das hast du am Telefon erwähnt. Aber … Es war immer dein großer Traum. Du hast dir dein halbes Leben lang den Hintern dafür aufgerissen. Du wolltest zu den Olympischen Spielen. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du das einfach so aufgibst. Du warst so kurz vorm Ziel. Du hättest nächstes Jahr deinen Abschluss machen können!«
Ihre Worte bereiten mir ein unangenehmes Magenziehen. Mein großer Traum. Klar. Schnell schüttle ich den Gedanken ab und packe ihn in eine Kiste, die ich erst morgen wieder auskramen werde. Frühestens.
»Wie gesagt. Ich wusste schon die ganze Zeit, dass es nicht länger das Richtige für mich ist. Wirklich«, sage ich knapp und lächle sie an. »Dass du mich brauchst, war bloß der letzte Stoß, den ich benötigt habe, um es durchzuziehen.«
»Ich habe nie gesagt, dass du kommen musst. Du weißt, dass ich dich bei allem unterstütze. Aber das war wirklich dumm von dir.«
»Ich weiß, dass du mich nicht darum gebeten hast. Ich lasse dich aber nicht im Stich. Mom und Dad sind so weit weg. Wir haben nur uns beide und deswegen gibt es keine Widerrede.«
Serena stellt mir einen Kaffeebecher hin und lehnt sich mit dem anderen in der Hand gegen die Theke. »Du lässt nicht mehr mit dir reden, hm?«
»Nein. Das Thema habe ich abgehakt. Also? Wie geht es dir?«
»Furchtbar«, gesteht sie und sieht in ihre Tasse. Der Kaffee dampft und verströmt einen aromatischen Duft in der gesamten Küche. »Wir hatten vor zwei Wochen einen Termin beim Anwalt. Damit ist die Scheidung offiziell eingereicht. Oliver hat seine Beziehungen spielen lassen und dafür gesorgt, dass alles so schnell wie möglich über die Bühne geht.« Sie lacht bitter auf und klammert sich an ihrer Tasse fest.
»Es tut mir wirklich leid, dass es so gekommen ist. Ich verstehe, dass es dir schlecht geht und du immer noch an ihm hängst. Aber wenn eine einzige andere Frau ausreicht, dass er mehr als ein Jahrzehnt mit dir einfach wegwirft, hat er dich gar nicht verdient. Kenne deinen Wert, Rina.«
»Weißt du, was das Schlimmste an der ganzen Geschichte ist? Ja, mein Herz ist gebrochen und ich könnte jede Sekunde losheulen, weil mich der Mann, den ich liebe, verlassen hat. Aber am meisten tun mir die Kinder leid. Oliver holt sie zwar an den Wochenenden zu sich, aber es ist für sie natürlich etwas ganz anderes, als ihren Dad jeden Tag zu sehen.« Tränen schimmern in ihren hellbraunen Augen. »Es gibt sonntagmorgens keine Pancakes mehr. Es ist niemand mehr da, der sie mit zum Eishockey-Training nimmt, und keiner, der immer einen lustigen Spruch parat hat, wenn einer von ihnen traurig ist. Im Gegenteil. Wenn ich etwas sage, habe ich manchmal das Gefühl, dass ich alles nur noch schlimmer mache.«
Ich stelle meine Kaffeetasse neben mich auf die Theke und schließe Serena in eine aufmunternde Umarmung. Sie stößt ein überraschtes Röcheln aus, stellt ihre Tasse dann aber zur Seite und schlingt ihre Arme um mich.
»Ich hab Angst, dass ich das allein nicht schaffe, weißt du? Niemals hätte ich gedacht, dass ich mal eine alleinerziehende Mutter sein werde. Zwischen Oliver und mir lief es seit der Highschool immer perfekt.« Ihre Stimme ist dünn und bricht bei den letzten Worten. Mein Herz setzt ein paar Schläge aus, bevor es wieder doppelt so schnell losstolpert. Sie so zu sehen, zerfrisst mich innerlich. Schon bei unseren Telefonaten und ihren Zusammenbrüchen musste ich oft selbst mit den Tränen kämpfen. Nicht nur, weil sie mir leidtut. Auch weil es für mich keinen Sinn ergibt, dass Oliver von heute auf morgen kein Teil ihres Lebens mehr sein soll. Meines Lebens.
»Noch mal. Du bist nicht allein, Rina. Du hast mich und ich werde dich unterstützen, wo ich nur kann. Ich werde dich nicht hängen lassen. Nie. Sag mir, was du brauchst, und ich werde es dir holen. Sag mir, wobei ich dir helfen soll, und ich werde es tun. Ich werde so lange hier im Haus bleiben, wie du mich brauchst. Ich werde mir erst eine eigene Bleibe suchen, wenn es dir besser geht. Keinen Tag früher.«
Serena hebt den Kopf und sieht mich dankbar an. »Du bist zu gut für diese Welt, weißt du das?«
»Ich versuche nur zu helfen.«
Rina schnalzt leise mit der Zunge. »Oh, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Bescheidenheit, Sadie.«
»Sorry. Ich –«
»Danke«, unterbricht sie mich, bevor ich widersprechen kann.
»Nicht dafür.« Ich lasse von Serena ab, schenke ihr einen mitfühlenden Blick und schnappe mir dann meinen Kaffee. Gierig trinke ich einen Schluck, um meine trockene Kehle zu befeuchten. Lasse die heiße Flüssigkeit meinen Hals hinunterrinnen und sehe gedankenverloren zum Küchenfenster. Kann ich mir auch selbst helfen, wenn mich alle in dieser Stadt krumm ansehen werden, weil ich es zu nichts gebracht habe und gescheitert bin? Weil ich zurückgekommen bin, ohne etwas Großes zu erreichen, wie es geplant war?
Innerhalb der zwei Jahre, in denen ich schon bei Barney’s Burgers arbeite, habe ich mich immer noch nicht entschieden, ob ich meinen Job lieben oder hassen soll. Einerseits habe ich hier im entferntesten Sinne etwas mit dem zu tun, was ich später mal machen will (Kunden mit Essen erfreuen, vielleicht sogar mein eigenes Restaurant in Winterfields eröffnen). Auf der anderen Seite haben Fries, fettige Burger und pappsüße Milkshakes so rein gar nichts damit gemeinsam.
Das wird mir vor allem jetzt wieder bewusst. Mit einer Sprühflasche und einem schmierigen Lappen versuche ich, die Ketchupflecken und die ausgelaufene Burgersoße von dem Tisch abzuwischen, die die letzten Kunden dort hinterlassen haben. Ich unterdrücke ein Augenrollen und sehe zum Fenster, wo die Familie mit den drei kleinen Kindern, die bis eben auf den roten Lederbänken gesessen haben, die Straße überquert. Die beiden Mädchen hüpfen lachend durch den geschippten Schnee auf dem Gehweg, während die Mutter dem Jüngsten die Nase mit einem Taschentuch abputzt. Meine Wut verraucht und ich wende den Blick ab. Nur einen winzigen Moment lang gewähre ich dem Schmerz, in meiner Brust zu stechen, bevor ich mich wieder zusammenreiße und meine Arbeit fortsetze.
Barney trällert aus der Küche irgendeinen Whitney-Houston-Song, dessen Melodie im Radio zu erahnen ist. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, dass er jeden Tag inbrünstig Love Songs beim Burger-Braten und Kartoffeln-Frittieren schmettert. Anfangs ist mir das aber echt nicht leichtgefallen.
Die Glocke an der Eingangstür kündigt einen neuen Kunden im Diner an. Ich stehe mit dem Rücken zur Tür und beuge mich immer noch über den Tisch, weil die ausgelaufene Burgersoße echt hartnäckig ist und überall klebt. Ich wische jede einzelne Soßenflasche ab, beseitige schnell den Rest der Sauerei und stelle den kleinen Eimer mit Wasser und Putzutensilien auf der Theke ab. Erst danach setze ich mein bestes Trinkgeldlächeln auf, wie Barney es immer nennt, und wende mich dem neuen Kunden zu.
Es ist eine junge Frau mit langen blonden Haaren. Sie hat sich die Karte geschnappt und hält ihren Blick hoch konzentriert darauf gerichtet. Währenddessen fallen ihr ihre Wellen wie ein goldener Vorhang über das Gesicht und verdecken es fast vollständig. Ich will ihr sagen, dass sie unbedingt den neuen Burger mit Zwiebeln und Champignons ausprobieren muss – auch wenn er noch besser schmecken würde, wenn man die Zwiebeln vorher karamellisieren würde –, entscheide mich aber für ein: »Hey, weißt du schon, was du trinken willst?«
Die Frau hebt ruckartig den Kopf und sieht zu mir auf. Ihre Haare verbergen nicht länger ihre Gesichtszüge und ich bin mir sicher, dass ich sie in dieser Sekunde genauso überrascht ansehe wie sie mich. Ihre graublauen Augen werden groß wie zwei Untertassen, ihre fein geschwungenen Lippen formen sich zu einem O und ihre Wangen laufen rosarot an.
»Sadie Rivers?«, frage ich, weil mir nichts Besseres einfällt, als ihren Namen laut auszusprechen. Einen Namen, den ich inzwischen eher in Zeitungsartikeln und Reportagen über die Olympischen Spiele gesehen habe. Einen Namen, der sich auf meiner Zunge gleichermaßen fremd und vertraut anfühlt. Einen Namen, der einmal einen riesigen Teil meines Lebens eingenommen hat. Mein Gehirn kommt überhaupt nicht hinterher und spuckt Tausende von Gedanken aus.
Sie streicht sich die Haare auf einer Seite hinters Ohr und sieht mich nach wie vor mit diesem erstaunten und vielleicht sogar ein wenig ertappten Blick an. »Hey, Colin.«
Es dauert ungefähr eine halbe Minute, bis der anfängliche Schock in Freude darüber übergeht, dass meine einstige beste Freundin direkt vor mir sitzt und die Frage nach dem Warum in die hinterste Ecke meines Kopfes gedrängt wird. »Hey«, erwidere ich mit einem lahmen Grinsen. »Ich wusste gar nicht, dass du zurzeit in der Stadt bist. Komm mal her. Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gesehen.«
»Ich bin eben immer für eine Überraschung gut«, erwidert sie lächelnd, steht von der Bank auf und umarmt mich, als wären wir immer noch die besten Freunde, die sich mehrmals die Woche verabredet haben. Der Duft von samtiger Vanille und fruchtigen Beeren steigt mir in die Nase und versetzt mich sofort zurück in unsere Highschoolzeit. Schon damals habe ich diesen unverkennbaren Sadie-Duft inhalieren müssen, wann immer er in meine Nase gekrochen ist.
»Du benutzt immer noch dasselbe Parfüm. Wer hat es dir noch mal zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt?« Ich plustere die Brust auf und setze eine gespielt arrogante Miene auf. Alles Fassade, damit sie nicht merkt, dass mir das Herz aus dem Brustkorb springen will.
»Ach, irgendein Kerl, der inzwischen scheinbar in einem Burgerladen arbeitet und mir nichts davon erzählt hat«, gibt sie neckisch zurück und macht eine wegwerfende Handbewegung.
»Ey!«, mache ich empört und wuschle ihr aus Rache lachend durch die Haare. Sie fühlen sich genauso weich an wie damals. Wie feine Seide. Colin Graham, hast du’s bald?
Sadie quietscht auf und schubst mich empört zur Seite. »Du bist echt immer noch genauso bescheuert wie damals. Du weißt ganz genau, dass meine Haare so was wie mein Heiligtum sind.« Ihre Lippen verziehen sich trotz allem zu einem Grinsen.
»Tja. Manche Dinge ändern sich eben nie.« Ich zücke meinen Schreibblock und den Kugelschreiber, lasse die Miene herausklicken und sehe dabei zu, wie sie sich wieder auf ihren Platz setzt und kopfschüttelnd in die Karte sieht. »Frech. Vielleicht hätte ich doch lieber Serenas Spaghetti essen sollen.«
Automatisch muss ich grinsen. »Wenn deine Schwester immer noch genauso gut kochen kann wie früher, eher nicht.«
»Sie kann immer noch nicht kochen.« Sadie erwidert mein Lachen, wirft mir einen kurzen Blick von unten zu und widmet sich dann wieder der Speisekarte.
»Wirklich?«
»Manche Dinge ändern sich eben nie«, brummt sie in einer Tonlage, die meine vermutlich imitieren soll. Sie grinst, sieht in die Karte und tippt sich nachdenklich gegen das Kinn.
»Ich würde mich mal so weit aus dem Fenster lehnen und behaupten, dass meine Stimme hundertmal besser klingt als diese Grizzly-mit-Verstopfung-Stimme, die du da gerade nachgemacht hast«, sage ich und kratze mit der Kulimine über meinen Schreibblock. Sadie live und in Farbe in Winterfields zu sehen, macht mich plötzlich nervös. Ich kann es nicht vollständig unterdrücken. Tausende Gedanken schießen mir durch den Kopf: Seit wann ist sie wieder da? Warum hat sie nicht geschrieben, dass sie wieder in die Stadt kommt? Kann ich ihr überhaupt einen Vorwurf machen, wenn ich mich selbst seit Monaten nur gelegentlich bei ihr melde und unser Kontakt seit einer Weile hauptsächlich nur noch aus Instagram-Beiträge und YouTube-Videos liken, Geburtstagsgrüßen und den üblichen Wir-müssen-uns-irgendwann-mal-wieder-treffen-Nachrichten besteht?
»Hast du schon was gefunden?«, frage ich sie, um dem Chaos in meinem Kopf ein Ende zu setzen. Wen juckt’s? Sie ist wieder hier und alles andere ist egal.
»Ich überlege noch.« Sie kneift die Augen zusammen. »Habt ihr zufällig auch irgendwas Vegetarisches?«
Die Frage wundert mich inzwischen nicht mehr. Seit einiger Zeit wird sie mir mehrmals im Monat gestellt und jedes Mal muss ich die Kunden wieder enttäuschen, weil Barney es immer noch nicht hingekriegt hat, eine Alternative zu Fleisch oder irgendetwas Essbares, das keine Beilage ist, anzubieten.
»Pommes?« Ich versuche es mit einem charmanten Lächeln, das sie mit einem Stirnrunzeln quittiert. »Sorry. Barney ist noch nicht so fortschrittlich, dass er vegetarische oder sogar vegane Gerichte auf die Karte setzt. Die Süßkartoffelpommes mit Sour Cream und Schnittlauch sind aber ohne Fleisch und schmecken ganz in Ordnung.«
»Dann nehme ich wohl die Süßkartoffelpommes mit Sour Cream und Schnittlauch. Und eine Cola light, bitte.«
Ich nicke mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen und schreibe ihre Bestellung auf. »Ich bin mir sicher, dass es immer noch besser schmecken wird als die Spaghetti deiner Schwester.«
Sie lacht. »Ganz bestimmt.«
»Apropos … Ich hab gehört, was passiert ist. Wie geht’s ihr denn so?« Vor ein paar Monaten habe ich aufgeschnappt, dass Oliver James, Eishockeytrainer der Winterfields Whalers, sich von seiner Frau aka Sadies älterer Schwester getrennt haben soll. Das Getuschel im Diner nach den Trainings war unter den Spielern riesengroß und obwohl ich die meiste Zeit über gar nicht zuhöre, wenn sich die Kundschaft hier unterhält, konnte ich das Gerede letzten Sommer nicht überhören.
»Es geht ihr den Umständen entsprechend«, meint Sadie nur. »Mann, ich hab echt Hunger.« Ich bin mir sicher, dass ihr letzter Satz ein Wink mit dem Zaunpfahl ist und ich nicht weiter nachbohren soll. Also nicke ich und verschwinde in die Küche, um Barney die Bestellung durchzugeben.
Er ist von Whitney zu Celine Dion gewechselt und jault jetzt My Heart Will Go On. Den Pfannenwender benutzt er als Mikrofon und das Gemüse auf der Arbeitsfläche ist sein stilles Publikum.
»Barney? Ich hab ne Bestellung«, sage ich laut und lege ihm den Zettel auf den Tresen. Singend kommt er näher, schnappt sich das Stück Papier und nickt. Er dreht sich um und tanzt durch die Küche, was mich dazu bringt, so schnell wie möglich zu verschwinden.
Mit einer Cola light kehre ich zu Sadie zurück und stelle die Glasflasche vor ihr auf dem Tisch ab. »Deine Fries müssten auch gleich kommen.«
Sie sieht von ihrem Handy auf, mit dem sie bis gerade eben beschäftigt gewesen ist. »Danke.«
»Kein Problem.« Ein wenig unbeholfen stehe ich da. Auch Sadie scheint keinen blassen Schimmer zu haben, was sie sagen oder tun soll. Wir sehen uns einige Sekunden lang an, ehe ich als Erstes den Blickkontakt abbreche und nach den anderen Gästen sehe. An der Theke sitzt ein Mann mit einer Tasse Kaffee und liest konzentriert in der Winterfields Gazette. Ein paar Tische weiter streiten sich Raymond und Rosemary Carpenter, ein älteres Ehepaar, das sich ständig in die Wolle kriegt, gerade um die letzten Curly Fries auf ihrem Teller.
Sadie schmunzelt. »Die beiden diskutieren also immer noch bei jeder Gelegenheit.«
Ich muss lachen. »Du hast ja keine Ahnung. Letzte Woche hat Rosemary aus Versehen die Wäsche zu heiß gewaschen und Raymonds Lieblingshemd ist eingegangen. Wenn ich dir sage, dass in Winterfields fast ein Krieg ausgebrochen wäre, ist das noch untertrieben.«
Ihre Wangen werden zartrot, während sie nach ihrer Cola greift und einen Schluck aus der Flasche trinkt. »Du … Willst du dich vielleicht kurz setzen?«
»Ich? Mich setzen?« Ich bin selbst über meine eigene Begriffsstutzigkeit überrascht. Weil ich es nicht noch peinlicher machen will, setze ich mich aber sofort auf die gegenüberliegende Bank und sehe sie an. Versuche herauszufinden, was ich in den letzten zwei Jahren verpasst habe. Ob sie dieselbe Sadie ist, die ich kannte.
Sie atmet geräuschvoll ein und aus. »Tut mir leid, dass ich mich nicht mehr so oft gemeldet habe. Ich hatte viel um die Ohren.«
»Nein, mir tut es leid«, sage ich locker. »Du bist ja nicht allein daran schuld, dass unser Kontakt …« Ich suche nach den richtigen Worten und scanne das Diner, als könne ich an den mit Schwarz-Weiß-Fotos und Neonlichtern behängten Wänden eine Antwort finden.
»Dass unser Kontakt abgebrochen ist«, beendet Sadie meinen Satz. Sie legt ihre Finger um die Flasche.
Ich nicke. »Wie lange bleibst du denn in der Stadt? Wenn du Zeit und Lust hast, können wir ja mal was zusammen unternehmen.«
»Ich werde eine Weile hier sein«, sagt sie und fährt mit ihrem Zeigefinger über den Flaschenhals. Sie zeichnet mit der Fingerkuppe Spuren in die Schicht Kondenswasser. »Und gern.«
»Cool.« Lässig lege ich einen Arm auf der Rückenlehne der Bank ab und könnte mir für diese möchtegern-coole Pose direkt eine reinhauen. Weil ich mich aber nicht traue, sofort wieder damit aufzuhören, bewege ich mich nicht mehr vom Fleck. »Du musst echt schwer beschäftigt sein drüben in Boston. So als angehende Profi-Eiskunstläuferin.« Es soll kein Vorwurf sein, klingt aber trotzdem danach.
Sadie sieht mich eine gefühlte Ewigkeit nur an und sagt kein Wort. Dann nickt sie. »Ich sehe deine YouTube-Videos immer noch andauernd an. Was du auf Cooking with Colin kochst, sieht immer so lecker aus. Neulich habe ich mich mal an den gefüllten Paprika versucht. Hat richtig gut geschmeckt.«
Ein weiterer abrupter Themenwechsel. Okay. Scheinbar will sie nicht über Boston reden. Nur wieso nicht?
»Danke.«
»Diese Champignoncremesuppe, die du vor Kurzem gemacht hast, muss ich irgendwann auch mal nachkochen.« Sie strahlt, was es mir echt schwer macht, sauer darüber zu sein, dass sie nicht auf Boston eingegangen ist. Ist das Thema zu schwer für das erste Wiedersehen oder ist unsere Freundschaft so tot, dass sie vor mir keine Details mehr über ihr Leben preisgeben will?
»Du könntest mal vorbeikommen und wir kochen sie zusammen«, schlage ich vor. Ich ändere meine Position, lege die Hände auf die Tischplatte und knete meine Finger durch. »Kochen und quatschen. Ich weiß, dass sich das gerade wie ein neues YouTube-Format anhört, aber ich schwöre dir, ich werde uns nicht filmen.«
Ihre Mundwinkel zucken. »Schade. Ich hab mich schon darauf gefreut, die Assistentin in deinem neuen Video zu spielen. Warum werden diese Frauen eigentlich oft nur zur Dekoration neben den Koch gestellt?«
»Für mehr Klicks?«, scherze ich und kassiere für diese Antwort direkt einen Tritt gegen das Schienbein. Scharf ziehe ich die Luft ein.
»Autsch!«
»Hast du verdient.« Sie tätschelt mir den Arm und lässt sich dann nach hinten sinken.
»Ich kann mich nur wiederholen: Autsch.«
Sadie lacht. »Irgendwie ist es gerade furchtbar verlockend geworden, doch Teil deines YouTube-Videos zu werden. Nur, um den Leuten da draußen zu beweisen, dass ich keine Deko bin, die mehr Klicks einbringt.«
»Hm«, mache ich. »Wenn du unbedingt darauf bestehst, können wir vielleicht doch ein Video zusammen aufnehmen, bevor du zurück nach Boston fährst. Wenn du wieder weg bist, haben wir so immerhin einen Beweis dafür, dass du wirklich hier warst und wir uns tatsächlich gesehen haben.«
»Na los, geh schon und hol meine Fries.« Sie grinst und trommelt mit ihren kurzen Fingernägeln auf der Tischplatte herum. »In der Zwischenzeit gehe ich noch mal in mich und überlege mir, ob ich dein Angebot annehme.«
Amüsiert stehe ich auf, kremple die Ärmel meines Hoodies zurück und salutiere. »Aye, aye, Captain.« Ich drehe ihr gerade den Rücken zu, um in der Küche ihre Pommes zu holen, als ich mich doch noch einmal an sie wende und ein paar Schritte rückwärts weitergehe. »Hey, Sadie?«
Sie lässt das Smartphone in ihrer Hand, das sie sich wieder geschnappt hat, sinken und sieht mich fragend an. »Hm?«
»Es ist schön, dich wiederzusehen.«
Nur wenige Meter vor mir erstreckt sich der Parkplatz, auf dem mich Mom oder Serena früher jeden Tag abgesetzt haben. Direkt dahinter ragt die riesige Eishalle in den Himmel und zeichnet sich von den Bergen hinter der Stadt ab. Das Kuppeldach über der Bahn glänzt in der Mittagssonne. Ansonsten ist die Halle ein großer grauer Kasten, dem ich mich nun mit eiligen Schritten nähere. Das Herz schlägt mir bis zum Hals und als ich letztendlich die Eingangstür aufdrücke, überschlägt es sich beinahe. Vor allem, weil plötzlich ein hoch gewachsener, muskulöser Mann mit Sporttasche und schwarzem Haar in mich hineinrasselt.
»Oh, tut mir leid«, stammelt er. »Ich habe dich nicht gesehen.«
»Das macht doch …« Die Worte bleiben mir im Halse stecken, als ich erkenne, wer gerade vor mir steht. Oliver James. Mein Ex-Schwager. Mein Mund klappt auf, doch kein einziger Laut kommt mir über die Lippen. Kalter Schweiß breitet sich auf meinem Nacken aus. Übelkeit benetzt meine Zunge. Die Erde scheint für eine Sekunde aufzuhören, sich zu drehen.
Oliver hat sich kaum verändert. Der Anblick von ihm mit der umgedrehten Cap und der schwer aussehenden Tasche mit dem Emblem der Winterfields Whalers ist so normal, dass sich mein Herz verkrampft. Denn nichts ist mehr normal.
»Sadie?«, fragt er überflüssigerweise. »Ich wusste ja gar nicht, dass du zurück bist! Es ist so schön, dich mal wieder zu sehen.«
Ich nicke, denn zu mehr bin ich nicht imstande.
»Wie geht es dir? Ist irgendwas passiert?«, will er wissen. Für einen Sekundenbruchteil kaufe ich ihm die Sorge sogar ab. Doch dann erinnere ich mich wieder daran, was er getan hat. Wie er meiner Schwester eiskalt das Herz gebrochen hat.
»Ja, es ist etwas passiert«, sage ich vorwurfsvoll. Der Schmerz lähmt mich wie Gift. Die Wut auf ihn ist so groß, dass ich am liebsten umdrehen und schnellstmöglich das Weite suchen möchte, bevor ich die Kontrolle verliere und in Tränen ausbreche.
Erkenntnis macht sich auf Olivers Gesicht breit. »Sadie …«, setzt er an. Sein Gesicht wirkt blass. »Es tut mir leid.«
»Spar dir das«, entgegne ich traurig. »Ich bin einfach nur enttäuscht von dir. Ihr wart so lange zusammen und du hast alles weggeworfen.«
»Sadie, lass es mich erklären. Bitte.« Oliver presst die Hände wie zum Gebet aneinander und sucht meinen Blick. Ich halte es jedoch keine Sekunde länger aus, ihm in die Augen zu sehen, und schüttle den Kopf.
»Nein. Ich will es nicht hören. Was passiert ist, ist passiert und du kannst es nicht mehr rückgängig machen.«
»Wir haben uns auseinandergelebt. Die Entscheidung, mich zu trennen, kam nicht von heute auf morgen. Serena und ich haben viele Gespräche miteinander geführt«, sagt er dennoch. »Wir haben uns so oft zusammengesetzt und wollten daran arbeiten. Es hat aber alles nichts genutzt. Ich hätte mir auch gewünscht, dass es funktioniert hätte, aber es sollte wohl nicht so sein.«
»Oliver. Ich will es nicht hören!«, schleudere ich ihm entgegen. »Du hast sie verlassen! Und Holly und Eric! Du hast versprochen, dich um sie zu kümmern und für immer für sie da zu sein, und hast dein Versprochen gebrochen! Du bist kein Stück besser als mein Vater.«
Meine Worte scheinen ihn ernsthaft zu treffen. Er taumelt einen kleinen Schritt zurück. Da ist Mitleid in meiner Brust. Gegen die unermessliche Wut hat es jedoch keine Chance.
Ich schiebe mich an ihm vorbei und meide seinen Anblick. »Wenn du mich jetzt entschuldigst. Ich habe einen Termin.«
***
Georgia Hamilton hat sich kein Stück verändert. Sie trägt dieselbe eisblaue Trainingsjacke mit dem Logo des Winterfields Skate Clubs auf der Brust, die sie schon getragen hat, als ich ein Kind und sie meine Trainerin war. Ihre rotbraunen Haare liegen in einem strammen, geflochtenen Zopf über ihrer Schulter und ragen aus einer dunklen Strickmütze.
Ich muss schon zugeben, dass es sich ein wenig erniedrigend anfühlt, vor ihrem Schreibtisch zu sitzen und von ihr mit einem Blick, der alles und nichts bedeuten könnte, gemustert zu werden. Er erinnert mich ein bisschen an den von meiner Trainerin in Boston. Nur, dass ich Mrs Sokolow völlig egal war.
»Was war es?«, fragt Georgia mich. Ihre blauen Augen durchbohren mich förmlich und sorgen dafür, dass ich verunsichert auf meinem Stuhl herumrutsche.
»Bitte?«, frage ich, obwohl ich genau weiß, worauf sie hinauswill.
»Du standest kurz vor der Olympia-Qualifikation, Darling.« Ihr Blick wird ein wenig stechender, wenn das überhaupt möglich ist. »Wir haben, seit du sechs warst, darauf hingearbeitet und Jahre voller Trainingseinheiten, Blut, Schweiß und Tränen miteinander verbracht. Wir haben alles gegeben, damit du dieses Stipendium in Boston bekommst. Die renommierteste Eisskatingschule des Landes hat dich mit Handkuss empfangen. Warum hast du alles hingeschmissen? So kurz vor der Zielgeraden?«
»Ich …« Mit der rohen, nackten Wahrheit konfrontiert zu werden, fühlt sich an, wie von einer Lawine überrollt zu werden. Ich versuche, das schmerzhafte Ziehen in meiner Brust zu ignorieren, und überlege, was ich jetzt auf die Schnelle antworten könnte. Mir ist klar, das Georgia keine meiner Antworten akzeptieren und verstehen wird. Deswegen ist es umso schwerer, eine zu finden, mit der ich so etwas wie Schadensbegrenzung betreiben kann.
»Hast du dich verletzt? Alexis Parker hat sich eine Woche vor der Quali das Knie zertrümmert. Dir ist doch nicht auch so etwas passiert, oder?«
»Nein, keine Verletzung. Sonst wäre ich jetzt ja nicht hier.«
»Was ist es dann?« Georgia erhebt ihre Stimme und steht von ihrem Bürodrehstuhl auf. Papiere, die vor ihr auf der Schreibtischplatte liegen, flattern. Ein paar Blätter segeln sogar zu Boden. Der Stuhl rotiert ein paar Sekunden lang um die eigene Achse, bevor der lederne Sitz schließlich zum Stehen kommt.
»Ich möchte erst mal eine Pause machen. Momentan fühle ich mich nicht bereit dazu, in der Profiliga zu skaten.« Das ist nicht einmal gelogen. Dass ich nicht vorhabe, es jemals noch einmal mit den Olympischen Spielen zu versuchen, erwähne ich Georgia gegenüber besser nicht.
Meine ehemalige Trainerin, die ich öfter gesehen habe als meine eigene Mutter, stößt geräuschvoll den Atem aus. »Dieses Thema ist noch nicht vom Tisch. Ich bin jetzt allerdings erst einmal froh darüber, dass du da bist und die U12-Gruppe übernimmst. Kim und Grace sind beide zur selben Zeit schwanger geworden und Ryan ist schon Anfang des Jahres mit seiner Frau umgezogen. Es bleiben also nur noch ich, April und jetzt du übrig.«
»Ihr beide seid momentan die einzigen Trainerinnen?«
»Im Eiskunstlauf? Ja. Allerdings habe ich die Befürchtung, dass April uns auch bald verlassen könnte. Sie hat jetzt eine Band.«
»Was?«
Georgia schnaubt und kneift sich in die Nasenwurzel. »Sie meint, sie bekommt das alles gleichzeitig unter einen Hut. Frag lieber nicht.«
»Sind die anderen noch da?«, will ich wissen. »Allison, Harper, Tyler? Was machen die drei jetzt? Bist du nicht mehr ihre Trainerin?« Wir waren früher eine größere Gruppe. Die Elite, die Georgia höchstpersönlich trainiert hat. Wir haben zusammen mehr Zeit in der Eishalle von Winterfields verbracht als bei unseren eigenen Familien. Wir waren so etwas wie eine Familie. Nachdem ich die Stadt verlassen habe, ist der Kontakt innerhalb von wenigen Monaten abgerissen.
»Die gehen ihren Träumen nach und haben nicht alles hingeschmissen wie du, Darling.«
Ich lasse Georgias spitze Bemerkung unkommentiert und stehe auf. »Wann findet meine erste Stunde statt?«, will ich betont ruhig wissen. Georgia soll lieber gleich merken, dass sie mich mit ihren Worten nicht treffen kann. Das Thema Olympia ist endgültig abgeschlossen, archiviert und wird nie wieder hervorgeholt.
»Am Mittwoch um fünf. Du wirst die Sechs- bis Elfjährigen trainieren. April wird dir bei deinen Stunden unter die Arme greifen. Nachdem du uns den unterschriebenen Vertrag zugeschickt hast, haben wir sofort eine Annonce im Internet und in der Zeitung aufgegeben, um die freien Plätze in der Gruppe zu füllen. Es werden in nächster Zeit also einige neue Kinder in den Kurs reinschnuppern.«
»Super«, sage ich und straffe die Schultern. Wenn ich meine aktuelle Stimmung beschreiben müsste, würde ich sie vermutlich als ängstlich-glücklich bezeichnen. Einerseits freue ich mich darauf, bald wieder ganz ohne Druck auf dem Eis stehen zu dürfen. Andererseits habe ich wahnsinnigen Respekt davor, eine Gruppe Kinder zu trainieren, von denen einigen womöglich dasselbe Schicksal bevorsteht wie mir. Jeder weiß, dass denjenigen, die von Georgia Hamilton trainiert werden, eine große Zukunft blüht. Ihr und der Unterricht ihrer Co-Trainer ist jeden Cent wert.
Sie zieht ihre Handschuhe aus und wirft sie auf die Schreibtischplatte. »Dann sehen wir uns am Mittwoch wieder. Ich werde bei deiner ersten Stunde dabei sein und dir alles zeigen. Aber du kennst dich hier wahrscheinlich immer noch sehr gut aus. Es hat sich nichts verändert.« Sie lächelt ohne jegliche Wärme in den Augen. Ich nicke, verabschiede mich von ihr und gehe.
Ich wähle extra den längeren Rückweg durch die Eishalle, die fast menschenleer ist. Auf dem Eis befinden sich lediglich zwei Läuferinnen, die gemeinsam eine Kür einstudieren. Elegant gleiten sie über die Eisfläche und erfüllen die Halle mit den Geräuschen ihrer über die zugefrorene Oberfläche kratzenden Kufen. Eine von ihnen erkenne ich als April Vega. Ihr schwarzes Haar saust durch die Luft, während sie sich elegant auf der Spitze ihres Schlittschuhs im Kreis dreht. Als ihre Augen dabei plötzlich an mir hängen bleiben, bleibt sie stehen.
»Hey!«, ruft sie mir energisch zu.
»Hey.« Ich nestele am Tragegurt meiner Tasche und versuche mich an einem Lächeln. Die Anspannung in der Luft ist greifbar. Sie scheint förmlich zu surren. Es entsteht eine kurze Pause, dann ergreift April das Wort.
»Georgia hat mir schon gesagt, dass du kommst.«
»Ja. Wir beide arbeiten jetzt wohl zusammen.«
Sie nickt. »Was für eine Ehre, mit der Prominenz zusammenarbeiten zu dürfen.«
»Was?« Ich runzle die Stirn.
»Ach, vergiss es«, winkt April ab. »Wir sehen uns am Mittwoch. Ich muss meine Choreo üben.« Mit diesen Worten wendet sie sich von mir ab, nimmt Anlauf und holt zu einem Sprung aus.
Ich schüttle den Kopf, eile durch den Gang zwischen Bande und Tribüne und steuere auf den Hallenausgang zu. Mein Ziel habe ich fast schon erreicht und ich bin drauf und dran, durch die verglaste Eingangstür zu verschwinden, als einer der Flügel aufschwingt und mir ein kleiner Junge entgegenkommt, der mir seltsam bekannt vorkommt. Hinter ihm schiebt sich ein Kerl durch den Türspalt und rennt in mich hinein.
Überrascht weiche ich einen Schritt zurück und reiße die Augen auf.
»Colin«, sage ich stockend. »Hi.«
»Oh, hey«, erwidert er und grinst. »Wir treffen uns an den komischsten Orten, kann das sein?«
»Möglich«, sage ich und muss lachen. »Wobei die Eishalle nicht so komisch ist wie das Barney’s. Was macht ihr zwei denn hier?« Jetzt kann ich den kleinen Jungen mit den hellbraunen zerzausten Haaren, der Zahnlücke und den grünbraunen Augen als Colins kleinen Bruder Charlie erkennen. Er sieht mich mit einem breiten Grinsen an.
»Ich will Eiskunstlauf lernen.«
»Oh, das ist ja cool«, gebe ich fröhlich zurück und wechsle einen Blick mit Colin. Es ist merkwürdig, dass er direkt vor mir steht. Wenn ich an ihn denke, dann denke ich an die schönste Zeit zurück. Wir haben fast jede meiner so seltenen freien Minuten miteinander verbracht. Und wenn ich mal keine Zeit für ihn hatte, ist er trotzdem vorbeigekommen. Er hat sich auf die Tribüne gesetzt und mir beim Training zugesehen, während er entweder seine Hausaufgaben gemacht, gelernt oder sich den halben Tag lang Kochvideos auf YouTube reingezogen hat. Ich kann mich genau daran erinnern, wie er mit dem Rücken gegen die Seitenwand gelehnt und den Beinen ausgestreckt auf der Bank saß. Wie die Kopfhörer unter seiner Hoodiekapuze hervorgeblitzt haben und er mir hin und wieder zugewunken oder mir mitfühlende Blicke zugeworfen hat, wenn Georgia mich einmal mehr bis an meine Belastungsgrenze getrieben hat.
»Ja«, sagt Charlie aufgeregt und grinst. »Mom hat es mir endlich erlaubt. Wir wollten gerade nachfragen, ob ich mich noch einschreiben kann.«
»Bestimmt ist für dich noch ein Platz frei«, meine ich aufmunternd. »Und weißt du, was auch cool ist? Ich werde den Kurs ab nächster Woche leiten.«
»Woah!« Charlies Augen, die denen seines Bruders gleichen, werden riesengroß. »Warst du nicht bei den Olympischen Spielen?«
Mein Herz zieht sich wie ein Gummiband zusammen. Da ist es wieder. Das große, böse O-Wort. Aus dem Augenwinkel spüre ich Colins einschneidenden Blick auf mir, was dafür sorgt, dass ich ihn erst recht nicht ansehe. Wenn ich es tun würde, wüsste ich nicht, wie mein Körper reagieren würde.
»Fast«, entgegne ich leise. »Wenn ihr euch beeilt, könnt ihr Georgia bestimmt noch abpassen. Sie war gerade noch in ihrem Büro.« Vage deute ich in die Richtung, in der sich der Anbau mit den Geschäftsräumen und Umkleidekabinen befindet.
»O ja! Komm, lass uns hingehen«, fordert Charlie seinen großen Bruder auf und setzt sich in Bewegung, während Colin immer noch wie festgefroren vor mir steht und mich anstarrt, als wäre ich ein Gespenst.
»Alles okay?«, frage ich ihn. Ich kann nur erahnen, woran er denkt und was schuld an seiner Fassungslosigkeit ist.
Er fährt sich mit einer Hand durch die Haare und sieht mich aus grünen Augen an. »Ich wusste nicht, dass du jetzt hier arbeitest. Das heißt, dass du länger hierbleibst?«
Ich nicke. Jetzt macht es keinen Sinn, abzulenken oder es zu leugnen. »Ja.«
»Du hast mir gar nicht geschrieben, dass du wieder hierherziehst. Oder mir gestern etwas gesagt.«
»Hätte das denn eine Rolle gespielt?«, frage ich vorsichtig. »Wir … Es ist nicht mehr wie früher, Colin. In den letzten Jahren hat sich so viel geändert und ich wusste nicht, ob dich das überhaupt noch interessiert. Wir sind …«
Keine Freunde mehr.