Whispering Silence - Lena Hoogen - E-Book

Whispering Silence E-Book

Lena Hoogen

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Beschreibung

»Aber sei vorsichtig da draußen. Wenn dir etwas zustößt, wird dich niemand hören.« Als der neugierige Fotograf Larkin Weldon versehentlich auf einer abgelegenen Insel in Schottland strandet, wird er vom Eigentümer Iver aufgefordert, Sàmhchair sofort wieder zu verlassen. Die Abreise stellt sich jedoch als unmöglich heraus, da sein Boot aufs Meer abgetrieben wird. Larkin ist gezwungen, im Anwesen der eigenbrötlerischen Bewohner zu leben, bis ein Boot die Insel mit Vorräten versorgt. Die Situation wäre leichter zu ertragen, wenn Iver und seine Haushälterin nicht so abweisend wären. Er beginnt auf eigene Faust, die Insel zu erkunden. Aber nicht einmal die Fotografien, die er an dem Ort macht, darf er behalten. Doch warum erwacht er mit einer betörenden Melodie im Ohr und Blumen im Haar? Und warum sieht er ständig Schatten, wenn doch angeblich nur zwei Menschen dort leben? So sehr Larkin auch die Insel verlassen möchte, zieht der faszinierende Hausherr Iver ihn zunehmend in seinen Bann, während die wahre Natur der Insel immer mehr erwacht …

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Seitenzahl: 475

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Lena Hoogen

Das Buch:

»Aber sei vorsichtig da draußen. Wenn dir etwas zustößt, wird dich niemand hören.«

Als der neugierige Fotograf Larkin Weldon versehentlich auf einer abgelegenen Insel in Schottland strandet, wird er vom Eigentümer Iver aufgefordert, Sàmhchair sofort wieder zu verlassen. Die Abreise stellt sich jedoch als unmöglich heraus, da sein Boot aufs Meer abgetrieben wird. Larkin ist gezwungen, im Anwesen der eigenbrötlerischen Bewohner zu leben, bis ein Boot die Insel mit Vorräten versorgt.

Die Situation wäre leichter zu ertragen, wenn Iver und seine Haushälterin nicht so abweisend wären. Er beginnt auf eigene Faust, die Insel zu erkunden. Aber nicht einmal die Fotografien, die er an dem Ort macht, darf er behalten.

Doch warum erwacht er mit einer betörenden Melodie im Ohr und Blumen im Haar?

Und warum sieht er ständig Schatten, wenn doch angeblich nur zwei Menschen dort leben?

So sehr Larkin auch die Insel verlassen möchte, zieht der faszinierende Hausherr Iver ihn zunehmend in seinen Bann, während die wahre Natur der Insel immer mehr erwacht …

Whispering Silence

Haunted-Souls Reihe Teil 3

von

Lena Hoogen

tredition GmbH

1. Edition, Lena Hoogen

www.lenahoogen.de

© 2025 All rights reserved.

Lektorat von: Daniela Umlauf, https://lektorat-dunkelfunkel.com

Korrektorat von: Marie Heisterkamp

Coverdesign, Illustrationen und Buchstaz von: Lena Hoogen

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: Lena Hoogen, Wilhelmshofallee 84A, 47800 Krefeld, Germany.

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

4

Prolog5

Kapitel 1 – Larkin8

Kapitel 2 – Larkin24

Kapitel 3 – Larkin41

Kapitel 4 – Larkin61

Kapitel 5 – Larkin76

Kapitel 6 – Iver89

Kapitel 7 – Larkin93

Kapitel 8 – Larkin106

Kapitel 9 – Larkin120

Kapitel 10 – Larkin133

Kapitel 11 – Larkin146

Kapitel 12 – im Keller160

Kapitel 13 – Larkin164

Kapitel 14 – Larkin177

Kapitel 15 – Larkin197

Kapitel 16 – Larkin215

Kapitel 17 – Larkin234

Kapitel 18 – Larkin255

Kapitel 19 – Sàmhchair267

Kapitel 20 – Larkin270

Kapitel 21 – Larkin292

Kapitel 22 – Larkin316

Kapitel 23 – Larkin337

Kapitel 24 – Larkin358

Kapitel 25 – im Keller379

Kapitel 26 – Larkin381

Kapitel 27 – Larkin398

Kapitel 28 – Larkin413

Kapitel 29 – Larkin433

Kapitel 30 – Larkin457

Kapitel 31 – Larkin471

Kapitel 32 – Larkin492

Kapitel 33 – Larkin505

Kapitel 34 – Larkin521

Kapitel 35 – Larkin541

Kapitel 36 – Larkin554

Kapitel 37 – Larkin571

Kapitel 38 – Sàmhchair586

Kapitel 39 – Larkin590

Epilog612

Danksagung622

Anmerkung der Autorin625

Inhaltswarnung626

Über die Autorin627

Für all diejenigen, die stets mehr gesehen haben.

... verlauft euch nicht auf der anderen Seite.

Prolog

Einst gab es eine Insel, die auf keiner Karte der Menschen verzeichnet war.

Ein kleiner Flecken Land, verborgen vor den gierigen Blicken derer, die ihre Schönheit nicht zu schätzen wussten.

Sie war klein, aber voller grüner Wiesen und bunter Blumen, die sich sanft im Wind wiegten und eine ungezähmte Melodie spielten. Voller Bäume und Büsche, deren Blätter für sie sangen. Voller Bäche und Seen, deren Wellen in Harmonie erklangen. Eine Insel, die überquoll vor Leben.

Vögel zwitscherten hoch in den Ästen, gemeinsam mit den Blumen. Tiere huschten über den Waldboden, lebten in ihrer Erde, Insekten schwebten in der Luft und erfüllten sie mit ihrem Brummen.

In der Mitte dieser Insel gab es eine Lichtung, auf der rauschende Feste gefeiert wurden. Tagein und tagaus spielte Musik – das ganze Jahr über. Denn jeder neue Tag war zu ehren. Ihre Fußspuren in der Erde lehrten dich den uralten Tanz. Den Reigen der Unsterblichkeit. Ihr Lachen hatte sich zwischen den Halmen und Blüten verfangen und wartete darauf, dass sie erneut geweckt wurden.

Eine Insel im Einklang mit dieser Welt und allen weiteren. Vergessen und beschützt. Seit Anbeginn der Zeit.

Dann tauchte ein Boot am Horizont auf.

Ein Boot, das nichts auf dieser Insel zu suchen hatte. Das nichts zu finden hatte außer unberührter Natur.

Das Boot verwischte die frischen Fußspuren am Strand und ersetzte sie mit denen des Eindringlings.

Ein Fremder, der die Blumen und Halme unter seinen Schuhen zertrat, ohne ihre Schreie zu hören. Ein Störenfried, der die Vögel vertrieb und die Tiere in ihre Verstecke scheuchte. Ein Monster, das die Äste von den Bäumen abbrach, nur um sich einen Weg durch den Wald zu bahnen. Der Boden erbebte unter seiner Last. Der Wald im Gegenzug brüllte vor Schmerz und vor Zorn – und mit ihm sein Volk.

Er kam mit unerfüllbaren Wünschen und erklärte ihnen den Krieg.

Einst gab es eine Insel, die auf keiner Karte der Menschen verzeichnet war.

Nun hört ihr ihre Schreie, wenn ihr an der Küste steht und in der Stille mit eurem Herzen lauscht.

Kapitel 1 – Larkin

Larkin war umgeben von endlosem Wasser und Nebel.

Seit Stunden war er unterwegs, ohne dass sich daran etwas geändert hatte. Er hätte längst am Ziel sein müssen. Das Boot unter ihm fuhr gemächlich über das Meer. Sanfte Wellen wurden an der Spitze geteilt und schlugen außen gegen dessen Wände.

Larkin prüfte erneut die Geräte. Ihnen schadete der Nebel nicht. Laut seinen Navigationssystemen lag die Insel direkt vor ihm. Im Grunde sollte er mitten auf ihr sein. Seufzend stand er auf, um sich erneut umzusehen. Das Boot schwankte sanft unter ihm.

Nur Wasser und Nebel. Nebel und Wasser.

Das nervöse Gefühl, das sich allmählich in seinem Körper ausbreitete, wurde stärker. Die Geräte konnten unmöglich lügen. Er hatte eines im Boot und ein zusätzliches in der Hand. Sie irrten sich nicht beide. Doch vor ihm lag nichts.

Keine Insel, keine Klippe. Nicht einmal ein Felsen, der aus dem Meer ragte, oder Vögel, die vom nicht mehr fernen Land sangen.

Larkin fluchte. Wenn auf seine Technik kein Verlass war, war er verloren. Wie fand er dann den Weg nach Hause? Er hatte nichts weiter eingepackt, da er davon ausgegangen war, in wenigen Stunden in seinem gebuchten Zimmer zu sein. Warum hatte er darauf bestanden, selbst zu fahren?!

Larkin drosselte die Geschwindigkeit, um nicht weiter von seinem Ziel abzudriften.

Er blieb am Steuerrad stehen, während er sich all des Wassers bewusst wurde, das ihn in diesem Moment umgab. Dem er hilflos ausgeliefert war, wenn er sein Ziel nicht erreichte. Es schien so friedlich, die Oberfläche in einer steten, hypnotisierenden Bewegung.

Sein Kopf fühlte sich schwer an, da ihm allmählich schwindlig wurde. Eilig ließ Larkin sich zurück auf den Sitz sinken, bevor das Gefühl ihn übermannte. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Sobald er sie wieder aufschlug, konzentrierte er sich auf alles andere außer dem Wasser.

Zur Sicherheit zog er sein Smartphone aus der Jackentasche und öffnete die App mit der Landkarte. Nachdem er seine aktuelle Position herangezoomt hatte, sagte auch dieses Gerät ihm, dass er längst auf Land gestoßen sein müsste.

Hektisch wandte er den Kopf in sämtliche Richtungen und versuchte, durch den dichten Nebel etwas zu erkennen. Dieser verschluckte sogar die Sonne am Himmel. Nur ein trüber Fleck war von ihr zurückgeblieben. Dann sah er hinter sich eine Veränderung. Larkin sprang auf. Aber viel zu schnell. Das Boot schwankte so heftig unter ihm, dass er sich am Sitz festhielt, um nicht zu stürzen.

Er hatte sich nicht getäuscht. Da war etwas im Nebel hinter ihm! Ein dunklerer Schatten, von dem das Boot abgetrieben wurde. Er drehte den Schlüssel um. Das Boot erwachte gluckernd zum Leben. So schnell er konnte, wendete er. Immer darauf bedacht, diese Dunkelheit nicht aus den Augen zu verlieren.

Nachdem das Boot allmählich wieder Geschwindigkeit aufnahm, wurde der Schatten vor ihm größer. Bis sich ein Felsen aus dem Nebel schälte. Und wo einer war, da war oft ein weiterer.

Aus den einzelnen Steinen wurde eine Klippe, die mehrere Meter aus dem Wasser in die Höhe ragte. Ein erleichtertes Seufzen entwich Larkin und er rückte seine Mütze zurecht. Es war ein grauer, kahler Fels, an dem sich Algen und Muscheln verzweifelt festklammerten. Larkin folgte der Kurve, die das Land vorgab. Bei diesen hohen Klippen konnte er nicht an Land gehen.

Außerdem gab es einen Hafen auf der Insel, nach dem er suchte. Dort stand ein Haus, in dem er für die nächste Woche eines der Zimmer gemietet hatte. Je nachdem, wie gut es ihm gefiel, würde er seinen Aufenthalt verlängern, das war im Voraus schwer zu sagen.

Schon bald führte ihn das schroffe Land zu einem kleinen Strand, an dem ein Steg stand, der weit genug in das Wasser ragte, um sein Boot daran zu befestigen. Larkin stoppte den Motor.

Nach einem Hafen sah der schmale Strand vor ihm nicht aus. Es war nicht ein einziges weiteres Boot zu sehen. Er überlegte, seine Suche fortzusetzen. Andererseits konnte er erst ankommen und sein Boot später umstellen.

Das Bedürfnis, vom Meer hinunterzukommen war überwältigend. Nach den Stunden wieder festen Boden unter seinen Füßen spüren.

Der Motor erstarb, nachdem er den Schlüssel drehte. Sein Gepäck würde er später holen, wenn mit der Unterkunft alles geklärt war. Darum schnappte er sich nichts als seinen Rucksack mit den wichtigsten Dingen und sprang vom Boot, um es an einem der Stämme zu vertäuen. Der Knoten sicher und vertraut von etlichen Reisen.

Der Steg unter ihm war alt, das Holz von Salz und Wasser verwittert und morsch. Es knarzte besorgniserregend, als Larkin mit dem Rucksack auf dem Rücken auf den schmalen Strand zulief. Er folgte dem Sand, bis er eine Treppe entdeckte, die in den Felsen eingeschlagen war. Sobald er über die Kante der Klippe sah, erwartete ihn eine weite, karge Fläche. Auf dem Land war der Nebel kaum noch vorhanden. Der Wind wehte Blätter in seine Richtung. Hohes Gras und Felsen bedeckten die Erde und der einzige Hinweis auf Menschen war der Weg, der sich vor ihm in zwei Richtungen teilte. Wegweiser waren an der gepflasterten Straße nirgends zu finden. Links von ihm lag in einiger Entfernung ein Wald. Rechts ging die Klippe weiter. Er stellte sich an die Kante und blickte hinab auf das Meer, dessen Wellen unter ihm gegen den Felsen schlugen. Weiter draußen auf dem Wasser hielt der Nebel sich hartnäckig. Larkin ließ den Blick weiter schweifen. In der Ferne machte er zwischen einzelnen Bäumen ein Gebäude aus.

Es war das Einzige, was nach Zivilisation aussah, darum setzte er den Rucksack ordentlich auf und lief los. Da er die Pfade nicht kannte und ihnen nicht traute, lief er lieber querfeldein. Die spärliche Vegetation machte es ihm leicht. Obwohl das Haus immer näher rückte, schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis er ankam.

Eine kniehohe Natursteinmauer rahmte das Grundstück weitläufig ein. Einige der Steine lösten sich bereits aus dem Gefüge und lagen im Gras. Ein schlichtes Holztor versperrte ihm den Weg, der direkt auf das Haus zuführte. Es war nicht verschlossen und Larkin drückte es einfach auf. Innerhalb der Mauer war der Rasen gepflegter. Nur einzelne Bäume standen dort verstreut.

Das Haus kam immer näher. Der Wind frischte auf und stieß ihm spielerisch in den Rücken, als half er ihm, sein Ziel zu erreichen. Ein großer Teich war vor dem Haus angelegt worden. Mit einem Springbrunnen in Form einer großen Blüte in der Mitte, der jedoch kein Wasser förderte. Etliche Seerosen trieben auf der Oberfläche und verdeckten, was darunter lauerte.

Das Haus dahinter war groß, aber schlicht. Weiß getünchte Steine, nicht ganz modern, aber auch nicht zu alt. Jedoch nicht das Haus, in dem er sich ein Zimmer gemietet hatte.

Vielleicht konnte er zumindest nach dem Weg fragen.

Eine halbrunde Treppe führte zu der doppelflügeligen Eingangstür. Rechts und links davon standen große Blumentöpfe, in denen Olivenbäume wuchsen.

Jemand erwartete ihn.

Eine ältere Dame mit einem strengen Dutt und missmutigem Ausdruck stand in der offenen Tür und sah ihn von oben herab an. Sie trug eine weiße Bluse zu einem wadenlangen, karierten Wollrock. Die Hände waren vor dem Bauch verschränkt. »Kann ich Ihnen helfen, Sir?«

Ihr strenger Blick ließ Larkin innehalten. »Ich hoffe es. Ich hatte ein Zimmer gemietet, aber ich befürchte nicht in diesem Haus«, fuhr er fort und deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. »Ich habe mein Boot dort hinten gelassen, aber vielleicht gibt es hier auch …«

Die ältere Dame runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht, dass Sie hier ein Zimmer gemietet haben.«

Larkin rückte seinen Rucksack zurecht. »Dann war es vielleicht ein anderes Haus?«

»Hier gibt es kein anderes Haus. Ich denke, Sie haben sich verfahren. Sàmhchair ist in Privatbesitz.«

Er starrte sie an. Er war auf der falschen Insel? Wie war er bloß so weit vom Kurs abgekommen?

Seufzend verschränkte er die Hände hinter dem Kopf.

»Ich rate Ihnen zu gehen, bevor das Wetter noch schlechter wird.«

»Ja, natürlich. Ich bitte um Entschuldigung für die Störung. Ich möchte eigentlich nach Muckle Skerry.«

Sie deutete über ihre Schulter. »Halten Sie sich einfach südwestlich, dann werden Sie sie finden.«

Larkin lächelte erleichtert. »Vielen Dank. Dann mache ich mich mal wieder auf den Weg. Auf Wiedersehen.«

Mehr als ein unverbindliches Nicken hatte sie nicht für ihn übrig. Larkin versuchte, sich das nicht zu Herzen zu nehmen. Schließlich war er in ihr Privateigentum eingedrungen. Auch wenn ein schlichter Hinweis darauf am Steg gereicht hätte, um ihn umkehren zu lassen.

So lief er den ganzen Weg zurück. Nun, wo er nicht mehr auf das Haus konzentriert war, nahm er die restliche Insel wahr. Sie war schön – selbst mit dem Nebel, der sich im Wald verfangen hatte. Geradezu malerisch, wie die Wiesen sich vor ihm ausbreiteten. Leichte Hügel, die sich hinter den Bäumen erhoben. Die helle Oberfläche eines Sees kräuselte sich nicht weit vor ihm. Er war versucht, seinen Rucksack zu öffnen, strapazierte sein Glück jedoch nicht unnötig.

Die Treppe hinab zum Strand übersah er deshalb beinahe. Nur der Steg, den er im Augenwinkel wahrnahm, erinnerte ihn an sein Ziel und er wandte sich den Klippen zu.

Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er auf den Steg starrte.

Den leeren Steg.

Mit zittrigen Beinen nahm Larkin die Stufen hinab zum Strand. Leider änderte sich sein Ausblick von dieser Position nicht wie von Zauberhand. Das Boot war weg. Und sobald er dort ankam, sah er auch, warum: Der vordere Teil des Stegs war, zusammen mit dem Stamm, an dem er sein Boot befestigt hatte, ins Meer gestürzt. Einzelne Bretter trieben unter ihm in den Wellen. Er zitterte, obwohl ihm der Schweiß auf der Stirn stand.

Larkin fluchte laut und ausgiebig in jeder Sprache, die ihm einfiel.

Dann heftete er den Blick aufs Meer. Der Nebel löste sich langsam auf, trübte jedoch weiterhin die Sicht. Er hechtete die Stufen wieder hinauf, um von der Klippe aus einen besseren Überblick zu haben. Egal, in welche Richtung er sich wandte, da war nur Wasser, das vom Nebel verschluckt wurde. Larkin folgte sogar den Klippen, bis sie eine Kurve machten. Nirgends hatte sich das Boot verfangen.

Es verschwand doch nicht einfach?

Wie kam er jetzt von dieser Insel weg?

Und wie erklärte er das dem Bootsverleih? Außerdem waren seine Sachen in dem Boot. Seine ganze Kleidung und ein Teil seiner Ausrüstung waren in einer der Kisten! Larkin hob einen großen Stein vom Boden auf und schleuderte ihn wütend von sich. Er landete platschend im Meer. Der Knoten in seinem Bauch wurde nicht leichter.

Er ließ sich an der Kante der Klippe nieder und rieb mit den Händen über das Gesicht. Es war noch nicht an der Zeit, Trübsal zu blasen. Darum zog er sein Smartphone aus der Jackentasche. Vielleicht war jemand bereit, ihn von der anderen Insel abzuholen.

Er wählte die Nummer der Frau, bei der er das Zimmer gemietet hatte, aber er bekam nicht einmal ein Freizeichen. Die Leitung war tot. Er sah auf das Display, auf das kleine X, das sich statt eines Empfangsbalkens in der oberen Ecke befand.

Natürlich.

Seufzend ließ er den Kopf hängen. Larkin war nie ein Mensch gewesen, der einfach aufgab. Die Steine, die das Leben ihm in den Weg legte, nutzte er höchstens, um es von oben aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Besitzer der Insel um Rat zu fragen. Sie hatten ein Boot. Vielleicht halfen sie ihm, nach seinem zu suchen. Oder ihn zumindest auf die andere Insel bringen, damit er von dort die nächsten Schritte überlegen konnte.

Mit neuem Elan raffte er sich auf, um ein weiteres Mal zu dem Haus zu gehen, von dem er gerade erst höchst unhöflich fortgeschickt worden war.

Ein weiteres Mal durch das niedrige Holztor, das ihn knarzend begrüßte. Ein weiteres Mal den langen Weg entlang. Ein weiteres Mal vorbei an dem Teich. Etwas kräuselte die Oberfläche, während er das schwarze Wasser betrachtete.

Da schwang die Tür auf und Hundegebell schallte durch die Luft. Zwei riesige Tiere sprangen die Treppe herunter und rannten auf ihn zu. Ihr Bellen ließ Larkin erstarren, wie ein Reh im Auge eines Gewehrlaufs. Die Krallen schabten laut über den Steinboden. Er fürchtete sich nicht vor Hunden, doch bei Tieren war immer Vorsicht geboten. Das hatte er früh auf seinen Reisen gelernt.

Der hellgraue Hund blieb vor Larkin stehen und bellte ihn weiterhin an. Der Schwarze ging um ihn herum und schnüffelte an seiner Hose. Die beiden reichten ihm beinahe bis zur Hüfte. Riesige, schlanke Hunde mit langem Fell. Und vielen Zähnen.

»Was willst du?«

Die fremde Stimme löste Larkins Aufmerksamkeit von den Hunden. Ein junger Mann stand auf der Treppe. Genau dort, wo zuvor die alte Dame gestanden hatte. Er trug eine dunkelgrüne Strickjacke, die ihm um Nummern zu groß war, dazu dunkle Hosen, die seine schmalen Beine betonten. An den Füßen trug er, trotz der milden Temperaturen, weder Schuhe noch Socken. Die schwarzen, welligen Haare waren zu einem unordentlichen Zopf zusammengefasst.

»Ich ...« Larkin war so überrascht, dass die Worte sich in seinem Mund überschlugen. »Mein Boot ist nicht mehr da.«

Der Fremde kniff die Augen zusammen. Dann pfiff er kurz und die Hunde gingen brav zu ihm zurück, sodass Larkin sich traute, näher zu kommen.

Sie setzten sich neben den Fremden und er strich dem Grauen über den Kopf. »Was meinst du?«

»Mein Boot war unten am Steg angebunden, und jetzt ist es weg!«

»Weg …?« Seine Hand stoppte.

Larkin nickte. »Der Steg ist eingebrochen.«

Der Mann ballte die Hand zur Faust. Seine Stimme war schneidend. »Du kannst nicht hierbleiben.«

Er hob seine Hände. »Das möchte ich auch gar nicht, vielleicht könnt ihr mich einfach auf Muckle Skerry absetzen. Dann störe ich nicht weiter.«

Der Fremde zog die Strickjacke zurecht, die ihm über die Schulter gerutscht war. Verschiedene Emotionen huschten über sein Gesicht, die für Larkin schwer deutbar waren, während der Mann das Gewicht vom einen auf das andere Bein verlagerte. »Das geht nicht.«

Larkin legte den Kopf schräg. »Wieso?«

Sein Gegenüber fuhr sich durch die Haare, was einige Strähnen aus dem Zopf löste. »Wir haben kein Boot.«

»Kein Boot? Aber ihr lebt auf einer Insel?« Kopfschüttelnd trat Larkin einen Schritt nach vorn, was die Hunde erneut zum Knurren brachte. Sofort blieb er stehen.

Wie war es möglich, ohne ein Boot auf der Insel zu überleben?

Der spitze Blick des Fremden hielt ihn gefangen. »Warum sollte dich das etwas angehen?«

»Ich dachte bloß …« ... dass er schnell von dieser verdammten Insel verschwand! Daraus würde nun nichts werden. Larkin seufzte. »Habt ihr denn ein funktionierendes Telefon, das ich kurz benutzen dürfte? Mein Handy funktioniert nämlich nicht.«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich befürchte nicht.«

Kein Boot, kein Telefon. Es würde Larkin nicht mehr wundern, wenn diese Menschen ohne Strom lebten.

Die Hunde wurden nervöser und winselten, je länger ihre Unterhaltung dauerte. Auch jetzt, während der junge Mann überlegte. Schließlich schloss er die Augen und seufzte tief.

»Okay. Du kannst bleiben.« Als er Larkin diesmal anstarrte, wirkten seine Augen beinahe schwarz. »Einmal die Woche kommt jemand und bringt Lebensmittel. Er kann dich sicher mitnehmen.«

Larkin war sich nicht sicher, ob es eine gute Idee war, zu bleiben.

Kapitel 2 – Larkin

Nur allmählich entließ der Traum ihn aus seinen Fängen. Bilder klammerten sich an seine Arme und zogen ihn hinab. Blinzelnd öffnete er seine Augen. Schwaches Licht fiel von draußen in das Zimmer, das ihm unbekannt war.

Das Fenster befand sich direkt über ihm. Es war mit gehäkelten Gardinen versehen, die ihren eigenen großmütterlichen Charme versprühten. Gegenüber dem Bett stand ein massiver Holzschrank mit geschnitzten Türen. Rechts von ihm waren Regale, hinter deren Glastüren sich Bücher und Dekoration abwechselten. Sein Bett war nicht sonderlich gemütlich. Die Füße hingen über die Kante, obwohl er nicht allzu groß war. Und die Bettwäsche roch muffig und war klamm, auch wenn sie mit hübschen Blumen bestickt war. Sie waren eindeutig nicht auf Besuch vorbereitet, obwohl sie so ein großes Haus besaßen. Im wenigen Licht entdeckte Larkin Spinnweben, die in jeder Ecke des Zimmers hingen.

Eine alte Lampe war an der Decke befestigt, die Larkin vorsichtig optimistisch stimmte. Immerhin gab es wohl Strom.

Er rollte sich auf die Seite und stockte.

Neben ihm lag etwas Dunkles auf der Matratze.

Sein Puls beschleunigte sich, während er sich eilig aufrichtete. Er betrachtete das runde Ding, das jetzt auf seine Hand zurollte. Eine Eichel? Auf seinem Kopfkissen lagen mehr Nüsse, die jetzt auf den Boden kullerten. Außerdem kleine Blumen, die er im Schlaf plattgedrückt hatte. Er hob eine blaue Blüte vom Kopfkissen und runzelte die Stirn.

Was zum Teufel?

War jemand im Zimmer gewesen, während er geschlafen hatte?

Auf dem Nachttisch neben dem Bett lagen mehr Nüsse und Blumen, von denen er sicher war, dass sie gestern nicht da gewesen waren. Was für ein dummer Scherz war das denn? Vielleicht gab es auf der Insel Kinder, denen er gestern bloß nicht begegnet war.

Larkin schwang die Beine aus dem Bett und rieb sich mit den Händen über das Gesicht. Als er danach durch seine Haare fuhr, fielen mehr Blumen und Blätter heraus und segelten zu Boden. Das war doch unfassbar!

Er zog das einzige frische Shirt aus dem Rucksack. Die Hose von gestern musste erst mal reichen. Er verbat sich, an die Ausrüstung zu denken, die er an Bord gelassen hatte. Stattdessen freute er sich darüber, dass ihm die Kameras, die wichtigsten Objektive, der Laptop und all seine Dokumente geblieben waren. Im Grunde sein ganzes Leben.

Er legte den Rucksack aufs Bett und machte eine schnelle Bestandsaufnahme.

In einer Seitentasche fand er sein Solarladegerät und eine uralte Packung Kaugummis. Er runzelte die Stirn, als er das Ablaufdatum las, das weit in der Vergangenheit lag. Aber in Ermangelung einer Zahnbürste, war es das Mindeste.

Sein Smartphone lag auf dem Nachttisch. Auch im Haus war der Empfang nicht besser. Er versuchte dennoch, jemanden zu erreichen, ohne Erfolg. Er stand am Fenster und konnte nicht weiter sehen als bis zum Ende des Teichs. Draußen war die Insel in Nebel gehüllt, dicht, wie eine Wand.

Als sperrte er ihn im Haus ein.

Sein Zimmer wurde erfüllt von dem Geruch nach frisch gebackenem Brot. Er atmete ihn tief ein.

Larkin wandte sich zur Tür. Wenn er ein paar Tage hierbleiben durfte, schloss das sicherlich die Verpflegung ein. Dann dachte er an die ungemütlichen Bewohner, die er bisher kennengelernt hatte, und zögerte, nach unten zu gehen.

Sein laut knurrender Magen half ihm schnell dabei, die Unsicherheit zu überwinden. Die Dielen knarrten unter ihm, wie auf einem alten Schiff, während er zur Tür ging. Larkin lauschte nach den Geräuschen im Haus, er hörte jedoch nur das leise Klappern von Geschirr. Weder Kinder noch die Hunde.

Er öffnete die Tür und fand den großen Flur verlassen vor sich. Sechs weitere Türen führten in unbekannte Räume. Nur eine hatte Glastüren, die etwas Licht in den Flur ließen. Diverse Bilder hingen an den Wänden. Sie waren allesamt gemalt, keine Fotografien. Verschiedene Landschaften waren auf den großen Leinwänden verewigt, von denen Larkin annahm, dass sie von dieser Insel stammten.

Malerische Seen im Sonnenschein, ein dichter Wald im bunten Herbstlaub. Auf einem war das Anwesen zu sehen. Ein Mensch stand auf der Eingangstreppe, der Larkin näher an das Bild herangehen ließ.

»Ah, gut. Sie sind schon wach!«

Er wirbelte zu der älteren Frau herum, die auf der Treppe stehen geblieben war. Sie betrachtete ihn argwöhnisch. »Ich war gerade dabei nach Ihnen zu sehen.«

»Guten Morgen«, antwortete Larkin mit seinem besten Lächeln. »Und ich war gerade auf dem Weg nach unten.«

Sie wandte sich wieder der Treppe zu und Larkin folgte ihr zögernd. Die Treppe endete in dem großen Saal, den er gestern betreten hatte. Von dort kam man in sechs weitere Räume, genau wie oben. Im Gegensatz zur oberen Etage standen die meisten Türen einladend offen. Sie führte ihn durch eine davon.

Der Saal war riesig. Zahlreiche Fenster ließen das gedämpfte Licht herein, das sich durch den Nebel kämpfte. Direkt vor ihm stand ein enormer Holztisch mit geschnitzten Beinen, an dem leicht zehn Personen Platz fanden. Am Ende des Zimmers führte eine doppelflügelige Glastür nach draußen. Davor stand ein schwarzer Flügel, dessen Lack selbst im Dämmerlicht glänzte. Neben ihm drapierten sich einige Ledersessel um einen niedrigen Tisch. Die Wand, an der es keine Fenster gab, war gesäumt von Regalen voller Krimskrams und Bücher, genau wie bei ihm oben im Zimmer. Dazwischen fanden sich in regelmäßigen Abständen große Gemälde mit Menschen. Porträts der Vergangenheit. Menschen in vornehmer Kleidung.

Von den hohen Decken hingen mehrere kitschige Kronleuchter, in denen jedoch Leuchtmittel befestigt waren und keine Kerzen. Von den Möbeln bis zur Tapete war alles in einem altbackenen, aber geschmackvollen Stil gehalten. Wie eine Reise in die Vergangenheit.

Die Hunde lagen nebeneinander vor dem Flügel. Nur der Graue hob träge den Kopf, als Larkin den Raum betrat. Sie hielten ihn offenbar nicht länger für einen Eindringling.

Der junge Mann saß am Kopf des Tisches. Er ließ seinen Blick über den Fremden schweifen, der lange an seinen Armen hängen blieb, bevor er sein Frühstück fortsetzte. Gestern waren Larkins Tattoos nicht sichtbar gewesen. Eine Mischung aus schwarzen geometrischen Elementen hinterlegt mit bunten Wasserfarben, die sich über seinen Körper verteilen.

»Setzen Sie sich ruhig.«

Die ältere Frau deutete auf den Platz neben ihm, und erst da fiel Larkin auf, dass der Tisch nur für drei Personen gedeckt war.

»Vielen Dank.« Larkin probierte es mit einem weiteren Lächeln und stieß bei ihr erneut auf eine Mauer. Darum ließ er sich geschlagen auf den Stuhl sinken. Das Frühstück war schlicht, aber alles sah köstlich aus.

»Wir haben uns gestern gar nicht mehr richtig vorgestellt«, sagte er und war sich damit der Aufmerksamkeit der beiden sicher. »Ich bin Larkin Weldon. Ich möchte mich nochmals dafür bedanken, dass Sie mir helfen.«

Der junge Mann stellte seine Teetasse ab. Sein kleiner Finger war gemeinsam mit dem Ringfinger in einen Verband gewickelt. Genau wie die Handfläche der anderen Hand. Erst aus dieser Nähe erkannte Larkin, dass seine Augen grün waren, wie ein finsterer Wald. »Es ließ sich kaum vermeiden. Mein Name ist Iver und das ist Martha McKinley, sie ist die Haushälterin dieses Anwesens.«

Es war schwer, sein Alter einzuschätzen. Seine scharfen, glatten Gesichtszüge ließen ihn jung erscheinen. Doch er konnte nicht viel jünger sein als er. Er war wohl der Herr des Hauses.

Larkin gab sich Mühe, sein Lächeln unter dem frostigen Tonfall nicht zu verlieren. Sie waren also nicht Familie? Mit jeder Minute, die er hier verbrachte, wurde es immer merkwürdiger.

Er wandte sich an Martha. »Vielen Dank für die Hilfe. Und sind Sie die einzigen Bewohner? Es gibt auf diesem Anwesen keine … Kinder?«

Iver legte den Kopf schief. »Kinder? Nein. Wie kommst du darauf?«

Larkin griff nach der großen Kanne, von der er sich Kaffee erhoffte, nur um dann einen grünlichen Tee in die Tasse zu gießen, der nach einem Erkältungsbad roch. »Ich hatte heute Morgen Blumen in meinem Bett und dachte, da erlaubt sich jemand einen Scherz.«

Iver wechselte einen langen Blick mit der Haushälterin. »Sei so nett und entferne sie nach dem Frühstück, Martha.«

»Aber natürlich, Iver.«

Larkin entging nicht, dass er dem Umstand, dass diese Dinge über Nacht in seinem Bett aufgetaucht waren, schlicht überging. Und da sie ihr Frühstück danach fortsetzten, gab es dem nichts hinzuzufügen. Die Stimmung am Tisch war erdrückend. Die Stille lag über ihnen wie der Nebel vor der Haustür.

Larkin traute sich kaum, ein Wort zu sagen.

Zumindest war alles, was er vor sich fand, lecker, denn seine letzte Mahlzeit lag einige Zeit zurück. Während Larkin sich erneut den Teller mit frisch gebackenem Brot und Eiern volllud, hatte Iver seines nicht einmal angerührt. Nur die Tasse hielt er die ganze Zeit über mit beiden Händen fest, wie eine Rettungsleine.

Nach einer Weile räusperte Larkin sich. Langanhaltende Stille hielt er nur mit den richtigen Personen aus. »Wann soll dieses Boot denn kommen?«

»In drei Tagen«, antwortete Iver kurz.

Larkins Augen weiteten sich. Drei weitere Tage musste er auf dieser Insel verbringen? In Gesellschaft dieser Menschen, die keinen Hehl daraus machten, dass sie ihn nicht in ihrem Heim begrüßten? Doch er war in keiner Position, sich darüber zu beschweren.

Iver setzte die leere Teetasse ab und erhob sich. Ohne ein weiteres Wort verließ er das Zimmer. Die Hunde hoben erst ihre Köpfe, dann trotteten sie ihm hinterher. Ihre Krallen klackten über das Parkett.

Martha blieb mit ihm sitzen und setzte ihr Frühstück fort. Dabei warf sie Ivers unberührtem Teller einen besorgten Blick zu.

Nach wenigen Minuten blubberte bereits der nächste Versuch eines Gesprächs aus Larkin hervor. »Ist es nicht ganz schön viel Arbeit, das ganze Haus in Schuss zu halten?«

Schließlich war sie nicht mehr die Jüngste.

Sie spitzte bloß die Lippen. »Wir sind ja höchstens zu dritt. Da hält sich die Arbeit in Grenzen.«

Zu dritt? Also versteckte sich doch noch jemand in den Zimmern? Oder sprach sie von der Person die sie regelmäßig mit Lebensmitteln versorgte? Larkins angeborene Neugier schwelte wie ein Feuer in ihm. Da war dieses seltsame Haus mit diesen seltsamen Menschen darin, über das er gestolpert war. Und er brannte darauf, herauszufinden, was ihm verschwiegen worden war.

Larkin stellte sein Geschirr zusammen, sobald er fertig war. »Wenn ich mit irgendwas im Haus helfen kann, lassen Sie es mich wissen. Ich möchte mich gern irgendwie revanchieren.«

Sie musterte ihn argwöhnisch. »Das wird nicht nötig sein.«

Er belud das Tablett, das neben Martha auf dem Tisch stand, mit ihrem Geschirr und allem, was sich sonst noch darauf stapeln ließ. Es wackelte leicht, als er sich erhob und zurück in den Eingangsbereich ging. Direkt neben dem Esszimmer machte er durch die offene Tür die Küche aus. Obwohl der Raum groß war, war die Küche lediglich mit dem nötigsten ausgestattet. Keine modernen Geräte außer einem Backofen und dem Kühlschrank. Es gab Gaskochfelder und nicht einmal eine Kaffeemaschine. Keine Spülmaschine.

Darum ließ er kurzentschlossen heißes Wasser in das Waschbecken einlaufen. Während er wartete, fand er an den Wänden weitere Bilder. Larkin erkannte denselben Stil aus der ersten Etage wieder. Hier waren es jedoch nur kleinformatige Leinwände. Dadurch schmückten Blumen und winzige Landschaften die ansonsten kahle Wand.

Die Bilder, die Menschen sich an ihre Wände hingen, sagten viel über sie aus.

Martha betrat nach ihm die Küche und brachte die wenigen Sachen mit, die nicht mehr auf das Tablett gepasst hatten.

Sie stockte, als sie sah, dass das Wasser lief. Und bevor sie sich beschwerte, fing Larkin an abzuwaschen. Er hatte auch nie ein Gerät besessen, das ihm diese Arbeit abnahm. Darum gehörte es für ihn nach jeder Mahlzeit dazu.

Kurz darauf stand Martha mit einem Handtuch neben ihm, um abzutrocknen. Sie arbeiteten in angenehmer Stille.

Martha bat ihn, im Wohnzimmer zu warten, solange sie sein Zimmer in Ordnung brachte. Das Wohnzimmer schloss sich direkt an den großen Saal an, in dem sie gefrühstückt hatten. Ein Kamin war darin, der jedoch nicht in Betrieb war. Dafür waren die Temperaturen nicht niedrig genug.

Der Herbst entfaltete erst seine Kraft. Es würde noch dauern, bis die Temperaturen sanken.

Mehrere Sofas und Sessel standen im Raum verteilt. Zwei der vier Wände waren mit Bücherregalen gefüllt. Larkin studierte die verschiedenen Titel und fand eine bunte Mischung aus Krimis, Liebesromanen und Fantasy. Die meisten waren alt und ihre Buchrücken wiesen deutliche Gebrauchsspuren auf.

Große Fenster säumten eine Seite des Raumes, von der aus er denselben Ausblick hatte wie aus seinem Zimmer. Er setzte sich in einen der Sessel mit Blick auf die neblige Insel und lehnte sich zurück.

Jemand berührte seine Schulter. Larkin zuckte zusammen. Sein Kopf, der auf die Brust gesunken war, schnellte hoch. Martha stand neben seinem Sessel und ein winziges Lächeln lag auf ihren strengen Zügen.

»Mir scheint, die Nacht war nicht sehr erholsam.«

»Bin ich eingeschlafen?« Larkin erhob sich und streckte die Hände über den Kopf, um die Müdigkeit abzuschütteln, die seine Glieder schwer machte.

»Das macht doch nichts. Das Zimmer ist fertig, falls Sie lieber dort schlafen möchten.«

Er schüttelte den Kopf. »Schon gut. Aber vielen Dank.«

Sie winkte ab und wandte sich um, blieb dann in der Tür jedoch stehen. »Falls Sie noch einmal solche Blumen bei sich finden, geben Sie mir Bescheid.«

Sie wartete nicht auf eine Antwort und gab ihm keine weitere Erklärung.

Zurück auf seinem Zimmer erwartete ihn keine neue Überraschung. Doch nun, wo er wusste, dass sie die einzigen Menschen auf dieser Insel waren, war die Sache mit den Blumen auf seinem Kopfkissen noch eigenartiger.

Denn dann war es einer von den beiden, der sich nachts in sein Zimmer geschlichen hatte. Oder waren es die Hunde gewesen?

Larkin hob sein Smartphone auf, das auf dem Nachttisch lag, und starrte auf das X in der Ecke. Niemand hatte versucht, ihn anzurufen. Keine Nachrichten, keine E-Mails.

Er war auf seinen Touren öfter von allem abgeschnitten gewesen. Nicht jeder lebte so ein luxuriöses Leben wie die Europäer. Und normalerweise störte ihn der Umstand nicht, ein paar Tage nicht erreichbar zu sein. Auch er rief manchmal erst Tage später zurück, wenn er einen Anruf verpasste. Doch er hätte gern etwas gegen seinen Zustand unternommen – gegen diese unnötige Zeit, die er auf dieser Insel festsaß. Zudem hatte niemand die Frau angerufen, die seit gestern auf ihn wartete. Sicher machte sie sich Sorgen.

Außerdem hatte er auf einen lang ersehnten Anruf gewartet.

Wenn er gezwungen war, drei Tage zu warten, würde er nicht darum herumkommen, nach frischer Kleidung zu fragen. Oder seine zumindest irgendwo waschen. Er wandte sich um und betrachtete den massiven Schrank.

Er hatte zwei Türen und unten drei kleinere Schubladen. Die Schlüssel steckten in den Schlössern der Türen, und so zog Larkin sie mit ihrer Hilfe auf. Die Scharniere knarzten laut, als wären sie seit Jahren nicht mehr geöffnet worden. Diese Hälfte des Schranks war beinahe leer. Kleiderbügel hingen vergessen an der Stange. Auf dem Boden lagen einige gefaltete Stoffe, die nicht nach Kleidung aussahen. Darum öffnete Larkin auch die andere Seite und stockte.

Dort hingen Kleider. Leichte Sommerkleider, mit fröhlichen, bunten Blumen bedruckt. Es war schwer vorstellbar, dass sie Martha gehörten. Weder die Größe noch der Stil passten zu ihr. Und sie waren zu neu, um aus ihrer Kindheit zu stammen. Gab es doch einen dritten Bewohner?

Larkin zog an der Schublade. Sie klemmte, doch mit einem festen Ruck war es ihm möglich, sie zu lösen. Darin war mehr Kleidung, diesmal weder gefaltet noch gebügelt. Es war alles hineingestopft worden, sodass es beim Öffnen herausquoll.

Mit spitzen Fingern griff er nach dem obersten Teil, das sich ihm entgegenstreckte. Es war ein Hemd, mit einem grässlichen Muster, wie sie seit Jahrzehnten nicht mehr verkauft wurden. Stirnrunzelnd sah Larkin hinab auf die Schublade, als er das Kleidungsstück darunter sah. Es war voller brauner Flecken.

Larkin hatte keine Ahnung, welchen Ursprung diese tiefbraunen Flecken hatten.

Und er beabsichtigte nicht es herausfinden.

Kapitel 3 – Larkin

So schnell wie möglich stopfte er das Hemd zurück in die Schublade und schloss sie mit mehr Kraft als nötig. Er trat einen wackeligen Schritt von dem Schrank zurück und atmete tief durch. Versuchte, das Bild wieder aus seinem Kopf zu löschen.

Es war bloß ein Fleck. Dafür gab es alle möglichen Gründe. Er machte lieber keine Unterstellungen bei der kurzen Zeit, die er ihn gesehen hatte.

Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass keines der Kleidungsstücke zu den Einwohnern des Hauses passte. Wofür war dieser Schrank? Dieses gesamte Zimmer? Larkin drehte sich einmal im Kreis, bis er die Regale betrachtete. Er durchquerte den Raum und sah sich den staubigen Inhalt genauer an.

Die Bücher stellten sich als Lexika heraus. Ein weiteres veraltetes Objekt in dieser modernen Welt. Diverse Bände standen dort, um einem die Welt in Kurzform zu erklären. Etwas, das nicht einmal er während seiner Schulzeit genutzt hatte. Auch wenn er sie von seinen Eltern kannte. Erbstücke einer Generation, die längst überholt waren.

Zwischen den Büchern standen Vasen und Gefäße, die teils leer und teils mit getrockneten Blumen gefüllt waren. Genau wie verschiedene Holzfiguren und Kerzenständer. Ein buntes Sammelsurium fremder Andenken. Nichts, was ihm besonders ins Auge gestochen wäre.

Darum öffnete er die Tür zum Flur und sah hinaus. Dieser war weiterhin verlassen, darum ging Larkin mit leisen Schritten weiter. Direkt neben seiner Tür lag eine weitere. Da seine keinen Schlüssel besaß, vermutete er bei den anderen dasselbe. Wer würde auf einer einsamen Insel bei ihnen einbrechen? Larkin legte die Hand auf den alten Türgriff und drückte ihn hinunter. Diese Tür knarzte weit weniger, als seine. Das Zimmer dahinter war unspektakulär, aber eindeutig bewohnt. Ein breites Bett mit etlichen Stapeln Bücher auf dem Boden davor. Ein großer Teppich und ein Kissen – sicher für die Hunde. Überall hingen Kleidungsstücke herum, die niemand wegräumte. Dicke Pullover und weitere Strickjacken.

Auch wenn es Larkin in den Fingern kribbelte, mehr über seinen seltsamen Gastgeber zu erfahren, betrat er das Zimmer nicht. Iver war ohnehin wütend über seine Anwesenheit. Seine unstillbare Neugier würde alles verschlimmern. Stattdessen schloss er die Tür wieder und ging zum nächsten Raum.

Er war ganz ähnlich wie seiner eingerichtet. Es gab zwei Nachttische und zwei Schränke, dafür keine weiteren Möbel. Das Fenster lag direkt über dem Bett und ließ genug Licht hinein. Am Fuß des Bettes stand eine große hölzerne Truhe. Auch wenn diese ihn für seine Angst auszulachen schien, Larkin hatte für heute eindeutig genug geöffnet.

Dann wurde Larkins Blick von etwas anderem angezogen.

Da war eine weitere Tür in diesem Zimmer.

Zu einem Raum, der vom Flur aus nicht erreichbar war. Er erwartete darum ein Badezimmer. Aber er wurde eines Besseren belehrt, als er die Tür öffnete. Das Licht war gedämpft, da Vorhänge die Fenster an beiden Seiten verdeckten. Grässliche Spitzenvorhänge, die vor Jahren bestimmt einmal weiß gewesen waren. Nun hüllte Staub und Dreck sie in ihr graues Kleid. Sie ließen jedoch genug Licht hindurch, um sich umzusehen.

Der Raum war gefüllt mit Violinen.

Sie standen auf dem Boden auf kleinen Ständern oder lagen in ihren Koffern. Einige hingen an den Wänden in speziellen Halterungen. Darunter war eine weitere Aufhängung für die Bögen. Einigen Violinen war ein Tuch übergeworfen worden, um sie vor dem Staub zu schützen, andere standen so im Raum herum. Sicher zwanzig verschiedene Modelle gab es. Lang vergessene Relikte, wie Larkin an der Staubschicht festmachte.

Behutsam ging Larkin in die Mitte des Raumes und runzelte die Stirn. Wer brauchte so viele Violinen? Larkin kannte sich mit Instrumenten nicht aus, darum erkannte er keine Unterschiede zwischen ihnen.

War das eine seltsame Sammelleidenschaft? Dann würden sie sicher nicht so schlecht behandelt werden.

Andererseits sagten viele Menschen das auch über seine Kameras und Objektive. Darum sollte er sich vielleicht nicht allzu sehr über dieses Sammelsurium wundern.

Solchen Staub würden seine Kameras sicherlich nicht ansammeln. Der eigenartige Drang, sie von diesem schmachvollen Zustand zu befreien, überkam ihn. Doch er hatte kein Recht, sich an fremdem Eigentum zu vergehen. An den Fußspuren, die er im Staub hinterließ, sah er, dass diese Tür lange nicht mehr geöffnet worden war. Darum verließ er es eilig wieder.

Mit jedem weiteren Raum, den er sich ansah, wurde dieses Haus gruseliger. Die nächste Tür gehörte zum Badezimmer, das, bis auf die alten Fliesen und der enormen Größe, normal war. Iver hatte ihm gestern gezeigt, wo es lag.

Beim nächsten Zimmer blieb er erneut an der Tür stehen.

Ein schmales Bett befand sich der Tür gegenüber an der Wand. Am Fenster stand eine leere Staffelei und davor ein Stuhl. Auf einem niedrigen Tisch daneben standen Becher mit Pinseln und Farbtuben. Ansonsten gab es nur einen Schrank und eine niedrige Kommode. Die restlichen Wände waren vollgehangen mit Bildern. Doch er war nicht darauf aus, weiter in ihre Privatsphäre eindringen, darum schloss er auch diese Tür wieder.

Daneben lag das Zimmer mit der Doppeltür. Sie war aus Glas und gab den Blick frei auf das Zimmer dahinter. Es war kein richtiges Zimmer. Denn darin standen nur zwei gemütliche Sessel vor einem niedrigen Tisch und mehr Regale mit Büchern.

Er öffnete die Glastüren und trat ans Fenster. Jedes Zimmer hatte einen besonderen Ausblick, doch dieser war sicherlich der schönste. Die ganze Insel erstreckte sich vor ihm, da das Anwesen auf einer leichten Erhöhung stand.

Vielleicht gelang es ihm wenigstens, ein paar Fotos zu schießen, wenn er schon auf der Insel gestrandet war.

Der schwarze Hund lief unten am Teich vorbei und rannte dann blitzschnell vom Haus fort über die Wiese, als ob er etwas entdeckt hätte. Kurz darauf bemerkte Larkin Iver. Seine Haare wurden vom Wind zerzaust und er strich sie vergeblich aus dem Gesicht. Der andere Hund hielt sich immer an seiner Seite, wie ein Schatten. Iver schlang die Strickjacke enger um sich und folgte dem Weg, der sich vom Haus entfernte.

Am Ende des Teichs wandte er sich um und sah direkt zu ihm hoch.

Larkin unterdrückte den Drang, sich vom Fenster zu entfernen und so zu tun, als hätte er ihn nicht beobachtet. Er blieb stehen und starrte zurück, nicht sicher, ob Iver ihn von dort aus überhaupt erkannte. Erst als Iver sich zu den Hunden umwandte, die an seiner Jacke zogen, löste Larkin sich aus seinem Bann. Und da merkte er, dass er den Atem angehalten hatte.

Er wandte sich der letzten Tür im Flur zu, die noch geschlossen war.

Da Martha erwähnt hatte, dass sie zu dritt lebten, erwartete er ein weiteres Schlafzimmer. Und da er die dritte Person bisher nicht gesehen hatte, klopfte er vorsichtshalber an die Tür.

Er bekam jedoch keine Antwort. Stattdessen umgab ihn eine geisterhafte Stille. Als er die Tür behutsam öffnete, war das Erste, was er entdeckte, zwei Gewehre, die an der Wand ihm gegenüber befestigt waren.

Larkins Augen weiteten sich und er blieb überrascht stehen. Es schien nicht bloß eine eigenartige Dekoration zu sein, denn im Gegensatz zu allem anderen in diesem Haus sahen sie nicht alt aus. Es waren moderne Modelle, von denen eines sogar ein Zielfernrohr besaß.

Links daneben stand ein großer Schreibtisch an der Wand. Einige goldene Bilderrahmen standen darauf, in denen sich das Licht spiegelte, sodass er die Bilder nicht erkannte. Kurzerhand ging er weiter hinein.

Es war ein seltsamer Raum. Denn unter dem Fenster fand er nicht, wie bei den anderen, ein Bett, sondern bloß ein sehr gemütlich aussehendes Sofa. Auf der Fensterbank standen einige Bücher, die vom Sonnenlicht vergilbt waren. Die Wände waren dafür, im Gegensatz zum restlichen Haus, kahl. Vielleicht war es kein weiteres Schlafzimmer, sondern ein Büro.

Er stand vor dem Schreibtisch und griff nach dem Bilderrahmen. Die goldene Farbe auf den filigranen Elementen war zu einem blassen Ton angelaufen. Das Bild darin zeigte eine Frau mit dunklen Haaren und einem einnehmenden Lächeln. Sie schlang die Arme um ein kleines Mädchen, das unverkennbar ihre Tochter war.

Auf einem anderen Bild war ein Baby zu sehen, umgeben von Decken und Kissen. Ob es dasselbe Mädchen war, konnte er nicht mit Sicherheit sagen.

Am Ende des Tisches lag ein weiter Rahmen, mit dem Bild nach unten auf der Tischplatte. Im Gegensatz zu den anderen beiden war dieser nicht aus verschnörkeltem Gold, sondern aus einfachem Holz.

Er griff danach und drehte ihn um.

»Möchten Sie einen Tee?«

Larkin zuckte zusammen, als er die barsche Stimme von der Treppe hörte. Dabei glitt ihm der Rahmen aus der Hand und fiel klappernd auf den Schreibtisch. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er atmete tief durch, bevor er antwortete. »Ja, danke. Ich komme sofort.«

Den Rahmen legte er wieder zurück an die Stelle, wo er ihn aufgehoben hatte. Danach ging er auf Zehenspitzen bis zur Tür und schloss sie behutsam hinter sich.

Die Stufen kündigten ihn knarrend an, während er die Treppe hinabging. Ihm stieg ein verführerischer Duft in die Nase, noch besser als das frisch gebackene Brot vom Morgen. Larkin nahm einen tiefen Atemzug des herrlichen Aromas.

Martha führte ihn zurück an den großen Tisch, an dem sie gefrühstückt hatten. Je näher sie kamen, desto mehr vermischte sich die Süße mit dem Geruch von würzigem Tee. Zwei große Kannen standen dort, von denen sich Dampf in die Luft kräuselte. Dazwischen stand ein Korb mit Gebäck.

»Mhh ... Das riecht fantastisch.«

Er setzte sich und Martha nahm ihm gegenüber Platz. Sie akzeptierte sein Lob mit einem Nicken und bedeutete ihm, sich zu bedienen. Larkin liebte Scones. Ein Gebäck, dessen Charme sich der Rest der Welt offenbar entzog. Darum war es das Erste, was er sich holte, wenn er in die Heimat zurückkehrte. Mit einem seligen Lächeln legte er sich gleich zwei auf den kleinen Teller. Der dritte Platz, der gedeckt war, blieb leer.

Larkin starrte auf den leeren Stuhl. »Sollen wir noch warten?«

»Das lohnt sich nicht.«

Während Larkin seinen Scone halbierte, lief der graue Hund draußen an der Glastür vorbei. Da er wohl Martha am Tisch sitzen sah, blieb er dort sitzen. Larkin versuchte, sich nicht von ihm ablenken zu lassen. Noch bevor er das erste Mal abbiss, saß der andere Hund direkt neben ihm und kratzte mit der Pfote an der Scheibe.

»Soll ich …?«

»Nein, nein. Sie wissen, dass sie da nicht durch die Tür dürfen.«

Kurz darauf stand Iver hinter den Hunden und wies sie in eine Richtung. Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick auf das Essen standen sie auf und tapsten los. Iver folgte ihnen gemächlich. Dann wurde die Eingangstür geöffnet und die Hunde kamen bellend ins Zimmer gerannt. Dabei hinterließen sie schmutzige Pfotenabdrücke auf dem Parkett. Ein einziger von Marthas strengen Blicken ließ sie jedoch verstummen.

Unmittelbar hinter ihnen folgte Iver. Sein Haar war vom Wind vollkommen zerzaust. Er machte sich jedoch keine Mühe, es zu ordnen.

Martha seufzte. »Wirst du irgendwann daran denken, sie sauber zu machen, bevor sie ins Haus kommen?«

Er sah auf sich hinab, auf seine eigenen Füße. »Oh …«

Die Hausdame warf ihm wortlos das Küchenhandtuch zu, das über dem Stuhl neben ihr hing. Iver fing es auf, doch anstatt zu den Hunden zu gehen, fing er an, seine eigenen Füße abzuwischen. War er selbst bei dem Wetter barfuß unterwegs? Larkin widerstand nur mit Mühe dem Drang, unter dem Tisch nachzuschauen.

Mit einem kurzen Pfiff waren die beiden Hunde bei ihm und bekamen dieselbe Behandlung, die sie ohne Beschwerde über sich ergehen ließen. Dann setzten sie sich neben Martha, als erwarteten sie etwas von ihr. Larkin nahm nicht an, dass ausgerechnet sie ihnen etwas vom Tisch gab.

Ivers Stuhl kratzte über den Boden, während er sich setzte. Er griff nach der Teekanne und füllte seine Tasse. Larkin bemerkte, dass er an jeder Hand einen schmalen, schwarzen Ring trug.

Da brannten so viele Fragen in ihm – eindeutig eine Berufskrankheit. Da er ungefragt hier war, schienen sie ihm nicht angemessen. Darum versuchte Larkin es mit einer leichten.

»Das ist ein überaus schönes Haus.«

Als er keine Reaktion von den beiden bekam, fügte er mit einem Nicken auf die Porträts hinter ihnen hinzu: »Ist es ein Familienerbstück?«

Sein Gastgeber bedachte ihn mit einem abschätzigen Blick und griff nach einem Scone. Erst nachdem er es auf seinem Teller zerteilt hatte, ließ er sich zu einer Antwort herab.

»Es gehört mir nicht.«

Zugegeben, die Männer auf den alten Bildern hatten nichts mit ihm gemeinsam. Er war weder blond, noch besaß seine Haut solch einen gesunden Farbton. Larkin erkannte sein Fettnäpfchen und überspielte es geschickt.

»Ich habe gar nicht die Namen von den Hunden mitbekommen.«

Iver seufzte, als würde ihn die Antwort anstrengen. »Die Graue ist Dawn und der Schwarze heißt Nilam.«

Larkin wartete vergeblich darauf, dass er mehr zu seinen Begleitern sagen würde. Obwohl er ihn erwartungsvoll ansah.

»Was ist das für eine Rasse?«, fragte Larkin darum einfach weiter. Und als wüssten sie, dass man über sie sprach, standen die beiden Hunde auf und setzten sich stattdessen zwischen Iver und Larkin. Sie sahen ziemlich lustig aus mit ihrer langen Schnauze und dem schlaksigen Körper. Ihre flauschigen Schwänze schwangen erwartungsvoll über den Boden.

»Das sind Barsoi«, antwortete Martha an seiner Stelle, während Iver ihnen über den Kopf strich und sie hinter den Ohren kraulte. Es überraschte Larkin nicht, dass er für die Hunde ein Lächeln übrig hatte. »Russische Windhunde.«

Die Hunde waren sicher eine angenehmere Gesellschaft als sein wortkarger Gastgeber. Behutsam schob Larkin seine Hand in ihre Richtung und sie schnupperten beide neugierig an dem Fremden. Ihre feuchten Nasen drückten sich in einer kalten Begrüßung an seine Haut. Sie trugen kein Halsband oder Ähnliches, aber auf dieser Insel brauchten sie auch keine Leine.

Da kam ihm ein anderer Gedanke. »Wäre es okay, wenn ich später etwas spazieren gehe und ein paar Fotos von der Insel mache?«

Martha sah von ihrem Teller auf. Sie schmierte Marmelade auf den dritten Scone, während Iver nur kleine Fetzen aus dem Teig herausriss und ohne den köstlichen Belag aß. Sein Blick war voller Misstrauen. »Fotos?«

»Ja. Ich habe eine Kamera dabei. Und das, was ich bisher von der Insel gesehen hab, war durchaus schön. Ich würde gern ein paar Erinnerungsfotos machen.«

Die beiden Bewohner wechselten einen Blick. Unterhielten sich in einer stummen Sprache, die er nicht verstand. Larkin versuchte, seine Anspannung mit dem Tee zu lösen. Dieser schmeckte diesmal zumindest nicht nach Medizin, darum genoss er ihn. Er brauchte die Erlaubnis der Eigentümer, wenn er die Fotografien jemals später der Öffentlichkeit zeigen wollte. Wie oft waren seine Vorhaben schon an genau dieser Grenze gescheitert. Was für Bilder hätte er der Welt zeigen können, hätten diese Menschen sich nicht geweigert.

Sie hatten sich zur Ecke des Tisches vorgelehnt und unterhielten sich im Flüsterton. Als die beiden in seine Richtung sahen, war sein Körper wie unter Strom.

Iver lehnte sich zurück. »Gut. Wir erlauben es dir.« Die Freude suchte sich einen Weg aus ihm hinaus, da verengten Iver die Augen. »Aber du musst mir die Bilder zeigen, bevor du die Insel verlässt. Ich entscheide, welche du behalten darfst.«

Larkin lächelte breit. Davon ließ er sich nicht aufhalten. »Selbstverständlich. Vielen Dank.«

Iver hob seine Tasse und nahm einen Schluck des dampfenden Getränks. Dann bedachte er Larkin mit einem abschätzigen Blick. »Aber sei vorsichtig da draußen. Wenn dir etwas zustößt, wird dich niemand hören.«

Larkins Lächeln gefror. Er hielt dem Starren stand. Wie überaus charmant, ihn darauf hinzuweisen, dass sie vollkommen allein auf dieser Insel waren. »Keine Sorge. Das bin ich immer.«

Was die meiste Zeit zutraf. Es gab durchaus die ein oder andere Ausnahmesituation, in der man für das richtige Bild etwas zu viel riskiert hatte.

Sein Gegenüber nickte bloß, bevor er sich dem Essen widmete. Gesprächiger als beim Frühstück waren die beiden jedoch nicht. Mit jeder Minute wuchs die Anspannung in ihm. So wurde auch diese Zusammenkunft zu einer Qual für Larkin und all seine unbeantworteten Fragen. Er hatte verstanden, dass sie lieber unter sich blieben. Die zwei Tage würden sie ihn, wohl oder übel, ertragen müssen.

Nachdem Iver aufgestanden war, und den Raum verlassen hatte, entspannte er sich etwas. Larkin hörte, wie er die knarzende Treppe hinaufging und eine der Türen laut hinter sich ins Schloss zog.

Nachdem Martha und er satt waren, half er ihr beim Abräumen. Diesmal scheuchte sie ihn jedoch aus der Küche, als er erneut beim Abwasch helfen wollte.

Larkin stand verloren im Esszimmer. Er betrachtete den Flügel, der selbst bei dem spärlichen Licht glänzte, das durch die dichte Wolkendecke kam. Nur wenige Fingerabdrücke waren auf der glatten Oberfläche zu erkennen. Ein Zeichen, dass er geliebt wurde. Vermutlich waren die Geigen doch kein Sammelobjekt.

Vielleicht wohnte ein musikalischer Mensch in diesen Mauern.

Das erklärte jedoch nicht, warum man allein lebte. Nur mit einer grummeligen Haushälterin und zwei Hunden in diesem riesigen, leeren Anwesen. Ohne eine Möglichkeit, die Insel zu verlassen. Da würde jeder früher oder später verbittert werden. Für Larkin klang das nach einem wahrgewordenen Albtraum.

Dann fielen ihm Ivers verletzte Hände wieder ein. Larkin sah auf seine eigenen hinab und schloss seine Finger gedankenverloren zur Faust. Auch er brauchte sie für seine Leidenschaft. Was, wenn die Violinen deswegen vergessen in diesem Zimmer lagen, da es Iver nicht mehr möglich war, zu spielen? Weil er auf etwas verzichten musste, das er liebte.

Larkin ging hinüber ins Wohnzimmer, und obwohl der Raum voller Bücherregale war, fand Larkin kein einziges Foto auf den Regalen. Keine persönlichen Gegenstände, außer den kitschigen Porzellantieren, die neben den Büchern standen.

Keine Erinnerungen oder Familienbilder. Keine Schnipsel der Vergangenheit. Nur mehr der auf Leinwand festgehaltenen Natur. Falls Martha die alle gemalt hatte, war sie äußerst talentiert. Es kribbelte ihn in den Fingern, all diese Orte, die sie festgehalten hatte, zu besuchen.

In einer Ecke wurde er dann doch fündig. Ein ganzer Stapel Notenhefte, die zusätzlich darauf hindeuteten, dass das Instrument im Nebenraum nicht nur Dekoration war. Mit schiefgelegtem Kopf betrachtete er die vielen Noten und komplizierten Zeichen auf der Seite. Mit klassischer Musik tat Larkin sich schwer. Für ihn brauchte Musik Beats, zu denen man tanzen konnte.

Er hörte über sich die knarzenden Dielen. Rasch stellte er die Hefte mit den seltsamen Namen wieder in das Regal. Die Hunde standen bei dem Geräusch ebenfalls auf und trotteten in den Eingangsbereich. Kurz darauf polterte Iver die Treppe herunter.

Er gab nicht Bescheid, wohin er ging, und Martha fragte nicht nach.

Larkin ging in die Küche und sah durch das Fenster, wie er sich immer weiter von ihm entfernte. Die Hunde rannten aufgebracht um ihn herum, jagten einander spielerisch durch das hohe Gras.

»Ist er ...?«

Zu seiner Überraschung unterbrach Martha ihn grob. »An deiner Stelle würde ich meine Neugier zügeln.«

Er schluckte den Rest der Frage herunter.

»Es ist einfacher so«, fügte sie seufzend hinzu und wandte sich von ihm ab.

Die Frage lag wie ein Stein in seinem Magen, neben all den anderen. Sie rieben mit ihren scharfen Kanten an seinem Inneren und verlangten, gehört zu werden.

Seine Schwester hatte immer gesagt, dass die Neugier ihm eines Tages zum Verhängnis werden würde. Doch ohne sie würde er in seinem Leben nicht dort stehen, wo er jetzt war. Nun, ohne die Neugier würde er sicher auch nicht auf dieser Insel festhängen, aber das war nur ein vorübergehender Rückschlag.

Die Sonne brach durch die Wolken und tauchte das Land vor dem Fenster in Licht. Sie wanderten wie Suchscheinwerfer über die Erde und verwandelten das Gras in Gold. Als brannten sie lichterloh.

Für den Moment gerieten die Fragen in den Hintergrund. Es drängte ihn, hinauszugehen und diese einzigartige Stimmung für immer festzuhalten.

Kapitel 4 – Larkin

Larkin erwachte mit einer Melodie auf den Lippen.

Er war in der Nacht von Musik geweckt worden. Eigenartige, fremde Musik, die er nichts zuordnen konnte, was er zuvor vernommen hatte. Sie war kaum hörbar gewesen, bloß ein Echo vom anderen Ende der Insel, getragen vom Rascheln der Blätter im Wind. Und dennoch erinnerte er sich an sie, als wäre er Teil der Stimmen gewesen. Als hätte er sie selbst gesungen, bis seine Kehle rau war.

Vielleicht war das alles bloß ein Traum.

Er setzte sich im Bett auf. Ein scharfer Schmerz fuhr durch seine Schläfen und er kniff die Augen zusammen. Die Sonne schien in sein Zimmer und erinnerte ihn daran, den Tag zu beginnen.

Larkin griff zuerst nach dem Smartphone, doch an dem fehlenden Empfang hatte sich leider nichts geändert. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er das Frühstück längst verschlafen hatte. Er war sich nicht sicher, ob er das Klopfen an seiner Tür bloß überhört hatte oder ob sie ihn bewusst ausgeschlossen hatten. Nachdem er das nutzlose Gerät abgelegt hatte, fand er auf dem Nachttisch eine Blume. Er nahm sie hoch und drehte sie langsam an ihrem langen Stängel. Ein kleines, unauffälliges, gelbes Blümchen ohne Blätter. Er legte es dorthin zurück, wo er es gefunden hatte, da es ihm nicht richtig vorkam, es wegzuschmeißen.

Behutsam öffnete er die Tür und spähte hinaus in den Flur. Zumindest war niemand zu sehen. Alle Türen waren ordentlich geschlossen, selbst wenn keine von ihnen verschlossen war.

Sein Ausflug vom Vortag hatte Larkins Stimmung deutlich angehoben. Das, was er bisher von der Insel gesehen hatte, war außergewöhnlich schön. Natur, beinahe unberührt von Menschen.

Er freute sich darauf, mehr davon zu entdecken. So wären diese Tage zumindest nicht gänzlich verschwendet.