White Fang - Jack London - E-Book

White Fang E-Book

Jack London

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Beschreibung

Ein breit angelegter Erlebnisroman, in dem ein Wolfsjunges durch "Zufälle" an Menschen gerät und dort durch eine harte Schule geht. Gepaart mit stark gezeichneten Charakteren wird durch die in den Text integrierten Illustrationen eine vollendete Romanwelt gezeigt.

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Seitenzahl: 378

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WHITE FANG

Wolfsblut

VONJACK LONDON

 

IN EINER UNGEKÜRZTEN NEUÜBERSETZUNG VON DIETER KURZ

IMPRESSUM

© 2022 Dieter Kurz, Jack London

Übersetzt von: Dieter Kurz

Sprache der Originalausgabe: Englisch

ISBN Hardcover: 978-3-347-92759-9

ISBN E-Book: 978-3-347-92760-5

Druck und Distribution im Auftrag des Übersetzers:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Übersetzer verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Übersetzers, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Umschlag, Illustration: Dieter Kurz unter Verwendung des Titelblatts der Erstausgabe von 1906.

Grundlage für diese Übersetzung ist die Ausgabe von 1906, die den ungekürzten Text enthält. Diese Texte, sowie die vom Übersetzer verwendeten Illustrationen sind gemeinfrei und unterliegen keinem Copyright mehr.

ANMERKUNGEN ZUR NEUÜBERSETZUNG

Nach Empfehlung seines Hausarztes, und durch die Geduld seiner Lebensgefährtin und die Aura der drei Hauskatzen kam die Neuübersetzung des Wolfsbluts oder - im Original - "White Fang" von Jack London, zustande. Die Namen, welche der Autor den Menschen und Tieren gab, wurden im Original belassen. Die amerikanische Alltagssprache, welche von einigen Romanfiguren benutzt wird, wurde in deutsche Umgangssprache übersetzt. Fußnoten liefern die zum Verständnis des Textes notwendigen Erklärungen. Die Grafiken sind in liebevoller Kleinarbeit vom Übersetzer aus öffentlich zugänglichen Quellen zusammengestellt und bearbeitet worden. Das hebt die vorliegende Neuübersetzung deutlich von anderen Auflagen ab. Es ist nach dem "Südpol" der zweite Ausflug des Übersetzers in die Neuzeit, ansonsten widmet er sich bevorzugt spätromantischer amerikanischer Literatur (Herman Melville, John Fenimore Cooper).

Lichtenstein, im Frühjahr 2023

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

ANMERKUNGEN ZUR NEUÜBERSETZUNG

DER AUTOR

DIE ILLUSTRATOREN

TEIL 1: DIE WILDNIS

KAPITEL I: DER WEG DES FLEISCHES

KAPITEL II: DIE WÖLFIN

KAPITEL III: DER HUNGERSCHREI

TEIL 2: AUS DER WILDNIS GEBOREN

KAPITEL I: KAMPF DER REIß ZÄHNE

KAPITEL II: DER BAU

KAPITEL III: DER GRAUE WÖLFLING

KAPITEL IV: DIE WELTENWAND

KAPITEL V: DAS GESETZ DES FLEISCHES

TEIL 3: DIE GÖTTER DER WILDNIS

KAPITEL I: DIE MEISTER DES FEUERS

KAPITEL II: DIE KNECHTSCHAFT

KAPITEL III: DER AUSGESTOßENE

KAPITEL IV: DER PFAD DER GÖTTER

KAPITEL V: DER PAKT

KAPITEL VI: DIE HUNGERSNOT

TEIL 4: DIE OBERSTEN GÖTTER

KAPITEL I: DER FEIND SEINER ART

KAPITEL II: DER WAHNSINNIGE GOTT

KAPITEL III: DIE HERRSCHAFT DES HASSES

KAPITEL IV: DER KLAMMERNDE TOD

KAPITEL V: DER UNBEUGSAME

KAPITEL VI: DER MEISTER DER LIEBE

TEIL 5: DIE ZÄHMUNG

KAPITEL I: DER WEITE WEG

KAPITEL II: DAS SÜDLAND

KAPITEL III: DAS GÖTTERREICH

KAPITEL IV: DER RUF DER ART

KAPITEL V: DER SCHLAFENDE WOLF

White Fang

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

ANMERKUNGEN ZUR NEUÜBERSETZUNG

KAPITEL V: DER SCHLAFENDE WOLF

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DER AUTOR

Abbildung 1: Jack London

JACK LONDON (* 12. Januar 1876 in San Francisco, Kalifornien als John G Griffith Chaney; † 22. November 1916 in Glen Ellen, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Schriftsteller, Journalist und Fotograf. Er erlangte vor allem durch seine später auch mehrfach verfilmten Abenteuerromane Ruf der Wildnis, Wolfsblut und Der Seewolf sowie den autobiografisch beeinflussten Entwicklungsroman Martin Eden Bekanntheit. Diese Werke geben gleichzeitig eine Übersicht über die geografischen Räume, die er kannte: den arktischen Norden Nordamerikas (Klondike) zur Zeit des Goldrausches, Kalifornien und den Pazifik bzw. die Seefahrt auf diesem Ozean. Als erfolgreicher Schriftsteller bekannte London sich in seinen politischen Essays, geprägt durch harte Erfahrungen in der Kindheit, häufig zu den unteren Schichten der Gesellschaft und offen zum Sozialismus, wenn auch sehr eigener Prägung. Als Journalist berichtete er von Lebensumständen und Krisen, die er in insgesamt 12.000 Aufnahmen auch fotografisch festhielt. Bis kurz vor seinem Tod war er Mitglied der Socialist Party der Vereinigten Staaten und bewarb sich 1901 für diese erfolglos um das Amt des Bürgermeisters von Oakland. Sein literarisches Werk wurde international erfolgreich und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Zu seinen Lebzeiten war London der erfolgreichste Autor der Welt.

Wolfsblut (englischer Originaltitel White Fang) ist ein 1906 erschienener Roman des US-amerikanischen Schriftstellers Jack London, der um 1900 im Norden Amerikas und in Kalifornien spielt.

Der Roman variiert das Thema von Londons Buch Ruf der Wildnis, in dem ein domestizierter Hund sich in ein wildes Tier zurückverwandelt. Diese Erzählung wird in Wolfsblut umgekehrt: Hier wandelt sich ein Wildtier in ein zivilisiertes, an den Menschen und die Gesellschaft gewöhntes Wesen. (W)

DIE ILLUSTRATOREN

CAHARLES LIVINGSTON BULL war ein amerikanischer Illustrator. Bull studierte Tierpräparation in Rochester, New York, und ist vor allem für seine Illustrationen von Wildtieren bekannt.

Bulls erster Arbeitsplatz im Alter von 16 Jahren war die Vorbereitung von Tieren für die Aufstellung im Ward's Museum in Rochester, New York. Später arbeitete er als Tierpräparator in Washington, D.C. und spezialisierte sich auf die Anatomie von Vögeln und anderen Tieren. Während des Ersten Weltkriegs entwarf er Rekrutierungsposter. Ein bemerkenswertes Beispiel ist Join the Army Air Service. Sei ein amerikanischer Adler!, das einen Adler im Kampf mit einem schwarzen Vogel zeigt.

Bull lebte viele Jahre lang in der Nähe des Bronx Zoo in New York, um aus nächster Nähe lebende Tiere zeichnen zu können. Er unternahm viele Reisen nach Mittel- und Südamerika, um Wildtiere in ihrer natürlichen Umgebung zu studieren. Die Geschichten und Illustrationen dieser Reisen wurden in seinem Buch Under the Roof of the Jungle veröffentlicht. Er fertigte viele Zeichnungen an, um das öffentliche Interesse an Adlern zu wecken.

Bull lebte in Oradell, New Jersey, und stiftete mehrere seiner Werke der Oradell Public Library. (W)

Die meisten der Illustrationen in den Kapiteln dieses Buches sind von ihm. Der Künstler der Illustrationen zu den einzelnen Teilen des Buchs ist ebenfalls Bull.

Die nur in Schwarz/Weiß eingefügten Illustrationen auf den Seiten 75 und 103 sind von Frank E. Schoonover. Die Farbillustration auf Seite 147 stammt ebenfalls von ihm. (D. Ü.)

Frank Schoonover (eigentlich Frank Earle Schoonover; * 19. August 1877 in Oxford, New Jersey; † 7. August 1972 in Wilmington, Delaware) war ein US-amerikanischer Maler und Illustrator.

Frank Schoonover wurde in Oxford geboren und wuchs nach dem Umzug seiner Eltern in Trenton auf. 1891 absolvierte er die Highschool in Jersey City mit Auszeichnung und hielt die Abschlussrede. Im Jahre 1896 studierte er an der Kunstschule Drexel Institute of Art, Science and Industry (heute Drexel University) unter Howard Pyle, der schließlich sein Freund und Vertrauter wurde. In den Jahren 1898 und 1899 gewann er eines von zehn renommierten Stipendien und wurde der Assistent von Pyle. Im Rahmen der Förderung wurde er stark von seinem Mentor beeinflusst. 1900 folgte er Pyle an dessen Kunstschule Brandywine School in Chadds Ford. Im Jahr 1903 unternahm er eine viermonatige Expeditionsreise zur Erforschung von Hudson Bay, James Bay, Québec und Ontario, indem er zu Fuß oder mit dem Hundeschlitten reiste. Seine Erlebnisse flossen später in dessen Arbeiten hinein. Mitte 1905 veröffentlichte er seine erste Fiktion und wurde Mitglied in der Society of Illustrators. Im darauf folgenden Jahr verließ er Pyle, um sein eigenes Studio in Wilmington (1616 Rodney Street) zu eröffnen. Zwischen 1903 und 1913 wurde Schoonover einer der führenden amerikanischen Illustratoren des frühen 20. Jahrhunderts. Er illustrierte die Werke von einigen berühmten Autoren, unter anderem Edgar Rice Burroughs, Jack London, Rex Beach, Zane Grey, Robert W. Chambers, Gilbert Parker, Henry van Dyke, Clarence Mulford usw. Im Jahre 1931 nahm Schoonover eine einjährige Lehrtätigkeit an der School of Illustration in Indianapolis an und ab 1942 gründete er seine eigene Kunstschule in Wilmington. Er lehrte bis zu seinem 91. Lebensjahr an der Kunstschule und starb vier Jahre später in Wilmington. Seine Ehe mit Martha Culbertson blieb kinderlos. (W)

Alle Illustrationen sind an Stellen eingefügt, wo sie mit dem Text korrespondieren. (D. Ü.)

Abbildung 2: Teil 1: Die Wildnis

White Fang

TEIL 1: DIE WILDNIS

KAPITEL I: DER WEG DES FLEISCHES

DUNKLE Fichtenwälder blickten finster auf beide Seiten der zugefrorenen Wasserstraße hinab. Vor Kurzem hatte der Wind den Bäumen ihre weiße Frostschicht genommen, und im schwindenden Licht schienen sie sich schwarz und bedrohlich aneinander zu lehnen. Eine große Stille herrschte über dem Land. Das Land selbst war eine leblose Öde, ohne Bewegung, so einsam und kalt, dass es nicht einmal von Wehmut erfüllt war. Es gab zwar einen Hauch von Daseinsfreude, aber diese war von einem Frohsinn erfüllt, der schrecklicher war als jede Traurigkeit, ein Frohsinn, der so freudlos war wie das Lächeln der Sphinx, eine Freude, die eisig wie der Frost war und welche die Grimmigkeit der Unfehlbarkeit hatte. Es war die meisterliche und unbeschreibbare Weisheit der Ewigkeit, die über die Sinnlosigkeit und Anstrengung des Lebens lachte. Es war die Wildnis, die grausame, eisige Wildnis des Nordlands.

Doch da draußen im Land gab es Leben, und es war trotzig. Auf der gefrorenen Wasserstraße schuftete eine Reihe von wolfsähnlichen Hunden. Ihr borstiges Fell war mit Frost überzogen. Wenn ihr Atem das Maul verließ, gefror er in der Luft und strömte in Dunstschwaden aus, welche sich auf ihren Körperhaaren niederließen und zu Frostkristallen formten. Die Hunde waren mit einem Ledergeschirr ausgestattet und mit Ledergurten an einem Schlitten befestigt, welchen sie hinter sich herzogen. Der Schlitten war ohne Kufen. Er war aus dicker Birkenrinde gefertigt und lag mit seiner gesamten Oberfläche auf dem Schnee. Sein vorderes Ende war wie eine Schnecke nach oben gebogen, um den weichen Schnee, der sich wie eine Welle vor ihm auftürmte, nach unten und so unter das Fahrzeug zu drücken. Auf dem Schlitten befand sich, fest verzurrt, eine längliche, schmale, Kiste. Auf dem Schlitten befanden sich noch andere Dinge wie Decken, eine Axt, eine Kaffeekanne und eine Bratpfanne, aber die lange, schmale Kiste stand im Vordergrund und nahm den größten Teil des Platzes ein.

Auf breiten Schneeschuhen mühte sich vor den Hunden ein Mann ab. Am hinteren Ende des Schlittens schuftete ein zweiter Mann. Auf dem Schlitten, in der Kiste aber lag ein dritter Mann, dessen Mühen nun für immer beendet war, ein Mann, den die Wildnis besiegt und niedergeschlagen hatte, bis er sich nicht mehr bewegen und nicht mehr kämpfen konnte. Es ist nämlich nicht die Art der Wildnis, Bewegung zu mögen. Das Leben ist ihr ein Ärgernis, denn Leben ist Bewegung, und die Wildnis ist immer bestrebt, Bewegung zu unterbinden. Sie lässt das Wasser gefrieren, um zu verhindern, dass es ins Meer fließt; sie treibt den Saft aus den Bäumen, bis sie in ihren mächtigen Herzen gefroren sind; jedoch am grausamsten und schrecklichsten bedrängt und zermalmt die Wildnis den Menschen, der das ruheloseste Leben darstellt, immer in Aufruhr gegen das Gesetz, dass alle Entwicklung am Ende doch zum Stillstand der Bewegung führen muss.

Aber unbeirrt und unbezwingbar schufteten vor und hinter dem Schlitten die beiden Männer, welche noch nicht tot waren. Ihre Körper waren mit Pelz und weich gegerbtem Leder verhüllt. Wimpern, Wangen und Lippen waren jedoch so mit den Kristallen ihres gefrorenen Atems überzogen, dass ihre Gesichter nicht mehr zu erkennen waren. Dadurch wirkten sie wie Gespenstermasken, wie Bestatter in einer Geisterwelt bei der Beerdigung eines Geistes. Aber unter all dem waren sie Männer, die in das Land der Trostlosigkeit, des Hohnes und der Stille eindrangen, mitleiderregende Abenteurer, die auf ein kolossales Wagnis aus waren und sich der Macht einer Welt entgegenstellten, die so fern, fremd und pulslos war wie die Abgründe des Weltraums.

Wortlos zogen sie weiter und sparten ihren Atem für ihre körperliche Arbeit. Ihre Umgebung war von einem Schweigen bestimmt, das sie mit spürbarer Präsenz bedrängte. Diese wirkte auf ihren Geist wie die vielen Atmosphären Druckes in tiefem Wasser auf den Körper des Tauchers. Sie erdrückte die beiden mit dem Gewicht der unendlichen Weite und des unabänderlichen Schicksals. Es drückte sie in die entlegensten Winkel ihres eigenen Verstandes und presste ihnen, wie den Saft aus den Trauben, all den falschen Eifer, die Überheblichkeit und die unangemessene Arroganz der menschlichen Seele heraus, bis sie sich selbst als endlich und klein empfanden, als Punkte und Staubkörnchen, die sich mit geringer List und wenig Weisheit inmitten des Spiels und der Wechselwirkung der großen blinden Elemente und Kräfte bewegen.

Eine Stunde verging, und eine zweite Stunde. Das fahle Licht des kurzen, sonnenlosen Tages begann zu verblassen, als sich ein schwaches, fernes Heulen in der stillen Luft erhob. Der Ruf stieg schnell empor, bis er seinen höchsten Ton erreicht hatte, wo er mit zitternder Spannung verharrte, um dann langsam zu verklingen. Es hätte das Wehklagen einer verlorenen Seele sein können, wäre es nicht mit einer gewissen traurigen Heftigkeit und hungrigen Begierde verbunden gewesen. Der vordere Mann drehte den Kopf, bis seine Augen die des hinteren Mannes trafen. Und dann nickten sich beide über die schmale, lange Kiste hinweg zu.

Ein zweites Heulen ertönte, das die Stille mit nadelartiger Schrillheit durchbrach. Beide Männer lokalisierten das Geräusch. Es kam von hinten, irgendwo aus der Schneefläche, welche sie gerade durchquert hatten. Ein dritter und antwortender Ruf ertönte, ebenfalls von hinten und links vom zweiten Geheul.

"Sie sind hinter uns her, Bill", sagte der vorn arbeitende Mann.

Seine Stimme klang heiser und unwirklich, und er hatte mit offensichtlicher Anstrengung gesprochen.

"Fleisch ist knapp", antwortete sein Kamerad. "Ich habe seit Tagen keine Kaninchenspuren mehr gesehen."

Daraufhin redeten sie nicht mehr, obwohl sie aufmerksam auf die Jagdrufe achteten, die immer wieder hinter ihnen erklangen.

Bei Einbruch der Dunkelheit trieben sie die Hunde zu einer am Rande der Wasserstraße befindlichen Fichtengruppe und schlugen ein Lager auf. Der Sarg an einer Seite des Feuers diente als Sitz und Tisch. Die Schlittenhunde, die sich auf der anderen Seite des Feuers versammelt hatten, knurrten und zankten miteinander, zeigten aber keine Neigung, sich in die Dunkelheit zu entfernen.

"Will mir scheinen, Henry, dass sie auffallend nahe am Lager bleiben", kommentierte Bill.

Henry, der am Feuer hockte und die Kaffeekanne mit einem Stück Eis füllte, nickte. Er sprach erst wieder, als er auf dem Sarg Platz genommen und zu essen begonnen hatte.

"Sie wissen, wo sie sicher sind", sagte er. "Lieber fressen sie, als dass sie selber gefressen werden. Sie sind ziemlich klug, diese Hunde."

Bill schüttelte den Kopf. "Ach, ich weiß ja nicht."

Sein Kamerad sah ihn neugierig an. "Das ist ja jetzt das erste Mal, dass ich von dir höre, dass sie nicht schlau sind."

"Henry", sagte der andere und mampfte bedächtig die Bohnen, welche er gerade zu sich nahm, "hast du zufällig bemerkt, wie die Hunde hochgeschossen sind, als ich sie gefüttert habe?"

"Sie haben mehr als üblich gerauft", räumte Henry ein.

"Wie viele Hunde haben wir denn, Henry?"

"Sechs."

"Nun, Henry …" Bill hielt einen Moment inne, um seinen Worten mehr Bedeutung zu verleihen. "Wie ich schon sagte, Henry, wir haben sechs Hunde. Ich hab' sechs Fische aus dem Sack genommen. Ich hab' jedem Hund 'nen Fisch gegeben, und, Henry, ich hatte 'nen Fisch zu wenig."

"Du hast falsch gezählt!"

"Wir haben sechs Hunde", wiederholte der andere leidenschaftslos. "Ich habe sechs Fische herausgenommen. One Ear1 hat keinen Fisch bekommen. Ich bin dann zum Beutel zurück und hab' ihm seinen Fisch geholt."

"Wir haben nur sechs Hunde", sagte Henry.

"Henry", fuhr Bill fort, "ich will damit nicht sagen, dass es alles Hunde waren, aber sieben Tiere hatten Fisch."

Henry hörte auf zu essen, schaute über das Feuer und zählte die Hunde.

"Es sind nur noch sechs", sagte er.

"Ich hab' den siebten übern Schnee weglaufen sehen", verkündete Bill mit gelassenem Optimismus. "Ich hab' sieben gesehen."

Sein Kamerad sah ihn mitfühlend an und sagte: "Ich werd heilfroh sein, wenn diese Reise vorbei ist."

"Was meinst du damit", wollte Bill wissen.

"Ich meine, dass dir diese Belastung auf die Nerven geht und dass du anfängst, Dinge zu sehen."

"So hab' ich auch erst gedacht", antwortete Bill düster. "Und als ich ihn dann durch den Schnee weglaufen sah, schaute ich nach und sah seine Spuren. Dann habe ich die Hunde gezählt, und 's waren noch sechs da. Die Spuren sind im Schnee. Magst sie ansehen? Ich zeig' sie dir."

Henry antwortete nicht, sondern kaute schweigend weiter, bis er die Mahlzeit beendete und mit einer letzten Tasse Kaffee abschloss. Er wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und sagte:

"Dann denkst du also, es war …"

Ein langer, tief trauriger Ruf, der von irgendwoher aus der Dunkelheit kam, unterbrach ihn. Er hielt inne, um zuzuhören, dann beendete er seinen Satz mit einer Handbewegung in Richtung des Heulens: "- einer von ihnen?"

Bill nickte. "Das würd' ich eher glauben als alles andere. Du hast doch selbst bemerkt, was für 'nen Aufruhr die Hunde gemacht haben."

Ein Heulen nach dem anderen und zugehörige Antwortrufe verwandelten die Stille in einen Tumult. Von allen Seiten ertönten die Rufe, und selbst die Hunde verrieten ihre Angst, indem sie sich zusammenkauerten und so dicht am Feuer standen, dass ihre Haare von der Hitze versengt wurden. Bill warf noch mehr Holz nach, bevor er seine Pfeife anzündete.

"Ich schätz' mal, du hast da was falsch verstanden", sagte Henry.

"Henry …" Er nuckelte eine Zeit lang nachdenklich an seiner Pfeife, bevor er fortfuhr. "Henry, ich hab mir gerade gedacht, dass er da unten viel mehr Glück hat, als du und ich es je haben werden."

Mit dem abwärts gerichteten Daumen deutete er auf die dritte Person in der Kiste, auf der sie saßen.

"Henry, wenn du und ich einmal sterben, können wir froh sein, wenn wir genügend Steine über unseren Kadavern haben, um die Hunde von uns fernzuhalten."

"Aber wir haben weder Leute noch Geld und alles, so wie er da", erwiderte Henry. "'ne Überführung über 'ne weite Entfernung ist was, das wir uns nicht wirklich leisten können."

"Was mich wundert, Henry, ist, warum ein Kerl wie er, der in seinem eigenen Land ein Lord oder so etwas ist und sich nie um Essen oder Decken kümmern musste, sich am gottverlassenen Ende der Welt herumtreibt - das versteh' ich einfach nicht so recht."

"Er hätt' vielleicht 'n hohes Alter erreicht, wäre er zu Haus geblieben", stimmte Henry zu.

Bill öffnete den Mund, um zu sprechen, überlegte es sich dann aber anders. Stattdessen deutete er auf die dunkle Wand, die sich von allen Seiten um sie herum ausbreitete. In der völligen Schwärze war keine wirkliche Form erkennbar, nur ein wie glühende Kohlen schimmerndes Augenpaar war zu sehen. Henry deutete mit seinem Kopf auf ein zweites und ein drittes Paar. Ein Kreis von leuchtenden Augen hatte sich um ihr Lager gezogen. Hin und wieder bewegte sich ein Augenpaar oder verschwand, um einen Moment später wieder zu erscheinen.

Das Unbehagen der Hunde hatte zugenommen, und in einem Anfall von plötzlicher Angst stürmten sie auf die nahe Seite des Feuers zu und krochen um die Beine der Männer. In dem Gedränge war einer der Hunde am Rande des Feuers umgefallen und hatte vor Schmerz und Schrecken aufgejault, als der Geruch seines versengten Fells in der Luft lag. Durch diese Aufregung wurde der Augenkreis für einen Moment unruhig und zog sich sogar ein wenig zurück, aber er beruhigte sich wieder, als die Hunde ruhig wurden.

"Henry, es ist wirklich mal 'n großes Pech, dass wir keine Munition mehr haben."

Bill hatte seine Pfeife zu Ende geraucht und half seinem Gefährten, das Bett aus Fellen und Decken auf den Fichtenzweigen auszubreiten, die er vor dem Abendessen über den Schnee gelegt hatte. Henry grunzte und begann, seine Mokassins aufzuschnüren.

"Wie viele Patronen, sagtest du, haben wir noch?", fragte er.

"Drei", kam die Antwort. "Und ich wünscht', 's wären dreihundert. Dann würd' ich ihnen schon zeigen, wozu, verdammt!"

Er schüttelte wütend die Faust gegen die leuchtenden Augen und begann, seine Mokassins sicher vor dem Feuer aufzustellen.

"Und ich wünscht' mir, dass diese Kältewelle aufhört", fuhr er fort. "Seit zwei Wochen sind es fünfzig Grad minus. Und ich wünscht' auch, ich hätt' diese Reise nie begonnen, Henry. Mir gefällt das alles nicht. Ich fühl' mich irgendwie nicht wohl. Und wenn ich schon dabei bin, wünscht' ich, die Reise wäre zu Ende und du und ich säßen jetzt in Fort McGurry am Feuer und spielten Cribbage2, ja, das würd' ich mir wünschen."

Henry grunzte und kroch ins Bett. Als er gerade eingenickt war, wurde er von der Stimme seines Kameraden wieder aufgeweckt.

"Sag mal, Henry, der andere, der reinkam und einen Fisch bekommen hat - warum haben sich die Hunde nicht auf ihn gestürzt? Das ists, was mich beunruhigt."

"Du machst dir zu viele Gedanken, Bill", kam die schläfrige Antwort. "Du warst noch nie so. Sei jetzt einfach still und schlaf, dann gehts dir morgen früh wieder gut. Du hast 'nen sauren Magen, das ists, was dir zu schaffen macht."

Schwer atmend schliefen die Männer Seite an Seite unter der einen Decke. Das Feuer erlosch, und die leuchtenden Augen zogen den Kreis enger, den sie um das Lager geschlagen hatten. Die Hunde drängten sich ängstlich zusammen und knurrten hin und wieder bedrohlich, wenn sich ein Augenpaar näherte. Einmal wurde ihr Getöse so laut, dass Bill aufwachte. Vorsichtig stieg er aus dem Bett, um den Schlaf seines Kameraden nicht zu stören, und warf mehr Holz auf das Feuer. Als es zu lodern begann, zog sich der Kreis der Augen weiter zurück. Er warf einen beiläufigen Blick auf die kauernden Hunde. Er rieb sich die Augen und sah sie schärfer an. Dann kroch er zurück in die Decken.

"Henry", sagte er. "Oh, Henry."

Henry ächzte, als er aus dem Schlaf erwachte, und fragte: "Was ist denn jetzt schon wieder los?"

"Nichts", kam die Antwort, "nur, dass es wieder sieben Stück sind. Ich hab sie einfach nur gezählt."

Henry quittierte den Erhalt der Information mit einem Grunzen, das in ein Schnarchen überging, als er wieder in den Schlaf sank.

Am Morgen war es Henry, der als Erster erwachte und seinen Begleiter aus dem Bett scheuchte. Obwohl es bereits sechs Uhr war, dauerte es noch drei Stunden, bis es hell wurde. In der Dunkelheit machte sich Henry daran, das Frühstück herzurichten, während Bill die Decken zusammenrollte und den Schlitten zum Festzurren vorbereitete.

"Sag mal, Henry", fragte er plötzlich, "wie viele Hunde, hast du gesagt, hätten wir?"

"Sechs."

"Falsch", verkündete Bill triumphierend.

"Wieder sieben?", riet Henry.

"Nein, fünf; einer ist weg."

"Zum Teufel!", rief Henry zornig und verließ den Kochplatz, um die Hunde zu zählen.

"Du hast recht, Bill", stellte er fest." Fatty3 ist verschwunden.

"Und er rannte wie ein geölter Blitz, sobald er abhaute. Hätt' ihn vor lauter Rauch nicht sehen können."

"Überhaupt keine Chance", folgerte Henry. "Sie haben ihn einfach lebendig aufgefressen. Ich wette, er hat gejault, als er in ihren Kehlen verschwand, verdammt!"

"Er war schon immer ein dummer Hund", sagte Bill.

"Aber kein dummer Hund sollte so närrisch sein, auf diese Weise loszuziehen und Selbstmord zu begehen." Er betrachtete den Rest des Teams mit einem prüfenden Blick, der augenblicklich die hervorstechenden Eigenschaften eines jeden Tieres zusammenfasste. "Ich wette, keiner der anderen würde es tun."

"Man hätt' sie nicht mal mit 'nem Knüppel vom Feuer vertreiben können", stimmte Bill zu. "Ich habe sowieso immer gedacht, dass mit Fatty 'was nicht stimmt."

Und so lautete das Epitaph eines toten Hundes auf dem NordlandTrail - weniger dürftig als die Grabinschrift manch anderer Hunde, manch eines Menschen.

1 One Ear: zu Deutsch: "Einohr". (D. Ü.)

2 Cribbage: ist ein Kartenspiel für zwei Spieler (es gibt auch Varianten für drei und vier Spieler). Gespielt wird mit einem 52-Karten-Pokerblatt. Außerdem benötigt man ein Cribbage-Brett, auf dem jeder Spieler mit Hilfe zweier Stifte seine Punkte zählt. (W)

3 Fatty: zu Deutsch Fetti. (D. Ü.)

KAPITEL II: DIE WÖLFIN

Nachdem sie gefrühstückt und die karge Lagerausrüstung am Schlitten festgezurrt hatten, kehrten die Männer dem angenehmen Feuer den Rücken und machten sich auf den Weg in die Dunkelheit. Sofort erhoben sich die Rufe, grimme, traurige Laute, die einander durch Dunkelheit und Kälte riefen und beantwortet wurden. Die Kommunikation verstummte. Gegen neun Uhr dämmerte der Tag herauf. Um die Mittagszeit erwärmte sich der Himmel im Süden zu einer rosafarbenen Nuance und markierte die Stelle, an der die Erdwölbung zwischen der Sonne auf ihrer Mittagshöhe und der nördlichen Welt lag. Doch diese Rosenfarbe verblasste rasch. Das graue Tageslicht, welches übrig blieb, dauerte bis etwa drei Uhr, als auch dieses verblasste und sich der Schleier der arktischen Nacht über das einsame und stille Land senkte.

Als die Dunkelheit hereinbrach, näherten sich die Jagdrufe von rechts, links und hinten so sehr, dass sie mehr als einmal eine Woge des Schreckens durch die sich abmühenden Hunde jagten und sie in kurzzeitige Panik versetzten.

Nach einem solchen Panikausbruch, als er und Henry die Hunde wieder in die Spur gebracht hatten, sagte Bill:

"Ich wünscht', sie würden irgendwo auf 'n Wild stoßen, verschwinden und uns in Ruh' lassen."

"Die gehn einem ganz schön auf die Nerven", meinte Henry mitfühlend.

Bis sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, wechselten sie kein Wort mehr.

Henry bückte sich gerade und füllte noch etwas Eis in den blubbernden Bohnentopf, als er durch das Geräusch eines Schlages, einen Ausruf von Bill und einen scharfen, knurrenden Schmerzensschrei aus dem Kreis der Hunde aufgeschreckt wurde. Er richtete sich rechtzeitig auf, um zu sehen, wie eine schemenhafte Gestalt durch den Schnee in den Schutz der Dunkelheit verschwand. Dann sah er Bill inmitten der Hunde stehen, halb triumphierend, halb mit gesenktem Kopf, in der einen Hand einen dicken Knüppel, in der anderen den Schwanz und einen Teil des Körpers eines luftgetrockneten Lachses.

"Er hat die Hälfte erbeutet", verkündete er, "aber ich hab' ihn trotzdem erwischt. Hörst' ihn heulen?"

"Wie sah er denn aus?", fragte Henry.

"Konnt' ich nicht sehen. Aber er hatt' vier Beine, 'n Maul, Haare und sah aus wie jeder beliebige Hund."

"Schätz' mal, 's war 'n zahmer Wolf."

"Er ist verdammt zahm, was auch immer er ist, wenn er zur Fütterungszeit herkommt und sich 'n Batzen Fisch holt."

Als an diesem Abend das Essen beendet war, sie auf der länglichen Kiste saßen und an ihren Pfeifen zogen, rückte der Kreis der leuchtenden Augen noch näher heran als bisher.

"Ich wünscht' mir, sie würden 'n paar Elche auftreiben, fortgehn und uns in Ruhe lassen", sagte Bill.

Henry grunzte nicht gerade mitfühlend, und eine Viertelstunde lang saßen sie schweigend da, Henry starrte auf das Feuer und Bill auf den Kreis von Augen, die in der Dunkelheit jenseits des Feuerscheins glühten.

"Ich wünscht', wir würden jetzt in McGurry einfahren", begann er wieder.

"Hör jetzt endlich auf, zu wünschen und zu jammern", platzte Henry schließlich wütend heraus. "Du hast 'n sauren Magen. Das ists, was dir zu schaffen macht. Schluck nur 'nen Löffel Natron, und du wirst verträglich und 'ne angenehmere Gesellschaft sein."

Am Morgen wurde Henry durch eine inbrünstige Lästerung geweckt, die aus Bills Mund kam. Henry stützte sich auf einen Ellbogen und sah seinen Kameraden zwischen den Hunden neben dem nachgefüllten Feuer stehen, die Arme vorwurfsvoll erhoben, das Gesicht von Leidenschaft verzerrt.

"Holla!", rief Henry. "Was gibts denn jetzt?"

"Frog4 ist weg", ertönte die Antwort.

"Nein!"

"Ich sag dir, doch."

Henry sprang aus den Decken und zu den Hunden. Er zählte sie sorgfältig und schloss sich dann seinem Partner an, um die Kräfte der Wildnis zu verfluchen, die ihnen einen weiteren Hund geraubt hatten.

"Frog war der stärkste Hund des Gespanns", stellte Bill abschließend fest.

"Und er war auch kein dummer Hund", fügte Henry hinzu. Und so wurde innerhalb zweier Tagen bereits die zweite Grabinschrift verfasst.

Es wurde ein trostloses Frühstück eingenommen, und die vier verbliebenen Hunde vor den Schlitten geschirrt. Der Tag war eine Wiederholung der vorangegangenen Tage. Wortlos schleppten sich die Männer durch die eisige Welt. Die Stille wurde nur durch die Laute ihrer Verfolger unterbrochen, die ihnen ungesehen auf den Fersen blieben. Als wie immer, am Nachmittag bereits die Nacht hereinbrach, wurden auch die Rufe lauter, und die Verfolger näherten sich ganz nach ihrer Gewohnheit, die Hunde wurden aufgeregt, ängstlich und gerieten in Panik, was die Geschirre verhedderte und die beiden Männer noch mehr bekümmerte.

"So, das wars, ihr blöden Viecher", sagte Bill an diesem Abend zufrieden und stellte sich aufrecht hin, nachdem er seine Tätigkeit erledigt hatte.

Henry verließ seine Kochstelle, um nach dem Rechten zu sehen. Sein Partner hatte die Hunde nicht nur angebunden, sondern sie auch nach indianischer Art an Holzstöcke geleint. Um den Hals jedes Hundes hatte er einen Lederriemen gelegt. Daran, und zwar so nah am Hals, dass der Hund mit seinen Zähnen nicht daran fassen konnte, hatte er einen dicken Stock von vier oder fünf Fuß5 Länge befestigt. Das andere Ende des Stocks wiederum war mit einem Lederriemen an einem Pfahl im Boden befestigt. Der Hund war nicht in der Lage, das Leder an seinem eigenen Ende des Stocks durchzunagen. Der Stock hinderte ihn daran, an das Leder zu gelangen, mit dem das andere Ende befestigt war.

Henry nickte zustimmend mit dem Kopf.

"'s ist die einzige Vorrichtung, die One Ear jemals halten konnte", sagte er. "Er knabbert sich durchs Leder wie 'n Messer und ist nur halb so langsam. Morgen früh sind sie alle wieder da."

"Darauf kannste wetten", bekräftigte Bill. "Wenn einer von ihnen fehlt, verzicht' ich auf mein' Kaffee."

"Sie wissen, dass wir nicht genug Munition haben, um sie zu töten", bemerkte Henry zur Schlafenszeit und deutete auf den leuchtenden Kreis, der sie einschloss. "Wenn wir 'n paar Schüsse auf sie abfeuern könnten, wär'n sie respektvoller. Sie kommen jede Nacht näher. Du musst den Feuerschein aus dem Blick lassen und genau hinsehen! Hast du den da gesehen?"

Eine Zeit lang belustigten sich die beiden Männer damit, die Bewegungen der vagen Formen am Rande des Feuerscheins zu beobachten. Wenn sie genau hinschauten, wo ein Augenpaar in der Dunkelheit brannte, nahm die Gestalt des Tieres langsam Form an. Manchmal konnten sie sogar wahrnehmen, wie sich diese Figuren bewegten.

Ein Geräusch inmitten der Hunde erregte die Aufmerksamkeit der Männer. One Ear stieß ein rasches, eifriges Winseln aus, stürzte sich auf die Länge seines Stocks in die Dunkelheit und hielt ab und zu inne, um den Stock mit den Zähnen zu attackieren.

"Sieh dir das an, Bill", flüsterte Henry.

Mit einer verstohlenen, mehr seitwärts gerichteten Bewegung glitt ein hundeähnliches Tier in den Feuerschein. Es bewegte sich mit einer Mischung aus Misstrauen und Wagemut, beobachtete vorsichtig die Männer und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Hunde. One Ear reckte sich dem Eindringling mit der ganzen Länge des Stocks entgegen und winselte eifrig.

"Dieser Dummkopf One Ear scheint nicht viel Angst zu haben", sagte Bill mit leiser Stimme.

"'s ist 'ne Wölfin", flüsterte Henry zurück, "und das erklärt auch Fatty und Frog. Sie ist der Lockvogel für das Rudel. Sie lockt die Hunde an und dann kommt der Rest und frisst sie auf."

Das Feuer knisterte. Ein Holzscheit zerfiel mit lautem, prasselndem Krachen. Bei diesem Geräusch sprang das seltsame Tier zurück in die Dunkelheit.

"Henry, ich denke …", kündigte Bill an.

"Denken, was?"

"Ich glaube, dass die es war, die ich mit dem Stock verprügelt habe." "Daran besteht nicht der geringste Zweifel", lautete Henrys Antwort.

"Und an dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen", fuhr Bill fort, "dass der Umgang dieses Tieres mit Lagerfeuern bedenklich und ungehörig ist."

"Sie weiß mit Sicherheit mehr, als ein Wolf, der was auf sich hält, wissen sollte", stimmte Henry zu. "Ein Wolf, der genug Ahnung hat, um zur Fütterungszeit mit den Hunden reinzukommen, hat seine Erfahrungen gesammelt."

"Der olle Villan hatte mal einen Hund, der mit den Wölfen durchgebrannt ist", überlegte Bill laut. "Ich muss es ja wissen. Ich habe ihn auf einer Elchweide drüben in Little Stick aus dem Rudel geschossen. Und der olle Villan hat geheult wie 'n Baby. Er hatt' ihn seit drei Jahren nicht mehr gesehen, sagte er. War die ganze Zeit bei den Wölfen."

"Ich glaub', du hast recht, Bill. Dieser Wolf ist 'n Hund, und er hat schon viele Fische aus der Hand eines Menschen gefressen."

"Und wenn ich eine Gelegenheit bekomme, wird dieser Wolf, der ein Hund ist, einfach nur Fleisch sein", erklärte Bill. "Wir können 's uns nicht leisten, noch mehr Tiere zu verlieren."

"Aber du hast doch nur noch drei Patronen", wandte Henry ein.

"Ich wart auf 'nen todsicheren Schuss", war die Antwort.

Am nächsten Morgen fachte Henry das Feuer an und bereitete das Frühstück vor, während sein Partner vor sich hin schnarchte.

"Du hast einfach zu gut geschlafen", sagte Henry zu ihm, als er ihn zum Frühstück führte. "Ich habs nicht übers Herz gebracht, dich zu wecken."

Verschlafen begann Bill zu essen. Als er bemerkte, dass seine Tasse leer war, griff er nach der Kanne. Aber die Kanne war nicht mehr in Reichweite und stand neben Henry.

"Sag mal, Henry", schalt er sanft, "hast du nicht irgendwas vergessen?"

Henry schaute sich aufmerksam um und schüttelte den Kopf. Bill hielt die leere Tasse hoch.

"Du bekommst kein' Kaffee", verkündete Henry.

"Nicht ausgegangen?", fragte Bill besorgt.

"Nö."

"Du denkst doch nicht, dass er meiner Verdauung schadet?"

"Nö."

Ein Anflug von Zorn durchzog Bills Gesicht.

"Es würd' mir einfach nur dann warm und gemütlich, wenn dich also mal erklären hörte", sagte er.

"Spanker6 is' weg", antwortete Henry.

Ohne Eile und mit der Miene eines Menschen, der sich mit dem Unglück abgefunden hat, wandte Bill den Kopf und zählte von seinem Platz aus die Hunde.

"Wie ists passiert?", fragte er resigniert.

Henry zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Es sei denn, One Ear hätt' ihn befreit. Er hätt's nicht selbst tun können, so viel ist sicher."

"Der verflixte Schuft." Bill sprach ernst und langsam, ohne die Wut zu verraten, die in ihm tobte. "Weil er sich nicht selbst losreißen kann, kaut er Spanker los."

"Nun, Spankers Probleme sind jedenfalls vorbei; - ich schätz' mal, dass er inzwischen verdaut ist und sich in den Bäuchen von zwanzig verschiedenen Wölfen in der Landschaft tummelt", war Henrys Nachruf auf diesen, den dritten verlorenen Hund. "Nimm dir 'nen Kaffee, Bill."

Doch Bill schüttelte nur den Kopf.

"Mach schon", bat Henry und hob die Kanne an.

Bill schob seine Tasse beiseite. "Ich will verdammt sein, wenn ich's täte. Ich sagte gestern, ich würd's nicht tun, wenn ein Hund vermisst wird, und dann werd ich's auch jetzt nicht."

"'s ist 'n verdammt guter Kaffee", sagte Henry einladend.

Aber Bill war stur, und er aß ein trockenes Frühstück, das er mit gemurmelten Flüchen über One Ear für den Streich, den er ihm gespielt hatte, herunterspülte.

"Ich werd sie heute Nacht außer Reichweite voneinander festbinden", sagte Bill, als sie sich auf den Weg machten.

Sie hatten kaum mehr als hundert Yard7 zurückgelegt, als Henry, der vor ihnen ging, sich bückte und etwas aufhob, mit dem sein Schneeschuh zusammengestoßen war. Es war zwar dunkel, und er konnte es sehen, aber er erkannte es an seiner Berührung. Er schleuderte es zurück, sodass es gegen den Schlitten prallte und weiterflog, bis es auf Bills Schneeschuhen landete.

"Vielleicht kannst du das ja für deine Sachen brauchen", sagte Henry.

Bill stieß einen Fluch aus. Das war alles, was von Spanker übrig geblieben war - der Stock, mit dem er angeleint wurde.

"Sie haben ihn mit Haut und Haaren gefressen", verkündete Bill. "Der Stock ist blitzsauber. Sie haben sogar das Leder an beiden Enden abgekaut. Sie sind verdammt hungrig, Henry, und sie werden dich und mich noch vor Ende der Reise auffressen."

Henry lachte trotzig. "Ich bin zwar noch nie so von Wölfen verfolgt worden, aber ich hab' schon viel Schlimm'res durchgemacht und meine Gesundheit behalten. 's braucht schon mehr als 'ne Handvoll dieser lästigen Viecher, um mich zu erledigen, Bill, mein Junge."

"Ich weiß nich', ich weiß nich'", murmelte Bill trübe.

"Nun, du wirst's wissen, wenn wir in McGurry ankommen."

"Ich fühl' mich nich' besonders begeistert", beharrte Bill.

"Du bist nich' in Ordnung, das ists, was mit dir los ist", meinte Henry entschieden. "Was du brauchst, ist Chinin, und das werd' ich dir verabreichen, sobald wir McGurry erreicht haben."

Bill grunzte, weil er mit der Diagnose nicht einverstanden war, und verfiel in Schweigen. Der Tag war wie alle anderen Tage auch. Um neun Uhr wurde es hell. Um zwölf Uhr wurde der südliche Horizont von der unsichtbaren Sonne erwärmt, und dann begann das kalte Grau des Nachmittags, das weitere drei Stunden später in die Nacht übergehen würde.

Kurz nachdem die Sonne vergeblich versucht hatte, sich zu zeigen, zog Bill das Gewehr unter den Zurrgurten des Schlittens hervor und sagte:

"Fahr nur weiter, Henry, ich will sehen, was ich tun kann."

"Du bleibst besser beim Schlitten", protestierte sein Partner. "Du hast nur drei Patronen und man kann nicht wissen, was passieren könnte."

"Wer is' denn jetz' am Quaken?", fragte Bill triumphierend.

Henry antwortete nicht und fuhr allein weiter, obwohl er oft besorgte Blicke zurück in die graue Einsamkeit warf, in der sein Partner verschwunden war. Eine Stunde später, unter Ausnutzung der Umwege, die der Schlitten fahren musste, kam Bill schließlich an.

"Sie sind weit verstreut", sagte er, "halten mit uns Schritt und suchen gleichzeitig Wild. Du siehst, sie sind sich unserer sicher, wissen aber, dass sie warten müssen, bis sie uns kriegen. In der Zwischenzeit sind sie bereit, alles Essbare aufzusammeln, das sich anbietet."

"Du meinst, sie glauben, dass sie sich unserer sicher sind", wandte Henry spitz ein.

Aber Bill ignorierte ihn. "Ich habe einige von ihnen gesehen. Sie sind ziemlich dünn. Ich schätze, sie haben seit Wochen außer Fatty, Frog und Spanker nichts recht's mehr gefressen; und sie sind so viele, dass so ein bisschen nicht lange vorhält. Sie sind ungewöhnlich dünn. Ihre Rippen sind wie Waschbretter und ihre Mägen liegen direkt an ihrem Rückgrat. Sie sind mächtig verzweifelt, das kann ich dir sagen. Sie werden noch durchdrehen, und dann pass auf."

Einige Minuten später stieß Henry, der jetzt hinter dem Schlitten lief, einen leisen, warnenden Pfiff aus. Bill drehte sich um, schaute hinter sich und hielt ruhig die Hunde an. Hinten, nach der letzten Kurve deutlich sichtbar auf der Strecke, die sie gerade zurückgelegt hatten, trottete eine bepelzte, schleichende Gestalt. Sie hatte die Nase auf dem Weg und trabte mit einem eigentümlich gleitenden, mühelosen Tritt. Als sie anhielten, blieb sie stehen, erhob sie den Kopf und betrachtete die Männer mit zuckenden Nüstern, während sie ihre Witterung aufnahm und prüfte.

"'s ist die Wölfin", flüsterte Bill.

Die Hunde hatten sich im Schnee niedergelassen, und er ging an ihnen vorbei zu seinem Partner hinten am Schlitten. Gemeinsam beobachteten die beiden das seltsame Tier, das sie schon seit Tagen verfolgte und bereits die Hälfte ihres Hundegespanns vernichtet hatte.

Nach einem prüfenden Blick trabte das Raubtier ein paar Schritte vorwärts. Dies wiederholte es mehrere Male, bis es knapp hundert Yard entfernt war. Mit erhobenem Kopf hielt es in der Nähe einer Fichtengruppe inne und studierte die Kleidung der spähenden Männer mit seinem Blick und seiner Witterung. Es schaute sie an wie ein Hund, auf eine seltsam wehmütige Weise; aber in seiner Wehmut war nichts von der Zuneigung eines Hundes zu spüren. Es war eine vom Hunger gezeugte Wehmut, so grausam wie ihre Reißzähne, so unbarmherzig wie der Frost selbst.

Für einen Wolf war das Tier sehr groß, und sein hagerer Körperbau zeugte von einem Wesen, das zu den größten seiner Art gehörte.

"An den Schultern ist sie wohl fast zwei'nhalb Fuß hoch", sagte Henry. "Und ich wette, sie ist nicht weniger als fünf Fuß lang."

'"Irgendwie 'ne seltsame Farbe für 'nen Wolf", kritisierte Bill. "Ich hab' noch nie 'nen roten Wolf gesehen. Sieht fast zimtfarben für mich aus."

Das Tier war keineswegs zimtfarben. Es hatte das echte Wolfsfell. Die vorherrschende Farbe war Grau, und doch war da ein schwacher rötlicher Schein - ein Hauch, der changierend war, auftauchte und wieder verschwand, eher eine Illusion der Fantasie war, mal grau, deutlich grau, und dann wieder Andeutungen und Schimmer einer vagen Aufhellung ins Rötliche, die nicht in Begriffen der gewöhnlichen Erfahrung klassifiziert werden konnte.

"Sieht aus wie 'n großer Husky-Schlittenhund", sagte Bill. "'s würd' mich nicht wundern, wenn er mit dem Schwanz wedeln täte."

"Hallo, du Husky!", rief er. "Ja, komm her, du Wie-auch-immer-duheißt."

"Hat kein bisschen Angst vor dir", lachte Henry.

Bill fuchtelte drohend mit der Hand und rief laut, aber das Tier zeigte keine Angst. Die einzige Veränderung, die sie an ihm ausmachen konnten, war ein Zuwachs an Wachsamkeit. Es betrachtete sie immer noch mit der gnadenlosen Sehnsucht des Hungers. Sie waren Fleisch, und es war hungrig, und es würde gerne hingehen und sie fressen, wenn es denn könnte.

"Hör zu, Henry", sagte Bill und senkte seine Stimme unbewusst zu einem Flüstern, solange er darüber nachdachte. "Wir haben drei Patronen. Aber 's wär' 'n Volltreffer. Unmöglich zu verfehln. Sie ist mit drei von unseren Hunden entkommen, und wir sollten ihr das Handwerk legen. Was meinst du?"

Henry nickte zustimmend. Bill zog das Gewehr vorsichtig unter der Schlittenzurrung hervor. Das Gewehr war auf dem Weg zu seiner Schulter, aber dort kam es nicht an. Denn in diesem Augenblick sprang die Wölfin seitlich vom Pfad in die Fichtengruppe und verschwand.

Die beiden Männer sahen sich an. Henry pfiff lange und verstehend.

"Ich hätt's wissen müssen", schimpfte Bill laut vor sich hin, als er das Gewehr wieder zurückschob. "Natürlich kennt sich 'n Wolf, der genug weiß, um zur Fütterungszeit mit den Hunden aufzutauchen, mit Schießprügeln aus. Ich sag's dir gleich, Henry, dies Viech ist die Ursache all unserer Probleme. Wenn sie nicht wär', hätten wir jetzt sechs Hunde statt drei. Und ich sag dir jetzt, Henry, ich werd' sie mir holen. Sie ist zu schlau, um auf freiem Feld erschossen zu werden. Aber ich werd' ihr nachstellen. Ich werd' ihr auflauern, so sicher wie mein Name Bill ist."

"Du solltest dabei nicht zu weit weggehen", mahnte sein Partner. "Die drei Patronen sind nicht mehr wert als drei Fürze in der Hölle, wenn sich die Meute auf dich stürzt. Diese Viecher sind verdammt hungrig, und wenn sie erst einmal loslegen, kriegen sie dich bestimmt, Bill."

In dieser Nacht schlugen sie vorzeitig ihr Lager auf. Drei Hunde konnten den Schlitten nicht so schnell und so lange ziehen wie sechs, und sie zeigten unübersehbare Anzeichen von Erschöpfung. Die Männer gingen früh zu Bett, wobei Bill dafür sorgte, dass die verbliebenen Hunde außerhalb der Bissweite des jeweils anderen angebunden wurden.

Doch die Wölfe gebärdeten sich immer dreister, und mehr als einmal wurden die Männer aus dem Schlaf geweckt. Die Wölfe kamen so nahe, dass die Hunde außer sich vor Angst gerieten und das Feuer von Zeit zu Zeit nachgelegt werden musste, um die verwegenen Marodeure in sicherer Entfernung zu halten.