Wie erobert man einen Earl? - Carole Mortimer - E-Book
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Wie erobert man einen Earl? E-Book

Carole Mortimer

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Beschreibung

Woher rührt nur dieses sinnliche Prickeln, wenn der Earl of Hawthorne sie ansieht? Die junge Gouvernante Elena ist verzweifelt, weil sie ihre wahre Herkunft vor ihm verbergen muss. Dennoch gibt sie sich ihm hin, mit Leib und Seele. Zart wie die ersten Frühlingsblumen erblüht die Liebe - bis der Earl ihr Geheimnis aufdeckt!Woher rührt nur dieses sinnliche Prickeln, wenn der Earl of Hawthorne sie ansieht? Die junge Gouvernante Elena ist verzweifelt, weil sie ihre wahre Herkunft vor ihm verbergen muss. Dennoch gibt sie sich ihm hin, mit Leib und Seele. Zart wie die ersten Frühlingsblumen erblüht die Liebe - bis der Earl ihr Geheimnis aufdeckt…

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IMPRESSUM

Wie erobert man einen Earl? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2013 by Carole Mortimer Originaltitel: „Not Just A Governess“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISONBand 21 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Gisela Grätz

Umschlagsmotive: The Killion Group, Inc. / Hot Damn Designs, kostins/GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733746247

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Lady Cicely Hawthornes Londoner Stadtresidenz, Ende April 1817

Ich finde es jedenfalls enttäuschend, dass du immer noch keine Braut für Hawthorne gefunden hast, Cicely.“ Edith St Just, Dowager Duchess of Royston, maß ihre Freundin mit einem vorwurfsvollen Blick.

„Vielleicht hatten wir uns mit dem Vorsatz, diese Saison passende Gattinnen für unsere Enkelsöhne zu finden, ein wenig zu viel vorgenommen“, gab Lady Jocelyn Chambourne vorsichtig zu bedenken.

Die drei Damen, die in Lady Hawthornes Salon beim Tee zusammensaßen, hatten sich vor fünfzig Jahren kennengelernt – während ihrer ersten Saison, als sie mit achtzehn in die Gesellschaft eingeführt worden waren. Seitdem verband sie eine unverbrüchliche Freundschaft, die sie durch sämtliche Höhen und Tiefen ihrer eigenen Ehe wie auch der ihrer Kinder begleitet hatte. Vor Kurzem nun waren die Damen zu dem Schluss gelangt, dass es höchste Zeit war, ihre heiratsunwilligen Enkelsöhne unter die Haube zu bringen.

„Unsinn, Jocelyn“, tat die Dowager Duchess deren Bemerkung nachdrücklich ab. „Du hattest keinerlei Schwierigkeiten, Chambourne in den Hafen der Ehe zu manövrieren …“

„Aber nicht mit der Braut, die ich für ihn ausgesucht hatte“, wandte Lady Chambourne bedauernd ein.

„Und wenn schon.“ Die Dowager Duchess machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wenigstens heiratet er. Unglücklicherweise scheint es ja außer uns niemanden zu kümmern, ob unsere Enkel sich vermählen. Meine Schwiegertochter ist jedenfalls keine Hilfe bei diesem Unterfangen, seit sie sich nach Roberts Tod vor drei Jahren aufs Land zurückgezogen hat. Und Royston selbst zeigt keinerlei Neigung, seine schlechte Gewohnheit aufzugeben. Nach wie vor nimmt er sich alle paar Wochen eine neue Geliebte, derer er dann nach kürzester Zeit wieder überdrüssig ist.“ Sie schnaubte höchst undamenhaft.

Für Miss Eleanor Rosewood, ihres Zeichens Gesellschafterin der Dowager Duchess und gemeinhin Ellie gerufen, war das Schnauben, mit dem ihre Brotherrin und Stieftante ihre Missbilligung zu verdeutlichen pflegte, ein vertrautes Geräusch. Ellie saß mit den beiden anderen Gesellschafterinnen beim Fenster und hatte gedankenversunken auf den Garten hinausgeblickt, auf dessen gepflegten Rabatten sich nach dem ungewöhnlich warmen April ein wahres Farbenfeuerwerk aus sattgelben Osterglocken, flammend roten Tulpen, Hyazinthen in Blau- und Lilatönen, bunten Primeln und himmelblauen Vergissmeinnicht zeigte. Doch nun, da sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Konversation der drei Damen richtete, konnte sie sich eines gewissen Mitgefühls für Lady Hawthorne nicht erwehren. Adam Pembroke, Earl of Hawthorne, galt nicht nur unter der Dienerschaft, die er in seinem Haushalt beschäftigte, als ein kalter, hochmütiger und absolut unnahbarer Gentleman.

Und obwohl ihm seine erste Ehefrau nur eine Tochter und keinen Erben geschenkt hatte, war es für Lady Hawthorne keine leichte Aufgabe, ihrem Enkel gegenüber das Thema Heirat auch nur anzusprechen, geschweige denn eine Frau zu finden, die bereit war, die Gattin dieses als verletzender Spötter verschrienen Mannes zu werden.

Kein Zweifel, dass eine Verbindung mit ihm auch ihre Vorteile hatte. Hawthorne war sehr vermögend und zudem verboten attraktiv mit seinem glänzenden schwarzen Haar und den undurchdringlichen grauen Augen in seinem aristokratisch schönen Gesicht. Er war hochgewachsen, hatte beeindruckend breite Schultern, schmale Hüften und lange, kraftvolle Beine.

Bedauerlicherweise strahlte er etwas so Abweisendes aus, dass es jede Frau in seiner Gegenwart fröstelte, und nicht von ungefähr hatten ihm seine Standesgenossen im ton in Anlehnung an seinen Nachnamen, der so viel wie Weißdorn bedeutete, den Spitznamen „Thorn“ verpasst.

Doch viel mehr als die schwierige Wesensart Hawthornes interessierten Ellie die Anstrengungen ihrer Dienstherrin, eine Braut für ihren eigenen Enkelsohn, Justin St Just, den Duke of Royston, zu finden …

„Adam erweist sich als wenig hilfreich“, verteidigte Lady Hawthorne sich seufzend. „Er lehnt jede meiner Dinnereinladungen ab.“

Die Dowager Duchess hob eine Braue. „Mit welcher Begründung?“

„Angeblich ist er zu beschäftigt …“ Lady Hawthorne verzog das Gesicht.

Ihre Gnaden rümpfte die Nase. „Aber irgendwann muss auch er essen, so wie wir alle, oder nicht?“

„Man sollte es annehmen, ja …“ Lady Hawthorne seufzte erneut.

„Dann darfst du nicht aufgeben, Cicely“, bestimmte die Dowager Duchess knapp. „Wenn Hawthorne nicht zu dir kommt, musst du ihn aufsuchen.“

Lady Hawthorne schrak zusammen. „Ihn aufsuchen?“

„Fahr nach Hawthorne House und mach ihm die Aufwartung.“ Die Duchess of Royston nickte. „Und besteh darauf, dass er am selben Abend zu dir zum Dinner kommt.“

„Ich kann es versuchen, Edith.“ Lady Hawthorne wirkte nicht überzeugt. „Aber erzähl uns doch, wie es bei deiner Suche nach einer Braut für Royston vorangeht.“ Ihre Miene hellte sich auf. „Letzte Woche hast du den Namen der jungen Dame aufgeschrieben und Jocelyns Butler den Zettel zur Verwahrung gegeben.“

Die Dowager Duchess neigte hoheitsvoll den Kopf. „Richtig. Und wenn die Zeit kommt, wird er sie heiraten. Ich garantiere es euch.“

„Ich beneide dich unendlich, wenn ich sehe, wie Adam meine sämtlichen Anstrengungen in dieser Hinsicht hintertreibt!“ Lady Hawthorne machte ein niedergeschlagenes Gesicht.

„Auch er kommt zur Vernunft. Bestimmt.“ Lady Chambourne drückte der Freundin aufmunternd die Hand, doch die geplagte Lady Hawthorne war anscheinend genauso skeptisch wie Ellie, der die abweisende Miene des Gentleman lebhaft vor Augen stand.

„Und jetzt lasst uns über etwas anderes reden!“, schlug Lady Chambourne strahlend vor. „Habt ihr schon die neuesten Gerüchte über die verschwundene Enkelin des Duke of Sheffield gehört?“

„Nein! Erzähl!“, verlangte Lady Hawthorne begierig.

Ellie blieb stumm, wie es ihrer Stellung geziemte, doch sie war genauso gespannt wie Ihre Ladyschaft. Die verschwundene Enkelin des kürzlich verstorbenen Duke of Sheffield war das Thema der Saison, in den Salons ebenso wie in den Dienerquartieren. Nach dem überraschenden Ableben Sheffields hatte sein Neffe den Titel geerbt, während die Enkelin am Tag nach der Beerdigung verschwunden war – ebenso wie der Familienschmuck und etliche Tausend Pfund Bargeld.

„Ich pflege solch haltlosen Behauptungen keine Beachtung zu schenken.“ Die Dowager Duchess ließ ihr berühmtes Schnauben hören.

„Sie sind nicht im Mindesten haltlos, Edith“, protestierte Lady Chambourne entrüstet. „Miss Matthews wurde auf dem Kontinent gesehen, in Begleitung eines Gentleman, mit dem sie in Saus und Braus lebt. Was den Gerüchten, dass sie etwas mit dem verfrühten Tod ihres Großvaters und dem Diebstahl der Wertsachen zu tun hat, umso mehr Nahrung gibt.“

„Ich kann nicht glauben, dass eine Enkelin von Jane Matthews sich eines derart tadelnswerten Verhaltens schuldig machen sollte“, beharrte die verwitwete Duchess of Royston im Brustton der Überzeugung.

„Vergiss nicht, dass die Mutter des Mädchens eine Spanierin war“, gab Lady Hawthorne mit einem vielsagenden Blick zu bedenken.

„Da hat sie recht, Edith“, schaltete Lady Chambourne sich ein.

„Dummes Gewäsch“, tat die Dowager Duchess die Einwände ab. „Maria Matthews war die Tochter eines spanischen Granden, und bis zum Beweis des Gegenteils weigere ich mich zu glauben, dass ihre Tochter sich irgendeines Vergehens schuldig gemacht hat.“

Womit das Thema beendet war, wie Ellie aus Erfahrung wusste.

Auch wenn in den Salons und in den Dienerquartieren weiterhin lebhaft darüber spekuliert werden würde, warum Miss Magdalena Matthews, sollte sie denn tatsächlich unschuldig sein, mitsamt Familienschmuck und Geld am Tag nach dem Begräbnis ihres Großvaters verschwunden war.

2. KAPITEL

Hawthorne House, Mayfair, London.Einen Tag später.

Sieh mich nicht so finster an, Adam. Sonst glaube ich noch, du freust dich nicht, mich zu sehen.“

Ein Ausdruck von Missfallen flammte in Lord Hawthornes grauen Augen auf und breitete sich unübersehbar in seiner strengen aristokratischen Miene aus. Auch wenn seine Großmutter mit ruhiger Stimme gesprochen hatte, war der Vorwurf in ihrem Ton nicht zu überhören. Ein Vorwurf, der im Übrigen gerechtfertigt war, doch er hatte an diesem Nachmittag weder die Zeit noch die Geduld, sich das Geplapper der alten Dame anzuhören. Keinen Nachmittag, um ehrlich zu sein. „Ich bin nur überrascht, dass du mich ausgerechnet jetzt besuchst, Großmutter, wo du doch weißt, dass ich um diese Zeit eine halbe Stunde mit Amanda im Kinderzimmer zu verbringen pflege.“

Lady Hawthorne hob die Augenbrauen. „Könnte es vielleicht sein, dass ich den Wunsch habe, meine Urenkelin zu sehen?“

„Selbstverständlich.“ Adam durchquerte den Blauen Salon seines Hauses in Mayfair, um seine Großmutter einigermaßen verspätet auf die gepuderte Wange zu küssen. „Aber es wäre mir lieber gewesen, wenn du deinen Besuch vorher angekündigt hättest.“

„Weshalb?“

„Meine Zeit ist knapp, und ich verabscheue Störungen meines Tagesablaufs.“

„Wie ich bereits sagte, ich habe nicht den Wunsch, dich zu stören“, rief Lady Hawthorne ihm in Erinnerung.

„Aber genau das tust …“ Adam unterbrach sich. Durch den unverhofften Besuch seiner Großmutter würde er vier Minuten zu spät ins Kinderzimmer kommen. „Dann begleite mich, wenn du schon einmal da bist.“ Er nickte knapp und öffnete die Tür zum prachtvollen Vestibül, um sie vorausgehen zu lassen – sehr zur Überraschung seines Butlers Barnes, der wartend draußen stand.

„Du bist wahrhaftig der ungeduldigste Mensch, den ich kenne, Adam.“ Lady Hawthorne rauschte an ihrem Enkel vorbei in die Halle und bedeutete ihrer Gesellschafterin mit einem kurzen Nicken, dass sie auf sie warten sollte. „Weder dein Großvater noch dein Vater waren je so reizbar wie du.“

Wie es die Höflichkeit gebot, legte Adam seine Hand stützend unter ihren Ellbogen und begleitete sie die breite, geschwungene Marmortreppe hinauf. Er wusste sehr wohl, dass die überfürsorgliche Art seiner Großmutter seinen Großvater und seinen Vater ebenso gestört hatte wie ihn. Aber da beide Gentlemen nicht mehr unter den Lebenden weilten, blieb es ihm und Amanda überlassen, sich damit zu befassen, und es war seine Pflicht als Oberhaupt der Familie, wenigstens zu versuchen, der alten Dame mit Freundlichkeit zu begegnen. „Verzeih, wenn ich dich mit meiner Schroffheit beleidigt haben sollte.“

Lady Hawthorne löste sich aus dem Griff um ihren Ellbogen und legte ihre Hand in seine Armbeuge. „Als Entschädigung könntest du heute Abend mit mir essen.“

Adam versteifte sich bei ihrem unverhohlenen Nötigungsversuch. Er zögerte, ihn als Erpressung zu bezeichnen, obwohl ihm ihre neuerdings verstärkten Bemühungen, ihm geeignete Heiratskandidatinnen vorzustellen, lebhaft vor Augen standen. Geeignet nach ihren Vorstellungen selbstverständlich. Er hingegen wollte nichts davon wissen. Weder von den betreffenden Damen noch von Heirat. „Ich muss zu einer Sitzung im Oberhaus, Großmutter.“ Und danach würde er in seinen Club gehen, eine Runde Karten spielen und sich einen anständigen Brandy gönnen.

„Dann vielleicht morgen Abend?“ Lady Hawthorne gab nicht auf. „Es ist eine Ewigkeit her, dass du mich besucht hast.“

Nicht von ungefähr, seit ihm klar geworden war, was seine Großmutter bezweckte. Er hatte keine Lust, sich wiederzuverheiraten, und mit der Verwaltung seines Grundbesitzes und seinen Pflichten im Oberhaus war sein Leben weitgehend ausgefüllt. Die Dinner und Bälle und all der andere Unfug, mit dem man sich während der Saison die Zeit vertrieb, interessierten ihn nicht im Geringsten.

„Dafür besuchst du mich jetzt, Großmutter.“

„Aber bei dir kann ich nicht … ach, schon gut.“ Sie seufzte ungeduldig. „Offenbar bist du noch unnachgiebiger geworden, als du ohnehin schon warst.“

Adam presste die Lippen zusammen. Die Kritik war berechtigt, aber seine Großmutter kannte die Gründe für seine Unnachgiebigkeit. In den zwei Jahren seiner Ehe hatte seine untreue Gattin ihn während der Saison zu jedem Ball, jedem Dinner, jeder Soiree mitgeschleift, und im Sommer zu jeder Hausparty. Inzwischen war er seit vier Jahren Witwer und blieb all diesen Ereignissen fern. Die meisten Mitglieder des ton ödeten ihn an; warum also sollte er sich freiwillig ganze Abende in ihre langweilige, reizlose Gesellschaft begeben?

Gleichwohl regte sich bei den Tränen, die er in den Augen seiner Großmutter schimmern sah, sein schlechtes Gewissen. „Vielleicht kann ich morgen Abend eine Stunde erübrigen …“

„Oh, wie schön, Adam!“ Die Tränen versiegten, als habe es sie nie gegeben. Stattdessen strahlte die alte Dame ihn an. „Ich lasse deine Leibspeisen zubereiten und …“

„Eine Stunde, Großmutter“, unterbrach er sie streng, „höchstens zwei.“

„Ja, sicher.“ So zerstreut, wie sie klang, war sie bereits mit der Planung des Menüs beschäftigt. Und der Gästeliste, die mit Sicherheit die Namen etlicher heiratsfähiger weiblicher Wesen beinhaltete, die er lieber mied. „Wie macht sich das neue Mädchen?“

„Das neue Mädchen?“ Der plötzliche Themenwechsel brachte ihn aus dem Konzept. Meinte sie die junge Frau, die letzten Monat kurz sein Interesse geweckt hatte, ehe ihm klar geworden war, dass sie ihn im Bett genauso langweilte wie außerhalb?

„Amandas Kindermädchen“, stellte Lady Hawthorne klar.

„Ah.“ Adam nickte. „Mrs Leighton ist kein Mädchen, Großmutter. Und sie ist nicht Amandas Kindermädchen, sondern ihre Gouvernante.“

„Ist Amanda nicht noch zu klein für eine Gouvernante? Du weißt genauso gut wie ich, dass die feine Gesellschaft Blaustrümpfe nicht besonders schätzt …“

„Ich werde Amanda nicht zu einem jener hohlköpfigen Wesen erziehen, die nichts anderes im Sinn haben als Bälle und Partys und die neueste Mode.“ So wie ihre Mutter, hätte er hinzusetzen können, entschied sich jedoch dagegen. Je weniger er an Fanny und ihre Untreue dachte, umso besser für ihn.

„… außerdem würde ich wirklich gern wissen, weshalb du nach all den Jahren plötzlich auf Dorkins’ Dienste verzichtet hast.“

Lady Hawthorne war etwas außer Atem, als sie die Stufen zur dritten Etage erklommen, in der sich die Kinderzimmer befanden.

Adam beabsichtigte auch jetzt nicht, sich zu erklären. Das ehemalige Kindermädchen seiner sechsjährigen Tochter hatte ihm unverhohlen zu verstehen gegeben, dass es bereit war, sein Bett zu teilen, so er es denn wünschte. Das war unter keinen Umständen akzeptabel. Zumal er nie, weder in Worten noch in Taten, irgendein körperliches Interesse an der hübschen, aber ziemlich dreisten Clara Dorkins angedeutet hatte.

Wenn es dagegen Elena Leighton, Amandas neue Gouvernante, gewesen wäre, hätte er die Aussicht, ein, zweimal das Bett mit ihr zu teilen, ganz und gar nicht widerwärtig gefunden …

Und wie in Dreiteufelsnamen kam er auf den Gedanken?

Seit dem Tod seiner Ehefrau hatte Adam die Befriedigung seiner fleischlichen Bedürfnisse auf ein Mindestmaß beschränkt. Sie waren eine Schwäche, die er sich nicht leisten konnte, und wann immer das Verlangen zu groß wurde für seine inzwischen beinahe legendäre Selbstbeherrschung, befriedigte er es mit Halbweltdamen, deren Gesellschaft er ein, zwei Stunden aushalten konnte. Frauen, die keinen Ruf zu verlieren hatten und außer einer großzügigen Bezahlung nichts dafür erwarteten, dass sie die Schenkel für ihn spreizten.

Niemals hatte er auch nur im Entferntesten erwogen, eine Affäre mit einer seiner Bediensteten einzugehen, daher die übereilte Entlassung Clara Dorkins’ vor zwei Wochen.

Dabei war Elena Leighton, Dorkins’ Nachfolgerin, auf eine kühle Art schön. Ihr seidiges dunkles Haar trug sie in einem strengen Knoten, der die elegante Linie ihres Nackens eher unterstrich, als sie zu verdecken, genau wie die düstere schwarze Witwenkleidung nicht nur ihre schlanke Figur, sondern auch die Anmut ihrer fein gezeichneten Gesichtszüge betonte, statt davon abzulenken. Sie hatte eine zierliche gerade Nase und volle Lippen mit der Kontur eines perfekten Amorbogens, doch das Auffälligste waren ihre eigentümlich hellen blaugrünen Augen, die von dichten dunklen Wimpern gesäumt wurden.

Lieber Himmel, wann waren ihm all diese Einzelheiten an der jungen Witwe aufgefallen, die er kürzlich als Erzieherin seiner Tochter eingestellt hatte?

„Mrs Leighton?“, fragte seine Großmutter neugierig nach.

„Ich glaube, ihr Mann fiel bei Waterloo“, antwortete Adam zerstreut. Die Erkenntnis, dass er tatsächlich so viel von Elena Leightons zugegebenermaßen attraktiven körperlichen Eigenschaften wahrgenommen hatte, verblüffte ihn. Immerhin war die Frau seine Angestellte und keine Kokotte, die er für ein paar Stunden in sein Bett mitnehmen und anschließend fortschicken konnte. Und darüber hinaus war Elena Leighton die Witwe eines Kriegshelden, der sein Leben in der blutigen Schlacht gegen Napoleon gelassen hatte.

„Alt oder jung …?“

Adam hob die Brauen. „Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob der gefallene Mr Leighton …“

„Ich meinte seine Witwe.“ Lady Hawthorne seufzte ungeduldig.

Bis zu diesem Moment hatte Adam sich keine Gedanken über Mrs Leightons Alter gemacht, aber er nahm an, dass sie Ende zwanzig oder Anfang dreißig sein musste.

Er runzelte die Stirn, als ihm aufging, dass die Witwentracht sie älter und reifer wirken ließ und dass sie vermutlich erheblich jünger war, als er sie einschätzte. „Solange Mrs Leighton ihre Aufgabe zu meiner Zufriedenheit erfüllt, ist mir ihr Alter vollkommen gleichgültig“, tat er das Thema ab und schob die Tür zum Kinderzimmer auf. Dann trat er zur Seite und bedeutete seiner Großmutter, ihm voran in den Raum zu gehen.

Elena sah von dem Gedichtband hoch, in dem sie mit ihrer kleinen Schutzbefohlenen geblättert hatte, und setzte eine höflich distanzierte Miene auf, als ihr Dienstherr und seine Großmutter väterlicherseits das Zimmer betraten.

Eine höflich distanzierte Miene, die hoffentlich verbarg, dass sie mitgehört hatte, wie die beiden sich draußen über sie unterhielten. Die hoffentlich auch verbarg, wie angespannt sie deswegen war …

Sie hatte darauf gebaut, dass sie als verwitwete Mrs Elena Leighton, die als Gouvernante in Diensten des unzugänglichen Lord Hawthorne stand, vor derartiger Neugier sicher sein würde. Doch so wie Lady Hawthorne sie nun musterte, konnte sie diese Hoffnung begraben.

Elena widerstand dem Drang, den Sitz ihres strengen Haarknotens zu überprüfen und ihr schwarzes Kleid glatt zu streichen. Stattdessen richtete sie sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter sechzig auf und machte einen Knicks. „Mylord.“

„Mrs Leighton.“ Lady Hawthorne war diejenige, die ihre Begrüßung sanft erwiderte. Die Miene Seiner Lordschaft blieb kalt und abweisend wie immer.

Elena hatte sich erst entschieden, ihre derzeitige Anstellung anzutreten, als klar gewesen war, dass ihr unnahbarer Arbeitgeber kaum Verbindungen zur vornehmen Londoner Gesellschaft unterhielt und seine Zeit lieber damit verbrachte, sein politisches Amt wahrzunehmen und seine Landgüter zu verwalten. Was ihrem Wunsch – genauer gesagt, der Notwendigkeit – anonym zu bleiben, sehr entgegenkam.

Das diabolisch gute Aussehen des Gentleman hatte sie im ersten Moment irritiert. Adam Pembroke, Earl of Hawthorne, bestach mit seiner muskulösen Statur, glänzend schwarzem Haar und schwarzen, kühn geschwungenen Brauen über stahlgrauen Augen. Seine Jochbeine wirkten wie gemeißelt, er hatte eine klassisch gerade Nase und einen gut geschnittenen, sinnlichen Mund. Seine schlanke Gestalt ließ vermuten, dass er sicher nicht seine gesamte Zeit im Oberhaus und hinter seinem Mahagonischreibtisch verbrachte.

Doch nach höchstens fünf Minuten in seiner Gegenwart hatte Elena erkannt, dass er nicht nur der hochmütigste und unnahbarste Mensch war, den sie in ihrem Leben kennengelernt hatte, sondern dass er sie gottlob auch nicht als Frau betrachtete, geschweige denn unzüchtige Gedanken oder Absichten hegte, wie es viele Dienstherren der Gouvernante ihrer Kinder gegenüber taten.

In diesem Moment jagte ein heißes Prickeln durch ihren Körper, und als sie hochsah und dem Blick begegnete, mit dem Lord Hawthorne sie aus verengten Augen begutachtete, wusste sie, dass sie ihre Einschätzung seiner Person korrigieren musste. Sie verschränkte ihre plötzlich zitternden Hände vor der Brust und neigte höflich den Kopf. „Lady Hawthorne.“ Dann wandte sie sich zu dem kleinen Mädchen, das auf seiner Schulbank saß. „Steh auf und begrüße deine Großmutter, Amanda.“

Anfangs hatte es Elena befremdet, dass in diesem Haus nichts von der Warmherzigkeit und Zuneigung zu spüren war, die sie aus ihrer eigenen Kindheit kannte. Lord Hawthorne widmete seiner Tochter täglich eine halbe Stunde, und selbst diese kurze Zeit verbrachte er ausschließlich damit, Amanda nach ihrem Lernstoff zu befragen.

Kein Wunder, dass die Kleine in Gegenwart ihres Vaters immer auffallend still und zurückhaltend war. Der formvollendete Knicks, den sie vor Lady Hawthorne machte, war nur ein weiterer Beweis ihrer ängstlichen Reserviertheit. Was nicht hieß, dass das Kind nicht auch ganz anders sein konnte. Wenn sie mit ihr allein war, unterschied Amanda sich in nichts von jeder anderen lebhaften Sechsjährigen.

Sie war groß für ihr Alter, und schon jetzt wiesen ihre Züge Anzeichen der bezaubernden Schönheit auf, die sie einmal sein würde. Mit ihren himmelblauen Augen, dem Porzellanteint, ihrem Rosenknospenmund und dem blonden Haar bot sie eine reizende Erscheinung in dem rosafarbenen Kleid, das ihren hellen Typ perfekt betonte.

Eine Erscheinung, deren Liebreiz an ihren Vater komplett verschwendet war. Lord Hawthornes Aufmerksamkeit richtete sich auf sie, die Gouvernante, nicht auf seine Tochter. Und diesen Gentleman hatte Elena nach der einen Woche, die sie bei ihm in Diensten stand, als einen Mann eingeschätzt, dem Gefühle gänzlich abgingen.

Wahrscheinlich fand sie seinen Blick deswegen so entnervend. Weil er sie zum ersten Mal als Frau wahrzunehmen schien …

Elena straffte sich entschlossen. „Dann lasse ich Sie jetzt allein und gehe Amandas Schlafzimmer aufräumen. Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden …“ Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie aus dem Raum.

Sobald die Tür von Amandas Schlafgemach hinter ihr ins Schloss gefallen war, ließ sie sich zitternd auf die Bettkante sinken. Sie brauchte einen Moment Ruhe, um ihre Fassung wiederzugewinnen. Das Herz trommelte ihr wie wild gegen die Rippen, und sie presste sich die Hand auf die Brust. Nicht auszudenken, wenn Hawthorne plötzlich auf ihre weiblichen Reize aufmerksam geworden war, statt in ihr nur die Angestellte zu sehen!

Aufgrund einer Reihe widriger Gegebenheiten stand sie allein in der Welt und war darauf angewiesen, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Ihre Lage war verzweifelt und heikel genug, auch ohne das plötzliche furchteinflößende Interesse Lord Hawthornes an ihrer Person.

Sie war sich nur zu sehr darüber im Klaren, wie gnadenlos manche Gentlemen ihre Macht über die schutzlosen weiblichen Dienstboten in ihrem Haushalt ausnutzten. Sogar ihr eigener Cousin …

Nein. Sie durfte nicht … konnte nicht daran denken. Allein die Erinnerung an das, was dieser Wurm – und ihn als Gentleman zu bezeichnen war ausgeschlossen –, ihr angetan hatte, reichte, um Übelkeit in ihr hervorzurufen.

„Sind Sie in Ordnung, Mrs Leighton?“

Als sie Hawthornes Stimme hörte, sprang Elena auf wie von der Tarantel gestochen. Alles Blut schien ihr aus dem Kopf zu sacken, ihr wurde schwindelig, und als sie Halt suchend nach der Lehne des nächstbesten Stuhls griff, schwankte sie leicht.

Mit drei weit ausgreifenden Schritten war er bei ihr, ergriff sie beim Oberarm, und sie konnte die Wärme seiner schlanken Finger durch den Stoff ihres Trauerkleides hindurch spüren. „Mylord?“ Sie musterte ihn misstrauisch, als er plötzlich so dicht bei ihr stand – so dicht, wie sie nie geglaubt hatte, einen Mann ertragen zu können. So dicht, dass sie sich seiner überlegenen Größe und Stärke mit jeder Faser bewusst war, ohne sich indes davon überwältigt zu fühlen. So dicht, dass sie den schwarzen Rand um seine Iris bemerkte …

Es waren die schönsten Augen, die sie je gesehen hatte. Elena kam nicht umhin, sich diese Tatsache einzugestehen, als sie fortfuhr, ihn wie hypnotisiert anzustarren. Augen von einem tiefen, rauchigen Grauton, umrahmt von langen, schwarzen Wimpern.

„Mrs Leighton?“ Adam runzelte die Stirn, als er feststellte, dass ihr seidiges dunkles Haar nach Zitrone duftete. Ebenso wie vor ein paar Minuten im Schulzimmer. Während er sie eingehend gemustert hatte, war er zu dem Schluss gekommen, dass sie keinesfalls Ende zwanzig und schon gar nicht Anfang dreißig sein konnte.

Sondern höchstens Anfang zwanzig, wie er nun, da er so dicht vor ihr stand, erkannte. Ihr Teint war makellos wie Alabaster, und in ihren großen blaugrünen Augen stand eine rührende Unschuld, als sie zu ihm hochblickte. Auch ihre biegsame, schlanke Figur war die eines jungen Mädchens und nicht die einer reifen Frau.

Er presste die Lippen zusammen und verstärkte den Griff um ihren Arm.

„Wie alt sind Sie?“

Sie schlug die Augen nieder, dann sah sie ihn wieder an. „Wie alt ich bin?“

Adam nickte. „Keine unbeantwortbare Frage, wie ich denken würde.“

Sie befeuchtete sich die Lippen mit der Zungenspitze. „Nein, natürlich nicht unbeantwortbar“, erwiderte sie heiser. „Aber ist es nicht unhöflich, eine Dame nach ihrem Alter zu fragen? Außerdem wüsste ich nicht, weshalb …?“

Adam hob die Brauen. „Das zu entscheiden, werden Sie mir überlassen müssen, Madam. Beantworten Sie meine Frage!“ Selbst in seinen besten Momenten war er alles andere als ein geduldiger Mensch – und die augenblickliche Situation zählte weiß Gott nicht zu seinen besten Momenten. Außerdem hasste er es, belogen zu werden, und selbst wenn Elena Leighton das nicht getan hatte, stand zu befürchten, dass sie einigermaßen sparsam mit der Wahrheit umgegangen war.

„Ich … nun, also … ich bin …“ Elena unterbrach sich, um ihren Nacken zu dehnen, der ganz steif geworden war vom unausgesetzten Hochstarren. Sie überlegte, ob Lord Hawthorne ihr glauben würde, wenn sie ihm sagte, sie sei fünfundzwanzig – ein Alter, das selbst er als vernünftig ansehen würde.

Leider wäre es gelogen.

„Einundzwanzig.“ Jedenfalls beinahe. Oder genauer gesagt, in acht Monaten. Am ersten Weihnachtstag. Zu Hause, bei ihrer Familie waren immer beide Anlässe gefeiert worden. Dieses Jahr nicht, aus dem einfachen Grund, dass es keine Familie mehr gab, mit der sie gern gefeiert hätte.

„Einundzwanzig“, wiederholte er ausdruckslos, ließ seine Finger an ihrem Arm hinabgleiten und umfasste ihr Handgelenk. „Dann waren Sie neunzehn, als Sie Witwe wurden und Ihre Anstellung als Lehrerin und Gesellschafterin der Tochter von Lord Bambury antraten, richtig?“

Bei der Erinnerung an das Zeugnis, das sie der Vermittlungsagentur bei ihrer Suche nach einer Anstellung in einem respektablen Haushalt vorgelegt hatte, wand Elena sich innerlich. Weil sie dieses Zeugnis angesichts der Tatsache, dass sie keinerlei vorheriges Dienstverhältnis vorweisen konnte, selbst hatte schreiben müssen.

Sie begegnete Lord Hawthornes durchdringendem Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. „Das ist richtig. Wenn Sie mit meiner Arbeit nicht zufrieden sind, kann ich gern …“

„Habe ich etwas dergleichen gesagt?“

Sie reckte das Kinn. „Nein. Aber durchblicken lassen.“

Seine wohlgeformten Lippen verzogen sich zu etwas, das ein Lächeln hätte sein können, in seinem Fall jedoch eher ein abfälliges Grinsen war. „Nein, meine liebe Mrs Leighton, ich habe auch nichts dergleichen durchblicken lassen“, erwiderte er gedehnt. „Ist es womöglich Ihr schlechtes Gewissen, das Sie zu dieser Annahme verleitet?“

Ein paar Schläge lang schien ihr Herz auszusetzen, als sie in Hawthornes unnachgiebige Miene blickte. Er fixierte sie aus verengten Augen und hatte die Kiefer zusammengepresst. Zwischen den Brauen stand eine steile Falte. Es war das Antlitz eines Menschen, mit dem man sich besser nicht anlegte. Außer man wünschte sich das volle Ausmaß seines zweifellos gewaltigen Zorns zuzuziehen.

Ihr sank der Mut, als ihr klar wurde, dass sie sich die vergangenen zwölf Tage in trügerischer Sicherheit gewiegt hatte. In dieser Zeit war sie ihrem Dienstherrn nur begegnet, wenn er seine tägliche halbe Stunde mit Amanda verbrachte, und selbst dann hatte sie sich meistens entschuldigt und Vater und Tochter sich selbst überlassen. Bis jetzt war er für sie eher eine Art Randfigur gewesen, ein hochmütiger, verschlossener Gentleman, dem es nicht leichtfiel, eine Beziehung zu seiner Tochter aufzubauen, der aber die Alltagsabläufe im Schulzimmer nicht weiter störte.

Der Gentleman allerdings, der sie im Augenblick durchdringend ansah, war alles andere als eine Randfigur. Im Gegenteil, sowohl körperlich als auch mit seinen Fragen rückte er ihr auf höchst unbehagliche Weise zu Leibe. So nah zu Leibe, dass sie die Wärme spürte, die sein kraftvoller Körper ausstrahlte, und sie den Duft seines köstlich herben Rasierwassers riechen konnte.

Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, mit der sie bis zu seinen Schultern reichte, und zwang sich, seinen Blick unerschrocken zu erwidern. „Meine Angaben sind korrekt. Es dürfte ein Leichtes sein, das festzustellen, wenn Sie die Referenzen, die Lord Bambury mir ausgestellt hat, überprüfen.“

Wenigstens das war keine Lüge. Das Schicksal mochte sie erst vor Kurzem in die Welt hinausgestoßen haben, doch sie hatte sichergestellt, dass der Kern ihrer Behauptungen stimmte. Es gab eine junge, verwitwete Mrs Leighton, die als Lehrerin und Gesellschafterin Lady Fionas tätig gewesen war, ehe die Bamburys sich Anfang des Jahres in wärmere Gefilde begeben hatten, damit Lady Bambury sich von ihrem Lungenleiden erholte. Mrs Leighton war in England geblieben und hatte ihre Anstellung gekündigt.

Alles stimmt, dachte Elena. Außer dass sie nicht Mrs Leighton war.

„Glauben Sie?“, murmelte Lord Hawthorne sanft.

„Wenn Sie mich bitte loslassen würden …?“

„Selbstverständlich.“ Der Griff um ihr Handgelenk war weder unbeabsichtigt erfolgt, noch eine vertrauliche Geste gewesen. Er hatte es ihm ermöglicht zu spüren, wie ihr Puls hochgeschnellt war, als er sie auf ihr schlechtes Gewissen ansprach.

Inzwischen war er restlos überzeugt, dass die Frau, die seit Kurzem als Gouvernante in seinen Diensten stand, irgendetwas zu verbergen hatte. Was genau, wusste er nicht, doch er war entschlossen, es herauszufinden. So schnell wie möglich, denn schließlich hatte er sie mit der Erziehung seiner Tochter betraut.

Adam sah sie von oben herab an. „Ich muss wieder ins Schulzimmer. Aber seien Sie sich der Tatsache bewusst, dass dies nicht das Ende unserer Unterhaltung ist.“

Elena nickte zustimmend. „Als Ihre Angestellte erwarte ich Ihre Anordnungen.“

Himmel, wenn das nicht eine Auskunft war, die zu überdenken sich lohnte! Elena Leighton – die junge, außerordentlich schöne Elena Leighton, die verwitwete Elena Leighton – erwartete seine Anordnungen …

Was für ein Dilemma. Adam dachte darüber nach, mit welcher Anordnung er beginnen würde. Dass sie die Nadeln aus dem hässlichen Knoten entfernen sollte, damit die seidige Fülle ihres schwarzen Haars sich über ihre Schultern und ihren Rücken ergoss? Oder die unkleidsamen Witwentracht ablegen und ihm ihre vollen, festen Brüste enthüllen? Aber vielleicht würde er es vorziehen, wenn sie ihm noch Intimeres gewähren würde?

Sein Blick fiel auf ihren Mund. Wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn Elena Leighton vor ihm kniete, die vollen Lippen um ihn geschlossen, und ihn reizte … erkundete … sein Verlangen befriedigte?

Zum Teufel! Seine Fantasie ging mit ihm durch!

Er gehörte nicht zu der Sorte Männer, die sich von diesem Teil ihrer Anatomie leiten ließen. Wenn seine unglückselige Ehe mit Fanny nichts anderes bewirkt hatte, dann wenigstens, dass er von solchen Verrücktheiten geheilt war!

Ein Nerv vibrierte in seinem Kinn, als er abrupt einen Schritt von ihr zurücktrat. „Wir reden morgen weiter“, beschied er sie kurz angebunden und maß sie mit einem kalten Blick. Dann drehte er sich auf dem Absatz herum, verließ den Raum und zog die Tür geräuschvoll hinter sich ins Schloss.

Elena taumelte zurück und sank auf den Stuhl. Ihr Atem ging abgehackt, und das Herz pochte ihr wie wild in der Brust. Sie versuchte sich zu beruhigen und der Panik Herr zu werden, die sie bei seiner Berührung übermannt hatte.

Sie konnte sich nicht erklären, was ihn zu dem Gespräch veranlasst hatte – geschweige denn dazu, dieses Thema anzuschneiden. Und weshalb war er ihr in Amandas Schlafzimmer gefolgt? Hatte er, wenn auch behutsam, ihr Handgelenk ergriffen?

Wie sie es dem Tenor seiner Fragen und seinem gnadenlos kalten Augenausdruck hatte entnehmen können, wurde ihr jedoch klar, dass er es nicht leicht verzieh, wenn er sich hintergangen fühlte. So wie von ihr, vom ersten Augenblick an …

Denn weder hieß sie Eleanor Leighton, noch war sie Witwe – wie auch, da sie nie verheiratet gewesen war –, und schon gar nicht hatte sie je in einem Dienstverhältnis als Lehrerin und Gesellschafterin Lady Fionas, der Tochter des Earl of Bambury, gestanden. Die echte Mrs Leighton war zu ihren Schwiegereltern nach Schottland gezogen.

Elena wusste das, weil sie die Bamburys kannte, deren Anwesen nur etwa zwanzig Meilen entfernt vom Landgut ihres Großvaters lag. Der Earl und seine Gattin waren gelegentlich Dinnergäste ihres Großvaters gewesen und umgekehrt …

Weil sie in Wahrheit nicht Elena Leighton, sondern Magdalena Matthews, die Enkelin George Matthews’, des verstorbenen Duke of Sheffield war.

Die junge Dame, deren Verschwinden am Tag nach der Beisetzung ihres Großvaters die Gesellschaft so sehr in Aufregung versetzt hatte.

3. KAPITEL

Thorn? Verdammt, Hawthorne, so warten Sie doch, Mann!“

Die Stimme hallte von der hohen Decke des Korridors im Parlamentsgebäude wider. Adam blieb stehen und drehte sich um, um herauszufinden, wer ihn angesprochen hatte. Eine steile Falte erschien an seiner Nasenwurzel, als er Justin St Just, den Duke of Royston, erkannte.

Ein paar Mitglieder des House of Lords, die sich ebenfalls im Korridor aufhielten, wichen zur Seite, als Seine Gnaden sich zielgerichtet seinen Weg zu Lord Hawthorne bahnte.

Hochgewachsen, blond und schön wie Adonis, mit lavendelblauen Augen, arroganten Gesichtszügen und einem kraftvollen Körper ausgestattet, bei dessen Anblick die jungen Damen in Verzückung gerieten, war Royston ein Mann mit durchaus charismatischer Ausstrahlung. Doch obwohl er und Hawthorne etwa das gleiche Alter hatten, sich regelmäßig bei den Sitzungen des Oberhauses sahen und ihre Großmütter seit Jahrzehnten gut befreundet waren, standen sie sich nicht sehr nahe. Dazu waren sie zu unterschiedlich, was ihre Ansichten und ihren Lebensstil betraf, insbesondere in den letzten Jahren, seit Adam sämtlichen gesellschaftlichen Zusammenkünften aus dem Weg ging, während Royston für sein geradezu teuflisches Glück bei den Frauen und am Spieltisch bekannt war.

Außerdem wusste Adam bis heute nicht genau, ob auch der Duke zu Fannys zahlreichen Liebhabern gezählt hatte.

„Royston“, begrüßte er den anderen Mann kühl.

Der Duke musterte ihn neugierig. „Sie scheinen heute Abend sehr in Eile, von hier fortzukommen, Hawthorne. Haben Sie ein Rendezvous mit einer Dame?“ Er hob spöttisch eine Braue.

Adam straffte sich. „Ich nehme doch an, als Gentleman werden Sie von mir keine Antwort auf diese Frage erwarten?“

„Selbstverständlich nicht“, erwiderte Royston gedehnt. „Ich finde nur, Sie sind ein wenig einsiedlerisch geworden in den letzten Jahren.“

Eisig erwiderte Adam: „Gibt es einen besonderen Grund, dass Sie mich aufhalten, oder kann ich meinen Weg fortsetzen?“

„Sie haben sich wirklich zu einem verdammt unleidlichen Zeitgenosse entwickelt, Hawthorne!“ Der Duke machte keinen Hehl aus seiner Verärgerung. „Lassen Sie uns in irgendeinen Club gehen und etwas trinken, damit wir uns in einem weniger öffentlichen Rahmen unterhalten können.“

Adam entspannte sich kaum merklich. „Ich war ohnehin auf dem Weg zu White’s.“

Der Duke verzog das Gesicht. „Ich hatte an ein weniger … respektables Etablissement gedacht, aber für den Anfang ist White’s nicht schlecht. Meine Kutsche steht draußen.“

„Meine ebenfalls.“

Der Duke musterte ihn mit einem schwer deutbaren Blick, dann nickte er. „Warum nicht. Wir nehmen Ihre Kutsche, und ich lasse meine nachkommen. Außer Sie möchten mich anschließend noch in ein paar andere Clubs begleiten?“

„Nein.“

Royston zuckte mit den Schultern. „Wie Sie wünschen.“

Sie sprachen nicht miteinander, bis sie, jeder einen großen Schwenker Cognac vor sich auf dem Tisch, in einer abgeschiedenen Nische bei White’s Platz genommen hatten – der Duke bequem in seinem Sessel lümmelnd, Hawthorne in gerader Haltung ihm gegenüber.

In der Vergangenheit waren sie sich häufig bei irgendwelchen Veranstaltungen des ton begegnet, und Adam gefiel die arrogante Sorglosigkeit, mit der Royston gesellschaftliche Einengungen missachtete. Dass er dem Gentleman seit ein paar Jahren reserviert begegnete, hing damit zusammen, dass er nicht sicher sein konnte, ob Royston einer der Liebhaber seiner verstorbenen Gattin gewesen war. Aber bei ihren zahllosen Affären hatte sie vermutlich selbst irgendwann den Überblick verloren.

Bereits einen Monat nach der Hochzeit hatten Fanny und er getrennte Schlafzimmer bezogen; ein Umstand, der, wiewohl nicht allgemein bekannt, angesichts Fannys immer neuer Liebschaften zu einer schwer erträglichen Demütigung für ihn geworden war. Adam hätte es vorgezogen, in getrennten Haushalten zu leben, doch davon hatte Fanny nichts wissen wollen. Das Zusammenleben mit ihm war eine perfekte Tarnung für ihre zahllosen Affären gewesen, und unglücklicherweise hatte sie mit dem gemeinsamen Kind über eine Trumpfkarte verfügt, von der sie rücksichtslos Gebrauch gemacht und eine Trennung verhindert hatte. Denn obwohl er sich schwertat, seine Gefühle zu zeigen, liebte er seine kleine Tochter abgöttisch.

„Welchen Eindruck haben Sie zurzeit von Ihrer Großmutter?“