36,99 €
Examensarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Pädagogik, Sprachwissenschaft, Note: 1,0, Universität Lüneburg, Sprache: Deutsch, Abstract: Das vorliegende Werk geht einer zentralen Frage der Deutschdidaktik nach: Mit welchen Ansätzen lässt sich die Textkompetenz von Grundschülern – im Sinne der Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für das Verfassen von Texten benötigt werden – fördern? Unter diesem Blickwinkel ergibt sich zugleich eine Reihe weiterer Fragestellungen. So sind zunächst Überlegungen darüber anzustellen, wie die Größe Text sich überhaupt definieren lässt und welche Kriterien eine solche sprachliche Einheit erfüllen muss. Darüber hinaus ist in Erfahrung zu bringen, wie die Textproduktion funktioniert, über welche Fähigkeiten ein Schreiber zur Konstitution von Texten verfügen sollte und inwieweit diese in der Pri-marstufe überhaupt bereits vorausgesetzt bzw. ausgebildet werden können. Bei der Beschäftigung mit der skizzierten Thematik ist die Tatsache zu nutzen, dass das „Schreiben“ von Texten als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand sich in den letzten Jahrzehnten „im Umbruch“ befindet – es sind also Erkenntnisse jüngerer textlinguistischer Ansätze und der neueren Schreibforschung, die sich seit Anfang bzw. Ende der 70er Jahre herausgebildet haben, heranzuziehen, um Aussagen über geeignete, theoretisch fundierte didaktische Ansätze zur Förderung der Textkompetenz in der Grundschule zu machen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2006
Page 1
Die vorliegende Arbeit geht einer zentralen Frage der Deutschdidaktik nach: Mit welchen Ansätzen lässt sich die Textkompetenz von Grundschülern1- im Sinne der Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für dasVerfassenvon Texten benötigt werden - fördern? Unter diesem Blickwinkel ergibt sich zugleich eine Reihe weiterer Fragestellungen. So sind zunächst Überlegungen darüber anzustellen, wie die Größe Text sich überhaupt definieren lässt und welche Kriterien eine solche sprachliche Einheit erfüllen muss. Darüber hinaus ist in Erfahrung zu bringen, wie die Textproduktion funktioniert, über welche Fähigkeiten ein Schreiber zur Konstitution von Texten verfügen sollte und inwieweit diese in der Primarstufe überhaupt bereits vorausgesetzt bzw. ausgebildet werden können. Bei der Beschäftigung mit der skizzierten Thematik ist die Tatsache zu nutzen, dass das „Schreiben“ von Texten als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand sich in den letzten Jahrzehnten „im Umbruch“2befindet - es sind also Erkenntnisse jüngerer textlinguistischer Ansätze und der neueren Schreibforschung, die sich seit Anfang bzw. Ende der 70er Jahre herausgebildet haben, heranzuziehen, um Aussagen über geeignete, theoretisch fundierte didaktische Ansätze zur Förderung der Textkompetenz in der Grundschule zu machen. In diesem Sinne wird inKapitel 2zunächst geklärt, wie der Terminus „Text“ sich aus textlinguistischer Perspektive und im Hinblick auf die didaktische Zielsetzung dieser Arbeit bestimmen lässt und welche Eigenschaften Texte idealtypisch aufweisen sollten. Dieser Teil ist somit primär produktfokussiert. Im Gegensatz dazu beschäftigt sichKapitel 3an-hand entsprechender Modelle einerseits mit den Vorgängen, die bei der Textproduktion kompetenter Schreiber ablaufen, sowie zum anderen mit der Entwicklung von Schreibfähigkeiten - an dieser Stelle wird mithin ein prozessorientierter Blickwinkel eingenommen. Im Anschluss an die Darstellung der Theoriebildungen werden die text- und kognitionswissenschaftlichen Erkenntnisse im Rahmen eines Fazits jeweils daraufhin analysiert, welche didaktischen Schlussfolgerungen für den Schreibunterricht in der Grundschule sich aus ihnen deduzieren lassen.
InKapitel 4,dem inhaltlichen Schwerpunkt der Arbeit, sind die theoretischen Einblicke in die Bedingungen und Anforderungen der Textproduktion zunächst für eine Definition von „Textkompetenz“ heranzuziehen. Zudem werden die verschiedenen Ansätze in der Ge-1ImFolgenden werden maskuline Formen wie Schüler, Lehrer, Lerner, Schreiber, Autor, Rezipient etc.
geschlechtsneutral, also sowohl für den männlichen als auch für den weiblichen Personenkreis verwendet.
2Vgl. den Buchtitel von Feilke / Portmann (1996).
Page 2
schichte der Aufsatzdidaktik darauf hin überprüft, welche Defizite bzw. auch Potenziale sie aufweisen, um die Relevanz einer theoretisch fundierten und am Gesamtprozess der Textproduktion orientierten Schreibdidaktik herauszustellen, die die aus heutiger Sicht noch vertretbaren Aspekte früherer Strömungen integriert. Abschließend werden ausgewählte textlinguistisch und schreibtheoretisch fundierte Ansätze vorgestellt und auf dem Hintergrund der erarbeiteten Kriterien für einen angemessenen Schreibunterricht sowie gegebenenfalls in Anlehnung an die ontogenetischen Modellierungen hinsichtlich ihrer positiven Effekte auf die Entwicklung der Textkompetenz von Grundschülern analysiert.
Page 3
Eine einheitliche Definition dessen, was aus linguistischer Perspektive unter dem Begriff „Text“ zu verstehen ist und welche Kriterien ein solches Konstrukt demzufolge erfüllen muss, konnte sich in der Textlinguistik bisher nicht durchsetzen. Gründe für die erschwerte Eingrenzung liegen zunächst einmal in dem komplexen und vielförmigen Phänomen „Text“ selbst sowie in der Polysemie des Terminus. Dabei ist diese Mehrdeutigkeit durchaus beabsichtigt, da eine klare Abgrenzung vom Alltagskonzept den Fokus der Wissenschaft nur unnötig stark verengen würde (Adamzik 2004, S. 31). Die Koexistenz einer Vielzahl von Definitionen zur Größe Text korrespondiert in diesem Sinne primär mit den unterschiedlichen Ansätzen, die sich in der jungen Geschichte der Textlinguistik bereits herausgebildet haben und ihren jeweils spezifischen Forschungsschwerpunkt aufweisen (Brinker 2005, S. 12).
So definiert Harweg in einer frühen Phase der Textlinguistik Ende der 60er Jahre einen Text als „ein durch ununterbrochene pronominale Verkettung konstituiertes Nacheinander sprachlicher Einheiten“ (Harweg 1968, S. 148) und kennzeichnet damit den Ansatz derTransphrastik,dessen Ursprung in der Kritik an der Beschränkung der Generativen Transformationsgrammatik auf die Satzebene liegt (Vater 2001, S. 17). Das Spezifische eines Textes, seineTextualität,wird in dieser Tradition als eine Sequenz von Sätzen gedeutet, die mit denselben linguistischen Kategorien und Verfahren zu erfassen ist wie Elemente der Syntax (Fix et al. 2003, S. 12). Dabei bleibt der Satz nach wie vor die grundlegende „Struktureinheit“ eines Textes (Brinker 2005, S. 14). Diese Vorstellung impliziert ein Verständnis von Text als ein rein sprachliches und mehrsätziges Produkt. Die Auffassung, Textbildung werde ausschließlich durch das Regelsystem der Sprache gesteuert, erweist sich jedoch bald als unzureichend, da die Bestimmung von Vertextungsmitteln nur über das Erfassen semantischer Beziehungen gelingen kann. Dersemantische Ansatzbeschäftigt sich daher im Rahmen des Isotopiekonzeptes von Greimas (1971) unter dem Aspekt der Wortbedeutungen mit der vollständigen oder partiellen Wiederaufnahme von Wörtern, die einem TextKohäsionin Form semantisch-syntaktischer Verknüpfungen verleiht (vgl. Kap. 2.2.1). Mit der Beschreibung von Mikro- und Makrostrukturen durch van Dijk (1972) gelangt der Fokus dessemantisch-thematischen Ansatzeswieder auf die Satzebene, allerdings werden im Gegensatz zur transphrastischen Me-
Page 4
thode jetzt die globalen Beziehungen zwischen den einzelnen Sätzen nach der Verknüpfung ihrer Satzbedeutungen betrachtet. Auf diese Weise gelingt es, auch diejenigen Beziehungen in einem Text zu erfassen, die nur in der Texttiefenstruktur angelegt sind (Fix et al. 2003, S. 13 f.). Sowohl das Isotopiekonzept von Greimas als auch van Dijks Modell der Mikro- und Makrostrukturen sind als Zwischenstufen im Übergang von syntaktischen zu eher pragmatischen Herangehensweisen an Texte einzuordnen (vgl. Linke et al., S. 230 u. Rickheit / Schade 2000, S. 278).
Im Zusammenhang mit derpragmatischen Wendein der Textlinguistik Anfang der 70er Jahre wird „Text“ in Anlehnung an die Sprechakttheorie nach Austin und Searle nicht mehr als semantisch-syntaktisch verknüpfte Satzsequenz, sondern primär als komplexe sprachliche Handlung betrachtet, deren kommunikative Funktion den Handlungscharakter eines Textes - d.h. „die Art des kommunikativen Kontakts, die der Emittent (Sprecher oder Hörer) mit dem Text dem Rezipienten gegenüber zum Ausdruck bringt“ (Brinker 2005, S.16) - bestimmt. Die Bedeutung und der Sinn eines Textes kann sich infolgedessen erst im Zusammenhang mit der Handlung, in der er verwendet wird, ergeben (ebd., S. 15 f.). So betrachtet Schmidt Texte 1973 als „Texte-in-Funktion“ innerhalb eines thematisch ausgerichteten „kommunikativen Handlungsspiels“ (Schmidt 1973, S. 145 ff.) und denkt Text somit als Prozess zwischen Produzent und Rezipient (Vater 2001, S. 18). Die Erkenntnis des pragmatisch-funktionalen Ansatzes, dass Textualität neben sprachlichen Strukturen auch durch kommunikative Aspekte erzeugt wird, führt zu einer Radikalisierung hinsichtlich des Stellenwertes der Größe Text als „die oberste Organisationsform von Sprache“ und evoziert einen entscheidenden methodischen Richtungswechsel: Statt von der Verknüpfung der Einzelsätze auszugehen, die ein größeres sprachliches Gebilde hervorbringen, wird der Forschungsgegenstand Text nun als eine auf komplexe Weise strukturierte und vernetzte sprachliche Einheit mit ihren eigenen Organisationsprinzipien betrachtet, von der aus sich Sätzen in Form von „Textbausteinen“ genähert werden kann. Zur Überprüfung der Texthaftigkeit einer solchen Einheit werden neben den semantischsyntaktischen Vertextungsmitteln auch inhaltliche und außersprachliche Aspekte, die in einem TextKohärenzerzeugen (vgl. Kap. 2.2.2), herangezogen (Linke et al. 1996, S. 223 f.). Der Einfluss der Sprechakttheorie auf die Textlinguistik und im Zuge dessen die sprachsystematische Hierarchisierung der Größe Text bewirkt zudem ein vielfach anzutreffendes erweitertes Textverständnis im Hinblick auf mündliche und einsätzige Konstrukte sowie auf sprachliche und außerlinguale Mischformen (vgl. Vater 2001, S. 14 ff.).
Page 5
Parallel zur Entwicklung und Verbreitung des kommunikations- und funktionsorientierten Ansatzes bilden sich infolge einer starken Ausweitung textlinguistischer Forschung neben van Dijks Analyse der Mikro- und Makrostrukturen weitere semantisch-thematisch orientierteUntersuchungen globaler Textstrukturenheraus. Unter diesem Blickwinkel werden vor allem Phänomene wie Textsortenklassifizierung, Textgliederung, Textthema sowie Beziehungen zwischen Text und Texttitel erforscht (Schoenke 2000, S. 124). Brinker gelingt 1979 eine komplementäre Integration der jeweils syntaktisch, pragmatisch und thematisch ausgerichteten Forschungsansätze, wobei er der kommunikationsorientierten Textpragmatik eine zentrale Stellung einräumt (ebd., S. 125). Als wichtigstes Kriterium wertet Brinker das Textthema als „Kern des Textinhalts“, das er in enger Relation zur Textfunktion sieht (vgl. Kap. 2.2.4 und 2.2.5).
Durch den Einfluss der Kognitionspsychologie auf die Textlinguistik beschäftigen sich Vertreter deskognitiven Ansatzesseit Ende der 70er Jahre auch mit den mentalen Prozessen der Wissensverarbeitung bei der Textproduktion und -rezeption (ebd., S. 125). Hierbei richtet sich das Interesse insbesondere auf die mentalen Wissens- und Erfahrungsbestände als Voraussetzung für das Herstellen und Verstehen von Äußerungen. Im Rahmen eines prozeduralen3Ansatzes arbeiten de Beaugrande und Dressler bereits 1981 die Unterscheidung von text- und verwenderzentrierten Kriterien der Textualität heraus und beschreiben, wie außersprachliches Wissen im textuellen Sprachhandlungsprozess angewendet wird. Als textzentrierte Kriterien nennen sie Kohärenz und Kohäsion, verwenderzentriert sind nach ihrer Auffassung die Faktoren Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität und Intertextualität. In diesem Zusammenhang definieren sie die Größe Text „als eine kommunikative Okkurenz [...], die sieben Kriterien der Textualität erfüllt“ (de Beaugrande/Dressler 1981, S. 3). Aus Sicht de Beaugrandes und Dresslers bildet die durch Textausdrücke aktivierte „Sinnkontinuität“ eines Textes die Grundlage für Kohärenz, die sich beim Rezipienten über das Herstellen und Verstehen von Textsinn
3In Anlehnung an Baurmann und Weingarten werden mit dem Begriff „Prozeduren“ innerhalb dieser Arbeit
„stabilere Routinen oder Programme“ bezeichnet, die bei der Produktion und - so ist im Rahmen einer text-
linguistischen Betrachtung zu ergänzen - auch der Rezeption von Texten in Form verfügbarer Muster, Wis-
sensbereiche und Schemata zur Anwendung kommen, während „Prozesse“ sich demgegenüber auf den „sin-
gulären Vorgang der Textherstellung“ - bzw. auch der Rezeption - beziehen, der je nach Schreibaufgabe,
Umfang und Situation hinsichtlich seiner Dauer, seines Verlaufs und seiner Struktur beträchtlich variieren
kann (Baurmann / Weingarten 1995, S. 8 f.). „Produkte“ stellen in diesem Sinne schließlich die mehr oder
weniger abgeschlossenen Resultate des Schreibens dar. Den Zusammenhang zwischen den betrachteten Ter-mini veranschaulichen Baurmann und Weingarten mit einem Beispiel aus dem Bereich der elektronischen
Datenverarbeitung: „Prozeduren sind das Programm, Prozesse sind die Ausführungen eines Programms,
Produkte sind die durch die Ausführung des Programms hervorgebrachten Ergebnisse“ (ebd., S. 17).
Page 6
durch die Verknüpfung des textinternen Wissens mit seinem „Alltagswissen“ in Form von koordinativen und kausalen Beziehungen ergibt (ebd., S. 88 f.). In welcher Weise derartige Wissensbereiche strukturiert und zu erfassen sind, wird mit Hilfe von „semantischen Feldern“ durch Agricola (1987) sowie über „Frames“ und „Scripts“ versucht darzustellen. Beide Konzepte basieren auf der Annahme, dass kognitives Wissen nicht isoliert, sondern vernetzt gespeichert und abgerufen wird. Während semantische Felder jedoch auf die sprachliche Ebene bezogen bleiben, verweisen Script- und Frame-Theorien auf außerlinguale Bezüge der Realität, sodass sich der Textzusammenhang aus der sachlichen Beziehung zwischen den erwähnten Dingen oder Ereignissen ergibt (Fix et al. 2003, S. 15 f.). Wie sich noch zeigen wird, bildet die Anwendung derartiger Konzepte eine fundamentale Voraussetzung für das Verstehen von Texten. Die Darstellung der verschiedenen Textauffassungen in der Entwicklung der Textlinguistik hatte zum Ziel, die eingangs unterstellte Komplexität des Phänomens „Text“ hinreichend zu verdeutlichen und einen Überblick über die Vielzahl der Forschungsrichtungen zu geben, die jeweils nur einen Teilbereich ihres Untersuchungsgegenstandes beleuchten (können). In dem Zusammenhang muss nun auch im Rahmen dieser Arbeit eine funktionelle Eingrenzung des Textbegriffs erfolgen.
Offensichtlich stellt sich bei dem Versuch einer universellen linguistischen Definition von „Text“ das Problem, dass dieser Untersuchungsgegenstand sich einer konstitutiven Bestimmung über seine einzelnen notwendigen Merkmale entzieht. Aus diesem Grund erscheint eine Textbestimmung über die in den 70er Jahren im Rahmen der Kognitionspsychologie entwickelte Prototypentheorie fruchtbar.
Die Beschäftigung der kognitiven Psychologie mit den mentalen Repräsentationen von Alltagsbegriffen führte zu der Erkenntnis, dass solche Begriffe sich in „Kernzonen“ mit besonders typischen Vertretern, denPrototypen,und „peripherere Zonen“ mit eher untypischen Repräsentanten untergliedern. In der Linguistik wurde diese Feststellung zunächst für eine Ergänzung der Merkmalssemantik genutzt (Linke et al. 1996, S. 157 f.). Statt die Merkmalsbeschreibung eines Betrachtungsgegenstandes zu ersetzen, verleiht die Prototy-pentheorie den Eigenschaften vielmehr einen anderen Stellenwert: So weist ein prototypischer Vertreter mehrere zentrale Merkmale der übergeordneten Kategorie gleichzeitig auf, wohingegen Vertreter der peripheren Zonen über zentrale Merkmale nicht verfügen (A-
Page 7
damzik 2004, S. 47). Auch innerhalb der Kategorie „Text“ lässt sich zwischen besonders typischen und weniger repräsentativen Vertretern unterscheiden. Dieser Arbeit wird das von monologischen Schrifttexten ausgehende Prototypenkonzept Sandigs zugrundegelegt (Sandig 2000, S. 94).4
Im Gegensatz zu üblichen prototypischen Begriffsschemata finden sich in Sandigs Prototypenmodell anstelle verschiedener Repräsentanten einzelne Merkmale der übergeordneten Kategorie „Text“ aufgeführt, die je nach Textsorte in spezifischen Konstellationen und Ausprägungen zusammentreffen (Sandig 2000, S. 108 f.). Als zentrales Kriterium eines Textes stellt Sandig im Sinne des kommunikativ-pragmatischen Ansatzes die „Textfunktion“5in den Kernbereich ihres Schemas. Weitere wesentliche Merkmale eines prototypischen Textes sind aus ihrer Sicht in Anlehnung an die Textualitätskriterien de Beaugrandes und Dresslers (vgl. Kap. 2.1.1) die Kriterien Kohäsion, Kohärenz, Situationalität und Thema, die sich in ihrem Schema entsprechend im mittleren Bereich befinden. In den äußeren Kreis schließlich fügt sie die ihres Erachtens weniger entscheidenden Textualitätsmerkmale hinzu (ebd., S. 94 ff.). Im Hinblick auf den Zusammenhang der einzelnen Merkmale konstatiert Sandig:
„Texte als in der Regel komplexe Einheiten werden in Situationen (Situationalität) verwendet,umin der Gesellschaft Aufgabenzulösen (Intentionalität / Textfunktion), die auf Sachverhalte (Thema; Kohärenz) bezogen sind. Kohäsion sorgt lokal für die Integration. Das wichtigste dieser zentralen Merkmale ist die Textfunktion“ (ebd., S. 99).Einige Aspekte des äußeren Areals in Sandigs Modell sind in Bezug auf diese Arbeit zu vernachlässigen. Dagegen stellen Merkmale wie „Text hat Autor / Rezipienten“6und „Text braucht Medium“ wesentliche Voraussetzungen für die Textkonstitution dar bzw. sind als relativ typische Textkriterien zu bezeichnen, wie etwa „Text als verschriftete Lautstruktur“ und „Text als Sequenz“ im Sinne eines gewissen Umfangs (Adamzik 2004, S. 48). Die meisten Texte bilden zudem eine abgeschlossene, „begrenzte Einheit“ und weisen eine mehr oder weniger klare Gliederung auf.
4Ein alternatives Konzept findet sich beispielsweise bei Vater 2001, S. 22. Da es auf einem äußerst weit
gefassten Textverständnis basiert, ist es dieser Arbeit wenig dienlich.
5De Beaugrande und Dressler sprechen stattdessen von „Intentionalität“ (de Beaugrande / Dressler 1981, S.
8 f.); vgl. Kap. 2.1.1.
6Bei selbstbezogenen Texten ist der Autor zugleich der Rezipient (vgl. Kap. 2.2.4).
Page 8
Prototypentheorie zur Textbestimmung nach Sandig(2000, S. 108)
Die in den mittleren Bereichen des Schemas angesiedelten Merkmale Textfunktion, Kohäsion, Kohärenz und Thema werden auch im Rahmen dieser Arbeit als zentrale Kriterien für prototypische Texte behandelt, auf die sich im Folgenden bezogen wird, wenn von „Texten“ die Rede ist. Dabei wird insbesondere auch von schriftlichen, monologischen und mehrsätzigen Texten ausgegangen, da nach Feilke „der Umgang mit ihnen das schulische Lernen und seine Anforderungen in besonderer Weise prägt“ (Feilke 2000, S. 15), ohne jedoch unterstellen zu wollen, dass nicht auch einige mündliche, dialogische und aus wenigen Wörtern oder sogar nur einem einzelnen Wort bestehende Konstrukte als Texte zu bezeichnen sind. Die einzelnen zentralen Textualitätsmerkmale finden sich in Kapitel 2.2 näher erläutert.7Zuvor wird allerdings noch auf das prozessorientierte Textverständnis Nussbaumers eingegangen, da es im Hinblick auf die didaktische Ausrichtung dieser Arbeit wichtige zusätzliche Erkenntnisse liefert.
7Eine ausführliche Darstellung des Textualitätskriteriums „Situationalität“, auf die in dieser Arbeit verzichtet
wird, findet sich beispielsweise bei Adamzik 2004, S. 61 ff.
Page 9
Im Rahmen eines Forschungsprojektes, das sich mit der Analyse von Schülertexten beschäftigt, schränkt auch Nussbaumer seinen Textbegriff „prototypisch ein auf monologische schriftliche Texte“ (Nussbaumer 1993, S. 63 f.). Trotz dieser klaren Eingrenzung bleibt seines Erachtens jedoch eine Mehrdeutigkeit des Terminus bestehen, da dieser sich einerseits auf die materielle Form von Texten bezieht, andererseits jedoch von einem Text Kohärenz erwartet wird, die innerhalb des äußeren Gebildes auf dem Papier allerdings nicht gegeben sein kann. In diesem Zusammenhang gelangt Nussbaumer im Sinne eines kognitiven Textbegriffs zu folgender These:
„Das, was Texte zu Texten macht (die Textualität), ist die Kohärenz, das ist das Zusammenstimmen von Teilen zu einem integralen Ganzen. Dies ist eine Eigenschaft, die nicht äußerlichen Objekten (Texten auf dem Papier), sondern nur mentalen Entitäten (Texten in den Köpfen von Sprachbenützern) zukommen kann“ (ebd., S. 64).Das Spezifische eines Textes liegt nach Nussbaumer also darin, dass er Kohärenz im Kopf der Rezipienten herstellt (vgl. Kap. 2.2.2). Um diese Eigenschaft von Texten von ihrer materiellen Gestalt abzugrenzen, bezeichnet er den „Text auf dem Papier“ als „TEXT 1“ und den „Text im Kopf des Rezipienten“ als „TEXT 2“. Entsprechend erhält der „Text im Kopf des Textproduzenten“ die Benennung „TEXT 0“ (ebd., S. 64).
Textbegriff nach Nussbaumer(1993, S. 64)
Nussbaumer betrachtet den auf dem Papier sichtbaren Text 1 somit nicht als endgültiges Schreibprodukt, sondern vielmehr als „Ausdruck der mentalen Prozesse des Schreibenden“ bzw. „individuelle Wahrnehmungsleistungen des Rezipienten“ (Wildemann 2005, S. 38). In Übereinstimmung mit den Vorstellungen de Beaugrandes und Dresslers (vgl. Kap. 2.1.1) ereignet sich Textualität nach Nussbaumer in erster Linie über das „verstehende Verarbeiten“ des Textes 1 durch einen Rezipienten, der über ein hinreichendes Vorwissen verfügt. In diesem Zusammenhang unterscheidet er zwischen dem Sprach-, Welt- und Handlungswissen eines Sprachteilnehmers (vgl. Kap. 2.2.2) und geht davon aus, dass prinzipiell jede dieser Wissenskomponenten als wiedererkennendes, einordnendes System fun-
Page 10
giert. Im Vergleich zum „weitgehend überindividuellen“ Sprachwissen, das vor allem der Entschlüsselung der in Text 1 enthaltenen Sprachzeichen und syntaktischen Fügungen dient und in seiner Anwendung selbst kaum Veränderungen unterliegt, sind das Welt- und Handlungswissen allerdings sehr viel subjektiver geprägt und wirken im Hinblick auf die Aussagen eines Textes in stärkerem Maße ergänzend, wobei sich diese Wissensbereiche prinzipiell auch leichter erweitern lassen.8Nach Nussbaumer ist es nun speziell der Ergänzungs- und Reparaturmechanismus des Welt- und Handlungswissens, der zur Kohärenzbildung im Kopf eines Rezipienten und somit zum Herstellen von einem Text 2 auf der Grundlage eines Textes 1 beiträgt (Nussbaumer 1993, S. 65 ff.). An dieser Stelle sind Nussbaumers Überlegungen um den Hinweis zu ergänzen, dass auch der Textproduzent selbst bei der Konzeption seines Textes alle drei Wissenskomponenten anwendet und sein Sprach-, Welt- und Handlungswissen gegebenenfalls erweitert. Zudem muss dieser zunächst einmal einen Text 1 als Basis für die Kohärenzbildung eines Rezipienten überhaupt erst herstellen (Wildemann 2005, S. 39). Auf die Rolle des Textproduzenten wird in Verbindung einer Abgrenzung von Kohärenz und Kohäsion in Kapitel 2.2.2 sowie auch insbesondere aus Perspektive der Schreibforschung in Kapitel 3 näher eingegangen. Zur genaueren Klärung dessen, was Kohärenz als wesentliche Eigenschaft eines Textes ist, formuliert Nussbaumer aus pragmatischer Perspektive seine zweite Hauptthese:„Die Kohärenz eines Textes liegt in letzter Instanz im Zusammenstimmen von Textteilen als Handlungsschritten oder Teilhandlungen zu einer komplexen sprachlichen Handlung“ (Nussbaumer 1993, S. 69).