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Beschreibung

Autorität als soziale Interaktionskategorie und gesellschaftliches Ordnungsprinzip ist in vielen Hinsichten bis heute männlich konnotiert. Zugleich ist Autorität in der Moderne und insbesondere im 20. Jahrhundert Gegenstand eindringlicher Kritik. Die interdisziplinären Beiträge des Bandes gehen dem ambivalenten Phänomen der Autorität in philosophischer, historischer, politischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive nach und fragen, wie und mit welchem Ziel sich Autorität weiblich denken lässt.

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Hilge Landweer, Catherine Newmark (Hg.)

Wie männlich ist Autorität?

Feministische Kritik und Aneignung

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Autorität als soziale Interaktionskategorie und gesellschaftliches Ordnungsprinzip ist in vielen Hinsichten bis heute männlich konnotiert. Zugleich ist Autorität in der Moderne und insbesondere im 20. Jahrhundert Gegenstand eindringlicher Kritik. Die interdisziplinären Beiträge des Bandes gehen dem ambivalenten Phänomen der Autorität in philosophischer, historischer, politischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive nach und fragen, wie und mit welchem Ziel sich Autorität weiblich denken lässt.

Vita

Hilge Landweer ist Professorin für Philosophie an der Freien Universität Berlin.

Catherine Newmark war 2007–2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin. Heute arbeitet sie als Kulturjournalistin, sie ist Autorin und Redakteurin u. a. beim Deutschlandfunk Kultur und beim Philosophie Magazin.

Inhalt

Hilge Landweer und Catherine Newmark: Das Geschlecht der Autorität – Altlasten und feministische Neubestimmungen Zur Einführung

Luisa Muraro im Gespräch über die Politik des »affidamento«: »Der Neid ist ein Huhn, das seine Eier ausbrütet und so unsere heimlichen Wünsche warm hält«

Autorität im 20. und 21. Jahrhundert – Sozialwissenschaftliche und historische Perspektiven 

Sylka Scholz: Die Autorität der Kanzlerin – Eine Annäherung

(Hegemoniale) Männlichkeit und Autorität

Merkels mediales Doing Authority: Der Bundestagswahlkampf 2005

Politische Mütterlichkeit als Legitimationsmuster

Der Führungsstil der Kanzlerin: zwischen Kooperation und Machtwillen

Neue Bilder von weiblicher Autorität?

Fazit und Diskussion

Literatur

Till van Rahden: Was war die »vaterlose Gesellschaft«? Alexander Mitscherlich und die Debatte über Demokratie und Autorität

Erfolgsgeschichte

Nachkriegsdebatten

Vaterlosigkeit als Chance

Rezeption

Schluss

Literatur

Meike Sophia Baader: Autorität, antiautoritäre Kritik und Autorisierung im Spannungsfeld von Politik, Erziehung und Geschlecht

Autorität und Familie. Eine geschlechterpolitische Re-Lektüre von Max Horkheimer

Autorität und antiautoritäre Kritik in der westdeutschen antiautoritären Erziehungs- und in der Frauenbewegung um 1968

Diskurse um antiautoritäre Erziehung als Auseinandersetzung mit männlicher Autorität

Exkurs

Von der Autorität bei Hannah Arendt zur Perspektive der Autorisierung?

Fazit und Ausblick

Literatur

Friederike Bahl: Autorität im Richteramt und die »Feminisierung« der Justiz

»Feminisierung« der Justiz – bisherige Analysen und aktuelle Anschlüsse

Autorität im Richteramt. Transformationen eines Konzepts zwischen politischer Entscheidungsmacht und professioneller Neutralität

Feministische Perspektiven auf Justiz als Neujustierung richterlicher Objektivität für pluralisierte Gesellschaften

Ausblick

Literatur

Phänomenologie moderner Autorität – Sozialphilosophische Perspektiven 

Ruth Großmaß: »Autorität« als sexuierte Dimension sozialer Beziehungen

Warum Autorität zum Thema machen?

Verortung des Begriffs und Versuch einer Positionsbestimmung: Hannah Arendts Beschreibung von Autorität

Richard Sennetts sozialanthropologische Konstruktion von Autorität

Autorität unter den Anforderungen der reflexiven Moderne

Gender-Relationen: Autorität als Spiegel

Autorität als sexuierte Dimension sozialer Beziehungen – Versuch eines Fazits

Literatur

Hilge Landweer und Catherine Newmark: Verdeckte Autorität – Moderne Gefühlsdynamiken

Autorität im Wandel

Autorität, Macht, Herrschaft

Autorität unter modernen Bedingungen

Gefühlsdynamiken

Das Geschlecht der Autorität

Literatur

Philipp Wüschner: Jovialität – Männliche Umgangsformen mit der eigenen Autorität

A certain genre of man

Erziehung zur Mündigkeit – Autorisierende Autorität

Was ist eigentlich Autorität?

Alexandre Kojève – »Väterliche« Autorität und liberale Ordnung

Hannah Arendt: Emanzipation durch Erziehung

»Väterliche« versus »mütterliche« Autorität?

Joviale Söhne

Autorität und der Wille zur Veränderung

Literatur

Gegenwärtige politische Herausforderungen – Von der neuen Rechten bis MeToo

Maren Wehrle: Rückkehr der Autorität? Auf der Suche nach der verlorenen (Geschlechter-)Normalität

Die Sehnsucht nach alten Autoritätsvorbildern und die verlorene Normalität

Autorität und Geschlecht I: Männliche Autoritäten und die Krise der Normalität

Vormoderne Autorität ist männlich

Das Autoritätsdilemma der Frauen

Die (vermeintliche) Krise der (Geschlechts-)Normalität

Autorität und Geschlecht II: Ambiguität und Freiheit

Ausblick: Relationale Autonomie und plurale Autorität. Eine neue Normalität?

Literatur

Simone Rosa Miller: Politische Autorität heute – Zwischen demokratischem Ideal und neurechter Transzendenz

Eine kleine Rekonstruktion: Das Ideal der demokratischen Autorität

Ein brüchiges Ideal – und wie es gebeugt wird

Die Achse der Interessen und Motive

Die Achse der Wissens-Hierarchie: das Problem der Glaubwürdigkeit

Subtile Verzerrungen der Chancengleichheit: Stereotype und soziale Geringschätzung

Zwischen-Fazit

Das Comeback vormoderner Autorität in der Neuen Rechten

Rückkehr zur Natur als transzendente Autoritätsinstanz: Geschlecht

Rückkehr zu Tradition und Abstammung als transzendente Autoritätsinstanzen

Wissen und Wahrheit in der Neuen Rechten

Fazit

Literatur

Insa Härtel: »Nur nicht das Über-Ich«? Transformationen von Autorität in psychoanalytisch-kulturtheoretischer Sicht

Aktuelle politische Bezugnahmen

»Unbehagen in der Kultur«

Genießen des Über-Ich

Unbehagen am Über-Ich

Getriebensein

»Weiblicher Mangel« an Über-Ich

Ausblick

Literatur

Nancy Luxon: Switchpoints of Power – Gender and Authorial Practices in #MeToo

Witness: Gender and spaces of enunciation

Witness: The seeable and the sayable of gender and violence

Conclusion

Bibliography

Feministische Aneignungen philosophischer Traditionen 

Frauke A. Kurbacher: Das ambivalente Verhältnis von Autorität und Freiheit – Von Thomasius über Derrida zu Arendt und Muraro

Vorspann

Auftakt

Über die Schwierigkeit, Autorität freiheitlich zu denken

Aufgeklärte Autorität

Autorität selbstdenken

Der Grund der Autorität

Ausblick – Autorität anders denken und leben

Literatur

Andrea Günter: Autorität und Gerechtigkeit – Die Generationen- und Geschlechterdifferenz als genealogische Konstellation

Das Phänomen der Autorität richtig bestimmen

Was ist Autorität?

Relationalität und Dezentrierung

Geschlechterverhältnisse, Autorität und das Streben nach Gerechtigkeit

Grundfiguren genealogischer Differenz I: Altersdifferenz, Erfahrungsdifferenz und Begehrensdifferenz

Grundfiguren genealogischer Differenz II: Stärkedifferenz, Zweckedifferenz und Gerechtigkeitsdifferenz

Grundfiguren genealogischer Differenz III: Größendifferenz, Machtdifferenz und Autoritätsdifferenz

Epistemologie der Gerechtigkeit, Autoritätspraktiken und Geschlechterverhältnisse

Literatur

Katrin Wille: Feministische Theorie und Praxis der Autorität

Zur Genealogie der Autorität

Arbeit am Autoritätsbegriff

Zu einer veränderten Praxis von Autoritätsbeziehungen

Erfahrungen artikulieren

Literatur

Autorinnen und Autoren

Das Geschlecht der Autorität – Altlasten und feministische Neubestimmungen Zur Einführung

Hilge Landweer und Catherine Newmark

Wer über Autorität nachzudenken beginnt, wird schnell auf politisch und gesellschaftlich Zweifelhaftes stoßen – und auf die Kritik daran. Von den autoritären Vätern des klassischen Patriarchats bis zu den Diktatoren und Autokraten des 20. und neuerdings auch 21. Jahrhunderts: Autorität scheint mit einer spezifischen Deformation von Macht- und Herrschaftsverhältnissen verbunden zu sein. Genau in diesem Sinne wurde sie auch Mitte des 20. Jahrhunderts zum Gegenstand eingehender theoretischer Untersuchungen, allen voran in den Studien über die autoritäre Persönlichkeit der Frankfurter Schule. Auch politische Bewegungen waren in den letzten Jahrzehnten oft motiviert durch Autoritätwskritik, am prominentesten die Studentenbewegung der 68er Jahre, die den »Muff von tausend Jahren« »unter den Talaren« monierte und damit respektlos ihre Kritik an den bis dahin weitgehend unangefochtenen rechtlichen Autoritäten, von denen viele das Unrechtssystem des Nationalsozialismus unterstützt hatten, auf den Punkt brachte.1

Die Kritik der Autorität reicht freilich weiter zurück als in die Mitte des 20. Jahrhunderts: Man kann die gesamte Entwicklung der westlichen Gesellschaften und politischen Systeme seit der Aufklärung als großes Projekt der kritischen Auseinandersetzung mit überkommenen Traditions- und Autoritätsordnungen verstehen, und dies entspricht auch durchaus dem Selbstverständnis vieler der geistesgeschichtlichen und politischen Bestrebungen der letzten 300 Jahre.

Aber ist mit der Kritik auch schon die Autorität selbst verschwunden? Die Frage stellen, heißt sie verneinen. Unter und neben den Entwürfen, Projekten und Utopien egalitärer Gesellschaften, die für die Moderne charakteristisch sind, wirkt Autorität als Phänomen an vielen Stellen weiter – mal mehr, mal weniger verdeckt, oftmals kaum erkennbar. In manchen Fällen mag das aufgefasst werden als Problem eines noch nicht abgeschlossenen Prozesses der Veränderung von ehemals autoritätsorientierten Gesellschaften oder aber als Ausdruck eines reaktionären, wenn nicht gar regressiven politischen Momentes. Aber es spricht vieles für die Annahme, dass Autorität neben dem deutlich sichtbaren öffentlichen Bereich auf einer viel tiefer liegenden Ebene auch in Beziehungen zwischen Personen eine Rolle spielt und sich gar nicht oder zumindest nicht ohne weiteres in der Phantasie des Egalitären auflösen lässt.

Sich der Autorität als Begriff und Phänomen zuzuwenden bedeutet darum, die mannigfache und historisch über viele Stufen artikulierte Kritik an traditionellen Autoritätsformen und -auffassungen mitzudenken, sich aber zugleich für das Phänomen jenseits der eingefahrenen Diskurse zu interessieren. Und sich auch, mit der Rückendeckung der bereits vollzogenen Kritik, den möglicherweise positiven, konstituierenden Aspekten von Autorität, etwa dem so fundamentalen Prozess der Autorisierung, zuzuwenden, der in gutem nachbarschaftlichen Einvernehmen mit dem deutlich modischeren Begriff des »Empowerments« stehen könnte.

Es bedeutet auch, sich der Frage nach dem Geschlecht zuzuwenden. Wie das oben erwähnte Stichwort des autoritären Patriarchen bereits andeutet, ist Autorität zumindest im klassischen Sinne kaum von der Geschlechterordnung zu trennen. Autorität ist traditionell männlich konnotiert, und sie ist es bis heute geblieben. Fragt man beliebige Personen nach Autoritäten, so nennen die allermeisten als Beispiel männliche Führungsfiguren.

Während es leicht scheint, männliche Bilder von Autorität aufzurufen, ist es gar nicht so einfach, Frauen auszumachen, denen Autorität zugeschrieben wird. Dass dies so ist, darf mit Fug und Recht erstaunen, gerade wenn man sich die tiefgreifenden Veränderungen der Geschlechterordnungen in den westlichen Gesellschaften in den letzten 50 Jahren anschaut: Weder die grundlegende rechtliche und wirtschaftliche Emanzipation der Frauen und ihre Eroberung der Öffentlichkeit und des Arbeitsmarktes inklusive Führungsrollen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur noch die allmähliche Veränderung von Männlichkeitsidealen und insbesondere der Vaterrolle in der Familie scheinen daran etwas geändert zu haben.

Dieses erstaunliche Missverhältnis von einer immer egalitärer werdenden gesellschaftlichen Praxis und nach wie vor überwiegend männlichen Bildern von Autorität war uns Anlass und Motivation, uns mit dem offensichtlich innigen und komplexen Zusammenhang von Autoritätsbeziehungen und Geschlechterverhältnissen auseinanderzusetzen.

Überraschend war für uns, wie wenig in der Philosophie, aus der wir kommen, und in den an sie angrenzenden Bereichen die Frage nach der Autorität in den letzten Jahrzehnten verhandelt wurde, obwohl sie zweifellos ein sozialphilosophisch und politisch ebenso aktuelles wie brisantes Konzept war und bleibt. Autorität war als Thema zwar hier und da präsent, etwa in der Organisationssoziologie, in Managementratgebern und als strittiges Sujet der Pädagogik, aber in der Theoriebildung der letzten Jahrzehnte zumindest dem Begriff nach marginal. In allerjüngster Zeit erst lassen sich erste zaghafte Ansätze einer theoretischen Neubestimmung von Autorität identifizieren.2

Die großen und einflussreichen Texte zur theoretischen Bestimmung der Autorität entstanden Mitte des 20. Jahrhunderts unter dem Eindruck der totalitären Diktaturen: Hannah Arendts grundlegender Aufsatz über Autorität etwa oder die bereits erwähnten Studien zur autoritären Persönlichkeit der Frankfurter Schule.3 Auch die Diskussion um Autorität und Demokratie in den 1950er Jahren reagierte auf die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus.4 Aufgegriffen wurden diese Forschungen in den folgenden Jahrzehnten nur vereinzelt.5 Die große gesellschaftliche und politische Debatte über Autorität findet im 20. Jahrhundert zweifelsohne 1968 und in den folgenden 1970er Jahren statt; hier geht es um Kritik an einer autoritären Vätergeneration, an autoritären Organisationsformen und Strukturen (insbesondere akademischen), um psychologisch-pädagogische Prägungen und die antiautoritäre Erziehung.6

Die Tatsache, dass der Begriff »Autorität« bis in die heutige Zeit vor allem im Modus der Kritik in Verwendung ist und nur selten als möglicher positiver Anknüpfungspunkt in Betracht gezogen wird, ist sicherlich in großem Umfang den kulturprägenden 68ern und ihrer expliziten Autoritätskritik zu verdanken. Ebenso aber auch der zweiten Frauenbewegung ab den 1970er Jahren. Denn die gesamte neue Frauenbewegung lässt sich als eine Kritik an überkommenen Autoritätsverhältnissen, an Autorität verstanden als männliche Autorität, deuten, auch wenn die feministische Bewegung ihre Kritik an den patriarchalen Verhältnissen selten explizit unter dem Begriff der »Autorität« diskutierte. Dies gilt auch für die feministische Philosophie und allgemein die sich gesellschaftskritisch verstehende Theoriebildung: auch hier war (und ist) oft das Phänomen der Autorität gemeint, wird aber nicht oder kaum explizit benannt.

Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet der Kreis italienischer feministischer Philosophinnen um Luisa Muraro (»Diotima«, Mailänder Frauenbuchladen), die schon in den 1980er Jahren nicht nur Autorität zum zentralen Thema erhoben, sondern auch neu und positiv weiblich zu besetzen suchten. Allerdings fiel ihr Ansatz damals außerhalb Italiens kaum auf fruchtbaren Boden (und es freut uns, dass in diesem Band etliche unserer Autorinnen die Anregungen dieser Denkerinnen des »Affidamento«7, der weiblichen Autorität, differenziert aufnehmen).

Die erneute theoretische Beschäftigung mit Autorität, die wir anregen, kann durchaus auf einen reichen philosophischen und theoretischen Traditionsbestand zurückgreifen, der – aufgrund des geringen Fokus auf das Thema – in den letzten Jahrzehnten aus dem Blick geraten ist. Die in dieser Zeit wenig wahrgenommenen historischen Debatten über Autorität und auctoritas von der griechisch-römischen Antike über das Mittelalter bis in die Frühaufklärung bergen einen philosophischen Fundus, der noch längst nicht ausgeschöpft ist.

Auch die soziologische Theorie bietet seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit Max Weber begriffliche Bestimmungen, die für die Autoritätsdiskussion klärend sind, aber erstaunlich wenig direkt dafür aufgegriffen und vielmehr kanonisch für die Soziologie der Macht- und Herrschaftsformen wurden. Generell kreisen viele sozialphilosophische Entwürfe um Phänomene, die als »Autorität« bezeichnet werden könnten, wenn der Fokus nur ein wenig verschoben würde, etwa Foucaults Machtanalytik und seine Analysen von Gouvernementalität, die sachlich in engem Zusammenhang mit Autorisierung stehen.

Die gesamten geisteswissenschaftlichen Debatten um Kanonisierung und Kanonbildung drehen sich der Sache nach ebenfalls um das Phänomen überlieferter Autorität und Autorisierung. Die Geisteswissenschaften greifen aber trotzdem immer noch allzu selbstverständlich auf eben diese Traditionsbestände zurück, ohne dass die Prozesse, in denen ein Kanon entsteht und immer wieder neu bestätigt wird, pointiert unter den Gesichtspunkten von Autorität und Autorisierung behandelt und die komplexen Beziehungen und Praktiken beim Weitergeben der Tradition analysiert worden wären. Einen radikalen Schnitt unternimmt in dieser Hinsicht der postcolonialism, der das Phänomen der angemaßten Autorität weißer Männer an seine geschichtlichen Bedingungen rückbindet. Aber auch hier spielt der Autoritätsbegriff bisher keine sichtbare Rolle.

Einer der Gründe für die fehlende explizite philosophische und sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit Autorität ist sicherlich darin zu sehen, dass es sich dabei nicht nur um einen wenig geklärten Begriff, sondern auch um ein recht fluides Phänomen handelt, das trotz vieler eindrücklicher Bilder begrifflich nicht leicht einzufangen ist. Die Rede von Autorität ist vielfältig und breit gestreut – aber zugleich völlig uneindeutig.

Angesichts dieser Situation schien es uns naheliegend, die Debatte um Autorität im breiteren und interdisziplinären geistes- und sozialwissenschaftlichen Kontext (wieder) zu eröffnen. Eine neue Auseinandersetzung mit Autorität scheint uns nicht zuletzt notwendig angesichts der Fülle von gesellschaftlichen und politischen Phänomenen, die nach einer Analyse dieses Phänomens nachgerade lautstark und mit großer Dringlichkeit verlangen: das Aufrufen traditioneller Bilder männlicher Autorität und Führungsstärke durch rechtsnationale und populistische Politiker (von Putin über Erdogan bis Trump), die ambivalente Faszination dafür durch doch beträchtliche Teile der Bevölkerung; die Debatten um weibliche Führungskräfte und Führungsqualitäten; die mannigfaltigen Fragen nach öffentlichen wie intimen Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern, wie sie die Metoo-Debatte aufgeworfen hat; der Trend in bestimmten populären Erziehungsratgebern, zur Rückkehr zu mehr (väterlicher) Autorität und Disziplin aufzurufen; die bereitwillige Unterwerfung unter terroristische Führer und radikale Ideen von göttlicher Weisung bei religiösen Fundamentalisten; überhaupt die gesamte Krisensymptomatik des von der Moderne zunehmend ausgehöhlten Patriarchats. Ganz allgemein ließe sich die These vertreten, dass ein großer Teil der Krisen unserer Tage bei genauerem Hinsehen mit Autoritätsproblemen verknüpft ist.

Zumindest aber fordern diese Beobachtungen eine Reihe von Fragen heraus. Welche Verbindung besteht zwischen dem Phänomen der Autorität und gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen? In welchen Prozessen entsteht Autorität, und gibt es womöglich auch in der vom demokratischen Gleichheitsgedanken geprägten Moderne noch so etwas wie ein Bedürfnis nach Autorität? Indizien dafür lassen sich nicht nur in politischen Randgruppen auffinden. Und so kritisch man das angesichts egalitärer Ideale auch sehen mag, die schiere Tatsache der Persistenz von Autoritätsverhältnissen und -bedürfnissen legt es nahe, über Autorität grundlegender als nur im Modus der Kritik und Abschaffung nachzudenken. Dies verlangt ein neues Verständnis von Autorität: sie sollte nicht als Eigenschaft von Personen, sondern als wechselseitige Beziehung aufgefasst werden.

Neben einer historischen Aufarbeitung von Autoritätsbeziehungen und -debatten erschien es uns besonders wichtig, nicht nur über dysfunktionale oder missbräuchliche Autoritätsverhältnisse nachzudenken, sondern auch den grundlegenden Charakter von Autoritätsbeziehungen oder -verhältnissen zwischen Personen phänomenologisch und sozialphilosophisch aufzuklären. Dies ist auch aus einem weiteren Grund unverzichtbar: Gerade weil Autorität ein fluides Phänomen ist, muss davon ausgegangen werden, dass sich auch der Typus persönlicher Autorität (die immer in Beziehungen hergestellt wird und niemandem als Eigenschaft anhaftet) als Phänomen stark verändert hat. Dem muss in Beschreibungen ebenso wie in den Begriffen, welche die neuen Phänomene erfassen können sollen, Rechnung getragen werden.

Wenn man überhaupt die Möglichkeit nicht nur einer Kritik und Abschaffung, sondern auch einer positiven Veränderung von Autorität in Erwägung ziehen möchte, dann ist man darauf angewiesen, die Dynamik und die Mechanismen der Ausbildung persönlicher Autorität zu verstehen. Denn auch Fragen von gesellschaftlicher Macht und beispielsweise wissenschaftlicher Autorisierung sind auf persönliche Interaktionen angewiesen, da sie nur auf dem Boden prägender etablierter Beziehungen entstehen und aufrechterhalten werden können. In diesem Sinne sind wohl alle Autoritätsbeziehungen letztlich von persönlicher Autorität abgeleitet und eng mit ihr verbunden.

Autorität ist, so unsere Auffassung, ein besonderes Verhältnis wechselseitiger Anerkennung, das auf Bindung und Verbindlichkeit auf beiden Seiten angewiesen ist, um bestehen zu können. Eine genaue Analyse dieser Interaktionen ist erforderlich, um sowohl die Möglichkeiten des Missbrauchs als auch die Chancen eines guten Gebrauchs in den Blick zu bekommen. Gerade aus feministischer Sicht erscheint eine Auseinandersetzung unter dem Titel »Autorität« geboten, wenn die Möglichkeiten autorisierender Praktiken konzeptuell analysiert, bedacht und praktisch genutzt werden sollen. Nötig ist also eine zunächst neutrale Beschreibung dieser spezifischen Interaktionsform, um die bisherige negativ-kritische Sicht verlassen und normative Ansprüche positiver Art an Autorität stellen zu können.

Es ist paradoxerweise genau diese mögliche positive, autorisierende Seite der Autorität, die zum Frauenausschluss in den männlich geprägten Institutionen der Geschichte geführt und männerbündische Strukturen reproduziert hat. Denn die männlichen Autoritäten der Geschichte ermächtigten im Idealfall ihre ebenfalls männlichen Nachfolger, um ihr (jeweiliges) Werk in Bildung, Wissenschaft, Kunst oder Politik fortzusetzen. Genau dieses autorisierende Verhalten verlangt eine feinkörnige feministische Analyse, um den normativen Anforderungen an Autorität im Sinne des Übernehmens von Verantwortung gerecht zu werden. Die Beschreibung und begriffliche Durchdringung von Prozessen der Autorisierung ist aber auch erforderlich, um Instrumente zu entwickeln, die gezielt feministische Traditionslinien zu etablieren erlauben. Dabei sollte der Begriff der Autorität nicht auf eine feststehende Eigenschaft charismatischer Persönlichkeiten eingeengt werden, sondern als eine Relation verstanden werden, an der mindestens zwei Personen beteiligt sind und die in einem steten Prozess der Veränderung begriffen ist, ein Prozess, der freiwillig eingegangen wird und deshalb auch Anfang und Ende hat.

Insgesamt ist uns bei der Neueröffnung der Debatte um Autorität daran gelegen, eingefahrene Denkweisen der disjunktiven Entgegensetzung von alten und neuen, von traditionellen und flacheren Formen der Autorität, von persönlicher und politischer, von väterlicher und mütterlicher Autorität, von einem auf die charismatische Persönlichkeit beschränkten und einem relationalen und prozessualen Autoritätsverständnis, von Kontinuitäten und Brüchen und schließlich vor allem von der »schlechten« und »guten« Autorität zu vermeiden und trotz begrifflicher Klarheit den Zusammenhang der zumeist dualistisch gedachten Seiten in seinen Ambivalenzen darzustellen.8 Nur im Bewusstsein der negativen Gefährdungen von Autorität lässt sich ein positives Ideal entwickeln, das der Realitätsprüfung standhält.

Warum, so die naheliegende Frage, ist es so schwer, weibliche Autorität zu etablieren? Imaginationen folgen nicht unbedingt rationaler Einsicht, sondern speisen sich aus archaischen Quellen, aber natürlich auch aus dem kulturellen Bilderrepertoire.9 Das ergibt eine eigenartige Ungleichzeitigkeit von normativen egalitären Idealen und unbewussten Vorstellungen.10 Wer sich diese Mechanismen bewusst macht, hat die Möglichkeit, weibliche Bilder von Autorität in der Kulturgeschichte aufzurufen, etwa bestimmte Ausprägungen des Mutterbildes, wie es schon Horkheimer versucht hat, und wie insbesondere die italienischen Feministinnen es programmatisch verfolgt haben.11 Der Rückgriff auf eine positive Mütterlichkeit und einen positiven Autoritätsbegriff wurde zwar insbesondere in Deutschland nur sehr skeptisch rezipiert, weil er aufgrund beider Pole – dem der Mütter und dem der Autorität – gerade innerhalb der feministischen Theorie unter Ideologieverdacht stand. Wenn dagegen, wie wir es unternehmen, Autorität auch jenseits des bloß kritischen Modus zum Gegenstand gemacht werden soll, dann lassen sich hier äußerst produktive Anschlussstellen finden, wie in vielen Beiträgen zu diesem Band deutlich wird.

Den Band eröffnen wir darum mit einem Interview mit Luisa Muraro, der großen italienischen Philosophin des »affidamento«, der weiblich gedachten Autorität, das den Bogen über die wichtigsten in diesem Band verhandelten Themen spannt.

Im Weiteren unterteilt sich der Band in vier Teile, die selbstverständlich nicht als streng getrennt zu verstehen sind, aber doch thematische Schwerpunkte anzeigen. Den Anfang macht eine Reihe von Texten, die sich dem Phänomen und den Debatten über Autorität sozialwissenschaftlich und historisch annähern. In Die Autorität der Kanzlerin – Eine Annäherung widmet sich Sylka Scholz der Frage, wie sich Angela Merkel als erste Frau im Kanzleramt am männlichen Bild des Berufspolitikers reibt und sich seiner gleichzeitig bedient. Till van Rahden stellt in Was war die »vaterlose Gesellschaft«? Alexander Mitscherlich und die Debatte über Demokratie und Autorität Mitscherlichs wirkmächtige Studie über die vaterlose Gesellschaft in den Kontext der Demokratie-Debatten der 1950er Jahre und das darin Ausdruck findende veränderte Geschlechterverständnis. Meike Sophia Baader untersucht in Autorität, antiautoritäre Bewegung und Autorisierung im Spannungsfeld von Politik, Erziehung und Geschlecht ausführlich die vor allem für die 1970er Jahre zentrale Debatte um antiautoritäre Erziehung und stellt fest, in welchem Umfang hier vor allem Kritik an väterlicher Autorität im Fokus stand, aber weibliche Autorität gerade nicht thematisiert wurde. Friederike Bahl rekonstruiert in Autorität im Richteramt und die »Feminisierung« der Justiz die Geschichte des Zugangs von Frauen zum Richteramt und diskutiert die neueren feministischen und diversity-orientierten Kritiken des Anspruchs auf richterliche Objektivität als zentrales Autoritätsmerkmal der richterlichen Entscheidung.

Unter dem Titel Phänomenologie moderner Autorität folgt eine Serie von Texten, die unterschiedliche Autoritätsphänomene sozialphilosophisch analysieren. Ruth Großmaß führt in »Autorität« als sexuierte Dimension sozialer Beziehungen im Anschluss an Richard Sennett Autorität auf ein Orientierungsbedürfnis zurück, das in Autoritätsbeziehungen eingelöst wird. Dabei betont sie nicht nur den überkommenen Genderaspekt, sondern auch den prozessualen Charakter und die krisenhaft verlaufenden Transformationen von Autoritätsbeziehungen. In unserem eigenen Beitrag Verdeckte Autorität – Moderne Gefühlsdynamiken beschreiben wir Autorität als ein Interaktionsverhältnis, das sich über Gefühlsdynamiken etabliert und in alltäglichen personalen Beziehungen meist weitaus flachere Formen annimmt, als es das klassische Bildrepertoire nahelegt. Philipp Wüschner nimmt in Jovialität – Männliche Umgangsformen mit der eigenen Autorität die Jovialität als eine gut etablierte Möglichkeit für Männer, mit Autorität zu spielen, ins Visier, eine Möglichkeit, die Frauen bezeichnenderweise verwehrt ist beziehungsweise nicht ohne weiteres zur Verfügung steht.

Aktuellen politischen Phänomenen, insbesondere dem Aufstieg des Rechtspopulismus und dessen Beziehung zu klassischen Autoritätsvorstellungen widmen sich die Texte des nächsten Teils. In Rückkehr der Autorität? Auf der Suche nach der verlorenen (Geschlechter-)Normalität deutet Maren Wehrle den rechtspopulistischen Backlash gegen die feministische Bewegung und die Gender Studies als Ausdruck der relativen Stärke dieser Bewegung. Autorität wird, so Wehrles Analyse, gewissermaßen im Spannungsfeld zwischen zwei verschiedenen normativen Orientierungen ausgehandelt. Simone Rosa Miller analysiert in Politische Autorität heute – Zwischen demokratischem Ideal und neurechter Transzendenz den grundlegenden Unterschied der konstituierenden demokratischen Vorstellung von Verfahrens- und Expertenautorität zur in neurechten Bewegungen virulenten Rückkehr zu älteren, transzendent begründeten Autoritätskonzepten. Auch Insa Härtel geht in »Nur nicht das Über-Ich«? Transformationen von Autorität in psychoanalytisch-kulturtheoretischer Sicht auf die rechtspopulistischen Krisensymptome der Männlichkeit ein und stellt eine Verbindung zu psychoanalytischen Konzepten des Über-Ichs als internalisierter Autorität her. Nancy Luxon untersucht in Switchpoints of Power – Gender and Authorial Practices in #MeToo die Legitimation und Autoritätsgrundlage der politischen Kritik an den bestehenden Geschlechterverhältnissen im Zuge der MeToo-Bewegung. Entscheidend sind ihr zufolge dabei die fragile weibliche Sprechposition und deren Zugang zu Mechanismen der Autorisierung.

Im letzten Teil schließlich sind Texte versammelt, die sich der feministischen Aneignung von philosophischen Traditionen widmen. Während Frauke A. Kurbacher in Das ambivalente Verhältnis von Autorität und Freiheit – Von Thomasius über Derrida zu Arendt und Muraro den historischen Bogen bis in die Frühaufklärung zurückspannt, unternimmt Andrea Günter in ihrem Text Autorität und Gerechtigkeit – Die Generationen- und Geschlechterdifferenz als genealogische Konstellation eine noch tiefer in die Philosophiegeschichte zurückreichende Rekonstruktion des Verhältnisses von Geschlecht, Autorität und Gerechtigkeit, nämlich bis zu den antiken Gerechtigkeitstheorien von Platon und Aristoteles. Wie die beiden vorgenannten Autorinnen schließt auch Katrin Wille in Feministische Theorie und Praxis der Autorität positiv an Hannah Arendt und die Mailänder Philosophinnengruppe »Diotima« an, um aus dem philosophischen Traditionsbestand heraus den Begriff der Autorität für zeitgenössische feministische Vorhaben auch praktisch fruchtbar zu machen. Mit diesem Bezug auf die Gruppe Diotima und den Mailänder Frauenbuchladen schließt sich auch der Kreis wieder zu Luisa Muraro, deren Interview diesen Band eröffnet.

Eine weitere Bezugnahme spannt sich wie ein roter Faden durch sehr viele Beiträge in unserem Band, nämlich die auf Hannah Arendts Essay »Was ist Autorität?«. Erstaunlich ist, dass dabei immer wieder neue Nuancen dieses Textes sichtbar werden. Es hat uns überrascht und gefreut, dass die in diesem Band versammelten Aufsätze gewissermaßen im Subtext als Kommentierungen von Hannah Arendts inzwischen »klassisch« gewordener Arbeit über Autorität gelesen werden können und auf diese Weise selbst ein – bei mancher Kritik doch letztlich durchgängig positives – gemeinsames Autoritätsverhältnis zu ihr etablieren und so zu Arendts Kanonisierung beitragen.

Wir danken Cornelia Klinger und den anderen Herausgeberinnen für die freundliche Aufnahme unseres Bandes in die Reihe »Politik der Geschlechterverhältnisse«, Judith Wilke-Primavesi und dem Campus Verlag für die tatkräftige Unterstützung unseres Projekts und Carsten Flaig und vor allem Jenny Stupka für die zuverlässige, schnelle und präzise Hilfe bei der Erstellung des satzfertigen Manuskripts. Am meisten aber haben wir unseren Autorinnen zu danken, die unser Unternehmen durch ihre Intellektualität, Kreativität und Lust gefördert haben. Die Zusammenarbeit mit Euch und Ihnen war uns eine große Freude.

»Der Neid ist ein Huhn, das seine Eier ausbrütet und so unsere heimlichen Wünsche warm hält«

Luisa Muraro im Gespräch über die Politik des »affidamento«

Die Fragen stellten Hilge Landweer und Catherine Newmark

Hilge Landweer (HL) und Catherine Newmark (CN): Affidamento bedeutet »sich anvertrauen«. Könnten Sie dieses Konzept den Leserinnen bitte kurz erläutern? Warum sehen Sie Autorität als ein positives Phänomen an, nachdem Autorität doch mindestens seit der Aufklärung und verstärkt noch einmal nach dem Totalitarismus in Misskredit geraten ist?

Luisa Muraro (LM): Den Namen Affidamento haben wir jener vorrangigen Beziehung gegeben, die sich zwischen zwei Frauen entwickeln kann, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: Vertrauen, Wertschätzung, Bereitschaft, sich einander zu helfen. Wie Lia Cigarini gesagt hat, ist das keine Beziehung, die wir erfunden haben, es gab sie schon früher und sie lässt sich oft in den Biographien von Frauen aufspüren, die versucht haben, ohne Unterordnung unter das Denken und Wollen von Männern zu leben.

Dieser Beziehung haben wir einen Namen gegeben, um sie zu einer bewussten Beziehung zu machen, und um sie bekannt zu machen. So ist eine neue Praxis in den Beziehungen zwischen Frauen entstanden. Beziehungen zwischen zwei Frauen, die nicht um jeden Preis versuchen gleich zu sein: Der Gleichheit ziehen sie jenes dynamische Ungleichgewicht vor, das dann entsteht, wenn Autorität vorhanden ist.

Aber Autorität, so wenden Sie ein, ist ein Wort, das seit der Aufklärung in Misskredit geraten ist. Das stimmt nicht ganz. Mitte des letzten Jahrhunderts hat Hannah Arendt einen hervorragenden Essay über den politischen Wert der Autorität geschrieben (in: Between Past and Future: Six Exercises in Political Thought, 1954). Allerdings räumt Arendt da auch ein, dass die Autorität in einer immer schlimmeren Krise ist und oft mit einer Form von Macht- oder Gewaltausübung verwechselt wird. Wir haben etwas getan, um diesen Zustand zu verändern.

Was haben wir in der Autorität gesehen? Um diese Frage zu beantworten, schöpfe ich aus meinen Forschungsarbeiten, aus meiner Erfahrung in der feministischen Bewegung und aus dem Wissen, das andere erarbeitet haben. Autorität ist eine Beziehungsqualität, die mit Freiheit vereinbar ist – ja, sie ist der Freiheit sogar zuträglich, weil sie das Beziehungsleben dem Zugriff der Macht streitig macht. Macht ist eine Summe von Dominanz auf der einen und Ohnmacht auf der anderen Seite. Autorität besitzt eine Kraft wie die Sprache, die wir sprechen: Der Sinn für Autorität und der Sinn der Autorität entsteht nämlich, wenn wir sprechen lernen. Das Maximum an Autorität mit dem Minimum an Macht – diese Formel hat eine Lehrerin geprägt, die sich darüber bewusst war, dass Macht im organisierten Zusammenleben unvermeidlich ist, aber sie wusste auch, wie ihrem Vordringen entgegengewirkt werden kann: indem man sie so weit wie möglich überflüssig macht.

HL/CN: Gibt es spezifisch weibliche Formen von Autorität? Üben Frauen Autorität anders aus, wenn sie in Machtpositionen sind (etwa in der Politik oder im Berufsleben)?

LM: In den patriarchalen Kulturen, wo die Figur des Vaters Autorität und Macht in sich vereinte, herrschten die Männer in vielen Bereichen über die Frauen. Aber nicht in allen, denn Rollen und Kompetenzen waren – mit den entsprechenden Formen der Autorität – zwischen Männern und Frauen aufgeteilt.

In der Moderne haben sich im Zuge der Emanzipation für die Frauen viele Dinge zum Besseren gewendet, doch die Emanzipation ist eine Falle. Dazu möchte ich nur ein Beispiel anführen (es stammt aus den historischen Forschungen von Waltraud Pulz): Als die Hebammen in Europa eine professionelle Ausbildung erhielten, verloren sie bei den Frauen Ansehen und Kredit, und zwar zugunsten der Ärzte. Mit der Emanzipation wird das Männliche zum einzigen Modell und zum Maßstab auch für die Frauen. Wenn ich zum Beispiel sage, dass Angela Merkel einen weiblichen Regierungsstil hat, rümpfen die emanzipierten Frauen die Nase: Das Wort »weiblich« ist für sie kein Plus, meiner Auffassung nach hingegen schon.

Es gibt eine Tatsache, über die wir genauer nachdenken sollten: Der Aufschwung des Feminismus mitten in der 68er-Bewegung ist der Revolte von Frauen zu verdanken, die emanzipiert und in die Männerwelt integriert waren. Sie haben sich von der politischen Welt der Männer getrennt, um sie selbst zu werden, und nicht Kopien oder Untergeordnete der Männer.

Natürlich ist die weibliche Art Autorität auszuüben, die ich zum Beispiel in der deutschen Kanzlerin sehe, eine subjektive Interpretation – von meiner Seite, die sie wahrnimmt, und von ihrer Seite, die sie verkörpert. Autorität nimmt je nach Personen und Kontext Gestalt an, sie zeigt sich auf unterschiedliche Art und wird auf unterschiedliche Art wahrgenommen.

Auch in der heutigen Zeit gibt es jedoch noch einen Bereich, in dem die Frauen objektiv eine höhere Kompetenz besitzen: die Fortpflanzung. In diesem Bereich müssen wir die weibliche Autorität gegenüber der Medizin und dem Gesetz explizit vertreten, wie auch schon andere Feministinnen vor mir gesagt haben. Dieser Bereich muss außerdem gegen Ideologien verteidigt werden. Der Faschismus hat in Italien wie in Deutschland den erfolgreichen Versuch unternommen, die Mütter von den Frauen zu trennen und das Prestige der Mutterschaft auf seine Seite zu ziehen. Als ich vor Jahren in der Frankfurter Frauenschule über die symbolische Ordnung gesprochen habe, saßen da gastfreundliche und intelligente Frauen vor mir, deren Denken aber noch durch eine belastete Repräsentation des Mütterlichen besetzt war, als Reaktion auf die NS-Mutterideologie. Heute ist die Autorität der Frauen in der Fortpflanzung durch die Kultur der Gleichheit bedroht, ich meine die Gleichheit um jeden Preis, die jede Differenz auslöscht.

HL/CN: Grundlage Ihrer Überlegungen über Autorität war ja unter anderem auch die Feststellung, dass Frauen untereinander nicht gleich sind, nicht die gleichen Fähigkeiten und Interessen haben. Dass es also Differenz nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch innerhalb der Geschlechter selbst gibt. Inwiefern ist Autorität ein produktives Konzept, um mit Differenz umzugehen?

LM: Autorität in einer Form, die sich von Macht unterscheidet, lässt sich ja, so hört man, in allen Gesellschaften aufspüren. Deshalb wird der Autorität zu Recht eine vis politica zugeschrieben, das heißt eine symbolische Kraft, die in den sozialen Beziehungen wirkt und diese dem Zugriff der Macht mit ihrer fatalen Mischung aus Unterwerfung/Übergriffigkeit entziehen kann. Hier sind wir besonders an der Politik der Frauen interessiert, und wir denken an eine vis politica, die zugunsten der weiblichen Freiheit wirkt.

Wie ich bereits gesagt habe, ist das Ziel der politischen Praxis des Affidamento, den Sinn der Autorität und für Autorität wiederzuerwecken und weiterzugeben, um die symbolische Unabhängigkeit der Frauen in der Weltinterpretation und im Handeln zu stärken. Wenn es echte Unabhängigkeit ist, nicht phallische Selbstbestätigung im Konkurrenzkampf mit dem Männlichen, dann zeigt sich die weibliche Differenz in einer Vielfalt von Unterschieden: Es gibt einen Moment, in dem die unzähligen Formen der Differenz, die mich von jeder anderen Frau unterscheiden, mich nicht mehr von ihr trennen – im Gegenteil, in diesem Moment denke ich, und kann der Anderen sagen: Du bist eine Frau wie ich. Im Akt dieses Anerkennens-Wiedererkennens verschwinden die unzähligen Unterschiede; doch es sind gerade diese Unterschiede, die mich in meinem Inneren spüren lassen, was ich mit jeder anderen Frau außerhalb meiner selbst gemein habe. Gerade die Unterschiede zwischen Frauen sind Ausdruck der unerschöpflichen menschlichen weiblichen Differenz.

Nun zu Ihrer Frage: Jede Differenz bringt das Risiko von Diskriminierung mit sich und verleitet zum Konformismus, wenn die/der Einzelne sie nicht annimmt und einfordert, wenn sie/er es zulässt, von anderen nach deren Wertekanon beschrieben und beurteilt zu werden (Auch der Feminismus hat seinen Wertekanon, seine vorgefertigten Urteile, welche die Integrität der einzelnen Frau bedrohen können). Und hier wirkt Autorität: Sie autorisiert die Differenzen. Auf diese Weise schützt sie die einzelnen Personen (die Frauen), die in ihrer Integrität bedroht sind, und bewahrt das Gemeinschaftsleben vor Konformismus.

HL/CN: Wie lässt sich aus der Anerkennung von weiblichen Autoritäten ein Konzept oder eine Praxis von Freiheit gewinnen?

LM: Zunächst möchte ich sagen, wie ich Ihre Frage verstehe: Sie befragen mich über die Beziehung zwischen Autorität und Freiheit, und wahrscheinlich gehen Sie davon aus, dass es bei Fragen der Autorität um Freiheit geht. Das denke auch ich, aber ich füge gleich hinzu: umgekehrt genauso.

Ich meine, dass Freiheit keine Freiheit ist, wenn sie sich nicht mit der Autorität zu messen weiß.

Damit es in einer ungleichen Beziehung Freiheit gibt, muss verhindert werden, dass Kalkül oder Dominanz und die Logik der Macht im Allgemeinen vorherrschen. In der Praxis heißt das (für mich), dass man zum Konflikt bereit sein muss. Die Autorität rettet sich (vor der Logik der Macht) mit dem Konflikt (der nicht Krieg bedeutet). Um diesen Punkt zu verdeutlichen, ist meine bevorzugte Quelle ein alter taoistischer Text, Die Kunst des Krieges, wo es an einer Stelle, an den General gewandt, heißt: »Es gibt Befehle des Kaisers, denen du nicht gehorchen solltest.«

Ich denke, es gibt auch andere Antworten als diese. So lehrt uns etwa Jane Austen, in dieser Hinsicht eine Autorität, etwas anderes: Die Protagonistin ihres Romans Persuasion, Anne Elliot, hat ihre Mutter verloren; ihr Vater führt ein mondänes Leben. Deshalb hat sie sich Lady Russel anvertraut, doch diese gibt ihr in einer sehr wichtigen Frage einen falschen Ratschlag. Anne gehorcht ihr, und gegen Ende des Romans kommentiert sie die Ereignisse mit den Worten: Meine Freundin hat mit ihrem Rat einen Fehler begangen, aber ich habe keinen Fehler begangen, indem ich ihn befolgt habe.

HL/CN: Welche Rolle spielt das Begehren in diesem Umgang mit Autorität?

LM: Können wir dem Begehren eine bestimmte Rolle zuweisen? Ich weiß es nicht. Ich stimme der Auffassung zu, dass sich das Begehren so weit ausdehnt, wie sich die Existenz des geschlechtlich geprägten Menschen ausdehnt. Wir, lebendige menschliche Wesen, sind Begehrende, »wir begehren immer«.

Auf den Spuren des Begehrens hat Freud am Ende das Unbewusste entdeckt. Und dank Lia Cigarini, die vor mehr als dreißig Jahren die politische Praxis des Affidamento in Worte gefasst hat, weiß ich mit Sicherheit, dass der von Ihnen angesprochene Zusammenhang zwischen Begehren und Autorität existiert, und dass das Unbewusste dabei eine Rolle spielt. Aber welche? Früher hat Lia die Auffassung vertreten: »Das Unbewusste ist subversiv«. Heute formuliert sie das anders, und zwar als Frage. Und damit antworte ich auf Ihre Frage: Die Rolle des Begehrens im Umgang mit Autorität besteht darin, das Spiel offen zu halten.

HL/CN: Warum fällt es Frauen schwer, andere Frauen als Autoritäten anzuerkennen?

LM: Wenn ich Historikerin wäre, könnte ich auf Ihr Warum? antworten, indem ich das Erbe von Hunderten und Aberhunderten Jahren Patriarchat anführe. Die Geschichtsbücher sind voll mit großen Männern. Wenn ich auch noch Psychologin wäre, könnte ich die schwierige Mutter-Tochter-Beziehung betonen; diese Beziehung wurde von der patriarchalen Kultur genutzt, um die Autorität des Vaters und die Unterordnung der Frau unter den Mann weiterzugeben. Anschließend wäre dann aber zu erklären, auf welche Art sich das kulturelle Erbe über die Jahrhunderte fortsetzt und wie es uns in der Gegenwart konditioniert. Und anschließend wären wir wieder am Ausgangspunkt angelangt, denn was passiert ist, ist passiert.

Doch wir sind an erster Stelle Feministinnen und wirken in der heutigen Realität. Deshalb schlage ich vor, wir versuchen einen anderen Weg, indem wir die Frage selbst hinterfragen: Stimmt das denn überhaupt? In der Frage verbirgt sich ein Vergleich mit den Männern, und ich meine, Fragen dieser Art sind alle suspekt, denn implizit enthalten sie die Annahme, dass wir uns an dem messen sollen, was Männer sind und machen.

Deshalb meine ich, dass wir die Frage hinterfragen sollten: Stimmt es, dass es den Frauen schwer fällt, in anderen Frauen Autoritäten zu erkennen?

Ich persönlich kann das nicht feststellen. Das wahre Problem, das ich sehe, ist ein Teufelskreis: ein Teufelskreis zwischen dem Gefühl der Frauen, von ihresgleichen nicht anerkannt zu werden, und der Schwierigkeit, ihresgleichen höhere Qualitäten zuzuerkennen. Das deprimierende Szenario, das Sie in Ihrer Frage ansprechen, kommt von diesem Teufelskreis. Den gilt es zu durchbrechen, es gibt keine andere Antwort. Aber wie soll das gehen? Eine Methode, die ich aus eigener Erfahrung kenne, besteht darin, Texte über weibliche Größe zu lesen oder wertschätzend darüber zu schreiben. Das habe ich von Carolyn Heilbrun mit ihrem Buch Writing a woman’s life gelernt. Aber das funktioniert nur, wenn wir selbst in erster Person akzeptieren, anderen gegenüber Autorität zu haben. Das ist wirklich nicht einfach – Autorität übernehmen ist nicht der schönste Teil in der Affidamento-Beziehung, ganz im Gegenteil!

Fazit: Wenn du andere ermutigen willst, die von Frauen verkörperte Autorität anzuerkennen, dann beginne damit, die Last deiner persönlichen Größe auf dich zu nehmen, und biete dich den anderen Frauen als wertgebender Spiegel an, so dass sie sich in dir spiegeln und ihre eigene Größe sehen können. Manche haben Angst vor Neid – zu viel Angst, meine ich: Der Neid ist wie ein Huhn, das seine Eier ausbrütet und so unsere heimlichen Wünsche warmhält.

HL/CN: Wie beurteilen Sie von heute aus die Kritik, die es in den 90er Jahren an der Politik und dem Konzept des »affidamento« gab? Gab es Kritikpunkte, die für eine produktive Weiterentwicklung des Konzepts wichtig waren?

LM: Ich denke, die Kritikpunkte, die am politischen Vorschlag des Affidamento in den 90er Jahren laut wurden, waren alle nützlich, um diesen Vorschlag zu verbessern, sowohl was die Substanz als auch die Formulierung betrifft. Manche Frauen zeigten ein Interesse, das nahe an Akzeptanz war, und das war ermutigend. Andere dagegen zeigten Ablehnung, das war stimulierend. Aber am allernützlichsten war die Kritik aufgrund von Missverständnissen. Man denkt nie, dass Missverständnisse bei der Arbeit des Denkens helfen können, aber es ist so – unter bestimmten Bedingungen natürlich.

Das häufigste (und immer noch hartnäckige) Missverständnis besteht in der Annahme, Autorität sei etwas, was man besitzt, bzw. eine Eigenschaft, die bereits vor der Beziehung des Affidamento existiert, und dass somit die entscheidende Rolle in der Affidamento-Beziehung derjenigen Frau zufällt, die bereits Autorität besitzt und der sich die andere anvertraut. Das ist aber nicht so, denn auch die alltägliche Erfahrung zeigt uns, dass es Autorität ohne Anerkennung von unten nicht gibt. Von oben und unten zu sprechen ist eigentlich nicht richtig, denn damit wird das dynamische Ungleichgewicht ignoriert, das ich vorhin erwähnte. Denken wir einfach an zwei Frauen, die nebeneinander her leben und eines schönen Tages aus der wechselseitigen Indifferenz heraustreten, weil die eine etwas Besseres für sich sucht und sich an die andere wendet: Sie vertraut sich ihr an, bringt ihr Vertrauen entgegen. In diesem Moment tritt Autorität zutage, gleichsam eine neue Präsenz zwischen den beiden. Diese Präsenz entsteht dadurch, dass eine der beiden in der anderen diejenige sieht, die ihr helfen kann. Das verändert beide. Und die Leute um die beiden herum merken das.

Ob es mir wohl gelungen ist, die richtigen Worte zu finden? Die Einwände, die auf Missverständnisse zurückgehen, regen dazu an, die richtigen Worte zu suchen, die Erfahrung hilft dabei, sie zu finden.

HL/CN: Die Philosophinnengruppe Diotima – inwiefern waren oder sind Sie Autorität in dieser Gruppe? Was bedeutet(e) das für Sie?

LM: Ich würde gerne von »Diotima« erzählen, aber vorher müsste ich mit den anderen der Gruppe sprechen, um zu sehen, ob sie sich in meinen Worten wiedererkennen.

Bin ich für sie eine Autorität? Für manche vielleicht ja, für andere vielleicht nein. Da erlebt man bisweilen Überraschungen. So trieb ich vor Jahren meine Studentinnen zu einer öffentlichen Protestaktion an, die sie dann auch erfolgreich durchführten. Ich glaubte, sie hätten meine Autorität gespürt, aber danach sagte eine zu mir: Wir haben auf dich gehört, weil wir mehr Angst vor dir hatten als vor der Institutsleiterin.

Die Autorität, die in »Diotima« zirkuliert und die uns zu einer lebendigen, öffentlich anerkannten philosophische Gemeinschaft und jede Einzelne zur feministisch engagierten Denkerin gemacht hat – ja, woher kommt sie? Zum Teil, da bin ich mir sicher, kommt sie von der Qualität der Beziehung zwischen mir und meiner Kollegin Chiara Zamboni.

Ohne viel zu sprechen, aber genug, um uns zu verstehen, habe ich mich ihr anvertraut, und sie hat ihren Teil übernommen. Ich hatte den Wunsch, an meinem Arbeitsplatz an der Universität Verona mit anderen Frauen eine Gruppe für philosophische Forschung zu gründen, aber ich wohne weit entfernt, und obendrein habe ich keinen guten Charakter… Wie sollte ich das schaffen? Ich hatte das Glück, diese Kollegin zu treffen. Sie teilte meinen Wunsch und besaß in hohem Maße die Eigenschaften, um ihn mit mir zusammen zu verwirklichen. Und nicht nur das. Sie besaß auch die Fähigkeit, mir einen Maßstab zu geben.

Ich erinnere mich, wie sie mir am Anfang einmal monatelang jegliche Unterstützung entzog, nachdem ich einige Teilnehmerinnen durch mein Verhalten brüskiert hatte. Da stand ich ganz orientierungslos da. Es war aber richtig von ihr, das war mir eine Lehre. Mein Charakter ist zwar nicht besser geworden, aber ich habe gelernt, ein Maß zu finden und dabei ihr Urteil zu berücksichtigen. Ich muss aber auch sagen, dass sie mich bei einer anderen Gelegenheit nicht unterstützt hat; sie erklärte mir, dass sie nicht hinter dem Projekt stehen könne, und so musste ich darauf verzichten, obwohl es eigentlich ganz vielversprechend war.

HL/CN: Wie beobachten Sie die heutige feministische Debatte zum Thema Autorität? Es wird ja nicht unbedingt unter dem Titel, aber doch der Sache nach viel über das Autoritäts- und Machtgefälle zwischen den Geschlechtern diskutiert, zum Beispiel in den auch in den Medien beliebten Debatten über »Mansplaining« oder »Manspreading«, also der Selbstverständlichkeit, mit der Männer in der Öffentlichkeit sich Erklärungshoheit oder Raum aneignen.

LM: Diese Frage finde ich insofern wichtig, als sie zum Denken anregt – ich werde sie aber nicht beantworten, sondern meinerseits eine stellen.

Zwei Punkte halte ich für bemerkenswert. Erstens: Mit Ihrer Frage zeigen Sie, dass Sie schon wissen, was ich gerne nachweisen möchte, nämlich dass das Wort Autorität im heutigen Sprachgebrauch nicht gängig ist, dass aber die Vorstellung davon keineswegs verloren gegangen ist. Ich denke, diese Vorstellung kann nicht verloren gehen, solange es politische Leidenschaft gibt: Die Präsenz von Autorität in den sozialen Beziehungen ist eine Antwort auf eine symbolische Notwendigkeit, die mit Freiheit zu tun hat. Die vis politica der Autorität ist notwendig für die Freiheit.

Diejenigen, die das Denken Judith Butlers kennen, möchte ich darauf hinweisen, dass Butlers politische Übersetzung des Konzepts des Performativen interpretiert werden kann als Annäherung an eine Auffassung von Autorität als symbolischer Kraft, die sich von Macht unterscheidet. Wir sind uns also darin einig, dass es sich um Autorität handelt, auch wenn das Wort selbst nicht erscheint. Paradoxerweise denken viele, dieses Wort stamme aus der politischen Kultur der Rechten. Vielleicht ist das der Grund – oder mit ein Grund – dafür, dass Autorität in unseren Diskursen nur verkleidet auftritt.

Und zum zweiten Punkt: Unter den Quasi-Synonymen von Autorität zitieren Sie Ausdrücke, die eine vor allem männliche »Tugend« bezeichnen (virtus, Tugend, und virile, männlich, haben dieselbe Wurzel), und zwar die Fähigkeit, die eigenen Ideen beziehungsweise die eigene Position zu vertreten. Damit führen Sie ein neues Thema ein: die männliche Differenz. Ja, ich denke, es gibt einige Gaben, mit denen Männer anscheinend mehr ausgestattet sind als Frauen. Nicht alle Männer auf der einen Seite, nicht alle Frauen auf der anderen – nein, das hieße ja, wieder den Weg zu ebnen für Sexismus und Geschlechterstereotpye. Es geht vielmehr darum, das biologische Ereignis der Sexuierung zu erfassen, das im äußerst vielfältigen Medium der menschlichen Sprach- und Ausdrucksformen gebrochen wird. Das Wortpaar Sex/Gender ist zu diesem Zweck nicht ausreichend.

Meine Frage ist nun: Lässt sich die sexistische, von Stereotypen durchzogene Sprache überwinden, ohne die sexuelle Differenz zu leugnen und ohne auf die Differenzen zu verzichten, die sie in den menschlichen Kulturen zum Ausdruck bringen? Können wir eine Kultur anpeilen, welche die Differenz frei zum Ausdruck bringt? Oder führt der Weg zwangsläufig zu einer neutralen Sprache, wenn wir Diskriminierungen vermeiden wollen?

Vor einigen Jahren habe ich laut von der Farbe Rosa geschwärmt, um einen Feminismus zu attackieren, der zu emanzipatorischen Forderungen verflacht ist. Und ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Vorliebe vieler kleiner Mädchen für die Farbe Rosa ein etwas naiver Ausdruck der Freude darüber ist, mit demselben Geschlecht wie ihre Mutter geboren und unter den Frauen sofort anerkannt und akzeptiert worden zu sein. Das sage ich auch mit Bezug auf den Kampf der Transfrauen, denen ich für ihren Beitrag zum Differenzfeminismus dankbar bin.

HL/CN: Erleben wir derzeit ein Wiedererstarken patriarchaler Formen von Autorität? Etwa bei rechtspopulistischen Politikern (wie Trump, Putin oder Erdogan), die sich als starke Männer inszenieren?

LM: Die Beispiele, die Sie hier anführen, unterscheiden sich stark voneinander. Wenn diese drei Figuren etwas gemeinsam haben, so ist das in meinen Augen die Tatsache, dass sie die Krise des männlichen Politikmodells repräsentieren, welches auf dem (mehr oder weniger demokratischen) Wettkampf um Macht beruht.

Heute befinden wir uns mitten in den Trümmern des Patriarchats. Das Ende des Patriarchats wird kein Fest sein, so sagte es Julia Kristeva vor vielen Jahren voraus, und sie hatte recht. Der nationalistische Populismus und die internationale Unordnung zeigen das.

Sie zeigen auch etwas, was uns näher betrifft. Populismus und Terrorismus werden vor allem durch Männer genährt, die sich als Verlierer fühlen. Ein Grund für ihre Ressentiments ist der Verlust ihrer männlichen »Überlegenheit«. Das war zwar eine vermeintliche Überlegenheit, aber die Männer – abgesehen von wenigen – glaubten daran, und die Privilegien aufgrund dieser »Überlegenheit« waren real.

Dessen müssen wir uns bewusst sein, und vor allem sollten wir darin keinen Grund dafür sehen, uns auf der richtigen Seite zu wähnen. Terrorismus – die absolut falsche Antwort – und Populismus sind falsche Antworten auf echte Probleme, die sich mit der Globalisierung stellen. Die Menschheit befindet sich in einer neuen Situation, die neue Gedanken erfordert.

Übersetzung aus dem Italienischen von Traudel Sattler

Autorität im 20. und 21. Jahrhundert – Sozialwissenschaftliche und historische Perspektiven 

Die Autorität der Kanzlerin – Eine Annäherung

Sylka Scholz

Es ist anzunehmen, dass Angela Merkel mit ihrer Wahl zur Kanzlerin am 14.03.2018 ihre vierte und letzte Amtsperiode angetreten hat. Dafür sprechen der komplizierte Prozess der Regierungsbildung und die zunehmenden Kritiken aus den Reihen der CDU/CSU. Nach ihrer dann voraussichtlich 16-jährigen Regierungszeit wird auch von Merkel ein Porträt in der ›Ahnengalerie‹ im Bundeskanzleramt aufgehängt werden. Man stelle sich die Situation vor: Bisher sind im großzügigen Foyer vor dem Presse- und Informationssaal sieben Porträts in jeweils unterschiedlichen künstlerischen Stilen zu sehen, die nicht nur den individuellen Kunstgeschmack des jeweiligen Kanzlers ausdrücken, sondern auch als politische Statements zu verstehen sind. Merkels Bild wird hinter dem Porträt von Gerhard Schröder positioniert werden, welches aus der Ahnenreihe der männlichen Kanzler heraussticht. Das von Jörg Immendorff gemalte verrätselte Bild nimmt, so Wolfgang Ullrich, die Tradition der manieristischen Herrschaftsbilder auf, die durch hoch verdichtete symbolische Formen Macht und Überlegenheit demonstrieren. So ist der Kanzler in seinem frontalen Porträt von Affen umringt, ebenso sind rätselhafte schwarze Zeichen zu sehen. Ullrich argumentiert weiter, dass eine Person, welche ein solches Kunstwerk für sich als Accessoire wählt, als »besonders forsch und autoritär erfahren«12 wird. Wie könnte das Bild der ersten Kanzlerin aussehen? Folgt sie der neoaristokratischen Tendenz,13 für die Schröders Porträt steht, welche sich bezüglich der Präsentation von politischer und wirtschaftlicher Macht in der Berliner Republik zunehmend zeigt?

Diese Fragen werden nach dem Beginn der vierten Amtsperiode der Kanzlerin in den Medien aktuell vermehrt debattiert. Das Gemälde im Kanzleramt wird jedoch nicht das erste bildnerische Porträt der Kanzlerin sein. Angesichts ihrer Wahl zur Person des Jahres (person of the year) des Time Magazins im Jahr 2015 erschien auf dem Titelblatt ein Bildnis des Malers Colin Davidson. Ein weiteres Porträt malte Elizabeth Peyton für die amerikanische Modezeitschrift Vogue.14 Beide Bilder könnten nicht unterschiedlicher sein: Der bekannte irische Porträtmaler Davidson zeigt eine nachdenkliche und würdevolle Kanzlerin, mit breiten Pinselstrichen frontal ins Bild gesetzt. Peyton porträtiert Merkel 2017 als junges Mädchen, auch wenn das Bild den Titel trägt »Wie Angela Merkel die mächtigste Frau der Welt wurde«. Sie sieht aus wie jemand, »den man kennt, dem man sich anvertrauen könnte, oder mit dem man einen Kaffee trinken gehen könnte.«15 Sie wirkt eher wie eine »sensible Freundin«16 denn als die mächtigste Frau der Welt. Diese Bilder werfen die Frage auf, wie es um die Anerkennung und die Zuschreibung von Autorität bezüglich der ersten deutschen Kanzlerin bestellt ist.

In meinem Beitrag gehe ich dieser Frage aus einer männlichkeitssoziologischen Perspektive nach. Zunächst erläutere ich das Konzept der hegemonialen Männlichkeit von Raewyn Connell, mit dem ich dem Zusammenhang von Männlichkeit und Autorität theoretisch genauer auf die Spur kommen möchte. Anschließend analysiere ich das prekäre Verhältnis von Weiblichkeit und Autorität anhand der wenigen vorliegenden und eigener Studien. Zwar hat der Amtsantritt von Angela Merkel zu einem »bescheidenen Forschungsboom«17 geführt, der jedoch auf einer Vielzahl kleiner Fallstudien beruht. Bis heute gilt, was Tanja Maier und Margreth Lünenborg 2012 konstatierten: Es gibt im deutschsprachigen Raum kein »systematisch erschlossenen Forschungsfeld«18 zu den medialen Geschlechterverhältnissen im Bereich der Politik. Im Anschluss nehme ich die Frage nach der Visualisierung von Merkels Machtposition noch einmal auf und diskutiere ihre medialen Verkörperungen von Macht. Abschließend diskutiere ich im letzten und vierten Schritt, ob sich das Verhältnis von Weiblichkeit und Autorität durch die soziale Praxis der Kanzlerin verändert.

(Hegemoniale) Männlichkeit und Autorität

Sowohl international als auch im deutschsprachigen Kontext avancierte das mit dem Namen der australischen Soziologin Raewyn Connell verbundene Konzept der hegemonialen Männlichkeit19 zu einer Leitkategorie der interdisziplinären Männlichkeitsforschung.20 Die Kernaussage bezüglich der Kategorie »Männlichkeit« lautet, dass es verschiedene sozial konstruierte Formen von Männlichkeit in einer Gesellschaft gibt, die in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Bezeichnet werden mit dem Konzept Konfigurationen von Männlichkeit, die einerseits verschiedene Formen und andererseits die Relationen zwischen ihnen umfassen. Unter Männlichkeit versteht Connell »eine Position im Geschlechterverhältnis; die Praktiken, durch die Männer und Frauen diese Position einnehmen; und die Auswirkungen dieser Praktiken auf die körperliche Erfahrung, auf Persönlichkeiten und Kultur«.21 Beide Geschlechter können demnach als männlich angesehene Verhaltensweisen und Tätigkeiten ausüben und sie können gesellschaftliche Positionen einnehmen, die als ›männlich‹ gelten. Mit dieser Bestimmung ist eine theoretische Differenzierung zwischen Männern, oder präziser als männlich klassifizierten Personen, und Männlichkeit(en) gesetzt, was bedeutsam ist für die Analyse des Aufstieges von Frauen in die sozialen Eliten.

Connells zentrale Annahme lautet, dass jede Gesellschaft eine hegemoniale Männlichkeitsform ausbildet, an der Weiblichkeit und alle anderen Formen von Männlichkeit ausgerichtet sind. Connell geht davon aus, dass nur eine kleine Anzahl von Männern die hegemoniale Männlichkeit in der Praxis vollständig verwirklicht. Sie wirkt innerhalb einer Gesellschaft vor allem als verbindliches Orientierungsmuster, zu dem sich Männer (zustimmend oder abgrenzend) in Bezug setzen müssen. Dabei ist hegemoniale Männlichkeit als eine »historisch bewegliche Relation«22 zu verstehen, die in sozialen Kämpfen konstituiert wird und sich transformieren kann. Bei der Formulierung ihres Konzeptes greift Connell auf den Hegemoniebegriff aus Antonio Gramscis marxistischer Kapitalismuskritik zurück. Sie geht dementsprechend davon aus, dass hegemoniale Männlichkeit nicht vorrangig durch offene Gewalt, sondern durch mehrheitlichen Konsens der Beherrschten mit den Herrschenden hergestellt und erhalten wird. Gleichwohl bleibt der Zwang als Herrschaftsmittel präsent und kann in Form von Gewalt eingesetzt werden, »wenn die ›sanfte‹ Herrschaftsform der Hegemonie an ihre Grenzen stößt«.23

Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit ist demnach grundlegend mit Macht und Herrschaft verknüpft. Im Anschluss an Connell formuliert Michael Meuser: »In der symbolischen und institutionellen Verknüpfung von Männlichkeit und Autorität liegt die gesellschaftliche Dominanz von Männern begründet.«24 Der Begriff der Autorität wird jedoch an keiner Stelle genauer ausgeführt. Wenn Connell betont, dass Hegemonie sich weniger durch direkte Gewalt auszeichnet, »sondern durch ihren erfolgreich erhobenen Anspruch auf Autorität«25, dann ließe sich schlussfolgern, dass Autorität der Modus ist, indem hegemoniale Machtverhältnisse (re-)produziert werden. Dafür spricht auch die Aussage, »(obwohl Autorität oft durch Gewalt gestützt und aufrechterhalten wird)«.26.Die Androhung von Gewalt stabilisiert hegemoniale Machtverhältnisse, die nach Connell in physische Gewalt umschlagen können, wenn die jeweilige historisch konkrete hegemoniale Männlichkeit nicht mehr anerkannt wird. Anschlussfähig ist diese Vorstellung von Autorität aus meiner Sicht an das Autoritätskonzept von Hilge Landweer und Catherine Newmark.27 Sie argumentieren, dass Autorität historisch mit Männlichkeit verknüpft ist und Machtverhältnisse fundiert, jedoch nicht mit Macht gleichzusetzen ist. Im Anschluss an Michel Foucault verstehen sie Autorität als eine Form von Macht, die sich in einer Relation von Kräfteverhältnissen konstituiert. Macht ist demnach nicht monolithisch, sondern sie bedarf immer eines wechselseitigen Anerkennungsverhältnisses. Dies entspricht durchaus dem Konzept von hegemonialen Machtverhältnissen, die in sozialen Kämpfen immer wieder aufs Neue verhandelt werden. Doing masculinity und »doing authority«28 sind demnach eng miteinander verknüpft.

In der Männlichkeitsforschung wird debattiert, ob es in differenzierten modernen Gesellschaften nur eine hegemoniale Männlichkeit gibt, oder ob verschiedene Formen miteinander konkurrieren. Ich gehe davon aus, dass sich in den verschiedenen Machtfeldern der Gesellschaft unterschiedliche hegemoniale Männlichkeiten konstituieren, die miteinander in Konkurrenz stehen.29 Im Anschluss an Bourdieu spreche ich von sozialen Feldern und verstehe das politische Teilsystem als ein politisches Feld, welches historisch eine spezifische Form von hegemonialer Männlichkeit kreierte. Dieses Feld konstituierte sich im 19. Jahrhundert als ein männlich dominierter gesellschaftlicher Teilbereich, der zugleich ein »Männlichkeit generierendes Praxisfeld«30 ist.

Politik in der repräsentativen Demokratie kann mit Bourdieu als ein geschlossenes professionelles Berufsfeld betrachtet werden.31 Es zeichnet sich durch seine relative Autonomie aus und hat wie jedes soziale Feld spezifische Spielregeln herausgebildet. Der Text Politik als Beruf von Max Weber aus dem Jahre 1919 gilt bis heute als ein »Schlüsseltext der Politikwissenschaften«,32 Er lässt sich als Zeitdiagnose, aber auch als Programmatik politischen Handelns lesen; aus ihm lässt sich der Typus eines Berufspolitikers in der parlamentarischen Demokratie rekonstruieren, der, wie im Folgenden gezeigt wird, bis in die Gegenwart als hegemoniales Männlichkeitsideal dieses sozialen Feldes fungiert.

Weber unterscheidet sieben Typen von Politkern im Kultur- und Zeitvergleich.33 Für die parlamentarische Demokratie seiner Zeit bestimmt er zwei Typen: den Parteibeamten und den politischen Führer, wobei Letzterer für Weber näher am »Idealbild des Politikers als charismatischer Führer steht«.34 Zentrales Kriterium von Politik ist für Weber der Kampf um Macht: Politik sei »Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen den Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Menschengruppen, die er umschließt«.35 Weber fragt, »was für ein Mensch man sein muß, um seine Hand in die Speichen des Rades der Geschichte legen zu dürfen«36 und bestimmte vor allem drei Qualitäten: Leidenschaft im Sinne von Sachlichkeit, sachlich gehaltenes Verantwortungsgefühl und Augenmaß im Sinne einer emotional distanzierten Haltung zu den Dingen, die zur Debatte stehen. Diese Kompetenzen sah Weber in den spezifisch männlichen Tätigkeitsbereichen seiner Zeit, der kapitalistischen Ökonomie und dem Militär, verwurzelt. Das Politikerideal konnte demnach nur von Männern vertreten werden, was Weber in seinem Aufsatz auch explizit benennt.

Das von Weber beschriebene moderne Politikerideal hat auch in der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik seine Gültigkeit behalten. In Befragungen von Politikerinnen aus den 1990er Jahren nannten diese ein hohes Maß an Kampfbereitschaft; die Bereitschaft und Fähigkeit zur optimalen Nutzung jeglicher Machtchance; die Fähigkeit und Lust zur effektiven Selbstinszenierung; die Überzeugung emotionsfrei, also sachlich und mit der ›Stimme der Vernunft‹ zu sprechen als zentrale Kompetenzen.37 Doch inwieweit ist das Politikerideal immer noch männlich, verliert es mit dem zunehmenden Aufstieg von Frauen in politische Spitzenämter seine geschlechtliche Konnotation?

Merkels mediales Doing Authority: Der Bundestagswahlkampf 2005

Im Folgenden untersuche ich, wie Merkel mit der historischen sowohl institutionellen als auch symbolisch verfestigten Verknüpfung von Autorität und Männlichkeit umgeht. Gelingt es ihr einen Anspruch auf Autorität zu formulieren, wird dieser Anspruch anerkannt? Es geht demnach um Merkels doing authority, das jedoch mit einem doing femininity verbunden werden muss. Denn in einer heteronormativen Kultur der Zweigeschlechtlichkeit gibt es für die Menschen einen »Zwang zur kategorialen und individuellen Identifikation«.38 Merkel muss im Alltag die ihr zugeschriebene weibliche Geschlechtszugehörigkeit herstellen und validieren (doing femininity).39 Wie aufgezeigt stehen jedoch durch die historische Entwicklung Autorität und Weiblichkeit in einem Widerspruch. Meine Untersuchung beginnt bei einer eigenen Studie über die Berichterstattung zur Bundestagswahl 200540 und bezieht sich in der Folge auf verschiedene Analysen. All diese Untersuchungen erforschen die mediale Präsentation der Kanzlerin. Alles, was wir über Merkel wissen, ist demnach eine mediale Konstruktion und folgt den Regeln der modernen Mediendemokratie oder anders ausgedrückt: der Mediengesellschaft.41 Die Untersuchungen sind methodisch unterschiedlich stark ausgewiesen, teilweise haben sie eher einen essayistischen Charakter. Insofern kann der vorliegende Beitrag keine systematische Analyse leisten, sondern nähert sich der Forschungsfrage nur an.

Charakteristisch für die Berichterstattung über die Kanzlerkandidatin im Bundestagswahlkampf 2005 war eine merkwürdige Ambivalenz: Auf der einen Seite wurde ihr Frausein heruntergespielt, es habe keine Bedeutung für Wahlerfolg bzw. Misserfolg, wichtig sei allein das politische Programm. Auf der anderen Seite wurde die Bedeutung von Merkels Geschlechtszugehörigkeit betont und ihr Weg ins Kanzleramt als ein historischer Schritt für die Frauenemanzipation gewertet. Die Analyse zeigt, dass die ›Frauenfrage‹ auf zwei sehr konträre Weisen diskutiert wurde: Forderten die einen, Merkel müsse sich auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit für Frauenpolitik einsetzen (Identitätspolitik), so sahen die anderen allein in dem Fakt, dass eine Frau Kanzlerin werden würde, einen Beitrag zur Emanzipation der Frauen, weshalb sich Merkel auch nicht dezidiert für Frauenpolitik engagieren müsse (symbolische Politik). Die Geschlechtszugehörigkeit der Kanzlerkandidatin wurde demnach kontextabhängig entweder in den Hintergrund gerückt oder in den Vordergrund gestellt.

In der Berichterstattung über die Kanzlerkandidatin wurde eine Fülle von weiblichen und männlichen Geschlechterstereotypisierungen eingesetzt: 42 So wurde Merkel etwa als »Physikerin der Macht« und »Technikerin aus poliertem Stahl« bezeichnet, die »stark«, »rational« und »kalt« und nicht zu »menschlicher Wärme« fähig sei. Diesen männlich codierten Zuschreibungen widersprachen eine Fülle von in sich höchst gegensätzlichen weiblichen Charakteristika: Sie sei »ein Engel von verständiger Güte«, aber auch eine »Machtfrau«, deren Weg »Leichen pflastern«. Gleichzeitig fanden sich eine Reihe eigentlich veralteter Weiblichkeitszuschreibungen: Merkel sei »brav, artig, anständig«, »der Typ Einserschüler, der niemanden abschreiben lässt«, jemand der »lernt und lernt«. Ihre Leistungen erschienen so lediglich ihrem Fleiß geschuldet und nicht etwa ihren Fähigkeiten und wurden implizit herabgesetzt. Die Geschlechterkonstruktionen changierten zwischen traditionell männlichen Stereotypisierungen und widersprüchlichen Weiblichkeitskonstruktionen,43 die sich zwischen dem Stereotyp der ›männermordenden Frau‹ und dem des ›braven, fleißigen (Kohl-)Mädchens‹ bewegten. Gegensätzliche Charakterisierungen fanden sich oft in ein und demselben Artikel. Diese Widersprüchlichkeiten lassen sich als »Irritation« kategorisieren, die dadurch ausgelöst wurde, dass eine Frau den Anspruch auf die höchste, implizit männlich kodierte Machtposition in der Regierung stellte. 44 Dabei setzte Merkel bewusst auf eine Inszenierung von Kompetenz und Stärke und entzog sich der gängigen privatisierten und emotionalisierten Darstellung weitgehend.

Obwohl die Medien Merkels Machtanspruch, der mit einem Anspruch auf Autorität verknüpft ist, als legitim bewerteten, zog sich doch die Frage nach ihrer politischen Kompetenz durch den Wahlkampf. »Was will (kann) Angela Merkel?« titelte zum Beispiel Der Spiegel. Diskutiert wurde, ob sie genug »Führungsstärke« habe, ob sie sich gegen ihre männlichen, westdeutschen Widersacher innerhalb der Partei dauerhaft durchsetzen könne. In dieser »Kompetenzdebatte« wurden immer wieder Politiker zitiert, die Merkel für unfähig hielten, so etwa Joschka Fischer am 1. Juli 2005: »Die kann es nicht« oder Franz Müntefering in den letzten Wahlkampfwochen: »Kanzler kann die nicht.« Diese Aussagen dienten als Beleg für ihre Inkompetenz. Dieses Infragestellen des Macht- und Autoritätsanspruchs resultierte, auch wenn das explizit nicht ausgesprochen wurde, aus der Geschlechtszugehörigkeit der Kanzlerkandidatin. Auf Grund des historischen Ausschlusses von Frauen aus der politischen Sphäre des modernen Nationalstaates konstituierte sich dieser wie beschrieben als männlich; als adäquate politische Akteure galten nur Männer.

Doch gleichzeitig wurde im Bundestagswahlkampf 2005 die hegemoniale Politikermännlichkeit und der Anspruch auf Autorität kritisiert. Galt die Politik vor dem Eintritt der Frauen in die Spitzenpolitik als ein geschlechtsneutrales Feld, so wurde mit der Anwesenheit des weiblichen Geschlechts auch das bisher unmarkierte Geschlecht der Männer sichtbar. Nach meiner Wahrnehmung setzte diese Debatte bereits mit der Wahl von Merkel zur Parteivorsitzenden der CDU im Zuge des sogenannten Spendenskandals im Jahr 2000 ein und verstärkte sich nun massiv. Der Wahlkampf 2005 wurde als ein Kampf zwischen den Geschlechtern inszeniert. Dazu musste zunächst die Geschlechtszugehörigkeit des amtierenden Kanzlers betont werden. In einer Reihe von Zeitungsartikeln wurde er explizit als »Mann« markiert, der zudem dem hegemonialen Leitbild des Politikers entspricht: jemand, der »den Sieg will«, »den Kampf an sich liebt«, »kurzer offener Kampf. Das ist die Logik der Macht«. Schröder entsprach demnach dem idealtypischen Bild des Politikers, als dessen wichtigstes Charakteristikum der Machtkampf gilt.

Jedoch geriet diese ›neue‹ Männlichkeit des Kanzlers gleich wieder in die Kritik. Zunächst fand eine zögerliche Kritik am machohaften Gebaren Gerhard Schröders statt. Nach seinem Auftreten in der sogenannten Elefantenrunde am Wahlabend des 18.09.2005 setzte eine massive Kritik an seinem Verhalten ein, die man als regelrechtes »Männlichkeits-Outing«45