Wie Sie Kinder fürs Lernen begeistern - Adele Faber - E-Book

Wie Sie Kinder fürs Lernen begeistern E-Book

Adele Faber

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Beschreibung

Die schulische Erziehung geht Lehrer und Eltern gleichermaßen an. Nur wenn alle an einem Strang ziehen kann sich Lernerfolg einstellen und die Sozialisation in der Klassengemeinschaft gelingt. Doch was ist konkret zu tun, wenn ein Schüler stets den Unterricht stört, wenn die Hausaufgaben liegenbleiben, wenn Schüler mit Furcht, Ärger und Enttäuschung auf den Schulalltag reagieren? Auf diese und viele weitere Fragen geben die Autorinnen Antworten, die sofort in der Praxis angewandt werden können.

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Adele Faber / Elaine Mazlish

Wie Sie Kinder fürs Lernen begeistern

Adele Faber und Elaine Mazlish

Was alle Eltern und Lehrer wissen müssen

Wie Sie Kinder fürs Lernen begeistern

Mit Lisa Nyberg und Rosalyn Anstine TempletonIllustriert von Kimberly Ann Coe

OBERSTEBRINK

Originaltitel: How To Talk So Kids Can Learn

Copyright © Adele Faber, Elaine Mazlish, Lisa Nyberg, and Rosalyn Anstine Templeton

All Rights Reserved.

Published by arrangement with the original publisher, Scribner, a division of Simon & Schuster, Inc.

1. Auflage d. deutschen Ausgabe, © 2018, Oberstebrink

by Körner Medien UG, München

Alle Rechte vorbehalten.

Übersetzt aus dem Englischen von Tobias Schudok.

Titelfoto: Ana Blazic Pavlovic/fotolia.com

Fotos: S. 16 Picture-Factory/fotolia.com, S. 54 contrastwerkstatt/fotolia.com, S. 92 drubig-photo/fotolia.com, S. 99 contrastwerkstatt/fotolia.com, S. 124 Christian Schwier/fotolia.com, S. 138 justyle/fotolia.com, S. 162 pololia/fotolia.com, S. 185 Christian Schwier/fotolia.com, S. 194 JenkoAtaman/fotolia.com, S. 230 djile/fotolia.com, S. 236 Kzenon/fotolia.com, S. 256 Kzenon/fotolia.com, S. 266 dashtik/fotolia.com

Satz und Layout: ism Satz- und Reprostudio GmbH, München

Druck: Sagalara, Lodz, Polen

Digitalisierung: tool-e-byte GmbH

Verlag: Oberstebrink

c/o Körner Medien UG

Herzog-Heinrich-Str. 5

80336 München

Tel.: 089/33095656, Fax: 089/33095473

[email protected]

www.oberstebrink.de

ISBN: 978-3-96304-705-3

Wie Eltern und Lehrer mit dem Kind sprechen, zeigt ihm, was sie von ihm halten. Ihre Aussagen beeinflussen sein Selbstbewusstsein und seinen Selbstwert. Ihre Sprache bestimmt in hohem Maße sein Schicksal.

Haim Ginott

Inhalt

Danksagung

Wie dieses Buch entstanden ist

Wer ist „Ich“?

1. Wie Sie mit Gefühlen umgehen können, die das Lernen beeinträchtigen

2. Sieben Fertigkeiten, die Kinder dazu motivieren, mitzuarbeiten

3. Die Tücken des Bestrafens: Alternativen zur Förderung der Selbstdisziplin

4. Probleme gemeinsam lösen sechs Schritte, welche die Kreativität und die Einsatzbereitschaft von Kindern fördern

5. Lob, das nicht herabsetzt, Kritik, die nicht verletzt

6. Wie Sie ein Kind aus seiner Rolle befreien können

7. Die Partnerschaft zwischen Eltern und Lehrern

8. Der Traumfänger

Danksagung

Viele Menschen haben durch ihren Glauben an dieses Buch von Anfang an bei seiner Verwirklichung geholfen. Unsere Familien und Freunde haben fortwährend Ideen und Ermutigungen beigetragen. Eltern, Lehrer und Psychologen aus den ganzen USA und Kanada reichten mündliche und schriftliche Berichte darüber ein, wie sie Gesprächsfertigkeiten zu Hause und bei der Arbeit eingesetzt haben. Johanna Faber gab uns viele bewegende Beispiele aus ihrer zehnjährigen Erfahrung als Lehrerin an einer innerstädtischen Schule. Die Bradly University und die Brattain Elementary School stellten uns ihre Einrichtungen zur Verfügung und unterstützten uns. Kimberly Ann Coe, unsere Illustratorin, hat erneut gezaubert und unseren steifen Strichmännchen Leben und Wärme eingehaucht.

Schließlich wollen wir Dr. Thomas Gordon würdigen für seine Arbeit im Bereich der Eltern-Kind-Beziehung und natürlich unseren Mentor, den seligen Dr. Haim Ginott.

Er war es, der uns half, zu verstehen, wieso „jeder Lehrer zuerst ein Lehrer der Menschlichkeit sein sollte und erst dann ein Lehrer seines Fachs“.

Wie dieses Buch entstanden ist

Die Saat für dieses Buch wurde ausgebracht, als wir junge Mütter waren, die eine Elterngruppe besuchten, die der Kinderpsychologe Dr. Haim Ginott leitete. Nach jeder Sitzung fuhren wir gemeinsam nach Hause und rätselten über die Kraft der neuen Gesprächsfertigkeiten, die wir erlernten, und beklagten den Umstand, dass wir sie nicht schon vor Jahren gekannt hatten, als wir beruflich mit Kindern gearbeitet hatten – eine von uns in den High Schools New Yorks, die andere in der Nachbarschaft von Manhattan.

Wir konnten damals nicht voraussehen, was aus dieser frühen Erfahrung erwachsen würde. Zwei Dekaden später hatten unsere Bücher für Eltern die Zwei-Millionen-Marke überschritten und waren in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt worden: Die Kurse, die wir in fast jedem Staat der USA und fast jeder Provinz Kanadas geleitet hatten, zogen ein großes, begeistertes Publikum an. Mehr als 50000 Gruppen hatten unsere Audio- und Video-Gruppen-Workshops genutzt, an so weit verstreuten Orten wie Nicaragua, Kenia, Malaysia und Neuseeland. Und während dieses ganzen Zeitraums von 20 Jahren hörten wir immer wieder von Lehrern, welche Veränderungen sie in ihren Klassen vorgenommen hatten, nachdem sie entweder unsere Vorträge gehört oder unsere Kurse besucht oder eines unserer Bücher gelesen hatten. Sie drängten uns, für sie ein ähnliches Buch zu schreiben. Es war unausweichlich, diesem Wunsch nachzukommen.

Ein Lehrer aus Troy in Michigan schrieb:

Nach mehr als 20 Jahren Erfahrung in der Arbeit mit störenden, gefährdeten Schülern war ich kurz gesagt erstaunt von der Anzahl an Strategien, die ich aus den Büchern gelernt habe, die Sie für Eltern geschrieben haben ... Derzeit erstellt der Schulbezirk, in dem ich als Beratungslehrer arbeite, einen neuen schulweiten Verhaltensplan. Ich glaube fest daran, dass Ihr Buch als Grundstein dieses neuen Plans dienen sollte. Haben Sie erwogen, ein Buch speziell für Lehrer zu schreiben?

Ein Sozialarbeiter von einer Schule in Florissant in Missouri schrieb:

Kürzlich hielt ich einen Workshop mit dem Material ab, das auf ihrem Buch „So sag ich‘s meinem Kind“ basiert. Unter den Eltern war auch eine Lehrerin, die ihre neuen Fertigkeiten im Klassenraum einsetzte und feststellte, dass sich das Problemverhalten merklich verringerte. Dies kam der Direktorin zu Ohren, die sich Sorgen wegen der steigenden Zahl von Nachsitzstunden und Schulverweisen machte. Sie war so beeindruckt von den Veränderungen in dieser einen Klasse, dass sie mich darum bat, einen Workshop für das gesamte Kollegium abzuhalten.

Die Resultate waren bemerkenswert. Der „Wunsch“ nach Nachsitzstunden ging zurück, die Zahl der Schulverweise brach ein, die Abwesenheiten fielen steil ab, und das Selbstbewusstsein schien überall in der Schule zu wachsen.

Ein Vertrauenslehrer aus New York City schrieb:

Ich bin sehr besorgt über die steigende Zahl von Kindern, die Messer mit in die Schule bringen. Ich kann mir nicht helfen, aber mehr Sicherheitspersonal und Metalldetektoren scheinen mir nicht die richtige Antwort darauf zu sein. Aber bessere Kommunikation könnte es sein. Wenn Lehrer die Fertigkeiten kennen würden, über die Sie schreiben, wären sie vielleicht besser ausgestattet, um diesen jähzornigen Kindern zu helfen, mit ihrer Wut auf gewaltfreie Weise umzugehen. Wie wäre es mit einem Buch für Lehrer, Direktoren, Laienlehrer, Tutoren, den Schulbusfahrer, die Sekretärinnen etc. etc. etc.?

Wir dachten über diese Vorschläge ernsthaft nach, kamen aber schließlich darin überein, dass wir die Verantwortung, die es mit sich brächte, ein Buch für Lehrer zu schreiben, nicht übernehmen konnten. Schließlich lagen wir nun nicht mehr selbst in den Schützengräben.

Dann kam der schicksalhafte Anruf von Rosalyn Templeton und Lisa Nyberg. Lisa unterrichtete die dritte und vierte Klasse an der Brattain Elementary School in Springfield in Oregon. Rosalyn unterrichtete zukünftige Lehrer an der Bradley University in Peoria in Illinois. Beide berichteten uns, wie unzufrieden sie damit waren, wie viel Zwang und Strafen an den Schulen angewandt wurden, um die Schüler dazu zu bringen, sich anständig zu verhalten. Und sie erzählten, dass sie nun bereits seit langer Zeit nach Material suchten, das Lehrern alternative Methoden anbot, um Schülern dabei zu helfen, Selbstständigkeit und Selbstdisziplin zu erlernen. Als sie auf „So sag ich‘s meinem Kind“ stießen, hatten sie das Gefühl, dass es genau das war, wonach sie gesucht hatten, und sie baten uns um unsere Erlaubnis, eine Adaption für Lehrer zu schreiben.

Als wir uns weiter unterhielten, wurde klar, dass ihre Erfahrungen sehr umfangreich waren. Beide Frauen hatten in städtischen, vorstädtischen und ländlichen Schulen in unterschiedlichen Teilen des Landes unterrichtet. Beide hatten einen Doktortitel in Pädagogik. Und beide waren als Kursleiterinnen bei Lehrerkonferenzen gefragt. Plötzlich erschien das Projekt, das anzupacken wir so lange gezögert hatten, realisierbar. Wenn wir, ergänzend zu unseren eigenen Erfahrungen im Klassenzimmer und zu all dem Material von Lehrern, das wir während der letzten 20 Jahre gesammelt hatten, auch auf die gegenwärtigen und vergangenen Erfahrungen dieser beiden Pädagoginnen bauen konnten, dann gab es nichts, was uns zurückhalten konnte.

In diesem Sommer flogen Rosalyn und Lisa herüber, um sich mit uns zu treffen. Wir fühlten uns alle von Anfang an wohl miteinander. Nachdem wir uns Gedanken darüber gemacht hatten, welche Form dieses neue Buch annehmen könnte, entschieden wir, eine Geschichte aus der Perspektive einer jungen Lehrerin zu erzählen, die versucht, bessere Möglichkeiten zu finden, zu ihren Schülern durchzudringen. Ihre Erfahrung würde eine Mischung all unserer eigenen Erfahrungen sein. Die Erzählung würde durch Elemente bereichert werden, die sich in unserer früheren Arbeit fanden – Comics, Erinnerungsseiten, Fragen und Antworten und illustrierende Geschichten.

Aber je länger wir sprachen, um so klarer wurde uns, dass wir, wenn wir ein vollständiges Bild davon zeigen wollten, was es bedeutete, ein Kind zu erziehen, über das Klassenzimmer hinausblicken und den ersten dauerhaften Lehrern im Leben eines Kindes eben soviel Aufmerksamkeit schenken müssten – den Eltern. Alles, was sich zwischen 8 Uhr Morgens und 15 Uhr am Nachmittag in der Schule abspielt, wird stark davon beeinflusst, was zuvor und danach vor sich geht. Egal, wie gut es die Eltern und Lehrer meinen, wenn sie nicht beide die Mittel haben, ihre guten Absichten zu verwirklichen, wird das Kind der Verlierer sein.

Eltern und Lehrer müssen ihre Kräfte vereinigen und Arbeitsgemeinschaften bilden. Beide müssen den Unterschied zwischen den Worten kennen, die entmutigen, und denen, die Mut machen, zwischen den Worten, die Konflikte auslösen, und denen, die zur Zusammenarbeit einladen, zwischen den Worten, die es einem Kind unmöglich machen, zu denken oder sich zu konzentrieren, und den Worten, die dem natürlichen Wunsch zu lernen mit der nötigen Freiheit entgegenkommen.

Dann kam uns in den Sinn, dass wir eine weitere Verantwortung gegenüber der heutigen Kindergeneration hatten. Niemals zuvor waren so viele junge Menschen so vielen Bildern alltäglicher Gewalt ausgesetzt.

Nie zuvor waren sie Zeugen so vieler anschaulicher Beispiele dafür, wie Probleme mit Schlägen, Kugeln oder Bomben gelöst wurden. Nie zuvor war es so dringend notwendig unsere Kinder mit einem Rollenmodell dafür zu versorgen, wie Differenzen mit ehrlicher und respektvoller Kommunikation gelöst werden können. Das ist der beste Schutz, den wir ihnen gegen ihre eigenen gewalttätigen Impulse geben können. Wenn die unvermeidbaren Momente von Frustration und Wut auftreten, können sie, statt nach einer Waffe zu greifen, nach den Worten greifen, die sie von den wichtigen Menschen in ihrem Leben gehört haben.

Mit dieser Überzeugung startete das Projekt. Drei Jahre und viele Entwürfe später, als wir endlich das fertige Manuskript in Händen hielten, empfanden wir alle ein tiefes Gefühl von Befriedigung.

Wir hatten eine Sammlung klarer Richtlinien für „Wie Sie Kinder fürs Lernen begeistern“ zusammengestellt. Wir hatten konkrete Beispiele für die Haltung und Sprache gegeben, die das Herzstück des Lernprozesses darstellen. Wir hatten gezeigt, wie man eine emotionale Umgebung schaffen kann, die den Kindern die Sicherheit gibt, sich dem Neuen und Unvertrauten zu öffnen. Wir hatten vorgeführt, wie Kinder dazu gebracht werden können, Verantwortung zu übernehmen und Selbstdisziplin zu üben. Wir hatten eine Vielzahl von Methoden mit unseren Lesern geteilt, die Kinder dazu ermutigen, an sich selbst und an das zu glauben, was sie erreichen können.

Es ist unsere aufrichtige Hoffnung, dass die Ideen in diesem Buch Ihnen helfen werden, die jungen Menschen in Ihrem Leben zu inspirieren und zu befähigen.

Wer ist „Ich“?

Als wir uns daran machten, dieses Buch zu schreiben, beschlossen wir, eine Figur zu erschaffen, Lisa Langer*, die für uns alle sprechen würde. Sie würde die junge Lehrerin sein, die wir einst waren, und ihre Schwierigkeiten dabei, eine hilfreiche Beziehung zu ihren Schülern aufzubauen, würden unsere eigenen widerspiegeln. Sie würde unser „Ich“ sein.

_______________________

* Anmerkung der RedaktionDa die Regeln und Tipps in diesem Buch internationalen Charakter haben und sich die vorliegende Ausgabe an ein deutschsprachiges Publikum richtet, haben wir uns entschieden, Begriffe, die sich auf das amerikanische Schulsystem beziehen, durch entsprechende Begriffe des deutschen Systems zu ersetzen. Außerdem haben wir einige Namen angepasst, um unseren Lesern die Identifikation mit den Figuren zu erleichtern.

1.Wie Sie mit Gefühlen umgehen können, die das Lernen beeinträchtigen

Es waren die Erinnerungen an meine eigenen Lehrer – sowohl die, die ich mochte, als auch die, die ich hasste –, die mich zu der Entscheidung führten, selbst einer zu werden.

Ich hatte eine lange Liste im Kopf mit all den gemeinen Sachen, die ich meinen Schülern nie sagen oder die ich nie mit ihnen machen wollte, und eine klare Vision davon, wie unendlich geduldig und verständnisvoll ich sein würde. Während all meiner Pädagogikkurse an der Universität hielt ich an meiner Überzeugung fest, dass ich Kinder auf eine Weise unterrichten könnte, die ihnen Freude am Lernen vermitteln würde.

Mein erster Tag als „echte“ Lehrerin war ein Schock. Soviel ich auch geplant und vorbereitet hatte, ich war völlig unvorbereitet auf diese 32 Sechstklässler. 32 Kinder mit lauten Stimmen, voll Energie und starker Wünsche und Bedürfnisse. Im Laufe des Vormittags begann der erste Krawall: „Wer hat meinen Bleistift geklaut?!“ ... „Geh mir aus der Sonne!“ ... „Seid still. Ich versuche zu verstehen, was die Lehrerin sagt!“

Ich gab vor, nichts zu hören, und machte mit der Stunde weiter, aber der Radau wurde größer: „Wieso muss ich neben ihm sitzen?“ ... „Ich verstehe nicht, was wir machen sollen.“ ... „Er hat mich geschlagen!“ ... „Sie hat angefangen!“

In meinem Kopf begann es zu pochen. Der Lärm im Zimmer wuchs stetig an. Worte von „Geduld und Verständnis“ erstarben mir auf den Lippen. Diese Klasse brauchte einen Lehrer, der die Kontrolle hatte. Ich hörte, wie ich sagte:

„Lass das. Niemand hat deinen Bleistift geklaut.“

„Du musst neben ihm sitzen, weil ich es gesagt habe.“

„Es ist mir egal, wer angefangen hat. Ich will, dass es aufhört. Jetzt!“

„Wie meinst du das, du verstehst nicht? Ich habe es gerade erklärt.“

„Diese Klasse ist wirklich unglaublich. Ihr benehmt euch wie Erstklässler. Könntet ihr bitte auf euren Plätzen bleiben!“

Ein Junge ignorierte mich. Er stand von seinem Platz auf, lief hinüber zum Anspitzer und dann stand er dort und spitzte seinen Stift auf die Größe eines kleinen Stummels. Mit meiner festesten Stimme befahl ich: „Das ist genug! Setz dich sofort hin!“

„Sie können mich nicht zwingen“, sagte er.

„Wir werden nach der Schule darüber sprechen.“

„Ich kann nicht länger bleiben. Ich fahre mit‘m Bus.“

„Dann muss ich deine Eltern anrufen, um das zu klären.“

„Sie können meine Eltern nicht anrufen. Wir ha‘m kein Telefon.“

Um drei Uhr war ich völlig erschöpft. Die Kinder platzten aus dem Klassenzimmer und strömten hinaus auf die Straße. Sie waren jetzt die Angelegenheit ihrer Eltern. Ich hatte meine Pflicht getan.

Ich sank in meinen Stuhl und starrte auf die leeren Tische. Was war falsch gelaufen? Wieso hörten sie nicht auf mich? Was musste ich tun, um zu diesen Kindern durchzudringen?

Während dieser ersten paar Monate des Unterrichtens war das Muster immer dasselbe. Ich begann jeden Morgen hoffnungsfroh und ging am Nachmittag überwältigt von der Plackerei und des Versuchs überdrüssig, die Klasse durch den geforderten Lehrplan zu zerren. Aber schlimmer als alles andere: Ich wurde zu dem Lehrer, der ich nie sein wollte – ärgerlich, herrisch und herabsetzend. Und meine Schüler wurden immer missmutiger und trotziger. Während das Schuljahr voranschritt, begann ich mich zu fragen, wie lange ich wohl durchhalten könnte.

Jessie Davis, die Lehrerin der Nachbarklasse, war meine Rettung. Am Tag, nachdem ich ihr mein Herz ausgeschüttet hatte, schaute sie bei mir herein und gab mir ihre zerlesene Ausgabe von „So sag ich‘s meinem Kind“.

„Ich weiß nicht, ob dir das hilft“, sagte sie, „aber die Fertigkeiten aus diesem Buch haben mir im Umgang mit meinen eigenen Kindern zu Hause meine geistige Gesundheit bewahrt. Und sie bewirken auf jeden Fall auch etwas in meinem Klassenzimmer!“

Ich dankte ihr, steckte das Buch in meine Tasche und dachte nicht mehr daran. Eine Woche später lag ich im Bett und kurierte eine Erkältung aus. Träge griff ich nach dem Buch und schlug es auf. Gleich am Anfang sprang mir eine Textstelle sofort ins Auge:

Direkte Verbindung zwischen den Gefühlen von Kindern und ihrem Verhalten

Wenn Kinder sich gut fühlen, verhalten sie sich entsprechend. Wie helfen wir ihnen, sich gut zu fühlen? Indem wir ihre Gefühle akzeptieren!

Ich lehnte mich zurück auf mein Kissen und schloss meine Augen. Hatte ich die Gefühle meiner Schüler akzeptiert? In meinem Kopf ließ ich einige der Gespräche, die ich in dieser Woche mit den Kindern geführt hatte, Revue passieren:

Schüler: Ich kann nicht schreiben.

Ich: Das stimmt nicht.

Schüler: Aber mir fällt nichts ein, über das ich schreiben kann.

Ich: Du schaffst das! Hör einfach auf zu nörgeln und fang an zu schreiben.

Schüler: Ich hasse Geschichte. Wen interessiert schon, was vor 100 Jahren passiert ist.

Ich: Es sollte dich interessieren. Es ist wichtig, die Geschichte deines Landes zu kennen.

Schüler: Es ist langweilig.

Ich: Nein, ist es nicht. Wenn du aufpassen würdest, würdest du es auch interessant finden.

Es war so ironisch. Ich war es doch, die den Kindern immer predigte, dass jeder ein Recht auf seine individuellen Meinungen und Gefühle habe. Aber in der Praxis, wies ich die Gefühle der Kinder jedes Mal zurück, wenn sie sich äußerten. Ich stritt mit ihnen. Ich sandte ihnen unterschwellig die Botschaft: „Es ist falsch von dir, so zu fühlen. Hör mir stattdessen zu.“

Ich setzte mich im Bett auf und versuchte mich zu erinnern. Hatten meine Lehrer das je mit mir gemacht?

Es gab dieses eine Mal in der siebten Klasse, als ich niedergeschlagen war wegen meiner ersten verhauenen Mathe-Arbeit und mein Lehrer versuchte mich aufzumuntern: „Es gibt nichts, über das du dich aufregen müsstest, Lisa. Es ist nicht so, dass du zu wenig Talent in Geometrie hättest. Du hast deine Fähigkeiten nur nicht genutzt. Du musst dich dazu entschließen, das zu tun. Dein Problem ist deine falsche Einstellung.“

Er hatte wahrscheinlich recht, und ich wusste, dass er es gut meinte, aber durch seine Worte fühlte ich mich dumm und unzulänglich. Nach einer Weile hörte ich ihm nicht mehr zu, beobachtete nur, wie sich sein Schnurrbart auf und ab bewegte, und wartete darauf, dass er fertig wäre, um von ihm wegzukommen. Ging es meinen Schülern auch so mit mir?

Während der nächsten Wochen versuchte ich sensibler auf die Gefühle meiner Schüler zu reagieren, um sie genau widerzuspiegeln:

„Es ist nicht einfach, ein Thema zu wählen, über das du schreiben möchtest.“

„Ich höre, welche Gefühle du dem Fach Geschichte entgegenbringst. Du fragst dich, wieso es überhaupt irgendjemanden interessieren sollte, was vor so langer Zeit geschehen ist.“

Es half. Ich konnte sofort sehen, dass die Kinder den Unterschied wahrnahmen. Sie nickten, sahen mir direkt in die Augen und erzählten mir mehr. Dann verkündete Alex eines Tages: „Ich möchte nicht in die Turnhalle gehen und niemand kann mich zwingen!“ Das war genug. Ich zögerte nicht eine Minute. In frostigem Ton antwortete ich: „Du gehst in die Turnhalle oder du gehst ins Direktorat!“

Wieso war es so schwer, die Gefühle von Kindern anzuerkennen? Beim Mittagessen stellte ich diese Frage laut und erzählte meiner Freundin Jessie und den anderen an meinem Tisch, was ich gelesen und worüber ich nachgedacht hatte.

Maria Estes, eine Laienlehrerin, verteidigte sogleich die Lehrer: „Es gibt so viele Kinder zu unterrichten“, sagte sie, „und so viel Stoff. Wie kannst du von dir erwarten, jedes kleine Wort abzuwägen?“

Jessie sah nachdenklich aus. Sie sagte: „Wenn die Erwachsenen in unserem Leben ihre Worte ein bisschen mehr abgewogen hätten, gäbe es vielleicht nicht so viel, was wir uns heute wieder abgewöhnen müssten. Sehen wir den Tatsachen ins Auge. Wir sind Produkte unserer Vergangenheit. Wir sprechen mit unseren Schülern so, wie unsere Eltern und Lehrer mit uns gesprochen haben. Selbst bei meinen eigenen Kindern zu Hause hat es mich viel Zeit gekostet, damit aufzuhören, immer nur die alten Sprüche zu wiederholen. Es war ein großer Schritt für mich von: ‚Das tut nicht weh. Es ist nur ein kleiner Kratzer‘, zu: ‚Ein Kratzer kann wehtun!‘“

Jan Martens, der Naturwissenschaften unterrichtete, sah verblüfft aus. „Verpasse ich da etwas?“, fragte er. „Ich erkenne nicht, worin der große Unterschied bestehen soll.“

Ich dachte angestrengt nach in der Hoffnung, mir würde ein Beispiel einfallen, das ihn den Unterschied erkennen lassen würde. Dann hörte ich Jessie sagen: „Jan, stell dir vor, du bist ein Teenager und du bist gerade in die Schulmannschaft aufgenommen worden bist – Basketball, Fußball, was auch immer.“

Jan lächelte. „Fußball“, sagte er.

„Okay“, sagte Jessie nickend, „jetzt stell dir vor, du gehst voller Begeisterung zum ersten Mal zum Training und dein Trainer nimmt dich zur Seite und sagt dir, dass du aus dem Team genommen wirst.“

Jan stöhnte.

„Ein bisschen später“, fuhr Jessie fort, „siehst du deine Klassenlehrerin auf dem Schulflur und erzählst ihr, was gerade passiert ist. Jetzt tu so, als wäre ich diese Klassenlehrerin. Ich werde auf deine Erfahrung auf unterschiedliche Weise reagieren. Notier mal, einfach nur so, wie sich dein inneres Kind nach jeder meiner Antworten fühlt.“

Jan grinste, nahm seinen Stift und griff nach einer Papierserviette, um darauf zu schreiben.

Hier folgen die verschiedenen Ansätze, die Jessie ausprobiert hat:

Verleugnen der Gefühle

„Du regst dich wegen nichts auf. Die Welt hört nicht auf, sich zu drehen, nur weil du nicht in irgendein Team gekommen bist. Vergiss es!“

Die philosophische Antwort

„Das Leben ist nicht immer fair, aber du musst lernen, mit Rückschlägen zu leben.“

Ratschlag

„Du kannst dich von solchen Sachen nicht herunterziehen lassen. Probiere es bei einem anderen Team!“

Fragen

„Wieso denkst du, hat er dich aus dem Team geworfen? Waren die anderen Spieler besser als du? Was wirst du jetzt tun?“

Verteidigung der anderen Person

„Versuch es aus der Perspektive des Trainers zu sehen. Er möchte ein Siegerteam aufstellen. Es muss schwer für ihn gewesen sein, zu entscheiden, wen er behält und wen nicht.“

Mitleid

„Oh, du armer Kerl. Du tust mir so leid. Du hast dich so angestrengt, ins Team zu kommen, aber du warst einfach nicht gut genug. Und alle anderen Kinder wissen jetzt darüber Bescheid. Bestimmt möchtest du tot umfallen vor Scham.“

Amateur-Psychoanalyse

„Hast du mal darüber nachgedacht, dass der wahre Grund dafür, dass du aus dem Team genommen wurdest, vielleicht der ist, dass du nicht mit ganzem Herzen bei der Sache warst? Ich denke, dass du auf einer unbewussten Ebene nicht im Team sein wolltest, deshalb hast du dich mit Absicht ungeschickt angestellt.“

Jan warf seine Hände empor. „Stopp! Genug. Ich verstehe, was du meinst.“

Ich fragte Jan, ob ich sehen dürfte, was er geschrieben hatte. Er schob mir die Serviette hinüber. Ich las laut:

„Sag mir nicht, wie ich mich fühlen soll.“

„Sag mir nicht, was ich tun soll.“

„Du verstehst mich überhaupt nicht.“

„Weißt du, was du mit deinen Fragen machen kannst ...?“

„Du ergreifst für jeden Partei, außer für mich.“

„Ich bin ein Loser.“

„Das war das letzte Mal, dass ich dir irgendetwas erzähle.“

„Du meine Güte“, sagte Maria. „Vieles von dem, was Jessie da gesagt hat, klingt wie das, was ich meinem Sohn Marco sage. Was könnte man also stattdessen tun?“

„Das Leid des Kindes anerkennen“, sagte ich schnell.

„Wie?“, fragte Maria.

Ich fand keine Worte. Ich sah Jessie hilfesuchend an. Sie wandte sich Jan zu und fixierte ihn mit ihrem Blick.

„Jan“, sagte sie, „zu erfahren, dass du aus der Mannschaft genommen wirst, obwohl du so sicher warst, dass du dabei sein würdest, muss ein großer Schock und eine große Enttäuschung für dich gewesen sein!“

Jan nickte. „Das stimmt“, sagte er, „es war ein Schock. Und es war eine Enttäuschung. Und kurz gesagt, es ist eine Erleichterung, dass endlich jemand diesen einfachen Umstand versteht.“

Wir alle hatten uns anschließend viel zu sagen. Maria bekannte, dass während ihrer Kindheit niemand auf ihre Gefühle geachtet hatte. Jan fragte: „Wie sollen wir unseren Schülern geben, was wir selbst nie erfahren haben?“

Wir brauchten eindeutig mehr Übung, wenn wir uns mit dieser neuen Art, auf die Kinder einzugehen, wohlfühlen wollten. Ich meldete mich freiwillig dazu, einige Beispiele dafür zu sammeln, wie wir in der Schulumgebung Gefühle anerkennen könnten. Hier folgt in Comicform, was ich ausgearbeitet und meinen Mittagspausenfreunden ein paar Tage später mitgebracht habe:

Statt Gefühle zu verleugnen

Wenn Gefühle verleugnet werden, kann ein Schüler leicht entmutigt werden.

Drücken Sie die Gefühle mit Worten aus

Wenn negative Gefühle erkannt und akzeptiert werden, fühlt sich ein Schüler dazu ermutigt, sich weiter zu bemühen.

Statt Kritik und Ratschlägen

Der Lehrer meint es gut, aber wenn ein Schüler von Kritik und Ratschlägen überwältigt wird, findet er es schwierig, über sein Problem nachzudenken oder Verantwortung dafür zu übernehmen.

Erkenne Gefühle mit einem Wort oder einem Geräusch an („Oh“ oder „Mmm“ oder „Ah“ oder „Verstehe“)

Indem wir auf die Nöte eines Schülers mit Anteilnahme und einem gelegentlichen bestätigenden Nicken oder „Grunzen“ reagieren, geben wir ihm die Freiheit, sich auf sein Problem zu konzentrieren und es möglicherweise zu lösen.

Statt vernünftiger Argumente und Erklärungen

Es ist frustrierend, wenn ein Schüler nicht auf „Argumente“ anspricht. Was können wir stattdessen tun? Gibt es eine bessere Möglichkeit, Schülern zu helfen, ihren Widerstand gegen eine Aufgabe zu überwinden?

Gib dem Kind in der Fantasie, was du ihm in der Realität nicht geben kannst

Wenn wir die Wünsche eines Schülers in der Fantasie ausdrücken, machen wir es ihm leichter, mit der Realität umzugehen.

Statt Gefühle zu ignorieren

Es ist schwer für Kinder, ihr Verhalten zu verändern, wenn ihre Gefühle völlig ignoriert werden.

Akzeptiere Gefühle, selbst während du inakzeptables Verhalten unterbindest

Es ist einfacher für Kinder, ihr Verhalten zu ändern, wenn ihre Gefühle akzeptiert werden.

Jan sah sich die Zeichnungen an und schüttelte den Kopf. „Theoretisch klingt das alles wunderbar, aber mir scheint das nur eine weitere Forderung an die Lehrer zu sein. Wo sollen wir die Zeit hernehmen, um uns um die Gefühle der Schüler zu kümmern?“

Jessie blinzelte. „Du nimmst dir die Zeit“, sagte sie. „Komm früher zur Schule, geh später, schling dein Essen in der Pause hinunter und vergiss die Toilettenpausen.“

„Ja“, fügte Jan hinzu, „und irgendwo zwischen Unterrichtsvorbereitung, Klassenarbeiten korrigieren, Tafelbilder entwickeln und Konferenzen vorbereiten – und nebenbei vielleicht ein bisschen unterrichten – machen wir uns Sorgen darüber, wie sich unsere Schüler fühlen oder wie wir ihnen in der Fantasie geben können, was sie in der Realität nicht haben.“

Als ich Jan zuhörte, dachte ich mir: „Vielleicht ist es zu viel von den Lehrern verlangt.“

Es war, als hätte Jessie meine Gedanken gelesen. „Ernsthaft“, sagte sie, „ich weiß, dass es viel von den Lehrern verlangt ist, aber ich weiß auch, wie wichtig es für Kinder ist, sich verstanden zu fühlen. Es ist einfach eine Tatsache, dass sich Schüler nicht konzentrieren können, wenn sie verärgert sind. Und sie können natürlich kein neues Material aufnehmen. Wenn wir ihren Kopf frei machen wollen, damit sie denken und lernen können, dann müssen wir respektvoll mit ihren Emotionen umgehen.“

„Und nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause“, ergänzte Maria nachdrücklich.

Wir sahen sie alle an. „Als ich etwa neun Jahre alt war“, erklärte sie, „zog meine Familie um, und ich musste auf eine neue Schule gehen. Meine neue Lehrerin war sehr streng.

Immer wenn sie mir einen Mathetest zurückgab, den ich geschrieben hatte, waren alle meine falschen Antworten mit großen schwarzen X ausgestrichen. Ich musste ihr den ausgefüllten Test immer und immer wieder ans Pult bringen, bis ich es richtig gemacht hatte.

Ich war so nervös in ihrem Unterricht, dass ich nicht mehr denken konnte. Manchmal habe ich sogar versucht, die Lösungen von anderen Kindern abzuschreiben. In der Nacht vor einem Test hatte ich immer Bauchweh. Ich sagte: ‚Mama, ich habe Angst.‘ Und sie sagte: ‚Es gibt nichts, wovor du Angst haben musst. Gib einfach dein Bestes.‘ Und mein Vater sagte: ‚Wenn du gelernt hättest, müsstest du keine Angst haben.‘ Da fühlte ich mich sogar noch schlechter.“

Jan sah sie fragend an. „Angenommen, deine Mutter oder dein Vater hätte gesagt: ‚Du klingst sehr besorgt über den Test, Maria.‘, hätte das einen Unterschied gemacht?“

„Oh ja!“, rief Maria aus. „Denn dann hätte ich ihnen von den schwarzen X erzählen können und davon, wie peinlich es war, die Aufgaben vor der ganzen Klasse wieder und wieder machen zu müssen.“

Jan war immer noch skeptisch. „Und das hätte gereicht, um dich weniger ängstlich zu fühlen und besser in Mathe zu werden?“

Maria hielt inne. „Ich denke schon“, sagte sie langsam. „Denn wenn meine Eltern auf meine Sorgen gehört hätten und ich darüber erzählen hätte dürfen, dann hätte ich, denke ich, mehr Mut gehabt, am nächsten Tag in die Schule zu gehen, und mehr Motivation, mich anzustrengen.“

Ein paar Tage nachdem dieses Gespräch stattgefunden hatte, kam Maria mit breitem Lächeln zurück und zog ein kleines gefaltetes Papier aus ihrer Geldbörse. „Ich möchte, dass ihr ein paar von den Sachen hört, die meine eigenen Kinder diese Woche zu mir gesagt haben. Danach, müsst ihr alle raten, was ich nicht zu ihnen gesagt habe. Das erste Zitat ist von meiner Tochter Alina.“ Maria entfaltete ihren Zettel und las: „Mama, mein Sportlehrer hat mich Runden laufen lassen, weil ich mich nicht schnell genug umgezogen habe, und alle haben mir zugeschaut.“

Jan antwortete sofort: „Du hast nicht gesagt: ‚Was hast du von deinem Lehrer erwartet? Dass er dich lobt? Dass er dir eine Medaille fürs Langsamsein gibt?‘“

Alle am Tisch lachten. Maria sagte: „Jetzt kommt mein Sohn Marco: ‚Mama, sei nicht wütend. Ich habe meine Handschuhe verloren.‘“

„Der gehört mir“, sagte Jessie. „Was? Das ist das zweite Paar Handschuhe, das du diesen Monat verloren hast. Denkst du wir haben einen Geldesel? Wenn du in Zukunft deine Handschuhe ausziehst, steck sie in die Tasche. Und bevor du aus dem Bus aussteigst, sieh auf den Sitzen und dem Boden nach, ob du sie nicht verloren hast.“

„Moment mal. Was ist daran falsch?“, fragte Jan. „Du bringst ihm Verantwortungsbewusstsein bei.“

„Es ist der falsche Zeitpunkt“, sagte Jessie.

„Wieso?“

„Wenn jemand am Ertrinken ist, ist nicht der richtige Zeitpunkt, ihm Schwimmunterricht zu erteilen.“

„Hmmm“, sagte Jan. „Darüber muss ich nachdenken ... Okay, du bist dran, Lisa“, verkündete er und zeigte auf mich. Maria sah auf ihren Zettel und sagte: „Das ist auch von Alina: ‚Ich weiß nicht, ob ich noch weiter im Orchester bleiben will.‘“

Ich legte sofort los: „Nachdem wir so viel Geld für deine Geigenstunden bezahlt haben, sprichst du davon, aufzuhören! Dein Vater wird sehr wütend werden, wenn er das hört.“

Maria sah uns verblüfft an. „Wie könnt ihr alle wissen, was ich fast gesagt hätte?“

„Das war einfach.“, sagte Jessie. „Das haben unsere Eltern zu uns gesagt, und ich erwische mich immer noch dabei, diese Dinge selbst zu meinen Kindern zu sagen.“

„Maria“, sagte Jan, „spann uns nicht auf die Folter. Was hast du deinen Kindern gesagt?“

„Nun“, antwortete Maria stolz, „als Marco seine neuen Handschuhe nicht finden konnte, habe ich es ihm nicht vorgehalten. Ich sagte: ‚Es kann sehr ärgerlich sein, etwas zu verlieren ... Denkst du, du könntest deine Handschuhe im Bus liegen gelassen haben?‘ Er starrte mich an, als könne er seinen Ohren nicht trauen, und sagte er würde morgen früh den Busfahrer fragen, ob er sie gefunden hätte.

Und als Alina sagte, der Lehrer habe sie vor allen Runden laufen lassen, sagte ich: ‚Das muss ganz schön peinlich gewesen sein.‘ Sie antwortete: ‚Ja, war es‘, und wechselte dann das Thema, was nicht ungewöhnlich für sie ist, weil sie mir nie erzählt, was los ist.

Aber die große Überraschung kam später. Nach ihrer Musikstunde sagte sie: ‚Ich weiß nicht, ob ich weiter im Orchester bleiben will.‘ Ihre Worte verschlugen mir fast den Atem, aber ich antwortete: ‚Also: ein Teil von dir will im Orchester bleiben und ein Teil will es nicht.‘ Sie wurde sehr still. Dann fing sie an zu reden, und es kam alles heraus. Sie sagte mir, dass sie gerne spiele, aber dass die Klassenarbeiten so viel ihrer Zeit beanspruchten, dass sie ihre Freundinnen gar nicht mehr sehe. Jetzt riefen sie nicht einmal mehr an und vielleicht seien sie gar nicht mehr ihre Freunde. Dann fing sie an zu weinen und ich hielt sie.“

„Oh, Maria“, sagte ich tief berührt von ihrer Erfahrung.