Wild Souls - Mit dir für immer - T. M. Frazier - E-Book

Wild Souls - Mit dir für immer E-Book

T. M. Frazier

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Unsere Liebe wird nicht vorübergehen. Sie ist die Art von Liebe, die ein Teil von dir selbst wird

Sawyer Dixon wollte nur eins: weit weg noch einmal von vorn anfangen! Und als sie Finn Hollis kennenlernt, scheint dieser Traum in Erfüllung zu gehen. Noch nie war Sawyer so glücklich, noch nie fühlte sie sich so frei wie mit Finn. Doch als sich herausstellt, dass Finn mehr über Sawyers Vergangenheit weiß, als ihr lieb ist, merkt sie, dass sie nicht länger davonlaufen kann, wenn sie eine gemeinsame Zukunft mit ihm haben will. Auch wenn das bedeutet, sich ein letztes Mal all dem zu stellen, was sie für immer vergessen wollte ...

"Ein wunderschönes Ende von Sawyers und Finns Geschichte!" BENEATH THE COVERS BLOG

Abschlussband der "Outskirts"-Reihe von USA-TODAY-Bestseller-Autorin T. M. Frazier

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 281

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmungProlog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. KapitelEpilogDanksagungDie AutorinDie Romane von T. M. Frazier bei LYXImpressum

T. M. FRAZIER

Wild Souls

Mit dir für immer

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anja Mehrmann

Zu diesem Buch

Ein alter Wohnwagen und ein kleines Stück Land im Nirgendwo von Florida waren alles, was Sawyer Dixon nach dem Tod ihrer Mutter geblieben ist. Dennoch brach sie auf ins Ungewisse – und ihr Mut wurde tausendfach belohnt. In Outskirts findet sie nicht nur das Zuhause, nach dem sie sich ihr Leben lang gesehnt hat. Als sie Finn Hollis kennenlernt, scheint auch ihr Traum vom Neuanfang wirklich in Erfüllung zu gehen. Noch nie war Sawyer so glücklich, noch nie fühlte sie sich so frei wie an Finns Seite. Doch gerade als Sawyer denkt, alles hinter sich gelassen zu haben, droht ihre Vergangenheit sie erneut einzuholen. Und als sich herausstellt, dass Finn scheinbar mehr über Sawyers altes Leben weiß, als ihr lieb ist, merkt sie, dass sie nicht länger davonlaufen kann. Zumindest nicht, falls sie eine gemeinsame Zukunft mit ihm haben will. Auch wenn das bedeutet, dass sie sich ein letztes Mal all dem stellen muss, was sie für immer vergessen wollte …

Für Logan & Charley

Ich liebe euch.

Heftig. Besitzergreifend. Wahnsinnig.

Für immer.

Für Sara Burch

Schlaf gut, meine Freundin

PROLOG

Die Liebe.

Ist nicht logisch.

Sie wird nicht auf Verlangen größer oder kleiner.

Sie überrascht. Gibt niemals auf.

Die Liebe kann deine beste Freundin oder deine größte Feindin sein.

Sie entschuldigt sich nicht, wenn sie die Lüge der Vergebung frisst.

Die Liebe nimmt den Kampf gegen die ganze Welt auf, selbst wenn keine Aussicht auf Sieg besteht.

Sie ist die Ausrede und der Grund.

Das Opfer und die Belohnung.

Der Schmerz und die Enttäuschung.

Liebe.

Der ultimative Verrat.

1. KAPITEL

SAWYER

Meine Mutter stand nur wenige Meter von mir entfernt.

Meine Mutter.

Lebendig. Atmend.

Es verschlug mir die Sprache, und in meinem Gehirn überschlugen sich die möglichen Erklärungen, aber keine einzige ergab auch nur annähernd einen Sinn.

Ich meine, das hier sah ihr ähnlich. Aber andererseits auch wieder nicht. Es war etwas in ihren Augen oder vielleicht im Gegenteil: etwas, das nicht in ihren Augen war.

Zaghaft schlurfte sie einen Schritt auf mich zu, und da ich nicht wusste, wie man sich zu verhalten hat, wenn einen ein Gespenst berühren will, wich ich vor ihr zurück und warf dabei den Stuhl hinter mir um. Beinahe wäre ich selbst zu Boden gegangen.

Ich befand mich in einem alternativen Universum. Das musste es sein. Eines, in dem Menschen von den Toten auferstanden. Das hier konnte nicht wirklich passieren. Vielleicht träumte ich ja. Oder der Whiskey war schuld.

Fassungslosigkeit, Zweifel und äußerste Verwirrung quollen in meinen Eingeweiden zu einem zähen Brei auf, drückten mein rasendes Herz nach oben und stiegen mir in die zugeschnürte Kehle.

Ich befürchtete, dass meine Mutter verschwinden würde, sobald ich blinzelte. Ich befürchtete, dass sie nicht verschwinden würde, wenn ich nicht blinzelte.

Ich konnte nichts anderes tun, als mit offenem Mund diese Frau anzustarren, die aussah wie meine Mutter und sich auch genauso anhörte. Aber … sie konnte es nicht sein.

Oder?

»Das ist doch nicht möglich«, flüsterte ich schockiert. »Das kann einfach nicht sein.« Ich schüttelte den Kopf und fragte mich, ob ich vor oder nach meiner Ankunft in Outskirts den Verstand verloren hatte.

»Doch, es ist möglich. Sie ist tatsächlich hier.« Critters tiefer Bariton wirkte normalerweise beruhigend auf mich. Er war sozusagen das stimmliche Pendant zu Aloe Vera. Aber egal, was er in jenem Augenblick gesagt hätte – meine nassgeschwitzten Hände hätten in jedem Fall gezittert.

»Das hier ist kein Traum, Sawyer. Sie ist hier. Sie ist so lebendig wie du und ich.« Als ich Critter anblickte, sah ich, dass er mich musterte und meine Reaktion einzuschätzen versuchte. »Ich habe deiner Mutter gesagt, dass sie warten soll, bis sie wieder bei Kräften ist«, fuhr er fort, »aber sie wollte dich unbedingt sehen. Und weil sie heute Morgen vollkommen klar war, konnte ich es ihr nicht ausreden.«

Eine große, kräftige Frau mit breiten Schultern und kurzem schwarzem Haar tauchte neben meiner Mutter auf. Ihr finsterer Blick passte nicht zu ihrem pinken, mit großen Smileys bedruckten Schwesternkittel. »Das hier tut ihr nicht gut, Mr. Critter«, sagte die Frau. »Ich muss sie wieder ins Haus zurückbringen.«

In diesem Augenblick fiel mir auf, dass meine Mutter erstarrt war, kaum dass sie meinen Namen ausgesprochen hatte. Ihr ausdrucksloser Blick war auf die Wand hinter mir gerichtet.

»Nein, warten Sie!«, rief ich. Auf einmal war meine Angst, sie vielleicht nie mehr wiederzusehen, größer als die Furcht, ein Gespenst zu berühren. Und was, wenn sie tatsächlich ein Gespenst war? Wenn ich all das nur träumte? Es spielte keine Rolle. Sie war immer noch meine Mutter, und ich konnte sie nicht loslassen. Noch nicht. Nicht einmal im Traum.

Ich umarmte sie, und zu meiner großen Überraschung berührte ich weiche, warme Haut.

Schlaff, wie leblos baumelten die Arme neben ihrem Körper. »Mein Mädchen«, flüsterte sie.

Ich ließ meine Mutter los und sah das schwache Lächeln auf ihren Lippen. So schnell, wie es erschienen war, verschwand es wieder, und ihr Mund bildete erneut eine Linie.

»Was stimmt hier nicht?«, fragte ich mit erstickter Stimme. Mutter schwieg. An Critter gewandt, wiederholte ich meine Frage, energischer jetzt: »Was stimmt nicht mit ihr?«

»Kommen Sie. Es ist Zeit zu gehen«, sagte die Krankenschwester. Sie hob meine Mutter hoch und wiegte sie in ihren Armen, als wäre sie so leicht wie ein kleines Kind.

»Was hätte ich denn tun sollen, Maddy? Soll ich sie an das gottverdammte Bett fesseln?«, fragte Critter die Pflegerin. »Ach, ich konnte ihr noch nie etwas abschlagen«, brummte er und rieb sich die Schläfen.

»Verdammt noch mal, was ist hier los?«, fragte ich noch einmal und blickte zwischen der Krankenschwester und Critter hin und her. Ich machte einen Schritt zurück, während mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf rasten. Mir wurde schwindelig; um nicht hinzufallen, hielt ich mich an einem Tisch fest. »Wie ist das möglich?«

Meine Mutter stöhnte, und die Pflegerin trug sie zur Hintertür hinaus. Critter und ich folgten den beiden dichtauf. Wir sahen zu, wie die Schwester meine Mutter in einen wartenden Transporter setzte und sie fachkundig auf dem Sitz festschnallte.

Critter näherte sich der offen stehenden Wagentür, und die Pflegerin trat beiseite, um ihm Platz zu machen. Liebevoll strich er meiner Mutter mit einer Hand über die Wange. »Alles ist gut. Wir bringen dich jetzt nach Hause, und dann kannst du dich ausruhen.«

Meine Mutter schwieg noch immer. »Ich sehe später nach dir, Liebste.« Critter gab ihr einen Kuss auf die Stirn, seufzte, drehte sich wieder zu Maddy und sagte: »Bringen Sie sie nach Hause. Ich komme bald nach.« Vorsichtig schloss er die Tür und klopfte zum Abschied ans Fenster. Er sah zu, wie der Transporter davonfuhr, und er blickte ihm noch lange nach, als er bereits außer Sicht war.

»Wohin fährt sie mit ihr?«, fragte ich. Panik überkam mich bei dem Gedanken, dass ich nicht wusste, wohin die Frau meine Mutter bringen würde. »Wo ist zu Hause?«

»Damit ist mein Haus gemeint«, antwortete Critter, stellte jedoch gleich darauf richtig: »Unser Haus.« Er kratzte sich am Kopf, dann drehte er sich endlich zu mir um. »Da, wo sie immer schon hingehört hat.«

Wo sie immer schon hingehört hat.

Critter legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich fuhr zusammen, als wollte er mich nicht trösten, sondern mir einen Elektroschock verpassen. Betreten blickte er auf den Boden. »Ich weiß, dass du viele Fragen hast …«, setzte er an.

»Fragen?«, gab ich zurück, und ohne es zu merken, begann ich zu lachen. Ein schrilles, scheußliches Lachen, ein tierisches Geräusch, wie man es nachts manchmal hört, ohne genau sagen zu können, von welchem Tier es stammt. »Fragen ist reichlich untertrieben.«

»Tut mir leid, dass ich es dir nicht von Anfang an gesagt habe«, fuhr Critter fort, ohne meinem Ausbruch Beachtung zu schenken. »Aber deiner Mutter ging es dreckig, und ich wollte nicht, dass du zweimal um sie trauern musst, falls die Sache … falls sie … ach, verdammt.« Er atmete tief durch. »Ich habe nie darüber nachgedacht, in welchem Zustand sie bei ihrer Rückkehr sein würde. Ich war dumm genug zu glauben, dass sie einfach der Mensch sein würde, der sie vorher gewesen war. Ich hätte es besser wissen müssen. Man verbringt nicht zwei Jahrzehnte mit einem Mann wie Richard Dixon und kommt am Ende heil davon.« Er blickte mich an und zuckte zusammen, als ihm klar wurde, was er gerade gesagt hatte. »Tut mir leid, ich wollte nicht … äh … deine …«

»Du musst dich nicht entschuldigen. Das ist sowieso das Einzige, was für mich im Augenblick irgendeinen Sinn ergibt. Tatsächlich kann niemand zwanzig Jahre mit so einem Menschen verbringen und dabei gesund bleiben.« Zitternd atmete ich durch und fuhr fort: »Das weiß ich nur zu gut. Aber bitte, sag mir eins: Was ist los mit ihr? Und warum ist sie hier?«

»Wie sich herausgestellt hat, leidet deine Mutter an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Davon sind auch viele Soldaten betroffen, wenn sie vom Gefechtseinsatz heimkehren. Und ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass das, was deine Mutter durchgemacht hat, ein gottverdammter Krieg war. Anfangs war sie sehr still, aber es ging ihr verhältnismäßig gut. Sie hat oft nach dir gefragt. Mitten in der Nacht hat sie nach dir gerufen, immer wieder. Als wir ihr sagten, dass du hier und in Sicherheit bist, stürzten alle Mauern ein, die sie um ihr Inneres errichtet hatte, und das ungeheure Ausmaß der Sache überrollte sie wie eine verdammte Flutwelle.«

»Wird sie wieder gesund?«, fragte ich.

Critters Augen wurden feucht. Er atmete tief durch und erklärte: »Das muss sich erst noch zeigen. Sie bekommt Hilfe. Aber sie hat so ihre Momente. Manchmal pendelt sie zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit hin und her, und dann glaubt sie, es sei zwanzig Jahre früher.«

»Du hast mich angelogen!«, platzte ich heraus. Ich bereute die Worte, sobald sie mir über die Lippen gekommen waren. Dass Critter mich belogen hatte, war die geringste meiner Sorgen, doch aus irgendeinem Grund hatte mein Verstand diese Tatsache an die erste Stelle gesetzt.

»Ja, das habe ich«, räumte er ein. Es war keine Entschuldigung. In seiner Stimme lag kein Bedauern. »Aber falls es dir irgendwie hilft: Ich weiß, wie du dich fühlst. Auch ich habe geglaubt, sie sei tot. Ich dachte, sie hätte mich verlassen, und er hätte sie umgebracht.« Critter ballte die Fäuste, dann öffnete er sie wieder. »Heute weiß ich, dass er mich genau das glauben lassen wollte. Deine Mutter dachte dasselbe. Dass ich tot sei. Erst als ich von ihr geträumt habe, hatte ich irgendwie das Gefühl, dass sie noch lebt. Ich habe einen Suchtrupp losgeschickt. Ein paar Veteranenfreunde von mir, die auf solche Sachen spezialisiert sind. Erst konnten sie nichts finden, aber dann haben sie den Wohnwagen und den Pick-up in einem Lagerhaus in North Carolina entdeckt. Auf diese Weise ließ sich ihre Spur zurückverfolgen. So habe ich herausgefunden, wo deine Mutter war.«

»Sie hat ihren eigenen Tod vorgetäuscht?«, fragte ich. Irgendwie klang das falsch. Sie hatte mir diesen Schuhkarton hinterlassen. Den Brief. Den Pick-up und den Wohnwagen. All das ergab praktisch das Eingeständnis, dass sie vorhatte, sich das Leben zu nehmen.

Critter blickte auf den Boden und scharrte mit den Füßen. »Nein, sie hat ihren Tod nicht vorgetäuscht. Wir haben das getan. Sie wusste nichts davon. Sie wusste nicht mal, dass ich noch lebe.«

»Aber warum hat sie mir dann einen Brief geschrieben, in dem sie sich dafür entschuldigt, dass sie sich umgebracht hat? Das ergibt doch gar keinen Sinn.«

Critter zitterte, als hätte ihm jemand einen Eiswürfel in den Hemdkragen gesteckt. »Der Plan war, euch beide da rauszuholen, aber an dem Tag, als wir ihn in die Tat umsetzen wollten, habe ich deine Mutter aus der Ferne beobachtet. Ich habe darauf gewartet, dass ihr die Straße überquert. Aber sie war allein. Irgendetwas stimmte nicht. Sie war nicht einfach nur traurig. Da war noch etwas anderes. Es lag etwas Endgültiges in der Art, wie sie den Verkehr auf der Straße beobachtete. Also holte ich mein Funkgerät heraus und setzte mich mit den Jungs in Verbindung. Und wir ließen es so aussehen, als hätte sie ihr Vorhaben in die Tat umgesetzt. Haben ein paar nicht ganz so ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft für uns arbeiten lassen. Bis zum Sonntag hatten sie jeden Einzelnen in dieser verdammten Kleinstadt bestochen, sodass deine Mutter in jeder Hinsicht tot war, nur nicht in der einzigen, die wirklich zählt – das heißt, dass sie nach wie vor atmete.«

»Aber das ist doch … das ist ja verrückt!«

»Stimmt«, nickte Critter und zündete sich eine Zigarre an. »Wir hatten vor, ein paar Tage später noch mal zurückzukommen und dich zu holen. Ich hätte dich niemals dort zurückgelassen, das musst du mir glauben. Aber du warst bereits verschwunden. Als du damals bei mir in der Kneipe aufgetaucht bist, habe ich fast einen Herzinfarkt bekommen.«

»Und die ganze Zeit, die ich hier in Outskirts verbracht habe, war sie … war sie etwa von Anfang an hier?«, flüsterte ich.

Critter nickte, ohne den Blick abzuwenden. Seine Stirn war zerfurcht, die Linien in seinem Gesicht hatten sich zu Falten vertieft.

»Und … du hast dich um sie gekümmert?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte.

Erneut ein kurzes Nicken.

Auf einmal empfand ich ein überwältigendes Bedürfnis nach Sauerstoff. Mir wurde eng um die Brust. Meine Kehle war trocken. Ich konnte nicht schlucken, etwas schien mir in der Luftröhre zu stecken. Ich rieb mir die Arme, als könnte ich damit das Unbehagen und die Verwirrung vertreiben, die meinen ganzen Körper erfasst hatten. Mir war erst kalt, dann wurde mir plötzlich heiß. Und übel.

Überfordert und benommen schnappte ich nach Luft.

Ich musste da raus. Verschwinden. Weggehen … irgendwohin. An einen weniger verwirrenden Ort. Egal, wohin.

Ohne ein weiteres Wort machte ich auf dem Absatz kehrt und stürmte aus der Kneipe. Ich rannte in den einsetzenden Regen hinaus.

Eigentlich hätte ich glücklich sein müssen, weil meine Mutter noch lebte, und das war ich auch, aber irgendetwas verhinderte, dass mich dieses Gefühl vollständig erfasste. Tiefe Verletztheit. Verrat.

Ich rannte immer schneller. Der Regen wurde stärker, klatschte bei jedem Schritt fast schmerzhaft auf meine Haut.

Vor Gewitter hatte ich mich immer gefürchtet. Vor Donner. Regen. Blitz. Und vor Wind. Dann brachte Finn mir bei, wie ich diese Angst überwinden und die Schönheit in einem Phänomen sehen konnte, das oftmals so hässlich und grausam erschien.

Und während der Regen weiterhin vom Himmel fiel und mich bis auf die Haut durchnässte, weckte er keine Erinnerungen in mir. Er rief weder Angst noch irgendein anderes Gefühl in mir wach.

Es war einfach nur Regen. Nichts als Wasser.

Denn meine Mutter lebte.

2. KAPITEL

SAWYER

Finn ragt im Bett über mir auf, sein Körper presst sich auf köstliche Art an meinen. Die Hitze seiner Brust wärmt mir Herz und Haut. Sein blondes Haar ist zerzaust. Ein dünner Schweißfilm bedeckt seine leicht gebräunte Haut. Seine definierten Schultermuskeln sind stark angespannt.

Ich streichele sein stoppeliges Kinn, und er schließt die Augen, als gäbe es außer meiner Berührung nichts anderes auf der Welt, und in diesem Augenblick fühlt es sich auch so an. Aus schönen, strahlend blauen Augen blickt er auf mich herab, sieht mir so tief in die Augen, dass er meine Seele berührt, als er zum ersten Mal in mich eindringt. Mein Körper fängt Feuer, und er stöhnt, zieht sich zurück und dringt wieder in mich ein. Er küsst mich, nimmt meine Lippen in sich auf, als drohte er zu verdursten, während ich seinen Namen in seinen Mund stöhne und unsere Zungen sich begegnen.

»Ich liebe dich«, flüstert er.

Ich zittere. Vor Glück. Vor Erwartung. Er ist alles, was ich je gebraucht habe, das weiß ich jetzt. Mein Herz weitet sich, und mein Inneres zieht sich um ihn zusammen, während er härter und tiefer in mich hineinstößt.

Ich bin kurz davor. Die Erregung ist nahezu schmerzhaft, und jedes erneute Eindringen vergrößert mein Verlangen.

Finn bewegt sich immer schneller in mir. Stößt härter zu, erbarmungsloser. Als ich gerade vom Abgrund in die Erlösung stürzen will … ist er weg. Das Bett ist weg. Ich stehe jetzt hinter einer vertrauten Menschenmenge in einer noch vertrauteren Umgebung. Ein Ort, an dem ich von Anfang an nicht sein wollte.

»Die Ehe ist das heiligste Versprechen, das wir einander geben können. Die Familie kommt gleich nach Gott selbst«, predigt der Reverend hinter seinem Lügenpult. Der Sarg meiner Mutter steht vor mir und bildet den Mittelpunkt meiner Wahrnehmung.

Ich bin wieder auf ihrer Beerdigung.

Aber etwas ist anders.

Falsch.

Alle lächeln. Sie blicken über die Schulter zurück, als warteten sie auf etwas.

Finn kommt in Sicht, und sofort bin ich erleichtert. Ich atme durch. Er ist so attraktiv wie immer, trägt aber einen dunkelgrauen Anzug mit passender Krawatte. In seinen Augenwinkeln bilden sich Fältchen, während sein Lächeln immer breiter wird. Ich habe Schmetterlinge im Bauch. Er schreitet den Gang hinunter, und als er näher kommt, bemerke ich, dass er mich nicht ansieht. Er sieht durch mich hindurch.

Finn geht an mir vorbei und bleibt hinter dem Rednerpult stehen, gleich neben dem Reverend, der ihm eine Hand auf die Schulter legt.

Was macht er hier? Was ist nur los?, frage ich mich. Als ich an mir hinunterblicke, stelle ich fest, dass ich wieder einen langen Rock und eine unförmige graue Bluse trage.

Ich versuche, einen Schritt nach vorn zu machen und nach ihm zu greifen, aber ich kann nicht. Ich stehe da wie angewurzelt. Ich will seinen Namen rufen, aber kein Laut kommt mir über die Lippen. Er hört mich nicht. Er konzentriert sich auf etwas anderes weiter vorn in der Mitte des Ganges.

Auf jemand anders.

Eine schöne Frau mit perfektem, blondem Haar und einem strahlend weißen Lächeln erscheint. Sie trägt ein langes weißes Brautkleid. Eine Träne rollt ihr über die Wange, als sie den Arm nach Finn ausstreckt, der sie bei der Hand nimmt. Sie haben nur Augen füreinander.

»Wir sind hier vor Gott versammelt, um Finn Hollis und Jacqueline Watson …«

Jackie.

Den Rest höre ich mir nicht mehr an. Ich kann nicht. Ich kann nicht einmal atmen. Meine Brust fühlt sich so eng an, als wäre mir jemand draufgesprungen.

Erneut versuche ich nach ihm zu rufen, aber es funktioniert nicht. Sie hören mich nicht. Zumindest Finn nicht. Jackie blickt zu mir herüber; ganz langsam dreht sie den Kopf zu mir.

Sie zwinkert mir zu.

Ich keuche auf und schiebe mich rückwärts aus dem Zelt. Werfe unterwegs Stühle um. Stolpere auch diesmal über einen Grabstein, aber als ich mich darauf abstütze, um den Sturz abzufangen, lese ich den Namen auf dem Stein.

Es ist meiner.

Ich drehe mich um und renne weg. Immer schneller springe ich über Grabsteine, bis sie sich in Bäume verwandeln und die Erde unter meinen Füßen sumpfig wird.

Ich bin außer Atem, aber ich setze mich über das schmerzhafte Brennen in meiner Lunge hinweg. Heiß strömt mir die Luft durch die Kehle, als ich durch den Mund atme, um so viel Sauerstoff wie möglich aufzunehmen, damit ich weiterrennen kann.

Ich muss weiterlaufen.

Ich höre das Echo der Schritte, die mir folgen.

Ich bin nicht allein.

Ich renne schneller. Das Gestrüpp wird immer dicker, bis sich mein langer Rock an einem Ast verfängt und mich ausbremst. Ich falle nach vorn auf den Boden. Meine Handflächen brennen, als ich meinen Sturz an einem Baumstamm abzufangen versuche. Meine Zähne vibrieren wie eine Stimmgabel, weil ich mit dem Kinn auf dem Erdboden gelandet bin.

Ich drehe mich um und reiße an meinem Rock, will ihn aus dem Gestrüpp befreien, an dem er hängen geblieben war, aber plötzlich verwandeln sich die Dornen an dem Ast, der mich gefangen hält, in Finger. Die Finger werden immer länger, die Blüten werden zu Händen, die Äste zu Armen. Albtraumhafte Blüten aus Fleisch. Hunderte davon greifen nach mir, und ich rutsche über den weichen Erdboden, versuche aufzustehen, zu entkommen.

Ich knöpfe mir den Rock auf und schiebe ihn mir über die Schenkel hinunter, aber es ist zu spät. Die Hände drücken mich bereits zu Boden. Kämpfen ist zwecklos. Ich sitze in der Falle, mein Kopf ist umfangen von menschlichen Fingerblüten.

Ich will schreien, denn wie aus dem Nichts tauchen immer mehr Finger auf, umfassen meinen Körper und drücken mich hinunter wie eine Verrückte auf ihre Krankentrage, aber auch jetzt herrscht Stille.

Durch einen schmalen Spalt zwischen meinen Fingern sehe ich die Beine des Menschen, der mich gejagt hat. Er bleibt stehen.

Plötzlich legt sich eine Hand über meinen Mund.

Dann über meine Nase.

Ich bekomme keine Luft, als ich die Person endlich vollständig sehen kann.

Mutter.

Sie blickt auf mich herab, schüttelt den Kopf und grinst. Neben mir kniend, fängt sie lautlos an zu lachen. Ihr Mund ist weit geöffnet, ihre Schultern beben.

Ich frage mich, ob ich sie nicht höre, weil sie mir die Ohren zuhält.

Oder weil ich bereits tot bin.

3. KAPITEL

FINN

Nachdem die Leute von der Kirche angekommen waren, beobachtete ich sie den ganzen Nachmittag dabei, wie sie ihr Zelt aufbauten und die Wagen entluden.

Ich schnappte mir mein Boot. Als ich nah genug herangekommen war, stellte ich den Motor ab und ruderte unter eine Böschung, wo ich still sitzen blieb und die Arbeiter belauschte, die den Zeltgottesdienst vorbereiteten. Im Grunde hatte ich nur gehört, wie sie einander Anweisungen zuriefen. Als ich gerade verschwinden wollte, erklangen über mir die Stimmen zweier Männer, die, knapp einen Meter über meinem Kopf, am Rand der Böschung entlangliefen. In Hockstellung drückte ich mich so nah wie möglich an die schlammige Wand aus Erde.

»Wer verkündet denn in dieser Saison das Wort des Herrn?«, fragte ein Mann den anderen. Ich spitzte die Ohren, und mein Herzschlag beschleunigte sich.

»Ich glaube, sie schicken Pfarrer Young, weil Pfarrer Dixon dieses Jahr erst später kommen kann. Wenn er überhaupt auftaucht, dann auf jeden Fall ein paar Wochen später als der Rest von uns.«

»Es ist so schade um seine Frau. Gott hab sie selig.«

»Ja, aber der Herr hat immer seine Gründe.«

»Amen. Die Familie ist das Licht des Herrn. Sein Wille in menschlicher Gestalt.«

Der andere Mann murmelte zustimmend, und dann waren die beiden verschwunden.

Fuck sei Dank. Richard würde nicht kommen, aber während ich mich wieder auf den Rückweg machte, um Sawyer aufzusuchen, war mir verdammt unbehaglich zumute. Er kam vielleicht nicht gleich jetzt, und ich wusste, dass Critter ein Auge auf ihn hatte, aber meine Erleichterung war nur von kurzer Dauer, denn Richard würde immer eine Bedrohung für uns darstellen. Wir würden auch weiterhin über die Schulter blicken müssen.

Als ich bereits auf dem Weg zu meinem Pick-up war, fragte ich mich, wie lange ich die Männer beobachtet hatte, doch dann checkte ich mein Handy: fünf verpasste Anrufe. Zwei vom Festnetzapparat in Critters Kneipe und drei von seinem Handy.

Ich rief ihn auf dem Handy an.

»Was gibt’s?«, meldete er sich barsch.

»Die Typen von der Kirche sind in der Stadt, und ich habe ein paar Arbeiter belauscht. Richard Dixon ist in diesem Jahr nicht dabei.«

»Gut. Mein Kumpel gibt mir Bescheid, sobald Richard die Landesgrenze überschreitet, aber im Augenblick habe ich Wichtigeres zu tun. Sawyer weiß über ihre Mom Bescheid.«

»Ich dachte, damit wolltest du noch warten.«

»Ja. Aber Caroline hatte einen lichten Moment, und sie wollte unbedingt ihre Tochter sehen. Ich dachte, es hilft ihr vielleicht.«

»Und? Hat es geholfen?«

Darauf folgte kurzes Schweigen.

Dann: »Nein. Keiner von beiden.«

Die Tür zur Bibliothek war nicht abgeschlossen, und der Raum wurde von einer einzigen Tischlampe beleuchtet, die in der Mitte stand.

Am Tisch davor saß Sawyer, über ein Buch gebeugt, ihre wilde Mähne umkränzte ihren Kopf wie die Strahlen einer kastanienbraunen Sonne.

Erleichtert atmete ich auf.

»Dachte ich mir doch, dass ich dich hier finde«, sagte ich und näherte mich ihr von hinten. Ich beugte mich über sie und atmete den vertrauten Duft von Lavendel ein. »Was machst du da?«, flüsterte ich und legte das Kinn auf ihre Schulter.

Sie hob den Kopf und drehte sich zu mir um. Ich trat einen Schritt zurück. Im nächsten Augenblick sah ich die Tränenspuren in ihrem Gesicht. Ihre geschwollenen Augen. Die geröteten Wangen. »Ich muss wohl eingeschlafen sein«, sagte sie. Sie wirkte benommen, atmete schwer. »Und ich hatte einen Albtraum.«

»Alles okay mit dir?«, fragte ich und ging vor ihr in die Hocke und nahm ihre Hände in meine. »Ich habe mit Critter geredet. Er hat mir erzählt, was mit deiner Mom passiert ist. Geht es dir gut?« Ich beugte mich vor und nahm sie in die Arme, drückte meine raue Wange an ihre weiche.

So langsam, als läge das Gewicht ihrer Sorgen darauf, zuckte sie die Schultern. »Und dann hatte ich noch einen bösen Traum, in dem du … ach, ist egal.«

»Sag es mir«, forderte ich sie auf.

Sawyer schüttelte den Kopf. »Nein, ist nicht wichtig. Ich dachte, ich bin naiv und kenne mich in der Welt draußen nicht besonders gut aus, aber jetzt merke ich, dass ich von rein gar nichts eine Ahnung habe. Nicht mal von meiner Vergangenheit oder meiner eigenen Mutter. Sie … sie lebt, aber sie ist nicht mehr dieselbe. Critter sagt, sie hat etwas, das sich Posttraumatische Belastungsstörung nennt. Ich möchte so gern glücklich sein, wirklich. Aber … ich kann nicht. Noch nicht. Es ist einfach alles zu viel.«

Ja, und da ist noch mehr.

Sofort überkamen mich Schuldgefühle, weil ich ihr die Wahrheit verschwieg. Sie hatte es verdient, alles zu erfahren. »Say, ich muss dir etwas sagen«, setzte ich an, aber sie schnitt mir das Wort ab.

»Ich verstehe nicht, wie man eine Tochter haben und dann einfach verschwinden kann. Ich könnte das nicht – sie in dem Glauben lassen, ich sei gestorben, auch wenn das gar nicht stimmt. Nicht mal eine Sekunde lang würde ich das aushalten.« Sie schlang sich die Arme um den Bauch, umarmte sich selbst, als bereite ihr allein der Gedanke körperlichen Schmerz. Möglicherweise tat er das auch, denn sie war viel blasser als sonst. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen.

»Ich bin einfach verwirrt. Ich weiß nicht, wohin mit all diesen Gefühlen. Mit dem Ärger. Der Verletztheit. Mit … mit allem.« Mit hängendem Kopf drehte Sawyer sich wieder um. Mein starkes Mädchen, das dem Teufel seine eigenen Hörner aufgesetzt hatte, verlor die Fassung, und ich fühlte mich hilflos, als ich sah, wie ihre Schultern bebten.

»Hey«, sagte ich nur und legte die Arme um sie. »Du hast recht. Und weißt du was? Wenn du mal die Mutter unserer Kinder bist, wirst du sie um keinen Preis im Stich lassen. So bist du nämlich nicht. Keiner von uns beiden könnte das jemals tun. Aber trotzdem gibt es da noch Dinge, die du nicht weißt. Du musst unbedingt mit Critter sprechen. Und mit deiner Mutter und …«

»Unsere Kinder?«, fragte Sawyer und schniefte.

Mein Herz zog sich zusammen. Von allem, was ich gesagt hatte, hatte sie ausgerechnet das am deutlichsten gehört. »Ja. Unsere Kinder. Wir zwei. Du und ich.« Ich nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Nichts wünsche ich mir mehr, als dass du eines Tages unser gemeinsames Kind in dir trägst.« Und das stimmte. Schon bei der Vorstellung, dass Sawyer mein Baby in sich hatte, wurde mir warm ums Herz, und ein primitiver, ursprünglicher Teil von mir wollte sich auf die Brust schlagen und laut in die Nacht hinausbrüllen. Da wir nicht verhüteten, konnte sie jederzeit schwanger werden.

Sawyer lächelte unter Tränen. »Ich auch. Eines Tages möchte ich das auch unbedingt.« Ihre Stimme klang traurig, und erneut zog sich mir das Herz in der Brust zusammen, weil ich ihr den Schmerz nicht nehmen konnte.

Ich hielt sie fest an mich gedrückt, bis sie sich auf einmal von mir löste, um einen mir bekannt vorkommenden, zerknüllten gelben Zettel aufzuheben, den jemand durch den Postschlitz geschoben hatte. Ich wusste genau, was es war, denn Critter hatte mir bereits einen gezeigt.

Sawyer hingegen sah das Flugblatt zum ersten Mal. Zumindest in Outskirts. Ich hielt die Luft an, während sie das Blatt überflog. Ihre Augen weiteten sich. Das Logo der Church of God’s Light war nicht zu übersehen.

»Er … er ist hier«, flüsterte sie. Mit geweiteten Augen taumelte sie zurück und warf dabei einen Stuhl um.

Ich griff nach dem Flyer. Ich hatte das Bedürfnis, ihn ihr wegzunehmen, so als könnte ich ihr auf diese Weise auch die Angst nehmen, die ihr ins Gesicht geschrieben stand. »Nein. Er ist nicht hier. Noch nicht.«

Sawyer stolperte erneut. Sie fing sich, dann stützte sie sich an einem der Bücherregale ab, das Flugblatt noch in der geballten Faust. »Woher willst du das wissen? Das kannst du gar nicht wissen. Er ist hier, und ich lasse nicht zu, dass er mich kriegt! Auf keinen Fall! Du kennst ihn nicht. Er wird mich finden. Und dann wird er versuchen, mich genauso zu brechen, wie er sie gebrochen hat!«

Sawyer wandte sich ab, aber ich zog sie wieder herum, sodass sie mir ins Gesicht sah. Ich beugte mich ein Stück herunter, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein, damit sie die Wahrheit in meinem Blick lesen konnte, falls sie sie in meinen Worten nicht hörte. »Ich weiß, dass er nicht kommt, weil ich hingegangen bin. Zum Messegelände. Dort war ich heute Abend. Ich habe die Trucks auf dem Highway herankommen sehen und bin ihnen gefolgt.«

Sawyer machte einen Schritt zurück, und diesmal ließ ich zu, dass sie sich den Raum nahm, den sie brauchte. Wir waren nur wenige Schritte voneinander entfernt, aber es fühlte sich an, als läge ein ganzer Canyon zwischen uns.

»Und es gibt niemanden, der dich brechen kann. Absolut niemanden. Die bist viel zu stark, um dich von Menschen mit so schwachem Geist zerstören zu lassen. Sieh dir doch mal an, was du alles durchgemacht hast und wie weit du gekommen bist!«

»Ich lasse nicht zu, dass er mir alles wegnimmt. Nicht, nachdem ich diesen Ort gerade erst gefunden habe. Nachdem ich dich gefunden habe.«

Ich fühlte mich verdammt schlecht, weil ich den Teil der Geschichte ausgelassen hatte, den zu erzählen – wie Critter es ausdrücken würde – mirnicht zustand. »Ich bin heute Abend dort gewesen, und ich habe ein Gespräch zwischen den Arbeitern belauscht. Dein Vater – Richard – kommt nicht. Jedenfalls vorerst noch nicht. Wir haben Zeit. Und wenn er kommt, sind wir nicht mehr hier. Alles wird gut«, sagte ich, um Sawyer und auch mich selbst zu beruhigen.

Sie schnaubte verächtlich. »Richard will sich für das Geld rächen, das ich gestohlen haben. Dafür, dass ich weggelaufen bin. Er wird mich auf genau die Art umbringen, die er mit Sicherheit schon lange geplant hat, denn als meine Mutter starb, hat er mir die Schuld gegeben.« Nackte Panik zeigte sich in ihrem Gesicht. »Warte … meine Mutter! Weiß er, dass sie noch lebt? Das weiß er doch nicht, oder? Wenn er nicht hier ist, wo ist er dann? Wo ist mein Vater?« Sie hielt sich die zitternde Hand vor den Mund.

Bei der Antwort, die ich ihr nun geben musste, begann ich mich innerlich zu winden. »Er ist nicht hier. Wenn er die Landesgrenze überschreitet, werden wir es als Erste erfahren. Ich werde dich beschützen, Sawyer. Ich schwöre bei allem, was mir lieb ist, dass ich dich beschützen werde.«

»Aber vielleicht kommt er doch. Vielleicht kommt er, um uns zu holen.« Sawyer keuchte. »Meine Mutter!«

»Deine Mutter ist in diesem Augenblick bei Critter. Sie ist in Sicherheit. Das verspreche ich dir. Er wird nicht zulassen, dass ihr etwas zustößt, genauso wenig, wie ich zulasse, dass dir etwas passiert.«

Sawyer ließ die Schultern sinken, straffte sie aber gleich darauf wieder, als hätte sie noch einmal darüber nachgedacht, warum sie so in sich zusammengesunken war. »Ich werde zur Kirche gehen«, sagte sie, schon auf dem Weg zur Tür. »Ich werde ihnen sagen, was für ein Monster er ist. Auch wenn sie Frauen nicht wertschätzen, können sie vor all dem Leid, das er verursacht hat, nicht die Augen verschließen. Wenn sie die Bibel benutzen können, um zu rechtfertigen, was sie tun, dann können sie sie auch benutzen, um zu verstehen, wie falsch ihre Taten sind.«

In der Sekunde, in der sie die Tür öffnete, drückte ich sie wieder zu. »Nein, das lässt du schön bleiben, verdammt noch mal! Ich werde dafür sorgen, dass du in Sicherheit bist, ob es dir gefällt oder nicht, und eine Begegnung mit der Fangemeinde deines Vaters ist garantiert nicht Teil meines Plans.«

»Aber ich muss etwas tun! Ich kann nicht einfach hier sitzen wie ein Lamm, das darauf wartet, zur Schlachtbank geführt zu werden. Ich muss handeln. Ich muss selbst auf ihn zugehen. Ich muss jemandem in der Kirche erzählen, wer er ist und wozu er fähig ist!« Ihr Blick wirkte wild. Wirr. »Ich fühle mich wie ein Tier im Käfig. Es gibt kein Entkommen. Es wird niemals ein Entkommen geben!«

»Oh doch, das wird es. Aber sag mir eins: Was passiert deiner Meinung nach, wenn du in dieses Zelt spazierst und einen der Ihren beschuldigst, etwas getan zu haben, was die Leute dort vielleicht ohnehin schon wissen, wie du ja selbst sagst? Und auch wenn sie diese Dinge nicht billigen: Warum sollten sie dir zuhören? Du bist eine Abtrünnige, und du besitzt keine objektiven Beweise für deine Behauptungen. Was meinst du, wem diese Leute dann glauben?«