Wilde Dichter - Rüdiger Barth - E-Book

Wilde Dichter E-Book

Rüdiger Barth

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Beschreibung

Sie wagten, wovon andere nur träumen, segelten über die Weltmeere, trotzten Dschungel und Eiswüste, lebten unter Kannibalen und Indianern, jagten Wale und Löwen, umrundeten Kap Hoorn, überwanden den Yukon, durchstreiften die Wildnis Afrikas und brachten unglaubliche Geschichten nach Hause: Herman Melville, Jack London, Stephen Crane, Joseph Conrad, Ernest Hemingway und B. Traven. Sechs mitreißende Porträts über die mutigsten Draufgänger und spannendsten Schriftsteller-Persönlichkeiten der Weltliteratur.

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www.piper.de

ISBN 978-3-492-97258-1 November 2015 © Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2005 Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de Covermotiv: Bild oben: Getty Images, Bild unten: photonica Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck  

Berauscht euch! Nur berauscht läßt sich dies Leben leben – berauscht von Geist und Blut und Reben, berauscht von Licht und Dunkelheit! Sauft doch das Leben – das Leben selbst ist Wein!

Wolfgang Borchert

Leinen los

Am Anfang war das Abenteuer. 1840, mit gerade mal einundzwanzig Jahren, heuerte Herman Melville auf dem Segelschiff »Acushnet« an und fuhr als tranjagender Walfänger durch den Pazifik – in einer Zeit, in der die Männer auf See reihenweise an Skorbut und Seuchen starben, von den Kapitänen wegen Kleinigkeiten ausgepeitscht und nicht selten im Sturm über Bord gespült wurden. Vier Jahre war Melville unterwegs. Er umrundete mehrfach Kap Hoorn, kletterte immer wieder in die wankenden Rahen und saß selbst in den kleinen Fangbooten, von denen aus die Harpuniere die Meeresriesen in der blutschäumenden See erlegten. Erst danach begann er zu schreiben.

Der Rest ist Geschichte. Herman Melvilles Roman Moby Dick*[* Titel von Büchern und Erzählungen werden im folgenden, wo es uns sinnvoll erschien, auf deutsch angegeben, auch wenn die Werke oft erst wesentlich später in Übersetzung erschienen.] ging in die Weltliteratur ein, ein urgewaltiges Werk, das mehrfach verfilmt wurde und bis heute von Millionen fasziniert gelesen wird. Dabei ist kaum bekannt, daß Melville lediglich aufschrieb, was er selbst erlebt hatte, seine Abenteuer jedoch durch sein ganz eigenes Temperament zu hoher Kunst verdichtete. Und damit einen Mythos schuf.

Nicht nur Melville schöpfte seinen Stoff aus dem prallen Leben. Joseph Conrad landete als Fünfjähriger in der russischen Verbannung. Später fuhr er als Kapitän über die Weltmeere, erfuhr das Grauen am Kongo und verfaßte anschließend Bücher, die heute zu den Klassikern der englischsprachigen Literatur zählen. Der geheimnisvolle B. Traven, der mit seinen spannenden Werken in der Weimarer Zeit zur Sensation wurde, versteckte sich in Mexiko – bis heute weiß man von ihm nicht, woher er stammte, dafür aber, daß er 1919 in der Münchner Revolution nur knapp der Hinrichtung entging. Stephen Crane, der Hemingways Vorbild war, überlebte einen Schiffsuntergang, besetzte im spanisch-amerikanischen Krieg 1898 im Alleingang eine Stadt und starb schon mit achtundzwanzig Jahren. Und Ernest Hemingway, der löwentötende Nobelpreisträger, der in mehreren Kriegen Kopf und Kragen riskierte? Jack London, der Austernpirat war, Tramp und Knastinsasse, bevor er in Kanadas Norden nach Gold schürfte? Sie waren schon zu Lebzeiten Legenden.

Nur wer schwitze, nur wer leide, nur wer um sein Leben bange, würde jenen Schatz an Erfahrung finden, jenen Saft, aus dem große Bücher entstünden. So zumindest sah es Ernest Hemingway, und dem notorischen Trinker, der mit seinem Schiff auf U-Boot-Jagd ging und mit dem Flugzeug im afrikanischen Busch abstürzte, war das Kitzeln im Magen oft wichtiger als das Schreiben selbst. Von Bildung und Theorie hielt er nichts. »Wissen« sei, was ein Schriftsteller benötige. Ein Wissen wohlgemerkt, das einem nicht im Elfenbeinturm zufliege, sondern das man sich in der Wirklichkeit holen müsse.

Was verbindet diese sechs Literaten? Vor allem, daß sie Kraft hatten für zweierlei: für ein außergewöhnliches Leben und für außergewöhnlich gute Bücher. Erst das Leben, dann das Schreiben, dies schien ihr Rezept. Allein Crane sticht heraus: Er ersann sich seine Dramen und lebte ihnen dann hinterher.

Bei der Recherche fiel uns auch auf: Fast alle verloren früh ihre Väter, brachen zeitig aus der Geborgenheit der Familie aus und ließen sich auf Erlebnisse ein, die den meisten vorenthalten blieben. Keiner von ihnen besaß eine akademische Ausbildung, keiner hatte Literatur studiert. Ihre Hochschule war einzig das Leben.

Der Club der wilden Dichter. Sechs Männer, von denen manche noch heute zu den berühmtesten Schriftstellern zählen, andere nahezu vergessen sind – deren Biographien sich aber ebenso lesen wie Abenteuerromane.

Doch warum gerade sie? Unsere Auswahl ist zugegeben subjektiv, geprägt durch unsere Vorlieben. Sie wird Fragen aufwerfen, vielleicht sogar leise Empörung. Gut so. Ihnen hätte das gefallen. Für sie gehörte Leidenschaft zur Literatur.

Die Geschichten der Alten sind nicht nur wundervoll fein geschrieben – sie bersten auch vor Kraft. Zudem brachen diese Männer Konventionen, als dies noch keine Modeerscheinung war. Und sie nahmen das Schreiben ernst. Fanatisch ernst. So ernst, daß sie mitunter jahrzehntelang an einem Werk feilten, um jedes Wort kämpften, an manchen Büchern verzweifelten und bis zur Erschöpfung vor den Manuskripten saßen, häufig ohne zu wissen, ob sie jemals Erfolg haben würden. Sie konnten nicht anders. Sie mußten schreiben.

Natürlich griffe es zu kurz, die Autoren nur zu fabulierenden Haudegen zu stilisieren. Zum Teil blickten sie auf einen harten Lebensweg zurück, in dem die Schriftstellerei vielleicht die einzige Fluchtchance bot. Zudem trieb Menschen wie Melville, London oder Hemingway eine kaum zu sättigende Neugier voran, dazu eine hemmungslose, nicht selten selbstzerstörerische Lese- und Schreibwut. Hinter ihrem mutigen Auftreten verbargen sich feinfühlige Seelen, die stets den Wunsch hatten, nicht nur hinter die Kulissen der Welt zu blicken, sondern sie mit aller Macht beiseite zu schieben. Keine Frage, sie wollten Bestseller zu Papier bringen, ihr Lebensstil verschlang oft viel Geld, vor allem aber versuchten sie, auf den Grund der Dinge zu gelangen. »Ein Buch ist gut«, pflegte Hemingway zu sagen, »wenn es zehnmal wahrer ist als die Wirklichkeit.«

Was waren das also für Männer, die so deftig lebten und doch so tiefgründig schrieben? Waren es Spinner, Selbstdarsteller, Ausnahmetalente? Waren es »hypersensible Käuze«, wie Bekannte Joseph Conrad nannten? Meister des Bluffs, wie B. Traven? Oder verwirrte Eremiten, als welcher Herman Melville am Ende galt? Fest steht: Ihre Lebensgeschichten zu lesen ist tragisch, rührend, manchmal herzzerreißend, gelegentlich auch abstoßend und schockierend – immer aber höchst unterhaltsam.

Könnte man diese sechs Herren heute in einem Kaminzimmer versammeln, sie müßten sich ob ihrer Biographien verblüfft in die Augen sehen. Jede Wette, es würde hoch hergehen.

Wilde Dichter wie sie gibt es heute nicht mehr. Im Zeitalter von GPS und Goretex sind Abenteuer vergleichsweise austauschbar geworden. Sie haben ihren größten Reiz verloren: den des Fremden, des Unbekannten, der niemals erzählten Geschichten.

Danken möchten wir den wichtigsten Biographen, die diese ungewöhnlichen, manchmal komplizierten Lebenswege rekonstruiert haben. Ohne ihre aufwendige jahrelange Recherche wären viele Anekdoten nie ans Tageslicht gekommen, und auch dieses Buch wäre nicht möglich gewesen.

Danken freilich wollen wir auch den Wilden Dichtern selbst. Ihr Ruf ist bis heute zu hören.

Hamburg, im Mai 2005

Rüdiger Barth,

Marc Bielefeld

Herman Melville

In Lee erschienen hohe Fontänen am Horizont, und zwei Boote, Stubbs und Flasks, wurden zur Verfolgung ausgesetzt. Sie pullten und pullten, bis sie vom Topp aus kaum noch zu erkennen waren. Dann wurde in der Ferne ein Schwall sprudelnd weißes Wasser ausgemacht ... Es dauerte noch einige Zeit, dann waren sie wieder deutlich in Sicht, im Schlepp eines Wals.

Abbildung: Bettmann/CORBIS

»Was ich wirklich schreiben will, ist verdammt,

alle meine Bücher sind für die Katz.«

»Es ist der Höhepunkt einer verrückten, durchgrübelten Nacht, wenn sich das Blut in Brandy verwandelt.«

»Ein Buch aus dem Hirn zu befördern ist vergleichbar mit dem kitzligen und gefährlichen Unterfangen, ein altes Bild aus seinem Rahmen zu schneiden. Man muß seinen ganzen Kopf auskratzen, um sicher dranzukommen, und selbst dann mag das Bild die ganze Mühsal am Ende nicht einmal wert sein.«

»Wir glauben gerne, daß Gott seine Geheimnisse nicht alle erklären kann, aber wir Sterblichen verwundern Ihn so sehr wie Er uns.«

Zitate von Herman Melville

»Die, die nur seine Bücher gelesen haben, kennen den Mann. Die, die nur den Mann kennen, haben nur eine vage Vorstellung von seinen Büchern.«

Der Autor N.P.

In den letzten Jahren bleibt die Tür zu seinem Arbeitszimmer meistens geschlossen. Wochenlang, manchmal monatelang. Ein beklemmender Anblick, für seine Frau, die Familie. Nur noch ganz selten kommt er heraus. Die Tür befindet sich im zweiten Stock eines kleinen Hauses in der East 26th Street, Manhattan, New York. Der Enkelin Eleanor ist unheimlich zumute, wenn sie die Großeltern gelegentlich besucht und an der Tür vorbeikommt. Dahinter verbirgt sich ein düsteres Reich, das Refugium ihres Opas, Herman Melville, wortkarg, versunken, längst ein alter Mann. »Sein Zimmer war für mich ein Ort des Staunens und der Rätsel, niemals ging ich dort hinein, wenn er mich nicht dazu einlud«, erinnerte sie sich später.

Sonderbare Gipsköpfe stehen in dem Zimmer hinter der Tür. Von einem Regal starren sie mit ihren pupillenlosen Augen in ein Nichts. In der Ecke ein schmales Bett mit dunkler Tagesdecke. Hunderte Bücher füllen die Borde und Simse. Auf einem kleinen Tisch liegen Notizen und eine Tüte mit Feigen, an der Wand steht ein massiver Schreibtisch aus Mahagoni. Darüber klebt ein Zettel: »Bleibe treu den Träumen deiner Jugend.«

Herman Melville ist jetzt bald siebzig Jahre alt, trägt einen gewaltigen Vollbart, silbergrau, viereckig endend, als hätte ihn jemand abgehackt, und dabei so lang, daß das drahtige Haar schon auf die bis zum Kinn zugeknöpfte blaue Jacke stößt. Ein großer, würdiger Mann mit aufrechtem Gang, dessen Augen verraten, daß er »ferne und seltsame Dinge wußte«, wie seine Enkelin Jahre später sagen würde. Bis in die Nächte sitzt Melville hinter seiner geschlossenen Tür, lautlos, beinahe wie ein Geist, und beschreibt stapelweise Seiten. Darunter Gedichte wie dieses: Buddah.

Denn was ist das Leben? Es ist

nichts als ein Dunstschleier, der kurze Zeit

auftaucht und dann verschwindet.

Ohnmächtig treiben, schwimmen und schwinden,

Begierig, den Weg ins Nichts zu finden!

Unter Leiden, Tränen, Seufzern der Welt

Ziehen wortlose Dulder hinaus–

Nirwana! Nimm uns auf in Dein Firmament

Lösche uns in Dir aus.

Nachbarn haben vermutet, Melville sei geistesgestört. Ein Fall fürs Irrenhaus. Rätselhafte Dinge sollen es sein, mit denen er sich beschäftigt. Er zeigt sich selten, und wenn, entfahren ihm bizarre Bemerkungen. »Ich selbst, ich bin der Feind von allem. O Herr, befreie mich von mir selbst«, hatte er in einem seiner Werke geschrieben. Kein Wunder, daß er vielen Sterblichen als Sonderling gilt. Doch Melville hat mit seinen Mitmenschen nicht mehr viel zu schaffen. Er ist bei Buddha, bei der Metaphysik, er ist bei den großen Fragen des Daseins angelangt. Wo steht der Mensch zwischen Gut und Böse? Welcher Natur sind die Mächte, die die Welt in Schach halten? Melville quält sich mit unsichtbaren Dämonen. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich nun mit der Poesie. Die Gedichte helfen ihm. Ihre Form, ihre Kraft, ihre Weigerung, sich leicht deuten zu lassen. Sie sind seine Navigationshilfen auf seinem letzten Abenteuer – der Sinnsuche im Schreiben.

Herman Melville, der Seefahrer, der große Erzähler der Südsee, der Schöpfer von Moby Dick; jener Mann, der nach erstem Ruhm als Zollinspektor in der Versenkung enden und erst Jahrzehnte nach seinem Tod als einer der größten Autoren der Weltliteratur entdeckt werden wird, ist nun endgültig hinabgestiegen in die Katakomben des Geistes. Der Dichter der Tiefe befaßt sich in seinen letzten Jahren mit den Religionen, mit den Rätseln der Kunst und Philosophie. Den Gelehrten und Lesern ist er längst entschwunden. In der Zeit um 1890 wirkt Melville wie verschollen in einem Labyrinth der Abstraktion.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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