Wilde Rosen - Katie Fforde - E-Book

Wilde Rosen E-Book

Katie Fforde

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Beschreibung

May, Sally und Harriet sind drei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Eines jedoch haben sie gemeinsam: Sie brauchen dringend Geld. May zur Renovierung ihres maroden Hausboots, Sally für eine neue Wohnung, und Harriet, um sich ihrer Passion für die Malerei zu widmen.

Nach einem Vorstellungsgespräch bei einem windigen Unternehmer lernen sich die drei näher kennen - und fassen einen folgenreichen Beschluss: Statt sich für einen Hungerlohn abzuschuften, wollen sie ihr eigenes Unternehmen gründen. Das hält so manche Überraschung bereit ...

Leicht, lustig und voller Liebe - eine romantische Komödie von Bestsellerautorin Katie Fforde.

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Seitenzahl: 578

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungDanksagungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel32Kapitel 33

Über dieses Buch

May, Sally und Harriet sind drei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Eines jedoch ist haben sie gemeinsam: Sie brauchen dringend Geld. May zur Renovierung ihres maroden Hausboots, Sally für eine neue Wohnung, und Harriet, um sich ihrer Passion für die Malerei zu widmen. Nach einem Vorstellungsgespräch bei einem windigen Unternehmer lernen sich die drei näher kennen – und fassen einen folgenreichen Beschluss: Statt sich für einen Hungerlohn abzuschuften, wollen sie ihr eigenes Unternehmen gründen. Das hält so manche Überraschung bereit …

Leicht, lustig und voller Liebe – eine romantische Komödie von Bestsellerautorin Katie Fforde.

Über die Autorin

Katie Fforde hat bereits zahlreiche Romane veröffentlicht, die in Großbritannien allesamt Bestseller waren. Ihre romantischen Beziehungsgeschichten werden erfolgreich für die ZDF-Sonntagsserie »Herzkino« verfilmt. Katie Fforde lebt mit ihrem Mann, drei Kindern und verschiedenen Katzen und Hunden in einem idyllisch gelegenen Landhaus in Gloucestershire, England.

Offizielle Website: www.katiefforde.com

Katie Fforde

Wilde Rosen

Roman

Aus dem Englischen von Ingrid Krane-Müschen

beHEARTBEAT

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1995 by Katie Fforde

Titel der englischen Originalausgabe: »The Rose Revived«

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2010/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Kozjadub Sergei | Neirfy

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-4818-7

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für D.S.F.,

wie immer

Danksagung

Mein Dank gilt der Schauspielerin Sara Clee, der Künstlerin Lyn Coleman und allen anderen, die mir wissentlich oder unwissentlich bei der Recherche geholfen haben. Außerdem möchte ich Sarah Molloy für ihre Unterstützung danken und vor allem meiner Lektorin, Richenda Todd, die sich meines fürchterlichen, eselohrigen Manuskripts klaglos angenommen und es in ein Buch verwandelt hat. Und ich danke meiner Familie dafür, daß sie endlich erkannt hat, daß ich nicht den ganzen Tag zu Hause herumsitze und Seifenopern anschaue.

Kapitel 1

May stolperte in ihren Doc Martens über die Schwelle des Warteraums. Es roch nach abgestandenem Zigarettenrauch. Fünf Frauen, alle offenbar halbtot vor Langeweile, sahen auf und dann sofort wieder weg.

»Hi«, sagte May. »Bin ich hier richtig bei Quality Cleaners?«

Eine Frau nickte. Sie hatte zweifarbig getönte Haare und erweckte alles in allem den Eindruck, als verstehe sie sich darauf, einen Staubsauger zu schwingen. »Da vorn liegt ein Stapel Fragebögen. Sie müssen einen ausfüllen.«

May nahm eines der Formulare. »Meine Güte, der ist ja endlos lang.«

»Ja«, stimmte die Frau zu. »Wenn Sie ihn fertig ausgefüllt haben, müssen Sie ihn unter der Tür durchschieben.«

»Oh, wie ungewöhnlich.« May hatte keine Handtasche dabei und klopfte ohne große Hoffnung ihre Taschen ab. »Ähm, kann irgendwer mir einen Kuli leihen?«

Ein paar Sekunden rührte sich niemand, dann legte eine Frau, die etwa in Mays Alter war, ihr Buch beiseite. May warf einen kurzen Blick darauf und erkannte den Titel. Das Buch war für den Booker Prize nominiert.

»Augenblick, hier.« Die junge Frau durchwühlte ihre ausgebeulte Schultertasche und förderte einen Füllfederhalter ans Licht.

May betrachtete sie ein bißchen genauer. Was für eine Putzfrau – oder potentielle Putzfrau – las ernste, zeitgenössische Literatur und schrieb mit einem Füller? Dann schalt sie sich für die Vorurteile, die sie Putzfrauen gegenüber offenbar hegte, und im selben Moment entdeckte sie unter dem Stuhl des Mädchens eine Reisetasche, die noch recht neu aussah, einen Koffer und ein kleines Beautycase. Unter normalen Umständen wäre May neugierig gewesen zu erfahren, warum jemand mit Gepäck zu einem Vorstellungsgespräch kam, aber jetzt war nicht der geeignete Zeitpunkt für müßige Spekulationen, jetzt galt es erst einmal, ihr Formular auszufüllen. Sie lächelte und nahm den Füller.

»Danke.«

In der Regel ging immer irgend etwas schief, wenn May ein Formular in Großbuchstaben ausfüllen mußte, aber dieses Mal gab sie sich besondere Mühe. Sie mußte diesen Job unbedingt kriegen. Gutbezahlte Jobs für Leute ohne Ausbildung waren schließlich so rar wie Rubine – und für May unvergleichlich viel kostbarer.

Als sie sich schließlich Antworten für fast alle der vielen Fragen ausgedacht hatte, gab sie den Füller zurück. Sie setzte ein Ich-bin-nett-bitte-rede-mit-mir-Lächeln auf, doch die Lippen der jungen Frau verzogen sich nur ganz kurz nach oben, ehe sie sich wieder in ihr Buch vertiefte. Damit war die Chance auf eine Unterhaltung vertan, und May nahm statt dessen die Konkurrenz in Augenschein.

Da war die Frau, die ihr die Formulare gezeigt hatte. Sie war älter als May, möglicherweise zu alt, um der Einstellungsvoraussetzung »jung und enthusiastisch« aus der Stellenanzeige zu entsprechen. Neben ihr saß eine Mutter mit einem Kleinkind auf dem Schoß, zweifellos jung, aber die dunklen Ringe unter ihren Augen und ihr unendlich erschöpftes Gesicht schienen darauf hinzudeuten, daß es bei ihr mit dem »Enthusiasmus« ein bißchen hapern könnte.

Dann die Frau, die ihr den Stift geliehen hatte. Sie war jung, offensichtlich intelligent, aber in ihrem marineblauen Kostüm, den kleinen Perlenohrringen und dem schwarzen Samthaarband wirkte sie ganz entschieden zu ladylike, um sich als Putzhilfe zu bewerben.

Na ja, ich sehe selber auch nicht gerade typisch aus, dachte May und unterzog ihre eigene Erscheinung zum ersten Mal einer kritischen Begutachtung. Sie trug ihre besten Arbeitshosen, die nur ein paar ganz winzige blaue Farbspritzer hatten, und ihr Pullover war sauber, wenn auch an den Bündchen etwas ausgeleiert. Leuchtend rote Socken lugten aus den noch halbwegs glänzenden Doc Martens.

Sie seufzte. Auf dem Boot hatte sie keine ihrer eleganteren, konventionelleren Kleidungsstücke, und sie war Hals über Kopf zu diesem Vorstellungstermin aufgebrochen, kaum daß sie die Annonce entdeckt hatte, als sie gerade mit der Zeitung den Ofen anzünden wollte. May war eigentlich nicht abergläubisch, aber es schien doch, als reiche ihr das Schicksal eine helfende Hand. Sie hatte die nächste U-Bahn genommen, ehe ihr all die »Gelegenheiten, in einem Team zu arbeiten« vor der Nase weggeschnappt wurden. Doch sie hatte das Gefühl, daß sie selbst in der passenden Kleidung Schwierigkeiten gehabt hätte, die Manager dieser »neuen Niederlassung eines etablierten Unternehmens« davon zu überzeugen, daß sie die ultimative Geheimwaffe gegen Badezimmerkalk war.

Nein, wenn die Typen hier auch nur halbwegs bei Verstand waren, würden sie die letzten beiden Frauen einstellen, deren Gesichter einen Ausdruck kompetenter Überlegenheit zeigten und deren Kleidung wie dafür geschaffen schien, unter Nylonoveralls getragen zu werden. Man konnte ihnen einfach ansehen, daß sie in der Lage waren, einen störrischen Abfluß freizukriegen, ehe man »Domestos« sagen konnte.

May zog die Füße unter ihren Stuhl und sah sich nach Ablenkung um. Sie entfernte die Farbreste unter ihren Fingernägeln und betrachtete ihre Hände. Auf einem Boot zu leben führte einfach zwangsläufig zu dauerhaft schmutzigen Fingern. Wenn sie jemandem die Hand geben mußte, krümmte May ihre Finger immer nach innen, so daß niemand die Trauerränder bemerkte.

Hätte sie sich doch nur etwas zu lesen mitgebracht. Mutter und Kind hielten zusammen ein Nickerchen, vermutlich hatte die Mutter den Schlaf weitaus nötiger. Das Mädchen im marineblauen Kostüm las immer noch, die anderen starrten ausdruckslos vor sich hin. So war es unvermeidlich, daß Mays Gedanken zu den schrecklichen Ereignissen der letzten vierundzwanzig Stunden zurückkehrten. Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, nur an positive Dinge zu denken.

Es hatte alles damit angefangen, daß Mike, der neue Inhaber des Bootshafens, sie aufgesucht hatte. »Ich bin die Bücher durchgegangen. Du – oder genauer gesagt, die Rose Revived – bist seit mehr als einem Jahr mit der Liegegebühr im Rückstand. Das macht runde dreieinhalbtausend Pfund.«

May war mit weichen Knien auf den Ofen niedergesunken, aber er war zu heiß, um darauf zu sitzen, also mußte sie wieder aufstehen.

»Ich will mindestens fünfhundert jetzt sofort und den Rest spätestens in drei Monaten. Ich brauche den Liegeplatz, May. Ich kann hier kein Fünfundzwanzig-Meter-Hausboot kostenlos ankern lassen. Also, du mußt bezahlen oder verkaufen.«

»So viel Geld hab’ ich nicht«, hatte sie gekrächzt. »Aber es ist mein Heim, über das wir hier reden, nicht irgendein verkäuflicher Gegenstand!«

Doch all ihre Proteste stießen auf taube Ohren. Mike hatte den Bootshafen nicht zu wohltätigen Zwecken gekauft. Er hatte ihr gesagt, daß sie mehr für ihr Boot bekommen werde, wenn sie es privat verkaufte, als wenn er es pfänden ließe und der Gerichtsvollzieher anrückte, aber das war kein besonderer Trost. Jedenfalls war es wohl kaum verwunderlich, daß May nach dieser Sache der Kragen geplatzt war, als sie abends im Union Flag kellnerte. Ganz gleich, wie sexistisch, rassistisch oder grammatikalisch falsch die Sprüche der Gäste auch waren, für gewöhnlich schaffte sie es, ihre Kommentare zurückzuhalten, bis sie unter den Tresen tauchte, um die Mixer zurück in den Unterschrank zu räumen, wobei sie dann bissig vor sich hin murmelte.

Aber nachdem ihre Welt gestern in Stücke gegangen war, konnte sie sich einfach nicht beherrschen und hatte einem ganz besonders widerlichen Gast ein Pint Mild über den Kopf geschüttet. Sie war nicht überrascht, eigentlich auch nicht besonders erschüttert, als ihr Chef ihr sagte, sie solle verschwinden, sobald sie aufgewischt habe.

Na ja, immerhin kann ich jetzt wahrheitsgemäß behaupten, daß ich Berufserfahrung auf dem Reinigungssektor habe, überlegte May mit einem Optimismus, der aus purer Verzweiflung geboren war.

Sie verschränkte die Arme vor ihrem Magen, der sich bedenklich verknotet anfühlte. Konnte man eigentlich vor Langeweile und Nervosität sterben? fragte sie sich. Jeden Moment werde ich etwas unverzeihlich Unenglisches tun und ein Gespräch anfangen.

In diesem Augenblick wurde die Tür zum Nebenraum geöffnet, und eine junge, große, unglaublich gutaussehende Frau kam heraus.

»Und? Wie ist es gelaufen?« fragte eine von denen, die May als professionelle Putzfrauen klassifiziert hatte.

Das Mädchen ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Weiß der Himmel. Er hat so lange auf meine Beine gestarrt, daß ich sicher war, ich hätte ’ne Laufmasche oder so was.« Besorgt streckte sie die Beine vor sich aus und betrachtete kritisch die schwarzen Nylons.

»Ist ja wohl kein Wunder, wenn Sie Ihre Beine so zur Schau stellen«, meinte eine der anderen Frauen. »Hier werden Putzhilfen gesucht, keine Go-go-Girls.«

»Ich weiß, ich weiß! Ich bin völlig falsch angezogen«, räumte die mit den Beinen ein. »Aber ich hab’ eben ganz spontan beschlossen herzukommen. Die Bezahlung ist so unwiderstehlich.«

Sie trug ein tomatenrotes Jackett und ein knappes, schwarzes Röckchen – vermutlich irgendein Designerlabel, tippte May –, und ihre Erscheinung hellte den trostlosen Raum merklich auf. Ihr dunkles Haar war kurz, raffiniert geschnitten, so daß es ihr herzförmiges Gesicht umrahmte und ihre großen Rehaugen betonte.

Die Mutter wachte auf und zog ihr Kind weiter auf ihren Schoß. »Er steht auf Beine, ja? Warum schreiben sie so was nicht gleich in den Fragebogen? Also, dann kann ich wohl gleich wieder verschwinden. Ich dachte mir schon, die Bezahlung ist zu gut, die Sache muß einen Haken haben.«

»O nein! Er sucht wirklich Reinigungskräfte. Er hat gesagt, ich soll hier warten.«

»Seien Sie mir nicht böse, aber Sie sehen irgendwie nicht aus wie eine Reinigungskraft«, sagte May und kaute an ihrer Unterlippe. Sie war sich ihres eigenen seltsamen Aufzugs nur zu bewußt.

»Wir haben nicht alle Falten in den Strümpfen wie Nora Batty«, entgegnete die Mutter. »Aber es hat vermutlich wirklich keinen Zweck, daß ich bleibe. Für das Geld will er wahrscheinlich Nachtarbeit, und das kann ich sowieso nicht.«

»Nachtarbeit?« fragte May, plötzlich einer Panik nahe. »Wie meinen Sie das?«

»Büroräume putzen, spät abends oder ganz früh morgens«, erklärte eine der Frauen ungeduldig. »Haben Sie noch nie so einen Job gemacht?«

»Nein«, gestand May.

»Haben Sie denn einen Job?«

»Nein.«

Gestern hatte sie noch einen gehabt, selbst wenn er gräßlich und lausig bezahlt war, ebenso ein Boot, das gleichzeitig ihr Heim war, einen Liegeplatz, den sie für sicher gehalten hatte, und einen unbeschwerten Lebensstil. Den Job hatte sie bereits verloren, und wenn ihre »Jugend« und ihr »Enthusiasmus« nicht ausreichten, ihr einen neuen zu beschaffen, dann würde sie alles andere vielleicht verlieren.

»Ich hab’ auch keine Arbeit«, sagte die mit dem Minirock. »Aber ich bin ja auch Schauspielerin, da ist man das gewöhnt.«

»Nennt man das nicht ›schöpferische Pause‹?« fragte May.

»Niemand, der es mal mitgemacht hat, würde es so nennen. Man rennt von einem Vorsprechen zum nächsten, allesamt für völlig unpassende Rollen, und wenn man nicht mit Vorsprechen beschäftigt ist, dann nimmt man Phonetikstunden oder Tanzstunden oder sonst irgendwelche Stunden, mit denen man der Konkurrenz vielleicht mal irgendwas voraus haben könnte. Und wenn man das gerade auch nicht tut, dann hängt man sich an die Strippe und nervt seinen Agenten, der einen zum nächsten unpassenden Vorsprechen schickt, damit er seine Ruhe hat. Schließlich kommt man an den Punkt, wo man dankbar für eine Statistenrolle als Gurkensandwich ist. Mit schöpferisch hat es wirklich nichts zu tun und mit Pause erst recht nicht. Ich hab’ mir gedacht, vielleicht ist es ein bißchen leichter, mit putzen sein Geld zu verdienen.«

Einige der anderen Frauen starrten sie an, als zweifelten sie an ihrem Verstand.

»Tja, man muß jedenfalls keinen Spagat können, um eine Toilette zu schrubben, das steht mal fest«, sagte die, die als erste gesprochen hatte.

Alle lachten, auch die Schauspielerin. »Schande«, sagte sie. »Ich seh’s schon vor mir: ›Sally Bliss, die Königin der Klobürsten‹. Aber keine kann so Lambada tanzen wie ich.«

Mit einemmal hatte sie alle Sympathien auf ihrer Seite. Niemand hätte es für möglich gehalten, daß eine Frau mit so einem umwerfenden Aussehen in der Lage sein könnte, über sich selbst zu lachen.

»Tja, ich hab’ mich auch nur mal so auf gut Glück hier beworben«, gestand eine von den professionell wirkenden Frauen. »In der Anzeige stand schließlich ›jung‹. Und wenn er Miss Lovely-Legs hier gebeten hat zu bleiben, will er wohl mehr als nur Reinigungskräfte. Ich bleib’ bei meinem alten Job.« Sie sammelte ihre Siebensachen ein. »Miserabel bezahlt, aber wenigstens kann ich sicher sein, daß sie nur die Böden gewischt haben wollen.«

Nachdem sie gegangen war, breitete sich wieder Schweigen aus, so dick wie die Luft im Raum und geladen mit Unsicherheit und Besorgnis.

Sally drehte einen Ring immerzu um ihren Finger. »Glauben Sie, das stimmt? Ich meine, ich bin zwar Schauspielerin, aber ich zieh’ eine ganz klare Grenze. Ich würd’ auf keinen Fall oben ohne kellnern oder so was.«

»Sie bieten verdächtig viel Geld«, sagte die Mutter. »Aber wenn sie Oben-ohne-Kellnerinnen wollten, warum sollten sie das nicht sagen? Sind schließlich genug Fragen auf diesem Formular.«

»Stimmt«, räumte Sally ein. »Aber wenn nichts aus meiner bisherigen Berufserfahrung irgendwie relevant war, warum wollte er dann, daß ich zum Gespräch bleibe? Warum vor allem hat er gesagt, ich soll hier warten?«

»Nun, ich schätze, Sie sollten auf sich aufpassen, Schätzchen.« Sie hob den Schnuller ihres Sprößlings auf, der zu Boden gefallen war. »Ich habe noch drei Kinder, jede Menge Krampfadern und überhaupt keine Energie.« Auch sie begann, ihre Sachen zusammenzusuchen. »Wenn er mich zum Vorstellungsgespräch hier haben will, soll er mir eine Einladung schicken. Hier, Dustin, hier hast du deinen Schnuller.«

Eine weitere Frau stand auf. »Ich helfe Ihnen. Ich glaube auch nicht, daß es für mich viel Sinn hat hierzubleiben.«

»Bin ich die nächste?« fragte die letzte Profi-Putzfrau, und da sich sonst niemand meldete, stand sie auf und klopfte an die Tür.

Das Mädchen im blauen Kostüm klappte ihr Buch zu, sah auf die Uhr, seufzte wieder und las weiter.

May fürchtete, vor Langeweile möglicherweise den Verstand zu verlieren. Sie wandte sich an die Schauspielerin. »Hallo. Ich heiße May.«

»Sally. Sally Bliss.«

»Du siehst ziemlich abgekämpft aus, wenn ich ehrlich sein soll.«

Sally seufzte und schnitt eine Grimasse. »Das ist heute schon mein zweiter Bewerbungstermin. Piers, das ist mein Freund, er war ganz wild drauf, daß ich zu dem Vorsprechen ging. Eine Rolle in einem Stück über Tschernobyl, total unpassend für mich. Er weiß nichts davon, daß ich hier bin. Aber ich kann mich nicht nach Hause wagen, ehe ich irgendeine Art bezahlter Beschäftigung nachweisen kann, weil er mich sonst rauswerfen könnte.« Sie lachte, um klarzumachen, daß sie natürlich nur scherzte, was sie ganz offensichtlich nicht tat.

Sally konnte es sich im Augenblick einfach nicht leisten, rausgeworfen zu werden. Wenn sie genug gespart hatte, um die drei Monatsmieten Kaution für eine eigene Wohnung zu hinterlegen, dann würde sie endlich die Genugtuung haben, Piers zu verlassen. Und dann konnte er sich eine andere suchen, die sein Ego polierte. Doch bis es so weit war, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Rolle der fügsamen Freundin zu spielen. Und diese Rolle, gestand sie sich ein und wackelte mit den Zehen, schien ihr wirklich auf den Leib geschrieben. Manchmal fürchtete sie, es werde für alle Zeiten die einzige sein, die sie je richtig beherrschte.

May wußte nicht, wie sie auf Sallys Problem mit Piers reagieren sollte, darum fragte sie: »Was wollte er alles wissen? Der Personalchef da drin, mein’ ich.«

Die Leseratte sah von ihrem Buch auf.

»Tja, also nicht besonders viel übers Putzen. Er hat eigentlich hauptsächlich Fragen über mich persönlich gestellt. Offenbar hatte er kein Problem damit, daß ich Schauspielerin bin. Er meinte, er suche selbstbewußte, eigenständige Mädels.«

»Mädels?« wiederholte May. »Was ist denn das für ein Chauvi.«

»Willkommen in der Wirklichkeit«, sagte die Profi-Putzfrau, die gerade aus dem Besprechungszimmer zurückkam.

»Haben Sie den Job?« fragte Sally.

»Nein. Er hat mir ziemlich unverblümt gesagt, daß ich zu alt bin. Erfahrung zählt nichts für solche wie den.« Zu recht empört stolzierte sie hinaus.

May wandte sich wieder an Sally. »Entschuldige, aber bist du wirklich sicher, daß er nicht ..., ich meine ...«

Das Mädchen in der Ecke ließ wieder ihr Buch sinken.

»Nein! Ganz ehrlich«, versicherte Sally. »Du wirst es ja gleich selber sehen.«

Die Leseratte stand auf. »Stört es, wenn ich mal kurz die Tür öffne? Ich brauche Luft. Mir ist ein bißchen flau.«

»Nein, nur zu. Es ist wirklich schrecklich stickig hier drin«, sagte Sally.

»Du siehst blaß aus«, fügte May hinzu.

»Mir geht’s gut. Wirklich. Mir ist nur einfach immer ein bißchen flau, wenn ich so nervös bin. Ich brauche diesen Job so dringend.«

»Ich auch«, gestand May. »Wenn ich ihn nicht kriege, verliere ich mein Heim. Na ja, mein Boot. Aber ich wohne auf dem Boot, also läuft es eben doch darauf hinaus.«

»Du wohnst auf einem Boot?« fragte Sally. »Das klingt sehr ...« Sie suchte nach dem richtigen Wort, das May nicht beleidigen würde. »Romantisch!«

May lachte ironisch. »Das würd’ ich nicht gerade sagen. Obwohl, vermutlich hab’ ich genau dasselbe gedacht, als ich es zum ersten Mal gesehen hab’.«

»Ja?«

May ging auf, daß sie ihre Geschichte zu Ende erzählen mußte, jetzt da sie einmal angefangen hatte. »Ich habe das Boot von einem Freund gekauft, der offenbar seit Ewigkeit keine Liegegebühr mehr bezahlt hatte. Das hab’ ich gestern erst erfahren. Darum bin ich hier. Ich habe drei Monate Zeit, das Geld zusammenzukratzen.«

»Wenigstens konkurrieren wir hier nicht gegeneinander«, sagte Sally. »Das ist das Gräßliche an meinem Beruf. Andauernd bewirbst du dich für dieselbe Rolle wie deine Freundinnen, die das Geld vermutlich genauso dringend brauchen wie du selbst. Hier suchen sie wenigstens ein Team.«

»Die Frage ist nur, für welche Art Teamarbeit«, unkte May. Ihre Nervosität steigerte sich mit jeder Minute. »Ich verstehe überhaupt nichts vom Putzen. Es besteht nicht die geringste Chance, daß ich diesen Job bekomme. Vielleicht sollte ich lieber jetzt verschwinden, statt zu warten, bis ich abgewiesen werde.«

»Aber vielleicht wirst du ja nicht abgewiesen«, gab die Leseratte zu bedenken.

»Hoffentlich nicht. Das einzige andere Stellenangebot, das für mich in Frage kam, war als Politesse. So verzweifelt ich auch sein mag, ich glaub’ nicht, daß ich dem ins Auge sehen könnte.«

Sally dachte darüber nach. »Weiß nicht. Diese Hüte sind doch irgendwie ganz attraktiv. Und du könntest vermutlich alle möglichen Berühmtheiten kennenlernen, die dir vielleicht eine Rolle in einem neuen Musical am West End anbieten, nur weil du so schöne Augen hast.«

Mays Augen verengten sich skeptisch. »Oh, klar doch ...«

Das Mädchen mit dem Buch rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.

»Geh du ruhig als nächste«, sagte May zu ihr, denn sie sah wirklich so elend aus, daß man fürchten mußte, sie werde sich übergeben, wenn man sie nicht bald von ihren Qualen erlöste.

»Nein, nein, ich war schon. Ich warte nur auf das Ergebnis. Du bist dran.«

»Ach, du lieber Gott. Ehrlich?« May erhob sich, ging zur Tür und stolperte wieder in ihren etwas zu großen Tretern.

In dem Büro saß ein Mann in einem Anzug, beinah vollkommen verhüllt von einem Nebel aus Zigarettenrauch. Er hatte die Statur und das oberflächlich gute Aussehen eines Nachtclubtürstehers und wirkte geradezu ekelerregend reich. Manche Frauen würden ihn wohl attraktiv nennen, räumte May ein. Er hatte dunkle, durchdringende Augen, die, so fürchtete sie, blitzschnell und absolut korrekt zwischen einer Frau, die sich aufs Putzen verstand, und einer, die davon keine Ahnung hatte, unterscheiden konnten.

Mit einer Geste bot er ihr einen Platz an, und May entdeckte einen Ring mit einem Rubin an seinem kleinen Finger – ein sicherer Beweis dafür, daß er sich darauf verstand, Geld zu machen. Beruhigend.

»Nun denn, meine Liebe«, begann er. »Ihr Name?«

»May Sargent.«

Er zog Mays Fragebogen zwischen den anderen hervor, die in einem Stapel auf seinem Schreibtisch lagen. Er überflog ihn kurz, ehe er May wieder ansah.

»Ich wüßte gerne ein bißchen mehr über ihren Background, ehe ich Ihnen erzähle, was für ein Geschäft ich hier aufziehen möchte. Hier steht, Sie leben auf einem Boot?«

»Ähm ... ja.«

»Zusammen mit Ihren Eltern?«

»Nein.«

»Und wo wohnen Ihre Eltern?«

Mays Mangel an Zurückhaltung und ihre feministischen Prinzipien hatten sie erst gestern einen Job gekostet. »In Hertfordshire«, antwortete sie artig.

»Sehen Sie sie häufig?«

»Na ja ... nicht so oft, wie sie es gern hätten.«

Er studierte wieder ihren Fragebogen. »Sie leben also allein auf diesem Boot?«

»Ja.«

Er nickte. »Also, sagen Sie mir, May, warum Sie sich für diesen Job beworben haben.«

»Ich brauche das Geld.« Ehrlichkeit mochte einen nicht immer am weitesten bringen, aber ihr war keine Zeit geblieben, sich eine bessere Antwort auszudenken.

»Würden Ihre Eltern Ihnen nicht aushelfen?«

Warum dachten nur alle Leute, ihre Eltern seien so was wie der Internationale Währungsfonds? Mike hatte auch vorgeschlagen, sie solle sie um das Geld bitten. »Ich lebe nicht mehr zu Hause, und ich kann mich selbst versorgen.«

»Wirklich? Sie haben ziemlich viele Ausbildungen angefangen, oder?«

Das war ihr vertrauter. Kritische Äußerungen über ihre Unfähigkeit, sich für einen Beruf zu entscheiden. Schuldgefühle und ihre Ratlosigkeit trieben sie in die Defensive. »Nur drei.«

»Aber Sie arbeiten jetzt in keinem dieser Bereiche?« Die Hand mit dem Rubinring fegte abfällig über den Fragebogen.

»Nein ... Meine Eltern ...« Sie konnte nicht sagen, ihre Eltern hätten sie zu irgend etwas gezwungen. So etwas hätten sie nie getan. Aber um ihretwillen, um sie zu beruhigen, hatte May versucht, erst Reiseleiterin, dann Zahnarzthelferin und schließlich Hotelmanagerin zu werden. »Meine Eltern fanden, es seien vernünftige Berufe.«

Der Mann betrachtete sie unverwandt, sein intensiver Blick hatte etwas Entnervendes. Schließlich sagte er: »Nun, May, wenn Sie auch abgerissen aussehen, so verstehen Sie sich doch auszudrücken. Sehr gut sogar.«

May schnappte nach Luft.

»Außerdem haben Sie eine gute Allgemeinbildung, und da Sie eine Uniform bekommen, ist Ihre Kleidung kein Problem.«

»Oh, gut.«

»Sie haben die Annonce gelesen, also werden Sie wissen, daß ich hier einen neuen Unternehmenszweig aufbauen will. Ich beabsichtige, meine Geschäfte dahingehend zu erweitern, daß ich einen Reinigungsdienst für eine gehobene Kundschaft anbiete. Die Firma soll Quality Cleaners heißen. Das ist der Grund, warum ich junge Ladys suche.«

May vertuschte ihr Zusammenzucken mit einem unechten Lächeln.

»Meine Kunden erwarten etwas mehr als die gute, alte Mrs. Mop. Vielleicht ist auch mal ein Blumenarrangement gefragt, ein bißchen Catering, servieren, all diese Dinge. Dienstleistungen, die Sie meiner Einschätzung nach anbieten können.«

»Ich verstehe überhaupt nichts von all diesen Sachen!« Sie sah Zweifel im Gesicht des Mannes aufflackern und damit die Chancen für ihren Job schwinden, darum fügte sie eilig hinzu: »Aber ich bin sicher, ich kann es lernen.«

»Ich bin überzeugt, Sie können eine perfekte junge Lady sein, wenn Sie sich darauf konzentrieren.« Sein Lächeln jagte May einen eisigen Schauer über den Rücken. »Also, sagen Sie mir, meine Liebe: Wenn ich Ihnen einen Job anböte, würden Sie ihn annehmen?«

»Als Reinigungskraft?«

»Selbstverständlich. Ich würde nichts von Ihnen verlangen, dem Sie sich nicht gewachsen fühlen.«

»Und ich müßte nicht nachts arbeiten oder so was?« Nach der Unterhaltung im Warteraum fand May, sie sollte lieber auf Nummer Sicher gehen.

Die leutselige Maske zeigte erste Risse. »Es mag vorkommen, daß nach den üblichen Bürostunden noch gearbeitet wird, aber dabei geht es um nichts Ungewöhnliches, nichts, das nicht koscher wäre. Ich habe mich immer im Rahmen der Gesetze bewegt. Wenn ich Stellen für Reinigungskräfte ausschreibe, dann will ich auch Reinigungskräfte.«

»Ja, natürlich«, sagte May demutsvoll.

»Also, wollen Sie diesen Job nun oder nicht?«

May räusperte sich. »Heißt das, Sie bieten ihn mir an?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich frage, ob Sie ihn wollen.«

»Ja. Ja, ich will ihn haben. Unbedingt.«

Offenbar betrachtete der Mann dieses Eingeständnis als Unterwerfung, und er lächelte wieder. »Gut. Wenn draußen noch jemand ist, schicken Sie sie bitte herein. Andernfalls warten Sie bitte.« May schlich davon und fragte sich, ob der Job als Politesse nicht vielleicht doch die bessere Lösung wäre.

Kapitel 2

Nun, meine Damen, ich bin überzeugt, Sie werden froh sein zu hören, daß ich Ihnen allen eine Anstellung bei Quality Cleaners anbieten kann.«

Die drei jungen Frauen, die inzwischen alle Hoffnung aufgegeben hatten, jemals zu erfahren, ob sie denn nun Jobs hatten oder nicht, hoben die Köpfe.

»Ich habe Verträge für Sie vorbereitet.« Er reichte jeder einen Stapel Papier mit Durchschlägen.

Harriet, die Leseratte, blätterten ihren durch. Ungefähr sieben Seiten Kleingedrucktes. Bei genauerem Hinsehen entdeckte sie zahllose Tippfehler. Der chemische Geruch, der dem selbstdurchschreibenden Papier entströmte, verschlimmerte ihre Übelkeit.

»Vielleicht würden Sie sie lieber erst in Ruhe durchlesen«, sagte ihr neuer Arbeitgeber. »Es wird zwar ein Weilchen dauern, aber«, hier zeigte er ein hämisches, wissendes Lächeln, »vernünftige junge Ladys wie Sie werden nichts unterschreiben, was Sie nicht vorher gelesen haben.«

Das schaff’ ich jetzt nicht, dachte May. Es geht einfach nicht. Es handelt sich vermutlich sowieso nur um solches Zeug wie freiwillige Rentenbeiträge, und ich habe nicht die Absicht, so lange zu bleiben.

Ich weiß, ich sollte den Vertrag lesen, dachte Harriet. Aber ich werde nur Kopfschmerzen davon bekommen. Er kann mich doch sicher an nichts allzu Schreckliches binden.

»Sie könnten sich natürlich auch entschließen zu glauben, daß ich vertrauenswürdig bin und Ihnen gute Jobs zu guten Konditionen anbiete ...«

»Ich werd’ Ihnen einfach trauen«, sagte Sally, die ihre Verträge noch nie durchgelesen hatte und heute ganz sicher nicht damit anfangen wollte. Dafür war ihr Agent da. »Geben Sie mir was zu schreiben.«

»Wir müssen verrückt sein«, murmelte May und nahm den Stift, den Sally an sie weiterreichte.

»Ich auf jeden Fall«, sagte Harriet so leise, daß niemand es hörte.

»Der Mann ist ein widerlicher Schleimer!« May hatte die Faust um ein Stück Papier geschlossen, das die Adresse ihres ersten Einsatzortes enthielt. Morgen sollten sie dort anfangen.

Sie standen auf den Eingangsstufen des Gebäudes um Harriets Gepäck herum, nachdem sie ihre Verträge unterzeichnet und ein paar ermunternde Worte ihres neuen Arbeitgebers – ›Nennt-mich-Keith‹ Slater – gehört hatten, eine klassische Nummer von wegen Ich-bin-ein-erfolgreicher-Geschäftsmann-und-auch-ihr-könnt-reich-und-mächtig-werden.

»Wenn wir zusammen arbeiten sollen, dann sollten wir uns besser kennenlernen«, fuhr May fort und wandte sich an Harriet. »Ich heiße May Sargent.«

»Harriet Devonshire.«

»Meinen Namen kennt ihr ja schon«, sagte Sally. »Und wenn ich nicht bald eine Toilette finde, kann ich keine Verantwortung übernehmen für das, was passiert.«

»Laßt uns ein Café suchen – mit einer Toilette – eine Tasse Kaffee trinken und uns ein bißchen erholen. Dann können wir auch überlegen, wo wir uns am besten morgen früh treffen«, schlug May vor.

Sally war einverstanden. »Gute Idee. Ich kenne ein Café gleich da vorn um die Ecke. Kommt mit – und beeilt euch!«

Die Büros von Quality Cleaners lagen im Dachgeschoß eines sehr gediegenen Hauses am Shepherd Market. Sally führte sie aus der feinen Gegend um ein paar Ecken, bis das Ambiente der Umgebung weit genug gesunken war, um ein Selbstbedienungscafé zuzulassen.

Sie holten ihren Kaffee an der Theke und setzten sich an einen Tisch, auf dem sich kein schmutziges Geschirr stapelte.

»Tut mir leid«, sagte Sally, als sie vom Waschraum zurückkam. »Der Laden ist ein bißchen runtergekommen, seit ich zuletzt hier war.«

»Dafür ist es sehr billig«, entgegnete May. »Und ich kann es mir nicht erlauben, wählerisch zu sein. Apropos wählerisch. Warum hat Keith sich wohl für uns entschieden, statt die Profis zu nehmen? Ich meine, ich sehe doch wohl kaum wie ein Quality Cleaner aus.«

Sally nahm einen Schluck von ihrem schwarzen Kaffee. »Warte nur, bis du deinen Overall in Fuchsienrosa anhast.«

»Ganz zu schweigen von der passenden Baseballkappe, mit dem in geschmackvollen Goldbuchstaben eingestickten Firmennamen darauf«, fügte Harriet hinzu. Sie schien den Umgang mit gleichaltrigen Frauen nicht gewöhnt zu sein und versuchte die lockere, freundliche Art der beiden anderen zu übernehmen.

May zog eine Grimasse. »Igitt! Von Overalls und Baseballkappen hat er mir nichts gesagt. Nur daß ich eine Uniform bekäme und es daher gleich sei, daß ich abgerissen aussehe. Aber trotzdem«, beharrte sie. »Er hat mir nicht eine einzige fachbezogene Frage gestellt, etwa wie man Lamellenrollos saubermacht oder irgendwas in der Richtung.«

»Bei mir war’s genauso«, sagte Sally. »Dabei hatte ich vor, ihm den Text aus dem Scheuermilch-Werbespot aufzusagen, den ich mal gemacht hab’. Aber er hat mir gar keine Chance gegeben.«

»Und ich bin absolut hoffnungslos, was das Putzen angeht«, gestand May. »Irgendwie nehme ich den Dreck einfach nicht wahr, das behauptet meine Mutter jedenfalls immer. Ich hab’ ihm gesagt, ich könnte keine Blumenarrangements oder so was machen.«

Sally war entsetzt. »Blumenarrangements? Ich steck’ die Dinger in eine Vase und warte, bis sie verwelkt sind.«

Harriet lächelte scheu. »Also, ich bin ziemlich gut im Arrangieren von Blumen und sonstiger Hausarbeit. Putzen. Das habe ich gemacht, seit ich zwölf war. Ich geb’ euch gern ein paar Tips.«

»Was ich brauche, sind keine Tips«, verkündete May, »sondern ein Grundkurs. Er muß verrückt sein, so eine wie mich zu nehmen, wo der ganze Warteraum voller Profis saß.«

»Wir sind eben jung und enthusiastisch«, zitierte Sally die Stellenannonce.

»Und wir sprechen Queens English«, ergänzte Harriet.

»Was?« fragte May entsetzt.

»Wirklich?« sagte Sally.

Harriet ordnete Zuckerstreuer, Ketchup- und Essigflasche zu einem ordentlichen Dreieck an. »Hat er euch nicht erzählt, daß er die gehobene Kundschaft anvisiert? Ich hatte den Eindruck, wenn ein potentieller Kunde keine Verwandtschaft mit der Royal Family vorweisen kann, schickt er ihm keine Putzfrau. Er hat uns genommen, weil wir ›Ladys‹ sind.«

May schauderte. »Ich hasse es wirklich, so genannt zu werden, es hört sich so nach öffentlicher Bedürfnisanstalt an.«

Sally verzog das Gesicht. »Du willst also sagen, die drei Jahre Schauspielschule, während derer ich gelernt habe, so zu sprechen, daß ich auch in den hintersten Reihen noch verstanden werde, haben mir die perfekte Stimme für Quality Cleaners eingebracht?«

Harriet rührte in ihrem Kaffee. »Es sieht so aus.«

»Ich habe in meinem ganzen Leben noch nichts so offenkundig Snobistisches gehört«, schimpfte May. »Wenn ich das Geld nicht so dringend bräuchte, würde ich das niemals mitmachen. Es verstößt gegen all meine Prinzipien.«

»Prinzipien kann ich mir nicht leisten«, sagte Sally. »Ich hätte ja überhaupt nichts dagegen, mich aushalten zu lassen, aber mein Freund meint, es sei unverantwortlich, in einer Wohnung in der Londoner Innenstadt Haustiere zu halten.« Zu ihrem strahlenden Lächeln stahl sich ein leicht nervöser Ausdruck.

»Aber er kann sein neues Geschäft doch nicht auf solche wie uns gründen«, beharrte May. »Nur aufgrund der Art, wie wir reden. Ich könnte mir vorstellen, daß die meisten seiner Kunden sowieso nicht zu Hause sind, wenn wir kommen. Ihnen wär’s vermutlich völlig egal, wenn wir den breitesten Cockney-Slang hätten.«

»Er hat gefragt, ob wir rauchen«, sagte Harriet.

»Vermutlich wollte er dir eine Zigarre anbieten«, meinte May.

»Also, warum er mich auch immer genommen haben mag, ich bin ja so froh, daß ich Arbeit gefunden hab’, kaum daß ich in London bin. Selbst wenn es ein Job wie dieser ist.«

»Was hast du denn vorher gearbeitet?« wollte May wissen.

»Als Haushälterin, könnte man wohl sagen.« Mays und Sallys Gesichter zeigten solche Neugier, daß Harriet kaum etwas anderes übrigblieb, als fortzufahren: »Ich habe bei meinen Großeltern gelebt. Ich hab’ ihnen den Haushalt geführt.« Sie schlug die Augen nieder, als wolle sie etwas verbergen.

May und Sally tauschten einen Blick. »Und was hast du so gemacht, May?« fragte Sally, taktvoll genug, um Harriet nicht weiter zu löchern. »Bevor du in die Finanzkrise geschlittert bist?«

May zuckte die Schultern. »Ich hab’ nie einen richtigen Beruf ausgeübt, nur jede Menge Jobs, immer im Wechsel mit jeder Menge Kurse und angefangenen Ausbildungen. Bis gestern hab’ ich in einem Pub gekellnert. Und im Sommer habe ich Kanal-Souvenirs gemalt. Ihr wißt schon, Rosen und Schlösser auf Holzlöffel. Die hab’ ich an Andenkenläden verkauft.«

»Ich bin nach wie vor überzeugt, daß es romantisch ist, auf einem Boot zu leben«, sagte Sally.

May schnaubte. »Bis gestern hab’ ich das wohl selbst geglaubt. Heute finde ich, daß es höllisch teuer ist und nichts als Scherereien bringt.« Sie spielte mit ihrem Teelöffel, plötzlich nachdenklich.

Harriet wischte mit dem Daumen über den Rand ihrer Tasse, um sicherzugehen, daß sie keine Lippenstiftspuren hinterlassen hatte, obwohl sie gar keinen Lippenstift trug. »Ihr wißt nicht zufällig, wo der YWCA ist? Oder ob ich von hier aus zu Fuß dorthin komme?«

»Ich hab’ keinen Schimmer, tut mir leid«, sagte Sally.

»Wozu willst du das wissen?« erkundigte sich May. »Wenn die Frage nicht unhöflich ist.«

»Ich brauche ein Dach über dem Kopf – irgendeine Übergangslösung, bis ich mir eine Wohnung suchen kann.«

»Ich würde dich mit zu mir nehmen«, sagte Sally. »Aber mein Freund legt den allergrößten Wert auf seine Privatsphäre.« Sie sagte nicht, daß Piers sich nur mit einflußreichen, schillernden Figuren umgab. Harriet würde er als pure Platzverschwendung abtun und May als Vogelscheuche, die sich die Beine nicht rasierte und somit eine Zumutung für jede zivilisierte Gesellschaft sei. »Er ist ziemlich berühmt, versteht ihr.«

»Warum? Wie heißt er?« fragte May.

»Piers Fox.«

Harriet und May sahen sich ratlos an.

»Nie gehört«, verkündete May fröhlich.

»Ich auch nicht, aber ich komme schließlich vom Land ...«

Sally seufzte. »Ich hatte auch nie von ihm gehört, ehe ich ihn kennengelernt hab’. Er ist Journalist und ziemlich angesehen.«

Die anderen sannen auf einen passenden Kommentar, aber beiden fiel nichts ein.

May flüchtete sich wieder in einen Themenwechsel. »Du kannst auf jeden Fall erst mal mit zu mir«, sagte sie zu Harriet. »Wenigstens bis du hier auf die Beine gekommen bist.«

»Das ist wirklich sehr nett, aber das könnte ich nie annehmen.«

»Blödsinn! Du kannst nicht in irgendeiner Jugendherberge oder so was absteigen, wenn du neu in London bist. Ich würde dir liebend gern das Leben auf den Kanälen zeigen. Es sei denn, du hast eine Wasserphobie oder Bootephobie oder irgendwas in der Art.«

Harriet konnte sich solcherlei Phobien ebensowenig leisten wie Sally Prinzipien. »Es wäre herrlich. Also, wenn du wirklich sicher bist ... Aber ich bestehe darauf, dafür zu zahlen.«

»Das will ich nicht.«

»Aber wenn du so dringend Geld brauchst, daß du eine Stelle als Putzfrau annimmst, heißt das, du brauchst jeden Penny, den du kriegen kannst. Ich werde zahlen, andernfalls kann ich dein Angebot nicht annehmen.« Harriet klang sehr entschlossen.

May seufzte. »Du hast natürlich recht. Es kommt mir nur so falsch vor, Geld von einer Freundin anzunehmen.«

Harriet errötete. »Irgendwem müßte ich so oder so für Kost und Logis Geld bezahlen. Warum also nicht dir.«

Mays Gesicht hellte sich auf. »Wenn Mike, der Typ, dem der Liegeplatz gehört, sieht, daß ich eine Untermieterin habe, wird er vielleicht eher dran glauben, daß er sein Geld bekommt. Wie wär’s, wenn du mir dasselbe gibst, was eine Übernachtung beim YWCA kostet – falls du weißt, wieviel das ist.«

»Das finde ich raus«, versprach Harriet.

»Also, laß uns gehen. Jetzt zeig’ ich dir dein neues Heim. Kommst du mit, Sally?«

Sally war versucht. Sie warf einen Blick auf die goldene Armbanduhr, die Piers ihr in einem Glückskuchen versteckt geschenkt hatte. Wie immer erinnerte die Uhr sie an die längst vergangenen, guten Zeiten. Sie schüttelte den Kopf. »Ich muß rechtzeitig zurück sein, um irgendwas zum Abendessen zu kochen.«

»Es kann aber doch noch nicht viel später als vier Uhr sein«, wandte Harriet ein. Sie wußte nur zu gut, was für ein Joch es ist, regelmäßig Mahlzeiten auf den Tisch bringen zu müssen, aber sie war es gewöhnt, damit fertig zu werden. »Noch jede Menge Zeit also.«

Sally hob die Schultern. All ihre Gesten waren dramatisch und expressiv. »Vielleicht, aber ich bin eine hoffnungslose Köchin, und Piers ist so ein schrecklicher Gourmet.«

»Ach, komm doch«, sagte May. »Wir müssen schließlich wirklich einen Plan für morgen machen, und außerdem bin ich sicher, Harriet kann dir ein Rezept geben, das du in fünf Minuten zusammenzaubern kannst.«

»Das stimmt«, bemerkte Harriet.

Früher einmal hatte Sally Piers sein Abendessen gekocht, weil sie ihn liebte. Pflichtgefühl allein war keine ausreichende Motivation. »Oh, meinetwegen. Warum nicht. Aber wir dürfen das Rezept auf keinen Fall vergessen.«

May strahlte. »Gut! Kann ich dir die Tasche vielleicht abnehmen, Harriet?« Ohne Harriets Antwort abzuwarten, nahm sie ihre Reisetasche und führte die anderen aus dem Café.

May ging mit schnellem, entschlossenem Schritt. Selbst Sally in ihren fünf Zentimeter hohen Absätzen und mit Harriets Beautycase beladen, ging mit erstaunlicher Schnelligkeit und schlängelte sich geschickt zwischen den entgegenkommenden Fußgängern hindurch. Harriet folgte langsamer auf ihren schwarzen Pumps und behindert durch ihren schweren Koffer. Sie war eher an feste Arbeitsschuhe oder Gummistiefel gewöhnt und hatte eine Blase an der Ferse.

»An die U-Bahn gewöhnst du dich schnell«, rief May ihr über den Mittelgang des Waggons hinweg zu, als sie schließlich Richtung Paddington unterwegs waren. »Es braucht nur ein bißchen Übung.«

Harriet lächelte schwach. Sie war überzeugt, sie würde sich nie an das Gefühl gewöhnen, daß die London Underground die Kontrolle über ihre Bewegungen hatte, nicht sie selbst.

»Sally, hast du eine Ahnung, wo dieses Haus ist, wo wir morgen anfangen sollen?« brüllte May gegen das Rattern der Bahn.

»Kein Schimmer«, brüllte Sally unbekümmert zurück. »Aber ich garantiere dir, es ist in keiner Gegend, die eine von uns freiwillig besuchen würde.«

»Sind wir mal ehrlich, keine von uns ist wirklich freiwillig hier«, sagte May.

»Ich schon.« Harriet war sich kaum bewußt, daß sie es laut ausgesprochen hatte. »Ich bin von zu Hause weggelaufen.«

Der Fahrtwind im Tunnel war ohrenbetäubend, aber Harriet hatte Pech, May war recht geschickt im Lippenlesen. »Sagtest du, du bist weggelaufen?«

Harriet fuhr leicht zusammen und nickte. Sie fragte sich, wie in aller Welt ihr das hatte herausrutschen können. »Ich erzähl’s dir später.« Sie betrachtete einen Kratzer auf ihrer Schuhspitze und dachte darüber nach, was für einen gewaltigen Schritt sie gewagt hatte, als sie die Sicherheit ihres komfortablen, ländlichen Heims verließ und gegen das Londoner Chaos eintauschte.

May führte sie aus dem U-Bahnhof, über einen Vorplatz mit einer langen Reihe Taxis und einer erstaunlich geschmackvollen Uhr mit Blumendekor, über eine Brücke und auf einen Parkplatz.

»Wohin entführst du uns?« wollte Sally wissen.

»Vertraut mir«, erwiderte May mit einem leisen Lachen. »Hier über den Zaun, dann durch die Gasse da vorn.«

Harriet war überzeugt, daß jeden Moment die Wachhunde über sie herfallen würden, deren Existenz die am Zaun befestigten Schilder androhten. Sie quetschte sich mitsamt ihrem Gepäck durch die schmale Gasse zwischen einer Mauer und einem Holzzaun, der eine Baustelle umgab.

Der Kanal, den sie bisher immer nur kurz zwischen den Häusern hatte schimmern sehen, verbreiterte sich vor ihnen zu einer Art Becken. Drei Pontons ragten vom Ufer ins Wasser hinaus. Sie wirkten nicht übermäßig stabil und nur lose verankert, und an jeder dieser schwimmenden Brücken waren verschiedene Wasserfahrzeuge vertäut.

»Das da, das ist mein Boot.« May zeigte auf einen hohen, schwarzen Rumpf, größtenteils verhüllt von zerrissenen Planen und schlaffer, dreckverschmierter Plastikfolie. Es erinnerte an irgendein widerwärtiges, blutsaugendes Flußmonster.

»Oh, mein Gott«, hauchte Sally.

»Seht ihr’s?« May schien die Konsterniertheit ihrer Begleiterinnen überhaupt nicht wahrzunehmen. »Es ist die Rose Revived.«

Harriets Herz sank. Worauf hatte sie sich hier nur eingelassen? Die Vorstellung, in einer Jugendherberge zu nächtigen, war deprimierend gewesen, als es ihre einzige Möglichkeit zu sein schien, doch jetzt kam sie ihr unvergleichlich viel reizvoller vor, als im Bauch dieser Riesenschnecke zu schlafen.

»Sie liegt gleich neben dem schwarzen da, der Shadowfax«, fuhr May fort, den Schalk im Nacken.

Harriet und Sally entdeckten die Rose Revived gleichzeitig und stießen beide einen erleichterten Stoßseufzer aus. Mays Boot war größtenteils von der Shadowfax verdeckt, aber selbst das Wenige, das sie von ihr erkennen konnten, machte klar, daß die beiden Boote im Grunde nichts gemeinsam hatten, abgesehen von der Größe.

»Wir müssen über die Schleuse da vorn«, erklärte May. »Seid vorsichtig.« Sie selbst überquerte den schmalen Steg mit einem erschreckenden Mangel an Vorsicht, die Taschen unter die Arme geklemmt.

Die anderen beiden folgten etwas zögerlicher.

May wartete schon. »Kommt. Wir müssen über die Shadowfax klettern – falls das geht mit dem Rock«, sagte sie zu Sally. »Gib mir deinen Koffer, Harriet. Oh, da ist Mike.« May wandte sich zum einzigen Gebäude in dem kleinen Bootshafen um. »Hi, Mike!« rief sie. »Ich hab’ eine Untermieterin und einen Job! Ich komm’ später vorbei und erzähl’ dir davon!«

Mike brüllte etwas Unverständliches zurück und blieb dann stehen, um zuzusehen, wie Sally auf das Boot kletterte.

Sally war am Ende des Pontons angekommen, setzte einen ihrer hochhackigen Füße auf das Schandeck – die oberste Planke, die praktisch den Bootsrand bildete – und kletterte mühelos an Bord der Shadowfax. Schließlich war es ja nur ihrer Gelenkigkeit zu verdanken, daß sie mal eine Rolle in einer Show am West End bekommen hatte.

»Mann, so schmal!« rief sie aus, nachdem sie zur Rose Revived hinübergeklettert war und ihren hochgerutschten Rock wieder glattgestrichen hatte – eine große Enttäuschung für Mike und einen Jogger auf dem Treidelpfad am gegenüberliegenden Ufer. »Darf ich reingehen?«

May schloß die Tür auf, und Sally neigte den Kopf ein wenig und trat ein. »Oh, May! Du bist ein Glückspilz!«

Harriet traute sich nicht, ihre Habseligkeiten hier in dieser fremden Umgebung unbeaufsichtigt zu lassen, darum wartete sie am Ufer, bis May zurückkam. May schulterte die Reisetasche und winkte Harriet, ihr zu folgen.

Als sie schließlich heil angekommen war und auf dem kleinen Welldeck stand, nahm Harriet ihr Übergangsheim genau in Augenschein. Wie die Shadowfax hatte auch die Rose Revived einen schwarzen Rumpf, doch die Seitenwände der Kajüte waren leuchtend blau, die Reling weiß. Der Aufbau hatte mehrere große Fenster, eingerahmt von weißen Holzläden.

Harriet lehnte sich über die Reling. Der Name des Bootes stand auf beiden Seiten des Bugs, große, verschnörkelte Buchstaben in der Art, wie früher die Lieferwagen der Gemüsehändler beschriftet waren, mit einer Rundung in verschiedenen Farben unter jedem Buchstaben. Das Boot wirkte sauber und gepflegt, und ein anheimelnder Rauchkringel stieg aus dem schwarzen, mit Messing abgesetzten Schornstein.

Harriets gedrückte Stimmung hob sich. Sie hatte gelernt, nicht allzuviel vom Leben zu erwarten, aber das hier sah gut aus.

»Komm rein«, rief Sally von drinnen. »Es ist super!«

Harriet bugsierte sich selbst und ihr Gepäck durch die Doppeltür und betrat die Kabine. Ihre Stimmung hob sich noch ein bißchen mehr. Die Wärme, die Kiefernholzverkleidung und der glänzende, schwarze Ofen wirkten einladend. Selbst der Staub, der überquellende Papierkorb und die Kleidungsstücke, die zum Trocknen über dem Ofen hingen, hatten in ihren Augen einen verführerischen Charme, der ihr Herz im selben Maße wärmte wie den Körper.

Das Haus, das Harriet an diesem Morgen verlassen hatte, war blitzsauber. Kein Staubkörnchen wurde auf den gewachsten, antiken Möbelstücken oder den Meißner Porzellanfiguren geduldet. Die Kissen, die ihre Großmutter so hingebungsvoll bestickt hatte, waren nicht dazu da, um darauf zu sitzen, sondern lediglich, um regelmäßig aufgeschüttelt zu werden. Die aufwendigen, professionell arrangierten Blumensträuße, die ihre Großmutter bevorzugte, wurden immer entsorgt, ehe sie es wagen konnten, ihre Blütenblätter abzuwerfen.

Die Rose Revived war unkritisch. Hier durfte man seine Kleidungsstücke verstreuen, mit nassen Schuhen über den etwas fleckigen Teppichboden laufen, aufgeschlagene Bücher in den Regalen liegen lassen. Harriet lächelte.

Der Innenraum war extrem schmal – gut zwanzig Meter Länge, aber kaum zwei Meter Breite gaben ihm die Ausmaße eines schmalen Eisenbahnwaggons. Doch es wirkte keineswegs beklemmend. Nut-und-Feder-Bretter aus goldbraun gebeiztem Kiefernholz bedeckten die Wände. Die beinah verschwenderisch großen Fensterflächen ließen die Sonne herein, die strohfarbenen Leinenvorhänge verstärkten ihren Effekt noch.

»Da ist mein Zimmer«, May streckte die Hand aus. »Hinter der Küche. Du kannst hier schlafen, im Salon.«

An der Wand stand eine etwa zwei Meter lange Bank, und Harriet ging auf, daß dies ihr Bett war. Dem Ofen gegenüber war ein unterteilter Klapptisch an die Wand geschraubt, nur ein Abschnitt war hochgeklappt. Farbige Drucke mit Vogelmotiven waren an die Schotten genagelt.

»Es ist wunderschön.« Harriet ließ sich auf die Bank mit den vielen Kissen fallen und streifte die Schuhe ab. »Wirklich schön. Bist du sicher, daß du mich hier aufnehmen willst?«

May freute sich über die Anerkennung ihrer neuen Freundinnen und lächelte warm. »Natürlich. So lange du willst. Verstehst du jetzt, warum ich mich für den Job beworben habe? Wenn ich nicht bald eine Anzahlung auf die ausstehenden Liegegebühren mache, muß ich die Rose Revived verkaufen.«

»Oh, May«, sagte Sally.

May biß sich auf die Lippen, als sie merkte, wie nahe sie den Tränen war. Hunger, Sorgen und Müdigkeit hatten sich verschworen, ihrem sonst so unverwüstlichen Optimismus das Wasser abzugraben. »Na ja, egal«, fuhr sie betont fröhlich fort. »Wie ich Mike schon gesagt hab’, jetzt habe ich einen Job und eine Untermieterin. Also, wer will Beans on Toast? Ich sterbe vor Hunger.«

»Oh, für mich nicht«, wehrte Sally ab. »Ich bin auf Diät.«

May wandte ihre Aufmerksamkeit von ihren eigenen Problemen Sallys Jagdhundfigur zu. »Wieso?«

»Das hast du doch nicht nötig«, sagte Harriet.

»Oh, ich weiß. Im Augenblick ist alles in Ordnung. Aber wenn ich nicht teuflisch darauf achte, gehe ich auf wie ein Hefekloß und komme im Handumdrehen auf siebenundfünfzig Kilo. Gräßlich.«

»Wie groß bist du?« fragte May.

»Eins achtundsechzig. Aber als Schauspielerin muß man einfach schlank sein. Außerdem meint Piers ...« Plötzlich kam Sally sich unloyal vor und beendete den Satz nicht.

»Ich setz’ mal die Bohnen auf«, sagte May nach einem kurzen Schweigen und verzog sich in die Kombüse.

May liebte ihr Boot nicht nur, sie war auch unendlich stolz darauf. Mit der Hilfe ihrer herzensguten, geliebten, aber immer so schrecklich besorgten Eltern hatte sie den Mann ausbezahlt, mit dem sie das Boot eine Zeitlang geteilt hatte, und seit drei Monaten war sie die alleinige Eigentümerin. Aber weil sie schon Hilfe in Anspruch genommen hatte, um das Boot zu kaufen, hatte sie Mikes Vorschlag, ihre Eltern um das Geld für die Liegegebühren zu bitten, unumwunden abgelehnt. Auf die eine oder andere Weise hatte sie ihnen genug Kummer gemacht. Diese Schlacht würde sie alleine schlagen.

»Wie bist du denn eigentlich zu dem Boot gekommen, May?« wollte Sally wissen.

May setzte den Dosenöffner an und seufzte. »Vermutlich könnte man sagen, durch einen Mann. Ich ging mit einer alten Schulfreundin auf dem Treidelpfad am Oxford Canal spazieren. Es war Herbst, die Blätter fingen gerade an, sich zu färben. Na ja, und da kam dieses Hausboot entlanggetuckert, und der Typ warf ein Tau um einen Poller. Wir kamen ins Gespräch, und so fing es an.« Sie drehte an der Flügelschraube des Dosenöffners. »Rückblickend ist mir klar, daß es mehr der Lifestyle war als der Mann, in den ich mich verliebt hab’. Er hat jedenfalls eine andere kennengelernt, und meine Eltern haben mir geholfen, ihn auszubezahlen.«

»Warst du nicht am Boden zerstört?« fragte Sally mitfühlend.

May schüttelte den Kopf. »Er fing an, mir ernstlich auf die Nerven zu gehen. Er hat nie einen Schlag getan. Als dieses Mädchen aufkreuzte – präraffaelitisches Wallehaar und indische Wallekleider –, war ich froh, daß er sein Zeug packte.« Sie legte den Dosenöffner beiseite und fischte den Deckel aus der Dose. »Meine Eltern waren ja so erleichtert!«

Das konnte Harriet sich gut vorstellen. »Und hast du viel an dem Boot gearbeitet, seit es dir gehört?«

»O ja. Das Innere war praktisch kahl. Ich hab’ den Tisch und die Sitzbank eingebaut, da unter den Stufen Schränke eingepaßt, die Schotten gesandstrahlt und lackiert und alles ein bißchen wohnlicher gemacht.«

»Du bist ziemlich geschickt«, meinte Sally.

»Ich hatte Hilfe. Der Typ von der Shadowfax ist ein super Zimmermann und Tischler. Er hat mir gezeigt, wie ich’s machen mußte. Es ist nur ziemlich schwierig, mit ihm zu arbeiten, denn er ist eine richtige Nachteule. Kein Wunder, daß er Schwierigkeiten hat, einen Job zu finden.«

Aber es war mehr als nur gute Tischlerarbeit, was May hier geleistet hatte, das konnte Harriet sehen. Mays Persönlichkeit war überall erkennbar. Die Bilder, die sie ausgewählt hatte, die Bücher, die sie las, die Tassen mit kaltem Tee, die überall herumstanden, alles vereinigte sich zu einem homogenen Ganzen, harmonisch, gemütlich und warm.

»Eine Scheibe Toast oder zwei?« rief May.

»Zwei, bitte, wenn ich darf«, antwortete Harriet.

»Bist du sicher, daß du nichts willst, Sally?«

»Oh, meinetwegen, aber nur ein bißchen.«

Nachdem die Bohnen vertilgt und mehrere Liter Tee getrunken waren, streckte Sally ihre langen Beine aus, reckte sich und stand auf.

»Jetzt muß ich aber wirklich los. Es ist toll, daß ich euch beide kennengelernt hab’. Wenn ich es Piers nicht sagen müßte, würde ich mich auf mein Putzfrauendasein richtig freuen.«

»Ich weiß, was du meinst«, sagte May. »Meine Brüder werden mich bis ans Ende aller Tage damit aufziehen, wenn sie’s hören.«

»Wenn es nur das wäre, damit könnte ich leben. Aber Piers wird denken, ich hätte mich nicht genug bemüht, die Rolle in dem Tschernobyl-Stück zu kriegen.«

Und in gewisser Weise hätte er sogar recht, ging ihr auf. Hätte sie ihr graues Leinenkleid getragen, klobige Schuhe und ein ernstes Gesicht, hätte sie vielleicht bessere Chancen gehabt. Aber sie verabscheute ihr graues Kleid, besaß keine klobigen Schuhe und war nicht besonders zufrieden mit ihrem ernsten Gesicht. Sie fand, es gab ihr das Aussehen einer Mutter, die ihr Gewissen plagt, weil die Socken ihres Kindes nicht wirklich weiß gewaschen sind, und nicht das einer Frau, die sich mit globalen Umweltproblemen befaßt.

»Na ja, was soll’s.« Sie nahm ein paar vollgekritzelte Zettel, die ihr den Rückweg in die Zivilisation wiesen, und einige ordentlichere, die beschrieben, wie man in fünf Minuten ein Essen kocht. Dann verabschiedete sie sich von ihren neuen Freundinnen und stellte noch einmal ihre Beine zur Schau.

»Noch Tee?« fragte May Harriet.

»Nein, danke. Ich habe jetzt schon einen ziemlichen Flüssigkeitsüberschuß.«

»Hab’ ich dir erklärt, wie das Klo funktioniert?«

»Ja, danke«, sagte Harriet und schwor sich, in Zukunft so viele Körperfunktionen, wie physisch nur möglich war, dann auszuführen, wenn sie vernünftige Installationen zur Verfügung hatte. »Jetzt werd’ ich abwaschen.«

May dachte mit Schrecken an ihren kleinen Heißwasservorrat und wollte sie davon abbringen. »Nein, wozu denn. Komm lieber wieder her, setz dich und laß uns reden. Ich bin sicher, du willst ... Ich meine, du hast gesagt, du seist weggelaufen ...« Sie räusperte sich und fing noch einmal von vorn an. »Wenn du mein Geschirr von gestern abend spülst, werde ich ein furchtbar schlechtes Gewissen haben.«

Harriet schüttelte den Kopf. »Dazu besteht kein Grund. Bitte, laß mich abwaschen. Es hilft mir zu entspannen.«

Das konnte May kaum glauben. Sie hockte auf dem Ofen, der jetzt die perfekte Temperatur hatte, um darauf zu sitzen. »Du mußt schrecklich müde sein. Da kannst du doch jetzt nicht ernsthaft spülen wollen. Setz dich und laß uns ein bißchen quatschen.«

»Quatschen gehört nicht zu meinen Stärken, fürchte ich. Ich würde wirklich lieber deine Küche in Ordnung bringen.« Harriet lächelte. »Ich werd’ dir die ganze traurige Geschichte irgendwann erzählen, aber nicht jetzt. Und ich verspreche, ich werde kein Wasser verschwenden.«

May grinste. Es freute sie, daß die Mitbewohnerin die Grundregeln des Bootlebens so schnell gelernt hatte. »Dann geh’ ich jetzt bei Mike vorbei und sehe, was sich wegen meines Schuldenproblems regeln läßt. Aber vorher gebe ich dir Bettzeug, dann kannst du jederzeit schlafen gehen, wenn du willst.«

Einige Zeit später hörte Harriet May auf Zehenspitzen an sich vorbeischleichen. Sie lag auf der schmalen, aber erstaunlich bequemen Sitzbank in einen Schlafsack eingekuschelt und unter einem Sammelsurium von Decken.

Ihr Schlafzimmer zu Hause lag im Dachgeschoß – eiskalt im Winter, brüllend heiß im Sommer. Abgesehen von ein paar kleinen Nachteilen war sie überzeugt, daß ihr das Bootsleben gut gefallen würde. Aber ganz gleich, wie müde sie auch war, sie wußte, sie würde keine Ruhe finden, ehe sie nicht ein letztes Ritual ausgeführt hatte.

Sie kroch aus ihrem Bettzeugkokon und durchwühlte ihre Tasche nach einer Taschenlampe, einem A4-Block und einem Stift. Als sie alles gefunden hatte, begann sie zu schreiben.

Lieber Matthew, wie gefällt Dir die Schule? Ich schreibe Dir beim Licht einer Taschenlampe, denn ich bin auf einem Boot und möchte die Batterien nicht belasten. Das Boot liegt auf einem Kanal in London ...

Kapitel 3

Die Wohnung war kalt. Der Zeitschalter der Heizung stand auf sechs Uhr, eine Stunde bevor Piers gewöhnlich nach Hause kam. Elefantengrau, kahl und minimalistisch – ein krasser Kontrast zu der gemütlichen Atmosphäre, die Sally eben verlassen hatte.

Natürlich war es unwahrscheinlich chic, keine Vorhänge zu haben, auf jedweden Zierat und überflüssige Textilien zu verzichten und nur solche Bücher zu kaufen, die in die Regale der mattschwarzen Einbauschrankwand paßten. Und es gab ein paar Gemälde an den Wänden – gewaltige, kryptische Manifeste gegen Hunger und Krieg, die enorm viel Geld gekostet hatten und enorm schwer zu verstehen waren. Aber diese Wohnung konnte niemals gemütlich sein, selbst dann nicht, wenn sie Piers’ Zorn riskierte und die Heizung einschaltete. Und sie spiegelte keinerlei Persönlichkeit wider. Sie hätte jedem beliebigen jungen, aufsteigenden Journalisten gehören können.

Sally war in keinerlei Position, sich kritisch über die Einrichtung und die Raumtemperatur zu äußern, also zog sie einfach die farbenfrohe Patchworkstrickjacke an, die ihre Mutter ihr gestrickt hatte, und ging in die Küche, um ein Abendessen zu kochen.

Wie würde er reagieren, wenn er von ihrem neuen Job erfuhr? Würde er begreifen, daß eine Hauptrolle in einer West-End-Komödie sie nicht zwangsläufig für ein Stück über eine nukleare Katastrophe qualifizierte? Würde er sie vor die Tür setzen, weil es ihm einfach peinlich wäre, eine Putzfrau zur Freundin zu haben, oder würde die Tatsache, daß sie gutes Geld verdiente, den Job in seinen Augen akzeptabel machen?

Als sie sich kennengelernt hatten, verdiente Sally eine ansehnliche Gage für die Hauptrolle – wenn auch nur in dritter Besetzung – in einer sehr erfolgreichen Komödie. Piers hatte sie auf der Bühne gesehen, hatte sich eine Einladung zu einer Schauspielerparty erschwindelt und sie in ein Restaurant an der Themse entführt. Dann waren sie mit einem Ruderboot auf den Fluß hinausgefahren. Sie hatte ihre Hand durchs Wasser gleiten lassen, zugesehen, wie die Weiden sich sanft in der Abendbrise wiegten, und hatte sich verliebt.

Sally öffnete die Kühlschranktür und seufzte tief, weil eine schimmelige Tomate an einem der Glasböden klebte, ebenso wie um die vergangenen Zeiten.

Für Piers war eine arbeitslose Schauspielerin keineswegs dasselbe wie ein resolutes französisches Dienstmädchen in einem kurzen Rock und einer Rüschenschürze. Die romantischen Gesten hörten etwa zu der Zeit auf, als das Stück abgesetzt wurde. Er schickte ihr keine Wagenladungen Blumen mehr oder versteckte Geschenke in ihrem Essen. Jetzt klebte er ihr Post-it-Notizen an den Spiegel, um sie daran zu erinnern, seine Sachen aus der Reinigung abzuholen, und er vergaß ihren Geburtstag.

»Was soll’s«, sagte Sally und schnitt nach Harriets Anweisungen die Rinde von einem Stück Brie, das seine besten Tage schon hinter sich hatte. »Ich werd’ bald genug verdienen, um mir eine eigene Wohnung zu nehmen. Dann kann ich die Wände rosa streichen und die Heizung aufdrehen, wann immer ich will.«

Am nächsten Morgen kam Sally zu spät – und das nicht nur, weil sie so lange brauchte, um zu entscheiden, was sie zur Arbeit tragen sollte, bis die fuchsienrosa Overalls kamen. Es lag ebenso daran, daß Piers sich zögernd bereit erklärt hatte, sie ein Stück im Wagen mitzunehmen. Nach diesem großmütigen Angebot verlangte er, daß sie ihm ein ausgiebiges Frühstück servierte: drei Scheiben gebratener kanadischer Schinken, eine gegrillte »aromatische Strauchtomate«, serviert auf dem Mehrkorn-Vollwert-Brot, das er bei Harrods kaufte.

Mit seinem kubanischen Kaffee herumzutrödeln war seine ziemlich plumpe Art, sie dafür zu bestrafen, daß sie einen solchen Job angenommen hatte. Das Gehalt hatte ihn ziemlich beeindruckt, und er war vor allem um ihretwillen froh, daß sie Arbeit hatte und nun etwas zum Haushalt beisteuern konnte. Aber er wollte nicht, daß irgendwer erfuhr, daß seine Freundin putzen ging. Nicht, daß er das ausdrücklich sagte, aber Sally verstand.

May und Harriet warteten geduldig vor dem großen viktorianischen Haus, als Sally angerannt kam.

»Es tut mir so leid. Ich bin aufgehalten worden. Hat Schleimbeutel was gemerkt?«

May schüttelte den Kopf. »Er ist selber noch nicht aufgekreuzt, und da er den Schlüssel hat, können wir nicht rein, bevor er kommt.«

»Und er bringt angeblich auch Arbeitskleidung mit, die wir tragen können, bis die Overalls fertig sind«, fügte Harriet hinzu. Sie wirkte sehr viel weniger angespannt als gestern, dachte Sally.

In diesem Moment hielt ein auffälliges schwarzes Auto in einer Parklücke auf der anderen Straßenseite. Es stand halb auf dem Bürgersteig, das Schild »Parken nur für Anwohner« schien den Fahrer nicht zu kümmern. Das Nummernschild lautete K81THS.

Es dauerte einen Moment, bis ihnen aufging, daß es ein Name sein sollte. In der Zwischenzeit war der fragliche Keith ausgestiegen, hatte drei Plastiktüten vom Rücksitz geholt und den Wagen per Fernbedienung abgeschlossen.

»Morgen, Mädels!« Er schenkte ihnen sein vielbemühtes, allzeit bereites Lächeln. »Also, legen wir los.«

Die Eingangshalle des Hauses war schmal, staubig und dunkel, letzteres vor allem, weil man hier großzügig Gebrauch von dunkelbrauner Farbe und dunkelroter Tapete gemacht hatte. Die Decken waren sehr hoch, und Spinnweben hingen in den Ecken wie vergessener Weihnachtsschmuck.

»Es ist ein bißchen schmuddelig«, gestand Keith. »Es war eine Zwangsversteigerung, und ich habe es billig bekommen. Jetzt muß natürlich etwas dran getan werden, aber ein paar neue Tapeten, ein bißchen frische Farbe, und ich werd’ einen netten Gewinn machen.«

»Ein bißchen schmuddelig« wurde der Sache irgendwie nicht gerecht. Harriet fragte sich, wie in aller Welt sie an die Spinnweben herankommen sollten. May dachte wieder über die Vorzüge eines Politessendaseins nach, und Sally legte sich bereits zurecht, wie sie Piers erklären wollte, warum sie es nicht einmal einen Tag als Putzfrau ausgehalten hatte.

Ganze Ketten toter Fliegen zogen sich mäanderförmig über die Fensterbänke wie Seetang entlang der Flutlinie. Rissiges Linoleum bedeckte den Boden, kahle Stellen an den Wänden zeigten, wo die Tapete mitsamt dem Wandschmuck heruntergekommen war. Im Immobilienmaklerjargon war das Haus »renovierungsbedürftig«. Jeder andere hätte es eine Ruine genannt.

»Die Heizung wird sich bald bemerkbar machen«, versprach Keith und betätigte einen Schalter. »Aber wenn es sein muß, können Sie auch Wasser erhitzen.«

»Unbedingt«, sagte Harriet entschieden. »Ohne heißes Wasser ist es hoffnungslos. Haben Sie die Putzmittel?« Trotz Perlenohrsteckern und samtener Haarschleife wirkte sie sehr entschlossen. Sie trug ein Paar von Mays Jeans und hatte die Ärmel aufgekrempelt.

Keith reichte ihr eine der Plastiktüten. »Ich habe Allzweckreiniger, Spülmittel, Toilettenreiniger und ein Paket Putztücher, was wollen Sie mehr?«

»Bleiche, Natron und Gummihandschuhe«, antwortete Harriet.

»Und unsere Overalls«, fügte Sally hinzu, ermutigt durch Harriets energisches Auftreten.

»Ach so, ja, Overalls. Ich habe sie noch nicht. Ich lasse sie anfertigen. Aber bei diesem Auftrag ist es ja egal, wie Sie aussehen, der Kunde sieht Sie ja nicht.«

»Aber wir werden unsere eigenen Sachen ruinieren«, wandte Harriet ein. »Und Sie haben uns schützende Arbeitskleidung zugesagt.«

Keith erkannte seine eigenen Worte vom Vortag mühelos wieder und verzichtete darauf zu bemerken, daß ihre Jeans und Mays Arbeitshose genau das zu sein schienen.

»Ich sag’ Ihnen was: Ich zahle Ihnen eine kleine Sondervergütung, damit Sie Ihre eigene Kleidung reinigen lassen können.«

»Und die Gummihandschuhe?« fragte Harriet. »Dieses Haus ist in einem sehr schlechten Zustand. Wenn Sie wollen, daß wir es putzen, müssen Sie uns schon das nötige Putzzeug dafür geben.«