Wildwest-Roman – Unsterbliche Helden 41 - Jack Morton - E-Book

Wildwest-Roman – Unsterbliche Helden 41 E-Book

Jack Morton

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Beschreibung

Der 15. Mai des Jahres 1865 war ein schöner sonniger Tag. Die Natur hatte das Land mit so viel kräftigem Grün, mit so viel bunter Blütenpracht überzogen, dass man die vielen Zeichen der Zerstörung nur noch bei genauerem Hinsehen bemerkte. Und man konnte an einem solchen Tag leicht vergessen, dass der von beiden Seiten unerbittlich geführte Krieg erst seit gut vier Wochen zu Ende war.
Aber war er wirklich zu Ende? Nein, noch bekämpften sich die Menschen untereinander weiter. Noch waren Morde und Gewalttätigkeiten an der Tagesordnung.


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Inhalt

Cover

Das Geheimnis des alten Trappers

Vorschau

Impressum

Das Geheimnis des alten Trappers

Von Jack Morton

Der 15. Mai des Jahres 1865 war ein schöner sonniger Tag. Die Natur hatte das Land mit so viel kräftigem Grün, mit so viel bunter Blütenpracht überzogen, dass man die vielen Zeichen der Zerstörung nur noch bei genauerem Hinsehen bemerkte. Und man konnte an einem solchen Tag leicht vergessen, dass der von beiden Seiten unerbittlich geführte Krieg erst seit gut vier Wochen zu Ende war.

Aber war er wirklich zu Ende? Nein, noch bekämpften sich die Menschen untereinander weiter. Noch waren Morde und Gewalttätigkeiten an der Tagesordnung.

Plündernde Banden von desertierten Soldaten und ehemaligen Guerillatruppen zogen durch die dünnbevölkerten Staaten des Südens und des Südwestens. Es waren Horden, die das Wort Gnade nicht in ihrem Sprachschatz führten, und es gab Männer unter ihnen, die das Töten weniger aus Notwendigkeit als aus Freude betrieben.

Der Mann, der vor seinem Farmhaus in der Sonne saß, blickte gedankenverloren zum Saline River herüber, der unweit der Farm nach Süden floss.

Der Farmer hieß Ronald Timber. Auch er dachte nicht an den Krieg und an die harten Jahre, die hinter ihm lagen. Seine Gedanken galten der Zukunft, dem Gedeihen der nächsten Saat und der Ernte.

Wenn er Glück hatte, konnte er im nächsten Frühjahr die saftigen Weiden nördlich von seinem Land kaufen. Dann war er endlich in der Lage, sich eine kleine Rinderherde anzuschaffen und vielleicht auch Pferde zu züchten.

Aber in erster Linie gab es noch ein anderes, weitaus wichtigeres Problem für die nächste Zukunft. Eine Frau musste ins Haus. Nicht nur deshalb, weil Ron Timber ein junger, vitaler Mann von fünfunddreißig Jahren war, nein, es fehlte einfach die Frau, die den Haushalt führte und die der fünfjährigen Ellen die Mutter ersetzte.

Ron Timber blickte hinüber zu dem einfachen weißen Grabkreuz unter den Weiden am Flussufer. Dort lag seine Frau Ellen beerdigt. Vor einem halben Jahr war sie plötzlich krank geworden, hatte sie sich gekrümmt unter unerträglichen Leibschmerzen.

Wie der Teufel war Ron nach Caddo Gap geritten, um den Arzt zu holen. Und als er endlich mit ihm zurückkam, fanden sie eine Tote. Der Doc konnte nur noch mit den Schultern zucken und den Totenschein ausstellen...

Seit diesem Tag war Ron Timber mit seiner Tochter Ellen allein. Das kleine blondhaarige Mädchen tauchte soeben zwischen den Weiden auf und blieb vor dem Grab stehen. Wieder einmal hatte Ellen Blumen gepflückt. Ihre Mutter hatte Blumen immer sehr gern gehabt, und diese Erinnerung hatte sich im Gedächtnis des Kindes festgesetzt.

Ron schreckte aus seinen Gedanken hoch, als er Hufschlag hörte. Es waren mehrere Pferde, und die Männer, die darauf saßen, schienen es sehr eilig zu haben.

Sie kamen aus der Richtung von Caddo Gap. Fünf waren es, und sie zügelten ihre dampfenden Pferde vor dem Farmer.

Er blieb auf seiner Bank sitzen und sah fragend zu ihnen hoch.

Es waren durchweg junge Männer, keiner älter als fünfundzwanzig, und doch zeigten ihre Gesichter schon die Spuren, die ein raues und gefährliches Leben hinterlässt. Sie waren unrasiert, und die ungepflegten Bärte gaben den Männern ein verwegenes Aussehen. Nur einer von ihnen hatte ein glattes, fast milchiges Gesicht. Es war ein junger Kerl von höchstens siebzehn Jahren. In dem wilden Haufen wirkte er wie ein Fremdkörper. Der Junge hatte große blaue Augen und blondes Haar, das wie reifer Weizen in der Sonne leuchtete. Hinter sich führte er ein gesatteltes Pferd an der Longe.

Alle fünf trugen die zerschlissenen Uniformen der geschlagenen Südstaaten-Armee.

Soldaten auf dem Weg nach Hause, dachte Ron Timber. Gott sei Dank keine Guerillas...

Aber gleich darauf musste er erkennen, dass er sich getäuscht hatte. Der schwarzbärtige Bursche, der auf seinen Ärmeln die Winkel eines Sergeants hatte, sprang vom Pferd und blieb dicht vor dem Farmer stehen.

»Wir brauchen frische Pferde, Mister«, sagte er rau. »Du brauchst sie uns nicht umsonst zu geben.«

Gegen diese Forderung war nichts einzuwenden. Es war im Westen durchaus üblich, dass man auf Farmen und Ranches sein müdes Pferd gegen ein frisches eintauschen konnte, und meistens wurde man sich schnell handelseinig, wenn der Reisende noch ein paar Dollar Aufgeld zahlte.

Ron Timber warf einen prüfenden Blick auf die abgetriebenen Pferde der Soldaten. Selbst wenn sie ihm alle sechs Tiere überließen und dafür nur fünf mitnahmen, würde es für Timber ein schlechtes Geschäft sein.

»Nun, was überlegst du?«, knurrte der Schwarzbärtige. »Entscheide dich bitte schnell, Mister. Wir haben nicht viel Zeit.«

Der Ton des Mannes gefiel Timber nicht, und er sagte heftig: »Ihr könnt euch ja auch woanders Gäule besorgen. Die nächste Farm liegt fünfzehn Meilen weiter südlich von hier...«

Er lehnte sich auf seiner Bank zurück und tat so, als ob für ihn das Gespräch damit beendet sei.

Mit einem geschmeidigen Sprung, ähnlich dem Angriff einer Raubkatze, war der Schwarzbärtige bei Ron Timber und riss ihn von der Bank hoch. Abwehrend hob der Farmer beide Hände, aber der andere hatte Fäuste wie Dampfhämmer. Mit der Linken hielt er Timber fest, mit der Rechten schlug er zu. Einmal, zweimal, dreimal...

Jeder Schlag landete mit unheimlicher Härte und Präzision. Dieser Mann verstand es, einen Gegner systematisch zu zerbrechen. Der erste Hieb traf Timber in die Magengrube. Er glaubte einen Augenblick lang, die Luft würde ihm aus den Lungen getrieben, und Übelkeit schnürte seine Kehle zusammen. Keuchend wollte er Luft holen, aber da war die Faust des Schwarzbärtigen schon wieder. Diesmal traf sie seinen Mund und die Nase.

Timber sah tausend Sterne vor seinen Augen, und alles um ihn herum drehte sich in einem rasenden Wirbel. Wie durch Nebel sah er die grinsende Fratze seines Peinigers. Noch einmal versuchte er einen Ausfall, hob er die Fäuste und schlug blindlings in die Richtung, wo der andere stand.

Aber der Sergeant war nicht mehr da. Er hatte den Farmer längst losgelassen, glitt zur Seite, als der auf ihn zuschwankte, und schmetterte ihm die rechte Faust ins Genick.

Ron Timber brach in die Knie, blieb stöhnend am Boden liegen und presste im Unterbewusstsein beide Hände gegen den Magen. Blut rann über sein Gesicht.

Der Schwarzbärtige sah auf ihn hinab und holte fast bedächtig den Revolver aus dem Armeeholster, das er über dem Uniformrock trug.

»Holt die Pferde aus der Koppel!«, sagte er zu den anderen. »Den Rest erledige ich inzwischen.«

Drei Reiter setzten sich wortlos in Bewegung. Nur der Junge mit dem bartlosen Gesicht machte keine Anstalten, sein Pferd gehen zu lassen. Stattdessen hatte er plötzlich seinen Revolver in der Faust und sagte mit sanfter Stimme zu dem Sergeant: »Das lasse ich nicht zu, Mac. Wenn wir ihm seine fünf Pferde wegnehmen, ist er schon genug geschädigt. Die sind mindestens doppelt so viel wert wie unsere sechs. Steck den Colt weg, Mac...«

Mac sah den Jungen ungläubig an. »Du stellst dich wirklich gegen mich, Bill? Vergiss nicht, dass ich der Boss hier bin.«

»Ich lasse es nicht zu, dass hier sinnlos gemordet wird, Mac.«

Mac lachte.

»Warum plötzlich so voller Edelmut, Junge? Wenn die Yankees uns schnappen sollten, werden wir auf jeden Fall gehängt. Ob wir nun den Narren da verschonen oder nicht.«

Unbeachtet von den beiden Männern lief Ellen heran. Schluchzend kniete sich das kleine Mädchen neben seinen Vater und versuchte verzweifelt, ihn auf den Rücken zu drehen. Aber es gelang ihr nicht.

»Geh weg da, Kleine!«, befahl Mac und hob seinen Revolver etwas an.

»Tu's nicht!«, warnte der Junge noch einmal mit sanfter Stimme, die jedoch tödliche Entschlossenheit verriet. »Ich ziele genau auf deinen Kopf, Mac.«

Da stieß Mac einen Fluch aus und schob die Waffe ins Holster zurück. »Aber eins verspreche ich dir, Bill«, sagte er. »Über diese Sache ist das letzte Wort noch nicht gesprochen worden.«

Bill lächelte nur, hielt aber seinen Revolver weiterhin in der Hand, als er vom Pferderücken glitt.

»Bring jetzt erst meine beiden Pferde zum Corral, Mac«, sagte er. »Mir ist lieber, wenn ich hier aufpasse, dass der Mann keine Dummheiten macht.«

Mac gehorchte mürrisch und brachte die zwei Pferde zum Corral, wo die anderen Männer schon dabei waren, die Tiere des Farmers zu satteln.

Bill beugte sich zu dem Mädchen hinab und strich ihm übers Haar. Er wollte irgendwas Tröstendes sagen, aber es fiel ihm nichts ein, und das Schuldgefühl, das in ihm war, zerstörte alle anderen Empfindungen.

Jetzt bewegte sich Ron Timber, stützte sich auf und wollte sich erheben.

»Bleiben Sie lieber liegen«, sagte Bill. »Spielen Sie, den Bewusstlosen. Wenn Sie jetzt aufspringen und den wilden Mann spielen wollen, kann ich für nichts mehr garantieren. Meinen... Partnern da kommt es auf eine Kugel mehr oder weniger nicht an.«

»Und dir wahrscheinlich auch nicht«, knurrte Ron Timber böse. »Mir brauchst du nichts vorzumachen...«

Der Junge gab keine Antwort. Wozu auch? Dieser Farmer hatte ja recht. Er, William Conelly, war ein Verbrecher wie die anderen. Nichts unterschied ihn von ihnen. Er hatte mitgemacht, als sie den Geldtransport der Yankees überfallen hatten, und wie sie hatte er auf die Begleitmannschaft der Kutsche geschossen. Es hatte einige Tote gegeben bei diesem Gefecht – auf beiden Seiten.

Sie selbst hatten drei Mann verloren.

Und der vierte, Charlie Blackwood, war unterwegs an seiner Verletzung gestorben. Von Charlie war auch das sechste Pferd.

Jetzt war man hinter ihnen her. Sie hatten immerhin hunderttausend Dollar erbeutet, und das war eine ganze Menge. Das waren genau fünftausend Goldstücke, jedes zwanzig Dollar wert, sogenannte Double Eagles. Sie waren säuberlich verpackt in kleine Ledersäckchen mit je hundert solcher Goldstücke. Diese fünf Säcke waren auf die einzelnen Reiter anteilmäßig verteilt.

Seit Charlie Blackwoods Tod besaß jeder zehn Beutel mit insgesamt zwanzigtausend Dollar Inhalt.

Die Banditen kamen jetzt aus dem Corral geritten. Mac Winters deutete über die Schulter und rief Bill zu: »Hol dir dein Pferd gefälligst selbst. Schließlich bin ich nicht dein Knecht...«

Bill zuckte mit den Schultern und ging zum Corral hinüber, in dem noch genau drei Pferde standen, die beiden Banditengäule und ein drahtig aussehender Wallach, der letzte aus Ronald Timbers kleiner Remuda.

Bill fing den ungesattelten Wallach rasch ein und legte ihm den Sattel auf. Während dieser Tätigkeit kam ihm eine Idee, die zwar gut war, sich andererseits jedoch als verhängnisvoller Fehler für Ronald Timber herausstellen sollte.

Schnell und so geschickt, dass seine Kumpane, die im Hof auf ihn warteten, es nicht sehen konnten, nahm er zwei der Goldsäcke und schob sie in die Satteltaschen des Pferdes von Charlie Blackwood. Sattel und Pferd blieben ja hier auf der Farm, und vielleicht konnte der Farmer das Geld für sich und seine Tochter gut gebrauchen.

Bill hatte sich gerade in den Sattel geschwungen und wollte aus dem Corral reiten. Genau in diesem Augenblick geschah das Unbegreifliche.

Mit einem Wutschrei sprang Ronald Timber auf die Füße und lief auf Mac Winters zu. Der Farmer hatte alle Warnungen vergessen, die ihm Bill zugeflüstert hatte. Und er dachte nicht an die Gefahr, die ihn erwartete, als er den Banditen zum zweiten Mal angriff.

Bill sah vom Corral aus, was nun geschah, und er konnte nichts mehr dagegen tun.

Mac Winters lachte rau und zog seinen Armeerevolver. Eiskalt zielte er und feuerte, als Timber nur noch zwei Schritte von ihm entfernt war.

Der Farmer blieb stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Er stieß einen erstickten Schrei aus, richtete sich steil auf und ruderte Halt suchend mit den Armen durch die Luft.

Aber da war nichts, woran er sich hätte festhalten können, und er brach in die Knie und streckte sich aus im Staub seines Hofes.

Mac schob den rauchenden Colt in das Holster.

Wie erstarrt stand drüben das Mädchen und schien das alles gar nicht begreifen zu können. Die großen Augen waren schreckensweit aufgerissen, und die Lippen verzogen sich zu einem ängstlichen Schluchzen.

»Vorwärts!«, rief Mac.

Die Meute setzte sich in Bewegung.

Sie alle hatten Blut und Tod auf ihrer Fährte gesehen, und so ließ sie auch das hier ziemlich kalt. Was war schon groß geschehen? Mac hatte einen anderen in die Hölle geschickt. Na, und...? Um das Mädchen würde sich schon irgendjemand kümmern.

Bill Conelly befand sich als einziger auf der Farm. Er wartete, bis die anderen am Horizont verschwunden waren. Dann stieg er wieder vom Pferd.

Langsam, den Wallach hinter sich herführend, ging er auf das Mädchen zu, das jetzt neben seinem Vater hockte und bitterlich weinte.

Bill Conelly zog Ellen zu sich heran und hob sie hoch. Widerstandslos ließ sie es mit sich geschehen. Sie war ein Kind, und er war gerade sechzehn Jahre alt geworden. Also war auch er noch ein halbes Kind. Und vielleicht war das der Grund, warum sie Vertrauen zu ihm fasste, warum sie in diesen Minuten fast völlig vergaß, dass ihr Vater dort unten lag und vielleicht schon tot war.

Er sah sie an, streichelte ihr immer wieder übers Haar und murmelte ihr leise, beruhigende Worte zu.

Er warf einen Blick auf den Farmer und fragte das Mädchen: »Ist deine Mutter nicht da?«

»Mami ist im Himmel.« Sie zeigte erst ernsthaft nach oben und schaute dann bedeutungsvoll zu dem weißen Holzkreuz hinüber.

Bill verstand, und er überlegte, was jetzt zu tun sei.

Sie hatten einen Armeetransport überfallen. Seit fünf Tagen wurden sie unerbittlich von verschiedenen Aufgeboten und Militärpatrouillen gejagt. Sie wussten nicht, wie groß ihr Vorsprung noch war. Handelte es sich um Stunden oder vielleicht um einen ganzen Tag? Niemand konnte eine Antwort darauf geben. Nur eines war ihnen mit Sicherheit klar: Die Jagd war noch längst nicht zu Ende.

Soll ich mir die Zeit nehmen und den Farmer beerdigen? Es würde sicherlich Stunden dauern, bis er ein Grab für Timber geschaufelt hatte, und in dieser Zeit konnten die Verfolger längst hier sein. Also entschloss er sich, zu reiten.

Aber da war noch das Mädchen.

Er konnte das Kind doch nicht hier allein mit dem Toten lassen. Es konnte lange dauern, bis jemand hierhin kam.

Er sah sie nachdenklich an. »Wie heißt du?«, fragte er.

»Ellen Timber«, schluchzte sie.

»Ich bin Bill«, sagte der Junge. »Nenn mich Bill, ja? Willst du mir vertrauen, Ellen?«

Sie nickte krampfhaft.

»Kannst du mir den Weg zu euren Nachbarn zeigen, Ellen? Ich werde dich dorthin bringen. Bist du damit einverstanden?«

Wieder nickte sie, und noch immer flossen Tränen über ihre Wangen.

»Und Daddy? Bleibt Daddy hier?«

»Ja«, sagte er mit rauer Stimme. »Wir können deinen Vater nicht mitnehmen, Ellen. Er ist jetzt bei deiner Mami. Oben im Himmel...«

Er ging mit ihr davon, um es schnell hinter sich zu bringen. Nur durch rasches Handeln konnte er das Mädchen den Schmerz vergessen lassen, der unweigerlich kommen musste, sobald der erste Schock über das schreckliche Geschehen vorüber war...

Er hob das Mädchen vor sich aufs Pferd, und sie ritten nach Süden. Die nächste Ranch lag zehn Meilen weiter südlich am Fluss. Der Weg bestand aus zwei tiefen, von schwer beladenen Wagen gezogenen Fahrspuren. Bill ließ den Wallach im Schritt gehen.

Nach drei Stunden, die Sonne stand schon tief, sah er in einer Senke die Ranch, die sein Ziel war.

»Jetzt heißt es Abschied nehmen, Ellen«, sagte er. »Die letzte halbe Meile musst du allein gehen. Das schaffst du doch sicherlich. Erzähl den Leuten, was geschehen ist.«

»Warum kommst du nicht mit, Bill?«

Er lächelte bitter. »Das geht leider nicht.«

Die Gründe, warum das nicht möglich war, nannte er ihr nicht. Wozu sollte er sie noch mit so etwas belasten? Wahrscheinlich würde sie es nicht einmal verstehen.

Er wollte sie aus dem Sattel heben, hielt aber mitten in der Bewegung inne.

Unten auf dem Ranchhof war es lebendig geworden. Ein Trupp von zwanzig Reitern ritt aus dem Hof, genau in Bills Richtung.

Soldaten!

Bill fluchte leise.

Er zog sein Pferd herum und ritt wieder den Hügel hinab, in die Richtung, aus der er gekommen war. Als die Dunkelheit hereinbrach, überquerte er den Saline River und wandte sich weiter westwärts. Nach zwei Stunden rastete er in einem schmalen Canyon und entfachte ein Lagerfeuer.

In aller Frühe des nächsten Morgens ritt er mit Ellen weiter. Sie kamen in ein Gebiet, in dem nicht die geringsten Spuren von menschlichen Ansiedlungen zu sehen waren. Keine Felder, keine Rinderherden, keine Wege, keine Häuser. Niemandsland...

Bill zog eine zerknitterte Armeekarte aus der Tasche und faltete sie auseinander. Wenn ihn nicht alles täuschte, musste das hier Oklahoma sein, das Land der Indianer. Es war ein trockenes Land mit wenig Wildbestand, und die Indianer hatten es schwer, hier ihr Dasein zu fristen. Aber sie waren froh, dass sie wenigstens in Frieden hier leben konnten. Die Regierung in Washington hatte ihnen Oklahoma für alle Zeiten als ihr Land zugesprochen, als das Land des Roten Mannes. Keinem Weißen war es erlaubt, dieses Gebiet auch nur zu betreten.

Hier befand sich nun Bill mit dem Mädchen. Und von Tag zu Tag drangen sie tiefer in die Weite des Landes ein.

Bill und Ellen hatten inzwischen Freundschaft miteinander geschlossen. Über Ronald Timber war kein Wort mehr gesprochen worden, und Bill nahm sich vor, das Mädchen abzulenken, wenn es nach seinem Vater fragen sollte.

Die Zeit wird die üble Erinnerung vergessen lassen, dachte er. Aber vor meiner Schuld werde ich wohl kaum jemals fliehen können. Eines Tages werde ich für alles bezahlen müssen. Was war ich doch für ein Idiot, dass ich dabei mitgemacht habe. Was machen die anderen wohl im Augenblick? Ob man sie schon geschnappt hat?

Fragen über Fragen, aber keine Antwort.

Und Bill ritt weiter auf dem Trail in eine ungewisse Zukunft.

Ronald Timber war nicht tot, wie alle angenommen hatten. Eine Stunde, nachdem Bill mit Ellen davongeritten war, erwachte der Farmer. Ächzend drehte er sich auf den Rücken, und er schloss die Augen, als er in die grelle Sonne schaute.

»Ellen...«, ächzte er. »Wo bist du, Kind?«

Keine Antwort. Tiefe Stille herrschte ringsherum. Er wandte den Kopf nach links und nach rechts. Er sah die sechs Pferde der Banditen im Corral. Müde standen die Tiere in einer Ecke, dicht zusammengedrängt, und ließen die Köpfe hängen.

»Ellen... Wo steckst du denn...?«

Die Ahnung dessen, was geschehen war, sprang den Farmer an wie ein wildes, bösartiges Tier. Aber noch war die Hoffnung da, an die er sich klammerte wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm.

Immer wieder rief er den Namen des Mädchens, und schließlich war seine Stimme nur noch heiser, und sein Hals schmerzte von der Anstrengung.

Er stützte sich auf und ließ sich erschöpft wieder zurückfallen.

»O mein Gott«, flüsterte er. »Das darf doch nicht wahr sein...«

Wenn die Schufte Ellen mitgenommen haben, werde ich verrückt, dachte er. Das halte ich nicht aus. Erst die Frau und jetzt auch noch die Tochter. Aber warum sollten sie sie mitgenommen haben? Das Kind wäre doch nur eine Belastung für sie. Nein, ich kann das nicht glauben. Vielleicht ist Ellen nur zu den Browns gelaufen, um Hilfe zu holen. Aber nein, wenn das der Fall wäre, hätte sie sich mit Sicherheit ein Pferd genommen. Oder nicht. Vielleicht war sie so durcheinander in ihrer Panik, dass sie einfach losgelaufen ist. Zehn Meilen... Sie wird Glück haben, wenn sie das bis zur Dunkelheit schafft. Vielleicht begegnet sie auch jemandem unterwegs...

Die Gedanken marterten ihn, und er konnte nichts tun, konnte nur daliegen und warten. Hilflos, zum Sterben verdammt, wenn nicht bald jemand kam.

Ronald Timber wurde wieder bewusstlos, und er wälzte sich in Fieberträumen, wurde zwischendurch wieder wach. Er glaubte Ellen vor sich zu sehen, schrie ihren Namen, und doch war es nur ein heiseres, wirres Gestammel, das über seine aufgesprungenen Lippen kam. Er glaubte Hufschlag zu hören, aber es war nur eines der Pferde im Corral gewesen, das sich ein wenig bewegt hatte.

Die Sonne sank, und im Westen überzog sich der Himmel mit blutigem Abendrot.