Wiley-Schnellkurs Europarecht - Gerald G. Sander - E-Book

Wiley-Schnellkurs Europarecht E-Book

Gerald G. Sander

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Beschreibung

Europarecht beschäftigt sich mit den rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union. Gerald Sander liefert Ihnen einen schnellen Überblick über die Organe der EU wie das Europäische Pralament, die Europäische Kommission und die EZB. Außerdem erläutert er, welche Rechtsquellen das Europarecht hat, welche Verfahren es gibt, was es mit der Wirtschafts- und Währungsunion auf sich hat und vieles mehr. Mit Übungsaufgaben mit Lösungen können Sie sich selbst testen und Ihr Wissen festigen.

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EINSTIEGSTEST

Welche Gründe führten zur europäischen Integration und in welchem Politikbereich begann die Zusammenarbeit?

Welches EU-Organ kann als europäische Regierung bezeichnet werden? Wer ist der Gesetzgeber in der EU?

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Staat der EU beitreten kann?

Welche Rechtsquellen gehören zum sekundären Unionsrecht? Welcher Rechtsakt kann als europäisches Gesetz bezeichnet werden?

Besitzt die EU die Kompetenz, in allen Politikbereichen Recht zu setzen?

Wer vollzieht hauptsächlich das Unionsrecht? Welches Recht wird beim Vollzug des Unionsrechts angewandt?

Welche Rechtschutzmöglichkeiten besitzen natürliche und juristische Personen, um Gesetzgebungsakte der EU anzufechten?

Haftet die EU für Rechtsverstöße gegenüber natürlichen und juristischen Personen?

Was versteht man unter der Unionsbürgerschaft?

Was versteht man unter dem Begriff »EU-Binnenmarkt«?

Welche Gefahren drohen einem freien Wettbewerbssystem im EU-Binnenmarkt?

Nennen Sie die Voraussetzungen, die ein EU-Mitgliedstaat für die Einführung des Euros erfüllen muss.

 

LÖSUNGEN DES EINSTIEGSTESTS

Hauptanliegen der europäischen Integration war die Schaffung von dauerhaftem Frieden in Europa nach den Erfahrungen des II. Weltkriegs. Aus diesem Grund begann die europäische Zusammenarbeit mit der Gründung der Montanunion im Jahre 1952 im Bereich von Kohle und Stahl, weil diese Güter für die Rüstungsindustrie von besonderer Bedeutung sind. Die Schwerindustrie sollte damit künftig einer europäischen Kontrolle unterliegen. Hierdurch sollte eine heimliche Aufrüstung verhindert werden und ein wirtschaftlicher Aufschwung stattfinden. Weitere Gründe waren der wirtschaftliche Wiederaufbau und die Wiedererlangung geopolitischer Bedeutung Westeuropas.

Aufgrund ihrer Exekutivfunktionen kann die Europäische Kommission als europäische Regierung bezeichnet werden. Die Kommission verwaltet z. B. die Haushaltsgelder der EU, überwacht die Programmdurchführung und gewährleistet den direkten Unionsvollzug des Unionsrechts. Das abgeleitete Unionsrecht wird im Wesentlichen im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 289 AEUV gleichberechtigt durch das Europäische Parlament und den Rat erlassen.

Zunächst muss es sich bei dem Beitrittskandidaten um einen »europäischen« Staat handeln, wobei diese Voraussetzung nicht nur geografisch, sondern auch historisch, politisch, kulturell und wirtschaftlich zu beurteilen ist. Weiterhin muss der Staat die sog. Kopenhagener Kriterien erfüllen. Vor Beginn der Beitrittsverhandlungen ist das politische Kriterium vom beitrittswilligen Staat zu erfüllen. Hierunter fallen die Aspekte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die institutionelle Stabilität sowie die Wahrung der Menschenrechte und der Schutz von Minderheiten. Zum Zeitpunkt des Beitritts muss der Staat eine funktionierende Marktwirtschaft aufweisen und fähig sein, dem Wettbewerbsdruck innerhalb des EU-Binnenmarkts standzuhalten (wirtschaftliches Kriterium). Weiterhin muss er das Acquis-Kriterium erfüllen, sich also das gemeinsame Regelwerk der EU zu eigen gemacht haben. War der Staat hierzu bislang nicht vollständig in der Lage, können ihm Übergangsfristen eingeräumt werden. Darüber hinaus muss aber auch die EU selbst zur Aufnahme eines weiteren Staats fähig sein.

Das Sekundärrecht der EU setzt sich gemäß Art. 288 AEUV aus Verordnungen, Richtlinien, Beschlüssen und Empfehlungen und Stellungnahmen zusammen. Aufgrund ihrer unmittelbaren Geltung in den Mitgliedstaaten, also ihrer direkten Anwendbarkeit für natürliche und juristische Personen, kann die Verordnung als europäisches Gesetz bezeichnet werden.

Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV kann die EU nur in den Bereichen Recht setzen, in denen ihr eine ausdrückliche Zuständigkeit zugewiesen wurde. Gemäß Art. 2 ff. AEUV besitzt sie ausdrückliche, geteilte, parallele und unterstützende Kompetenzen.

Das Unionsrecht wird im Wesentlichen im Wege des indirekten Vollzugs von den Behörden der Mitgliedstaaten vollzogen. Hierbei kann zwischen dem unmittelbaren Vollzug von EU-Recht (unmittelbar anwendbares Primärrecht, Verordnungen und Beschlüsse) und dem Vollzug von nationalen Umsetzungsakten bei Richtlinien (mittelbarer Vollzug) unterschieden werden. Die EU-Organe führen das EU-Recht selbst lediglich in den wenigen Ausnahmefällen durch, die der AEU-Vertrag vorsieht. Beim indirekten Vollzug findet grundsätzlich das nationale Verwaltungsverfahrensrecht der Mitgliedstaaten Anwendung. Für den unmittelbaren Vollzug können unter Umständen aber vorrangige Verfahrensbestimmungen im sekundären Unionsrecht vorliegen. Der direkte Vollzug des Unionsrechts durch die EU erfolgt nach den Vorschriften des EU-Primär- und Sekundärrechts sowie den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des EuGH.

Rechtsschutz gegen Handlungen von allgemeiner Geltung können natürliche und juristische Personen zunächst im Rahmen der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV erlangen. Für nichtprivilegierte Kläger verlangt die Vorschrift jedoch das Vorliegen eines speziellen Rechtsschutzbedürfnisses. Die Personen müssen danach bei Handlungen mit allgemeiner Geltung durch die Handlung unmittelbar und individuell betroffen sein. Ein Kläger ist nach der Plaumann-Formel des EuGH jedoch nur individuell betroffen, wenn die Handlung eine Person wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder wegen besonderer sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebenden Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten. Klagen gegen Verordnungen oder unmittelbar anwendbare Richtlinien sind demzufolge regelmäßig unzulässig, da sie aufgrund eines objektiv bestimmten Tatbestands anwendbar sind und Rechtsfolgen für generell und abstrakt umschriebene Personengruppen zeitigen.

Alternativ müsste die Handlung ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter sein, der sie unmittelbar betrifft und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht. Nach dem restriktiven Verständnis des EuGH soll es sich hierbei jedoch nur um Rechtsakte mit allgemeiner Geltung handeln, die nicht in einem Gesetzgebungsverfahren nach Art. 289 AEUV zustande gekommen sind. Damit scheiden auch hier Klagen gegen Verordnungen und Richtlinien als Gesetzgebungsakte aus.

Infolgedessen besteht für natürliche und juristische Personen in der Regel nur die Möglichkeit, im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV eine inzidente Überprüfung der Gültigkeit von EU-Gesetzgebungsakten und deren Auslegung durch den EuGH zu erwirken. Hierfür muss das nationale Gericht den Prozess aussetzen und die Frage dem EuGH vorlegen.

Als supranationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit ist die EU von den Mitgliedstaaten mit Hoheitsgewalt ausgestattet worden. Bei der Ausübung dieser Kompetenzen kann es zu Schäden bei natürlichen und juristischen Personen kommen. Ansprüche gegen die EU können aus Verträgen herrühren, die sie mit den Personen geschlossen hat, oder aus unionsrechtswidrigen Handlungen oder Unterlassungen der EU. Die vertragliche Haftung der EU und ihrer Bediensteten ist in Art. 340 Abs. 1 AEUV und die außervertragliche Haftung in Abs. 2 geregelt.

Die Unionsbürgerschaft ergänzt die Staatsbürgerschaft, ersetzt diese aber nicht. Alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der EU sind somit gleichzeitig Unionsbürger gemäß Art. 20 Abs. 1 AEUV, Art. 9 S. 2 und 3 EUV und erlangen hierdurch bestimmte zusätzliche Rechte, wie etwa die Freizügigkeit, das Wahlrecht zum Europäischen Parlament und den Kommunalvertretungen, diplomatischen und konsularischen Schutz oder das Gleichbehandlungsgebot.

Der EU-Binnenmarkt ist ein nach außen durch eine gemeinsame Zoll- und Handelspolitik abgegrenzter Wirtschaftsraum, in dem Marktfreiheit besteht und in dem ein System von Wettbewerbsregeln vor Verfälschung durch staatliche und private Maßnahmen schützt. Die Marktfreiheiten umfassen den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs-, Kapital- und Zahlungsverkehr. Dabei besteht die Personenverkehrsfreiheit aus der Freizügigkeit für abhängig beschäftigte Unionsbürger und der Niederlassungsfreiheit für selbstständig Tätige.

Der freie Wettbewerb kann sowohl durch unternehmerische Maßnahmen als auch durch Eingriffe der Mitgliedstaaten bedroht werden. Unternehmerische Handlungen, die den Wettbewerb beeinträchtigen können, sind etwa Preisabsprachen (Kartelle, Art. 101 AEUV), der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Monopole, Art. 102 AEUV), der Zusammenschluss von Unternehmen zu einem marktbeherrschenden Unternehmen (Fusionen) oder irreführende Werbekampagnen (unlauterer Wettbewerb). Aber auch die Mitgliedstaaten und ihre Untergliederungen können z. B. durch den Betrieb öffentlicher Monopolunternehmen (Art. 106 AEUV) den Wettbewerb verfälschen. Von besonderer Bedeutung für von den Mitgliedstaaten verursachte Wettbewerbsverzerrungen sind die staatlichen Beihilfen (Art. 107–109 AEUV), denn diese können eine konkrete Bedrohung für den freien Wettbewerb und die Einheit des gemeinsamen Marktes sein, da sie durch die selektive Begünstigung einzelner Unternehmen oder Produktionszweige eine effiziente Ressourcenallokation verhindern, zu Fehlallokationen der Produktivkräfte und letztlich zu Wohlstandsverlusten führen können.

Damit ein Mitgliedstaat den Euro als Währung einführen kann, muss er die sog. Konvergenzkriterien in Art. 140 Abs. 1 AEUV erfüllen. Hierbei handelt es sich um:

die Inflationsrate, die höchstens 1,5 % über jener der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten des Vorjahres liegen darf,

die Zinsen der langfristigen Staatsanleihen, die nicht mehr als 2 % über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen dürfen,

der öffentliche Schuldenstand, der nicht mehr als 60 % des BIP betragen darf, und das jährliche Haushaltsdefizit, das nicht mehr als 3 % des BIP betragen darf,

der Wechselkursmechanismus, an den die nationale Währung für zwei Jahre gebunden sein muss.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 2023© 2023 Wiley-VCH GmbH, Boschstraße 12, 69469 Weinheim, Germany

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This book published by arrangement with John Wiley and Sons, Inc.

Alle Rechte vorbehalten inklusive des Rechtes auf Reproduktion im Ganzen oder in Teilen und in jeglicher Form. Dieses Buch wird mit Genehmigung von John Wiley and Sons, Inc. publiziert.

Wiley, the Wiley logo and related trademarks and trade dress are trademarks or registered trademarks of John Wiley & Sons, Inc. and/or its affiliates, in the United States and other countries. Used by permission.

Wiley und darauf bezogene Gestaltungen sind Marken oder eingetragene Marken von John Wiley & Sons, Inc., USA, Deutschland und in anderen Ländern.

Das vorliegende Werk wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren und Verlag für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie eventuelle Druckfehler keine Haftung.

Cover: Torge Stoffers Graphik-Design, LeipzigKorrektur: Petra Heubach-Erdmann

Print ISBN: 978-3-527-53032-8ePUB ISBN: 978-3-527-84333-6

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelblatt

Impressum

Vorwort

1 Historische Entwicklung der europäischen Integration

Europa nach dem Krieg

Der Beginn der europäischen Integration

Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)

Die gescheiterten Gemeinschaften

Die Römischen Verträge

Fusion der Organe und erste Erweiterung

Der Europäische Rat

Weitere Entwicklungen

Die Einheitliche Europäische Akte

Vom Vertrag von Maastricht bis zur Verfassung

Der Vertrag von Lissabon

Herausforderungen an die EU in den vergangenen Jahren

Die Erweiterungsperspektiven der EU

Übungsaufgaben

2 Die Organe der Europäischen Union

Einleitung

Das Europäische Parlament

Die Europäische Kommission

Der Rat der EU

Der Europäische Rat

Der Gerichtshof der Europäischen Union

Die Europäische Zentralbank

Der Europäische Rechnungshof

Beratende Einrichtungen

Übungsaufgaben

3 Werte, Ziele und Mitgliedschaft in der EU

Die Werte der EU

Die Ziele der EU

Der Beitritt zur EU

Das Verfahren bei Grundwerteverstößen

Der Austritt aus der EU

Übungsaufgaben

4 Die Rechtsquellen und ihre Wirkungsweise

Einleitung

Das Primärrecht

Völkerrechtliche Verträge

Das Sekundärrecht

Das Tertiärrecht

Unbeschriebene Handlungsformen

Die Supranationalität der EU

Übungsaufgaben

5 Die Rechtsetzung in der EU

Einleitung

Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung

Die Gesetzgebungsverfahren

Die Verstärkte Zusammenarbeit

Übungsaufgaben

6 Der Verwaltungsvollzug des Unionsrechts

Einleitung

Der direkte Vollzug durch die EU

Der indirekte Vollzug durch die Mitgliedstaaten

Das anzuwendende Verwaltungsverfahrensrecht

Beispiele für den unionsrechtlichen Einfluss auf das nationale Verwaltungsrecht

Die Kontrolle der Kommission über den indirekten Vollzug des Unionsrechts

Die Vollstreckung von Zahlungen

Übungsaufgaben

7 Der Rechtsschutz in der EU

Einleitung

Die Auslegung des Unionsrechts

Die allgemeinen Verfahrensfragen vor dem EuGH

Die sachliche und funktionelle Zuständigkeit

Das Vertragsverletzungsverfahren

Die Nichtigkeitsklage

Die Untätigkeitsklage

Die Amtshaftungsklage (Schadensersatzklage)

Das Vorabentscheidungsverfahren (Vorlageverfahren)

Das vorläufige Rechtsschutzverfahren

Die sonstigen Verfahren

Übungsaufgaben

8 Die Haftung der EU und ihrer Mitgliedstaaten

Einleitung

Die vertragliche Haftung der EU

Die außervertragliche Haftung der EU

Der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch

Übungsaufgaben

9 Die Unionsbürgerschaft und die Grundrechte

Die Unionsbürgerschaft

Das allgemeine Diskriminierungsverbot

Die Grundrechte

Übungsaufgaben

10 Die Grundfreiheiten im EU-Binnenmarkt

Der EU-Binnenmarkt

Die Integrationsmethoden

Die Grundstruktur der Freiheiten

Die Warenverkehrsfreiheit

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit

Die Niederlassungsfreiheit

Die Dienstleistungsfreiheit

Die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit

Übungsaufgaben

11 Das Wettbewerbsrecht

Das Kartellrecht

Das Beihilferecht

Übungsaufgaben

12 Die Wirtschafts- und Währungsunion

Einleitung

Die Währungsunion und die Einführung des Euro

Die Wirtschaftspolitik und die Haushaltsdisziplin

Die Staatsanleihenkäufe des ESZB

Übungsaufgaben

Lösungen zu den Übungsaufgaben

Kapitel 1: Historische Entwicklung der europäischen Integration

Kapitel 2: Die Organe der Europäischen Union

Kapitel 3: Werte, Ziele und Mitgliedschaft in der EU

Kapitel 4: Die Rechtsquellen und ihre Wirkungsweise

Kapitel 5: Die Rechtsetzung in der EU

Kapitel 6: Der Verwaltungsvollzug des Unionsrechts

Kapitel 7: Der Rechtsschutz in der EU

Kapitel 8: Die Haftung der EU und ihrer Mitgliedstaaten

Kapitel 9: Die Unionsbürgerschaft und die Grundrechte

Kapitel 10: Die Grundfreiheiten im EU-Binnenmarkt

Kapitel 11: Das Wettbewerbsrecht

Kapitel 12: Die Wirtschafts- und Währungsunion

Abkürzungsverzeichnis

Stichwortverzeichnis

End User License Agreement

Illustrationsverzeichnis

Kapitel 4

Abbildung 4.1 Unionsrechtliche Normenhierarchie

Kapitel 5

Abbildung 5.1 Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren

Kapitel 6

Abbildung 6.1 Verwaltungsvollzug des Unionsrechts

Orientierungspunkte

Cover

Titelblatt

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Fangen Sie an zu lesen

Lösungen zu den Übungsaufgaben

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Vorwort

Verschmilzt die Wirtschaft Europas zur Gemeinschaft, und das wird früher geschehen, als wir denken, so verschmilzt auch die Politik.

Walther Rathenau, Gesammelte Schriften, Band l, Berlin 1918, S. 278

Der Tübinger Europarechtler Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann bezeichnete in den 1990er-Jahren die Europäische Gemeinschaft als Krake, der allmählich in nahezu sämtliche Bereiche des Rechts und der Gesellschaft vordringt. Diese Entwicklung hätte nicht treffender beschrieben werden können. Es gibt derzeit kaum ein Rechtsgebiet, das nicht von den Wirkungen des Unionsrechts betroffen ist. Dabei ist sein Einfluss unterschiedlich stark. Während die Einflussnahme z. B. in der Landwirtschaftspolitik besonders groß ist, ist er in der Außenpolitik nur gering. Wegen der großen Bedeutung des Unionsrechts für die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und seines Einflusses auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind Grundkenntnisse des EU-Rechts für Studierende vor allem der juristischen, ökonomischen und politologischen Disziplinen heutzutage unerlässlich.

Da es sich bei dem vorliegenden Lehrbuch um einen Schnellkurs handelt, der einen raschen Einstieg in das Europarecht gewährleisten soll, können nur die wesentlichen Aspekte des Unionsrechts beleuchtet werden. Hierzu zählen vor allem die rechtlichen Grundlagen der EU, die Aufgaben der EU-Organe, die Rechtsprechung des EuGH sowie die Binnenmarktfreiheiten. Auf das Europarecht im weiteren Sinne muss dagegen verzichtet werden. So können Materien wie das Recht des Europarats mit der Europäischen Menschenrechtskonvention oder die EFTA nur am Rande behandelt werden.

Für die wertvolle Unterstützung bei der Erstellung des Lehrbuchs bedanke ich mich herzlich bei meinen Mitarbeitern Frau Eva Baum, M.A. und Herrn Dr. Daniel Zimmermann.

Ludwigsburg, im Juni 2022

Gerald G. Sander

1Historische Entwicklung der europäischen Integration

In diesem Kapitel…

Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

Die Römischen Verträge

Der Vertrag von Maastricht

Die gescheiterte europäische Verfassung

Der Vertrag von Lissabon

Herausforderungen an die EU in den vergangenen Jahren

Die Erweiterungsperspektiven der EU

Europa nach dem Krieg

Eine grundlegende Neuordnung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse erlebte der europäische Kontinent infolge der verheerenden Auswirkungen und Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges. Die weltpolitische Vormachtstellung der europäischen Großmächte war zum einen bereits durch die Weltwirtschaftskrise 1929–1932, zum anderen durch den Zweiten Weltkrieg weitestgehend eingebüßt worden. Am Ende des Krieges gab es über 60 Mio. Tote, die Ausdruck der gesamteuropäischen Katastrophe waren. In der Nachkriegszeit etablierten sich die USA und die Sowjetunion als Supermächte, während das Vereinigte Königreich und Frankreich die meisten ihrer afrikanischen und asiatischen Kolonien in die Unabhängigkeit entließen.

Für die europäischen Regierungen drängten sich nach dem Weltkrieg gleichzeitig mit dem Wiederaufbau ihrer Staaten mehrere zentrale Aufgaben in den Vordergrund. Ein Hauptanliegen nach den beiden vorangegangenen Weltkriegen war es, den Frieden in Europa künftig dauerhaft zu sichern. Eine weitere große Herausforderung stellte die Wiedererlangung des weltpolitischen Einflusses Europas dar. Das Ziel einer engeren europäischen Zusammenarbeit erlangte bei allen westlichen Nationen zudem besondere Bedeutsamkeit durch den schon gleich nach Kriegsende heraufziehenden Ost-West-Konflikt. Um diese Vorhaben zu erreichen, strebte man nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa nach einer engen wirtschaftlichen und politischen Partnerschaft.

Merke

Die europäische Integration steht für die immer engere Zusammenarbeit zwischen einer steigenden Zahl europäischer Staaten. Diese Kooperation fand ihren institutionellen Niederschlag in der Gründung der Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS/Montanunion, 1952) und der Schaffung der beiden weiteren Europäischen Gemeinschaften (EWG sowie EAG/Euratom, 1958) bis hin zur Entstehung der heutigen Europäischen Union. Die Integration stellt dabei einen generell unvollendeten Prozess der europäischen Einigung in verschiedenen Politikbereichen dar und ist geprägt durch eine intensive supranationale (überstaatliche) wie auch eine intergouvernementale (zwischenstaatliche, zwischen Regierungen bestehende) Zusammenarbeit. Ihre Finalität ist im Hinblick auf die geografische Ausdehnung und endgültige politische Ausgestaltung der EU noch ungeklärt.

Der Beginn der europäischen Integration

Der frühere britische Premierminister in den Kriegsjahren, nunmehr Oppositionsführer, Winston Churchill, forderte in seiner berühmten Züricher Rede am 19. September 1946 die Gründung einer »Art von Vereinigten Staaten von Europa«. Als wichtigste Voraussetzung sah er dabei eine Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland. Das Vereinigte Königreich sollte aus seiner Sicht jedoch kein Teil des vereinten Europas werden. Diese Rede gilt als politischer Anstoß für die Einigung Europas.

Seit Beginn des europäischen Integrationsprozesses werden Überlegungen hinsichtlich seiner Entwicklung angestellt. Mit der Gründung eines europäischen Bundesstaats oder jedenfalls eines föderalen Staatenbundes wäre das föderalistische Konzept einer gesamteuropäischen Vereinigung umgesetzt worden. Die Funktionalisten (Jean Monnet, Ernst B. Haas) setzten dagegen bei der politischen Einigung auf eine Kooperation, die sich zunächst lediglich auf aufgabenspezifische Sachbereiche fokussieren sollte, welche – stetig wachsend – später auch eine Integration in den sensiblen Politikbereichen nach sich ziehen würde (sog. Spill-over-Effekt). Diese Herangehensweise zeigte sich in der Praxis der Integration letztlich als erfolgreicher Weg.

Das vom US-amerikanischen Außenminister George Marshall am 5. Juni 1947 vorgeschlagene Wiederaufbauprogramm (sog. Marshallplan) war die Geburtsstunde eines gemeinsamen wirtschaftlichen Wiederaufstiegs Europas.

Auf dem Haagener Kongress von 1948 wurden Stimmen laut, die eine wirtschaftliche, politische wie auch demokratische Union forderten, die sich zur Achtung von Menschenrechten bekannte. Am 5. Mai 1949 wurde der Europarat mit Sitz in Straßburg als institutionalisierte Form der Kooperation gegründet. Der Europarat hatte bei seiner Entstehung zehn Mitgliedstaaten; Deutschland trat 1950 bei. Heutzutage gehören dem Europarat 47 Staaten an; hierzu zählen auch Länder wie die Schweiz, Türkei und Russland. Weiterhin wurde mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ein supranational kontrolliertes Menschenrechtsschutzsystem geschaffen.

Hinweis

Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK) ist ein völkerrechtlicher Vertrag des Europarats. Sie trat 1953 in Kraft und schützt die grundlegendsten Menschenrechte und Grundfreiheiten aller Menschen in den Mitgliedstaaten des Europarats. Durch Zusatzprotokolle wurde sie mehrfach ergänzt.

Das im Mai 1949 ausgefertigte und verkündete Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland enthielt bereits in seiner Urfassung der Präambel die einleitenden Worte: »[…] als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, […]«. In diesem Wortlaut zeigt sich bereits das Verständnis für die Dringlichkeit einer europäischen Einigung. Die Sicherung des Friedens innerhalb eines vereinten Europas galt demnach schon von Beginn an als eines der obersten Staatsziele Deutschlands.

Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)

Der französische Außenminister Robert Schuman legte in seiner Rede vom 9. Mai 1950 den Grundstein für die weitere Entwicklung der europäischen Vereinigung. Der sog. Schuman-Plan sah die Unterordnung der Schwerindustrie sowohl Frankreichs als auch Deutschlands unter eine gemeinsame Behörde vor.

Geistiger Vater dieses Plans war der Leiter des französischen Planungsamtes, Jean Monnet. Sein Plan hatte zum Ziel, dass weder Frankreich noch Deutschland – die beiden »Erzfeinde« der vergangenen Jahrzehnte – eigenständig über die kriegswichtigen Rohstoffe Kohle und Stahl frei verfügen konnte. So sollten weitere kriegerische Auseinandersetzungen präventiv unterbunden werden. Auch würden auf diese Weise diskriminierende Kontrollen unterbleiben. Sechs Länder, namentlich Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg (Benelux-Staaten), schlossen sich durch die Unterzeichnung des Gründungsvertrages am 18. April 1951 zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, auch Montanunion genannt) zusammen. Der Vertrag zur Gründung der EGKS, der am 23. Juli 1952 in Kraft trat, wurde für die Dauer von 50 Jahren geschlossen, lief somit am 23. Juli 2002 aus und wurde nicht verlängert. Seine Regelungsbereiche fielen ab diesem Zeitpunkt in den Anwendungsbereich des für Wirtschaftsfragen allgemein geltenden EG-Vertrages. Organe der EGKS waren die Hohe Behörde (heute: Europäische Kommission), der (Minister-)Rat, die Versammlung (heute: Europäisches Parlament), der Gerichtshof sowie der Rechnungshof.

Aus Furcht, Souveränitätsrechte zu verlieren sowie ihre weltpolitische Rolle zu gefährden oder gar einzubüßen, reagierten die anderen europäischen Staaten zunächst jedoch mit Skepsis gegenüber der neu gegründeten Gemeinschaft.

Die gescheiterten Gemeinschaften

In einem weiteren Schritt sollte die Einigung Europas durch die Schaffung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) vorangetrieben werden. Zwar wurde der Vertrag über die EVG am 26./27. Mai 1952 von den sechs Gründerstaaten unterzeichnet und von nationalen Parlamenten nach und nach ratifiziert, jedoch scheiterte das Inkrafttreten an der französischen Nationalversammlung, die im Jahre 1954 die Ratifizierung ablehnte. Im Falle seiner Wirksamkeit wäre es im Zuge der Errichtung einer europäischen Armee auch zu einer Wiederbewaffnung Deutschlands und zur Aufhebung des Besatzungsstatuts gekommen.

Als längerfristiges Ziel wurde zudem die Vereinigung der Staaten auch in politischer Hinsicht durch die Verklammerung der EVG und EGKS durch eine politische Gemeinschaft angestrebt. So wurde im Jahre 1953 der Satzungsentwurf für eine Europäische (Politische) Gemeinschaft (EPG) vorgelegt. Mit dem Scheitern der EVP verlor allerdings auch die EPG ihre Grundlage. Im politischen Widerstand gegen die beiden neuen Gemeinschaften zeigte sich, dass eine politische Integration Europas lediglich schrittweise mit dem Beginn der wirtschaftlichen Integration nach funktionalistischem Verständnis erfolgen konnte.

Die Römischen Verträge

Zu einer Wiederbelegung des europäischen Gedankens kam es auf der Konferenz von Messina im Juni 1955. Dort beschlossen die Außenminister der EGKS die Einsetzung eines Regierungsausschusses unter der Leitung von Paul-Henri Spaak (sog. Spaak-Kommission), der Vorschläge für eine wirtschaftliche Einigung der nationalen Volkswirtschaften mit dem Ziel eines allgemeinen gemeinsamen Marktes und eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Atomenergie unterbreiten sollte. Dessen Bericht aus dem Jahre 1956 diente als Diskussionsgrundlage für die Ausarbeitung der Verträge über eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und eine Europäische Atomgemeinschaft (EAG, auch Euratom genannt).

Am 25. März 1957 unterzeichneten schließlich die sechs Gründerstaaten der EGKS die beiden Römischen Verträge. Ziel der EWG war es, einen gemeinsamen Markt ohne Handelshemmnisse zu schaffen. Zu diesem Zweck sollte der Abbau von Zöllen und anderen Handelshindernissen durchgesetzt werden. Die EAG sollte durch vereinheitlichte Sicherheitsvorschriften für eine friedliche Nutzung der Kernenergie Sorge tragen und gemeinsame Forschungen unterstützen, da die einzelnen Staaten nicht in der Lage seien, die notwendigen Mittel für Forschung und Investitionen alleine aufzubringen. Die Verträge traten am 1. Januar 1958 in Kraft.

Die beiden neu gegründeten Gemeinschaften erhielten jeweils eine eigene Kommission und einen eigenen Rat. Nach dem Abkommen über gemeinsame Organe der Europäischen Gemeinschaften von 1957 teilten sich allerdings alle drei Gemeinschaften (EGKS/EWG/EAG) künftig eine parlamentarische Versammlung, die sich 1958 als Europäisches Parlament konstituierte, sowie einen Gerichtshof, der als Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften am 7. Oktober 1958 in Luxemburg seine Arbeit aufnahm.

Im Rahmen der Römischen Verträge war zudem eine Verordnung vorgesehen, welche die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) zum Ziel hatte und 1962 in Kraft trat. So sollte ein gemeinsamer Markt für Agrarerzeugnisse geschaffen sowie durch die Errichtung eines Fonds auch finanzielle Solidarität gewährleistet werden.

In den 1960er-Jahren verhinderte der französische Staatspräsident Charles de Gaulle das weitere Voranschreiten der europäischen Einigung. Seine ablehnende Haltung galt vor allem einem Beitritt des Vereinigten Königreichs, welches nach den sichtbaren Erfolgen der EWG ernsthaftes Interesse an einem Beitritt zeigte und gegen den er zweimal ein Veto (1963 und 1967) einlegte.

Weiterhin nahm die französische Verhandlungsdelegation vom 1. Juli 1965 bis 30. Januar 1966 nicht an den Sitzungen des Rates der EWG teil (sog. Politik des leeren Stuhls), womit dieser nicht beschlussfähig und die Politik der EWG praktisch gelähmt war. Eine der Ursachen dieser Haltung war, dass über die gemeinsame Agrarpolitik im Rat nicht mehr wie bisher einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden sollte, Frankreich somit keine Entscheidung mehr hätte blockieren können. Der Luxemburger Kompromiss beendete diese Krise, indem er vorsah, dass ein Mitgliedstaat, der seine grundlegenden nationalen Interessen bedroht sieht, nicht überstimmt werden darf, sondern die Verhandlungen weitergeführt werden müssen, bis ein einstimmiger Beschluss zustande kommt.

Fusion der Organe und erste Erweiterung

Der Zusammenschluss weiterer Organe der drei Europäischen Gemeinschaften erfolgte durch den am 8. April 1965 geschlossenen und am 1. Juli 1967 in Kraft getretenen EG-Fusionsvertrag. Seitdem verfügen die Gemeinschaften über einen gemeinsamen Rat und eine gemeinsame Kommission. Gleiches galt für den 1975 errichteten Europäischen Rechnungshof, der 1977 seine Arbeit aufnahm.

Am 1. Juli 1968 wurde die Zollunion im gewerblichen Bereich vollendet, sodass die Zölle zwischen den Mitgliedstaaten abgeschafft sind, Einfuhren aus Drittstaaten einem einheitlichen Zoll unterworfen sind und die Einnahmen aus den Zöllen in den Gemeinschaftshaushalt fließen. Für landwirtschaftliche Produkte wurde die Zollunion 1970 verwirklicht.

Der Ausbau des Aufgabenbereiches der Gemeinschaften und deren territoriale Erweiterung durch die Aufnahme weiterer Mitgliedstaaten konnten nach dem Rücktritt von Charles de Gaulle im Jahre 1969 schrittweise erfolgen.

Mit dem Beitritt Dänemarks, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland sowie Irlands erfolgte zum 1. Januar 1973 die sog. erste Norderweiterung der EG.

Obgleich die EWG in der Präambel ihres Vertrages ihr Bestreben zu einem »immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker« ausdrückte, beschränkte sich der Integrationsprozess in den folgenden Jahren jedoch weitestgehend auf die Wirtschaft.

Aufgrund der fehlenden Bereitschaft der Mitgliedstaaten, die eigene, nationale Souveränität sowohl in der Wirtschafts- und Finanzpolitik als auch in der Währungspolitik stärker zu beschneiden, erwuchsen neue Handelsbarrieren, welche die europäische Integration wesentlich zu hemmen drohten. Letztlich kam man aber zu der Einsicht, dass eine gelungene wirtschaftliche Integration und eine politische Integration sich wechselseitig bedingten.

Der Europäische Rat

Besondere Bedeutung kam dabei den Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs zu. Nachdem sich diese früher nur zu zeremoniellen Anlässen getroffen hatten, fand mit dem Gipfel von Den Haag am 1./2. Dezember 1969 erstmals ein politisch bedeutendes Treffen statt, auf dem die »Vollendung, Vertiefung und Erweiterung der EG« beschlossen wurde. Der Davignon-Bericht vom 27. Oktober 1970 bildete die Grundlage für die Schaffung einer Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), die schließlich auf der Kopenhagener Konferenz im Juli 1973 von den Staats- und Regierungschefs begründet wurde. Die EPZ sollte eine enge Zusammenarbeit der EG-Mitgliedstaaten auch in den Bereichen sicherstellen, die nicht in den Gründungsverträgen der Gemeinschaften geregelt waren. Die Staats- und Regierungschefs beabsichtigten, auf rechtlich unverbindlicher Basis in außenpolitischen Angelegenheiten tätig zu werden, indem die EPZ neben die Gemeinschaftsverträge treten sollte.

Auf der Pariser Konferenz vom 9./10. Dezember 1974 wurden die Treffen der Staats- und Regierungschefs dann als informelles Forum mit der Bezeichnung als Europäischer Rat etabliert. Künftig sollten die Staats- und Regierungschefs im Rahmen der politischen Zusammenarbeit regelmäßig zusammentreffen. Unter dem Europäischen Rat schritt die Entwicklung der europäischen Integration endlich weiter voran.

Weitere Entwicklungen

Aufgrund eines vom Europäischen Rat im Jahr 1976 gefassten Beschlusses erfolgte am 7. und 10. Juni 1979 erstmals eine Direktwahl des Europäischen Parlaments mit seinen insgesamt 410 Abgeordneten.

Im Dezember 1978 wurde das Europäische Währungssystem (EWS) durch einen Beschluss des Rates auf der Basis einer Europäischen Währungseinheit (ECU) eingeführt.

Die erste sog. Süderweiterung fand im Jahr 1981 mit dem Beitritt Griechenlands statt. Nachfolgend traten Spanien und Portugal im Jahre 1986 bei und erhöhten die Zahl der EG-Mitgliedstaaten auf zwölf.

Mit den Schengener Abkommen kam es zum schrittweisen Abbau der Personenkontrollen an den Binnengrenzen der beteiligten Mitgliedstaaten. Das erste Schengener Abkommen wurde am 14. Juni 1985 zwischen Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden geschlossen. Da das ursprünglich für 1990 vorgesehene Ziel eines vollständigen Abbaus der Grenzkontrollen aus Sicherheitsgründen nicht eingehalten werden konnte, wurde im selben Jahr das Übereinkommen zur Durchführung des Schengener Abkommens (Schengener Durchführungsabkommen oder auch Schengen II genannt) unterzeichnet. Dieses hatte zum Gegenstand, durch Angleichung zwischen den Schengen-Staaten einen einheitlichen Raum der Sicherheit und des Rechts zu gewährleisten. Erst durch die Schaffung der erforderlichen technischen und rechtlichen Voraussetzungen, z. B. Einrichtung von Datenbanken, erfolgte die Umsetzung am 26. März 1995. Derzeit besteht der Schengen-Raum aus 26 Staaten.

Eine Reform der Gemeinschaftsverträge schien zu diesem Zeitpunkt unerlässlich, einerseits im Hinblick auf die steigende Mitgliederzahl mit weiter steigender Tendenz, andererseits aufgrund der Aufgaben, welche die EG bisher erfolgreich meisterte, die jedoch – einhergehend mit der steigenden Anzahl an Mitgliedstaaten – in Umfang und Tiefe ebenfalls weiter zunehmen würden.

Die Einheitliche Europäische Akte

Im Jahre 1983 einigte sich der Europäische Rat in Stuttgart auf Anregung Deutschlands und Italiens auf die »Feierliche Erklärung zur Europäischen Union«. Als Folge dieser feierlichen Deklaration kam es drei Jahre später zur ersten umfassenderen Reform der Gründungsverträge in Form der Verabschiedung der »Einheitlichen Europäischen Akte« (EEA), die am 1. Juli 1987 in Kraft trat.

Eine wesentliche Zielvorgabe der EEA war die Vollendung des europäischen Binnenmarkts mit seinen Grundfreiheiten, nämlich dem freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr bis zum 31. Dezember 1992.

Im Hinblick auf die hierfür erforderlichen Harmonisierungen der nationalen Vorschriften wurde – bis auf wenige Ausnahmen für Beschlüsse, die Bezug zum Binnenmarkt hatten – die qualifizierte Mehrheit im Rat anstelle der Einstimmigkeit eingeführt. Außerdem wurde das »Verfahren der Zusammenarbeit« neu in die Verträge aufgenommen und dem Europäischen Parlament damit mehr Einfluss beim Rechtsetzungsverfahren eingeräumt. Der Europäische Rat erhielt in der EEA erstmals eine vertragliche Basis und es wurden mindestens halbjährliche Treffen vereinbart.

In der EEA wurde zudem eine vertragliche Grundlage für die EPZ verankert, die später im Rahmen der EU in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik überführt wurde. Ferner erhielt die EWG weitere Kompetenzen in den Bereichen Umweltschutz, Strukturpolitik, Forschung und technologische Entwicklung. Auch eine Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik wurde vereinbart.

Stufen der Integration:

In einer Freihandelszone sind die Zölle und andere Handelsbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten abgebaut. Bezüglich der Außenzölle und der Außenhandelspolitik sind die Mitgliedstaaten jedoch weiterhin autonom.

Bei einer Zollunion handelt es sich um eine Freihandelszone allerdings mit einem gemeinsamen Außenzoll gegenüber Drittstaaten.

Der Binnenmarkt geht noch einen Schritt weiter und umfasst nicht nur die Warenverkehrsfreiheit, sondern auch die freie Mobilität der Produktionsfaktoren (freier Verkehr von Arbeitskräften, Dienstleistungen und Kapital).

Die wirtschaftliche Integration kann im Anschluss im politischen Rahmen vertieft werden. In einer Wirtschafts- und Währungsunion wird die Wirtschaftspolitik zwischen den Mitgliedstaaten abgestimmt und eine einheitliche Währung eingeführt.

Vom Vertrag von Maastricht bis zur Verfassung

Mit dem Zerfall der Sowjetunion, dem Ende des Ostblocks und der Wiedervereinigung Deutschlands öffnete sich zu Beginn der 1990er-Jahre die Möglichkeit einer völligen Neuordnung des europäischen Kontinents. Auch bezüglich der Europäischen Gemeinschaften kam es zu grundlegenden Veränderungen durch die Unterzeichnung des Vertrages von Maastricht am 7. Februar 1992, der am 1. November 1993 in Kraft trat.

Der Maastricht-Vertrag war die bis dahin umfassendste Änderung der Gründungsverträge. Wesentliche Neuerungen durch den Maastricht-Vertrag waren:

die Schaffung der

Europäischen Union

(EU) als übergeordneter Verbund ohne eigene Rechtspersönlichkeit durch den neu verabschiedeten EU-Vertrag,

die nunmehr im EU-Vertrag verankerte

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

(GASP, ehemals Europäische Politische Zusammenarbeit) (Art. J ff. EUV, jetzt Art. 21 ff. EUV) sowie die erstmals geregelte

Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres

(Art. K EUV, jetzt als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Art. 67 ff. AEUV), beide in Form einer intergouvernementalen Kooperation,

die Einführung einer

Unionsbürgerschaft

in den EG-Vertrag (Art. 8 ff. EGV, jetzt Art. 20 ff. AEUV) mit Reise- und Aufenthaltsrecht, aktives und passives Wahlrecht bei Kommunal- und Europawahlen, diplomatischer Schutz und Petitionsrecht, wobei der EWG-Vertrag in

EG-Vertrag

umbenannt wurde,

die Verankerung des

Subsidiaritätsprinzips

(Art. B Abs. 2 EUV, Art. 3b Abs. 2 EGV; jetzt Art. 2 Abs. 2 EUV und Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit), das heißt, die EU wird im Rahmen ihrer Kompetenzen nur tätig, wenn ein Ziel auf europäischer Ebene besser erreicht werden kann als auf der Ebene der Mitgliedstaaten,

die Schaffung einer

Wirtschafts- und Währungsunion

(WWU) (Art. 102a ff. EGV, jetzt Art. 119 ff. AEUV) mit dem Ziel der Koordination der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten,

die Einführung einer einheitlichen

Währung

(Euro). Die Währungsunion wurde in drei Stufen verwirklicht, wobei die letzte Stufe zum 1. Januar 1999 in Kraft trat. Der Euro wurde als Bargeld am 1. Januar 2002 eingeführt. Vier Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein Staat an der WWU und der Einführung einer gemeinsamen Währung teilnehmen kann: Preisniveaustabilität, Haushaltsdisziplin, Zinsstabilität und Währungsstabilität (Art. 109j EGV, jetzt Art. 140 AEUV),

die Errichtung eines europäischen

Zentralbankensystems

mit einer

Europäischen Zentralbank

(Art. 4a, Art. 105 ff. EGV; jetzt Art. 127 ff.; 282 ff. AEUV),

Kompetenzerweiterungen für das Europäische Parlament durch Einführung des

Mitentscheidungsverfahrens

(jetzt ordentliches Gesetzgebungsverfahren), bei dem das Parlament in einigen Bereichen der Gesetzgebung nunmehr gleichberechtigt mit dem Rat entscheidet,

Einrichtung eines

Ausschusses der Regionen

(AdR) als Vertretung von Regionen (z. B. Bundesländern) und Kommunen (Art. 198a ff. EGV; jetzt Art. 300, 305 ff. AEUV),

die Einführung

neuer Politikbereiche

für die EG wie z. B. allgemeine und berufliche Bildung und Jugend (Art. 126 f. EGV, jetzt Art. 165 f. AEUV), Kultur (Art. 128 EGV, jetzt Art. 167 AEUV), das Gesundheitswesen (Art. 129 EGV, jetzt Art. 168 AEUV), Verbraucherschutz (Art. 129a EGV, jetzt Art. 169), transeuropäische Netze (Art. 129b ff. EGV, jetzt Art. 170 ff. AEUV), Industrie (Art. 130 EGV, später Art. 173 AEUV). Außerdem wurde ein Protokoll über die Sozialpolitik sowie ein Abkommen über die Sozialpolitik zwischen elf der damaligen Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs beigefügt, mit dem erweiterte Zuständigkeiten vor allem zur Setzung arbeitsrechtlicher Mindestnormen und bei der Förderung des Sozialen Dialogs auf EG-Ebene geschaffen wurden.

Das Drei-Säulen-Modell

Eine Besonderheit des Maastrichter Vertrages stellte vor allem das »Drei-Säulen-Modell« – auch »Tempelmodell« genannt – dar, in dem die EU den unter ihr befindlichen drei Pfeilern als gemeinsames Dach diente. Auch wenn die Struktur heute in dieser Form nicht mehr existiert, ist ihre Erläuterung für das Verständnis des Lissabonner Vertrages hilfreich.

Die drei Gemeinschaften EGKS, EWG und EAG bildeten dabei die erste Säule des Tempels. In diesem Pfeiler fand die sog. Gemeinschaftsmethode Anwendung. Hiermit ist gemeint, dass in der europäischen Politik eine supranationale Entscheidungsfindung durch die EU-Institutionen Kommission, Parlament und Rat (»institutionelles Dreieck«) stattfindet.

Die zweite Säule bildete die ehemalige Europäische Politische Zusammenarbeit, die in Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) umbenannt wurde. Mit der dritten Säule wurde durch die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZJI) ein neuer Politikbereich für die EU eingeführt. In den beiden letztgenannten Säulen findet eine Zusammenarbeit nach der intergouvernementalen Methode statt. In diesen Bereichen behielten die Mitgliedstaaten also ihre Hoheitsrechte und die Ziele wurden lediglich durch die zwischenstaatliche Regierungszusammenarbeit verfolgt und verwirklicht.

In der Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 89, 155 ff.) wurde die Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes des Bundestags im Ergebnis bejaht. Der Maastrichter Vertrag führte in Deutschland jedoch zur Einführung des »Europa«-Art. 23 GG. Hoheitsübertragungen an die Gemeinschaften und die Union richten sich seitdem nur noch nach den Vorgaben dieses Artikels und nicht mehr nach Art. 24 GG. Art. 23 GG bestimmt in detaillierter Weise das hierbei einzuhaltende Verfahren (Art. 23 Abs. 2–7 GG) sowie die rechtlichen Grenzen der Hoheitsübertragung (Art. 23 Abs. 1 GG), die der Gesetzgeber zwingend zu beachten hat (sog. Struktursicherungsklauseln). Danach darf Deutschland am Fortgang der europäischen Integration nur teilnehmen, wenn die EU demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet.

Zum 1. Januar 1994 wurde der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) errichtet. Mit ihm werden die EU-Binnenmarktvorschriften (Grundfreiheiten) mit Sonderbedingungen für Landwirtschaftsprodukte auf die Staaten der Europäischen Freihandelszone (EFTA) ausgedehnt (vgl. Art. 217 AEUV). Waren aus Drittstaaten bleiben jedoch über Ursprungsregelungen ausgeschlossen. Dem EWR gehören neben den EU-Mitgliedstaaten auch Island, Liechtenstein und Norwegen an. Die Schweiz ist zwar Mitglied der EFTA, aber nicht des EWR. Mit der Durchführung und Überwachung der Regelungen des EWR-Vertrages ist der EWR-Rat beauftragt.

Hinweis

Die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) wurde 1960 als zwischenstaatliche Organisation zur Förderung des freien Handels zwischen ihren Mitgliedstaaten mit Sitz in Genf gegründet. Der Zusammenschluss beinhaltet keine politischen Zielsetzungen. Es handelt sich auch nicht wie bei der EU um eine Zollunion. Mitgliedstaaten sind Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Vor ihrem Beitritt zur EU gehörten auch Dänemark, das Vereinigte Königreich, Portugal, Finnland, Österreich und Schweden zur EFTA.

Im Jahre 1995 traten Österreich, Schweden und Finnland der EU bei, deren Mitgliederzahl nunmehr auf 15 anstieg (sog. zweite Norderweiterung).

Die am 1. Juli 1998 errichtete Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt bildet gemeinsam mit den nationalen Zentralbanken der EU-Mitgliedstaaten das Europäische System der Zentralbanken (ESZB). Die Währungsunion bot hierbei die Basis für eine auf Stabilität ausgerichtete Geldpolitik im gesamten Euro-Währungsraum.

Der Vertrag von Amsterdam

Der Reformvertrag von Amsterdam aus dem Jahr 1997 stellte die erste Anstrengung dar, den Maastrichter Vertrag weiterzuentwickeln und die EU nach den Erweiterungen handlungsfähig zu halten. Bei Weitem nicht so einschneidend wie sein Vorläufer brachte der Vertrag von Amsterdam mit seinem Inkrafttreten vom 1. Mai 1999 doch einige Veränderungen mit sich. So wurde der Anwendungsbereich des Mitentscheidungsverfahrens erweitert, und das Europäische Parlament muss künftig der Ernennung des Kommissionspräsidenten zustimmen. Weiterhin wurde die Beschäftigungspolitik als ein Hauptziel in die Verträge aufgenommen. Veränderungen gab es auch in der Tektonik des Maastrichter Tempelmodells. Die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen sowie die Regelungen über die begleitenden Maßnahmen zum freien Personenverkehr in der Migrations-, Asyl- und Zuwanderungspolitik wurden von der dritten in die erste, supranationale Säule (Art. 61 bis 69 EGV) überführt. Hingegen verblieb die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) in der dritten Säule. Im Bereich der GASP schufen die Staats- und Regierungschefs das Amt eines Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Das Sozialprotokoll konnte in den EG-Vertrag in Art. 137 ff. übernommen werden. Ferner wurde das Schengener Abkommen in Form eines Protokolls in die Verträge aufgenommen. Schließlich wurden der EU- und der EG-Vertrag neu durchnummeriert.

Der Vertrag von Nizza

Aufgrund der Beitrittsverhandlungen mit acht osteuropäischen Staaten sowie Malta und Zypern wurde eine weitere zeitnahe Änderung der Verträge als unumgänglich angesehen. Vor der großen Zunahme an Mitgliedstaaten sollten in einer zusätzlichen Vertragsreform die noch offenen Fragen insbesondere im Hinblick auf die künftige Handlungsfähigkeit der EU-Institutionen geklärt sein (sog. Amsterdam left-overs). Der am 26. Februar 2001 in Nizza unterzeichnete Änderungsvertrag sollte sowohl der Erhaltung der Handlungsfähigkeit wie auch der Funktionalität der EU dienen. In erster Linie wurden in diesem Reformvertrag die institutionellen Reformen aufgearbeitet. Der Vertrag von Nizza enthielt als vielleicht wichtigste Neuerung die Vereinbarung, dass in vielen Bereichen für die Beschlüsse des Rates künftig die qualifizierte Mehrheit anstelle der Einstimmigkeit ausreichend ist. Darüber hinaus konnten die Vertragsänderungen die Erwartungen an die institutionellen Reformen jedoch bei Weitem nicht erfüllen. Wegen eines ablehnenden Referendums in Irland wurde das Inkrafttreten des Vertrages aufgeschoben. Erst nachdem ein zweites erfolgreiches Referendum durchgeführt wurde, konnte der Vertrag am 1. März 2003 in Kraft treten.

Die feierliche Verkündung der Charta der Grundrechte der EU fand am 7. Dezember 2000 auf dem Gipfeltreffen von Nizza durch die Staats- und Regierungschefs der EU statt. Mit ihr werden erstmals Grund- und Menschenrechte für die EU schriftlich niedergelegt. Sie wurde von einem speziell hierfür einberufenen Konvent unter Vorsitz des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog ausgearbeitet. Die Charta selbst war kein Bestandteil des Vertrages von Nizza und besaß zunächst keine rechtliche Verbindlichkeit. Ihr wurde jedoch durch die Proklamation rechtspolitisches Gewicht verliehen, und der EuGH stützte sich bereits in seiner Rechtsprechung auf die Charta.

Unter den damaligen EU-Mitgliedstaaten bestand Einigkeit über die Notwendigkeit einer umfassenden Fortentwicklung der Integrationsverträge, welche nach 50-jährigem Bestehen inhaltlich an ihre Grenzen stießen. Eine transparente, bürgernahe und zugleich handlungsfähige Union, vor allem im Hinblick auf die nahende Osterweiterung, erschien unabdinglich. Auch ein Abbau des viel beklagten Demokratiedefizits sollte stattfinden. Die in Nizza abgegebene »Erklärung der Zukunft der Europäischen Union« stellte die Basis für den darauf folgenden Reformprozess dar. Ende 2001 erfolgte die Erklärung von Laeken, welche einen parlamentarisch/gouvernementalen »Konvent zur Zukunft Europas« (sog. Verfassungskonvent) ins Leben rief. Diesem war ein limitiertes Mandat anvertraut worden: die Konzeption eines europäischen Verfassungsvertrages.

Die gescheiterte europäische Verfassung

Unter der Leitung von Valery Giscard d'Estaing, dem ehemaligen Staatspräsidenten Frankreichs, tagte der Verfassungskonvent erstmals am 28. Februar 2002 in Brüssel, um die europäische Verfassung auszuarbeiten, was insgesamt anderthalb Jahre dauern sollte. Der Entwurf eines Vertrages über die Verfassung für Europa, der am 20. Juni 2003 nach Beteiligung einer breiten Öffentlichkeit der Regierungskonferenz übergeben wurde, fand anfangs nicht bei allen Mitgliedstaaten Zuspruch. Aus diesem Grund kam es erst ein Jahr später, am 29. Oktober 2004, nach geringen Veränderungen zur Annahme durch die Regierungskonferenz. Der Entwurf wurde anschließend den Mitgliedstaaten zur Verabschiedung vorgelegt.

Unterdessen wurde nach dem Fall des »Eisernen Vorhangs« den mittel- und osteuropäischen Staaten die Möglichkeit eröffnet, ihre historische, kulturelle wie auch politische Bindung zu den EU-Mitgliedstaaten wiederherzustellen. Auch stellte ein Beitritt zur EU für diese Staaten einen immensen wirtschaftlichen Vorteil dar. So traten nach Unterzeichnung der Beitrittsverträge am 16. April 2003 zehn weitere Staaten, nämlich Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn sowie Zypern, mit Wirkung zum 1. Mai 2004 der EU bei und erhöhten die Anzahl der Mitgliedstaaten auf 25 (sog. Osterweiterung).

Mit der Verfassung sollte die bestehende Säulenstruktur aufgelöst werden und die Regelungen in einem Vertrag zusammengeführt werden. Der Verfassungsvertrag gliederte sich in vier Teile:

Neben den Zielen und Werten der EU beinhaltete Teil I als Fundament der Verfassung die Verfassungsprinzipien der Union. Weiterhin waren darin die Zuständigkeiten, die politischen Organe der EU und nicht zuletzt die Grundsätze der Finanzierung geregelt.

In Teil II der Verfassung fand sich die Europäische Grundrechtecharta wieder, um als Bestandteil der Verfassung offizielle Rechtsverbindlichkeit zu erlangen.

Teil III steckte die Politikbereiche wie auch die Arbeitsweise der Union ab.

Die Regelungen der Übergangs- und Schlussbestimmungen fanden sich in Teil IV wieder.

Besonders umstritten waren die Aufnahme von Verfassungssymbolen wie der Flagge, der Hymne »Ode an die Freude«, des Europatags am 9. Mai und die Begriffsverwendungen wie »Verfassung« und »Gesetze«. Der EU wurde zudem eine eigene Rechtspersönlichkeit verliehen.

Die Verfassung regelte auch die Kompetenzabgrenzung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten und unterteilte sie in ausschließliche und geteilte Unionskompetenzen sowie unterstützende, koordinierende und ergänzende Maßnahmen mit entsprechenden Katalogen, in denen die jeweiligen Politikbereiche aufgeführt waren.

Durch Umgestaltung der Handlungsformen der EU sollten vereinfachte Verfahren, vorteilhaftere Systematisierungen wie auch transparente Bezeichnungen wie Gesetze und Rahmengesetze statt Verordnungen und Richtlinien für die Rechtsinstrumente der EU eingeführt werden. Für die Entscheidungsfindung im Rat war eine sog. doppelte Mehrheit bestehend aus einer Mehrheit der Ratsmitglieder und einer Mehrheit der repräsentierten Bevölkerung vorgesehen. Zudem wurde das Prinzip der Teampräsidentschaft im Fachministerrat bestehend aus drei Mitgliedstaaten für 18 Monate in rotierender Abfolge verankert.

Mit dem Ziel, das Unionshandeln nachhaltig zu stärken, sollte ein hauptamtlicher Präsident des Europäischen Rates wie auch ein EU-Außenminister eingesetzt werden. Hinzu traten Verfahrensvorschriften für einen Austritt aus der EU sowie die ausdrückliche Vorrangregelung für das Unionsrecht.

Ablehnende Referenden in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005 ließen jedoch letztlich die Ratifikation des Verfassungsvertrages scheitern. Ursache hierfür waren – neben innenpolitischen Faktoren – vielfältige Bedenken, wie die Furcht vor der Entstehung eines europäischen Staats, mangelnde Bürgernähe sowie anhaltende Demokratiedefizite. Eine weitere zentrale Rolle spielte die erfolgte Erweiterung, wodurch die Befürchtungen vor einer Selbstüberforderung in der EU wuchsen. Eine gleichzeitige Vertiefung und Erweiterung der EU schien nicht vorstellbar. Hinzu kamen die kontrovers diskutierten Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die seit 1999 andauerten. Auch war für viele Unionsbürger mit einer langen Verfassungstradition, wie etwa in Frankreich, der Verfassungsentwurf ein überkomplex formulierter, kaum verständlicher, bürgerfremder Text mit allzu vielen Kompromissen, dem das Prädikat »Verfassung« nicht zustehe. Die Rolle der EU als Friedensstifter und großer Hoffnungsträger schien somit nicht länger in den Vorstellungen vieler Europäer präsent zu sein.

Nach schwierigen Verhandlungen traten am 1. Januar 2007 Bulgarien und Rumänien der EU bei, obwohl sie teilweise noch erhebliche Defizite bei der Bekämpfung der Korruption und des organisierten Verbrechens sowie bei der Verwaltung der EU-Subventionen und dem Umgang mit ethnischen Minderheiten aufwiesen. Die EU wuchs damit auf 27 Mitgliedstaaten an. Allerdings forderte die EU-Kommission einen Stopp für weitere Aufnahmen, bis die EU einen Ausweg aus der Verfassungskrise gefunden habe und wieder arbeitsfähig sei.

Der Vertrag von Lissabon

Die deutsche Ratspräsidentschaft trieb den Reformprozess der EU nach einer Phase der Selbstreflexion, die Aufschluss über die Ursachen des Scheiterns geben sollte, wieder voran. Nach einem Beschluss des Europäischen Rates im Juni 2007 sollte ein weiterer Reformvertrag von einer Regierungskonferenz ausgearbeitet werden, womit die Konventsmethode bei der Entstehung der Grundrechtecharta und des Verfassungsentwurfs zumindest vorerst wieder aufgegeben wurde. Dieser neue Vertrag wurde bereits nach einem halben Jahr am 13. Dezember 2007 in Lissabon unterzeichnet. Diese kurze Zeit der Ausarbeitung war vor allem der gründlichen Vorarbeit durch den Verfassungsentwurf zu verdanken. Der Inhalt des Verfassungsvertrages blieb weitgehend erhalten. Die Vorrangregelung des Unionsrechts sowie umstrittene Ausdrücke wie »Verfassung« oder »Gesetz« und identitätsstiftende Symbole wie die Flagge und Hymne wurden jedoch nicht aufgenommen.

Das Inkrafttreten des Vertrages verzögerte sich allerdings noch, weil es in einigen Mitgliedstaaten zu Schwierigkeiten bei der Ratifikation kam, so waren etwa verfassungsgerichtliche Überprüfungen in Deutschland und Tschechien abzuwarten. Insbesondere ein ablehnendes Referendum in Irland im Sommer 2008 verzögerte den ursprünglichen Zeitplan. Nach einer Wiederholung des Referendums im Herbst 2009 trat der Vertrag schließlich zum 1. Dezember 2009 in Kraft.

Die Grundstruktur der EU

Von der anfänglichen Absicht, alle bisherigen EU-Verträge aufzuheben, wurde abgesehen. Nach dem Vertrag von Lissabon bilden gemäß Art. 1 Abs. 3 S. 2 EUV i.V.m. Art. 1 Abs. 2 AEUV der EU-Vertrag und der AEU-Vertrag als gleichgestellte Verträge das Fundament der Union. Der EAG-Vertrag gilt daneben auch künftig fort.

Das bereits im Entwurf eines Verfassungsvertrages enthaltene Vorhaben, das seit dem Maastrichter Vertrag bestehende Drei-Säulen-Modell der EU aufzugeben, wurde durch die Auflösung der EG und die Übertragung der Rechtspersönlichkeit und der Aufgaben auf die EU umgesetzt. Nur die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) behält auch weiterhin ihren intergouvernementalen Charakter und ist mit ihren besonderen Verfahren in Art. 21 bis 46 EUV geregelt. Dagegen wurde die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) aus dem EU-Vertrag in die Art. 82 bis 89 des AEU-Vertrages überführt. Als Bereiche der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und der polizeilichen Zusammenarbeit sind sie nunmehr Teil des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Für die beiden Bereiche findet damit künftig im Grundsatz ebenfalls das ordentliche Gesetzgebungsverfahren Anwendung. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Art. 67 bis 89 AEUV umfasst damit die Politik im Bereich Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung sowie die Politikbereiche der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und der polizeilichen Zusammenarbeit.

Als Rechtsnachfolgerin der EG erhält die EU in Art. 47 EUV nunmehr eine eigene Rechtspersönlichkeit und wird damit im Völkerrecht rechtsfähig. Sie tritt beispielsweise auch als Rechtsnachfolgerin der EG in die Mitgliedschaften bei internationalen Organisationen wie der Welthandelsorganisation (WTO) ein. Die EAG bleibt weiterhin als selbstständige Gemeinschaft bestehen.

Eine unbegrenzte Rechtsetzungskompetenz steht der EU auch weiterhin nicht zu, da sie nur über diejenigen Zuständigkeiten verfügt, welche ihr von den Mitgliedstaaten ausdrücklich übertragen wurden, wobei die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit Anwendung finden (Art. 4 Abs. 1, Art. 5 EUV).

Die Errungenschaften des Vertrages von Lissabon

Die Prinzipien und Ziele der EU, wie z. B. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte und Friedenswahrung, sind in Art. 2 und 3 EUV aufgeführt. Die EU-Grundrechtecharta tritt durch einen Verweis in Art. 6 Abs. 1 EUV rechtlich gleichrangig neben die Verträge. Zudem wurde die Verteilung der Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten in Art. 2 ff. AEUV klarer und übersichtlicher geregelt. Weiterhin wurde den Mitgliedstaaten in Art. 50 EUV erstmals ein freiwilliges Austrittsrecht zugestanden und das Verfahren hierfür geregelt.

Die Arbeitsweise der EU, basierend auf der repräsentativen Demokratie (Art. 10 EUV), wird jedoch ergänzt durch Bestandteile der sowohl partizipativen als auch direkten Demokratie. Mithilfe einer Europäischen Bürgerinitiative nach Art. 11 Abs. 4 EUV sind die Unionsbürger nunmehr in der Lage, die Kommission zu verpflichten, sich mit einem bestimmten Thema zu befassen und einen Rechtsakt dazu vorzuschlagen. Hierfür bedarf es der Unterschriften von 1 Million Bürger aus einem Viertel der Mitgliedstaaten mit festen Quoten pro Staat innerhalb eines Jahres.

Das Europäische Parlament erhält erneut mehr Einfluss und wird, außer auf dem Gebiet der Außenpolitik, durch das ordentliche Gesetzgebungsverfahren als wichtigstem Rechtsetzungsverfahren zum gleichberechtigten Gesetzgeber neben dem Rat der EU. Auch die Beteiligungsrechte der nationalen Parlamente wurden in Art. 12 EUV gestärkt, indem sie früher über Vorschläge der Kommission informiert werden und diese bereits während des Gesetzgebungsverfahrens zurückweisen können, wenn sie den Grundsatz der Subsidiarität als verletzt ansehen.

Im Rat der EU werden ab 2014 bzw. nach Ablauf von Übergangsregelungen ab 2017 die Entscheidungen mit sog. doppelter Mehrheit getroffen. Hierfür ist die Zustimmung einer Mehrheit von 55 % der Staaten, die gleichzeitig eine Mehrheit der Bevölkerung in der EU von 65 % repräsentieren, erforderlich. Wenn Rechtsakte beschlossen werden, tagt der Rat zudem öffentlich. Auch die Mehrheitsentscheidungen im Rat werden ausgeweitet.

Der Europäische Rat wird nunmehr zu einem offiziellen Organ erklärt (Art. 13 EUV, Art. 235 AEUV) und die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit zur Regel erhoben.

Insgesamt wurde mit diesem Reformvertrag eine Verbesserung auf nahezu allen Gebieten der EU erreicht. Er bietet damit die Gewähr für eine zukünftig handlungs- und funktionsfähige EU, deren 28. Mitgliedstaat am 1. Juli 2013 Kroatien wurde. Anfang 2020 trat allerdings das Vereinigte Königreich aus der EU wieder aus.

Herausforderungen an die EU in den vergangenen Jahren