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Wilhelm Graf von Westphalen, geboren 1907 in Luedinghausen, gestorben 1982 in Helmern in Westfalen, war im 2. Weltkrieg in der Zeit von Mai 1941 bis Juli 1944 zum Militaerbefehlshaber von Belgien und Nordfrankreich als landwirtschaftlicher Berater abkommandiert. Sein Dienstort war die Kreiskommandantur 715, Douai Departement Nord, ca. 40 Kilometer von Lille entfernt. Am 6. Juli 1944 wurde Wilhelm v. Westphalen von einer der zur Resistance gehoerenden Widerstandsgruppen entfuehrt. Da die Resistance erfahrungsgemaess keine Gefangenen machte, brach die Gestapo den Schreibtisch Wilhelm Westphalens auf und fand darin einen Brief an den Dienstvorgesetzten, der den Satz enthielt: Unser Weg ist falsch, aber wir gehen ihn unbeirrt weiter, mein Fuehrer. Und weiter: Beim Fortschreiten der Invasion ist sich der suedlichen Dienststelle zu erinnern, von der Abreisen in die Schweiz vorbereitet werden sollen. Wilhelm v. Westphalen wurde daraufhin wegen Landesverrats durch Erschiessen verurteilt. Wenige Stunden vor dem Hinrichtungstermin am 14.08.1944 konnte seine Dienststelle die Wiederaufnahme des Verfahrens durch das Reichskriegsgericht in Torgau erreichen. Über 3 Monate verbrachte v. Westphalen in Torgau in Untersuchungshaft. Die Briefe an seine Verlobte aus dem Gefaengnis sind ein beredtes autobiographisches Zeugnis. Sie werden erstmals veroeffentlicht.
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Seitenzahl: 83
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Gerlinde Gräfin von Westphalen
Raban Graf von Westphalen (Hg.)
Wilhelm von Westphalen:
In diesem Käfig sitzen wir nun zu fünft.
Briefe aus dem Wehrmachtgefängnis Fort Zinna / Torgau 1944 an die Verlobte Aloysia von Spiegel
Einleitung: Entführt von der Résistance
Aufzeichnungen von Wilhelm v. Westphalen Rückkehr, Verhaftung und Transport nach Torgau
Briefe aus Torgau
Wilhelm von Westphalen, ca. 1941/42
© Graf Gräfin Westphalen Paderborn
Wilhelm Graf von Westphalen – geboren 1907 in Lüdinghausen, gestorben 1982 in Helmern/Westfalen – war im 2. Weltkrieg 1 in der Zeit von Mai 1941 bis Juli 1944 zum Militärbefehlshaber von Belgien und Nordfrankreich als landwirtschaftlicher Berater abkommandiert. Sein Dienstort war die Kreiskommandantur 715, Douai Departement Nord, ca. 40 Kilometer von Lille entfernt.
Der Militärbefehlshaber wurde eingesetzt vom Oberbefehlshaber des Heeres in Frankreich und war bis 1944 General Alexander von Falkenhausen (18781966). Er bekleidete das Amt des Chefs der Militärverwaltung in Belgien und Nordfrankreich. Seine Dienststelle war Brüssel. Aufgabe dieser Verwaltung, die eine zivile Verwaltungsbehörde unter der Leitung der Wehrmacht darstellte, war es u.a., zu einer Besatzungsform beizutragen, die mit einem möglichst geringen personellen und sachlichen Aufwand den besetzten Teil Frankreichs zu verwalten hatte. Weiter sollte sie die landwirtschaftliche und industrielle Produktion sowie Versorgung durch die Konzentration der vollziehenden Gewalt unterstützen, die Wirtschaft funktionsfähig halten sowie die französische Verwaltung arbeitsfähig.
Bei einem Besuch der Dienststelle Dijon (Burgund) wurde Wilhelm v. Westphalen am 6.7. 1944 von einer der zur Résistance gehörenden Widerstandsgruppe entführt. Da die Résistance erfahrungsgemäß keine Gefangenen machte, brach die Gestapo den Schreibtisch Wilhelm Westphalens auf und fand darin einen Brief an den Dienstvorgesetzten, der den Satz enthielt: „Unser Weg ist falsch, aber wir gehen ihn unbeirrt weiter, mein Führer.“ Und weiter: „Beim Fortschreiten der Invasion ist sich der südlichen Dienststelle zu erinnern, von der Abreisen in die Schweiz vorbereitet werden sollen“. 2 Überdies fand man in v. Westphalens Schreibtisch Goldmünzen, was strengstens untersagt war.
Das Militärstrafgesetzbuch wurde mit Datum vom 10.10.1940 neugefasst und die Kriegsstrafverfahrensordnung auf dieser Grundlage 1940 neu verabschiedet. Dadurch erhielt das Reichskriegsgericht seine Revisionszuständigkeit für Landes- und Hochverrat. Mit diesen Voraussetzungen hatte ein Militärgericht in Dijon Wilhelm v. Westphalen in Abwesenheit wegen Landesverrats zum Tod durch Erschießen verurteilt. Wenige Stunden vor dem Hinrichtungstermin (14.08.1944) konnte seine Dienststelle die Wiederaufnahme des Verfahrens durch das Reichskriegsgericht in Torgau erreichen, da unklar war, welche Gerichtsbarkeit – Militär- oder Zivilgerichtsbarkeit – für Mitarbeiter der Zivilverwaltung zuständig war. Das traf auf v. Westphalen zu. Die Unterlagen zu diesem Verfahrensteil sind vermutlich auf dem Weg zum Reichskriegsgericht Torgau in Köln durch Kriegseinwirkung vernichtet worden.
Seit Mitte 1943 war das höchste deutsche Militärgericht, das Reichskriegsgericht (RKG), von Berlin-Charlottenburg nach Torgau in die dortige Ziethenkaserne verlegt worden.
Mit der Überstellung des Reichskriegsgerichts nach Torgau an den Ort zweier Kriegsgefängnisse - „Fort Zinna“ und „Brückenkopf“ - wurde Torgau zur Zentrale der Wehrmachtjustiz in Europa. Hier wurden während des 2. Weltkrieges ca. 60.000 Menschen inhaftiert. Eine besondere Bedeutung hatte das Gefängnis Fort Zinna bekommen, als das Oberkommando der Wehrmacht im Frühjahr 1941 Torgau als Überprüfungsstelle für Verurteilte bestimmte, die zum „Bewährungseinsatz“, z.B. an der Front, ausgewählt wurden. 3 Es war, wie die nachfolgenden Briefe von Wilhelm v. Westphalen belegen, seine tägliche Sorge, in eine derartige Bewährungskompanie abkommandiert zu werden.
Während des 2. Weltkrieges hat das Reichskriegsgericht als höchste Instanz der Wehrmachtjustiz in Torgau ca. 1.400 Todesurteile verhängt, von denen ca. 1.200 in Torgau selbst und an verschiedenen Orten vollstreckt wurden. Die deutsche Militärjustiz hat insgesamt ca. 50.000 Todesurteile ausgesprochen, davon ca. 30.000 gegen Wehrmachtsangehörige. 4
Nach seiner Rückkehr aus der Hand der Résistance zu seiner Dienststelle hat Wilhelm v. Westphalen über die Verhaftung durch die Gestapo, die Überstellung in das Wehrmachtgefängnis Fresnes bei Paris und den Transport in das Wehrmachtgefängnis Fort Zinna / Torgau nachfolgenden Bericht verfasst.
Die Herausgeber haben die für 2024 geplante Neueröffnung des Erinnerungsorts Torgau zum Anlass für vorliegende Publikation genommen. Die Zitation in den nachfolgenden Briefen wurde beibehalten und nicht der aktuellen Rechtschreibung angepasst.
Die Herausgeber
1 Erkennungsmarke 1524-3/Kf.Ers.Abt. 6, 3.te Kompanie
2 Zitiert nach einer „Stellungnahme“ des Dienstvorgesetzten von Wilhelm v. Westphalen, Major Hans-Ulrich Schaefer an den Richter im 3. Senat des Reichskriegsgerichts Torgau, Dr. Adolf Block (1893-1990) vom Oktober 1944. Abgedruckt in: Wisa Gräfin von Westphalen: Ein Leben für die Malerei. Briefe aus der Kriegszeit. Bodunger Beiträge H. 10. Großbodungen 2004, S. 78.
3 Vgl. Fritz Wüllner: „Torgau – Zentrale des Wehrmachtstrafsystems“. In: Norbert Haase u.a. (Hg.), Das Torgau-Tabu. Leipzig 1992, S. 30ff.; siehe auch Michael Eberlein u.a.: Torgau im Hinterland des Zweiten Weltkrieges. Militärjustiz, Wehrmachtgefängnisse, Reichskriegsgericht. Leipzig 1999.
4 Achim Kilian: „Kriegsgefangenenzentrale Torgau“. In: Norbert Haase u.a. (Hg.): A.a.O., S. 79ff. ( S. 85).
Wilhelm Graf von Westphalen, ca. 1944
© Graf Gräfin Westphalen, Paderborn
"Am 13.7.1944 um 7.00 Uhr kam ich wieder in Montceau-les-Mines 5 (M) an. Ich frühstückte erst mal ausgiebig und ließ mich von K., der inzwischen aufgestanden war, beglückwünschen, rief dann Herrn R. an, der auch sofort kam, und dem vor Freude die Tränen in den Augen standen. Ich erzählte aber allen, ich sei von den Terroristen ausgetauscht worden, weil in M. soviele von den Leuten rumliefen. Nach dem Essen, bei dem ich Wein und Champus stiftete, tranken wir Mokka, und dann fing ich an, meine Erlebnisse niederzuschreiben. Ich war noch mittendrin, als ein Marineleutnant mit 6 schwerbewaffneten Soldaten erschien und behauptete, der neue Standortkommandant, ein Korvettenkapitän, wolle mich kennenlernen, und er wäre beauftragt, mich zu ihm zu führen, damit mir unterwegs nichts passiere. Ich ging auch arglos mit. Als wir im Hof ankamen, erklärte mich dieser Feigling für verhaftet, durchsuchte mich nach Waffen und nahm mir meinen Leibriemen ab, den ich nicht wiederbekam. Dann wurde ich in einen niederen, ganz feuchten Keller ohne Fenster gesperrt. Ich habe natürlich protestiert, aber er behauptete, es sei nur aus Sicherheitsgründen. Die erbetene Benachrichtigung meiner Dienststelle wurde mir untersagt. In dem Keller stand eine Art Bett mit Strohsack - ich ließ mir meine Bettdecken holen und schlief die erste Nacht ganz gut, da ich müde war.
Am nächsten Morgen um 11 Uhr durfte ich unter Bewachung zur Toilette gehen; Essen brachte man mir aus meinem Quartier. An diesem 14.7. hatten die Franzosen überall, besonders auf den Fördertürmen geflaggt und arbeiteten nicht. Der alte Kapitän war ganz aus dem Häuschen und telefonierte dauernd mit Dijon, was er machen solle. Am Samstagabend, am 15., kamen 2 Pkw mit Feldgendarmerie aus Autun, um mich nach dort zu überführen. Die MP's hatten sie immer feuerbereit auf dem Schoß liegen, und mir wurde angedroht, daß beim kleinsten Fluchtversuch geschossen würde. Das französische Gefängnis in Autun war ein großer, runder Turm aus dem Mittelalter. Ich wurde sehr genau untersucht, und man nahm mir alles ab. Als Ersatz des konfiszierten Ledergürtels war die Hose mit Sicherheitsnadeln gehalten, die wurden nun gegen einen Papierbindfaden getauscht. Als einziger Deutscher sollte ich die sauberste Zelle bekommen. Ich konnte ja keine Vergleiche ziehen, fragte mich nur, wie mögen die anderen Zellen aussehen? Der alte Turm hatte Eiskellertemperatur. An den Wänden, den Türen und im Fußboden hatten sich ungezählte Vorgänger verewigt, teilweise ganz witzig.
Aus dem Zellenfenster konnte ich einen schon alten Kirchturm sehen. Aber es war gräßlich einsam. Man hatte mir mein französisches Lexikon gelassen, und ich hab' versucht zu lernen, aber die Gedanken waren immer woanders. Schließlich fand ich in einem Loch im - Fußboden einen französischen Roman, der sich "Chautperdrex" nannte und von jemand geschrieben war, der viele Worte gebrauchte, die im Lexikon als 'vulgär' bezeichnet wurden.
Gegessen habe ich nur Brot - Hunger hatte ich nicht. Nachts kam immer eine Maus, die sich an dem Brot ergötzte. Morgens durfte ich mich im Hof an einer Pumpe waschen und abends 20 Minuten dort spazieren gehen. Am Mittwoch, den 19., wurde ich morgens sehr früh geweckt, um nach Dijon transportiert zu werden. Ich kam in einen kleinen Lkw mit vier Gendarmen. Wegen der Partisanen fuhr ein Geleitzug von vier Autos mit, die aber immer abwechselnd kaputt gingen. Nach vier Stunden erreichten wir in Dijon ein sehr großes, altes Gefängnis mit deutscher und französischer Abteilung. Die Aufseher waren wenig vertrauenserweckend. Da ich in 'civil' war, sah jeder in mir einen Deserteur und behandelte mich dementsprechend schlecht. Man nahm mir das letzte - auch die Rauchwaren. Nachts mußte ich unbekleidet schlafen, und der Chef dieser Firma, ein Oberleutnant, ließ mir auch die Schuhe nehmen, so daß ich barfuß laufen mußte.
Außerdem regte er sich über einen Trauerflor auf, den ich für meinen Bruder trug, er ließ ihn abreißen. 6
Selbstverständlich kam ich in Einzelhaft in eine 'saubere' Zelle, die leider voller Läuse, Wanzen und Flöhe war. Man mußte Lumpen um Hals, Hände und Knöchel binden. Aber auch damit hatte ich nach zwei Tagen keine heile Stelle mehr am Körper. Trotz dieser Misere habe ich mich später nach Dijon gesehnt, man konnte sich dort morgens waschen und bekam auch genügend Brot, wenn auch das übrige Essen 'saumäßig' war. Die ersten 10 Tage blieb ich dauernd in der Zelle, durfte weder an die Luft noch bei Fliegerangriffen in den Keller. Bekam auch nichts zu lesen. Auf Schreiben ans Gericht keinerlei Antwort. Am 26.7. bekam ich dann Besuch von B., aber wir durften nur dienstlich miteinander reden. Immerhin war dies eine große Freude.
Dann durfte ich auch in den Hof und in den Luftschutzkeller und konnte mit Kameraden reden. Abends ab 18 Uhr empfing ich Nachrichten, welche sich die Franzosen durch die Fenster zuriefen. Dieselben waren bestens orientiert und immer guten Mutes. Am 29.7. - nach 16 Tagen - kam der Chefoberleutnant mit zwei Uoffz. in meine Zelle und verlas mir sehr feierlich meinen Haftbefehl, worin ich des Landesverrats verdächtigt wurde. Ich fiel aus allen Wolken und konnte mir gar nichts darunter vorstellen. Niemand konnte mir Aufklärung geben. -