William Wenton 1: William Wenton und die Jagd nach dem Luridium - Bobbie Peers - E-Book

William Wenton 1: William Wenton und die Jagd nach dem Luridium E-Book

Bobbie Peers

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Beschreibung

Niemand kann Rätsel besser lösen als William Wenton! Doch als er einen angeblich unlösbaren Code knackt, wird er von geheimnisvollen Fremden ans Institut für Posthumane Forschung entführt. Hier erfährt er, dass er zu den sogenannten Kandidaten gehört, deren Aufgabe es ist, die Welt vor dem gefährlichen Luridium zu beschützen. Dabei soll ihm ein Orbis helfen, eine Art fliegende Kugel, deren Form und Größe sich ständig verändert. Doch William hat scheinbar übermächtige Gegner und ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

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EPUB

Seitenzahl: 253

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Dieses Buch wurde mit Unterstützung des NORLA, Norwegian Literature Abroad, Oslo, veröffentlicht.

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Alle deutschen Rechte Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2016Originalcopyright © Bobbie Peers 2015Published by agreement with Salomonsson Agency Originalverlag: H. Aschehoug & Co. (W. Nygaard), Oslo Originaltitel: LuridiumstyvenAus dem Norwegischen von Gabriele HaefsUmschlagillustration und Vignetten: Claudia CarlsUmschlagtypografie: formlabor Lektorat: Katja Maatsch

Satz und E-Book-Umsetzung: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

ISBN: 978-3-646-92920-1

Victoria-Bahnhof, London

Es war mitten im morgendlichen Berufsverkehr. Eilige Menschen aller Art und Couleur hasteten hin und her. Alle waren mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Niemand bemerkte einen älteren Mann mit Bart und runder Brille, der durch die Bahnhofshalle rannte. Er presste ein braunes Päckchen an sich und schaute sich immer wieder um, als ob er verfolgt würde.

Er stolperte über den Rollkoffer eines Reisenden. Brauchte einige Schritte, um das Gleichgewicht wiederzufinden, und lief dann weiter zur Rolltreppe, die zur U-Bahn hinunterführte.

Unten auf dem Bahnsteig standen die Menschen wie die Heringe in der Tonne. Der Mann bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge und blieb am Ende des Bahnsteigs stehen. Eine kühle Brise schlug ihm entgegen. Ein Zug näherte sich.

Keiner der anderen Fahrgäste sah, dass der Mann auf die Gleise hinuntersprang. Der näher kommende Zug tutete und der Wind aus dem Tunnel wurde stärker. Der Mann warf einen letzten Blick auf den Bahnsteig, dann drehte er sich um und verschwand in dem dunklen Tunnel.

Acht Jahre später. Eine geheime Adresse, eine Stadt in Norwegen.

William war dermaßen in seine Beschäftigung vertieft, dass er seine Mutter gar nicht rufen hörte. Er beugte sich über einen riesigen Schreibtisch. Er presste die Lippen aufeinander, während er die letzte Schraube in einen Metallzylinder von der Größe einer leeren Klopapierrolle drehte. Der Zylinder bestand aus mehreren Teilen, in die allerlei Zeichen und Inschriften eingraviert waren.

Zufrieden hielt William den Zylinder ins Licht und betrachtete ihn. Er hob einen Zeitungsausschnitt mit dem Bild eines Zylinders hoch, der dem in seiner Hand ähnelte. »Die Unmöglichkeit – der schwierigste Code der Welt – kommt nach Norwegen. Können Sie ihn knacken?«, stand darunter.

»ESSEN!«, rief seine Mutter aus der Küche.

William reagierte nicht. Allerdings war das Haus auch nicht gerade hellhörig. Die Wände der großen Villa waren mit vollgestopften Bücherregalen gesäumt. Die Bücher hatten sie vom Großvater geerbt, mit der strengen Anweisung, sich niemals davon zu trennen. Sie waren in sieben großen Containern aus England hergebracht worden. William hatte sie alle gelesen. Mindestens zweimal.

Vor acht Jahren hatten sie aus England fliehen müssen. Vor acht Jahren waren sie in die Villa gezogen. Und vor acht Jahren war sein Großvater verschwunden. Jetzt lebten William und seine Eltern unter neuem Namen und neuer Adresse in einem Land namens Norwegen.

»WILLIAM OLSEN! ESSEN!«

Die Mutter ließ nicht locker. Jetzt konnte William sie hören. Sie sagte Olsen. William Olsen. An diesen Namen würde er sich nie gewöhnen. Er sehnte sich nach dem Tag, an dem er aller Welt sagen könnte, wie er wirklich hieß: William Wenton.

Er fragte schon lange nicht mehr danach, was damals vor acht Jahren in London wirklich geschehen war. Warum sie jetzt Olsen hießen und Norwegisch gelernt hatten. Warum sie ausgerechnet hier wohnten und was aus seinem Großvater geworden war. Seine Eltern hatten entschieden, dass darüber nicht gesprochen werden durfte. Als ob diese vielen Geheimnisse besser wären als die Wahrheit. Das Einzige, was er über die Ereignisse von damals wusste, war, dass es etwas mit einem Autounfall zu tun hatte. Einem Autounfall, seit dem sein Vater gelähmt war.

Aber es musste noch mehr passiert sein. Etwas so Schwerwiegendes, dass William und seine Familie von der Erdoberfläche hatten verschwinden müssen. Und ein kleines, schmales Land, von dem der Rest der Welt kaum je gehört hatte, war der perfekte Ort dafür gewesen – bis auf weiteres jedenfalls.

»EEESSEN!«, schrie die Mutter noch einmal.

»Aber ich muss nur noch schnell …«, murmelte William vor sich hin.

Nun brüllte auch sein Vater irgendwo da unten: »WILLIAM … ESSEN IST FERTIG!«

William drehte vorsichtig am Metallzylinder. Merkte, wie perfekt sich die kleinen Teile seiner Hand anpassten. Er fuhr heftig zusammen, als plötzlich die Zimmertür aufgerissen wurde. Die Tür knallte gegen einen hohen Bücherstapel, der daraufhin ins Zimmer kippte. Ein Buch traf den Zylinder, und der rutschte William aus der Hand, fiel klirrend zu Boden und kullerte davon. William bückte sich gerade danach, als sein Vater mit seinem elektrischen Rollstuhl ins Zimmer gefahren kam. William schaute entsetzt auf den Zylinder hinunter, der gleich mit dem Rollstuhl zusammenstoßen würde. Ein metallisches Knirschen war zu hören, als der Zylinder von einem Rad überrollt wurde. Williams Vater bremste scharf. Zerstörte Elektronik knisterte, und eine kleine Rauchwolke stieg aus den zerdrückten Einzelteilen unter dem Rad auf. Williams Vater schaute gereizt an seinem Rollstuhl hinunter und rümpfte die Nase.

»Will der jetzt schon wieder streiken? Der war doch gerade erst zur Wartung«, knurrte er und richtete dann einen strengen Blick auf William, der den Zeitungsausschnitt auf dem Tisch mit der Hand bedeckte.

»Essen ist fertig … komm JETZT!«, sagte sein Vater, ehe er den Rückwärtsgang einlegte, mit einem weiteren Bücherstapel zusammenstieß und aus dem Zimmer fuhr.

William wartete, bis das Summen des Treppenlifts verstummt war, dann stand er auf. Er holte tief Luft. Das wäre um ein Haar schiefgegangen. Aber sein Vater hatte doch wohl nichts gesehen? William war ziemlich sicher, dass er den Zeitungsausschnitt gerade noch rechtzeitig verdeckt hatte. Er ging zum Zylinder hinüber und hob ihn vorsichtig hoch. Die eine Seite war eingedrückt. Er schüttelte den Zylinder ein wenig.

»Wie dumm von mir«, sagte er gereizt zu sich selbst und musterte den kräftigen Riegel an der Innenseite seiner Zimmertür. Wie hatte er den vergessen können? Er schloss doch immer ab, ehe er sich an einen neuen Code setzte.

William drehte sich um und ging zurück zum Schreibtisch. Legte den Zeitungsausschnitt und den verbeulten Zylinder in eine Schublade. Er blieb stehen und starrte die anderen Gegenstände in der Schublade an. Eine mechanische Hand, die er selbst konstruiert hatte. Ein 3-D-Puzzlespiel aus Metall. Einen ganz normalen Rubikwürfel und einen kleinen Schuhkarton mit Lötkolben, Schraubenziehern und Kneifzangen.

Er schloss die Schublade mit einem Schlüssel ab, den er dann in einem Spalt im Fußboden versteckte. Warf einen letzten Blick ins Zimmer, um sich davon zu überzeugen, dass alles verborgen war.

Aus irgendeinem Grund hasste sein Vater Codes und alles, was damit zu tun hatte. Er nervte William immer wieder damit, dass er sich mit denselben Dingen beschäftigen sollte wie normale Kinder: Fußball, Blaskapelle, egal, was. Sein Vater schien Angst vor Codes zu haben. Und Angst davor, dass William sich dafür interessieren könnte. Und es wurde immer schlimmer. Jetzt schnitt sein Vater schon die Kreuzworträtsel aus den Zeitungen aus und verbrannte sie im Kamin. Deshalb hatte William angefangen, seine Tür zu verriegeln. Damit sein Vater nicht entdeckte, was William alles in seinem Zimmer versteckt hatte.

Wenn sein Vater nur gewusst hätte, wie es William bisweilen zu Mute war! Dass Codes manchmal das Einzige waren, was er ertragen konnte. Eigentlich war fast alles ein Code. Ein Garten. Ein Haus. Ein Auto. Alles, was er im Fernsehen sah oder in einem Buch las. Es war wie ein Puzzlespiel. Und sein Gehirn schaltete sich sofort ein. Es konnte sogar passieren, wenn er nur einen Baum oder das Muster einer Tapete ansah. Manchmal schienen sich Gegenstände vor seinen Augen regelrecht aufzulösen, so dass er jeden einzelnen Bestandteil und dessen Position innerhalb des Ganzen isoliert vor sich sah. Solange er sich zurückerinnern konnte, war es schon so gewesen. Oft hatte er dafür bereits Ärger bekommen. Deshalb fühlte er sich in seiner eigenen Gesellschaft am wohlsten. Vor allem in seinem Zimmer, hinter einer verschlossenen Tür, wo er alles im Griff hatte.

William war stehen geblieben und sah seinen großen Schreibtisch an. Den Schreibtisch seines Großvaters. Die Tischplatte war aus dunklem harten Ebenholz. Eine der härtesten Holzarten auf der Welt. In jeder Ecke gab es geschnitzte dämonische Gesichter, die Grimassen schnitten und die Zunge herausstreckten. Als kleiner Junge hatte sich William vor dem Schreibtisch gefürchtet. Später war er dann neugierig geworden. Die ganze Tischplatte war von seltsamen Zeichen bedeckt. Oder von »Opas Kritzeleien«, wie seine Mutter es nannte. William stellte sich vor, es seien geheime Mitteilungen des Großvaters, der schließlich einer der weltbesten Kryptologen gewesen war. Aber William hatte die Zeichen noch nicht entziffern können. Er hoffte, dass er sie eines Tages durchschauen würde. Dass er dann verstehen würde, was der Großvater geschrieben hatte und warum.

»WIR ESSEN JETZT!«, schrie seine Mutter.

»Schon unterwegs«, antwortete William.

Und mit zwei leichten Schritten war er aus dem Zimmer.

»Hast du keinen Hunger?«, fragte seine Mutter.

»Nicht so besonders«, antwortete William und schob den Teller zurück.

Sein Vater schluckte. »Du sitzt viel zu viel still«, sagte er. »Als ich in deinem Alter war, haben wir niemals still gesessen. Wir haben Fußball gespielt, sind auf Bäume geklettert und haben Äpfel geklaut. Aber sieh dich an. Du bist doch dünn wie ein Strich.«

William versuchte, nicht darauf zu achten, was sein Vater sagte. Er wusste, dass das stimmte. Er war wirklich dünn wie ein Strich. Aber er war stärker, als er aussah. Das war er immer schon gewesen. Niemand aus seiner Klasse schaffte mehr Liegestütze als er. Sogar der Sportlehrer konnte nur mit Mühe mit William Schritt halten, wenn der erst loslegte.

William schaute zu einer zusammengefalteten Zeitung und einer Schere hinüber, die auf den Knien seines Vaters lagen. Sein Vater schnitt jetzt nicht nur Kreuzworträtsel aus den Zeitungen aus. Und zwar, seit Berichte über die Unmöglichkeitsausstellung veröffentlicht wurden, die im Wissenschaftshistorischen Museum stattfinden sollte. Sein Vater gab sich alle Mühe, William von dieser Ausstellung fernzuhalten.

Aber was er nicht wusste, war, dass Williams ganze Klasse die Unmöglichkeitsausstellung besuchen würde. Seine Mutter hatte gesagt, William dürfe hingehen, wenn er versprach, seinem Vater nichts zu verraten. Und er dürfe auch keinen der ausgestellten Gegenstände berühren. Die Mutter schien zu verstehen, wie wichtig die Ausstellung für William war. Als ob sie das Kribbeln im Körper kannte, das William immer dann verspürte, wenn er an den Code dachte, den noch niemals jemand geknackt hatte. Als ob die Mutter wüsste, dass er von dieser Ausstellung träumte, seit er zum ersten Mal von der Unmöglichkeit gehört hatte.

»Darf ich aufstehen?«, fragte William, ohne aufzublicken.

»Nein, das darfst du nicht«, sagte sein Vater tonlos.

Seine Eltern wechselten einen Blick und es wurde still. Es war klar, dass sie ihm etwas zu sagen hatten.

Seine Eltern wechselten noch einen Blick. Sein Vater schluckte und räusperte sich.

»Wir haben entschieden, dass die Bücher rausmüssen, William.«

William blinzelte mehrmals, als ob er nicht ganz begriffen hätte, wovon sein Vater da redete.

»Wir haben seit über acht Jahren nichts mehr von Opa gehört. Und die Bücher nehmen so viel Platz weg. Papa kann sich mit dem Rollstuhl ja kaum bewegen, ohne mit einem Bücherregal zusammenzukrachen«, sagte seine Mutter.

»NEIN!«, rief William und sprang auf. Er schlug mit der Hand so fest auf den Tisch, dass Teller und Gläser hochhüpften. Aber dann riss er sich zusammen. Er war nicht gern wütend, deshalb presste er die Zähne aufeinander und zählte in Gedanken bis zehn.

»Entschuldigung«, sagte er und setzte sich wieder.

»Wir wissen, wie viel die Bücher dir bedeuten, William. Aber sieh dich doch mal um. Wir haben hier mindestens eine Million davon«, sagte sie und schaute zum Vater hinüber. »Ich weiß, was wir Opa versprochen haben – aber andere Dinge sind jetzt wichtiger. Wir müssen hier so normal wie möglich leben können.«

William sagte nichts. Er starrte nur den Tisch an und schüttelte verzweifelt den Kopf.

»Du kannst ein paar Bücher aussortieren, die du behalten willst. Der Rest kommt weg«, sagte der Vater schroff und schaltete den Rollstuhl in den Rückwärtsgang. Auf dem Weg nach draußen stieß er gegen einen Bücherstapel, der bedrohlich ins Wanken geriet.

Die Mutter sah William an.

»Papa meint es nicht böse. Das hier ist alles schrecklich schwer für ihn; hier zu leben, nicht arbeiten zu können, seine Arbeit in London fehlt ihm so sehr. Er hat das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Und dann ist da ja auch noch die Sache mit der Schule«, sagte sie und seufzte.

William hatte das Gerede über die Schule satt. Er war ein guter Schüler. Aber sein Klassenlehrer, Herr Humburger, musste eben immer übertreiben. Er rief alle zwei Tage bei Williams Eltern an, um ihnen etwas »ganz Entsetzliches« zu erzählen, was William an dem Tag angestellt hatte. Kein Wunder, dass seine Eltern sich Sorgen machten. Aber William wusste, warum Herr Humburger ihn zutiefst hasste. Während der ganzen ersten Klasse war William in der Schule ungeheuer eifrig gewesen. So eifrig, dass er Herrn Humburger immer korrigiert hatte, wenn der in der Mathestunde etwas falsch machte oder etwas Falsches sagte. Und in jeder anderen Stunde übrigens auch. Am Tag vor den Sommerferien hatte Herr Humburger William beiseitegenommen und gesagt, er solle sich ja nicht mehr melden, wenn die Schule nach den Sommerferien wieder losginge.

Natürlich hatte William das nicht geschafft, und die ganze zweite Klasse war zu einem einzigen langen Krieg zwischen ihm und Herrn Humburger geworden. Als William dann älter wurde, ignorierte er die Irrlehren von Herrn Humburger und blieb in den Stunden einfach stumm. Aber ihr Verhältnis hatte sich trotzdem nicht gebessert.

»Herr Humburger hat angerufen und erzählt, was heute in der Schule passiert ist«, begann die Mutter vorsichtig. »Ich habe Papa noch nichts gesagt.«

Natürlich hatte Herr Humburger angerufen und erzählt, was in der Schule geschehen war. Er war sicher schon ans Telefon gerannt, als die Sprinkler noch immer das ganze Gebäude mit Wasser fluteten. William konnte es sich lebhaft vorstellen. Wie Herr Humburger im Lehrerzimmer am Telefon saß und sich an seinem großen behaarten Bauch kratzte, während die restliche Schule versuchte, vor den Wassermassen zu retten, was zu retten war.

»Das war nicht nur meine Schuld. Ich wollte bloß helfen. Die Sprinkleranlage war defekt«, sagte William.

»Und du hast sie wieder in Gang gebracht … in der ganzen Schule«, sagte seine Mutter. Sie musste ein winziges Lächeln unterdrücken.

»Ich weiß wirklich nicht, was ich mit dir machen soll, William. Manchmal bist du so sehr wie Opa«, sagte sie und seufzte.

»Dann sollte ich vielleicht auch spurlos verschwinden?«, fragte William.

Seine Mutter stand auf und fing an, den Tisch abzuräumen. »Das war nicht komisch«, sagte sie und stellte die Teller aufeinander.

Sie ging seitlich zwischen zwei großen Bücherregalen hindurch zum Spülbecken. William erhob sich.

»Herr Humburger macht sich Sorgen wegen des Museumsbesuchs morgen«, sagte die Mutter. »Und mir geht es nicht anders. So lange versteckt zu leben, ist für uns alle schwer. Aber wir dürfen nun einmal keine Aufmerksamkeit erregen. Das weißt du.«

William gab keine Antwort.

»Sieh mich an, William«, sagte seine Mutter streng.

Er drehte sich um und sah sie an.

»Versprich mir, dich morgen anständig zu benehmen!«, bat sie. »Wir dürfen eben einfach nicht auffallen!«

William wusste, dass es ihm schwerfallen würde, einen Bogen um die Unmöglichkeit zu machen. Aber er wusste auch, dass er nichts tun durfte, was sie verraten könnte.

»Versprochen«, sagte er und merkte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte.

William stand allein da. Der Schnee rieselte herab. Alles war weiß. Er schaute zu den anderen aus seiner Klasse hinüber, die auf dem Schulhof herumtobten, während sie auf den Bus warteten, der sie zum Wissenschaftshistorischen Museum fahren würde. Alle freuten sich darüber, an diesem Tag nicht in die Schule zu müssen.

Mit einem lauten Knall aus dem Auspuff hielt der Bus vor ihnen an. Die Türen sprangen auf und der Kampf darum, als Erster hineinzugelangen, begann. William wartete, bis sich das Chaos gelegt hatte, dann stieg er ein. Er suchte sich einen Platz allein und ganz hinten. Hier hatte er guten Überblick über alle in der Klasse, auch über Herrn Humburger.

»Supercool, was du gestern mit der Sprinkleranlage gemacht hast«, sagte plötzlich eine Stimme.

William sah sich um und entdeckte Eilert, der sich ebenfalls nach hinten gesetzt hatte. Eilert, der ihn in der Schule sonst immer schikanierte. Jetzt hing er auf seinem Sitz neben William und schaute zu ihm hinüber. Eilert verbrachte viel Zeit damit, sich »bedeckt« zu halten. William drehte sich zum Fenster und schaute hinaus. Er war in keiner redseligen Stimmung. Er wollte nicht mit Eilert sprechen, und mit anderen auch nicht. Nach dem gestrigen Gespräch mit seinen Eltern hatte er ein schlechtes Gefühl im Bauch. Wollten sie wirklich alle Bücher des Großvaters wegschaffen? Der Bus fuhr mit einem Ruck an.

William schob die Hand in die Tasche und zog ein Stück Papier heraus. Es war der Zeitungsausschnitt über die Unmöglichkeit. »Der schwierigste Code der Welt kommt nach Norwegen«, stand dort dick und fett. Obwohl William den Artikel schon hundertmal gelesen hatte, las er ihn noch einmal. Er schaute sich ein Bild des rätselhaften Metallzylinders an. Eine Gruppe der besten Kryptologen der Welt hatte mehr als drei Jahre für dessen Herstellung gebraucht. Und jetzt wurde er als schwierigster Code der Welt vermarktet. Fast unmöglich zu lösen. Einige der bedeutendsten Entschlüsselungsexperten der Welt hatten es bereits vergeblich versucht. Und jetzt kam er endlich nach Norwegen. Bald würde William ihn mit eigenen Augen sehen. Er konnte es fast nicht erwarten. Die Ausstellung würde am nächsten Tag nach Finnland weiterziehen. Also hieß es: heute oder nie.

William schloss die Augen und lehnte den Kopf an die Fensterscheibe. Das hier könnte der beste Tag seines Lebens werden. Er durfte nur der Versuchung nicht erliegen. Er durfte ihn ansehen, aber ja nicht berühren …

»Ich hoffe, dir ist klar, dass du deine Spektakelquote jetzt voll ausgereizt hast, William!«, blaffte eine Stimme direkt neben ihm.

William öffnete die Augen und sah Herrn Humburger vor ihm stehen.

»Was gestern geschehen ist, war wirklich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt«, fügte Herr Humburger hinzu.

Eilert prustete los. »Das war ja wohl mehr als nur ein Tropfen«, sagte er, verstummte aber, als Herr Humburger ihn wütend ansah. »Halt die Klappe, Rotschopf!«, knurrte Humburger, dann hob er einen behaarten Zeigefinger und schwenkte ihn drohend vor Williams Gesicht.

»Ich habe gestern mit deiner Mutter gesprochen, und ihr ist klar, dass du sooo dicht vor dem Schulverweis stehst«, knurrte er und zeigte einen winzigen Zwischenraum zwischen Daumen und Zeigefinger.

Plötzlich ruckte es heftig im Bus. Herr Humburger kippte der Länge nach rückwärts um und knallte auf den Boden des Mittelgangs. Dort blieb er liegen und kullerte verdutzt hin und her, während der Bus von einer Seite auf die andere schlingerte. Irgendwer heulte auf, andere hoben die Köpfe, um zu sehen, was denn los war. Der Bus wurde langsamer, fuhr an den Straßenrand und blieb stehen.

»Kein Grund zur Aufregung«, sagte der Busfahrer über Lautsprecher. »Nur eine kleine Reifenpanne.«

Herr Humburger hob den Kopf und schaute sich um wie eine ängstliche kleine Feldmaus, dann sprang er hoch und schob seinen Brustkasten vor.

»Die Gefahr ist vorüber. Keine Panik!«, rief er mit aufgesetzt männlicher Stimme.

Der Fahrer stand bereits neben dem Bus und musterte ratlos das rechte Vorderrad, während sein Atem als Wolke aus seinem Mund quoll. William presste das Gesicht ans Fenster, um zu sehen, was der Busfahrer jetzt unternehmen wollte. Herr Humburger sprang im Bus nach vorn und griff zum Mikrofon. Er hielt es an seine dicken, schleimigen Lippen:

»Alles ganz ruhig bleiben, während wir mit der Kompetenz zur Krisenbewältigung dieses Problem lösen. Wir werden gleich weiterfahren können. Bleibt alle sitzen«, sagte er, legte das Mikrofon weg und stolperte aus dem Bus.

»Glaubst du, wir kommen noch rechtzeitig?«, fragte Eilert.

»Das hoffe ich«, sagte William und schaute besorgt zu Herrn Humburger und dem Busfahrer hinaus, die sich beide am Kopf kratzten.

Zwei Stunden darauf konnte der Bus endlich weiterfahren. Herr Humburger saß schmutzig und erschöpft zwei Reihen vor William. Sie hatten eine Ewigkeit für den Reifenwechsel gebraucht. Es stellte sich heraus, dass keiner der beiden Männer jemals zuvor einen Reifen gewechselt hatte, und sie brauchten die erste Stunde schon dafür, den Reservereifen ausfindig zu machen. William hatte seine Hilfe angeboten, war aber auf seinen Platz zurückgeschickt worden, denn das hier sei eine Arbeit für Erwachsene. Es war jetzt Viertel nach eins und William hatte ein mieses Gefühl.

Eine große, nervöse Frau wartete vor dem Museum auf sie. Sie schien schon eine ganze Weile dort zu stehen. Ihre Nase war rot wie eine Tomate, und die Frau zitterte am ganzen Leib. Sie trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und sprang ein wenig auf und ab, um warm zu bleiben, während Herr Humburger sich alle Mühe gab, die Klasse zur Ruhe zu bringen. Als alle sich auf einer einigermaßen akzeptablen Lautstärke eingependelt hatten, räusperte sich die Frau und stellte sich mit dünner Stimme vor: »Hallo, und willkommen zu einem spannenden Tag im Wissenschaftshistorischen Museum. Ich heiße Edna und werde euch gleich herumführen.« Sie strich nervös ihren Rock glatt. »Ihr seid ziemlich spät dran, und die Unmöglichkeitsausstellung wird leider gerade geschlossen. Aber ihr habt natürlich Zutritt zum übrigen Museum.«

William erstarrte. Das durfte nicht wahr sein! Sie waren zu spät gekommen.

»Da ihr die Unmöglichkeitsausstellung nicht mehr schafft, gehen wir gleich zum Wissensrebus. Ihr findet auf dem Tisch neben der Tür Fragebogen«, sagte Edna. »Am besten geht ihr in Zweiergruppen.«

Einige Sekunden verstrichen, dann hatte sich die Klasse zu den üblichen Gruppen zusammengefunden. William stand noch immer ganz still da. Die Enttäuschung lähmte ihn vollständig.

»Du tust dich mit Eilert zusammen«, rief Herr Humburger ihm zu.

Die Klasse kicherte.

»Na los, William, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit«, sagte Herr Humburger jetzt.

Eilert trat neben William und war mit dieser Partnerwahl offenbar sehr zufrieden. Er grinste von einem Ohr zum anderen.

»Jetzt gewinnen wir ganz bestimmt. Du weißt doch alles über diesen Kram«, flüsterte er und bohrte sich in der Nase.

William nickte ganz kurz. Er spürte, wie sein Zorn aufloderte. Wissensrebus? Nie im Leben! Er war hier, um die Unmöglichkeit zu sehen.

»Folgt mir, ich zeige euch, was ihr tun müsst, und dann treffen wir uns in einer Stunde am Ausgang wieder«, piepste Edna und öffnete die Eichentüren des Museums.

Die Klasse strömte johlend die Treppen hoch. Ein Mädchen stieß Edna an, die zu Boden fiel. Verwirrt blieb sie auf der Treppe sitzen. Herr Humburger stürzte auf Edna zu. Sie streckte die Hand aus, damit er ihr beim Aufstehen helfen könnte. Aber Herr Humburger rannte an ihr vorbei.

»Nicht laufen … GEHEN!«, brüllte er aus voller Kehle und lief weiter ins Museum, ohne Edna auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen.

William blieb vor Edna stehen und nahm ihre Hand. Er half ihr auf die Füße.

»Danke«, sagte sie und wischte sich den Rock ab.

»Keine Ursache«, sagte William und lächelte verlegen.

Er zögerte ein wenig.

»Ist die Unmöglichkeitsausstellung wirklich schon geschlossen?«, fragte er.

»Da unten ist es überfüllt. Mehr dürfen wir nicht einlassen. Wir müssen uns an die Brandschutzvorschriften halten.«

William nickte und ging weiter. Eilert stand bei den Türen und starrte auf das Meer aus Ausstellungsgegenständen.

»Wow, das ist doch einfach gigacool«, sagte er und war sichtlich beeindruckt.

William blieb neben ihm stehen. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders. Er entdeckte zwei Männer, die ein Stück weiter gerade ein Plakat von der Wand nahmen. »Die Unmöglichkeitsausstellung – eine Treppe tiefer« stand darauf.

»Fangen wir an?«, fragte Eilert und ging zu dem Tisch mit den Fragebogen. Er reichte William einen Bleistift. »Du kannst schreiben.«

»Ich … ich muss nur noch schnell aufs Klo«, sagte William und schaute zu Herrn Humburger hinüber. Der war gerade mit einem Jungen beschäftigt, der sich seine Hand an einer Dampfmaschine eingeklemmt hatte. Ein Museumswärter kam dazu, um zu helfen.

William lächelte. Herr Humburger war beschäftigt. Jetzt bot sich ihm doch noch die Chance, die Unmöglichkeitsausstellung zu besuchen.

William stieg die Treppen hinunter und blieb dann stehen. Zwei riesige Wärter in grauen Anzügen versperrten den Eingang. In der Halle hinter ihnen drängten sich die Leute dicht an dicht. Der eine Wärter sprach mit einem wütenden kleinen Mann, der hineinwollte. Der kleine Mann hielt dem Wärter eine Eintrittskarte unter die Nase.

»Ich habe schon bezahlt! Sie müssen mich durchlassen, wenn ich eine Eintrittskarte habe!«, rief er.

»Dann hätten Sie früher kommen müssen. Wir können nicht noch mehr einlassen. Es ist schon jetzt überfüllt.« Der Wärter zeigte demonstrativ auf die Menschenmenge hinter sich.

»Sehen Sie mich doch an, ich bin eins neunundvierzig groß und wiege fünfzig Kilo. Ob ich hier draußen oder da drinnen bin, das merkt doch niemand«, sagte der Mann.

»Tut mir leid«, sagte der andere Wärter energisch und verschränkte die Arme vor der Brust.

Der kleine Mann blieb noch einige Sekunden stehen. William sah, dass er die Fäuste ballte wie ein trotziger kleiner Vierjähriger. Sein Gesicht wurde immer röter und es schien so, als ob er jeden Augenblick explodieren könnte.

Dann machte er kehrt und lief die Treppe hoch. William ging zu den Wärtern.

»Entschuldigung«, sagte er so unschuldig, wie er nur konnte.

Die beiden Männer schauten auf ihn herab.

»Ich bin mit meiner Klasse hier, und wir sollen da rein«, sagte er und zeigte in den Saal.

»Ist deine Klasse schon drinnen?«, fragte der eine Wärter.

»Äh … ja«, sagte William zögernd.

»Hast du einen Stempel?«

William zögerte. Er wollte schon etwas sagen, als eine Gestalt durch die Luft geschossen kam und gegen den einen Wärter knallte.

»EINLASSEN! EINLASSEN! EINLASSEN!«, rief der kleine Mann und klammerte sich an den Hals des Wärters, während er versuchte, über den Mann hinüberzuklettern und so in den Saal zu gelangen.

Der Wärter versuchte, ihn wegzuwischen, wie man das mit einer wütenden Wespe macht.

»Hol den da runter«, rief er, »Hol den da runter!«

Der andere Wärter stürzte auf ihn zu, packte den kleinen Mann an den Beinen und versuchte, ihn von seinem Kollegen wegzuzerren. Aber der kleine Mann klammerte sich fest wie ein wütender Tintenfisch.

»Er ist stärker, als er aussieht, Håvard. Kitzel ihn doch mal eine Runde, vielleicht lässt er dann los.«

»Kitzel du ihn doch, Svein«, rief der andere Wärter und fuchtelte mit den Armen.

Weitere Wärter kamen angelaufen, um zu helfen. Alle waren so beschäftigt, dass niemand bemerkte, wie William sich durch die offene Tür schlich. Kurz darauf stand er mitten in der Menschenmenge in einem riesigen Raum. Er spürte am ganzen Leib ein Kribbeln. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Herr Humburger merken würde, dass jemand fehlte.

»Jetzt bleiben nur noch fünf Minuten, um den schwierigsten Code der Welt zu knacken«, verkündete eine Stimme über Lautsprecher. »Viele haben es versucht, aber noch hat es keiner geschafft.«

William schaute sich um. An der Wand am anderen Ende des Saales entdeckte er einen Bildschirm mit großen roten Ziffern, die einen Countdown anzeigten. Über dem Bildschirm hing ein Plakat mit einem Foto der Unmöglichkeit. William bahnte sich einen Weg durch die Menge. Er hatte durchaus nicht vor, den Code zu knacken. Er wollte ihn nur sehen. Am liebsten, während andere sich an der Lösung versuchten. Er spürte, wie sein Puls schneller wurde und Adrenalin durch seine Adern schäumte.

Zwei Minuten später hatte sich William nach vorn gedrängt und stand jetzt vor einer kleinen Bühne.

Auf der Bühne standen ein Tisch und ein Stuhl. Auf dem Stuhl saß ein dünner Mann von Mitte vierzig. Die langen blonden Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er beugte sich über den Tisch und drehte an einem Zylinder herum. Kleine Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. Er keuchte und schnaufte, während er immer wieder nervöse Blicke auf den Bildschirm an der Wand warf.

Ein rundlicher Mann im Anzug trat neben dem Tisch nervös von einem Fuß auf den anderen. William erkannte ihn sofort. Er hatte ihn schon oft im Fernsehen gesehen. Der Mann hieß Ludo Kläbbert und war eine Art witziger Moderator für alles Mögliche. Ludo Kläbbert hob ein Mikrofon an den Mund und schaute ebenfalls zum Bildschirm hoch, während er mit dem Countdown begann.

»Zehn … neun … acht … sieben …«

Bald zählten alle im Saal mit ihm zusammen. Der Langhaarige schien kurz vor einer Ohnmacht zu stehen.

»… fünf … vier … drei … zwei … eins … null!«, rief Ludo. »Ihre Zeit ist um. Haben Sie das Rätsel gelöst, Vektor Hansen?« Ludo ging zu dem schweißnassen Mann an dem kleinen Tisch.

Vektor Hansen legte die Unmöglichkeit vorsichtig hin und schüttelte beschämt den Kopf.

»Nicht einmal Vektor Hansen, der Mann mit dem höchsten IQ Norwegens, kann die Unmöglichkeit knacken. Das ist wirklich eine harte Nuss!«, rief Ludo.

Plötzlich sprang Vektor Hansen auf und riss das Mikrofon an sich.

»Das ist doch nur Pfusch! Ein mieser Witz! Man kann das gar nicht lösen«, bellte er ins Mikrofon.

Er schnappte sich die Unmöglichkeit und hob sie drohend über seinen Kopf, als wolle er sie auf den Boden schleudern.

»Das ist nur ein Jux!«, rief er wieder.

Ludo Kläbbert winkte zwei uniformierten Wärtern, die auf die Bühne sprangen, Vektor die Unmöglichkeit aus der Hand rissen und sie Ludo reichten. Die Wärter zogen Vektor Hansen von der Bühne. Einige lachten, andere buhten.

»Ich bin noch immer viel cleverer als ihr alle zusammen!«, rief Vektor Hansen, während er durch eine Tür neben der Bühne getragen wurde. »Gegen mich seid ihr doch bloß ein Haufen Bauerntrottel. Ich bin total intelligent!« Dann knallte die Tür hinter ihm zu und es wurde still im Saal.

Ludo stand mit verdrossener Miene und der Unmöglichkeit in der Hand auf der Bühne. Stimmengewirr erhob sich.

»Ist das wirklich nur Pfusch?«, rief ein Mann.

»Typisch«, meinte ein anderer.

»Nein, nein«, Ludo fuchtelte abwehrend mit den Händen.

»Dann beweisen Sie es!«, rief eine Frau. »Lassen Sie es noch jemanden versuchen!«

Ludo schaute sich nervös um. Sein Blick fiel auf eine ernste Dame mit strenger Brille, die neben der Bühne stand. Sie nickte.

»Na gut, aber nur noch ein Versuch. Eigentlich haben wir keine Zeit mehr. Wer hat Lust, es zu probieren?«, rief Ludo und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht.

Es wurde still im Saal. Einige murmelten, andere schüttelten den Kopf.

»Niemand?«, fragte Ludo.

»William«, rief plötzlich eine laute Stimme.

William fuhr herum und sah, wie sich Herr Humburger einen Weg durch die Menge bahnte und dabei auf ihn zeigte.

Und alle starrten William an, der direkt neben der Bühne stand.

»Ja, der soll es probieren«, sagte eine weitere Frau.

Ludo Kläbbert warf William einen fragenden Blick zu.

»Ein Kind? Warum nicht? Man weiß ja nie.« Er winkte William zu sich.

»Nein, warten Sie!«, rief Herr Humburger, »ich wollte doch nicht …«

Aber es war schon zu spät. Ludo hatte William auf die Bühne gezogen und ihm die Unmöglichkeit in die Hand gedrückt. William schaute den blanken Zylinder an. Er traute seinen eigenen Augen kaum.

»Nein, nicht …«, rief Herr Humburger jetzt. Er wollte schon auf die Bühne steigen, wurde aber an den Beinen gepackt und heruntergezogen.

»Würdest du es gern versuchen? Einige der hellsten Köpfe der Welt haben es vergeblich probiert.«

William schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht …«

»Ach, komm schon, ein Versuch kann doch nicht schaden«, sagte Ludo lächelnd.

Er wandte sich an das Publikum und schwenkte einen Wurstfinger.

»Was sagen Sie? Soll er es versuchen?«

Die Menge brach in spontanen Applaus aus. William schaute die Unmöglichkeit an.

Er hatte keines der Zeichen auf dem Zylinder schon einmal gesehen. Es waren weder Buchstaben noch Ziffern. Aber dann passierte etwas. Wie immer. Es begann im Magen und fühlte sich an wie ein warmes Ziehen. Dann wanderte es hoch in seinen Brustkorb und weiter in Hände und Kopf. Alles schien ganz von selbst zu gehen. William versuchte, die Unmöglichkeit loszulassen. Aber es war zu spät.

Jetzt schienen die kleinen Teile des Zylinders in seinen Händen lebendig zu werden. Einige Teile wurden kleiner und andere änderten ihre Farbe. Ein paar fingen an zu leuchten, während andere so dunkel wurden, dass sie fast verschwanden. Die Zeichen lösten sich vom Zylinder. Sie schwebten um Williams Kopf wie Schmetterlinge. Er sah ihnen hinterher. Dann machten sich seine Hände an die Arbeit. Sie drehten, wendeten und rotierten die kleinen Knöpfe. Seine Finger wurden schneller und schneller. Klick … klick … klick, hörte er.

Und Ort und Zeit verschwanden.

Erst, als gewaltiges Jubelgebrüll fast die Decke von der großen Halle gehoben hätte, wurde William aus seiner Trance gerissen und schaute auf die Unmöglichkeit hinab, die er noch immer in den Händen hielt. Aber jetzt war es nicht mehr nur ein Zylinder, sondern er hatte sich in zwei geteilt. Und in dem einen Teil war eine kleine Messingplatte mit einer Aufschrift befestigt: »Herzlichen Glückwunsch!«

William brachte kein einziges Wort heraus, er starrte nur die Messingplatte an. Seine Augen sahen, was dort stand. Aber sein Gehirn wollte es nicht glauben. Der muss kaputt sein, dachte er. Ich habe es nicht gelöst … ich habe alles ruiniert. Er schaute zu Ludo Kläbbert hoch, der sprachlos neben ihm stand. Danach sah er zu Herrn Humburger hinüber, der sich an den Kopf griff und vor der Bühne zu Boden sank.

William versuchte, die beiden Teile wieder zusammenzusetzen. Aber das gelang ihm nicht. Er machte noch einen Versuch. Und noch einen.

Der Zylinder musste kaputt sein. Das musste einfach so sein!