Winterbienen - Norbert Scheuer - E-Book

Winterbienen E-Book

Norbert Scheuer

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Beschreibung

Januar 1944: Während über der Eifel britische und amerikanische Bomber kreisen, gerät der wegen seiner Epilepsie nicht wehrtaugliche Egidius Arimond in höchste Gefahr. Er bringt nicht nur als Fluchthelfer jüdische Flüchtlinge in präparierten Bienenstöcken über die Grenze, er verstrickt sich auch in Frauengeschichten.
Mit großer Intensität erzählt Norbert Scheuer in "Winterbienen" einfühlsam, präzise und spannend von einer Welt, die geprägt ist von Zerstörung und dem Wunsch nach einer friedlichen Zukunft.

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Norbert Scheuer  ∙

Winterbienen

Roman

C.H.Beck

Zum Buch

Januar 1944: Egidius Arimond, ein frühzeitig aus dem Schuldienst entlassener Latein- und Geschichtslehrer, schwebt wegen seiner Frauengeschichten, seiner Epilepsie, aber vor allem wegen seiner waghalsigen Versuche, Juden in präparierten Bienenstöcken ins besetzte Belgien zu retten, in höchster Gefahr. Gleichzeitig kreisen über der Eifel britische und amerikanische Bomber.

Arimonds Situation wird nahezu ausweglos, als er keine Medikamente mehr bekommt, er ein Verhältnis mit der Frau des Kreisleiters beginnt und schließlich bei der Gestapo denunziert wird.

Mit großer Intensität erzählt Norbert Scheuer in «Winterbienen» einfühlsam, präzise und spannend von einer Welt, die geprägt ist von Zerstörung und dem Wunsch nach einer friedlichen Zukunft.

Über den Autor

Norbert Scheuer, geboren 1951, lebt als freier Schriftsteller in der Eifel. Er erhielt zahlreiche Literaturpreise und veröffentlichte zuletzt die Romane «Die Sprache der Vögel» (2015), der für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, und «Am Grund des Universums» (2017). Sein Roman «Überm Rauschen» (2009) stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und war 2010 «Buch für die Stadt Köln».

Inhalt

Tagebuch 1944/45 Egidius Arimond

Undatiertes Blatt

Winter 1944

Montag, 3. Januar 1944

Dienstag, 4. Januar 1944

Mittwoch, 5. Januar 1944

Donnerstag, 6. Januar 1944

Heilige Drei Könige

Samstag, 8. Januar 1944

Sonntag, 9. Januar 1944

Dienstag, 11. Januar 1944

Mittwoch, 12. Januar 1944

Donnerstag, 13. Januar 1944

Freitag, 14. Januar 1944

Montag, 17. Januar 1944

Fragment I Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Mittwoch, 19. Januar 1944

Donnnerstag, 20. Januar 1944

Sonntag, 23. Januar 1944

Montag, 24. Januar 1944

Dienstag, 25. Januar 1944

Mittwoch, 26. Januar 1944

Donnerstag, 27. Januar 1944

Samstag, 29. Januar 1944

Sonntag, 30. Januar 1944

Montag, 31. Januar 1944

Dienstag, 1. Februar 1944

Donnerstag, 3. Februar 1944

Freitag, 4. Februar 1944

Montag, 7. Februar 1944

Fragment II Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Mittwoch, 9. Februar 1944

Freitag, 11. Februar 1944

Samstag, 12. Februar 1944

Montag, 14. Februar 1944

Mittwoch, 16. Februar 1944

Donnerstag, 17. Februar 1944

Freitag, 18. Februar 1944

Montag, 21. Februar 1944

Rosenmontag

Dienstag, 22. Februar 1944

Donnerstag, 24. Februar 1944

Undatiertes Blatt

Montag, 28. Februar 1944

Dienstag, 29. Februar 1944

Donnerstag, 2. März 1944

Fragment III Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Freitag, 3. März 1944

Dienstag, 7. März 1944

Sonntag, 12. März 1944

Undatiertes Blatt

Dienstag, 14. März 1944

Freitag, 17. März 1944

Samstag, 18. März 1944

Undatiertes Blatt

Sonntag, 19. März 1944

Frühling 1944

Montag, 20. März 1944

Mittwoch, 22. März 1944

Donnerstag, 23. März 1944

Freitag, 24. März 1944

Mittwoch, 29. März 1944

Donnerstag, 30. März 1944

Montag, 3. April 1944

Fragment IVKloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Dienstag, 4. April 1944

Mittwoch, 5. April 1944

Donnerstag, 6. April 1944

Gründonnerstag

Samstag, 8. April 1944

Montag, 10. April 1944

Ostermontag

Dienstag, 11. April 1944

Mittwoch, 12. April 1944

Donnerstag, 13. April 1944

Samstag, 15. April 1944

Mittwoch, 19. April 1944

Donnerstag, 20. April 1944

Montag, 24. April 1944

Dienstag, 25. April 1944

Mittwoch, 26. April 1944

Freitag, 28. April 1944

Samstag, 29. April 1944

Montag, 1. Mai 1944

Mittwoch, 3. Mai 1944

Dienstag, 9. Mai 1944

Dienstag, 16. Mai 1944

Freitag, 19. Mai 1944

Sonntag, 21. Mai 1944

Montag, 22. Mai 1944

Sonntag, 28. Mai 1944

Pfingsten

Dienstag, 30. Mai 1944

Donnerstag, 1. Juni 1944

Sonntag, 4. Juni 1944

Donnerstag, 8. Juni 1944

Fronleichnam

Montag, 19. Juni 1944

Dienstag, 20. Juni 1944

Sommer 1944

Donnerstag, 22. Juni 1944

Mittwoch, 28. Juni 1944

Dienstag, 4. Juli 1944

Sonntag, 9. Juli 1944

Montag, 10. Juli 1944

Donnerstag, 13. Juli 1944

Samstag, 15. Juli 1944

Dienstag, 18. Juli 1944

Mittwoch, 19. Juli 1944

Freitag, 21. Juli 1944

Samstag, 22. Juli 1944

Donnerstag, 27. Juli 1944

Freitag, 28. Juli 1944

Samstag, 29. Juli 1944

Dienstag, 1. August 1944

Donnerstag, 3. August 1944

Sonntag, 13. August 1944

Dienstag, 15. August 1944

Mariä Himmelfahrt

Donnerstag, 17. August 1944

Fragment V Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Freitag, 18. August 1944

Montag, 21. August 1944

Dienstag, 22. August 1944

Samstag, 26. August 1944

Sonntag, 27. August 1944

Donnerstag, 31. August 1944

Montag, 4. September 1944

Freitag, 8. September 1944

Mittwoch, 13. September 1944

Donnerstag, 14. September 1944

Montag, 18. September 1944

Mittwoch, 20. September 1944

Freitag, 22. September 1944

Herbst 1944

Samstag, 23. September 1944

Sonntag, 24. September 1944

Montag, 25. September 1944

Dienstag, 26. September 1944

Sonntag, 1. Oktober 1944

Montag, 2. Oktober 1944

Mittwoch, 4. Oktober 1944

Samstag, 7. Oktober 1944

Sonntag, 8. Oktober 1944

Montag, 9. Oktober 1944

Dienstag, 10. Oktober 1944

Mittwoch, 11. Oktober 1944

Samstag, 14. Oktober 1944

Montag, 16. Oktober 1944

Mittwoch, 18. Oktober 1944

Fragment VI Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Freitag, 20. Oktober 1944

Montag, 23. Oktober 1944

Donnerstag, 26. Oktober 1944

Freitag, 27. Oktober 1944

Montag, 30. Oktober 1944

Dienstag, 31. Oktober 1944

Reformationstag

Samstag, 25. November 1944

Montag, 27. November 1944

Dienstag, 28. November 1944

Sonntag, 3. Dezember 1944

Fragment VII Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Dienstag, 5. Dezember 1944

Donnerstag, 7. Dezember 1944

Winter 1944/45

Freitag, 22. Dezember 1944

Samstag, 6. Januar 1945

Heilige Drei Könige

Undatiertes Blatt

Undatiertes Blatt

Frühling 1945

Mittwoch, 28. März 1945

Sonntag, 6. Mai 1945

Freitag, 18. Mai 1945

Samstag, 19. Mai 1945

Fragment VIII Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Undatiertes Blatt

Danksagung

Anmerkung

Lateinische Zitate

Glossar

Literaturverzeichnis

Filmverzeichnis

Für Elvira

Ich trauere um die Bienen, sie wurden von kämpfenden Armeen vernichtet.

Isaak Babel, Die Reiterarmee

Tagebuch 1944/45 Egidius Arimond

Undatiertes Blatt

Es gibt keine Darstellung der ganzen Wirklichkeit. Nur eine Auswahl.

Pär Lagerkvist

Ich wohne in einem Bergarbeiterstädtchen, das an einem Fluss liegt, der sich durch einsame, zerklüftete Landschaften schlängelt, eine Gegend mit kleinen Dörfern inmitten von Magerwiesen, Fichten-, Kiefern- und Buchenwäldern, die sich bis zur belgischen Grenze erstrecken. Dies war immer schon eine verlassene, karge Region, die einst durch Erosion des variszischen Urgebirges entstanden war, mit Bergrücken vulkanischen Ursprungs, welche die Hügellandschaft überragen, mit einer üppigen Vegetation, die die Bienen offenbar sehr lieben, denn sie leben bereits seit Millionen von Jahren hier, lange bevor Menschen im Urftland zu siedeln begannen. Jahrhunderte später christianisierten Mönche die keltischen und germanischen Stämme, die dennoch weiter ihre Matronen, ihre Wald- und Erdgeister verehrten. Einer unserer Vorfahren gehörte, wie uns Vater erzählte, zu diesen frühen Mönchen, ein Benediktiner namens Ambrosius, der im nahe gelegenen Kloster lebte und Bienen züchtete. Wegen einer Liebesbeziehung mit einem Bauernmädchen verließ dieser Ambrosius im Jahre 1492 sein Kloster und gründete in einem der kleinen Höhendörfer eine Familie. Aus dieser Verbindung ging die erste Generation der Arimonds hervor. Es folgten Kriege, Pestilenzen, Hungersnöte, Zeiten des Friedens und wiederum Kriege, in denen meine Vorfahren auf dem Karstboden des Urftlandes Landwirtschaft und Bienenzucht betrieben und damit alle Fährnisse der Zeitläufte überlebten. Mein Vater gab schließlich die gewerbsmäßige Landwirtschaft auf, um im nahe gelegenen Bleibergwerk zu arbeiten – nebenher züchtete er weiterhin Bienen. Ich bin der Erste aus unserer Familie, der eine akademische Ausbildung angestrebt und für längere Zeit die Eifel für seine Studien verlassen hat. Schließlich bin ich in die Heimat zurückgekehrt, als meine Mutter gestorben war und mein Vater, hinfällig geworden, allein lebte. Zunächst habe ich im hiesigen Gymnasium eine Stelle als Lehrer angetreten und nebenher meinem Vater bei der Bienenzucht geholfen. Seit meiner vorzeitigen Entlassung aus dem Schuldienst kümmere ich mich nur noch um die Bienen und treibe für mich Studien zu unserem Benediktiner-Vorfahren. Meinen Lebensunterhalt bestreite ich, indem ich Honigprodukte, wie Bienenwachskerzen, Wein und Likör, an kleine Geschäfte der Umgebung liefere oder auf Märkten verkaufe. Nach dem Krieg will ich von hier weggehen und diese öde Gegend endlich hinter mir lassen, um in einer großen Stadt zu leben; ich fürchte aber, dann wird es zu spät sein, viele Städte sind bereits zerstört. Womöglich werde ich für immer hierbleiben müssen.

Winter 1944

Montag, 3. Januar 1944

Das abgestürzte Flugzeug ist eine amerikanische Mitchell B-25. Gestern war ich an der Absturzstelle. Seit meiner Kindheit habe ich mit meinem Bruder Alfons zusammen Flugzeuge beobachtet, und ich interessiere mich immer noch für sie. Ich erkenne die meisten Maschinen an ihrer Silhouette, den rechteckigen, ovalen oder spitz zulaufenden Tragflächen, am Rumpf oder am Leitwerk und der jeweiligen Bewaffnung. Mein Bruder hatte schon immer den Traum, die Erde auf irgendeine Weise weit hinter sich zu lassen; seit ich denken kann, wollte er Sternenfahrer werden. An den Wänden seines Zimmers hängen noch seine Zeichnungen von Flugzeugen und Raketen, mit denen der Weltraum erobert werden soll. Im Bücherregal stehen Werke von Hans Dominik und Jules Verne, Romane über kosmische Reisen und von abenteuerlichen Expeditionen ins Erdinnere. Nach dem Schulabschluss meldete Alfons sich zur Luftwaffe. Die erste Nachricht von ihm bekamen wir, als er die Flugschule bereits einige Monate besucht hatte. Dem Brief lag eine Fotografie bei; auf ihr ist er zu sehen, wie er lächelnd mit seinen Kameraden neben einem Übungsflugzeug im Hangar steht.

Seit Kriegsbeginn fliegen täglich Jagdgeschwader und Bomber übers Urftland hinweg. Ich erkenne sie oft, noch bevor sie zu sehen sind, an ihren Motorengeräuschen.

Die Mitchell B-25 hatte sich mit der Spitze in den Boden gerammt. Im Gestänge der gläsernen Kanzel hing ein verschmorter Körper; Köpfe, Füße und Hände der anderen Besatzungsmitglieder lagen verstreut auf dem matschigen Acker, der Pilot saß mit verrenkten Gliedern direkt neben seiner Maschine. Nur fünf Mitglieder der Mannschaft wurden gefunden. Die Feldjäger hatten das Areal weiträumig abgesperrt; Soldaten tasteten die Toten nach Waffen ab, mitunter sind sie in der Schulterwattierung ihrer Jacken versteckt. Sie fanden, wie später in der Gaststätte erzählte wurde, Schlagringe, Pistolen, ein seidenes Halstuch mit aufgedruckter Reichskarte, einen Taschenkompass, ein Klappmesser, goldene Ringe, eine Pilotenuhr, Familienfotos, eine Bibel, Bilder von nackten weißen und dunkelhäutigen Frauen.

Mitchell B-25: Besatzung: sechs Mann, Antrieb: zwei Sternmotoren Wright Cyclone, je 1850 PS, Bewaffnung: acht MGs Abwehrbewaffnung, acht vorwärtsfeuernde MGs, Bombenlast: 1800 kg

Dienstag, 4. Januar 1944

Aspera perpessu fiunt iucunda relatu.[1] Als Kind bin ich oft, wenn ich nicht schlafen konnte, heimlich durch den dunklen, nach Jasmin und Geißblatt duftenden Garten hinauf zum Bienenhaus am Fels geschlichen. Ich berührte mit den Fingerspitzen die alten, porösen Fichtenbretter, pochte vorsichtig gegen das Holz, sprach mit unseren Bienen, legte mein Ohr an den Stock und wartete auf ihre Antwort. Ich lauschte dem aufbrausenden Surren, das bald nachdem sie sich eingestimmt hatten, wieder zu einem leisen, harmonisch pulsierenden Rauschen wurde, das vertraut und tröstlich klang. Manchmal schlief ich im Sommer auf dem Boden vor dem Bienenhaus ein und wurde erst morgens vom Summen der ausfliegenden Bienen geweckt.

Mittwoch, 5. Januar 1944

Als Ende des 19. Jahrhunderts der Bergbau in unserer Region wieder aufblühte, zog es die Bauernsöhne zur Arbeit in die Bleigruben, weil man dort besser verdiente. Aus vielen Ländern kamen damals Bergleute ins Urftland; sie ließen sich mit ihren Familien in Kall und Umgebung nieder und bald suchten Tausende Arbeiter über und unter Tage nach Bleierzen, Manganknollen und Silber. Sie trieben, den Flözen folgend, immer längere und tiefere Stollen in die Erde, wodurch mit der Zeit ein riesiges, mittlerweile vergessenes Labyrinth aus Schächten und Gängen entstand. Auf der Erdoberfläche, dem ehemaligen Weide- und Ackerland, lagen zuletzt Berge aus Schlacke und giftigem Bleisand. Aus einem Bauerndorf an der Urft war damals in nur wenigen Jahren ein Bergarbeiterstädtchen geworden, mit einer Stadthalle, einer Bibliothek, einem Gymnasium, Real- und Gewerbeschulen sowie einem Bahnanschluss, von dem aus die geschürften und verhütteten Erze bis ans Meer und von dort bis nach Brasilien und Neuseeland transportiert wurden. Auch Vater war, als er aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause kam, Bergmann in einer der vielen Bleigruben geworden. Nebenher betrieb er, wie ich bereits erwähnte, etwas Landwirtschaft und züchtete Bienen. Ich halte ebenfalls noch Schweine, Hühner und ein Pferd, einen rheinischen Kaltblüter, der sich gut für den Transport der Beuten zu den Bienenweiden eignet. Nachdem meine Eltern geheiratet hatten, baute mein Vater auf einem Grundstück am Ortsrand unser Haus aus rotem Sandstein, den er aus dem Fels am Ende des Gartens herausbrach und zu Quadern schlug. Er hat mehrere Jahre an diesem Haus gebaut, und bald nachdem es fertig war, wurde ich geboren. Dicht an die Sandsteinfelsen platzierte er sein neues Bienenhaus, gleich neben dem Werkstatt- und Geräteschuppen, wo er in seinen letzten Lebensjahren in einem alten Sessel saß und Zeichnungen von Bienen anfertigte, von Sammlerinnen, Baubienen, Wächterinnen, der Königin, ihrem Hofstaat mit den Zofen und den dicken, lüsternen Drohnen. Im Laufe seines Lebens hat Vater viele kleine Zeichnungen seiner Bienen gemacht, als hätte er vorgehabt, jede Einzelne bis ins Detail zu porträtieren, als wäre jede von ihnen ein besonderes Individuum. Bis zu seinem Tod entstanden seltsame, kaum zu enträtselnde Skizzen, die wohl die Bewegungen der Bienen im winterlichen Stock oder die geheimnisvollen Tänze in der warmen Frühlingsluft vor ihren Wohnungen darstellen sollten.

Donnerstag, 6. Januar 1944

Heilige Drei Könige

Noch immer stehe ich wie früher, als ich noch im Schuldienst war, jeden Morgen um fünf Uhr auf, trinke Malzkaffee, esse einige Scheiben Schwarzbrot mit Margarine und Akazienhonig von der letzten Ernte. Mit Johannisbeersaft nehme ich meine Antiepileptika (Luminal) ein. Lebensmittel und Medikamente sind seit Kriegsbeginn rationiert und nur noch auf Marken zu bekommen. Vaters Hund sitzt neben mir; er ist ein betagter, eigenwilliger grauschnauziger Rüde. Er begleitet mich, wenn ich nach draußen gehe, folgt mir überallhin. Nach dem Frühstück füttere ich die Ferkel im Stall neben der Scheune, bringe das Pferd auf die Weide, gehe zu meinen Winterbienen und entferne den Schnee von ihren Einfluglöchern. Die Bienen brauchen freie Fluglöcher für die Luftzirkulation im Stock.

Die Aufgabe der jetzt lebenden Winterbienen besteht darin, die im Frühjahr zu erwartende neue Generation der Larven warm zu halten, zu schützen und zu füttern und so das Überleben des Volkes zu sichern. In der kalten Jahreszeit halten sie die Temperatur in ihrem Staat konstant auf etwa zwanzig Grad, das ist gerade warm genug, damit ihre Königin und sie selbst nicht erfrieren. Den Bienen genügen zum Überleben zwei gut isolierte Zargen, in denen sie sich in einer Traube aneinanderdrängen. Durch ständiges Vibrieren ihrer von den Flügeln entkoppelten Brustmuskulatur erzeugen sie die nötige Wärme, sie wechseln ständig ihren Platz in der Traube, sodass jede von ihnen auch einmal in den Genuss der höheren Temperatur im Inneren der Gemeinschaft kommt. Bienen kooperieren in sehr komplexen Systemen. Sie können ihr Gesellschaftssystem nicht neu erfinden, ihre Königin nicht einfach töten und eine Republik ausrufen. Sie haben Jahrmillionen gebraucht, um sich in der jetzigen Weise zu organisieren. Alles im Bienenvolk scheint aufs Beste fürs Überleben und die Wohlfahrt des Volkes eingerichtet. Bereits Vergil liebte und schätzte die Bienen, er hielt sie für fleißig und künstlerisch begabt, da sie schöne Wabengebilde bauen. In ihrem Staatswesen sah er gar das Vorbild für das römische Imperium; so lobte er ihren Kampfesmut, den er mit dem der tapferen römischen Soldaten verglich. Aber Bienen sind nicht aggressiv, sie würden niemals andere Völker erobern und sie unterjochen; sie sind friedfertig, wenn sie sich nicht angegriffen fühlen.

Samstag, 8. Januar 1944