Winterkinder - Evelyn Koch - E-Book

Winterkinder E-Book

Evelyn Koch

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Beschreibung

Der junge Walter, genannt Walli, musste mit seiner Mutter und seinen Schwestern vor den Schrecken des Krieges in den Bayerischen Wald flüchten. Mit Hilfe seiner Freunde kämpft er sich durch die vielen Schwierigkeiten der Nachkriegszeit. Wallis großes Ziel ist es, den in den letzten Kriegstagen verschollenen Vater zu finden. Dabei gerät er in einige Abenteuer, die er und seine Freunde mit Mut und Tapferkeit und so manchen Lausbubenstreichen meistern müssen.

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Vollständige eBook Ausgabe 2018

© 2018 SPIELBERG VERLAG, Neumarkt/Regensburg

Lektorat: Sigrid Müller

Umschlaggestaltung: Ronja Schießl

Coverbilder: © Shutterstock.com

Alle Rechte vorbehalten

Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Inhaltsverzeichnis

Wallis Weg

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21

22.

23.

Für Hanna, Lewin und Paul.

Wallis Weg

1.

Obgleich es schon Ende Februar war und die Tage wieder länger und heller wurden, hatte der Winter den Bayerwald noch fest in seinem eisigen Griff. Lang waren die Winter hier – lang, kalt und voller Schnee. Der Junge dort am Waldrand von Lichtenthal, der bis über die Knie im weichen Pulverschnee stand, war etwa zehn Jahre alt. Da er um Hals und Kopf einen dicken, grob gestrickten Schal gewickelt hatte, sah man von seinem Gesicht nur die von der Kälte geröteten Backen. Eine zu große, braune Jacke reichte ihm bis weit über die Hüften. Mit einem langen Stock klopfte er Schnee von den Ästen der hohen Fichten, die sich unter ihrer schweren Last zu ducken schienen. Der Schnee staubte und glitzerte im diesigen, hellgrauen Licht. Tief hing der Himmel über den Bergen. Mit seinem Stock schlug der Junge gegen einen dicken Ast hoch über ihm. Vom Gewicht befreit, schnellte der Ast auf einmal nach oben und der Schnee staubte dem Jungen ins Gesicht und in den Nacken, auf den Kopf und die Schultern. Prustend wischte er sich die kalte, nasse Masse aus dem Gesicht, hielt inne und sah nach oben. Überall wirbelten schimmernde Schneekristalle, die Luft um ihn herum war voller kleiner, glitzernder Sterne. Er streckte die Arme nach oben und sah zu, wie der Sternenstaub um ihn herumtanzte.

In diesem Moment kamen zwei Jungen, die etwa im selben Alter waren, den Abhang zu ihm hinunter gestürmt.

»He, Walli, Waaa-lliii!«, riefen sie schon von weitem. Der größere der beiden Jungen hatte eine viel zu große Mütze mit Ohrenklappen, die wie Dackelohren aussahen, auf. Seine Jacke war an vielen Stellen geflickt und an den Ärmeln zu kurz. Über die Hosenbeine hatte er Wollstrümpfe gezogen, die Füße steckten in klobigen Lederstiefeln. Der kleinere Junge neben ihm war ebenfalls so warm wie möglich gekleidet, mit einer dicken, wollenen Pudelmütze auf dem Kopf und einem grünlichen, lodenähnlichen Umhang. Da dieser ihm viel zu groß war, hatte er ihn mit einem Gürtel am Bauch zusammengebunden. Schnaufend kamen sie bei Walli an.

»Was machst du denn da?«, fragte der Größere mit den Dackelohren.

»Grüß dich, Anton. Ich helf‘ dem Frühling!«, entgegnete Walli grinsend.

Verwundert schauten die beiden anderen Buben nach oben, auf die teilweise abgeklopften Bäume und dann zu ihrem schneebedeckten Freund.

»Was machst du?«, fragte Anton noch immer verwirrt.

»Na, ich mach schon mal den Schnee von den Bäumen. Dann geht es vielleicht schneller mit dem Schmelzen. Und die Bäume sind bestimmt froh, wenn sie nicht mehr so schwer zu tragen haben.« Stirnrunzelnd sahen die beiden den Freund an. Ob Bäume froh sein konnten, darüber hatten sie noch nie nachgedacht. Aber das waren sie schon gewohnt von Walli: Seine verrückten Einfälle, seine komischen Gedanken, die keiner so recht verstand. Aber schlau war er, ihr Freund, und mutig. Mit einem Kopfschütteln taten sie die Sache mit dem Frühling ab.

»Der Reichert Willi hat zum Geburtstag einen Schlitten bekommen. Einen richtigen. Mit gebogenen Kufen und richtig mit Eisen unten dran!«, rief nun der Kleinere aufgeregt.

»Ach, Hans, was geht mich der Schlitten vom Reichert an?«, entgegnete Walli.

»Aber heut ist doch Sonntag!«

»Ja, und?«

»Sonntags muss der Reichert doch immer Klavier spielen. Da kommt extra so eine Frau zu ihm ins Haus und dann hat er Klavierstunde.«

»Und wer Klavier spielen muss, kann nicht rodeln!«, ergänzte der Junge, den Walli Anton genannt hatte, triumphierend.

»Ja, und wenn er gerade eh nicht rodeln kann…«

»Ja?«

»Also, da dachten wir, so ein schöner Schlitten, und steht nur im Schuppen… Wir würden ihn ja nur kurz ausleihen, nur so zum Ausprobieren.«

»Hm«, Walli überlegte bereits. »Im Schuppen ist der Schlitten?«

»Ja ja, genau!« Hans, der Kleinere, freute sich schon, den Freund überredet zu haben.

»Das ist Mist! Um zum Schuppen von den Reicherts zu gelangen, muss man an den Fenstern von ihrer Stube vorbei. – Hm. Glaubt ihr, dass der Willi gern Klavier spielt?«

»Ne, weiß nicht, ich glaube nicht, also keine Ahnung – wieso denn?«, fragte Hans verwirrt.

»Na, wer nicht gern Klavier spielt, schaut gern aus dem Fenster, oder?«

Dieser Logik war nicht viel entgegenzusetzen. Und das Klavier war nun mal in der guten Stube. Walli stapfte bereits langsam los, Hans und Anton hinterdrein.

Der Reichert Willi war der Sohn wohlhabender Geschäftsleute aus Zwiesel. Am Stadtplatz hatten die Eltern vor dem Krieg einen Lebensmittelladen gehabt und damit eine Menge Geld verdient. Jetzt hatten sie zwar nicht viel zu verkaufen, aber irgendwie schafften sie es doch, zumindest für sich selbst, genügend zu essen zu haben. Der Willi hatte keine geflickten Jacken und immer ein riesiges Butterbrot in der Schule dabei, er grinste oft dämlich und machte sich lustig über die Leute, die zu große Mützen aufhatten. Auf der Theke von Frau Reicherts Laden stand ein Glas mit Schokoladenbonbons, Pralinen nannte sie die, da kostete eine 10 Pfennig. 10 Pfennig, das war richtig viel Geld. Für 10 Pfennig hatte Walli im vergangenen Herbst, im ersten Herbst nach Ende des Zweiten Weltkriegs, also 1945, den ganzen Nachmittag Pilze suchen und diese der Mutter heimbringen müssen. Dann hatte er helfen müssen, sie mit einem Messerchen zu putzen, in Scheiben zu schneiden und mit einer dicken Stopfnadel aufzufädeln. Die Pilzscheiben auf den Fäden waren quer durchs Zimmer gespannt worden und hatten da eine Woche trocknen müssen. Dann waren sie in eine Papiertüte gepackt worden. Am Samstagmorgen hatte Walli zu Fuß mit seiner Mutter bis zum Markt am Stadtplatz gehen und sich die Füße in den Bauch stehen müssen, um die Tütchen zu verkaufen. Dabei hatte man dauernd zu allen freundlich sein müssen, hundert Mal gequält grinsend »Guten Morgen« sagen müssen und hoffen, dass jemand für 10 Pfennige ein Tütchen kaufte. Hatte man genug Tütchen verkauft, konnte man dafür dann Brot und Kartoffeln besorgen und heimbringen. So viel Arbeit für 10 Pfennige! Und dann kostete eine Praline, ein einziger himmlisch süßer Bissen, auch 10 Pfennige. Unfassbar.

Die drei Buben waren vor dem Gartenzaun der Familie Reichert angekommen. Deren Wohnhaus stand etwas zurückgesetzt vom Stadtplatz in der Jahnstraße. Vorsichtig lugten sie an einem Busch vorbei und blickten ratlos zwischen Schuppen und Fenstern hin und her.

»Oh, Mist!«

Durchs Fenster gut zu sehen und ganz unverkennbar, saß dort, mitten in der Stube am Klavier, der dicke Willi neben einer grauen, sehr geraden älteren Dame und – blickte aus dem Fenster.

»Krötenschleim.«

»Ohrschmalzdreck.«

In ihrer Ratlosigkeit verfielen die Jungen erst einmal in eines ihrer Lieblingsspiele, eines das immer gut war, um Zeit zu gewinnen. Zum Nachdenken. Oder wenn man in der Patsche saß. Oder wusste, dass man sicher daheim geschimpft wurde. Oder auch einfach so, weil man Lust darauf hatte: Schimpfwörter erfinden. Neue, schreckliche Schimpfwörter. Schlimm mussten sie sein und sie mussten richtig fies klingen. Sie mussten schon beim Aussprechen wie ein richtig böses Wort klingen. Aber auch nicht zu verboten schlimm. Nicht so, dass man ein schlechtes Gewissen bekam, weil man sicher war, dass Mutter entsetzt wäre. Nein, das auch wieder nicht. Die richtige Mischung aus schlimm aber nicht verboten schlimm, das war‘s.

»Entenfurz.« Obwohl eigentlich schon fast verboten schlimm, war die bildliche Vorstellung dieses Wortes so lustig, dass sie losprusten mussten.

»Wenn das so hinter der Ente losblubbert, oder gerade beim Abtauchen...« Der kleine Hans kicherte so, dass er sich verschluckte.

»Leise!« Anton stieß ihm grinsend den Ellbogen in die Seite.

»Brennnesselsuppe«, kam es von Walli.

»Hä?«

»Kennt ihr was Schlimmeres?«, fragte Walli todernst.

»Ne, eigentlich nicht.« Walli dachte an die ungeheuerliche Tatsache, dass, wenn es wirklich einmal etwas richtig Leckeres zu essen gab, wie etwa Fingernudeln oder Pfannkuchen, Mutter ihn mit dieser Gemeinheit im letzten Sommer und Herbst regelmäßig erpresst hatte. Sogar an seinem letzten Geburtstag, als er sich Pfannkuchen gewünscht hatte, hatte es davor diese abscheuliche, wässrige, grünliche Suppe gegeben. Mutter behauptete, sie wäre gesund. Wahrscheinlich sollte einem davon so übel werden, dass man nicht mehr viele Pfannkuchen essen konnte.

»Und was machen wir jetzt?«, unterbrach Anton Wallis Gedanken.

»Da kommen wir nie vorbei, ohne gesehen zu werden«, grübelte Hans.

»Hm. Gib mir einen Knopf von deiner Joppe, Hans«, flüsterte Walli nach einer Weile.

»Was – spinnst du? Wofür brauchst du jetzt meinen Knopf? Die Mutter...«

»Los, gib schon her.«

»Nein, nimm doch einen vom Anton!«

»Ne, du hast die schöneren.«

»Sag mal, geht’s noch, was um alles in der Welt...?«

»Jetzt gib dem Walli schon den Knopf, los jetzt!«, Anton zischte Hans an.

»Ist ja gut, wartet...« Der kleine Hans zerrte so lange an einem der Knöpfe seines Umhangs, bis dieser absprang.

»Hört zu«, flüsterte Walli nun den Freunden seinen Plan zu, »ich gehe hin und läute. Wenn es an der Tür klingelt, schauen doch bestimmt alle zum Flur. Und wenn der Willi meine Stimme hört, erst recht. Da müsst ihr dann schnell sein und den Schlitten holen. Ihr müsst euch beeilen. Ich versuche, sie so lange wie möglich abzulenken. Wir treffen uns hinterm Sportplatz. Da können wir dann durch die Hafnerstadt zum Einsiedeleiberg. Klar?«

»Und, was ist mit meinem...?«

Aber Walli schlenderte schon los, am Zaun entlang. Er nahm seinen Schal vom Kopf und fuhr sich durch seine etwas lockigen, blonden Haare, die nun recht verstrubbelt nach allen Seiten abstanden. Er zog seine Handschuhe aus und versuchte die Haare so gut wie möglich zu glätten. Seine Freunde, die wie die meisten Jungen der Gegend braune Augen und dunkle, kurze Haare hatten, fanden, dass Walli mit seinen hellen Haaren und den blauen Augen aussah, wie sie sich König Löwenherz vorstellten. Am Gartentor bückte er sich. Überlegte kurz, blickte hin und her, ging schließlich zur Haustüre und klingelte.

Nach einer Weile öffnete Frau Reichert. Walli tat recht verschüchtert und etwas einfältig grinsend, sagte er stotternd: »Schönen Guten Tag, Frau Reichert ... ich ... entschuldigen Sie bitte die Störung ... also, ich ging da eben an Ihrem Gartentor vorbei ... und also ... ähm, da sah ich diesen Knopf im Schnee liegen … und ich dachte, falls jemand aus Ihrer Familie den vielleicht verloren hat?«

»Nein, du bist aber ein guter Junge, grüß dich. Das ist aber sehr anständig von dir, da nachzufragen. Nein, wirklich so ein netter Junge. Du bist wohl ein Schulfreund von unserem Willi, oder?«

»Jawohl, Frau Reichert, ich bin der Kretschmer Walter, aus Lichtenthal.«

»Zeig mal her, den Knopf – ja, richtig, der sieht aus wie von einer alten Jacke von meinem Mann. Das ist ja schön, dass du mir den bringst. Der Willi kann leider gerade nicht kommen, der hat Klavierstunde.«

»Ach, schade, naja, vielleicht ein anderes Mal. Auf Wiedersehen, Frau Reichert.«

»Nein, wart noch schnell, Junge!« Sie huschte mit dem Knopf in der Hand zurück in den Hausflur, kam gleich darauf wieder, drückte dem verdutzten Walli eine Schokoladenpraline in die Hand und schloss die Tür.

Walli starrte fassungslos auf die Praline, steckte sie schließlich vorsichtig in seine Jackentasche und lief dann schnell weg. Als er zum Treffpunkt kam, sah er Hans und Anton grinsend auf dem Schlitten sitzen. Der Knopf war vergessen. Hans rief Walli vergnügt entgegen: »Toll Walli, hat prima geklappt, juchu! Los jetzt!«

Anton sprang auf, warf Hans fast vom Schlitten und lief los. Rasch gingen sie durch die Anlagen, über die Hafnerstadt zur Einsiedelei. Hier war ein prima Rodelberg und sie zogen gemeinsam den Schlitten hoch.

»Wartet mal.«

Als sie oben waren, zog Walli seinen Handschuh aus, langte vorsichtig in seine Jackentasche und zog die Praline heraus.

»Ui, ja Walli, wo hast du die denn her?« Hans starrte die Praline an.

»Von der Reicherten. Aber eigentlich, eigentlich hab ich sie ja angelogen. Und ausgeschmiert.«

»Na und? Wie oft hat der Willi uns schon verpfiffen? Das ist doch wohl völlig egal!«, entrüstete sich Anton.

»Ne, ist es nicht. Nehmt ihr sie. Du kannst sie mit deinem Taschenmesser ja teilen, Anton.«

»Bist du bescheuert? Warum willst du die denn nicht essen? So was kriegen wir nicht oft!«

»Ich will sie nicht. Da nimm. Ich fahr schon mal runter!«

»Verstehst du das, Anton?«, fragte Hans leise.

»Nein, das versteht keiner. Der spinnt doch! Auch recht. Da Hans, nimm.« Anton hatte mit seinem Messer die kleine Praline gewissenhaft geteilt.

»Ich weiß nicht...«

»Spinnst du jetzt auch? Nimm schon, wer weiß, wann wir wieder mal an Schokolade kommen.«

»Ach, iss ruhig, Anton. Ist ja eh nicht viel. Ich lauf mal dem Walli entgegen.« Hans flitzte den Berg hinunter und Anton blieb kopfschüttelnd zurück, überlegte kurz und schob sich dann die beiden Pralinenhälften in den Mund. Er schloss die Augen, grinste verzückt und schluckte ganz, ganz langsam die cremige Schokoladenmasse hinunter.

Verschwitzt und mit roten Backen hielten die Jungen etwa eine Stunde später unten am Berg inne. Mit dem Schlitten konnte man wunderbar fahren, er sauste durch den Schnee und wurde bei jeder Fahrt schneller. In ihrem Vergnügen war ihnen die Zeit viel zu schnell vergangen. Die Sonne, nur als milchiger Fleck hinter den Wolken zu erahnen, war hinter dem Berg untergegangen, es dämmerte bereits.

»Wir müssen heim, Walli. Es wird bald finster. Was machen wir mit dem Schlitten?«

»Wir lassen ihn einfach vorm Gartenzaun stehen«, schlug Anton vor.

»Nein, ich bring ihn zurück in den Schuppen.« Walli packte schon die Schnur und marschierte los. »Ihr könnt ruhig schon heimgehen, ich mache das schon.«

»Warte Walli, wenn sie dich aber sehen...«

»Ach was, es wird ja schon dunkel, mich sieht jetzt keiner mehr. Los, lauft schon.«

Walli war schon losgegangen und kam wenig später zum Haus der Familie Reichert. Vorsichtig schlich er am Gartenzaun entlang, spähte zum Haus. In der Stube war kein Licht.

Zum Glück, sie sitzen alle schon beim Abendbrot, dachte er. Langsam ging er weiter, schaute kurz nach allen Seiten, huschte zum Gartentor hinein und lief so schnell er konnte zum Schuppen, den Schlitten hinter sich herziehend. Vorsichtig schob er die Schuppentür auf, hielt inne, lauschte. Alles war still. Er stellte den Schlitten in den Schuppen, trat hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Da sah er plötzlich den Lichtkegel der geöffneten Haustür im Schnee, mitten in seinem Fluchtweg. Er überlegte einen Moment, riss die Tür wieder auf und sprang zurück in den Schuppen, die Tür vorsichtig zuziehend. Dunkelheit umfing ihn. Mit klopfendem Herzen lauschte er. Alles blieb still. Vorsichtig zog er sich weiter zurück in den Schuppen. Er ertastete das aufgestapelte Brennholz, den Schlitten, ein Fahrrad, einen Hauklotz. Dahinter verkroch er sich. Horchte in die nachtschwarze Dunkelheit.

Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis, seine Beine taten ihm in der gehockten, verkrampften Stellung weh. Gerade wollte er sich aufrichten, da hörte er sich nähernde, knirschende Schritte im Schnee. Sein Herz klopfte heftig gegen die Brust, seine Beine schmerzten immer mehr. Die Tür zum Schuppen wurde aufgezogen, gegen den grauen Himmel sah Walli eine massige Gestalt mit einem Korb hereintreten. Seine eingeschlafenen Beine taten so weh, dass er glaubte, es keinen Moment länger aushalten zu können. Das Blut sauste in seinen Ohren. Die Gestalt, Herr Reichert, wie Walli annahm, stellte den Korb auf den Hauklotz, direkt neben Walli, der den Atem anhielt. Der Mann packte mehrere Hände voll Brennholz in seinen Korb, nahm ihn dann, ging hinaus und zog die Schuppentür hinter sich zu.

Walli konnte sein Glück kaum fassen. Der Mann hatte ihn nicht gesehen. Vorsichtig streckte er seine schmerzenden Beine aus, atmete tief durch und langsam beruhigte sich sein Herzschlag. Er wartete noch eine Weile, tastete sich schließlich zur Tür und öffnete diese langsam. Nichts regte sich. Nur graues Dämmerlicht umgab ihn. Spät war es geworden, er würde zu Hause Ärger bekommen. Die Mutter wollte nicht, dass er im Finstern nach Hause kam und er musste noch ein ganzes Stück laufen, bis er daheim war. Die Fenster im Haus der Reicherts waren alle dunkel, die Haustür geschlossen. Walli huschte hinaus, durchs Gartentor und die Straße hinunter. Er lief ein kleines Stück den Stadtplatz hinauf, bog dann ab in die Frauenauerstraße, lief weiter, bis er an einem Steg den Kleinen Regen überquerte, und gelangte dann hinaus nach Lichtenthal – ein kleiner Weiler am Ortsrand von Zwiesel, wo er mit seiner Mutter und den beiden älteren Schwestern in einem kleinen Häuschen wohnte. Der Vater war im Krieg geblieben. Vermisst, sagte die Mutter. Abgeschossen, sagten die Leute. Ohne anzuhalten, lief er, bis er in der Ferne das Häuschen sah, hingeduckt am Waldrand, eingefasst von großen Holunderbüschen, die ihre kahlen Zweige in den immer dunkleren Himmel streckten. Eine fahle Mondsichel war hinter dem Haus am Himmel aufgegangen, der Wald wurde schwarz, die Bergkuppen um ihn herum rückten enger zusammen. Walli mochte die Berge. Der Rachel und der Falkenstein hielten hinter seinem Haus Wache. Abends rückten sie zusammen, als wollten sie das kleine Haus beschützen. Rauch stieg aus dem Kamin. Mutter hatte eine Kerze ins Fenster gestellt, die ihn willkommen hieß.

Sorgfältig stampfte Walli sich vor der Haustüre den Schnee von den Schuhen, klopfte sich ab und trat ein. Greta, die jüngere Schwester, saß am Tisch und schien noch Schularbeiten zu machen. Seine Mutter hatte irgendetwas zum Flicken im Schoß liegen.

»Da bist du ja endlich, Junge!«. Erleichtert stand die Mutter auf, trat ihm entgegen, zog ihn kurz an sich und schimpfte dann los. »Du weißt doch, dass du nicht so spät heimkommen sollst, ich mache mir...«

»Ja Mutter, entschuldige. Ich musste noch etwas zurückbringen, das hat etwas länger gedauert, als ich dachte. Ich wollte nicht so spät kommen.«

»Bist du aber, und das hättest du dir auch vorher überlegen können. Was musstest du denn zurückbringen?«

»Ich weiß, es tut mir leid. Ich...«

»Nun zieh dich erst einmal aus, Walli. Du bist ja ganz nass. Komm, ich mach die Suppe noch mal warm.«

Die Mutter nahm ihm die nasse Jacke, den Schal und die Handschuhe ab und Walli ging in das Zimmer, das er sich mit Greta teilte. Die Stube, in der Mutter jetzt hantierte, war das größte Zimmer des Häuschens und Küche, Esszimmer und Wohnzimmer zugleich. Von der längeren Seite des Raumes gingen drei Türen ab, die hinterste war die Speisekammer, die anderen führten in die beiden Schlafkammern. Die eine teilten sich Mutter und seine älteste Schwester Helene, in der anderen schliefen Walli und Greta. Helene war bereits 17 Jahre alt, Greta 15. Gegenüber der Eingangstür, an der Stirnseite des Raumes, befand sich noch eine schmale Tür, die in den kleinen, engen Waschraum führte. Hier waren die Toilette und ein Waschbecken. Das Wasser, das aus dem Hahn kam, war so eisig, dass einem beim Zähneputzen alle Zähne wehtaten und die Hände ganz rot wurden, wenn man sich waschen musste. Eine Badewanne oder Dusche gab es nicht. Wenn sie sich baden mussten, trug Mutter einen großen Waschzuber aus Zinn in die Stube und erhitzte auf dem Herd Wasser. Dann musste man sich in den Zuber hocken oder knien und konnte sich so waschen. Auch die Wäsche wurde in diesem Zuber gewaschen.

Nur die Stube konnte beheizt werden. Hier stand ein schöner, weißer Wamslerherd, der mit Holz zu heizen war und auf dem auch gekocht wurde. Die anderen Räume hatten keine Öfen und waren im Winter oft eiskalt, sodass man sich darin tagsüber gar nicht aufhielt und abends ganz schnell unter die dicken Federbetten kroch.

Das Fenster in Wallis Zimmer war mit Eisblumen überzogen. Schnell zog Walli sich in dem kalten Raum aus, sein Atem war als weißes Wölkchen zu sehen. Er zog sich trockene Socken, Hose und Hemd an, nahm seine Sachen und ging rasch in die Stube zurück. Über dem Ofen befand sich eine Holzstange um die Kleidung zu trocknen, dort hängte Walli seine nassen Sachen auf. Er setzte sich auf die gemütliche Eckbank zu seiner Schwester und seine Mutter stellte einen dampfenden Teller vor ihn. In der Suppe schwammen Graupen, ein paar Kartoffel- und Möhrenstücke, hauptsächlich jedoch bestand sie aus heißem Wasser.

Walli lächelte die Mutter an: »Danke, Mama.«

»Nun iss, Junge. Brot haben wir leider keins. Vielleicht bringt ja Helene noch etwas mit. Sie ist noch in der Stadt.«

Walli löffelte seine Suppe, die ihn zwar aufwärmte, aber das nagende Hungergefühl kaum bekämpfen konnte. Doch die wohlige Wärme des heißen Wassers und des Holzofens tat ihm gut. Warm und müde sah er Greta zu, die mit ihren Rechenaufgaben zu kämpfen schien, blickte zu seiner Mutter, die einen verhassten, kratzenden Schafwollstrumpf stopfte, holte sich schließlich sein Buch aus der Schulbücherei, machte es sich gemütlich und versenkte sich in die Geschichte des ›Robinson Crusoe‹.

2.

»Los Walli, Greta, aufstehen, ihr müsst euch beeilen! Ab in die Schule!«

Die beiden Kinder hatten an diesem Montagmorgen Glück, denn die Lichtenthaler Glasbläser, die zur Frühschicht in die Schottwerke gingen, hatten schon einen Pfad in den Schnee getrampelt. So kamen die Geschwister rasch vorwärts und waren nicht allzu nass, als sie in der Schule ankamen. Es gab auch Tage, da mussten sie sich ohne Weg durch den Schnee kämpfen, oftmals war dieser fast einen halben Meter hoch. Dann kamen sie mit roten Backen, erschöpft, durchweicht und oftmals auch verspätet in der Schule an. Greta ging in die siebte Klasse, Walli war in der vierten Klasse der Volksschule. Hatten sie Herrn Brehmer in der ersten Stunde, war Walli froh. Der ließ ihn die durchweichte Zeitung herausziehen, mit der die zu großen Schuhe ausgestopft waren, damit sie etwas besser wärmten, und die nassen Schuhe an den Ofen im Klassenzimmer stellen. Schwester Emalie jedoch, eine Nonne, herrschte den Jungen nur immer an, wenn er zu spät hereinschlich, scheuchte ihn an seinen Platz und ließ ihn dort in seinen nassen Sachen sitzen.

Heute aber waren sie rechtzeitig da. Walli rannte hoch in sein Klassenzimmer, wo auch die meisten Schulkameraden schon waren. Anton und Hans begrüßten den Freund. Hans sah ihn aufgeregt an: »Und, ging gestern noch alles gut, Walli?«

»Was denn ...? Achso. Ja. Jaja, alles in Ordnung, kein Problem.«

»Du, Walli«, rief Anton, »der Rehmbichler hat uns heut Nachmittag alle eingeladen, zum Einsiedeleiberg, sein Vater hat ihm Skier gekauft. Wir sollen alle zuschauen. Vielleicht dürfen wir die dann sogar auch mal ausprobieren...«

»Nein Anton, dich hab ich eingeladen, den da nicht!« Der Rehmbichler Josef stand auf einmal neben den beiden und starrte Walli giftig an. »Und außerdem kann der eh nicht Skifahren!«

»Der Walli ist unser Freund, wenn wir kommen sollen, muss er auch mitdürfen!«, mutig hatte sich der kleine Hans neben Walli gestellt. Hans hatte ein sehr schmales Gesicht, aus dem die dunkelbraunen, schönen Augen nun zu blitzen schienen. Seine schwarzen Haare waren ganz kurz geschnitten. Er war ein hübscher, schmalgliedriger Junge, der zwar manchmal darunter litt, deutlich kleiner zu sein als die anderen Buben in seiner Klasse, aber sich trotzdem nichts gefallen ließ und sich nun auch tapfer zu Wort meldete. Meist hatte er auch das Glück, dass sein Freund Anton in der Nähe war: Der war groß und kräftig, sodass sich keiner mit ihm anlegte. Anton hatte ein rundes Gesicht mit etwas zu großen Ohren und einer etwas zu breiten Nase. Er war zwar wie alle Kinder sehr mager, aber trotzdem wirkte er viel breiter gebaut, auch hatte er große, kräftige Hände. Seine braunen Haare hatten oft einen etwas seltsamen Schnitt, denn seine Mutter schnitt sie ihm einfach mit der Küchenschere ab, wenn sie zu lang wurden. Manchmal wirkte er etwas tölpisch und schien nicht so recht zu wissen wohin mit seinen noch zu langen Armen und Beinen, aber im Grunde war er ein sehr gutmütiger, geradliniger Kerl, auf den sich seine Freunde verlassen konnten.

Walli schaute Josef nun ernst an, dieser aber grinste nur.

»Du kannst ja bei dem bleiben, Hans, keiner hat gesagt, dass wir dich dabeihaben müssen, wenn du lieber zu dem hältst ... Dann kannst meine Skier aber gewiss nie ausprobieren, wenn du heut nicht kommst, überleg dir‘s gut!« Josef schaute Hans wütend an, dieser blickte Hilfe suchend zu Anton. Der kuckte verlegen auf seine Füße, kramte in seiner Schultasche, als ob er etwas suchen würde.

»Anton, ...«

»Lass nur, Hans«, meinte Walli leise, »ich kann heut sowieso nicht, muss der Mutter helfen, Holz machen.«

Hans blickte zu Walli, der begann seine Schulbücher auszupacken, dann zu Anton, schließlich zu Josef: »Ich kann heut leider auch nicht, Josef«, meinte er dann langsam, »ich hab ganz vergessen, dass die Mutter ja gesagt hat, dass ich heut die Stiefel vom Schuster holen muss.«

Walli sah zu dem kleinen Kerl, schüttelte fast unmerklich den Kopf und setzte sich dann auf seinen Platz. Hans aber starrte weiter Anton an, schien zu warten, dass der Freund etwas sagte. Auch Josef schaute ihn an.

»Ich, also ich weiß nicht ... warum kann denn der Walli nicht...«

»Darum eben, weil ich meine Skier nicht jedem Dahergelaufenem leih. Was ist jetzt mit dir? Kommst du oder nicht?«

»Geh ruhig, Anton, das ist schon in Ordnung«, murmelte Walli leise.

»Ja also, ich würd schon recht gern kommen«, hilflos sah Anton zu Walli, der lächelte ihm aufmunternd zu. Nur Hans starrte ihn wütend an, drehte sich um, ging an seinen Platz und sprach den ganzen Morgen kein Wort mehr.

»Ein Feigling ist er, der Anton!«, zornig stapfte Hans in den Schnee im Pausenhof.

»Nein Hans, ist er nicht. Lass ihn, du weißt doch, wie gern er mal auf Skiern stehen möchte. Den ganzen Winter spricht er doch schon davon.«

»Ja und? Du würdest doch auch gern, oder?«

»Ja schon, geht eben nicht. Da kommt er ja, der Anton.«

»Soll er doch, mit dem rede ich heute kein Wort mehr. Ich muss noch aufs Klo.« Hans drehte sich rasch um und lief hinein, ohne Anton eines Blickes zu würdigen.

»Walli, ich ... es tut mir leid ... also...«

»Schon gut, Anton.«

»Hier, ich hab heut zwei Pausenbrote dabei, nimm eins.«

»Du hast doch nie zwei Pausenbrote dabei, Anton?«

»Heut schon. Da, nimm schon«, er grinste den Freund an.

»Rehmbichler, Reichert oder von der Ziller?«, fragte Walli grinsend zurück.

»Och, ich dachte, heute mal Rehmbichler. Der hat schließlich immer zwei dabei!«

Walli nahm das dicke Butterbrot und biss hungrig hinein.

»Ich geh noch mal ein bisschen raus, Mama, ja?«

»Wo willst du denn wieder hin, Walli? Bist du denn mit den Schularbeiten fertig?«

»Ja freilich, Mama, alles fertig. Ich treff mich noch mit ein paar Jungen aus meiner Klasse.«

»Na schön, Walli. Ich bin ja froh, wenn du dich gut mit allen verstehst. Ein Glück. Aber komm nicht mehr so spät, hörst du?«

»Ja ja, ist schon recht. Bis dann, auf Wiedersehen, Mutter!«

Walli hatte seinen Aufsatz recht schnell hinter sich gebracht, seine Gedanken waren immer wieder beim Einsiedeleiberg gewesen. Schließlich hatte er beschlossen, dort doch hinzugehen. Allerdings so, dass er von niemandem gesehen wurde. Er wollte durch das kleine Wäldchen von der anderen Seite her an den Hang gelangen und hoffte im Schutz der jungen Fichten, die am Rande standen, nicht gesehen zu werden. Außerdem war am Waldrand ein versteckter Jägersitz, von dort, dachte er, hatte man wohl einen recht guten Überblick. Und dorthin wollte er. Er musste einen großen Umweg gehen, um von hinten, durch das Wäldchen hoch, zur Einsiedelei zu gelangen, aber das machte ihm nichts. Eifrig stapfte er vor sich hin, den kalten Wind bemerkte er kaum, schnell wurde ihm warm vom Laufen im Schnee. Im Wald angekommen, kam er rascher vorwärts, hier drinnen lag der Schnee nicht so hoch. Er kannte sich gut aus im Wald und ging zügig hindurch, dorthin, wo er den Jägerstand wusste. Als er dort ankam, hörte er schon das Lachen und Schreien der anderen Buben, die wohl schon alle am Schlitten- und Skifahren waren. Rasch stieg er die Leiter des Jägerstandes hoch. Kurz bevor er ganz oben war, zuckte er zusammen und erschrak. Damit hatte er nun überhaupt nicht gerechnet: Genau auf Höhe seiner Nase, mitten im Jägersitz, starrte er auf ein Paar Stiefel. Diese kamen ihm jedoch bekannt vor.

Er kletterte noch eine Sprosse höher und flüsterte: »Hans?«

Eine dicke Pudelmütze und rote Backen beugten sich über die Öffnung: »Huch, oh hallo, Walli, ähm ... also ... ich kam hier gerade so vorbei ... vom Schuster...«

»Rutsch mal, ich kam auch gerade so zufällig vorbei.«

Die beiden Buben grinsten sich an. Hans machte Platz und sie drückten sich beide auf das kleine Bänkchen im Jägersitz.

»Klasse Sicht von hier oben, was?«

»Hervorragend. Und, was war schon los? Ist der Anton schon gefahren?«

»Nö, ich konnte ihn noch gar nicht sehen. Aber der Rehmbichler ist schon ein paar Mal runter. Sein Vater ist auch dabei, kuck, da hinten ist er.«

»Und, hat‘s ihn hoffentlich schon ordentlich hingeschmissen?«

»Ne, leider noch gar nicht, der hat‘s schon richtig drauf. Sein Vater zeigt ihm dauernd, was er machen soll ... und ... psst. Hörst du das?« Hans flüsterte nur mehr ganz leise.

Walli lauschte. Tatsächlich, er hörte es nun auch. Ganz deutlich. Es knirschte, man hörte, wie sich etwas durch den Schnee und die dichten Fichten kämpfte. Plötzlich war alles wieder still. Aber nun konnte man deutlich jemand schnaufen hören. Laut und angestrengt. Walli ließ sich auf den Boden nieder und schaute vorsichtig durch die Leiteröffnung nach unten – direkt auf eine dicke Mütze mit Dackelohrklappen. Leise pfiff er. Anton, mit zwei langen Brettern im Arm, schaute nach allen Seiten.

»He, hier oben« rief Walli leise.

»Wusst ich‘s doch!« Anton grinste die beiden an. »Los, kommt runter!«

Walli kletterte als Erster hinunter.

»Was hast du denn dabei?« Walli deutete auf die langen Bretter und Hans sprang zu ihnen.

»Na, was wohl?«, Anton lachte seine beiden Freunde triumphierend an, »Skier natürlich!«

Hans und Walli schauten sich die Bretter genauer an, und tatsächlich, in der Mitte war ein wirrer Haufen Lederriemen zu sehen, die hinteren Enden schienen etwas verkohlt und leicht hochgebogen. »Skier?«, Hans starrte die Bretter erstaunt an.

»Jawohl, Skier! Ich hab mittags dem Schäffler geholfen und dauernd an ihn hingeredet, bis er mir schließlich diese Skier gemacht hat. Mit dem Brenneisen. Dafür muss ich ihm jetzt noch drei Samstage beim Rindenschälen helfen.«

»Und wie sollen diese Dinger funktionieren?«, etwas zweifelnd schaute Hans auf die kaum gebogenen Spitzen. »Damit spießt man doch garantiert gleich ein. Und dann – wumm!«

»Ach was, alles eine Frage der Technik!«

»Und wie macht man die dran?«

»Na, hier, man wickelt sich einfach die Lederriemen um die Stiefel!« Anton war voller Begeisterung, Hans und Walli schauten noch etwas zweifelnd auf seine Skier.

»Aber – warum bist du eigentlich nicht beim Josef? Du wolltest doch so gerne ... Jetzt wird der dich auch nicht mehr...«

»Ach was, ich wollte ja eigentlich nur Skifahren, und das können wir jetzt auch! Und müssen nicht darauf warten, bis der Rehmbichler mir seine Angeberski gnädigerweise mal für eine Fahrt überlässt. Und dann zeigen wir denen mal, wie man richtig den Berg runterfährt. Los jetzt, kommt mit. Auf geht‘s!« Stolz trug Anton seine Skier auf den Schultern und stapfte den Berg hoch, genau auf die anderen Jungen zu.

»He, grüßt euch!«

»Ja, grüß dich Anton, kommst ja doch noch!«

»Ja, freilich. Und der Hans und der Walli kommen auch.«

Josef trat auf ihn zu und starrte ihn zornig an. »Ich hab dir gesagt, dass wir mit denen nichts zu tun haben wollen. Die sollen abhauen. Die haben ja beide nicht einmal einen Vater, kein Wunder, dass die sich nie im Leben Skier leisten können. Die wollen wir hier nicht dabeihaben.«

Anton starrte zurück, überlegte nur einen kurzen Moment und antwortete dann: »Von wegen, keine Skier. Schau, ich hab sie nur raufgetragen. Das sind die Skier vom Walli. Und der Berg gehört dir ja schließlich nicht, oder? Hier kann ja wohl jeder runterfahren, der genug Schneid hat!«

Wütend starrten sich die beiden Jungen an. In dem Moment trat Josefs Vater zu ihnen: »Na, da haben wir ja noch einen Skifahrer. Grüß dich. Zeig mal her, deine Skier. Hm aber, ... naja, wird schon gehen. Musst aber unten gut bremsen, da ist ein kleiner Graben.«

»Grüß Gott, Herr Rehmbichler. Ja, wird schon gehen.« Walli und Hans waren inzwischen auch oben angekommen, die anderen Jungen standen alle um sie herum.

»Da Walli, deine Skier. Los, mach sie dran, ich helf dir. Und dann werden wir ja sehen, wer besser runterfährt.«

Verwundert sah Walli seinen Freund an, der ihm kurz zuzwinkerte. Anton half Walli die Holzbretter an seinen Stiefeln festzumachen, hielt ihn dann am Ellbogen fest und flüsterte ihm zu: »Zeig‘s ihnen, den ganzen eingebildeten Pinkeln. Los, Walli.«

»Na, Josef, dann schau mal gut zu, dass du was lernst!«, lachte Anton, ließ Wallis Ellbogen los und schon glitten die Holzbretter los, den steilen Abhang hinunter. Walli merkte, wie schnell er wurde, viel schneller als auf dem Schlitten, er duckte sich, versuchte irgendwie die Beine zusammenzulassen und das Gleichgewicht zu halten. Die Skier sausten über den Schnee, der Wind pfiff ihm um die Ohren, seine Augen tränten und die Geschwindigkeit war ungeheuerlich. Walli hatte keine Angst. Er genoss die rasende Fahrt, alles fiel von ihm ab. Er war nicht mehr das arme Flüchtlingskind, das von den anderen ausgelacht wurde, er war frei, er flog über den Schnee.

»Walli, Walli, Walli!«

Weit weg hörte er die Anfeuerungsrufe der Buben hoch oben am Hang. Er jauchzte, das Leben war herrlich! Im Auslauf des Hanges sah er den kleinen Graben kommen, aber er konnte weder seine Richtung ändern, noch bremsen. Er hoffte, genug Schwung zu haben, um irgendwie darüber zu kommen und sauste darauf zu. Am anderen Ufer des Grabens spießten Wallis Bretter jedoch ein und im hohen Bogen überschlug er sich, rollte auf dem Schnee weiter und blieb dann reglos liegen. Josefs Vater lief los, den Hang hinunter. Die Buben rannten hinterher. Alle wollten sehen, was mit Walli los war. Herr Rehmbichler kniete bei ihm nieder und die Jungen sahen, wie er Walli auf seinen Schoß zog und ihm das Gesicht mit Schnee einrieb.

»Komm schon, Junge, wach auf, es ist alles vorbei, du bist in Ordnung!« Walli öffnete die Augen, dann sah er Josefs Vater an, lächelte still und flüsterte: »Ich bin geflogen.«

»Ja, ordentlich geflogen bist du. Mit Überschlag! Tut dir was weh?«

»Ich glaube nicht. Sind die Skier…?«

Herr Rehmbichler lachte. »Das sind ordentliche Planken, die haben gehalten. Die Lederriemen sind wohl abgegangen, aber die wirst du wieder annageln können. Für deine erste Skistunde.«

Walli sah ihn erstaunt an.

»Na, ich finde, ich sollte dir etwas Unterricht geben. Damit du außer Schuss fahren auch lenken und bremsen lernst!«

Walli strahlte ihn an: »Das würden Sie machen?«

»Nun, nächsten Sonntag. Hier. Nach dem Mittagessen. Abgemacht?«

»Abgemacht. Und der Anton und der Hans?«

»Sind das deine Freunde?«

»Ja.«

»Na, dann sollen die eben auch kommen!«

»Ich möcht auch so nen Vater haben, wie der Rehmbichler.«

Hans sammelte die kleinen Holzspreißel, die er gerade auseinandergehackt hatte vom Boden auf und legte sie auf den Haufen zu den anderen.

»Ach was, der ist bestimmt auch nicht immer so nett. Oder auch nur zu anderen Kindern. Vielleicht versohlt der dem Josef daheim auch den Hintern.«

Anton nahm sich ein neues Holzscheit von dem Stapel hinter sich, stellte es hochkant auf den Hackstock und schlug mit der Axt darauf, um kleine Holzspäne abzuhacken.

»Na und«, erwiderte Hans hitzig, »immer noch besser als gar kein Vater.«

»Mir wäre manchmal gar kein Vater lieber«, brummte Anton.

»Red nicht solchen Unsinn, Anton. Dein Vater ist wieder daheim und hat meistens Arbeit. Und ihr habt genug Geld. Und genug Essen.«

»Jaja. Aber wenn er keine Arbeit hat und daheim rumhängt und mit Mutter streitet...«

»Ich weiß, dass ich keinen Vater mehr habe«, erwiderte Hans traurig, »auch wenn Mutter das nicht glauben will. Der Bürgermeister war bei ihr und hat ihr erklärt, dass sie eine Kriegerwitwenrente bekommen würde, wenn sie Vater für tot erklären lässt. Aber das macht sie nicht. Da geht sie lieber putzen bei den Amis und Wäschewaschen und was weiß ich noch alles. Abends kommt sie todmüde heim und trotzdem reicht das Geld oft hinten und vorne nicht.«

»Ich kann deine Mutter verstehen«, mischte sich Walli ein. »Sie glaubt, wenn sie ihn für tot erklären lässt, kommt er wirklich nicht mehr. Als hätte sie ihn aufgegeben. So, wie wenn jemand bewusstlos im Krankenhaus liegt und man spricht trotzdem mit ihm, obwohl alle Ärzte sagen, dass er es nicht hören kann. Aber man hält trotzdem seine Hand und spricht mit ihm und glaubt daran, dass er wieder aufwacht. In dem Moment, wo man damit aufhört, stirbt er tatsächlich. So aber hält ihn eine unsichtbare Schnur am Leben fest und er kann wieder zurückkehren. Und dann ist es so, dass er nur wieder aufgewacht ist, weil man fest daran geglaubt hat.« Walli blickte auf seine Freunde, die ihn verwundert ansahen. »Ich glaube auch fest daran, dass mein Vater noch lebt. Er muss uns nur finden. Irgendwann kommt er heim.«

»Aber woher soll er wissen, dass ihr jetzt hier im Bayerischen Wald seid?«

»Mutter war in den größeren Städten, hier beim Bürgermeister, in Deggendorf und in Regen, und hat dort unsere Adresse hinterlegt. Irgendwann wird er uns hier suchen und dann kann er ja da nachfragen.«

Keiner erwiderte etwas. Stumm arbeiteten die Jungen weiter, jeder hing seinen Gedanken nach, bis Anton aufstöhnte: »Meine Finger sind so kalt, ich kann die blöde Axt gar nicht mehr halten!«

Er versuchte seine klammen Finger auszustrecken. Sie mussten ohne Handschuhe arbeiten, denn mit ihren dicken Fäustlingen konnten sie die Axt erst recht nicht halten. Sie saßen beim Schäffler im Schuppen und arbeiteten Antons Skischulden ab. Dass die anderen beiden Buben Anton dabei halfen, war Ehrensache. Und zu dritt wurde der große Haufen Holzscheite, den der alte Schäffler ihnen hingelegt hatte, auch recht schnell kleiner. Sie sollten daraus lauter dünne Späne zum Ofenanheizen hacken und diese ordentlich gebündelt im Schuppen stapeln. Eine langwierige und auch anstrengende Arbeit, von der den Buben die Arme und auch der Rücken schmerzten.

»Wie schaut‘s aus?« Hans wollte die Freunde aufmuntern und versuchte die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken, »morgen ist Sonntag – gehen wir zum Einsiedeleiberg?«

»Ich geh auf alle Fälle – das heißt, wenn ihr mitkommt!«, fragend schaute Walli die Freunde an. »Anton? Es sind ja deine Skier.«

»Ach, wir haben ja jetzt alle Holz gehackt«, lachte Anton, »also gehören sie uns allen. Klar gehen wir zur Einsiedelei. Die erste Skistunde lassen wir uns bestimmt nicht entgehen!«

Hans legte endlich die letzten Spreißel zu den anderen, stand auf, reckte und streckte sich. »Ich muss heim, Freunde. Dann sehen wir uns morgen. Am Berg. Und diesmal macht keiner mehr so einen Umweg, oder?« Die Buben lachten sich an, verabschiedeten sich und gingen auseinander.

3.

In der Nacht hatte es wieder geschneit. Das erste Morgenlicht ließ den neuen, pulvrigen Schnee aufleuchten. Nur ein paar Hasenspuren waren auf der unberührten Schneedecke zu sehen. Klirrende Kälte herrschte an diesem Morgen und langsam färbte sich der Himmel im Osten rot, als würden die Berge, die vom schwarzen, alten Wald eingehüllt waren, glühen.

Walli drehte sich noch einmal um und zog sich die Decke bis ans Kinn. Er genoss es noch etwas liegen bleiben zu können. Unter der Woche musste er so früh aufstehen, dass draußen immer noch völlige Dunkelheit herrschte.

Er hatte keine Lust, das warme Bett verlassen zu müssen. Seine Füße stießen an den Ziegelstein, den Mutter ihm gestern Abend mit ins Bett gegeben hatte, damit er ihn wärme. Abends legte sie die Ziegelsteine auf den Herd, und wenn sie heiß waren, wickelte sie sie in ein Laken und gab sie den Kindern mit ins Bett.

In der Stube hörte er schon Stimmen. Mutter war schon am Werkeln, Helene war wohl auch schon auf.

»Das hat doch keinen Sinn, Mutter!« Helene schien aufgeregt auf die Mutter einzureden.

»Leise, Helene, lass die Kinder noch schlafen.«

»Warte doch wenigstens bis zum Frühjahr. So eine weite Strecke, bei dem hohen Schnee. Es ist unvernünftig, Mutter. Wenn es etwas Neues geben würde, hätte man uns doch informiert.«

»Das glaube ich eben nicht. Wer würde denn bis hier rausgehen, um Flüchtlingen eine Nachricht oder ein Schreiben zu bringen? Eher würden sie es zum Ofenanschüren benutzen.«

Mutter klang verbittert, so hatte Walli sie noch nie gehört. Vor ihm versuchte sie immer guten Mutes zu sein, sagte, man müsse die Einheimischen auch verstehen, war immer geduldig, mahnte Walli, keinen Streit anzufangen.

»Ach, Mutter. Dann warte wenigstens, bis nicht mehr so viel Schnee liegt.«

»Ist ja gut, Helene, sorg dich nicht.«

Greta, im Bett neben Walli, regte sich.

»Greta? Bist du wach?«, flüsterte Walli.

»Ja, einigermaßen«, murmelte sie.

»Wovon sprechen Mutter und Helene? Hast du sie gehört?«

»Ja, davon sprechen sie doch immer wieder. Mutter will nach Deggendorf gehen, wegen Vater. Sie hat erfahren, dass sich ein Arzt in Deggendorf niedergelassen hat, dessen Bruder angeblich auch in den Beskiden war. Also dort, wo auch Vater im Krieg eingesetzt war. In Polen. Sie will die Adresse herausbekommen und ihn aufsuchen. Seit sie das von dem Arzt gehört hat, ist sie ganz unruhig.«

»Ob der etwas vom Vater weiß?«

»Keine Ahnung. Los komm, wir stehen auf.«

»Ich muss nach Deggendorf gehen.«

Walli hatte die Skier den Berg hochgeschleppt und ließ sie nun zu Boden fallen.

»Was willst du?« Hans sah den Freund erstaunt an.

»Ich muss nach Deggendorf gehen, da ist einer, der weiß vielleicht was von meinem Vater.«

»Spinnst du, da brauchst du drei Tage, bei dem Schnee vier. Und was machst du nachts? Red‘ keinen Blödsinn und hilf mir die Riemen festzumachen.« Anton bückte sich bereits um seine Skier anzulegen.

»Das ist Unsinn, Walli. Du kannst nicht zu Fuß bis Deggendorf«, Hans sah Walli besorgt an.

»Ich weiß. Ich muss mir etwas einfallen lassen.«

»Aber nicht jetzt, jetzt wollen wir Skifahren. Schau, da kommt ja der Rehmbichler.«

Anton richtete sich auf, hielt sich an Hans fest und stand recht wackelig auf seinen Skiern.

»Wäscht deine Mutter noch für die Amis, Hans?« Walli sah den kleinen Hans an.

»Ja freilich, jeden Mittwoch und Sonntag.«

»Ja? Prima! Hört mal, ihr müsst heute mal ohne mich fahren. Könnt mir ja morgen in der Schule davon erzählen. Sagt dem Rehmbichler bitte, ich hab dringend weg müssen. Bis morgen!«

Walli lief schon den Hang hinunter. Verdutzt starrten die beiden hinter ihm her und Anton schüttelte nur noch den Kopf.

Die Mutter von Hans, Frau Zellner, wohnte in der Einsiedeleistraße, in der Hafnerstadt. Das war unterhalb des Stadtplatzes, am Kleinen Regen. Dort hatte sie eine kleine Wohnung zugewiesen bekommen, wo sie nun mit Hans und seiner älteren Schwester Maria lebte. Der Wohnungsbesitzer, ein reicher Mann aus Zwiesel, hatte kein Mitleid mit den Armen. Hans hatte erzählt, dass er nichts Eiligeres zu tun gehabt hatte, als aus dem Badezimmer die Badewanne zu entfernen, bevor sie eingezogen waren.

Walli klopfte an die Haustüre. Vorsichtig öffnete er die Tür. Hans‘ Mutter war zu Hause. Sie hatte einen großen Kessel auf dem Holzofen stehen, aus dem es mächtig dampfte. Frau Zellner stand auf einem Stuhl vor dem Kessel, die Ärmel zurückgekrempelt, die Haare mit einem Kopftuch zusammengebunden. Vom heißen Wasserdampf durchnässt, rührte sie mit einem großen Holzlöffel um.

»Grüß Gott, Frau Zellner!«

»Ja Walli, grüß dich. Ist dem Hans was passiert?«, erschrocken hielt die Frau inne, starrte Walli furchtsam an.

»Nein nein, Frau Zellner. Gar nichts. Der ist beim Skifahren, mit den anderen Buben. Ich wollte, also, nun, ich wollte fragen, ob ich ihnen helfen darf. Ich meine, könnte ich vielleicht ihre Wäsche zu den Amerikanern bringen?«

Erstaunt schaute Frau Zellner den Jungen an, stieg von ihrem Stuhl, schob dann den Kessel etwas nach hinten, weg von der Herdplatte. Sie fuhr sich mit dem Ärmel über ihr nasses, gerötetes Gesicht und sah nachdenklich zu Walli.

»Setz dich mal her, Walli. Ich glaube, du solltest mir mal die ganze Geschichte erzählen.«

Der Junge zog sorgsam seine Stiefel aus und setzte sich an den Tisch. Und dann erzählte er Hans‘ Mutter alles. Von seinem vermissten Vater, dem Arzt in Deggendorf, seiner Mutter und seinem Wunsch, mit den amerikanischen Besatzungssoldaten Bekanntschaft zu machen, um irgendwie nach Deggendorf zu gelangen. Als er fertig war, saßen sie eine ganze Weile schweigend am Tisch. Frau Zellner schien in ihre eigenen Gedanken versunken. Schließlich wischte sie sich noch einmal über das Gesicht, anscheinend war es noch immer feucht vom Wasserdampf.

»Nun Walli, vielleicht ist es wirklich eine Möglichkeit, und wenn sie auch noch so gering ist, eine Spur deines Vaters zu finden. Ja, die Wäsche vom Mittwoch bringe ich immer am Sonntagvormittag zurück, die ist bis dahin trocken und fertig, und die Wäsche, die ich gerade auskoche, nehme ich dann am Mittwoch mit. Du könntest also am Mittwochnachmittag zu mir kommen und diese hier zurückbringen. Hans geht bestimmt mit dir. Der kann auch schon ein paar englische Wörter.«

»Das wäre prima! Vielen, vielen Dank, Frau Zellner!«, voller Freude strahlte Walli die Frau an. Dann jedoch schaute er nachdenklich auf die Tischplatte. Nach einer Weile räusperte er sich und sah auf: »Frau Zellner, kann ich Sie noch was fragen?«

»Was denn, Walli?«

»Hm, ich weiß, dass das jetzt eine dumme Frage ist – aber ... warum sind eigentlich die Amerikaner da? Also, wie kommt es, dass amerikanische Soldaten hier bei uns in Zwiesel in der Villa sind?«

Frau Zellner atmete tief ein. »Das ist keine dumme Frage, Walli. Aber es dauert wohl etwas länger, um dir alles von vorne zu erklären.« Dann stand sie auf, ging aus der Wohnküche und kam gleich darauf mit einem Krug Milch zurück. Sie nahm eine große, geblümte Henkeltasse von einem Bord über der Bank und schenkte Walli ein.