Wintertraum und Weihnachtsbaum - Debbie Macomber - E-Book
SONDERANGEBOT

Wintertraum und Weihnachtsbaum E-Book

Debbie Macomber

0,0
8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Debbie Macomber
Silberglocken

Pünktlich zum Fest der Liebe verschenkt Carrie ihr Herz - an Philip Lark, den eine Prophezeiung zu ihrem Traummann erklärt hat. Aber wird er dieses kostbare Präsent überhaupt annehmen?

Carolyn Green
Im hellen Schein der Kerzen

Der erfolgreiche Manager Robert Tucker Maddock kommt bei einer Weihnachtsfeier der hübschen Lehrerin Ruth näher. Alles scheint perfekt - bis alte Ängste in ihm erwachen …

Stacey Connelly
Weihnachtswunder für den Millionär

Diese faszinierenden Augen - auch mit dem weißen Bart erkennt Holly ihn sofort: Clay spielt für das Waisenhaus den Santa Claus! Auf der Stelle verliebt sie sich in den Millionär. Sie ahnt nicht, dass er ihr etwas verschweigt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 460

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



MIRA® TASCHENBUCH

Copyright © 2017 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der amerikanischen Originalausgaben: Silver Bells Copyright © 1996 by Debbie Macomber erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Her Mistletoe Man Copyright © 2001 by Carolyn J. Greene Erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

All She Wants For Christmas Copyright © 2008 by Stacy Cornell Erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Covergestaltung: büropecher, Köln Coverabbildung: Andrew Howe, Josselin Dupont / Getty Images,Elena Schweitzer / Shutterstock Redaktion: Maya Gause E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783955767242

www.harpercollins.de Werden Sie Fan von MIRA Taschenbuch auf Facebook!

Silberglocken

1. Kapitel

„Das verstehst du nicht, Dad.“

„Mackenzie, es reicht!“

In diesem Moment eilte Carrie Weston durch die Halle zum Aufzug. „Halt!“, rief sie. „Nehmen Sie mich mit!“ Sie war mit Post, Lebensmitteltüten und Kartons voller Weihnachtsschmuck beladen. Die beiden anderen Liftinsassen, ein Mann und ein Mädchen, schienen einander nicht gerade freundlich gesonnen zu sein. Vielleicht hätte sie doch lieber warten sollen. Aber ihr taten die Arme weh, und Geduld war noch nie eine ihrer Stärken gewesen.

Der Mann hielt ihr die Lifttür auf.

„Danke“, sagte Carrie atemlos.

Das Mädchen in seiner Begleitung war etwa dreizehn Jahre alt. Die beiden waren erst vor Kurzem in das Apartmenthaus gezogen, und soviel Carrie von anderen Mietern gehört hatte, wollten sie auch nur ein paar Wochen oder Monate bleiben, bis ihr eigenes Haus fertig war.

Die Lifttüren glitten langsam, fast zögernd zu. Aber die Menschen, die in dem dreistöckigen Ziegelbau von Anne Hill in Seattle wohnten, hatten es selten eilig. Carrie war die Ausnahme. Trotzdem lebte sie gern hier.

„Welches Stockwerk?“, fragte der Mann.

Carrie verlagerte das Gewicht ihrer Päckchen. „Zweites. Danke“, fügte sie dann hinzu.

Der Mann, er mochte Mitte dreißig sein, lächelte und drückte auf den entsprechenden Knopf. Dann wandte er den Blick ab. Carrie fand ihn ziemlich arrogant.

„Ich heiße Mackenzie“, sagte das Mädchen jetzt und lächelte sie an. „Und das ist mein Vater. Philip Lark.“

„Carrie Weston.“ Carrie stützte ihre Tüten auf einem Knie ab und gab dem Mädchen die Hand. „Willkommen in unserem Haus.“

Philip Lark konnte nicht anders, als Carrie ebenfalls die Hand zu reichen. Sein Griff war angenehm fest. Er betrachtete seine Tochter düster. Offenbar nahm er ihr ihre Kontaktfreudigkeit übel.

Aber Mackenzie ließ sich davon nicht weiter beeindrucken. „Ich glaube, Sie sind der einzig normale Mensch im ganzen Haus.“

Carrie musste gegen ihren Willen lächeln. „Daraus schließe ich, dass du Madam Fredrick schon kennen gelernt hast.“

„Ist das eine echte Kristallkugel, die sie immer dabeihat?“

„Das behauptet sie wenigstens.“

Madam Fredrick sagte alles voraus – vom Wetter bis zum bevorstehenden Schuhausverkauf in Nordstrom. Niemals traf man sie ohne ihre Kristallkugel, die sie auf einem kleinen Wagen hinter sich herzog. Über jeder Augenbraue klebte ein falscher grüner Smaragd. Gekleidet war sie ausnahmslos in kaftanähnliche, wallende Gewänder, und ihr langes silberweißes Haar hatte sie hoch auf dem Kopf aufgetürmt. Carrie fühlte sich manchmal an eine Ballkönigin aus den sechziger Jahren erinnert.

„Ich finde Madam Fredrick sehr nett“, erklärte Mackenzie jetzt.

„Ich auch. Hast du Arnold auch schon kennen gelernt?“, wollte Carrie wissen.

„Meinen Sie den Mann, der früher beim Zirkus war?“

Carrie nickte und wollte gerade zu einer Erklärung ausholen, als der Lift mit einem seufzenden Ruck zum Halten kam und die Türen sich öffneten. „Vielleicht sehen wir uns einmal wieder“, sagte sie zum Abschied und setzte sich in Bewegung.

„Ja, vielleicht“, brummte Philip Lark. Und obwohl er in ihre Richtung sah, hatte Carrie den Eindruck, dass er sie gar nicht wirklich wahrnahm. Vermutlich hätte er sie nicht einmal wahrgenommen, wenn sie nackt vor ihm gestanden hätte. Nicht dass sie das störte.

Die Lifttüren schlossen sich bereits, als Mackenzie ihr noch schnell nachrief: „Darf ich Sie einmal besuchen?“

„Ja, natürlich.“ Der Aufzug hatte sich schon wieder in Bewegung gesetzt, aber Carrie hörte noch, dass Mackenzies Vater etwas sagte. Seine Stimme klang gereizt und vorwurfsvoll. Aber ob die beiden nur ihren vorherigen Streit fortführten, oder ob ihm nicht passte, dass seine Tochter sich einfach bei ihr eingeladen hatte, bekam sie nicht mit.

Unter der Last ihrer Einkäufe musste sie eine Weile mit dem Schlüssel herumhantieren, bis sich ihre Wohnungstür endlich öffnete. Sie stieß sie mit dem Fuß zu und ließ dann den Weihnachtsschmuck einfach aufs Sofa fallen, bevor sie den Rest ihrer Last in die Küche brachte.

„Du wolltest ihn doch kennen lernen“, sagte sie laut zu sich. „Jetzt hast du es geschafft.“ Sie gestand es sich nur ungern ein, aber Philip Lark hatte sich doch als ziemlich große Enttäuschung entpuppt. Sein Interesse an ihr war ungefähr so groß wie am Schaufenster einer Bäckerei. Aber was hatte sie sich denn vorgestellt? Dass sie überhaupt etwas erwartet hatte, lag nur an Madam Fredrick und ihren ewigen Weissagungen. Angeblich konnte sie in die Zukunft schauen und hatte dort gesehen, dass Carrie, noch bevor das Jahr ausklang, den Mann ihrer Träume kennen lernen würde, und zwar hier im Haus. Carrie wusste natürlich, dass es lächerlich war, an solche Prophezeiungen zu glauben, und sie tat es auch nicht. Madam Fredrick war einfach eine liebe alte Dame mit einer zu romantischen Fantasie.

Sie blätterte schnell ihre Post durch und warf den größten Teil gleich zum Altpapier. Sie hatte gerade angefangen, ihre Lebensmittel auszupacken, als es an der Tür klingelte.

„Da bin ich schon“, verkündete Mackenzie Lark fröhlich, als Carrie ihr aufmachte.

„Das ging ja schnell.“

„Sie haben doch gesagt, dass ich Sie besuchen darf.“

„Ja, natürlich. Komm herein.“ Mackenzie wanderte ins Wohnzimmer, sah sich voller Bewunderung um und ließ sich dann mit Schwung aufs Sofa plumpsen.

„Hast du immer noch Streit mit deinem Vater?“, erkundigte Carrie sich.

Als sie in Mackenzies Alter gewesen war, hatte sie sich auch oft und ziemlich heftig mit ihrer Mutter gestritten. Dauernd waren sie sich wegen Nichtigkeiten in die Haare geraten. Carrie wusste, dass sie daran durchaus ihren Anteil gehabt hatte, aber andererseits war ihre Mutter damals einsam und unglücklich und deshalb wenig belastbar gewesen. Jetzt, zehn Jahre später, war ihr klar, dass die Scheidung ihrer Eltern die Ursache für viele Spannungen gewesen war.

An ihren Vater konnte Carrie sich kaum noch erinnern. Er und ihre Mutter hatten sich getrennt, als sie vier oder fünf Jahre alt gewesen war, und zwar aus Gründen, die sie selbst nie richtig verstanden hatte. Damals hatte sie ihrer Mutter die Schuld daran gegeben. Später, als sie älter wurde, hatte sie sehr darunter gelitten, dass sie keinen Vater hatte, und das ihre Mutter deutlich spüren lassen. Heute wusste sie es besser und bereute ihr Verhalten sehr.

„Dad hat überhaupt keine Ahnung“, erklärte Mackenzie jetzt schmollend.

„Wovon?“, fragte Carrie aus der Küche nach. Sie packte ihre Einkäufe aus und verstaute sie im Schrank. Mackenzie stand auf und ging zu ihr. Sie legte die Arme auf die Küchentheke und stützte das Kinn darauf. „Von gar nichts. Er nörgelt nur noch an mir herum. Nie kann ich ihm irgendetwas recht machen. Es ist wirklich nicht leicht mit ihm.“

„Du wirst es nicht glauben, aber er findet es mit dir vermutlich auch nicht ganz einfach.“

Mackenzie hob mit einem Seufzer die Schultern. „Früher war es ganz anders. Wir hatten es richtig schön zusammen. Natürlich war es schrecklich, als Mom uns verließ, aber wir sind nach einer Weile richtig gut zurechtgekommen.“

„Sind deine Eltern geschieden?“

Mackenzie kräuselte die Nase und nickte. „Es war echt furchtbar, als sie sich trennten.“

„So etwas ist immer schlimm. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich erst ein paar Jahre alt war. Ich kann mich an meinen Vater kaum noch erinnern.“

„Haben Sie ihn danach noch gesehen?“

„Nein.“ Carrie schüttelte den Kopf. „Erst viel später noch einmal.“ Als Kind hatte sie sehr darunter gelitten, aber inzwischen hatte sie sich damit abgefunden. Es tat weh, dass ihr Vater nichts von ihr wissen wollte, aber so hatte er es entschieden.

„Ich darf Weihnachten zu meiner Mom und ihrem neuen Mann“, erzählte Mackenzie strahlend. „Ich habe sie seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen. Mom hat nämlich furchtbar viel zu tun“, fügte sie schnell erklärend und fast entschuldigend hinzu. „Sie hat eine furchtbar wichtige Stellung bei einer großen Bank mitten in Seattle und muss dauernd verreisen. Deshalb kann sie mich auch nicht bei sich haben. Dad ist Systemanalytiker. Das ist etwas mit Computern.“

Ihre Stimme klang wie die eines unglücklichen kleinen Mädchens, das versuchte, vernünftig zu sein.

„Wie alt bist du? Fünfzehn?“, fragte Carrie. Sie übertrieb absichtlich ein wenig, denn sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie stolz sie selbst als Teenager gewesen war, wenn jemand sie älter geschätzt hatte.

Mackenzie schien um etliche Zentimeter zu wachsen. „Nein, ich bin erst dreizehn.“

Carrie riss eine Tüte Kartoffelchips mit Käsegeschmack auf und schüttete sie auf einen Teller. Mackenzie bediente sich ungeniert. „Wissen Sie, was ich glaube?“, begann sie, als sie und Carrie sich am Küchentisch gegenübersaßen. Ihre dunklen Augen blitzten. „Mein Vater braucht eine Freundin!“

Carrie wäre ihr Kartoffelchip fast im Hals stecken geblieben. „Er braucht eine Freundin?“

„Ja. Er hat nichts als seine Arbeit im Kopf. Als könnte er sein trostloses Privatleben vergessen, wenn er nur lange genug im Büro bleibt.“ Mackenzie nahm den nächsten Käsechip. „Das sagt Madam Fredrick übrigens auch.“

„Madam Fredrick hat das gesagt?“, wiederholte Carrie benommen.

„Ja. Sie hat in ihrer Kristallkugel jede Menge Veränderungen im meinem Leben gesehen. Ehrlich gesagt, darauf könnte ich ziemlich gut verzichten. Ich habe allmählich die Nase voll von Veränderungen. Meine ganzen Freundinnen und Freunde wohnen woanders, und das Haus scheint auch ewig nicht fertig zu werden. Dabei wollten wir Weihnachten eigentlich schon darin feiern. Wahrscheinlich können wir froh sein, wenn es nächstes Jahr Weihnachten klappt.“ Sie seufzte. „Dad ist das alles völlig egal, aber ihm fehlt ja auch nichts. Ich bin die, die in eine neue Schule gehen und neue Leute kennen lernen muss.“ Sie verzog den Mund. „Manchmal wünsche ich mir, dass alles wieder so ist wie früher.“

„Das kann ich gut verstehen.“

Mackenzie sah Carrie an. „Es könnte doch wirklich sein, dass Madam Fredrick recht hat.“ Begeisterung kehrte in ihre Stimme zurück.

„Womit?“ Carrie hatte jeden Versuch aufgegeben, Schritt mit den Gedankensprüngen ihres jungen Gastes zu halten.

„Mit der Freundin für meinen Dad. Wie stellt man so was wohl an?“

„Wie meinst du das?“, fragte Carrie vorsichtig.

„Na ja, wie finde ich eine neue Frau für Dad?“

Carrie lachte ein wenig nervös. „Mackenzie, so etwas kann man nicht planen, schon gar nicht für den eigenen Vater.“

„Und warum nicht?“, wollte Mackenzie wissen. Sie schien ein wenig enttäuscht.

„Eine Beziehung ist eine ernsthafte Angelegenheit. Es geht dabei um Liebe und Vertrauen zwischen zwei Menschen und um …“

„Es wäre einfach für uns alle am besten, wenn Dad eine Freundin hätte“, meinte Mackenzie unbeeindruckt. „Dad und ich haben immer alles zusammen gemacht und waren meistens derselben Meinung, wenigstens bis vor Kurzem. Ich weiß besser, was er braucht und was ihm guttut, als er selbst. Also ist es doch nur vernünftig, wenn ich eine Frau für ihn suche.“

„Mackenzie …“

„Ich weiß, was Sie jetzt denken: dass mein Vater nicht besonders erfreut wäre, wenn er davon wüsste. Da haben Sie sicher recht. Aber ich weiß, wie man ihm unauffällig etwas unterjubeln kann. Das habe ich von ihm gelernt.“

Carrie lachte. „Ich glaube es einfach nicht.“ Sie hatte das Gefühl, als säße sie sich selbst gegenüber. Genauso war sie in diesem Alter gewesen. Sie schüttelte den Kopf.

„Was glauben Sie nicht?“, wollte Mackenzie leicht gekränkt wissen.

„Ich kann dir nur raten, dich aus dem Liebesleben deines Vaters herauszuhalten.“

„Was für ein Liebesleben? Das ist ja wohl ein Witz. So etwas hat er überhaupt nicht.“

„Aber er wird deine Hilfe kaum zu schätzen wissen“, warnte Carrie.

„Natürlich nicht, aber das ist nicht der springende Punkt.“

„Mackenzie, du hast mir erzählt, dass du zurzeit nicht besonders gut mit deinem Vater auskommst. Ich wage gar nicht, mir vorzustellen, was passieren wird, wenn er dahinterkommt, was du mit ihm vorhast. Meine Mutter bekam damals jedenfalls einen Tobsuchtsanfall, als sie erfuhr, dass ich einem Mann dafür Geld geben wollte, dass er mit ihr ausgeht.“

„Sie wollten ihn allen Ernstes dafür bezahlen?“

Carrie merkte zu spät, was sie angerichtet hatte. „Es ist schon lange her“, schwächte sie ab und hoffte, dass das Thema damit erledigt war. Aber natürlich hätte sie es besser wissen sollen. Mackenzies Augen leuchteten begeistert auf.

„Ist das wahr? Sie haben ihm Geld gegeben?“

„Ja. Aber falls du jetzt auf irgendwelche Ideen kommst: Er hat es nicht angenommen.“ Carrie konnte sehen, dass Mackenzies kleine graue Gehirnzellen auf Hochtouren arbeiteten. „Es war kein guter Einfall gewesen, und meine Mutter war bitterböse.“

„Hat sie wieder geheiratet?“ Carrie nickte, unwillig, ihrer kleinen Besucherin zu gestehen, dass ihre Mutter genau den Mann geheiratet hatte, den sie damals hatte bestechen wollen.

Mackenzie sah sie forschend an, und Carrie wandte den Blick ab. „Es war derselbe Mann!“, rief ihre kleine Besucherin triumphierend. „Es hat funktioniert!“

„Ja. Aber das hatte nichts mit mir zu tun.“

„Bestimmt doch! Sie haben ihm Geld angeboten, damit er mit Ihrer Mutter ausgeht. Er nimmt es nicht an, geht aber trotzdem mit ihr aus. Himmlisch! Wie lange danach haben sie geheiratet?“

„Mackenzie, du kannst das nicht einfach übertragen.“

„Wie lange danach?“ Das Mädchen ließ nicht locker.

„Ein paar Monate später.“

„Und sie sind bestimmt sehr glücklich miteinander.“ Das war eine Feststellung. Mackenzie seufzte hingerissen.

Carrie nickte. Sie konnte nur hoffen, dass sie einmal einen Mann finden würde, mit dem sie so glücklich wurde wie ihre Mutter mit Jason Manning. Nach zehn Jahren Ehe und zwei Kindern machten die beiden immer noch den Eindruck eines frisch verliebten Paares. Ihre Liebe faszinierte sie, aber manchmal empfand Carrie sie auch als hemmend, denn sie wusste, dass sie sich nie mit weniger zufriedengeben würde. Ihre Freundinnen warfen ihr jetzt schon vor, sie sei viel zu wählerisch, was Männer betraf, und wahrscheinlich hatten sie recht.

„Sehen Sie?“, sagte Mackenzie triumphierend. „Genau das ist der Punkt. Sie kannten Ihre Mutter besser als jeder andere Mensch. Wer also wäre besser geeignet gewesen als Sie, den richtigen Mann für sie zu finden? Bei mir ist es genauso. Dad kommt aus seinem alten Trott von allein nicht heraus, also muss etwas geschehen. Und Madam Fredrick hat das genau gesehen. Sie hat gesagt, dass ihm ein erotisches Interesse fehlt.“

Carries Lächeln war ein wenig gezwungen. „Ich mag Madam Fredrick wirklich sehr, aber was sie sagt, ist mit großer Vorsicht zu genießen.“

„Das ändert nichts.“ Mackenzie stand auf, machte ein paar Schritte und drehte sich aufgeregt zu Carrie um. „Wie wäre es mit Ihnen?“, fragte sie unvermittelt.

„Mit mir?“ Carrie sah sie verständnislos an.

„Ja. Hätten Sie keine Lust, mit meinem Dad auszugehen?“

2. Kapitel

„Sie ist sehr hübsch, findest du nicht, Dad?“

Philip Lark sah auf. Er saß am Küchentisch und füllte gerade ein Kostenformular aus. Mackenzie saß ihm gegenüber und lächelte ihn gewinnend an. Irgendetwas am Ausdruck in ihren Augen warnte ihn. Sie führte ganz offensichtlich etwas im Schilde.

„Wer?“, fragte er, obwohl er gleichzeitig an der Klugheit seiner Frage zweifelte. Besser wäre es gewesen, er hätte die Frage überhört.

„Carrie Weston.“

Philip sah seine Tochter verständnislos an.

„Die Frau, die wir im Aufzug getroffen haben“, erklärte sie ihm geduldig. „Ich war heute Nachmittag bei ihr, und wir haben uns unterhalten.“ Mackenzie stützte das Kinn auf und sah ihn hingebungsvoll an.

Philip sagte nichts darauf, sondern kehrte zu seinen Zahlen zurück. Seine Tochter wartete geduldig, bis er fertig war, obwohl Geduld sonst nicht gerade eine ihrer Stärken war. Meistens beklagte sie sich, wenn er Arbeit mit nach Hause brachte, und gebärdete sich, als wäre das eine persönliche Kränkung und ein tiefer Eingriff in ihre Persönlichkeit.

Carrie Weston, dachte er. Ob er sie hübsch fand, wollte Mackenzie wissen. Aber er konnte sich um alles in der Welt nicht mehr daran erinnern, wie die Frau ausgesehen hatte. Er hatte eine im besten Falle verschwommene Vorstellung von ihr und wusste eigentlich nur noch, dass ihm immerhin nichts Abstoßendes an ihr aufgefallen war.

„Sie gefällt dir, habe ich recht?“, fragte er schließlich, obwohl es pädagogisch vermutlich nicht konsequent war, so bereitwillig auf Mackenzies Annäherungsversuche einzugehen. Sie war in letzter Zeit manchmal reichlich unerträglich. Gut, er wusste natürlich, dass der Umzug in dieses Haus für sie nicht einfach gewesen war, aber sie würden schließlich nur sechs oder höchstens acht Wochen hier wohnen. Er hatte eigentlich angenommen, dass seine Tochter erwachsen und vernünftig genug war, um mit dieser Übergangssituation zurechtzukommen. Aber er hatte sich wohl geirrt.

Seit Wochen machte sie nur Schwierigkeiten, gerade, als befände sie sich in einer Art zweiter Trotzphase. Nicht einmal als ihre Mutter sie und ihn wegen eines anderen Mannes verlassen hatte, war sie so anstrengend gewesen.

„Carrie ist spitze, echt.“

Philip freute sich zwar, dass Mackenzie eine Freundin gefunden hatte, aber lieber wäre ihm ein Mädchen in ihrem Alter gewesen.

Ihre derzeitige Wohnung war zum Glück nur ein Zwischenspiel. Sein Freund Gene Tarkington, dem das Haus gehörte, hatte sie ihm zur Verfügung gestellt, bis die Bauarbeiten an seinem neuen Haus am Lake Washington abgeschlossen waren. Es war zwar nicht besonders luxuriös hier, aber das hatte er auch nicht unbedingt erwartet – genauso wenig wie die merkwürdigen Gestalten, die das Haus bevölkerten.

Die Alte mit der Kristallkugel wirkte zwar immerhin noch ganz harmlos, selbst der Muskelprotz im Rentenalter, der immer mit unbekleidetem Oberkörper und mit schweren Hanteln beladen herumlief, war wohl ein harmloser Spinner. Aber bei den anderen war er nicht ganz so sicher. Sicher war nur, dass er ganz bestimmt nicht so lange hierbleiben würde, um sich mit irgendjemandem aus diesem Haufen von Verrückten näher anzufreunden.

„Dad.“ Mackenzie unternahm einen neuen Vorstoß. „Hast du schon einmal daran gedacht, wieder zu heiraten?“

„Niemals!“

Die Frage schockierte ihn. Er hatte diesen Fehler einmal gemacht und würde ihn ganz sicher nicht wiederholen. Zwölf Jahre hatte er es mit Laura ausgehalten und dabei mehr über die Institution Ehe erfahren, als er jemals hatte wissen wollen.

„Bist du jetzt sauer?“

„Nein.“ Philip verstaute die Papiere in seiner Aktentasche. „Ich habe nur keine Lust, mit dir über dieses Thema zu diskutieren.“

„Daran ist Mom schuld, oder?“

Philip hatte keine Ahnung, was plötzlich in seine Tochter gefahren war. „Wie kommst du überhaupt darauf, dass ich wieder heiraten soll?“

„Vielleicht wünschst du dir ja noch einen Sohn.“

„Was soll ich mit einem Sohn, wenn ich dich habe?“

Mackenzie war sichtlich geschmeichelt. „Madam Fredrick hat in ihrer Kristallkugel eine neue Frau in deinem Leben gesehen.“

Philip musste lachen, so absurd erschien ihm allein die Vorstellung, er könnte wieder eine Frau haben wollen. Ausgerechnet er! Lieber watete er durch einen Sumpf voller Alligatoren oder sprang vom Zehnmeterbrett in fünf Zentimeter tiefes Wasser. Nein, solange er lebte, würde er nicht mehr heiraten.

„Carrie hat viel Ähnlichkeit mit mir.“

Darauf also lief es hinaus.

„Schluss damit“, sagte er und hob abwehrend die Hände. „Wahrscheinlich bin ich ein bisschen schwer von Begriff, aber allmählich dämmert mir, was du dir ausgedacht hast. Du willst mich mit dieser …“ Er konnte sich wirklich nicht mehr an diese Frau erinnern, deshalb fiel ihm auch keine passende Beschreibung ein. „Mit dieser Nachbarin verkuppeln.“

„Sie heißt Carrie und ist jung, attraktiv, intelligent und lustig.“

„Aha.“

„Ja. Und sie ist genau die richtige Frau für dich, wenn du mich fragst.“

„Ich frage dich aber nicht.“

„Ich bin nicht die Einzige, die das findet.“

„Wer denn noch?“ Er hatte es kaum gesagt, da wusste er schon, dass es ein Fehler gewesen war. Er lud seine Tochter damit regelrecht ein, ihn weiter mit dem Thema zu behelligen.

„Madam Fredrick zum Beispiel. Denk doch einmal darüber nach, Dad. Du bist im besten Alter und lebst nur noch für deine Arbeit. Du könntest dir ruhig einmal etwas gönnen.“

Wo sie nur diese Weisheiten aufgeschnappt hatte? „Ich baue ein Haus.“

„Ja, weil du Eindruck auf Mom machen willst. Damit sie merkt, was sie aufgegeben hat, als sie dich verlassen hat.“

Philip räusperte sich. Er hoffte nur, dass seine Tochter nicht recht hatte. Er wollte dieses neue Haus aus vielerlei Gründen, und keiner dieser Gründe hatte mit seiner geschiedenen Frau zu tun. Das nahm er jedenfalls an.

„Warum sollte deine Mutter sich für mein Haus interessieren?“

„Denk einmal nach, Dad, vielleicht kommst du dann darauf.“

Mackenzie schenkte ihm einen wissenden, verstehenden Blick, der ihn noch mehr irritierte und verärgerte.

„Wenn es dir recht ist, würde ich Laura gern aus dem Spiel lassen, ja?“

Seine Gefühle für seine frühere Frau waren längst tot. Er hatte lange genug versucht, eine gute Ehe zu führen. Selbst als er entdeckte, dass Laura eine Affäre hatte – die erste von einer ganzen Reihe –, war er noch willens gewesen, einen neuen Anfang zu machen. Eine Weile war es auch gut gegangen, aber wahrscheinlich hatte er sich auch das nur vorgemacht, weil er es unbedingt glauben wollte.

Die Scheidung war zu einem Zeitpunkt erfolgt, als schon lange nichts mehr zu retten gewesen war. Aber seine Tochter und seine Würde waren ihm geblieben, und darüber war er froh. Ganz bestimmt hatte er nicht vor, diesen mühsam errungenen Frieden zu riskieren.

„Willst du nicht wenigstens einmal mit Carrie ausgehen?“

„Was?“ Er konnte gar nicht glauben, dass dieses Kind sein eigen Fleisch und Blut war. „Mackenzie, ich flehe dich an! Kannst du nicht endlich damit aufhören? Ich habe weder vor, mit Carrie Westchester oder sonst irgendeiner Frau auszugehen.“

„Sie heißt Carrie Weston.“

„Es ist mir egal, wie sie heißt.“ Philip schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Er schmeckte bitter, und er schüttete ihn weg.

„Aber du könntest es doch wenigstens einmal versuchen. Vielleicht macht es dir ja Spaß.“

„Schluss damit! Ich will kein Wort mehr davon hören, verstanden?“ Offenbar hatte er den richtigen Tonfall getroffen, denn Mackenzie verfolgte das Thema nicht weiter. Darüber war er mehr als dankbar.

Wenig später fand er seine Tochter mitten im Wohnzimmer auf dem Boden sitzend, die Arme um sich geschlungen und mit sauertöpfischem Gesicht.

„Was hältst du davon, wenn wir zusammen losziehen und einen Weihnachtsbaum kaufen?“, schlug er vor. Was immer Mackenzie sich einreden mochte, es machte ihm alles andere als Spaß, mit ihr zu streiten.

Sie hob langsam und wie unter Schmerzen den Kopf. „Nein, danke“, erwiderte sie tonlos. Es schien sie unendliche Mühe zu kosten.

„Gut, wenn du nicht willst, lassen wir es.“

„Du hast doch selbst gesagt, dass es dieses Jahr viel zu lästig wäre.“

Natürlich fand er einen Baum lästig, aber er war gewillt, diese Last auf sich zu nehmen, wenn er seine Tochter damit von ihrem derzeitigen Thema abbringen würde. „Wir können ja einen kleinen nehmen.“

„Sie mag dich.“

Philip brauchte nicht nachzufragen, wer mit „sie“ gemeint war. Er presste die Lippen zusammen, um eine Bemerkung zu unterdrücken, die er später bereuen würde.

„Sie hat mir erzählt, wie es bei ihr war, als sie in meinem Alter war.“ Mackenzie verfolgte ihr Ziel mit ungebrochenem Willen. „Ihre Eltern haben sich scheiden lassen, als sie ungefähr fünf Jahre alt war, und danach ging ihre Mutter nie mehr aus. Sie wollte von Männern nichts mehr wissen. Sie war genau wie du. Und deshalb beschloss Carrie, selbst etwas zu unternehmen. Das kann man ihr wirklich nicht übel nehmen, finde ich. Und mir auch nicht.“

Mackenzie unterbrach ihren Redefluss nur so lange, wie sie brauchte, um neuen Atem zu schöpfen. „Als Carrie so alt war wie ich, war ihre Mutter nur noch unglücklich und völlig unausstehlich.“ Sie sah ihren Vater vielsagend an. „Es war genau wie bei dir.“

„Übertreib es nicht!“

„Jedenfalls musste etwas passieren, und deshalb hat Carrie diesem Mann Geld angeboten, damit er ihre Mutter einlädt. Ihr ganzes Taschengeld und das Geld, das sie beim Babysitten verdient hatte, ging dafür drauf! Sie hat für diesen Mann jeden Pfennig, den sie besaß, zusammengekratzt. Sie hätte alles getan, um ihre einsame, traurige Mutter noch einmal glücklich zu sehen.“

Philip hatte das seltsame Gefühl, als säuselten im Hintergrund romantische Geigen. „Wie edel“, bemerkte er mit einem Hauch Sarkasmus.

„Aber das war noch nicht alles.“

„Ach?“

Mackenzie ignorierte den Unterton in seiner Stimme. „Ihre Mutter war natürlich wütend, als sie davon erfuhr.“

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen.“ Philip verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an den Türrahmen. Ein Blick auf die Uhr machte mehr als deutlich, dass er nicht willens war, seine Geduld über Gebühr zu strapazieren, sondern dass er schon ziemlich nahe an seinen Grenzen angelangt war.

„Carrie ließ sich aber nicht einschüchtern. Sie wusste ja, dass sie recht hatte, und darum hat sie auch den zweiwöchigen Hausarrest klaglos hingenommen.“

Die Geigenklänge wurden lauter.

„Carrie nahm selbstverständlich nicht einfach den nächstbesten Mann, sondern hat sehr sorgfältig ausgewählt. Und so kam sie auf James oder wie er hieß. Der Name tut nichts zur Sache. Wichtig ist, dass Carrie ihre Mutter so gut kannte, dass sie genau den richtigen Mann für sie fand.“

Seine Tochter klang zunehmend wie eine Versicherungswerbung im Fernsehen. „Ich nehme an, diese Geschichte hat eine Pointe?“

„Klar.“ Mackenzies Augen leuchteten triumphierend auf. „Keine drei oder vier Monate später heiratete Carries Mutter diesen Jason.“

„Hast du nicht gesagt, dass er James heißt?“

„Der Name ist doch nicht wichtig“, entrüstete Mackenzie sich. „Es geht darum, dass er sie geheiratet hat und dass sie sehr, sehr glücklich zusammen sind.“

„Das muss Carrie aber ganz schön teuer gekommen sein, wenn man bedenkt, wie viel sie schon für die erste Verabredung hat bezahlen müssen.“

„Der Mann hat ihre Mutter natürlich umsonst geheiratet.“

„Ah, ich verstehe. Sie war sozusagen ein Sonderangebot.“

Mackenzie runzelte die Stirn. „Ich finde das nicht sehr komisch. Carrie hat mir erzählt, dass ihre Mutter jetzt schon seit elf Jahren sehr glücklich verheiratet ist. Dieser Jason ist ihre große Liebe. Jedes Jahr, zum Jahrestag der ersten Verabredung, schickt sie ihrer Tochter aus Dankbarkeit einen großen Blumenstrauß – derselben Tochter, die sie damals mit zwei Wochen Hausarrest bestraft hat und die sich trotzdem auf die Suche nach dem Traummann für ihre Mutter machte.“

Die Geigen waren verstummt und von einem Jubelchor abgelöst worden. Philip war versucht, zum Dirigentenstab zu greifen, aber er hielt sich vornehm zurück. Seine Tochter war in absoluter Hochform.

„Also“, schloss sie. „Willst du jetzt mit Carrie ausgehen oder nicht? Sie ist wirklich genau die richtige Frau für dich, Dad. Ich weiß doch genau, welche Leute du magst und welche nicht, und sie wird dir gefallen. Ganz bestimmt. Sie ist sehr nett und lustig.“

„Nein!“

„Ich weiß, ich habe nie ein Wort gesagt, aber ich hätte so furchtbar gern noch ein kleines Geschwisterchen. Carrie hat auch noch zwei Halbbrüder bekommen.“

„Nein, danke.“ Das Kind fing an, ihm Angst zu machen. Nicht nur sollte er mit einer Frau ausgehen, an die er sich praktisch gar nicht mehr erinnern konnte, sondern jetzt sollte er auch noch Kinder mit ihr zeugen.

„Du sollst es auch nicht tun, nur weil ich dich darum gebeten habe. Tu es für dich. Tu es, bevor dein Herz versteinert und du ein alter, verknöcherter Mann bist.“

„He, so weit ist es noch lange nicht. Ich habe mindestens noch vierzig Jahre vor mir.“

„Vielleicht.“ Mackenzie erhob sich. „Aber wie werden diese Jahre aussehen?“ Sie schritt hocherhobenen Hauptes und in königlicher Haltung aus dem Wohnzimmer.

Philip musste lachen. Er öffnete seinen Aktenkoffer und nahm eine Akte heraus. Aber dann zögerte er. Es war eine Sache, wenn seine Tochter als große Tragödin agierte, aber wenn eine erwachsene Frau ihr solch einen Unsinn in den Kopf setzte, dann musste er das unterbinden. Er konnte sich so gut wie nicht an diese Carrie Weston erinnern, aber es schien, als wäre sie doch ziemlich an ihm interessiert, wenn er es recht bedachte. Vielleicht sollte er einmal ein ernstes Wort mit ihr reden. Wenn sie seine Tochter benutzte, um sich an ihn heranzumachen, dann konnte sie sich auf etwas gefasst machen.

Entschlossen klappte er seinen Diplomatenkoffer zu und ging zur Tür.

„Wo willst du hin?“, rief Mackenzie ihm nach.

„Zu deiner Freundin“, schnappte er.

„Zu Carrie?“, fragte seine Tochter aufgeregt. „Du wirst es nicht bereuen, Dad, das verspreche ich dir. Sie ist wirklich nett. Wenn du dich noch nicht entschieden hast, wohin du mit ihr zum Essen gehen willst, schlage ich Henry‘s vor. Das ist in einer Seitenstraße vom Broadway, da, wo wir an meinem Geburtstag waren.“

Philip verzichtete darauf, seine Tochter darüber zu informieren, dass er keineswegs eine Einladung zum Essen im Sinne hatte.

Als er aus der Tür trat, stieß er fast mit der alten Schrulle mit der Kristallkugel zusammen.

„Guten Abend, Mr. Lark“, grüßte ihn Madam Fredrick mit einem wissenden Lächeln. Sie sah ihn an, dann ihre Kristallkugel, und ihr Lächeln wurde breiter.

„Bleiben Sie mir damit vom Leib“, knurrte er. „Ich wünsche nicht, dass Sie meine Tochter mit diesem Hokuspokus belästigen. Haben wir uns verstanden?“

„Wie Sie wünschen“, erwiderte die alte Dame würdevoll und rauschte wie eine Diva an ihm vorbei. Philip sah ihr nach. Sie erinnerte ihn eindeutig an seine Tochter. Er seufzte resigniert und ging weiter zur Treppe. In seiner Ungeduld nahm er immer zwei Stufen auf einmal.

Carrie öffnete sofort.

„Mr. Lark.“ Ihre Augen wurden groß und zeigten genau das richtige Maß an Überraschung, als hätte sie die letzte Viertelstunde vor dem Spiegel verbracht, um diesen Gesichtsausdruck zu üben.

„Wir beide müssen uns unterhalten.“

„Jetzt?“, fragte sie.

„Jetzt.“

3. Kapitel

Carrie Weston war ohne Zweifel reizend. Warum ihm das nicht schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen im Lift aufgefallen war, war Philip ein Rätsel. Ihre Augen waren von einem klaren Blau, einem Aquamarinblau fast, und ihr Blick war sehr intensiv und erwartungsvoll. Sie wirkte offen und warmherzig.

Philip brauchte eine Weile, bis ihm wieder einfiel, dass er ja hier war, um ein ernstes Wort mit Carrie Weston zu sprechen. Vielleicht war doch nicht ganz auszuschließen, dass ein winziges Körnchen Wahrheit in dem lag, was Mackenzie über ihn gesagt hatte, und er verknöcherte tatsächlich langsam. Dieser Gedanke ernüchterte ihn auf der Stelle.

„Ich muss mit Ihnen über Mackenzie sprechen“, brachte er ein wenig stockend hervor.

„Ihre Tochter ist ein reizendes Mädchen. Ich hoffe, ich habe sie nicht zu lange aufgehalten.“ Carrie griff nach ihrem Mantel.

„Nein, nein. Darum geht es auch nicht, sondern darum, dass Sie meiner Tochter erzählt haben …“

„Es tut mir leid, Mr. Lark, ich habe im Augenblick wirklich keine Zeit. Mittwochs bin ich immer mit Marias Katzen an der Reihe, und ich habe mich ohnehin schon verspätet.“

Vielleicht wollte sie sich nur drücken, aber Philip war entschlossen, das nicht zuzulassen. „Haben Sie etwas dagegen, dass ich Sie begleite?“

Carrie zeigte sich zwar milde überrascht, hatte aber keine Einwände. „Nein.“ Sie hob ein Paket mit Katzenfutter hoch.

Fünf Kilo, las Philip. Er wusste, dass die pensionierte Lehrerin lächerlich viele Tiere hielt. Gene hatte sich mehr als einmal bei ihm darüber mokiert, wenn er auch nichts dagegen unternahm, dass sie ständig neue Katzen auflas. Die alte Dame wohnte schon über fünfzehn Jahre hier und hatte ihre Miete immer pünktlich bezahlt. Und bis jetzt hatte sich auch keiner der anderen Mieter beschwert.

„Vielleicht wäre es besser, wenn Sie Ihren Mantel holen“, riet Carrie, während sie ihre Tür abschloss.

Philip fand das ein wenig merkwürdig. So kalt konnte es in der Wohnung doch gar nicht sein. Aber er gehorchte. „Na gut.“

Carrie wartete, während er die Treppe hinauflief. Er nahm zwei Stufen auf einmal. Kaum hatte er die Tür aufgeschlossen, stand schon Mackenzie vor ihm. „Wie findest du sie?“, wollte sie wissen.

„Noch gar nicht.“ Er nahm seinen Mantel vom Haken. „Ich helfe ihr schnell beim Katzenfüttern.“

Seine Tochter wirkte sehr zufrieden mit dieser Auskunft. „Wirklich? Das ist ja praktisch schon eine Verabredung.“

„Du liebe Güte, nein.“ Er fuhr in die Ärmel.

„Sie hat mich gefragt, ob ich nicht am Samstag mit ihr und ihren zwei Brüdern Plätzchen backen will. Ich darf doch, Dad?“

„Darüber unterhalten wir uns später.“ Carrie Weston war also schon dabei, sich bei seiner Tochter einzuschmeicheln. Das gefiel ihm ganz und gar nicht.

Mackenzie nickte nur, aber sie wirkte ein wenig besorgt, als er zur Tür ging.

Philip konnte nicht genau sagen, warum er vorgeschlagen hatte, Carrie zu begleiten. Zwar war es wichtig, einige Dinge klarzustellen, aber dafür musste er nicht unbedingt mit einer Tüte Katzenfutter hinter ihr herdackeln.

„Maria liebt Tiere“, erklärte Carrie, als sie in den Lift traten und nach unten fuhren. „Aber ich finde es nicht gut, wenn sie nachts allein draußen herumläuft, um streunende Katzen zu füttern.“ Philip fing an zu begreifen. „Maria nennt sie immer ihre Straßenkinder.“

Er hoffte nur, dass die Hausverwaltung nichts von diesen Zuständen erfuhr.

Sie traten in die kalte Nachtluft hinaus, und ihr Atem kristallisierte sofort zu einer weißen Nebelwolke.

„Wie oft füttert sie die Katzen?“, fragte Philip, als er Carrie die schlecht beleuchtete Straße hinunter folgte.

„Jeden Abend.“

Wenig später bogen sie in eine fast völlig dunkle Allee. Wenn Carrie es nicht ratsam fand, dass Maria nachts allein hier herumwanderte, dann konnte man das auch von ihr sagen.

Sie hatten etwa die Hälfte der Allee hinter sich gebracht, als Philip das erwartungsvolle Miauen hörte. Carrie schüttete großzügig Futter auf den Boden, und im nächsten Augenblick stürzten die Tiere sich schon darauf. Ein großer Kater rieb sich an ihrem Bein, und sie bückte sich, um ihn zu streicheln. „Das ist Brutus“, stellte sie vor. „Und das sind Jim Dandy, Knopfnase, Falke und die Bienenkönigin.“

„Haben Sie sie so getauft?“

„Nein, das war Maria. Die meisten Katzen leben schon so lange auf der Straße, dass sie sich nicht mehr umgewöhnen können. Maria hat Brutus gesund gepflegt, nachdem er in einem Kampf ein Auge verloren hatte. Er war halb tot, als sie ihn fand. Er ließ sich zwar ihre Fürsorge gefallen, aber kaum war er wieder gesund, zog es ihn wieder hinaus. Ich glaube, er war Marias erster Pflegling. Danach fing sie an, die streunenden Katzen zu füttern. Inzwischen wechseln wir uns ab. Einmal die Woche helfe ich ihr, an den anderen Tagen Arnold und zwei andere Hausbewohner.“

All dieses Gerede über Katzen war zwar gut und schön, aber Philip hatte im Moment etwas anderes im Kopf. „Wie schon gesagt, möchte ich mich mit Ihnen über Mackenzie unterhalten.“

„Ja, gern.“ Carrie streichelte jede Katze zum Abschied und richtete sich dann wieder auf.

„Sie kam gestern nach Hause und präsentierte mir diesen albernen Vorschlag, dass wir beide zusammen ausgehen sollten.“

Carrie hatte immerhin genug Anstand, um zu erröten. Das befriedigte ihn. „Ich fürchte, den Floh habe ich ihr ins Ohr gesetzt, Mr. Lark. Es ist mir wirklich sehr peinlich. Eigentlich hatten wir uns nur über meine Eltern unterhalten.“

„Ja, ich weiß. Sie haben sich scheiden lassen, als Sie vier oder fünf Jahre alt waren“, sagte Philip. Er gab es ja nur ungern zu, aber er genoss Carries Verlegenheit. Schließlich kannte er seine Tochter nur zu gut und wusste sehr wohl, wie geschickt sie einem Gespräch genau die Wendung geben konnte, die ihr passte. Die arme Miss Weston hatte keine Chance gehabt. „Mackenzie hat mir auch erzählt, dass Sie einen Mann dafür bezahlt haben, dass er mit Ihrer Mutter ausgeht.“

„Oje.“ Carrie schloss für einen Moment die Augen. „Kein Wunder, dass Sie davon nicht begeistert waren.“ Sie sah Philip schuldbewusst an. „Aber Jason hat von meinem Angebot natürlich keinen Gebrauch gemacht.“

„Aber er hat sich mit Ihrer Mutter verabredet.“

„Es war alles ein bisschen anders, aber das tut nichts zur Sache. Ich wollte Ihre Tochter nicht auf dumme Gedanken bringen, obwohl ich so etwas schon befürchtet hatte, und ich werde mein Möglichstes tun, sie wieder davon abzubringen. Natürlich hatte ich nicht damit gerechnet, dass sie jedes Wort brühwarm weitererzählen würde.“

„Meine Tochter hat einen eigenen Kopf, und Sie gefallen ihr.“ Mackenzie brauchte unbedingt ein positives weibliches Leitbild. Ihre Mutter hatte sich wahrhaftig nicht besonders viel um sie gekümmert, und er selbst konnte diesen Mangel nicht ausgleichen, auch wenn er es noch so gern getan hätte. Es tat ihm immer weh, wenn er hörte, dass Mackenzie Laura auch noch zu entschuldigen versuchte.

Carrie führte ihn auf ein unbebautes Grundstück. Auf dem Weg erzählte sie ihm einiges von sich: Sie arbeitete für eine Computerfirma, hatte ihre Familie hier in der Gegend und betete ihre zwei kleinen Halbbrüder an.

Sie hatten das Grundstück kaum betreten, als etwa ein Dutzend Katzen aus dem Schatten auftauchte. Offensichtlich hatten sie schon auf Carrie gewartet. Sie sprach leise zu ihnen und verteilte dann das Futter auf einige Stellen.

„Mackenzie hat mich sehr daran erinnert, wie ich selbst in diesem Alter war“, gestand sie, als sie fertig war. „Das hat nicht nur mit der Scheidung meiner Eltern zu tun. Aber man könnte sagen, dass ich in gewisser Weise auch keine Mutter hatte. Natürlich war sie da, aber ich hatte nicht viel von ihr. So ähnlich geht es Ihrer Tochter wohl mit Ihnen.“

„Wollen Sie damit sagen, dass ich kein guter Vater bin?“, fragte Philip ein wenig beleidigt.

„Nein, natürlich nicht. Am besten sage ich gar nichts mehr, nachdem Sie anscheinend so entschlossen sind, mich dauernd falsch zu verstehen. Ich entschuldige mich dafür, dass ich Mackenzie auf abwegige Gedanken gebracht habe. Aber seien Sie versichert, Mr. Lark, dass ich nicht die Absicht habe, Ihre Tochter dazu zu benutzen, um mir sozusagen eine Verabredung mit Ihnen zu erschleichen.“

„Bleibt es beim Plätzchenbacken am Samstag?“, fragte Philip. Er hoffte es sehr, denn sonst bekam er ernste Schwierigkeiten mit seiner Tochter.

„Heißt das, dass Sie nichts dagegen haben?“

„Nein, natürlich nicht. Ich wollte nur für klare Verhältnisse zwischen uns sorgen. Ich bin an Ihrer näheren Bekanntschaft nicht interessiert. Das ist nicht persönlich gemeint. Sie sind jung und attraktiv und werden eines Tages einen Mann sehr glücklich machen. Aber dieser Mann werde nicht ich sein.“

„Ich würde nicht im Traum daran denken …“ Carrie unterbrach sich und sah Philip böse an. „Keine Angst, Mr. Lark. Sie haben nichts von mir zu befürchten.“

„Gut. Dann verstehen wir uns ja.“

Das war ja wohl der Gipfel! Carrie zerrte die Handschuhe von den Fingern und hängte ihren Mantel auf. Dann setzte sie sich in einen Sessel und verschränkte die Arme vor der Brust. Aber lange hielt sie es nicht so unbewegt aus, und sie sprang auf und ging wütend auf und ab.

Philip Lark besaß die Unverfrorenheit, sie zu beschuldigen, sie benutze seine Tochter, um ihn kennen zu lernen! Was für ein aufgeblasener und eingebildeter Kerl. So ein selbstverliebtes, eitles Exemplar Mann war ihr bisher noch nicht untergekommen. Und wenn er der letzte Mann auf Erden wäre, würde sie nicht mit ihm ausgehen!

Das Telefon klingelte, und sie sah es vorwurfsvoll an, bevor sie schließlich doch den Hörer abnahm.

„Carrie?“, flüsterte ihr Stiefvater.

„Ja?“, gab sie ebenso leise zurück. „Gibt es einen Grund dafür, dass du so flüsterst?“

„Deine Mutter soll nicht mitbekommen, dass ich dich anrufe.“

„Aha.“ Carrie lächelte.

„Ich habe heute Nachmittag für Charlotte ein Weihnachtsgeschenk bestellt“, verkündete er stolz.

Carrie wusste, wie schwer er sich mit dem Schenken tat. Bevor er ihre Mutter kennen gelernt hatte, war er überzeugter Junggeselle gewesen und völlig ungeübt darin, gerade Frauen Geschenke zu machen. Zum ersten Weihnachtsfest nach der Hochzeit hatte er Charlotte eine Kegelkugel, eine Jahreskarte fürs Baseballstadion und einen Staubsauger gekauft. Danach hatte Carrie dafür gesorgt, dass seine Geschenke ein wenig persönlicher ausfielen.

„Du weißt doch, wie leidenschaftlich deine Mutter Flohmärkte und Haushaltsauflösungen liebt.“ Leidenschaftlich ist noch milde ausgedrückt, dachte Carrie. „Ein Freund von mir hat vor Kurzem einen Mietwagenverleih mit Chauffeur aufgemacht, und ich habe mit ihm vereinbart, dass er deine Mutter an einem Samstag von einem Flohmarkt zum anderen kutschiert. Die Route bestimmt sie. Wie findest du das?“ Vor Aufregung wurde seine Stimme lauter. „Darüber freut sie sich doch bestimmt, oder?“

Carrie musste lächeln. „Sie wird begeistert sein.“

„Das dachte ich mir auch“, sagte Jason stolz. „Jeff gibt mir außerdem zwanzig Prozent Nachlass.“

„Ich finde es übrigens sehr nett von dir, dass du mit Mom Weihnachtseinkäufe machen willst.“

„Was tut man nicht alles, um seiner Frau eine Freude zu machen.“ Dem Klang seiner Stimme nach zu schließen, schien seine Vorfreude trotzdem nicht besonders groß zu sein.

„Doug und Dillon kommen in der Zeit zu mir. Wir wollen zusammen Plätzchen backen.“

„Es gibt keinen anderen Menschen auf der Welt, von dem ich mich so kurz vor Weihnachten zum Einkaufen in die Stadt schleppen ließe.“

„Das ist wahre Liebe.“ Carrie hatte noch nie an dieser Liebe gezweifelt. Ihre Mutter und Jason passten zusammen, als wären sie füreinander geschaffen. Das stellte sie selbst manchmal vor ungeahnte Schwierigkeiten. Seit Jason ihr Stiefvater geworden war, maß sie jeden Mann an ihm.

Jason war vielleicht nicht unbedingt der große romantische Held – sie musste jedes Mal lachen, wenn sie an das Gesicht ihrer Mutter dachte, als sie die Kegelkugel ausgepackt hatte –, aber er war ein sehr liebevoller Ehemann. Und sie selbst hätte sich keinen besseren Vater wünschen können. Es war nicht einfach, einen Mann zu finden, der ihm das Wasser reichen konnte.

Es klingelte an Carries Tür.

„Ich verabschiede mich“, sagte Jason. „Versprich mir, dass du deiner Mutter nichts verrätst.“

„Meine Lippen sind versiegelt“, erklärte Carrie feierlich. Eine Luxuslimousine mit Chauffeur, um ihre Mutter zu Flohmärkten und Haushaltsauflösungen zu fahren! Sie schüttelte mit einem Lächeln den Kopf und legte den Hörer auf. Was für ein Einfall.

Sie lief zur Tür. Hoffentlich kam kein Besuch. Sie war müde und hatte Hunger und nicht die geringste Lust auf Unterhaltung.

„Hallo!“, sagte Mackenzie und sah Carrie erwartungsvoll an. „Wie war es mit Dad?“ Carrie betrachtete sie düster. „So schlimm?“ Mackenzie lachte fröhlich. „Machen Sie sich nichts daraus. Es wird sicher besser, wenn er sich erst daran gewöhnt hat.“

„Jetzt hör mir einmal zu, Mackenzie. So geht das nicht. Dein Vater ist nicht sehr glücklich über deinen Kuppelversuch, und ich bin es auch nicht, wenn ich ehrlich bin. Ich …“

„Ich muss leider gleich wieder weg. Mein Vater weiß nicht, dass ich hier bin. Aber ich musste einfach mit Ihnen reden, bevor Sie Ihr Herz an ihn verlieren. Lassen Sie sich nicht entmutigen. Er braucht einfach nur Zeit.“ Sie lachte breit und schenkte Carrie einen aufmunternden Blick. „Ich finde das alles ja so wahnsinnig aufregend. Wenn ich Jane erst erzähle, wie ich eine neue Frau für Dad gefunden habe! Jane war nämlich meine beste Freundin, bis wir umgezogen sind. Bis Samstag dann.“ Damit war sie verschwunden.

Carrie machte die Tür zu und schloss die Augen. Sie fühlte sich ausgelaugt und niedergeschlagen.

Jemand klopfte laut an die Tür, und sie fuhr zusammen.

„Was ist denn jetzt noch?“, fragte sie ungeduldig.

Diesmal standen Madam Fredrick und Arnold, der Muskelmann, draußen. Beide betrachteten sie freundlich und mit unverhohlener Neugier.

„Hat sie ihn schon kennen gelernt?“, fragte Arnold.

Madam Fredrick lächelte geheimnisvoll. „Schauen Sie selbst.“ Sie hob ihre Kristallkugel hoch und strich mit der Hand über die schimmernde Oberfläche. „Ein Blick, und Sie wissen alles.“

4. Kapitel

Eine feine Mehlschicht lag über der Küche. Carrie wedelte hüstelnd mit der Hand, um die Luft ein wenig klarer zu machen. Würziger Lebkuchenduft zog durch ihre Wohnung. Es roch heimelig nach weihnachtlichem Backvergnügen.

Der sechsjährige Dillon stand auf einem Stuhl und schaute fasziniert in die Küchenmaschine, die den Plätzchenteig durchknetete. Sein Bruder Doug wartete an der Arbeitsfläche, die Ärmel bis über die Ellbogen hochgerollt und mit einem Nudelholz in der Hand, auf den fertigen Teig, während Mackenzie gerade frisch gebackene Plätzchen vom Blech nahm und sie zum Abkühlen auf ein Gitter legte.

„Ob man die Eierschalen nicht doch herausschmeckt?“, fragte sie ein wenig zweifelnd.

„Im Rezept stand ‚zwei Eier‘“, rechtfertigte Dillon sich ein wenig trotzig. „Und Carrie hat gesagt, ich soll das ganze Ei nehmen. Woher soll ich wissen, dass sie es ohne Schale gemeint hat?“

„So etwas weiß man einfach“, erklärte Doug mit milder Verachtung und spielte die ganze Überlegenheit des älteren Bruders aus. Niemals wäre ihm ein so dummer Fehler unterlaufen.

Carrie griff vorsichtshalber ein. „Nur keine Aufregung. Niemand wird etwas merken. Außerdem können ein paar Proteine extra nie schaden.“ Sie hatte den größten Teil der Eierschalen wieder aus dem Teig fischen können, und der Rest war so zerkleinert, dass jede sichtbare Spur verschwunden war.

Mackenzie verdrehte ausdrucksvoll die Augen. Aber sie war glücklich, auch wenn sie sich jetzt etwas enerviert gab. Sie erinnerte Carrie immer mehr an ihre eigene Teenagerzeit vor über zehn Jahren. Mit den beiden kleinen Jungen war sie vom ersten Moment an gut ausgekommen, und es dauerte keine Stunde, da waren die drei die dicksten Freunde.

„Ich will die Plätzchen verzieren“, rief Dillon, als er sah, dass Carrie mit dem Zuckerguss fertig war.

„Aber du leckst immer das Messer ab“, warf Doug ihm sofort vor. „Das geht nicht, wenn wir die Plätzchen verschenken wollen.“

Carrie machte dem drohenden Streit ein Ende, noch bevor er angefangen hatte. „Wer probiert den ersten Lebkuchen?“

Die drei Kinder sahen sich gegenseitig an. „Dillon“, beschloss Doug dann.

„Mir macht es gar nichts aus“, erklärte der tapfer. „Außerdem hat Carrie gesagt, dass man die Eierschalen überhaupt nicht merkt.“ Er kletterte von seinem Stuhl auf den Boden und nahm sich einen Lebkuchen. „Vielleicht sollten wir vorsichtshalber Zuckerguss daraufstreichen“, schlug er hoffnungsvoll vor.

Carrie folgte seiner Anregung und gab ihm das Plätzchen dann. Dillon schloss die Augen und biss vorsichtig ein kleines Stück ab. Die anderen warteten gespannt auf seine Reaktion. Ein zweiter Versuch folgte.

„Vielleicht sollte ich noch eines essen, damit ich nichts Falsches sage“, meinte Dillon. „Sicherheitshalber.“

Carrie blieb ernst und reichte ihrem kleinen Bruder eine weitere Kostprobe.

„Es ist wohl besser, wenn ich auch probiere“, sagte Doug und steckte sich selbst einen Lebkuchen in den Mund. „Nicht schlecht“, erklärte er dann mit vollem Mund und lächelte breit.

„Wir dürfen auch welche behalten, oder?“, fragte Dillon.

„Ja, natürlich. Aber ihr wisst, dass ich Arnold, Maria und Madam Fredrick einen Plätzchenteller versprochen habe.“

„Kann ich jetzt mit dem Verzieren anfangen?“ Dillon schob seinen Stuhl zu Carrie.

„Ich auch!“

„Ich auch!“ Mackenzie stimmte in den Chor mit ein.

Zwei Stunden später war Carrie völlig erschöpft. Doug und Dillon hatten abgewaschen und lagen nun vor dem Fernseher und schauten sich ihren Lieblingsvideofilm an. Mackenzie verwandelte Plätzchen mit kandierten Fruchtstückchen und Liebesperlen hingebungsvoll in Gesichter.

„Dad kommt schon wieder zu spät“, sagte sie mit dem Seufzer einer an langes Leiden gewöhnten Tochter. „Es ist immer dasselbe. Das ist wirklich kein Leben, das er da führt.“ Sie riskierte einen schnellen Blick zu Carrie.

„Was haben wir beide vereinbart?“ Carrie drohte ihr mit dem Finger.

„Ja, ich weiß.“ Tiefe Hoffnungslosigkeit klang aus Mackenzies Stimme.

Carrie und sie hatten ein Abkommen getroffen, dass Philip Lark in ihren Unterhaltungen nicht mehr auftauchen würde. Das war zwar eine ziemlich drastische Maßnahme, aber Carrie wusste genau, dass Mackenzie sonst jede Gelegenheit ergreifen würde, das Klagelied über ihren armen, einsamen Vater, der praktisch vor ihren Augen versauerte und vergreiste, anzustimmen. Carrie konnte den Text fast wörtlich aufsagen.

Sie hatte zwei lange Tage damit verbracht, Mackenzie beizubringen, dass sie keinerlei romantisches Interesse an Philip hatte, auch wenn sie angeblich noch so ideal zusammenpassten. Von ihrem Vater bekam Mackenzie vermutlich etwas ganz Ähnliches zu hören. Philip war so wenig wie Carrie davon angetan, dass seine Tochter ihn verkuppeln wollte. In den drei Tagen seit ihrem ersten Zusammentreffen waren sie sich betont aus dem Weg gegangen, um in Mackenzie keine unsinnigen Hoffnungen zu nähren und ihr womöglich die Illusion zu vermitteln, dass ihr Plan Erfolg hatte.

„Es ist ein Jammer“, meinte Mackenzie jetzt und sah Carrie dabei vorwurfsvoll an. „Madam Fredrick findet das auch, genauso wie Arnold und Maria.“

„Es reicht!“, sagte Carrie laut genug, um vorübergehend die Neugier ihrer Brüder zu wecken. Aber als nichts nachkam, schwand ihr Interesse schnell wieder.

Als Mackenzie mit dem Verzieren ihrer Plätzchen fertig war, füllte Carrie drei Pappteller, spannte eine Folie darüber und wickelte zum Schluss ein buntes Band darum.

„Ich will zu Arnold gehen“, rief Doug, der eine heftige Zuneigung zu dem ehemaligen Gewichtheber gefasst hatte. Von seinem glänzenden Glatzkopf über den dichten Schnurrbart bis hin zu den sich massiv wölbenden Muskeln bot Arnold das leibhaftige Bild eines ehemaligen Zirkushelden. Sein einziges Zugeständnis an die moderne Zeit waren knallrote Kunststoffshorts, die er über seinen blauen Strumpfhosen trug. Doug sah in ihm die Verkörperung seines Idols Superman.

„Und ich will zu Maria. Darf ich ihre Katzen streicheln?“, wollte Dillon wissen.

„Bestimmt.“ Damit stand auch sein Ziel fest.

„Dann bleibt für mich Madam Fredrick“, stellte Mackenzie fest und wirkte mit ihrem Los außerordentlich zufrieden. Carrie lächelte.

Die drei Kinder verschwanden mit ihren Plätzchentellern, und Carrie ließ sich ermattet aufs Sofa fallen. Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und gab sich ganz der Ruhe und dem Frieden hin. Der Genuss währte nicht lange. Nur Minuten später tauchten Mackenzie und Dillon wieder auf, dicht gefolgt von Doug.

„Sie ist da drin“, hörte Carrie ihren Halbbruder sagen, und als sie die Augen aufschlug, entdeckte sie, dass er Philip Lark im Schlepptau hatte.

Sie sah bestimmt entsetzlich aus. Nicht nur war sie über und über mit Mehl bestäubt, sondern sie hatte sich heute Morgen auch nicht die Mühe gemacht, sich zu schminken, und trug zu allem Überfluss ausgerechnet ihre ältesten Jeans. Was musste Philip von ihr halten! Sie sah bestimmt wie eine Vogelscheuche aus!

„Dad!“, begrüßte Mackenzie ihren Vater begeistert.

Carrie sprang verlegen auf und zog schnell ihre Schürze aus. Viel half das vermutlich auch nicht. Philip betrachtete sie mit Interesse.

„Ich hätte klingeln sollen“, stellte er fest und sah Doug an. „Aber Ihr kleiner Freund bestand darauf, dass ich einfach mitkomme.“

„Das ist schon in Ordnung.“ Carries Zunge war wie gelähmt, und sie wrang nervös die Hände. Genauso hatte ihre Mutter sich Jason gegenüber auch verhalten. Das hatte sie damals nie verstanden. Mit keinem Menschen konnte man sich leichter unterhalten als mit Jason, niemand war umgänglicher als er. Aber jetzt bekam sie eine Ahnung davon, was ihre Mutter durchgemacht hatte.

„Hat meine Tochter sich anständig benommen?“, fragte Philip.

„Sie war mir eine sehr große Hilfe“, erwiderte Carrie ein wenig steif.

„Hat Mom angerufen?“, wollte Mackenzie voller Hoffnung von ihrem Vater wissen.

Philip schüttelte den Kopf, und Enttäuschung trat in Mackenzies Blick. „Sie hat um diese Zeit immer so viel zu tun“, erklärte sie, ohne jemanden im Besonderen anzusprechen. „Kein Wunder, dass sie nicht angerufen hat, wenn sie den Kopf so voll hat.“

Carrie musste an sich halten, um sie nicht in den Arm zu nehmen und zu trösten. Für ihre dreizehn Jahre war sie rührend tapfer.

„Hast du Lust, mit mir ins Kino zu gehen?“, fragte Philip unvermittelt. „Es muss schon eine Ewigkeit her sein, seit wir beide uns zum letzten Mal zusammen einen Film angeschaut haben.“

Mackenzies Miene hellte sich sichtlich auf. „Meinst du das im Ernst?“

„Ja, natürlich. Du darfst dir den Film aussuchen.“

„Können wir Doug und Dillon mitnehmen?“

„Ich habe nichts dagegen.“ Philip lächelte.

„Und Carrie?“

„Ich sollte nicht …“, begann Carrie, um ihm die unvermeidliche Peinlichkeit zu ersparen.

Doug sprang in die Bresche. „Du hast doch gesagt, dass wir mit dem Plätzchenbacken fertig sind. Da kannst du doch mit ins Kino gehen.“

„Sie sind natürlich auch sehr herzlich eingeladen“, sagte Philip und sah Carrie an. Er wirkte ehrlich. Offenbar war er der Überzeugung, dass ihm mit drei Anstandsbegleitern keine Gefahr drohte.

„Störe ich Sie bestimmt nicht?“

„Quatsch“, erklärte Mackenzie entschieden. „Mein Vater sagt nie etwas, wenn er es nicht so meint. Das stimmt doch, Dad, oder?“

„Ja.“ Das klang nicht mehr ganz so sicher, aber sein Lächeln war aufrichtig.

Carrie war halb versucht, ihn allein mit den Kindern ziehen zu lassen, aber dann überlegte sie es sich doch anders. Doug hatte recht. Ein Kinobesuch war nach all der Hektik jetzt genau das richtige Mittel zum Entspannen. Und was sollte schon passieren, wenn sie drei Kinder dabeihatten? In ihrer Naivität vergaß sie, dass Kinder sich im Kino gern von Erwachsenen distanzierten. Und ehe sie und Philip sich noch versahen, strebten Doug, Dillon und Mackenzie auch schon von ihnen weg und ließen sich einige Reihen vor ihnen nieder.

„Aber ich dachte, wir wollten alle zusammensitzen“, rief Carrie mit einem Hauch Verzweiflung in der Stimme.

Dillon drehte sich zu ihr um. „Wir sind doch keine Babys mehr“, teilte er ihr mit der ganzen Würde eines Sechsjährigen mit.

Carrie ließ sich ein wenig unglücklich neben Philip in den Kinosessel sinken. Er schien so wenig glücklich wie sie über diese Entwicklung.

„Popcorn?“, fragte er schließlich und hielt ihr seinen überdimensionalen Topf hin.

„Nein, danke.“ Carrie sah auf ihre Uhr. Hoffentlich fing der Film bald an und erlöste sie aus dieser Lage. „Sie denken jetzt doch hoffentlich nicht, dass ich das alles arrangiert habe“, flüsterte sie kaum hörbar.

„Was sollen Sie arrangiert haben?“

„Dass wir beide allein hier sitzen.“

Bei seiner Neigung, Vorwürfe auszuteilen, war genau das zu befürchten. Nicht dass sie es ihm übel genommen hätte. Schließlich hatte sie, wenn auch, ohne es zu wollen, Mackenzie erst so richtig auf die Idee gebracht, die Kupplerin zu spielen. Als hätte sie sich nicht gleich denken können, dass das Mädchen sich ihre eigenen Kuppelversuche mit ihrer Mutter zum Vorbild nehmen würde.

„Wie kommen Sie denn darauf?“

„Vielleicht darf ich Sie an unsere letzte Unterhaltung erinnern“, erwiderte Carrie etwas pikiert. „Sie schienen zu befürchten, dass ich Sie verführen will.“

Philip lachte laut heraus und besaß nicht einmal den Anstand, Reue zu zeigen. „Ich habe mich nicht um mich gesorgt, sondern schlicht darum, dass Mackenzie uns beiden das Leben zur Hölle macht. Ich entschuldige mich, wenn ich unhöflich war. Aber ich wollte uns nur vor den Launen und Eskapaden meiner dickköpfigen Tochter bewahren.“

Ganz so hatte Carrie das Gespräch nicht in Erinnerung.

„Ich würde es niemals meiner Tochter überlassen, eine Frau für mich zu suchen“, fügte Philip hinzu, als erklärte das alles. „Und jetzt entspannen Sie sich endlich und genießen Sie unseren kleinen Ausflug.“ Er hielt ihr noch einmal seinen Popcorntopf hin, und diesmal bediente Carrie sich großzügig.

Er lächelte, und dann ging langsam das Licht aus, und der Vorhang glitt zur Seite.

Sie hatten sich für einen Zeichentrickfilm entschieden, und er war wirklich ausgesprochen lustig. Carrie ließ sich bald völlig in seinen Bann ziehen. Ihr fiel auf, dass Philip an denselben Stellen wie sie lachte, und wenn noch ein Rest Spannung zwischen ihnen bestanden hatte, dann war er im gemeinsamen Lachen bald verschwunden.

Carrie fand, dass der Film viel zu schnell zu Ende war. Und das lag nicht nur daran, dass sie sich so gut amüsiert hatte, sondern sie fand es einfach schön, neben Philip zu sitzen. Zu ihrer Überraschung entdeckte sie, dass sie ihn mochte. Fast wünschte sie sich, sie hätte etwas an ihm finden können, was sie abstieß.

Er hatte mehr als deutlich gemacht, dass er nicht an einer näheren Bekanntschaft mit ihr interessiert war. Mit ihr nicht und auch mit keiner anderen Frau. Aber das half ihr auch nicht weiter. Sie wünschte ihn sich arrogant, schroff und abweisend. Aber stattdessen hatte er Humor und konnte richtig nett sein. Sie wusste, warum er mit Mackenzie ins Kino gegangen war: um ihr über die Enttäuschung mit ihrer Mutter hinwegzuhelfen. Er liebte seine Tochter und wollte sie vor dem Schmerz schützen.

„Der Kinobesuch war eine nette Idee“, sagte Carrie, als sie das Kino verließen. Die Kinder waren schon vorausgelaufen. „Der Film hat Mackenzie von ihrer Enttäuschung abgelenkt.“

„Ich weiß nicht, ob die Idee wirklich so gut war“, gab Philip ein wenig düster zurück und warf seinen Popcornbehälter in den Abfalleimer.

„Warum nicht?“

Er drehte sich zu ihr um und sah sie lange an. „Weil ich feststelle, dass ich Sie mag.“

Ihre Reaktion musste sich in ihrem Blick widergespiegelt haben, denn seine Augen wurden schmaler. „Sie haben es auch gespürt“, stellte er fest.

Sie hätte gern gelogen, aber sie konnte es nicht. „Ja“, flüsterte sie.

„Aber ich bin nicht der Richtige für Sie“, teilte er ihr streng mit.

„Mit anderen Worten, ich bin die Falsche für Sie.“