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Wir sind viele E-Book

Rob Knight

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Beschreibung

Sie sind zum größten Teil gar nicht Sie selbst! In Ihrem Körper existiert eine ganz eigene Welt aus unzähligen Bakterien, Mikroben und anderen Lebensformen. Der Mikrobiologe Rob Knight und der Wissenschaftsjournalist Brendan Buhler zeigen, welch enormen Einfluss die winzigen Mitbewohner unserer Körper haben und wie wir die Erkenntnisse der Wissenschaft nutzen können, um beispielsweise Gesundheit, Wohlbefinden und sogar unsere Laune zu verbessern. +++ mit farbigen Infografiken +++

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Rob Knight

Wir sind viele

Wie kleine Mikroben einen großen Einfluss auf uns haben

Aus dem Englischen von Martina Wiese

FISCHER digiBook

Unter Mitarbeit von Brendan Buhler

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

[Widmung]Einleitung1 Der mikrobielle KörperHautNase und LungeMund und MagenDarmGenitalien2 Wie wir unser Mikrobiom erwerben3 In Gesundheit und KrankheitChronisch-entzündliche DarmerkrankungenFettleibigkeitAllergien und AsthmaKwashiorkor4 Die Darm-Hirn-Achse – wie Mikroben unsere Stimmung, unser Denken und noch mehr beeinflussenEine kurze Geschichte der Bazillen5 Die Manipulation des MikrobiomsPräbiotikaProbiotikaFäkaltransplantationenImpfstoffe6 Antibiotika7 Die ZukunftAnhang: American GutWissenschaft (und Kunst) der Kartierung des MikrobiomsDankLiteraturDer TED Talk von [...]Kleine Bücher – große Ideen![Mehr Information]

Meinen Eltern Allison und John, für ihre Gene, Ideen und Mikroben

Einleitung

Wir alle wissen: Der Mensch, Zweibeiner, edel durch Vernunft, unbegrenzt an Fähigkeiten, Erbe der Schöpfung, hat nie auch nur eine einzige Endbenutzer-Lizenzvereinbarung gelesen. Er begnügt sich damit, auf »Akzeptieren« zu klicken. Doch in uns steckt noch weit mehr als das: Billionen winziger Lebewesen, die in unseren Augen und Ohren und in dem grandiosen Wohnsitz hausen, den wir Darm nennen. Diese mikroskopische Welt in unserem Körper besitzt das Potential, unser Verständnis von Krankheit, Gesundheit und uns selbst auf den Kopf zu stellen.

Dank neuer Technologien, die großenteils erst in den letzten Jahren entwickelt wurden, weiß die Wissenschaft über die mikroskopischen Lebensformen in uns heute mehr als jemals zuvor. Und dabei zeigt sich Erstaunliches. Diese Einzeller – Mikroben – sind nicht nur viel zahlreicher als gedacht und besiedeln in Unmengen fast jeden Winkel des Körpers. Sie sind auch von größerer Bedeutung, als wir je vermutet hätten, und sie beeinflussen nahezu jeden Aspekt unserer Gesundheit, ja selbst unserer Persönlichkeit.

Die Gesamtheit der mikroskopischen Kleinstlebewesen, die sich in und auf uns heimisch fühlen, bezeichnet man als menschliche Mikrobiota und ihre Gene als menschliches Mikrobiom. Und wie bei so vielen wissenschaftlichen Durchbrüchen versetzen die Fakten, die sich allmählich über diesen Mikrokosmos herauskristallisieren, unserem Ego einen herben Dämpfer. Die Astronomie hat uns gelehrt, dass unser Planet nicht der Mittelpunkt des Universums ist, und laut der Evolutionslehre ist der Mensch nur ein Tier unter vielen. Nun verrät uns die Erfassung des menschlichen Mikrobioms, dass wir sogar in unserem eigenen Körper von einem Chor eigenständiger (und in Wechselwirkung stehender) Lebensformen mit eigenen Zielen und Plänen übertönt werden.

Wie viele Mikroben (oder auch »Keime«) leben denn nun in uns? Wir bestehen aus etwa 10 Billionen menschlichen Zellen – doch etwa 100 Billionen mikrobielle Zellen befinden sich in und auf unserem Körper.[1] Und das bedeutet: Wir sind im Grunde nicht wir selbst.

Wir sind jedoch nicht nur, wie wir das kennen, einfach unglückselige Wirte böser Bazillen, die uns gelegentlich eine Infektion bescheren. In Wahrheit leben wir in ständigem Einklang mit einer ganzen Gemeinschaft von Keimen. Weit davon entfernt, bloß untätige Passagiere zu sein, üben diese kleinen Organismen einen wesentlichen Einfluss auf die meisten der grundlegenden Prozesse in unserem Körper aus – etwa auf die Verdauung, auf die Immunabwehr und sogar darauf, wie wir uns verhalten.

Die Gemeinschaft der Mikroben in unserem Innern ist eigentlich eher eine Ansammlung verschiedener Gruppen. Unterschiedliche Arten von Spezies besiedeln unterschiedliche Körperteile, wo sie jeweils ganz spezifische Rollen spielen: Die Keime in unserem Mund unterscheiden sich von denen, die auf unserer Haut oder in unserem Darm leben. Wir sind keine Individuen. Wir sind Ökosysteme.

Die Vielfalt unserer Keime erklärt sogar gewisse körperliche Eigenheiten, die wir bisher einer glücklichen oder unglücklichen Fügung zugeschrieben haben. Warum zum Beispiel scheinen Mücken eine Vorliebe für ganz bestimmte Menschen zu haben? Die kleinen Plagegeister stechen mich fast nie, während sie meine Partnerin Amanda regelrecht umschwärmen. Nun – einige Menschen sind für Mücken tatsächlich appetitanregender als andere. Und das liegt in einem nicht unerheblichen Maße an den unterschiedlichen mikrobiellen Siedlern, die unsere Haut bevölkern. (Mehr dazu in Kapitel 1.)

Und das ist noch längst nicht alles: Auch die Keime, die verschiedene Menschen besiedeln, variieren erheblich. Vermutlich haben Sie schon einmal davon gehört, dass wir Menschen uns in unserer DNA kaum unterscheiden – unsere eigene menschliche DNA ist zu 99,9 Prozent identisch mit der DNA der Person, die neben uns sitzt. Auf unsere Darmkeime trifft das allerdings nicht zu. Hier kann die Übereinstimmung mit der Person neben uns lediglich 10 Prozent betragen.

Diese Abweichungen könnten ungeheuer viele Unterschiede zwischen einzelnen Menschen erklären, vom Gewicht bis hin zu Allergien, von der Anfälligkeit für Krankheiten bis zum Grad unserer Ängstlichkeit. Wir beginnen gerade erst, diese riesige mikroskopische Welt zu kartieren und zu verstehen, doch die Tragweite unserer Erkenntnisse ist atemberaubend.

Die unglaubliche Vielfalt der mikrobiellen Welt wird noch überwältigender angesichts der Tatsache, dass wir bis vor rund 40 Jahren noch überhaupt keine Ahnung davon hatten, wie viele einzellige Organismen oder gar wie viele Spezies dieser Organismen existieren. Bis dahin hatte Charles Darwins Werk Über die Entstehung der Arten von 1859 mehr oder weniger die Kategorisierung der Lebewesen unserer Welt bestimmt.[2] Darwin skizzierte einen Evolutionsbaum, der alle Lebewesen nach gemeinsamen physikalischen Merkmalen klassifizierte – kurzschnabelige Finken, langschnabelige Finken, … in etwa auf diese Weise –, und auf dieser Grundlage entwickelten wir unser Klassifikationssystem der Arten.

Dieses herkömmliche Bild des Lebens beruhte auf dem, was Menschen in ihrer Umgebung oder durch Mikroskope sehen konnten. Demnach klassifizierte man größere Lebewesen entweder als Pflanzen, oder als Tiere oder Pilze. Die verbleibenden einzelligen Organismen teilte man samt und sonders zwei Grundkategorien zu: den Protisten und den Bakterien. Was Pflanzen, Tiere und Pilze betraf, hatten wir recht. Doch das Bild, das wir von Einzellern hatten, war völlig falsch.

Im Jahr 1977 erstellten die amerikanischen Mikrobiologen Carl Woese und George E. Fox ein Bild vom Baum des Lebens, indem sie Lebensformen auf zellulärer Ebene miteinander verglichen. Dazu zogen sie die ribosomale RNA heran, eine Verwandte der DNA, die sich in jeder Zelle findet und zum Aufbau von Proteinen verwendet wird. Das Ergebnis war verblüffend.[3] Woese und Fox zeigten, dass einzellige Organismen weitaus vielfältiger sind als alle Pflanzen und Tiere zusammen. Tiere, Pflanzen und Pilze, jeder Mensch, jede Qualle und jeder Mistkäfer, jedes Seetangblatt, jedes Moospolster und jeder hoch aufragende Mammutbaum, jede Flechte und jeder Champignon, kurz: alles Leben, das für unsere Augen sichtbar ist, verteilt sich auf drei kurze Zweige am Ende eines einzigen Astes am Baum des Lebens. Die Einzeller – Bakterien, Archaeen (die von Woese und Fox entdeckt wurden), Hefen und andere Winzlinge dominieren.

In den letzten Jahren sind uns erstaunliche Fortschritte bei der Erforschung des mikroskopischen Lebens in unserem Inneren gelungen. Entscheidend waren neue Verfahren, darunter Verbesserungen bei der DNA-Sequenzierung, in Verbindung mit der explosionsartigen Steigerung der Rechenkapazität von Computern. Dank einer Methode, die man als Sequenzierung der nächsten Generation (next generation sequencing) bezeichnet, können wir heute Zellproben von verschiedenen Körperteilen sammeln, die darin enthaltene mikrobielle DNA blitzschnell analysieren und die Informationen aus den über den Körper verteilten Proben kombinieren, um die Tausenden von Mikrobenarten, die uns bewohnen, zu bestimmen. Wir finden Bakterien, Archaeen, Hefen und andere einzellige Organismen (wie Eukaryoten), deren Genome – die genetischen Anleitungen, die sie definieren – in der Summe länger sind als unser eigenes.

Neue Computeralgorithmen wiederum erleichtern die Interpretation all dieser genetischen Informationen erheblich. Insbesondere können wir nun eine Karte unserer Mikroben anlegen, um Besiedlungen in verschiedenen Teilen des Körpers sowie die Besiedlungen unterschiedlicher Personen miteinander zu vergleichen. Viele neue Erkenntnisse verdanken wir dem Human Microbiome Project. Das von den US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) bereitgestellte Forschungsbudget von 170 Millionen US-Dollar unterstützt über 200 Wissenschaftler, die bisher mindestens 4,5 Terabytes – oder 4,5 Billionen Bytes – an DNA-Daten analysiert haben. Und das ist erst der Anfang. Auch andere internationale Projekte, wie MetaHIT (ein europäisches Konsortium), sammeln und analysieren fortlaufend weitere Daten.

Die Kosten dieser Analysen sinken rasch, was noch viel mehr Personen als bisher Gelegenheit bietet, eine Volkszählung des bunten Lebens in ihrem Körper durchzuführen. Wer vor rund zehn Jahren etwas über die Zusammensetzung seines Mikrobioms erfahren wollte, benötigte dafür fast 100 Millionen Dollar. Heute kosten dieselben Informationen rund 100 Dollar. Das ist so preiswert, dass die Erfassung vielleicht schon bald von Ihrem Hausarzt als routinemäßiges medizinisches Verfahren verschrieben wird.

Warum sollte Ihr Mikrobiom Ihren Arzt interessieren? Nun – es weisen immer mehr neue Forschungsergebnisse darauf hin, dass es bislang unbekannte Zusammenhänge zwischen unseren Keimen und zahlreichen Erkrankungen gibt, wie beispielsweise Fettleibigkeit, Arthritis, Autismus und Depressionen. Und mit zunehmenden Erkenntnissen über diese Zusammenhänge ergeben sich Aussichten auf zukünftige Behandlungsmöglichkeiten. Nahezu alles, was man sich vorstellen kann, hat Einfluss auf das Mikrobiom: Arzneimittel, unsere Ernährung, der Platz in der Geschwisterfolge oder die Zahl der Sexualpartner. Auf den folgenden Seiten werden Sie erfahren, dass Mikroben offensichtlich in fast allen Aspekten unseres Lebens eine zentrale Rolle spielen. Man könnte sogar sagen: Mikroben definieren das Menschsein völlig neu.

1Der mikrobielle Körper

Wie viel an mikroskopischem Leben ist nun genau in uns?

Gehen wir nach dem Gewicht, so trägt der durchschnittliche Erwachsene rund drei Pfund reine Mikroben mit sich herum. Damit gehört unser Mikrobiom zu den größten Organen in unserem Körper – es entspricht etwa dem Gewicht des Gehirns und ist ein klein wenig leichter als die Leber.

Wie erwähnt, übertreffen mikrobielle Zellen in unserem Körper die menschlichen Zellen rein von ihrer Zahl her um das Zehnfache. Was nun, wenn wir nach der DNA gehen? Jeder Mensch besitzt etwa 20000 menschliche Gene, trägt jedoch etwa 2 bis 20 Millionen mikrobielle Gene in sich. Und das bedeutet, dass wir, genetisch gesprochen, zu mindestens 99 Prozent aus Keimen bestehen.

Falls Sie jetzt der menschlichen Würde wieder zu etwas Gewicht verhelfen möchten, betrachten Sie die Sache nicht von der schnöden Menge her, sondern von der Komplexität. Jede menschliche Zelle enthält weitaus mehr Gene als eine mikrobielle Zelle. Wir beherbergen einfach so viele Mikroben, dass die Gesamtheit all ihrer verschiedenen Gene die Zahl unserer eigenen übersteigt.

Die Organismen, die in und auf uns leben, sind unfassbar zahlreich und vielfältig. Die meisten, wenn auch nicht alle von ihnen, sind Einzeller. Sie entstammen den drei Hauptästen vom Baum des Lebens. In unserem Darm finden sich Mitglieder der Archaeen; das sind einzellige Organismen, die ohne Zellorganellen auskommen. Am häufigsten sind die Methanogene, Lebewesen, die keinen Sauerstoff brauchen und helfen, unsere Nahrung zu verdauen und dabei Methangas ausscheiden. (Auch Kühe tragen sie in sich.) Dann gibt es Eukaryoten, beispielsweise die Pilze, die Fußpilz verursachen, oder die Hefen, welche die Vagina und manchmal auch unseren Darm besiedeln. Am dominantesten aber sind unsere Bakterien, wie Escherichia coli. Bei diesem Bakterium denken viele an eine Krankheit, die von verunreinigtem Spinat übertragen wird, doch eigentlich kommt es in harmlosen und hilfreichen Varianten im Darm der meisten Menschen vor.

Mit Hilfe neuer Technologien entdecken wir Tag für Tag, dass all diese Kreaturen nach wie vor weitaus vielfältiger sind, als wir wussten. Es ist fast so, als hätten wir den Ozean mit einem sehr grobmaschigen Netz durchkämmt und seien zu dem Schluss gelangt, das Leben im Meer bestünde ausschließlich aus Walen und Riesenkalmaren. Doch wie wir inzwischen wissen, gibt es noch weitaus mehr zu entdecken. So könnte man vermuten, dass zwei beliebige Darmbakterien, die sich an unserem zuletzt verspeisten Käsebrot gütlich tun, einander recht ähnlich sind – so ähnlich wie, sagen wir, eine Sardelle und eine Sardine. In Wahrheit sind sie aber eher so verschieden wie eine Seegurke und ein Weißer Hai – zwei Lebewesen mit völlig unterschiedlichen Verhaltensweisen, Nahrungsquellen und ökologischen Rollen.

Wo stecken nun all unsere Mikroben, und was tun sie? Machen wir doch einmal eine Rundreise durch unseren Körper und finden es heraus.

Haut

Angeblich ließ Napoleon I., als er von einem Feldzug zurückkehrte, Kaiserin Joséphine folgende Botschaft übermitteln: »Nicht waschen, komme in drei Tagen.« Er bevorzugte den Körpergeruch seiner Liebsten, und zwar geballt. Aber wie kommt es, dass wir ohne unsere Seifen, Deodorants, Puder und Parfüms so stinken? Das liegt größtenteils an Keimen, die sich an unseren Sekreten laben und deren Ausdünstungen dadurch noch verstärken.

Welchen Nutzen die Geschöpfe haben könnten, die auf unserem größten Organ, der Haut, leben, versuchen die Spürnasen aus der Wissenschaft noch herauszufinden. So viel ist aber bereits klar: Sie sind mit für unseren Körpergeruch verantwortlich, zum Beispiel für die Ausdünstungen, die Mücken anlocken.[4] Wie gesagt, haben Mücken tatsächlich eine Vorliebe für den Geruch bestimmter Menschen, und schuld daran sind Mikroben. Diese Mikroben verstoffwechseln die von unserer Haut produzierten Chemikalien zu verschiedenen flüchtigen organischen Verbindungen, die die Mücken mögen oder eben nicht. Unterschiedliche Mückenarten bevorzugen unterschiedliche Teile des Körpers. Für Anopheles gambiae, eine der Hauptüberträgerinnen von Malaria, entströmen die verlockenden Düfte nicht unseren Achselhöhlen, sondern unseren Händen und Füßen. Das eröffnet die faszinierende Möglichkeit, Angriffe dieser Mücke durch das Verreiben von Antibiotika auf Händen und Füßen abzuwehren, weil das Abtöten der Keime auch den Geruch tilgt.

Wie alle unsere Mikroben fühlen sich diejenigen auf unserer Haut nicht zwangsläufig unserem Wohl verpflichtet. Doch als gutmütige Bewohner sind sie nichtsdestoweniger äußerst hilfreich: Indem sie sich auf uns breitmachen, erschweren sie es anderen, garstigeren Keimen, uns zu infizieren. Verschiedene Hautbereiche beherbergen unterschiedliche Keime, und diese Vielfalt – die Zahl der verschiedenen Mikrobenarten – spiegelt nicht unbedingt die Anzahl der einzelnen Keime wider, die sich an einer speziellen Stelle des Körpers befinden. Oft ist es gerade umgekehrt. Auf die USA bezogen wäre das so, als hätte Vermont (600000 Einwohner) die gleiche ethnische Vielfalt aufzuweisen wie Los Angeles County (10 Millionen Einwohner) und Los Angeles wäre so einfarbig wie Vermont. Achselhöhlen und Stirn sind Heimstatt zahlreicher Keime, aber relativ weniger Arten; dagegen sind Handfläche und Unterarm nur spärlich von Keimen besiedelt, wobei sich jedoch viele verschiedene Spezies dort tummeln.[5] Auf Frauenhänden befinden sich im Allgemeinen vielfältigere mikrobielle Besiedlungen als auf Männerhänden. Diese Verschiedenheit bleibt auch nach dem Händewaschen erhalten, was darauf hindeutet, dass sie auf biologische Unterschiede zurückgeht, wenngleich die Ursache noch unbekannt ist.[6]

Außerdem haben wir herausgefunden, dass sich die Keime, die die linke Hand bevölkern, von denen auf der rechten Hand unterscheiden. Trotz allem Händereiben, Knöchelknacken und dem Berühren derselben Oberflächen entwickeln sich auf unseren Händen unterscheidbare mikrobielle Besiedlungen. Das brachte Noah Fierer, Professor für Ökologie und Evolutionsbiologie an der University of Colorado in Boulder, und mich auf die Idee, eine der berühmtesten Entdeckungen der großräumigen Biologie versuchsweise auf anderer Ebene zu reproduzieren. Der britische Biologe und Anthropologe Alfred Russel Wallace und andere entwickelten eine komplexe biogeographische Theorie, mit deren Hilfe sie die Verteilung von Organismen auf verschiedenen Inseln sowie die Beziehung zwischen Artenvielfalt und Landfläche erklären wollten.[7] Wallace, ein Zeitgenosse Darwins, der zugleich mit ihm das Phänomen der natürlichen Selektion aufspürte, entdeckte eine durch das heutige Indonesien und Malaysia verlaufende Aufteilung, welche die asiatische Fauna (Affen, Nashörner) von der australischen (Kakadus, Kängurus) trennt. Fierer und ich wollten nun wissen, ob eine entsprechende »Wallace-Linie« zwischen den Buchstaben G und H auf Computertastaturen verläuft, mit unterschiedlichen Mikrobenpopulationen auf den beiden Tastaturhälften, die jeweils von der linken und der rechten Hand der Nutzer stammen. Zudem fragten wir uns, ob die Leertaste von mehr Mikrobenarten besiedelt wird, weil sie größer als die anderen Tasten ist.

Unsere Ergebnisse deuteten auf eine Art Wallace-Linie hin, aber zu unserem Erstaunen entdeckten wir etwas, das noch viel bemerkenswerter war: Jede einzelne Fingerspitze und die entsprechende Taste wiesen mehr oder weniger die gleiche mikrobielle Besiedlung auf. Außerdem konnten wir eine Computermaus mit einer Trefferquote von über 90 Prozent der Handfläche ihres Besitzers oder ihrer Besitzerin zuordnen.[8] Die Keime an unseren Händen unterscheiden sich stark von denen anderer Menschen – in Bezug auf die Artenvielfalt im Durchschnitt zu mindestens 85 Prozent. Das bedeutet: Wir besitzen einen mikrobiellen Fingerabdruck.

Wir haben unsere Untersuchungen in der Zwischenzeit mit Experimenten weitergeführt, die aufzeigen sollen, wie oft man einen Gegenstand berühren muss, um diese erkennbaren mikrobiellen Spuren zu hinterlassen. Die Forschungsergebnisse sind noch zu vorläufig, um in einem Gerichtsverfahren zu bestehen. Doch da sich Fernsehkrimis mit, sagen wir, etwas weniger handfesten Beweisen begnügen, erschien kurz nach der Publikation unseres ersten Artikels zu dem Thema eine Folge von CSI: Miami, in der die mikrobielle Forensik eine Schlüsselrolle spielte.[9]

Vor kurzem ist David Carter, ein forensischer Mikrobiologe, von Nebraska nach Hawaii umgezogen, wo er eine Body Farm, eine »Leichenfarm«, errichtete. Vermutlich fragen Sie sich, was um alles in der Welt das ist. Forensiker müssen feststellen, wie lange von ihnen untersuchte Leichen bereits tot sind. In einer forensischen Einrichtung werden der Forschung überlassene Leichen in verschiedenen Todesszenarien[10] platziert und dann in gewissen Abständen untersucht, um die Verwesungsprozesse zu beobachten. Dabei erfolgt eine markante mikrobielle Sukzession. So wie ein vegetationsfreier Felsen zuerst von Flechten und dann nacheinander von Moosen, Gräsern, Sträuchern und schließlich Bäumen bewachsen wird, folgt auch der Verwesungsprozess einem sehr gut vorhersagbaren Muster.

Jessica Metcalf, die als Postdoktorandin in meinem Labor an der University of Colorado in Boulder arbeitet, hat dort ihre eigene kleine Body Farm mit 40 toten Mäusen eingerichtet. (Die Mäuse wurden bereits vorher im Zuge anderer Experimente zur Entwicklung von Behandlungsmethoden bei Herzkrankheiten und Krebs getötet.) Sie stellte fest, dass sie innerhalb eines Zeitfensters von drei Tagen schätzen konnte, wann die Mäuse gestorben waren. Dies entspricht etwa der Genauigkeit derzeitig gängiger Verfahren, bei denen man anhand von Insekten den Todeszeitpunkt bei Menschen bestimmt.[11]