Wir suchen Nestwärme - Aliza Korten - E-Book

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Aliza Korten

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Beschreibung

Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren: Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Denise von Schoenecker hörte aufmerksam zu, als Flugkapitän Alexander Rethy erzählte. Es war eine höchst seltsame Geschichte, die sie zu hören bekam. »Alexa stand vor mir in einer Art, dass ich nicht an ihr vorbeigehen konnte, gnädige Frau. Wir kamen gerade aus Kairo zurück, und ich war herzlich müde. Aber da stand dieses kleine blonde Mädchen und schien etwas von mir zu wollen. Ich fragte sie, woher sie komme und ob sie zu mir wolle. ›Ja, zu dir‹, antwortete sie. Sie war sehr scheu. Doch es gehört allerlei Mut dazu, auf dem Flughafen auf einen fremden Mann zuzugehen, wenn man erst fünf Jahre alt ist. Dann erklärte sie mir, dass ihre Mutter ihr aufgetragen habe, zu mir zu gehen. Doch das hielt ich für eine Verwechslung.« Der Flugkapitän schwieg einen Moment. Dann fügte er hinzu: »Ich hole so weit aus, damit es Ihnen möglich ist, das nachzuempfinden, was sich danach ereignete, verehrte Frau von Schoenecker.« Er warf einen Blick auf das Ölgemälde, das Sophie von Wellentin darstellte, nach der das Gut Sophienlust wohl seinen Namen trug, dieses Gut mit dem wundervollen alten Herrenhaus, das in ein Kinderheim umgewandelt worden war. Dr. Josefa Klinger hatte ihm geraten, Alexa hier unterzubringen. Es gefiel Alexander Rethy, dass es sich bei der Besitzerin des Kinderheims nicht um eine grämliche alte Dame, sondern um eine bildschöne, lebensprühende, glücklich verheiratete Frau und Mutter handelte, bei der sein Töchterchen Alexa gut aufgehoben sein würde. Alexander Rethy räusperte sich und fuhr fort: »Als ich die kleine Dame fragte, wie sie heiße, sagte sie, sie hieße Alexa von Stöcken. Und plötzlich ahnte ich, dass sie Vivian von Stöckens Tochter sein musste. Ich will Sie nun nicht mit allen Einzelheiten aufhalten, gnädige Frau …«

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Sophienlust Classic – 81 –

Wir suchen Nestwärme

Als die Kinder von Sophienlust Besuch von der kleinen Alexa bekamen

Aliza Korten

Denise von Schoenecker hörte aufmerksam zu, als Flugkapitän Alexander Rethy erzählte. Es war eine höchst seltsame Geschichte, die sie zu hören bekam.

»Alexa stand vor mir in einer Art, dass ich nicht an ihr vorbeigehen konnte, gnädige Frau. Wir kamen gerade aus Kairo zurück, und ich war herzlich müde. Aber da stand dieses kleine blonde Mädchen und schien etwas von mir zu wollen. Ich fragte sie, woher sie komme und ob sie zu mir wolle.

›Ja, zu dir‹, antwortete sie. Sie war sehr scheu. Doch es gehört allerlei Mut dazu, auf dem Flughafen auf einen fremden Mann zuzugehen, wenn man erst fünf Jahre alt ist. Dann erklärte sie mir, dass ihre Mutter ihr aufgetragen habe, zu mir zu gehen. Doch das hielt ich für eine Verwechslung.«

Der Flugkapitän schwieg einen Moment. Dann fügte er hinzu: »Ich hole so weit aus, damit es Ihnen möglich ist, das nachzuempfinden, was sich danach ereignete, verehrte Frau von Schoenecker.«

Er warf einen Blick auf das Ölgemälde, das Sophie von Wellentin darstellte, nach der das Gut Sophienlust wohl seinen Namen trug, dieses Gut mit dem wundervollen alten Herrenhaus, das in ein Kinderheim umgewandelt worden war. Dr. Josefa Klinger hatte ihm geraten, Alexa hier unterzubringen. Es gefiel Alexander Rethy, dass es sich bei der Besitzerin des Kinderheims nicht um eine grämliche alte Dame, sondern um eine bildschöne, lebensprühende, glücklich verheiratete Frau und Mutter handelte, bei der sein Töchterchen Alexa gut aufgehoben sein würde.

Alexander Rethy räusperte sich und fuhr fort: »Als ich die kleine Dame fragte, wie sie heiße, sagte sie, sie hieße Alexa von Stöcken. Und plötzlich ahnte ich, dass sie Vivian von Stöckens Tochter sein musste. Ich will Sie nun nicht mit allen Einzelheiten aufhalten, gnädige Frau …«

»Doch, doch, erzählen Sie nur ausführlich, Herr Rethy. Für mich ist das alles wissenswert. Die Geschichte eines Kindes ist für mich immer wichtig. Ich habe diesen Nachmittag für Sie und Alexa reserviert. Erzählen Sie also genau, wie Sie Alexa gefunden haben!«

»Wenn Sie wollen, gnädige Frau? Ich ging nun mit dem Kind Kakao trinken, wie das wohl jeder in meiner Situation getan hätte. Eine Bekannte von mir setzte sich zu uns. Sie ist Stewardess auf unserer Linie, und als Frau verstand sie es wohl noch etwas besser als ich, sich des fremden, schüchternen Kindes anzunehmen. Wenn ich ehrlich bin, dann dämmerte mir bereits in diesem Augenblick, dass Alexa möglicherweise mein eigenes Kind sei. Aber ich wies diesen Gedanken zunächst heftig von mir. Selbst die Verwandtschaft der Namen – ich heiße Alexander, die Kleine Alexa – wollte ich mir gern durch einen Zufall erklären.

Nun ja, meine Freundin Bonny machte das Beste aus allem. Sie brachte Alexa zum Lachen und beschäftigte sie mit Papier und bunten Stiften, während ich an der Information für Frau von Stöcken die Nachricht deponierte, dass wir im Flughafenrestaurant auf sie warteten. Leider konnte meine Freundin Bonny nicht allzu lange bleiben, denn ihre Maschine nach Hamburg wurde aufgerufen. Sie hatte – genau wie ich – vier freie Tage vor sich und wollte diese zu Hause bei ihren Eltern verbringen. Ich hatte kein Recht, sie von ihrem Flug abzuhalten, obwohl ich ihr dankbar gewesen wäre, wenn sie sich freiwillig zum Bleiben entschlossen hätte. Denn ich war wirklich in arger Verlegenheit, was ich mit Alexa anfangen sollte.

Ich begann nun, die Kleine geduldig und zielbewusst auszufragen. So erfuhr ich, dass ihre Mutter krank sei. Doch das machte die Situation nicht gerade übersichtlicher oder einfacher für mich. Dann hörte ich, dass ihre Mutter mit Vornamen Vivian hieße. Es konnte für mich also keinen Zweifel mehr geben, selbst wenn ich die Augen vor Alexas Ähnlichkeit mit ihrer Mutter verschloss.«

Der Flugkapitän holte tief Atem und legte die Hand über die Augen. Denise von Schoenecker ließ ihm Zeit. Außerdem wusste sie von Dr. Josefa Klinger bereits einiges über diesen seltsamen und tragischen Fall. Die Ärztin erholte sich im Augenblick nach schwerer Krankheit in Sophienlust. Sie war zu früh zum Dienst im Krankenhaus zurückgekehrt und hatte das büßen müssen. Aber vielleicht hatte auch das so sein sollen. Denn Josefa Klinger hatte dadurch Vivian von Stöcken in ihren letzten Lebenstagen ärztlich betreut und so Alexas Schicksal kennengelernt. Es schien gütige Fügung gewesen zu sein. Denn Alexa brauchte ein Heim und Liebe. Beides sollte sie nun in Sophienlust finden!

Nun fuhr Alexander Rethy in seinem Bericht wieder fort: »Als ich dann fragte, wann ihre Mutter denn eigentlich kommen werde, bekam ich heraus, dass die Kleine mit Vivian auf mich gewartet hatte. Dann musste Vivian sich aber nicht wohlgefühlt haben. Sie hatte auf mich gezeigt und das Kind zu mir geschickt. Ach, es war eine lange und traurige Odyssee, ehe ich sie im Krankenhaus endlich fand – dem Tod geweiht, wie man mir zuraunte. Dort musste ich mich dann der Tatsache stellen, dass die tapfere Vivian mein Kind zur Welt gebracht hatte, ohne mir jemals etwas davon gesagt zu haben. Sie hätte sich wahrscheinlich nie an mich gewandt, wenn sie nicht gespürt hätte, dass ihre Tage gezählt wären. Ihre Mutter war vor einem guten Jahr gestorben, sodass sie ganz allein mit dem Kind dastand. Deshalb wollte sie mir Alexa anvertrauen.

Ich schämte mich entsetzlich, doch es gelang mir, allen Widerständen zum Trotz, Vivian noch zu heiraten. Sie ist mit der Gewissheit gestorben, dass ich vor dem Gesetz die volle Verantwortung für mein Kind trage, das ich selbstverständlich sofort anerkannt habe. Die Behörden sind langsam und umständlich. Aber sie haben in unserem Fall das Unmögliche wahr gemacht. Vor allem Frau Dr. Klinger verdanke ich viel. Vivian und ich haben geheiratet, und Alexa heißt heute Alexa Rethy. Ich danke Gott, dass mir das alles noch gelang, ehe die unglückliche Vivian für immer die Augen schloss.«

Die Erschütterung ließ den Besucher abermals für kurze Zeit verstummen. Alexander Rethy dachte an die Blumen, mit denen er Vivians Krankenzimmer geschmückt hatte, und an die kleine, eindrucksvolle Hochzeitsfeier, die der Geistliche für sie gehalten hatte. Alexa hatte der Mutter einen Strauß Blumen aufs Bett legen dürfen. Doch schon kurze Zeit später hatte die tückische Krankheit die schöne Vivian dahingerafft – diese Frau, der er so viel angetan und die er dann für Jahre vergessen hatte. Das war ein Vorwurf, den er sich bis an sein Lebensende machen würde. Aber er hatte das Kind! Alexa sollte es an nichts fehlen. Deshalb fand er Sophienlust gerade richtig für sein Töchterchen.

Selbstverständlich gehörte der Flugkapitän nicht zu dem Personenkreis, der die Stiftung, die mit dem Vermächtnis der früheren Besitzerin von Sophienlust, Sophie von Wellentin, verbunden war, in Anspruch nehmen musste. Er war von Haus aus vermögend und bezog außerdem ein gutes Einkommen als Flugkapitän. Er wollte den vollen Pensionspreis zahlen, und er hatte Frau Dr. Klinger gebeten, Alexa für den Aufenthalt auf Sophienlust großzügig und passend auszustatten. Das war bereits geschehen.

Josefa Klinger, mit der Schwiegertochter der Heimleiterin, Carola Rennert, befreundet, hatte ihm die Geschichte des Kinderheims Sophienlust erzählt. Er wusste, dass Dominik von Wellentin-Schoenecker aus der ersten Ehe der früh verwitweten Denise von Schoenecker stammte und der Alleinerbe von Sophienlust und des riesigen Vermögens seiner Urgroßmutter Sophie von Wellentin war. Doch solange der Junge, nun bereits fünfzehn Jahre alt, das Heim für in Not geratene Kinder nicht selbst verwalten konnte, lag die Verantwortung dafür in den Händen seiner Mutter, die in ihrem zweiten Mann, Alexander von Schoenecker, jederzeit Unterstützung fand. Alexander war Besitzer des benachbarten Gutes Schoeneich und beaufsichtigte beide Güter, Sophienlust und Schoeneich, gemeinsam. Leiterin des Kinderheims war Frau Rennert, von den Kindern ›Tante Ma‹ genannt. Ihr Sohn Wolfgang war als Haus- und Musiklehrer des Heimes tätig. Seine junge Frau Carola, die selbst einmal ein Kind dieses Heimes gewesen war, unterstützte ihn dabei.

Denise von Schoenecker ließ Alexander Rethy auch diesmal Zeit. Sie war

eine gute Zuhörerin. Doch jetzt schöpfte der Besucher Atem und sprach weiter.

»Es war für mein Töchterchen Alexa am Anfang eine höchst erstaunliche Tatsache, dass ich ihre Mutter kannte. Sie wunderte sich darüber. Aber jetzt hat sie sich daran gewöhnt. Für mich ist die Situation allerdings etwas schwierig. Ich bin ständig unterwegs und muss erst einmal darüber nachdenken, wie ich mich als Vater eines kleinen Mädchens zu verhalten habe. Deshalb bin ich Frau Dr. Klinger und auch Ihnen für die angebotene Lösung hier in Sophienlust herzlich dankbar. Die Kinder haben Alexa gleich in ihre Mitte aufgenommen. Glücklicherweise ist sie Kindern gegenüber nicht scheu. Da war ein blonder Junge, ich glaube Henrik hieß er …«

»Das ist mein Jüngster«, schaltete sich Denise lächelnd ein. »Ich habe eine große Familie. Henrik stammt aus meiner zweiten Ehe. Er ist zwar erst sieben Jahre alt, gibt sich aber schon jetzt viel Mühe, uns in Sophienlust zu helfen. Deshalb hat er sich auch gleich um Alexa bemüht.«

»Eine schöne und dankbare Aufgabe, die Sie übernommen haben, gnädige Frau. Ich bewundere Sie.«

»Für uns war es ein großes Glück, als wir nach Sophienlust kamen, lieber Herr Rethy. Heute erscheint es mir nur selbstverständlich, dass wir von unserer sicheren Geborgenheit anderen Menschen und vor allem vereinsamten und unglücklichen Kindern etwas abgeben. Bewunderung verdiene ich sicherlich nicht. Unsere Arbeit ist für uns ein täglicher Quell der Freude, der die Sorgen, die unvermeidlich sind, vergessen lässt.«

»Sie sind eine Idealistin. Das findet man heutzutage selten. Aber es gefällt mir, dass meine Tochter gerade hier sein darf. Ein Jammer, dass Sie Alexas Mutter nicht mehr kennengelernt haben.«

»Ich kann mir Ihre Frau gut vorstellen. Sie war sehr tapfer, nicht wahr?«

Er nickte. »Erst als sie für das Kind keinen Ausweg mehr sah, trat sie an mich heran. Ach, ich wünschte, sie hätte es früher getan! Zwar versichern mir die Ärzte, dass sie unrettbar verloren und dem Tode geweiht war, aber ich kann mich der Vorstellung nicht erwehren, dass man vielleicht doch noch hätte helfen können.«

Wieder brach er ab. Es waren traurige und bittere Erinnerungen, die ihn quälten. Er selbst kam dabei nicht gut davon. Warum habe ich Vivian damals nur verlassen, klagte er sich an. Warum nur? Sie war eine wunderbare Frau!

Aber es war endgültig zu spät. Sie ruhte unter dem Hügel mit den vielen Blumen. Für immer.

Jetzt fuhr er aus seinen Gedanken auf. »Frau Dr. Klinger hat viel für Alexa und mich getan. Sehe ich sie hier noch? Ich möchte ihr danken.«

»Sie wohnt drüben im Anbau bei dem jungen Ehepaar Rennert, weil sie sich ein paar Wochen lang hier in der guten Landluft erholen will. Sie war schwer krank und ist hinterher zu früh wieder in den Dienst in der Klinik gegangen. Jetzt sieht sie selbst ein, dass sie sich zu viel zugemutet hatte.«

Der Gast nickte, denn das war ihm bekannt.

Denise läutete. Als kurz darauf ein junges Mädchen eintrat, bat sie, Dr. Josefa Klinger herzubitten, falls sie im Moment zu finden sei.

Wenig später erschien die junge Ärztin, eine aparte Erscheinung mit dunklem Haar und klaren blauen Augen. Sie war zierlich und wirkte neben der hünenhaften Gestalt des Flugkapitäns wie eine Puppe.

Die Begrüßung fiel herzlich aus. Doch schon bald sprachen sie wieder von Vivian von Stöcken.

»Heute ist mir alles klar«, bekannte Alexander Rethy. »Auf Grund ihrer Schwangerschaft konnte Vivian nicht mehr als Stewardess tätig sein. Deshalb bewarb sie sich wohl um eine Anstellung im Büro der Fluglinie. Dadurch verloren wir uns aus den Augen. Die ganze Situation muss unendlich hart für sie gewesen sein. Als Arzttochter wusste sie sicher sowohl über ihren Zustand als auch darüber Bescheid, dass ihre Krankheit unheilbar war. Ich glaube, sie wollte mir nicht zur Last fallen, sondern verhindern, dass ich sie aus Pflichtgefühl heiratete. Denn sie wusste wohl auch, dass sich ihr Leiden über Jahre hinziehen konnte. Alexa ist immerhin schon gut fünf Jahre alt. Was muss Vivian in dieser Zeit gelitten haben! Und ich hatte keine Ahnung davon! Man sollte doch meinen, dass man so etwas spüren müsste.«

»Quälen Sie sich nicht mit Vorwürfen«, mahnte die Ärztin sanft. »Es ist vorbei, und es war nun einmal der Wille Vivian von Stöckens. Sie haben ihr zuletzt noch Ihren Namen gegeben und Alexa anerkannt. Ich weiß, dass der Tod Ihrer Frau friedlich und leicht war. Das muss Ihnen ein Trost sein, Herr Rethy.«

Die junge Ärztin sprach überzeugend und ruhig. Dennoch vermochte sich Alexander Rethy von Vorwürfen nicht freizusprechen. Undeutlich war ihm bewusst, dass er sein Kind nicht für alle Zeiten in Sophienlust lassen könnte. Es war nur eine Übergangslösung. Alexa hatte ein Anrecht darauf, einen Platz in seinem Leben zu erhalten. Aber er konnte sich vorerst nicht vorstellen, wie das zugehen sollte.

»Sie sind sehr freundlich, Frau Dr. Klinger«, antwortete er leise. »Was hätte ich überhaupt ohne Ihre Hilfe anfangen sollen?«

Sie lächelte. »Es hat mir Freude bereitet, mich in der ersten Zeit um Alexa kümmern zu können. Jetzt freue ich mich schon auf unser Wiedersehen. Es ist zwar erst zwei Tage her, dass wir uns getrennt haben, aber ich habe Alexa sehr ins Herz geschlossen.«

»Sie mag Sie ebenfalls gut leiden. Die beiden Tage mit mir im Hotel hat sie sich gründlich gelangweilt und jeden Tag nach Ihnen gefragt. Ich fürchte, ich bin ein unbegabter Vater und muss mich an meine Rolle erst gewöhnen.«

»Alexa ist stolz auf ihren Vati. Sie hat immer geglaubt, dass sie keinen habe. Erst neulich äußerte sie, dass sie sehr glücklich sei. ›Mutti ist im Himmel bei Omi, Tante Josi‹, sagte sie zu mir. ›Aber sie sieht, dass ich bei Vati bin. Und deshalb bin ich nicht traurig. Ich habe Mutti nämlich versprochen, dass ich immer fröhlich sein werde.‹ Seltsame Worte für ein so kleines Mädchen, nicht wahr?«

»Sie spürt, dass sie bei Ihnen geborgen ist und sich auf Sie verlassen kann, Herr Rethy«, schaltete sich nun Denise von Schoenecker ein.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür. Ohne anzuklopfen stürmten Henrik von Schoenecker und Alexa herein.

»Es gibt Ponys hier, auf denen wir reiten dürfen, Vati«, stieß das blonde Mädchen aufgeregt hervor. »Nick, Henriks großer Bruder, will mir zeigen, wie man reitet. Darf ich reiten? Bekomme ich auch Reithosen wie die anderen Kinder?«

»Natürlich, Alexa. Du sollst alles haben, was man in Sophienlust braucht.«

»Es gibt auch andere Tiere, Sophienlust ist ein richtiger großer Bauernhof, Vati«, fuhr Alexa mit blanken Augen fort. »Henrik hat mir alles gezeigt. Und hier im Wintergarten haben sie einen Papagei, der sprechen kann. Er heißt …«

»Habakuk«, half Henrik aus.

»Habakuk«, wiederholte Alexa. »Vicky Langenbach hat ein Meerschweinchen, andere Kinder haben Kaninchen oder Vögel oder Goldhamster.«

»Sie sehen, Alexa ist schon ganz zu Hause hier.« Denise von Schoenecker sah den in seiner Rolle noch so unsicheren Vater aufmunternd an. »Sophienlust heißt das Haus der glücklichen Kinder, sagt Henrik«, plauderte Alexa nun unbefangen weiter. »Jetzt bin ich auch ein glückliches Kind, weil ich hier wohne. Nicht wahr, Tante Josi?«

Dr. Josefa Klinger, die als Assistenzärztin das tragische Ende und die vom Tod überschattete Hochzeitsfeier Vivian von Stöckens miterlebt hatte, zog Alexa auf ihre Knie. »Ja, du bist ein glückliches Kind«, raunte sie ihr zärtlich ins Ohr, wobei ihre Lippen das halblange blonde Haar des Kindes streiften. Doch sie errötete, als sie bemerkte, dass Alexander Rethy die kleine Szene beobachtete. Als sie die Augen wegwenden wollte, begegnete sie dennoch dem Blick des hochgewachsenen Mannes, der ständig um den Erdball flog und doch so ganz anders war, als Josefa Klinger sich einen Flugkapitän vorgestellt hatte.

So also hielt Alexa Rethy Einzug in Sophienlust.

*

Bonny steuerte sofort auf Alexander Rethy zu, als sie ihn entdeckte.

»Hallo, Alex! Was war mit der Kleinen?«, erkundigte sie sich. »Du hast Urlaub genommen. Das kam ziemlich plötzlich. Aber mit der kakaotrinkenden jungen Dame hatte es wohl nichts zu tun?«

Alexander nahm die Hand der Stewardess und sah sie nachdenklich an. »Doch«, erklärte er leise. »Mir fällt erst jetzt wieder ein, dass du sie ja gesehen und im Restaurant sogar beschäftigt und betreut hast. Findest du es sehr erstaunlich, wenn ich dir sage, dass sie meine Tochter ist?«

Bonny blinzelte, als schaue sie plötzlich in ein zu grelles Licht. »Deine – was?«

»Meine Tochter Alexa. Leider ist ihre Mutter tot.« Er sagte es traurig und ernst, denn er trauerte aufrichtig um Vivian, der das Leben so viel schuldig geblieben war.

»Das verstehe ich nicht. Ihr habt doch auf die Mutter gewartet neulich. Da lebte sie offenbar noch. Oder war es nicht die Mutter?« Bonny kam die Sache etwas unheimlich vor. Auch hatte sie den Eindruck, dass Alexander auf seltsame Weise verändert sei. Hätte er nicht so ernst und traurig ausgesehen, sie wäre geneigt gewesen, das Ganze für einen Scherz zu halten. Denn woher sollte er plötzlich eine fünfjährige Tochter haben?

»Ihre Mutter ist vor ein paar Tagen gestorben. Es blieb mir gerade noch Zeit, sie zu heiraten. Alexa trägt jetzt meinen Namen.«

»Alex, du hast ein sterbendes Mädchen geheiratet, weil es ein Kind von dir hatte?«, stammelte Bonny unsicher. »Bist du wenigstens überzeugt, dass die Kleine wirklich dein eigenes Fleisch und Blut ist?«

»Ich habe die Frau geheiratet, die ich immer liebte, Bonny«, wies er die hübsche Stewardess beinahe scharf zurecht. »Einen Zweifel an der Herkunft meiner Tochter gibt es nicht.«

»Das …, das passt einfach nicht zu dir, Alex. Ich hab’ mir immer eingebildet, dass du dir nicht viel aus Mädchen machst.« Bonny schluckte einmal.

»Woraus du ersiehst, dass man sich irren kann, Bonny. Doch ich will dir gestehen, dass ich es selbst nicht gewusst habe. Und jetzt muss ich mich erst daran gewöhnen, dass ich nur noch an meinem Kind gutmachen kann, was ich an der Mutter versäumt habe – sechs Jahre lang!«

»Was …, was wird aus dem Kind, Alex? Es muss doch irgendwo bleiben, wenn es keine Mutter mehr hat.«

»Zunächst hatte sich eine Ärztin des Krankenhauses, in dem Vivian starb, Alexas angenommen. Durch deren Vermittlung befindet sich die Kleine jetzt in einem sehr guten Kinderheim. Ich bin Frau Klinger natürlich sehr zu Dank verpflichtet. Ehrlich gesagt, ich wäre ohne ihre Hilfe in arger Verlegenheit gewesen.«

»Nun hast du also plötzlich eine Tochter. Kommt dir das nicht geradezu unwahrscheinlich vor?«, wunderte sich Bonny, indem sie die reizende kleine Nase kraus zog. »Es passt einfach nicht zu dir.«

»Alexa ist ein hübsches Kind. Das kannst du nicht abstreiten«, spottete Alexander Rethy.

»Doch, doch – sehr niedlich. Trotzdem, es kommt so …, so unerwartet. Ich muss mich an den Gedanken erst gewöhnen.«

»Für dich macht es doch nun wirklich keinen Unterschied, Bonny«, tröstete der Flugkapitän die Stewardess.

Sie hob die Schultern. »Vielleicht doch, Alex. Das kannst du gar nicht beurteilen.«

Sie hätten wohl noch länger geplaudert, wenn die Arbeit nicht ihr Recht gefordert hätte. Alexander Rethy übernahm die Papiere für seinen nächsten Flug und führte einige Telefongespräche. Vor allem vertiefte er sich in den soeben eingegangenen Wetterbericht. Kurz bevor er sich ins Cockpit seiner Maschine begeben musste, rief er noch einmal in Sophienlust an. Nachdem Frau Rennert ihm versichert hatte, dass mit Alexa alles in bester Ordnung sei, ließ er Dr. Josefa Klinger an den Apparat rufen.

»Ich wollte mich verabschieden, Doktorin. Ist alles im Lot bei Ihnen? Erholen Sie sich, und lassen Sie sich von Alexa nicht allzu sehr tyrannisieren.«