Wirkungen eines weißen Mantels | Der arme Wohltäter | Der Pförtner im Herrenhause - Adalbert Stifter - E-Book

Wirkungen eines weißen Mantels | Der arme Wohltäter | Der Pförtner im Herrenhause E-Book

Adalbert Stifter

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  • Herausgeber: Soto-verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Die drei Erzählungen sind die ersten Fassungen von den drei Erzählungen "Bergmilch", "Kalkstein" und "Turmalin" aus dem bekannten Buch: "Bunte Steine". Weitere Klassiker unter: buch-klassiker.de

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Seitenzahl: 142

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Inhalt

Titel

Wirkungen eines weißen Mantels

Der arme Wohltäter

Der Pförtner im Herrenhause

Adalbert Stifter

Wirkungen eines weißen Mantels

Der arme Wohltäter

Der Pförtner im Herrenhause

Die drei Erzählungen sind die ersten Fassungen von

»Bergmilch«, »Kalkstein« und »Turmalin« aus den »Bunten Steinen«

Überarbeitung, Satz und Umschlaggestaltung: SoTo

 

Published by SoTo, Deutschland

Bielatalstraße 14 I 01824 Königstein

 

ISBN Print 978-1534737501

ISBN Großdruck 978-1534737532

ISBN EPUB 9783961642915

www.buch-klassiker.de

Wirkungen eines weißen Mantels

Erste Wirkung

Junge Mädchen werden durch männliche Kühnheit exaltiert, wie Buben schon von dem Lärm einer Trommel, und dem Schmettern einer Trompete. In unserer eigenen Familie hat ein bloßer weißer Mantel so unglaubliche Wirkungen hervorgebracht, daß sie von der tüchtigsten Feder beschrieben werden sollten – wenigstens gebe ich hiemit die Materialien dazu.

Die Sache ist auch ganz klar: wenn die Seele im sechsten, siebenten Lebensjahre auf einmal geboren wird, so fällt die ganze Macht der Eindrücke auf sie, und wir Älteren können uns auch gar keinen Begriff mehr machen von dem Heißhunger eines solchen neuen Dinges, daher wir ganz falsch urteilen über jene unermeßlichen Todestränen wegen eines verlornen Steinchens, einer zerbrochenen Gerte, oder über jene hereinbrechende Trostlosigkeit, wenn der kleine Mann nun doch nicht auf dem schneeweißen Bocke des Nachbars reiten darf, wie man ihm versprochen; die kleinsten Geschicke und Schmerzen stehen noch wie aufrechte Riesen vor der eingewickelten wehrlosen Seele, – aber mit wahrhaft zauberischer Kraft prägt sich in das kindweiche Empfängnis schon jetzt das eigentlich sittliche Element des Menschen, die Gewalt der Tat. Aber woher Taten nehmen? Außer den nachgeäfften tragen die wenigen Originalien, die er aufbringt, dem kleinen Tropfe eher Trübsal als Bewunderung ein, z. B. zerschlagene Töpfe, zerbrochene Fenster, eine umgestoßene Suppenschale – daher das Zauberwerk und Wunder, wenn einmal ein rechter Erzähler über ihn kömmt; da steht er mit offenem Munde, starren Augen, und vergeßnem Butterbrote, und schlingt die Nahrung für das junge Himmelreich seines Willens ein. Aber, wie des Armen Auge nur noch erst die grelle Farbe versteht, und die heftige: so muß auch für sein Herz die Tat noch grell sein, plötzlich, und unverhältnismäßig weit wirkend – und überall, wo er die äußeren Exponenten zu derlei antrifft, ahnt er schon diese dunkle Romantik der Taten, daher ihn Soldatenröcke, Trommeln, Trompeten, Seiltänzer und Theatertruppen so locken und entzücken. Das Mädchen muß noch länger tatenlos bleiben als ihr Bruder, der indes vielleicht schon auf der Schulbank sitzt und dort mit seinen Fäusten die ersten Lorbeern pflückt, und ihr müssen Taten der Kraft und Tapferkeit in einem desto unerreichbareren Lichte schimmern, je weniger sie in sich die Kraft vorfindet, selber einmal solche verrichten zu können. Diese rohe Poesie der Tat ist es, wodurch ihr junges Herz berührt wird, nicht, wie man irrig sagt, durch die Männertugend der Tapferkeit; denn sie bleibt unbewegt vor der noch größeren, vor der eisernen Duldung, vor dem langsamen Opfer, vor der jahrelangen Selbstverleugnung, wie es dem tieferen Staatsmanne eigen sein muß: es liege auf einem Minister dreißig Jahre lang das Heil der Welt, man beweise ihr, daß er allein Glück und Frieden des Landes gegründet habe: der sechzehnjährigen Schönen ist er nur ein alter, vergelbter Mann, während sie dem bejahrten Krieger mit seinem eisgrauen Schnurrbarte schon gut ist, für den kühnen Räuber aber unsäglich eingenommen ist, und tief innerlichst für ihn fürchtet und hoffet.

Dann kommen Jahre um Jahre, der Glanz der Tapferkeit bleicht, aber es schimmert heller und heller der des Herzens; dann kömmt die Zeit der Genies, und ein Mensch, aus dem es wie Glut und Liebe spielt, ist ihr dann gefährlicher, als ganze Armeen mit glänzenden Schwertern: endlich aber, wenn das Funkeln des Lebenstages in den stillen Glanz des Nachmittags getreten, geht sie am liebsten an der Seite des klaren Gatten, der stark und freundlich ist, mit gutem Herzen über ihr und den Kindern wacht, und mit gelassenem Nachhalt ein Stück der Menschheit um das andere fördert. Dann sieht sie auch mit Ehrfurcht auf die zitternden Finger des nunmehr steinalten Ministers, und horcht mit liebem Lächeln den ungestümen Erzählungen des invaliden Kriegers.

*

Allein kehren wir zu unserer Geschichte zurück – etwas Schwärmerisches, Romantisches, Dunkles bleibt in all den Sachen doch immer, man mag sie wenden, wie man will, und wenn wir uns derselben in späten Jahren wieder erinnern, oder wenn sie uns von andern erzählt werden, sind sie jederzeit wieder hold und poetisch und zukunftträumerisch, wie alles Werdende und Hoffende.

*

Es befindet sich in der Vorratskammer meiner Kindererinnerungen auch ein ganz isoliertes Bild einer sehr finstern, sehr trüben Novembernacht, in der wir alle gar seltsam in der hintern Eckstube des Erdgeschosses beisammen saßen. Die Ereignissevorundnachdieser Nacht sind weggelöscht, wodurch sie nur noch romantischer wird, daher ich sie gerade auch so erzählen will, nicht aber, wie sie nachher gar oft vom Herrn Amadäus erzählt und entstellt worden ist.

*

Die Franzosenkriege waren auf einmal da. Dunkle Sagen und Berichte waren ihnen lange genug voraus gegangen, und nun saß das gute, alte Schloß Weidenegg, unser liebes, freundliches Schloß, mitten drinnen. Man sagte uns Kindern in jener Nacht: Russen über Russen seien draußen herum, und ich erinnere mich recht gut des wunderlichen Eindruckes, wie ich ein verworrenes Brausen herein hörte, und durch die fernen Weidenruten trübe rote Lichter brannten. Auch der Vater und die andern mußten nicht recht gewußt haben, was zu tun sei – im ganzen Schlosse war ein Ausnahmszustand, man hatte uns in das hintere Eckzimmer gebracht, das sonst die Speisestube des Gesindes war, und das Tor hatte ich versperren und verrammeln gesehen. Man sagte uns, die Russen seien Freunde, aber da wir bisher noch keine Truppen gesehen hatten, wußten wir gar nicht, welcher Unterschied zwischen Freunden und Feinden sei. In dem Schlosse war kein einziger, ich weiß heut zu Tage noch nicht, warum, aber das weiß ich, daß es fürchterlich leer war, und daß wir meinten, jeden Augenblick müßten die Franzosen kommen, und die Kugeln würden gegen die Fenster schlagen, die auf den Teich hinausschauen. Die Vorderseite des Schlosses ist nämlich mit einem schilf- und weidenbekränzten Teich umgeben, durch den vom Tore weg ein kieselbepflasterter Damm führt. Die zwei Gitterfenster unserer ebenerdigen Eckstube gingen auf den Garten hinaus, der weit über einen Kanonenschuß breit und von dichten alten Bäumen geschützt war.

Mein Vater war nur Gerichtsverwalter in dem alten Schlosse, aber der Besitzer desselben, Herr Amadäus, war bei uns, und saß mit vor dem Kerzenlichte, das auf dem eichenen Tische stand. Eine Nacht war draußen, die mit jeder Minute dicker und finsterer wurde. Der alte Christian, den sie mit den Pferden und Kühen ins Gebirge geschickt, war auch nicht wieder zurück gekommen, und die anderen Knechte waren alle wegen des Soldatenlebens davon gelaufen. Herr Amadäus hatte Zuckersachen gebracht, aber Schwester Marianchen, die Kleinere, hielt sie wie einen tauben Schatz in der Schürze, nur daß von Zeit zu Zeit ein gelegentliches Knacken zu erkennen gab, daß sie doch nicht ganz widerstehen könne. Wir anderen kümmerten uns aber nicht darum, Lulu, die Ältere, saß sittsam da, und half fürchten – die Pendeluhr pickte auch heute gar so laut, und der Kasten warf einen so langen Schatten – ich, der Älteste, hielt mich am Geländer der Ofenbank, wo wir Kinder kauerten, und riß Augen und Mund auf, um kein Wort von dem Gespräche zu verlieren, das die Männer am Tische führten, nämlich Herr Amadäus und der Vater, sonst war keiner da – die Mutter saß auf einem Schemel zunächst an Marianchen, und ganz hinten am Ofen hockte ein ganzer Klumpen Mägde, die sich nach und nach hereingestohlen, weil sie es in der Küche gar nicht mehr ausgehalten. Die ganze Schloßbewohnerschaft war nunmehr in der Stube, und alle Gesichter sahen gegen den Tisch.

Herr Amadäus tat mutig und frevelhaft: er gab Winke, wie es im obern Lande wohl geschehen sei, daß ein oder der andere abseitige Franzose verschwunden, ja in der Haselau sei einmal ein ganzes Pikett verloren gegangen – er sah den Vater listig an, und machte eine Bewegung, wie man eine Axt führt – und immer fuhr er so fort, und redete von unserm guten Gartenkeller, der abgelegen und ungebraucht sei – in Tirol gehe es fürchterlich zu – und im letzten Wochenmarkte habe man die Grausamkeit der Hessen und Bayern beschrieben. Ich arbeitete alles das in meinem Haupte zu einer Masse verworrener, verstümmelter Vorstellungen zusammen, und der gute kleine Herr Amadäus mit dem freundlichen eingeschrumpften Gesichte, der uns sonst immer, weil er selbst unverheiratet war, ganze Säcke voll Naschereien gebracht hatte, und der dabei immer so glänzende lustige Äuglein machte, kam mir selber heute mit samt den Äuglein wie ein verwunderliches Teufelchen vor, besonders weil er so lange und doch so kurze schwarze Füßchen und lange schwarze Rockärmel hatte. Der Vater sah mild und freundlich. Man erzählte noch, wie der Mörixbauer vorgestern abgebrannt, wie jenseits der Berge große Truppenmärsche geschehen – und so verging die Nacht immer weiter und weiter, ohne daß sich das mindeste änderte und regte; die Pendeluhr pickte fort, die Nebel hörte man ordentlich draußen am Fenster rieseln, nur daß wir ein paar Mal etwas wie einen Anruf aus der Ferne hörten, und einmal ein dumpfer Fall geschah, wie der schwere Niederstoß vieler Gewehre. – Auf einmal – es war schon über eilf Uhr, und Marianchen schlief im Schoße der Mutter – auf einmal tat Lulu einen gellenden Schrei und riß ihr Antlitz gegen die Tür: ein Mann in einem weißen Mantel – es war kein Russe, wir kannten damals diese Art Mäntel noch nicht, nachher aber hatten wir Gelegenheit genug, sie kennen zu lernen – ein Mann in einem solchen weißen Mantel stand in dem Zimmer, er war ganz ungehört hereingekommen, und wir wußten nicht, wie lange er schon da stehe, aber nach dem Schrei, und ehe eines ein Wort sagen konnte, tat er geschickt beide Arme aus dem Mantel, in jeder Hand eine Pistole haltend, die er aufzog, daß wir die Hähne knacken hörten, dann sagte er in einem fremden Deutsch: »Wer ist der Verwalter?«

Der Vater stand auf und fragte um das Begehren.

»Führen Sie mich auf die Plattform dieses Hauses hinauf.«

»Ei!« rief Herr Amadäus, der vom Tische aufsprang, »ich bin der Herr dieses Schlosses!«

»Sie gehen auch mit«, sagte der Fremde ganz ruhig, indem er die Pistolen etwas höher hob, daß die Läufe im Kerzenlichte glänzten.

Die Männer sahen sich an und machten beide zugleich Miene zu gehorchen. Der Fremde warf noch einen Blick im Gemache umher, und hieß sie dann nur vorausgehen. Herr Amadäus hatte eine Laterne anzünden müssen, und der Vater wurde angewiesen, sich an dessen Seite zu halten. So gingen sie fort. Es war eine Todesangst, bis sie wieder kamen. Der Vater hat uns nachher erzählt, wie sich alles begeben habe. Sie mußten über die Stiege voran steigen, er hinter ihnen. Auf der letzten Treppe mußte die Laterne stehen bleiben, alle drei aber stiegen auf die Plattform hinaus. Dort stellte er sie beide gegen die Gartenseite, mit der Weisung, sich nicht zu rühren; er trat an die Gassenfronte, legte sich mit dem Oberleibe an das Geländer und blieb so unbeweglich stehen, indem er mit größter Aufmerksamkeit hinab zu schauen schien, obwohl eine Nacht war wie ein ummauertes Gefängnis, und nur die trüben roten Punkte der Feuer glänzten.

»Stürz ihn hinunter«, flüsterte Herr Amadäus.

»Um Gottes willen, nein«, antwortete der Vater und hielt Herrn Amadäus bei der Hand.

Der Fremde stand wie ein schwarzes Steinbild an dem Geländer, und der Vater sagte, tausend Röhre der Russen konnten sich damals auf ihn richten, wenn sie es gewußt hätten oder bemerkt – aber sie wußten nichts, sie bemerkten nichts, und nach einer Viertelstunde, oder weniger, schritt der Fremde wieder zu den beiden Männern und bat sie höflich, wieder voran hinabzugehen. Sie taten es, und unten bat er sich noch eine kleine Begleitung in den Garten aus. Herr Amadäus und der Vater gingen mit, und fanden zu ihrem unsäglichen Erstaunen an dem Pfirsichgitter des Lusthauses ein Pferd angebunden, das vollständig kriegerisch gesattelt und gezäumt war. Der Fremde löste es ab, nahm die Zügel in den Arm und führte es durch allerlei Gartenwege, während die zwei vor ihm her gehen mußten. Er sagte während dessen nicht eine Silbe. Es war ganz und gar unbegreiflich, wie er denn hereingekommen sein mochte, und es wurde auch am anderen Tage nicht begreiflich, weil indes die Gartenmauer so zugerichtet worden war, daß man durchaus nicht mehr wissen konnte, wie sie gestern gewesen; wie er aber hinauskam, das sollten wir in kurzem erfahren. Er war ein paar Mal der Gartenmauer sehr nahe gekommen und schaute vorsichtig und fest auf die Stelle hin – auf einmal aber wendete er sich ganz und gar um und ging wieder gerade auf das Schloß zu. Dort angekommen, hielt er unter dem Torwege und sagte: »Öffnen!« – Dort war es, wo uns das Herz wieder leichter wurde, indem wir die Stimme des Vaters hörten, der nach den Mägden rief. Die im Garten ausgelöschten Laternen mußten wieder angezündet werden, Lulu und ich drängten uns neugierig ein wenig aus dem Küchengange hervor, daß wir hinaussehen konnten, was vorging: von einer Bedeutung, welche das Ding haben könnte, hatten wir damals keinen Begriff, wir sahen nur, wie Herr Amadäus neben dem fremden Manne stand, und wie das grelle Laternenlicht aus der Hand der alten Agnes, die selber einen riesengroßen Schatten warf, auf die beiden Männer fiel und auf ein prachtvolles Pferd, an dessen Decke und Zügel alles glänzte und glitzerte; den Vater sahen wir, wie er aufsperrte und mit den Mägden die dicken Holzbohlen zurückschob. In dem Augenblicke war auch die Mutter und alle herausgekommen, auch ich und Lulu standen bereits unter der Wölbung des langen Torweges und sahen ängstlich in die Nacht hinaus, als sich der eine Torflügel öffnete.

»Beide!« rief der Fremde ungeduldig, »beide!«

Und als beide Flügel offen standen, stieg er langsam zu Pferde, setzte sich zurechte, prüfte Zügel und Steigbügel – dann winkte er mit der Hand Herrn Amadäus hinweg und saß einen Moment gleichsam mauerfest in dem Sattel – damals tat er einen Seitenblick auf uns – aber ehe kaum so viel Zeit verging, als man braucht, ein Augenlid aufzuschlagen, geschah ein Spornstoß – dann zuerst bloß ein Aufzucken des Tieres – aber plötzlich, wie eine geschossene Kugel, war es auch schon weit zum Tore hinaus – so sehr flog es, daß wir das Prasseln seiner Hufe auf dem langen Kieseldamme kaum wie zwei kurze Schläge vernahmen – dann zwei Pistolenschüsse rechts und links in die Russen – dann nichts mehr – – ja, ein Schuß, ein zweiter, dritter, zehnter – – unzählige – – endlich Totenstille. Im strengen Sinne des Wortes war das Vorüberzucken des weißen Mantels in meinen Augen noch nicht erloschen, als schon alles aus war. Wir standen noch um die leere Stelle, und eine feuchte, kalte Luft zog bei dem offnen Tore herein.

Zwei waren es, die zuerst Worte fanden, um ein Urteil über die Tat abzugeben, und zwar ein Urteil voll eitel unverhohlenen Jubels: nämlich Lulu und ich. Das hatten wir begriffen, daß die Russen seine Feinde seien, und alle, glaubten wir, habe er sie nun gehöhnet, geschlagen und zerstreut – die Schnellkraft, womit er sich hinausgeschleudert hatte, der Adel und Leichtsinn, der in dem ganzen Dinge lag, kam mir unsäglich vornehm und prächtig vor.

»Das ist ein Mann!« rief Lulu, »das ist ein Mann!«

»Das ist ein Mann,« wiederholte ich, »das ist ein – Vater, ist es ein Franzose?«

Aber niemand gab uns eine Antwort, und niemand stimmte in unsere Gefühle ein. Herr Amadäus rang die Hände, daß die Schatten wie grausige Windmühlflügel im Gewölbe herumfuhren, er lief hin und wieder und schrie: »Jetzt werden sie sagen, wir hätten ihn versteckt, und werden uns alle zerreißen, heute noch werden sie uns zerreißen.«

Ich fürchtete mich wegen des Herrn Amadäus doch nicht, und sah lieber nach dem Vater, aber der war im Gesichte so weiß wie Kreide, und seine Hände waren ungeschickt und zitternd, als er zusperrte und mit dem Schlüssel immer herumdrehte und herumdrehte, ohne ihn herausziehen zu können. Da erstickte plötzlich aller Jubel in meinem Herzen; so vernünftig war ich doch schon, daß ich etwas von der Sache einsah, aber einen ganzen unsichtbaren Berg von Angst wälzte ich nach und nach empor, als uns der Vater wieder stille in die Stube zurückführte, als er immer stille blieb, nur manchmal hin und her ging, und gleichsam verstohlen die Hände rieb, wie einer, der voll Angst ist.

Die Mutter war über Marianchens Bette geneigt und sah ihr in das Gesicht, weil sie so ruhig und gesund schlief.

Lulu stand auf der Ofenbank und sah den Vater mit halb törichten, halb klugen Augen an. Auf einmal sagte sie mit ihrer klaren Stimme: »Es macht nichts, Vater, ich werde ihnen sagen, daß ich es selbst gesehen habe, wie der Mann bei der Türe hereingekommen ist, und daß du ihm gar nicht befohlen hast, unter die Soldaten zu reiten und unter sie zu schießen.«

Der Vater blieb stehen und sah das Kind an – auch die Mutter hatte sich umgesehen und wartete auf eine Antwort.