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Zwei Leichen für den besten Ermittler Norwegens Der Farris-See nördlich von Larvik trocknet infolge von Regenmangel immer mehr aus. Dadurch wird in der Nähe des Ufers die Leiche eines Mannes entdeckt, der seit acht Jahren als vermisst gilt. Seine linke Hand ist an den Lenker eines Motorrads gefesselt. William Wisting und sein Team beginnen mit den Ermittlungen, da entdeckt ein Rentner mit einem Metalldetektor am anderen Ufer die Habseligkeiten eines vier Jahre zuvor verschwundenen Mädchens. Welche dunklen Geheimnisse wird der See noch preisgeben, wenn die Dürre weiter anhält?
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Text bei Büchern ohne inhaltsrelevante Abbildungen:
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Übersetzung aus dem Norwegischen von Andreas Brunstermann
© Jørn Lier Horst 2024
Titel der norwegischen Originalausgabe: »Tørt Land«, Bonnier Norsk Forlag AS, Oslo 2024
Published by Agreement with Salomonsson Agency
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Piper Verlag GmbH, München 2025
Redaktion: Dr. Annika Krummacher
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
Covergestaltung: zero-media.net, München
Covermotiv: FinePic®, München
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Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Der Wasserstand war seit dem letzten Mal um gut einen Meter gesunken. Dabei war ein altes Ruderboot zum Vorschein gekommen. Es hatte Löcher im Rumpf und lag auf der Seite, halb versunken im Schlamm, mit dem Heck im trüben Wasser.
Evert Harting setzte sich auf die Kante des Kofferraums und zog seine Stiefel an. Die Luft stand still. Er schob seine Schirmmütze zurecht und blickte hinaus auf den Farris. Die Wasseroberfläche des Sees war nahezu spiegelglatt und der Widerschein der Sonne so stark, dass er den Blick abwenden musste.
Entlang des Ufers hatte das Wasser einen breiten, farblosen Streifen hinterlassen. Ein unberührtes Areal.
Er legte sich den Ausrüstungsgürtel um, nahm den Metalldetektor aus dem Wagen und hielt ihn probehalber an eines der Hinterräder. Ein lauter Ton war zu hören, als die Suchspule sich der Metallfelge näherte. Die Signale waren auf dem Display deutlich zu erkennen.
Ein Vogel mit langem Schnabel stob auf, als Harting sich dem Suchgebiet näherte. Der getrocknete Lehmboden hatte Risse gebildet, die sich gleich einem Netzwerk kreuz und quer über den gesamten Bereich erstreckten. An einigen Stellen ragten Büschel welken und vertrockneten Schilfs aus dem Boden, an anderen lagen Steine.
Die dünne Lehmkruste zerbrach unter seinen Schritten zu kleinen Brocken.
Er entdeckte den großen Stein, an dem er beim letzten Mal die Suche abgebrochen hatte, und setzte die Arbeit systematisch fort. Seine alten Stiefelabdrücke waren immer noch zu sehen. Er bewegte sich parallel zu ihnen vorwärts, bis er den Felsbrocken erreichte. Dort drehte er sich um und lief zurück. Von der Autobahnbrücke im Süden hörte er das ferne Rauschen des Verkehrs.
Der Detektor gab ein Signal von sich. Der hochfrequente Ton verriet Harting, dass etwas aus Leichtmetall im seichten Untergrund lag. Mit dem Fuß stocherte er im Boden und entdeckte eine leere Bierdose. Der aufgewirbelte Staub löste ein Kratzen in seinem Hals aus. Er ging ein Stück weiter, justierte die Empfindlichkeit der Sonde und setzte die Suche fort.
Evert Harting hoffte, Überreste der alten Fresjeborg zu finden, die hier angeblich irgendwo am Ufer gestanden hatte und im 17. Jahrhundert einem Hochwasser zum Opfer gefallen war. Die Burg soll über einen eisernen Turm verfügt haben, doch er hätte sich schon mit einem alten, handgeschmiedeten Nagel zufrieden gegeben.
Er nahm einen Schluck aus der Wasserflasche an seinem Gürtel und machte weiter.
Ein paar Bretter lagen auf dem getrockneten Schlammboden lose übereinander. Sie waren von Algen grünlich verfärbt und teilweise faulig. Er ließ den Detektor darüber hinweggleiten, doch es gab kein Signal.
Bis hinüber zu der Felskante, die das Suchgebiet begrenzte, war der Boden mit eingesunkenem Treibholz gespickt. Evert Harting schob den Metalldetektor zwischen einen grauen Stamm und eine Baumwurzel. Sofort gab die Sonde ein Signal von sich, einen Ton, der schnell anstieg und jäh wieder abfiel. Die Bildschirmanzeige deutete auf Kupfer oder ein anderes schnell leitendes Metall hin.
Er legte den Detektor aus der Hand und kippte die Wurzel zur Seite. An einem der verdrehten Wurzelstränge hing ein verirrter Angelköder.
Jedes Mal war es aufregend, wenn der Detektor ein klares Signal von sich gab, doch meistens handelte es sich um Schrott. Einmal hatte er eine dänische Silbermünze aus dem Jahr 1642 gefunden, ein Zwei-Schilling-Stück mit der Abbildung Christians IV., das an einem Feldrand in Stokke gelegen hatte. Ein anderes Mal war er auf einen silbernen Fingerhut aus dem späten 19. Jahrhundert gestoßen.
Er ließ den Köder an der Baumwurzel hängen und ging wieder zurück. Dabei achtete er darauf, die Sonde so zu bewegen, dass sie sich mit den Bereichen überlappte, in denen er bereits gesucht hatte. Die Sonne brannte ihm in den Nacken, und das Hemd klebte vor Schweiß.
Mit jeder neuen Runde kam er näher ans Wasser heran. Er hatte sich gerade ausgerechnet, dass er noch dreimal gehen müsste, als der Detektor zu piepen begann. Der Indikator auf dem Bildschirm signalisierte einen Goldfund.
Evert Harting spürte den Puls ansteigen. Um den Fund einzugrenzen, ließ er den Detektor im Kreis herumfahren. Er markierte die Stelle mit dem Kopf der Sonde, legte das Gerät dann zur Seite, schob die Mütze aus der Stirn und wischte sich den Schweiß mit dem Hemdsärmel ab.
An seinem Gürtel hing ein kleiner Spaten. Er nahm ihn, kniete sich hin und schaufelte ein wenig trockene Erde zur Seite, die er durch seine Finger rieseln ließ. Sie enthielt Steinchen und Pflanzenreste.
Er wusste, dass er tiefer graben musste, und arbeitete sich mühsam weiter vor. Nach und nach wurde die Erde klumpiger und feuchter. Er legte den Spaten weg und griff zu seinem Pinpointer. Der piepte und vibrierte in seiner Hand, als er ihn auf den Grund des Lochs führte. Der Fund schien sich am Rande der kleinen Grube zu befinden, die er gegraben hatte.
Der Schweiß brannte ihm in den Augen. Er blinzelte ihn weg, grub eine weitere Handvoll Erde hervor und zerbröselte sie auf der Handfläche. Nichts. Er unternahm einen neuen Versuch und spürte plötzlich, dass seine Finger etwas berührten. Als er sie wieder aus dem Loch zog, blieb etwas Fadenartiges daran hängen. Eine Goldkette.
Er nahm sie in die Hand und ließ sie mehrmals auf die andere Handfläche fallen, um die Erde abzulösen.
Es war eine dünne Halskette, etwa vierzig Zentimeter lang, in deren Mitte ein Anhänger befestigt war. Der Buchstabe A. Das Kettenglied neben dem Verschluss war beschädigt, als wäre die Kette jemandem vom Hals gerissen worden.
Ein kühler Windstoß wirbelte etwas Staub auf. Evert Harting schloss die Hand um die Goldkette und erhob sich. Ein Kajakfahrer paddelte gerade über den See. Auf der anderen Seite wurde das Sonnenlicht von ein paar fahrenden Autos reflektiert, und Harting glaubte Menschen am Fuße der steilen Felskante zu sehen, die sich zum Wasser hinunterzog.
Eine ganze Weile blieb er stehen und sah hinüber, ehe er schluckte und seine Faust betrachtete. Vorsichtig öffnete er sie.
So eine Kette hatte er einmal auf Zeitungsfotos gesehen – und das war jetzt schon einige Jahre her.
Oben an dem A befand sich ein kleines Loch, durch das die Kette geführt wurde. Am rechten unteren Rand des Buchstabens befand sich ein weiteres Loch, sodass er leicht schräg am Hals der Person hing, die die Kette trug.
Mit dem Daumen rieb Evert Harting über den Buchstaben und kratzte mit dem Fingernagel etwas Erde ab. Dann steckte er die Kette in die Brusttasche und schob mit dem Fuß die Erde zurück ins Loch.
William Wisting folgte der Wegbeschreibung auf seinem Handy und erreichte die richtige Abzweigung. Auf beiden Seiten standen Laubbäume dicht beieinander. Das Sonnenlicht schien durch die Äste und warf streifenförmige Schatten auf den unübersichtlichen Schotterweg vor ihm.
Er brauchte nicht weit zu fahren, bis er die anderen entdeckte. Die Autos standen in einer breiten Kurve, die den Blick auf den Farris freigab. Staub wirbelte auf, als er den Wagen abbremste. Nils Hammer stand mit zwei jungen uniformierten Beamten am Wegesrand.
Wisting öffnete die Fahrertür und stieg aus. Der heiße Motor gab klickende Geräusche von sich.
Hammer trank einen Schluck aus seiner Wasserflasche.
»Ich dachte, du würdest dir den Fundort vor der Bergung gern noch ansehen«, sagte er.
Die jungen Kollegen traten ein wenig zur Seite. Wisting ging dicht an den niedrigen Holzzaun heran und spähte über die Kante. Etwa fünf Meter unterhalb von ihm stand ein dritter Polizist. Alles, was bis vor Kurzem noch von Wasser bedeckt gewesen war, lag jetzt offen da. Wisting sah einen alten Kühlschrank, einen Herd, einen Rasenmäher, ein paar Rollen mit rostigem Stacheldraht, alte Dachplatten, undefinierbaren Metallschrott und ein Motorrad.
»Du hast die Fahndung selbst herausgegeben«, sagte Hammer. »LU 4813, Yamaha DT, 100 Kubik.«
Um den Schrotthaufen herum waren Fußspuren in dem getrockneten Schlammboden zu sehen. Irgendjemand hatte das Nummernschild abgewischt, ansonsten schien das Motorrad unberührt zu sein.
Wisting drehte sich um und betrachtete den Weg, auf dem er gekommen war. Das Motorrad lag etwa sechs Meter vom Ufer entfernt. Die Geschwindigkeit musste so hoch gewesen sein, dass der Fahrer aus der Kurve geflogen war.
»Der Grundbesitzer hat den Zaun vor sieben Jahren errichtet, um zu verhindern, dass hier Müll abgeladen wird. Er war es, der den Fund gemeldet hat.«
Das Sonnenlicht wurde von dem verchromten Auspuffrohr reflektiert.
»Die Stelle hier nennt sich Roper’n«, fuhr Hammer fort. »Die Leute aus der Umgebung haben sich hingestellt und die Fähre herbeigerufen, wenn sie hinauf nach Siljan oder runter in die Stadt wollten.« Er deutete auf die Überreste einiger Vertäuungshaken am Felsen.
»Wie komme ich da hinunter?«, wollte Wisting wissen.
Einer der Polizisten zeigte ihm, wo sie selbst zuvor entlanggegangen waren: durch ein trockenes Bachbett auf der rechten Seite des Plateaus. Wisting schob einen Ast aus dem Weg und machte sich an den Abstieg durch das unwegsame Gelände. Hammer folgte ihm.
Auf den ersten Metern der steilen Felswand konnte Wisting sich noch an einem biegsamen Zweig festhalten. Auf dem letzten Stück galt es, auf dem Untergrund festen Halt zu finden.
Der Polizist, der schon hinuntergeklettert war, kam ihnen entgegen. Er war einer der jungen Kollegen, die im Sommer Urlaubsvertretungen übernahmen.
»Da drüben liegt ein Geldschrank«, sagte er und zeigte in die Richtung.
Wisting schirmte die Augen vor dem scharfen Sonnenlicht ab. Halbwegs eingesunken in den Untergrund lag ein grauer Stahlschrank, stellenweise von Reisig bedeckt, das sich in den Stacheldrahtrollen drum herum verfangen hatte. Gleich daneben ragte eine verbogene Stoßstange aus dem Boden, zusammen mit weiteren ausrangierten Autoteilen und etwas, das an einen Heizstrahler erinnerte.
»Gut beobachtet«, sagte Wisting und merkte, dass der junge Polizist sich über das Lob freute.
»Ist wohl gestohlen und dann hier abgeladen worden, nachdem er geleert wurde«, meinte der junge Kollege.
»Das sehen wir uns später noch genauer an.«
Sie bahnten sich einen Weg zu dem Motorrad. Die Sonne hatte den grauen Untergrund ausgetrocknet, und die Erde zerbröselte unter ihren Schritten.
An einer Stelle brach Wisting durch die spröde Bodenkruste. Er sank bis zur Wade ein und musste sich auf einer alten Waschmaschine abstützen. Das Wasser sickerte in das Loch, als er den Fuß herauszog, aber er war nicht nass geworden.
Das Motorrad lag mit eingesunkenem Vorderrad auf der Seite. Auch der Fahrer war da. Der Tank und der Lenker waren teilweise von einer schwarzen Lederjacke bedeckt. Eine blaue Jeans war in Auflösung begriffen. Aus einem Stiefel ragten ein paar graue Knochen hervor.
Wisting ging um das Motorrad herum. Der Helm lag einen halben Meter daneben. Das Visier war heruntergeklappt, aber an der Halsöffnung konnte er bleiche Wirbelknochen ausmachen.
»Fast auf den Tag genau acht Jahre her, seit er verschwunden ist«, kommentierte Hammer.
Wisting nickte.
Morten Wendel. Sechzehn Jahre alt. Ein zerstörtes Leben mit einem fatalen Ende.
»Was denkst du?«, fragte Hammer. »Ein Unfall oder war das Absicht?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Wisting. »Aber alles in dem Fall deutet auf Letzteres hin.«
Er trat einen Schritt beiseite, hockte sich hin und hob den linken Ärmel der steifen Lederjacke an. Am Lenkergriff befanden sich Knochenreste, die in etwas steckten, das nach einem schwarzen Gummihandschuh aussah.
Hammer gab ein Seufzen von sich und fluchte laut.
»Was ist das?«, fragte der junge Polizist.
»Klebeband«, erwiderte Hammer.
Der andere verstand nicht.
»Er hat sich die Hand an den Lenker geklebt, damit er sich nicht anders entscheiden konnte«, erklärte Hammer. »Als er dann aufs Wasser zugefahren ist, gab es kein Zurück mehr. Er musste mitsamt dem Motorrad auf den Grund sinken.«
Dem jungen Polizeibeamten schien der Gedanke nicht zu behagen.
»Ich habe schon die Kriminaltechnik informiert«, fuhr Hammer fort. »Die Kollegen sind auf dem Weg hierher.«
Wisting drehte sich um und sah auf den See hinaus. Von Süden her näherte sich ein Kajak. Der Fahrer trieb es mit gleichmäßigen und rhythmischen Paddelschlägen an.
Es war 13:48 Uhr am Montag, dem 13. Juli. Der Sommer war nicht einmal zur Hälfte vorbei.
Evert Harting sah die beiden leeren Plastikkanister, als er den Kofferraum öffnete und den Detektor herausnahm. Er hätte sie unterwegs auffüllen sollen, aber das war ihm irgendwie entfallen.
Er ließ die Kanister stehen. Sie hatten zu Hause genügend Wasser bis zum nächsten Tag. Es war das erste Mal, dass der Brunnen nichts hergab. In den Rohren erklang bloß ein hohles Geräusch. Zuerst hatte er geglaubt, die elektrische Pumpe habe den Geist aufgegeben, doch dann war er froh, sich die Reparaturkosten sparen zu können, als ihm klar wurde, dass der Brunnen schlichtweg ausgetrocknet war.
Ella saß im Schatten des Verandadachs mit einem ihrer Kreuzworträtsel.
»Ich hab das Wasser vergessen«, sagte er, ehe sie ihn fragen konnte. »Ich bring’s beim nächsten Mal mit.«
»Wolltest du noch mal los?«, fragte sie.
»Nein«, sagte er. »Ich kümmere mich morgen darum.«
Sie lächelte. »Wird schon gut gehen. Hast du was gefunden?«
Evert Harting schüttelte den Kopf. Die Kette hatte er im Handschuhfach liegen gelassen. »Bloß Schrott.«
Er legte den Detektor an seinen Platz unter der Küchenarbeitsplatte und schloss das Ladekabel an.
»Wir müssen heute die Koteletts grillen«, sagte Ella. »Die liegen schon seit Donnerstag im Kühlschrank.«
»Hast du Hunger?«
»Nein, noch nicht.«
»Ich kann sie später grillen.«
Er sah auf die Uhr und überprüfte die Lufttemperatur auf der Schattenseite des Verandabalkens. Halb drei, siebenundzwanzig Grad.
»Im Kühlschrank steht kalter Saft«, sagte Ella.
Evert Harting nickte, ging hinein und füllte ein Glas. Auf der Außenseite bildeten sich Kondenswasserperlen. Er nahm es mit hinaus und sah, dass Ellas Glas schon leer war.
»Im Haus, sechs Buchstaben«, sagte Ella und kratzte sich mit dem Kugelschreiber unter dem Kinn. »Fängt mit i-n-t an.
Evert Harting nahm einen Schluck und sah zu der kleinen Bucht hinüber, wo abends die Rehe hinkamen, um zu trinken.
Sie waren seit achtunddreißig Jahren verheiratet. Die Tage ähnelten einander, auch hier in der Hütte. Das meiste war gesagt. Manchmal vermutete er, dass Ellas Kreuzworträtsel der Versuch waren, ein Gespräch zu beginnen. Manchmal kannte sie wahrscheinlich die Antwort, fragte aber dennoch, weil die Lösung als Stichwort für etwas dienen konnte, worüber sie reden wollte.
»Interieur«, schlug er vor, ohne nachzuzählen.
»Das sind mehr als sechs Buchstaben«, meinte Ella. »Ich hab’s zuerst mit Mauern probiert, aber das hat nicht gepasst.«
Sie hatten einander bei der Arbeit kennengelernt. Er war Sachbearbeiter gewesen, sie hatte in der Buchhaltung gearbeitet. Es war seltsam, dass sie als Pensionärin ihre Zeit mit Kreuzworträtseln ausfüllte, wo sie doch das ganze Leben mit Zahlen gearbeitet hatte. Oder war gerade das der Grund?
»Hast du mit Kjell-Tore über das Klo gesprochen?«, fragte er.
»Ja, er schaut sich das an, wenn er herkommt.«
Nach dem Tod von Ellas Eltern hatten sie die Hütte am Farris übernommen und den Bruder ausbezahlt, aber Kjell-Tore kümmerte sich noch immer um die Instandhaltung.
»Das geht doch mit dem Plumpsklo«, sagte Ella. »Wir hatten ja früher auch nichts anderes.«
Evert Harting nahm einen Schluck Saft. Kjell-Tore hatte die Verbrennungstoilette installiert. Sie war erst zwei Jahre alt und funktionierte eigentlich gut, doch plötzlich hatte der Brenner versagt.
»Er war gerade in Flensburg, als ich ihn erreicht habe, und ist jetzt auf dem Weg hier hoch«, fuhr Ella fort. »Ich habe ihn gebeten, Jägermeister für dich zu kaufen, und diese Würstchen, die so gut waren. Er hat ja einen Kühlschrank im Wohnmobil.«
»Sehr gut.«
Kjell-Tore kam meist Mitte Juli zu ihnen. Dann verbrachten sie ein paar Tage zusammen in der Hütte, bevor Ella und Evert sich das Wohnmobil ausliehen und für eine Weile in den Norden fuhren, während Kjell-Tore allein zurückblieb.
Ein Vogel mit breiten Schwingen kam über die Baumwipfel an der Nordseite geflogen und nahm Kurs auf den See. Er schlug ein paarmal mit den Flügeln und verschwand dann hinter den Bäumen auf der anderen Seite der Bucht.
»Intern«, sagte Evert Harting und kippte den Rest des Safts in sich hinein. »Im Haus. Etwas hausintern halten.«
Sie blickte auf das Kreuzworträtsel und fuhr mit dem Kuli prüfend über die Kästchen.
»Das passt«, sagte sie.
Solche Sachen beherrschte er gut. Die Fähigkeit, nicht in einem einzigen Denkmuster zu verharren, war ihm im Ministerium von großem Nutzen gewesen. Die ganze Zeit nach alternativen Lösungen und Antworten zu suchen. Vielleicht war das auch der Grund, warum seine Gedanken jetzt zur Goldkette weiterwanderten.
»Ich setz mich ein bisschen rein«, sagte er.
»Bei dieser Hitze?«
Evert Harting antwortete nicht, sondern ging in die Hütte und trat auf den Küchentisch zu, auf dem sein Laptop stand. Ella kam hinterher, füllte ihr Glas mit Saft aus dem Kühlschrank und öffnete ein Fenster.
Er wartete, bis er wieder allein war, ehe er etwas in das Suchfeld schrieb.
Annika und vermisst.
Die ersten Treffer stammten aus norwegischen Online-Zeitungen. Er scrollte weiter und entschied sich stattdessen für einen Artikel aus der schwedischen Zeitung Aftonbladet. Das Fahndungsfoto der vierzehnjährigen Annika Bengt füllte den oberen Teil des Bildschirms. Sein Verdacht wurde bestätigt. Sie trug die gleiche Art von Kette, wie er sie gefunden hatte. Das A für Annika lag gleich unterhalb ihres Halsgrübchens auf der sonnengebräunten Haut.
Der Artikel war fast vier Jahre alt. Als er erschien, war Annika schon fünf Tage verschwunden gewesen. Die Suchaktion war beendet worden, ohne dass die Polizei eine Spur von ihr gefunden hatte.
Es gab auch ein Foto der schwedischen Ermittlungsleiterin auf dem Campingplatz Bovikstrand bei Göteborg, wo Annika mit ihren Eltern zum Zeitpunkt ihres Verschwindens gewesen war. Das Fahndungsfoto von Annika war eines der letzten, die von ihr gemacht worden waren. Es war in schwedischen, norwegischen und dänischen Medien in jedem einzelnen Artikel über den Fall erschienen. Sie ähnelte ein wenig der Annika aus den Pippi-Langstrumpf-Filmen. Struppige dunkle Ponyfransen und dunkle Augen, die kleiner wurden, wenn sie lächelte.
Es gab noch andere Fotos von ihr, die Freunde online gestellt und weiterverbreitet hatten. Einige stammten von ihrer Schule in Vetlanda, die meisten jedoch von ihrem letzten Sommer in Bovikstrand. Auf einem davon lag sie im Sand eingegraben, nur der Kopf ragte noch heraus. Eines der wenigen Fotos, auf denen die Halskette nicht zu sehen war.
Evert Harting klickte die Fotos weg und rief einen neueren Artikel aus dem vergangenen Sommer auf. Der Vermisstenfall war immer noch ein Mysterium. Alle Spuren verloren sich, nachdem das Mädchen kurz vor Mitternacht ihre Freunde am Strand zurückgelassen hatte. Aufgrund eines Missverständnisses wurde sie erst am nächsten Vormittag als vermisst gemeldet. Sie sollte mit zwei Freundinnen in einem Wohnwagen schlafen, aber vorher bei ihren Eltern vorbeischauen. Ihre Freundinnen glaubten, sie hätte sich anders entschieden, während die Eltern davon ausgingen, dass sie am anderen Ende des Campingplatzes übernachtete. In dem drei Jahre später erschienenen Artikel war keine Rede davon, dass es sich bei dem Fall um etwas anderes als ein Verbrechen handeln könnte.
Draußen auf der Veranda schaltete Ella das Radio ein. Ein Sender mit Verkehrsmeldungen und Musik.
Evert Harting wandte sich wieder der Suchmaske zu und kombinierte Annika Bengt mit dem Wort Halskette. Die einzigen Treffer waren Artikel, in denen die Kette mit dem Buchstaben im Zusammenhang mit Annika Bengts Personenbeschreibung erwähnt wurde, nichts jedoch war darüber zu erfahren, wo die Kette gekauft worden war oder herstammte.
Buchstabenschmuck wurde so etwas genannt. Es gab verschiedene Arten. Was er gefunden hatte, wurde als Kette mit seitlich angebrachter Initiale in Gelbgold bezeichnet. Er fand eine norwegische Onlineboutique, wo genau solche Ketten verkauft wurden. Es wurde als persönliches Schmuckstück in asymmetrischem Stil angepriesen und kostete weniger, als Evert vermutet hatte. Knapp dreitausend Kronen für Kette und Anhänger.
Die Onlineboutique warb mit Tausenden zufriedener Kunden. Er versuchte zu schätzen, wie viele solcher Anhänger wohl im Umlauf waren. Die Hälfte der norwegischen Bevölkerung waren Frauen. Ella konnte er sich nicht mit so einem Schmuck vorstellen. Dafür war sie zu alt. Er rundete die Anzahl von möglichen Trägerinnen auf zwei Millionen ab, wobei er ältere Frauen und kleine Kinder vernachlässigte. Das norwegische Alphabet hatte neunundzwanzig Buchstaben, aber nicht alle wurden gleich oft benutzt. Wenn er zwei Millionen durch zwanzig teilte, käme er auf hunderttausend potenzielle Käuferinnen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass mehr als ein Prozent von ihnen eine solche Kette gekauft hatte. Es war ein wenig wie auf der Straße: Man musste mehr als hundert Frauen begegnen, bis man auf eine traf, die die gleiche Kleidung trug wie eine der anderen Passantinnen.
Eine von hundert.
Tausend verkaufte Anhänger in Norwegen. Vielleicht doppelt so viele in Schweden.
Wie viele Trägerinnen mochten ihre Kette verloren haben?
Die Wahrscheinlichkeit, dass es viele waren, wurde immer kleiner.
Mit einer langsamen Bewegung klappte er das Laptop zu. Es war bloß ein Gedankenspiel, das ihn nicht weiterbrachte. Und ob er sich weiter damit beschäftigen sollte, war ohnehin fraglich.
Plötzlich stand Ella im Zimmer. Die Zeit war in Windeseile vergangen, während er am Computer gesessen hatte. Fast zwei Stunden.
»Wir haben noch etwas Kartoffelsalat, oder?«, fragte sie und öffnete den Kühlschrank.
Er stand auf. »Ich schmeiße mal den Grill an«, sagte er und blieb einen Moment lang nachdenklich stehen.
Er sollte den Schmuck wohl dahin zurückwerfen, wo er hergekommen war, am besten in noch tieferes Wasser.
Der ausgetrocknete, rissige Seeboden lag in prallem Sonnenschein da. Wisting war zu Hammer hinaufgeklettert und beobachtete die Arbeit der Kriminaltechniker. Im Wald hinter ihnen zankten sich lautstark ein paar Krähen.
Wisting lehnte sich an den niedrigen Lattenzaun. Immer wieder hatte er in der Vergangenheit an den jungen Mann denken müssen, der mitsamt seinem Motorrad verschwunden war. Der ungeklärte Fall hatte stets mahnend in seinem Bewusstsein gelegen. Nach einer Weile hatte er zwar nicht mehr darüber nachgegrübelt, was eigentlich passiert war, aber die Geschichte war wie ein hartnäckiger schwarzer Fleck gewesen, der nicht verschwinden wollte. Dass der Junge nun gefunden worden war, rief bei Wisting allerdings kein Gefühl der Zufriedenheit hervor. Eher im Gegenteil. Jetzt konnte Morten Wendel nicht mehr für seine Taten zur Verantwortung gezogen werden.
Die Techniker gingen systematisch vor. Ehe sie etwas anderes begannen, wurden Fotos vom Fundort und von der Umgebung geschossen und die Abstände ausgemessen. Das Hinterrad des Motorrads lag sechs Meter und dreizehn Zentimeter vom Festland entfernt, in etwa fünf Metern Tiefe, sofern man den normalen Wasserstand des Sees zugrunde legte.
Der junge Vertretungspolizist, der Wisting unten in Empfang genommen hatte, betrachtete aufmerksam die Szenerie.
»Darf ich Sie mal was fragen?«, erkundigte er sich vorsichtig, nachdem sie eine Weile schweigend dagestanden hatten.
Wisting antwortete mit einem Kopfnicken.
»Wie wird man eigentlich Ermittler?«
Der junge Mann war Anfang zwanzig, und seine Familie schien aus Pakistan oder einer benachbarten Region zu stammen. Er hatte volles dunkles Haar, der Bart war sorgfältig getrimmt und ließ ihn älter wirken, als er vermutlich war.
»Wie heißen Sie?«, fragte Wisting.
»Daniel Rana.« Er streckte die Hand aus.
Wisting ergriff sie. Der Name des jungen Mannes war ihm aus verschiedenen Berichten bekannt.
»Sie sind das also«, sagte er und nickte. »Sie waren letzte Woche wegen des Einbruchs in dem Lager in Heggdal, nicht wahr?«
»Stimmt. Sind Sie da schon weitergekommen?«
Wisting schüttelte den Kopf. »Und Sie könnten sich vorstellen, Ermittler zu werden?«
»Scheint mir interessant zu sein«, entgegnete Rana.
Über den Polizeifunk kam eine Meldung herein. Einer der anderen reagierte. Der Einsatzleiter wollte sie zur E18 beordern, um eine Motorradstreife zu unterstützen. Anscheinend hatten die Kollegen dort versucht, einen Wagen anzuhalten, der Schlangenlinien fuhr, doch ohne Erfolg. Die beiden anderen Beamten eilten zu ihrem Wagen, während Rana bei Wisting blieb.
»Viele Wege führen zu einer Tätigkeit als Ermittler«, sagte Wisting, um Ranas Frage zu beantworten. »Am wichtigsten ist wohl, Interesse zu zeigen.«
So war er selbst einst Ermittler geworden. Die ersten Jahre nach der Polizeihochschule hatte er im Streifendienst verbracht, aber während andere Kollegen nur Berichte darüber schrieben, was sie an einem Tatort gesehen und gehört hatten, verfolgte Wisting die Fälle gern weiter. Das war nicht unbemerkt geblieben und hatte ihm die Türen zur Ermittlungsabteilung geöffnet. Heute war es anders. Es wurde mehr Wert auf formelle Kompetenz als auf persönliche Eignung gelegt.
»Worauf achten Sie, wenn Sie Bewerber einstellen?«, wollte Rana wissen.
»Auf verschiedene Dinge«, sagte Wisting. »Einen breiten Erfahrungshorizont, aber auch Qualifikationen, die nur schwer messbar sind. Bereitschaft zu Teamarbeit oder die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen diversen Informationsschnipseln zu erkennen.«
Eine Weile verfolgten sie schweigend die mühsame Arbeit der Kriminaltechniker. Alle Knochenreste wanderten in eine große Pappschachtel, während die Bekleidung sortiert, vermerkt und in Papiertüten gelegt wurde.
»Und er ist einfach verschwunden?«, fragte Daniel Rana.
Hammer nickte. »Ein Mysterium.«
»Er wollte an jenem Abend ein paar Stunden allein zu Hause verbringen«, erklärte Wisting, »doch als seine Eltern später nach Hause kamen, waren er und das Motorrad verschwunden. Sie gingen davon aus, dass er nur eine Spritztour unternommen hatte, aber als er nicht wieder auftauchte, fürchteten sie, dass ein Unfall geschehen sei. Sie haben erst das Krankenhaus angerufen und dann die Polizei. Niemand wusste etwas.«
»Gab es denn gar keine Spuren von ihm?«, wollte der junge Polizist wissen.
»Keine einzige«, meinte Hammer und setzte die Wasserflasche an die Lippen.
»Wurde denn gar nicht nach ihm gesucht?«, fuhr Daniel Rana fort. »Irgendwer muss ihn doch gesehen haben.«
Nils Hammer schraubte die Wasserflasche wieder zu.
»Wir haben Fotos von ihm und seinem Motorrad rausgegeben, aber was Konkretes hat das nicht gebracht«, erwiderte er.
»Und was war mit Videokameras an Tankstellen oder so?«, fragte Rana.
»Das haben wir alles überprüft«, sagte Wisting. »Hat auch nichts ergeben.«
»Und die Nachbarn? Hat denn überhaupt niemand mitbekommen, dass er das Motorrad angelassen hat und weggefahren ist?«
»Es schien so, als hätte er sich heimlich davongeschlichen«, sagte Hammer. »Jetzt wissen wir, wieso.«
Er deutete mit dem Kopf auf die Techniker, die dabei waren, ihre Arbeit zu beenden. Einer von ihnen wischte sich mit einem Lappen über die Stirn.
»Weswegen hat er sich umgebracht?«, fragte Daniel Rana.
Wisting warf einen Blick auf Hammer und wartete ab, ob er die Geschichte erzählen wollte. Doch ehe es dazu kam, hörten sie das Geräusch eines schweren Kraftfahrzeugs. Ein Abschleppwagen kam ihnen auf dem schmalen Schotterweg langsam entgegen. Zweige und Äste wurden zur Seite gedrückt. Der Fahrer, ein junger Mann in grauem T-Shirt mit Schweißflecken am Ausschnitt, lehnte sich aus dem Fenster. Wisting ging zu ihm und erklärte, wozu sie seine Hilfe brauchten. Der Fahrer sprang heraus und warf einen Blick auf die Szenerie, ehe er rückwärts an den Lattenzaun heranfuhr und sich mit dem Wagen in Position stellte.
Die Techniker brachten ihre Funde zur Felskante und überführten sie in einen Hebesack. Der Mann von der Bergungsfirma manövrierte den Kranarm über die Kante hinweg und ließ ein Stahlseil mit einem Haken daran zu den Männern hinunter. Kurze Zeit später war alles an Land geschafft. Der Motorradhelm steckte in einem Plastikbeutel. Es sah aus, als würden sich noch immer Haare und Gewebe daran befinden.
Wisting öffnete den Beutel mit der Lederjacke und nahm sie heraus. Er taste den Stoff ab und registrierte, dass etwas in der Innentasche lag, ehe er die Jacke an Daniel Rana weiterreichte.
»Dann schauen Sie mal, was Sie herausfinden können.«
Daniel Rana untersuchte die Jacke genau so, wie Wisting es getan hatte, und zog eine Geldbörse aus der Innentasche. Sie war ganz steif, an mehreren Stellen hatten sich die Nähte gelöst. Das Leder riss, als er sie aufklappte.
Es gab Fächer für Karten und Bargeld sowie ein Münzfach mit Reißverschluss. Im obersten Kartenfach lag ein rosa Führerschein aus Plastik. Rana fischte ihn heraus und warf einen schnellen Blick darauf, ehe er die Plastikkarte an Wisting übergab.
Foto und Text waren noch gut zu erkennen. Morten Wendel, Führerschein Klasse A1.
Am selben Tag, an dem ihm der Führerschein ausgehändigt worden war, hatte er ein leichtes Motorrad gekauft. Drei Monate später war er damit verschwunden.
Daniel Rana fuhr mit der Untersuchung der Geldbörse fort. Sie enthielt eine Bankkarte aus Plastik sowie einen Bibliotheksausweis, die beide auf denselben Namen ausgestellt waren. Im Bargeldfach lag ein Fünfziger zusammen mit ein paar Papierzetteln, die sich fast aufgelöst hatten. Das Münzfach enthielt zwölf Kronen und einen kleinen Schlüssel.
Wisting behielt den Führerschein, während Daniel Rana die Geldbörse zu der Lederjacke in den Beutel legte.
»Hast du in letzter Zeit Kontakt mit seinen Eltern gehabt?«, fragte Hammer.
»Nicht mehr seit letztem Sommer«, erwiderte Wisting.
Das Motorengeräusch des Bergungsfahrzeugs wurde lauter. Der Kranarm schwenkte hinaus zu dem Motorrad, an dem die Techniker Haltegurte befestigt hatten. Langsam wurde es aus dem starren getrockneten Schlammboden herausgezogen. Das Schutzblech hing schief. Ein paar Klumpen Erde lösten sich ab und fielen herunter. Einer der Techniker hatte ein Seil am Hinterrad festgebunden und schob das Motorrad in Richtung des Bergungsfahrzeugs. Metall schabte an Metall, als es auf die Ladefläche gehievt wurde.
»Leg bitte eine Plane darüber«, bat Wisting den Techniker. »Ich habe die Angehörigen noch nicht informiert.«
Er drehte sich um und wollte zu seinem Wagen gehen.
»Was ist mit dem Safe?«, fragte Daniel Rana.
Wisting ging noch einmal zu der Felskante zurück und blickte hinüber zu dem grauen Metallschrank. Mit der Tür nach unten lag er unter Stacheldraht und anderem Metallschrott.
»Nehmen Sie ihn mit«, sagte er. »Vielleicht können Sie ja herausfinden, woher er stammt.«
Der Eingang befand sich auf der Schattenseite des schlichten Hauses. Im Garten nebenan hüpften ein paar lebhafte Kinder auf einem Trampolin herum.
Wisting drückte auf den Klingelknopf, konnte aus dem Hausinneren jedoch nichts hören.
Links neben der Tür standen drei Tontöpfe mit lila Blumen. Direkt davor war ein feuchter Fleck zu sehen, als ob die Pflanzen gerade Wasser bekommen hätten.
Niemand öffnete. Wisting drückte erneut auf den Klingelknopf und klopfte zweimal an die Tür. Noch immer keine Reaktion. Im Schlitz zwischen Türrahmen und Türblatt konnte er erkennen, dass abgeschlossen war. Möglicherweise hatten die Bewohner sich hinter dem Haus in den Garten gesetzt.
Der Kies knirschte, als Wisting von der Vortreppe hinunterging. Noch ehe er die Hausecke umrundet hatte, hielt auf der Straße ein kleiner Lastwagen an. Der Motor brummte einen Moment lang im Leerlauf und wurde dann abgestellt.
Wisting trat auf die Straße hinaus. Neben dem Lastwagen stand Allan Broch-Hansen und blätterte in ein paar Papieren. Er war noch immer im Warentransportgeschäft tätig. Der Name seiner Firma stand auf seinem T-Shirt und seitlich am Lastwagen, der neu aussah. Allan Broch-Hansen hingegen war seit ihrer letzten Begegnung älter geworden, mager und grauhaarig. Er zuckte zusammen und ließ eines seiner Papiere fallen, als er Wisting entdeckte.
»Ist was passiert?«, fragte er.
Wisting schüttelte den Kopf. »Nichts, was Sie ängstigen müsste.«
Allan Broch-Hansen blickte zum Haus hinüber. »Haben Sie mit Irene gesprochen?«
»Ich habe angeklingelt, aber niemand hat geöffnet«, erklärte Wisting.
Das Spiel der Kinder nebenan hörte sich plötzlich nach einem Streit an. Broch-Hansen bückte sich und hob das Blatt auf, das er fallen gelassen hatte.
»Die Klingel ist abgeklemmt«, erklärte er und musterte Wisting. »Sind Sie wegen Adine hier?«
»Das auch«, erwiderte Wisting. »Es geht um Morten Wendel.«
Allan Broch-Hansen kniff die Augen zusammen. »Habt ihr ihn gefunden?«
»Wir glauben es«, erwiderte Wisting und deutete aufs Haus. »Ich kann mit hineinkommen, falls Sie es Ihrer Frau nicht selbst erzählen möchten.«
»Nein«, sagte Allan Broch-Hansen. »Kommen Sie mit rein.«
Mit durchgedrücktem Rücken steuerte er auf die Haustür zu. Auf halbem Weg zum Eingang blieb er stehen und drehte sich zu Wisting um.
»Adine kommt am Mittwoch nach Hause«, sagte er. »Eine Woche Urlaub. Sie ist in einer Einrichtung in Hurum, wo man sich um Menschen mit Drogenproblemen und psychischen Störungen kümmert.«
»Läuft es denn gut?«
Allan Broch-Hansen zuckte mit den Schultern. »Kann man noch nicht sagen.«
Er schloss die Tür auf und rief seine Frau. Sie tauchte am Ende des Flurs auf, sah an ihrem Mann vorbei und erwiderte Wistings Blick.
»Mit Adine ist alles gut«, versicherte ihr Mann. »Sie haben Morten Wendel gefunden.«
Irene Broch-Hansen fasste sich an die Brust. »Er ist aber nicht mehr am Leben, oder?«
Ihr Mann warf einen Blick auf Wisting. »Er wird uns alles erzählen«, sagte er dann und zog sich die Schuhe aus.
Wisting folgte seinem Beispiel. Seine Schuhe waren durch den Staub vom trockenen Seeboden ganz grau geworden, und die Hose wies Flecken auf.
Sie gingen ins Wohnzimmer. Ein dünner Vorhang hing vor der offenen Terrassentür und bewegte sich leicht. Irene Broch-Hansen schloss die Tür.
»Wir können uns hier hinsetzen«, sagte sie und nahm auf dem Sofa Platz. Ihr Mann setzte sich neben sie. Wisting wählte einen Stuhl auf der anderen Seite des niedrigen Tisches.
»Er ist tot«, sagte er. »Schon seit damals hat er dort gelegen.«
Die beiden auf dem Sofa wechselten einen schnellen Blick. An der Wand hinter ihnen hing ein Foto ihrer Tochter aus der Schulzeit. In jenem Sommer war sie siebzehn gewesen und hatte die Klasse über Morten Wendel besucht. Sie waren Nachbarn, und die Jugendlichen waren ein paar Tage allein zu Hause gewesen, während die Eltern verreist waren. Adine Broch-Hansen hatte sich auf der Terrasse gesonnt, als Morten Wendel durch eine Öffnung in der Hecke gekommen war und um Hilfe gebeten hatte. Der Hund der Familie habe seltsam zu atmen begonnen, und Morten fürchtete, dass er ersticken könne.
Adine war mit ihm zum Haus hinübergegangen.
»Er ist oben in meinem Zimmer«, hatte er erklärt und war dann die Treppe hochgerannt.
Als sie oben ankamen, wirkte der Hund völlig gesund – und offenbar froh darüber, nicht länger eingesperrt zu sein. Sie nahmen an, dass etwas in seinem Hals festgesteckt hatte, aber offenbar von selbst wieder herausgekommen war. Später meinte Adine, es müsse alles geplant gewesen sein.
»Geh noch nicht«, hatte Morten Wendel gesagt und sich in die Türöffnung gestellt. »Du bist so schön.«
Adine hatte gelacht und sich losgerissen, als er auf einmal angefangen hatte, sie zu betatschen. Sie war aus dem Schlafzimmer gelaufen, aber am Fuß der Treppe hatte er sie wieder eingeholt und wenig später im Wohnzimmer vergewaltigt. Eine Stunde lang hatte er sie gefangen gehalten, sie geknebelt und mit Klebeband an die Wohnzimmermöbel gefesselt. Sie hatte sich befreien können, als er gerade im Badezimmer war, und war nackt auf die Straße hinausgerannt.
»Wo haben Sie ihn gefunden?«, fragte Allan Broch-Hansen.
Wisting berichtete von dem Motorrad und dem Fundort im Farris.
Irene Broch-Hansen fing an zu weinen. Wisting merkte, dass es Tränen der Erleichterung waren.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Es war so belastend, nicht zu wissen, wo er abgeblieben war.« Sie wischte sich die Tränen ab. »Natürlich hauptsächlich wegen Adine, die immer Angst davor hatte, dass er zurückkommen und es noch mal tun würde.«
»Er hat sich also umgebracht?«, vergewisserte sich Allan Broch-Hansen.
»Alles deutet darauf hin«, sagte Wisting und nickte.
Ein paar Stunden nachdem Adine sich befreit hatte, war Morten Wendel festgenommen worden. Er präsentierte eine andere Version der Geschichte, behauptete, dass Adine im Bikini zu ihm gekommen sei und die Initiative übernommen habe. Alles sei freiwillig passiert. Die Spuren am Tatort sprachen eine andere Sprache. Dennoch war Morten nach zwei Wochen Untersuchungshaft wieder freigelassen worden, zum Teil aufgrund seines Alters. Sechs Tage danach war er verschwunden.
Wisting blickte Allan Broch-Hansen an. »Adine kommt also in zwei Tagen nach Hause?«
»Am Mittwoch«, bestätigte der Vater.
»Sie sollte besser vorher informiert werden«, schlug Wisting vor. »Das Auffinden der Leiche wird einigen Presserummel verursachen.«
»Vielleicht kann sie schon einen Tag früher kommen?« In der Stimme der Mutter lag hoffnungsvolle Erwartung. »Wir können ihr das nicht am Telefon erzählen, aber wenn wir mit der Leitung der Einrichtung reden, dürfen wir sie bestimmt schon morgen abholen. Die wissen ja, was sie erlebt hat und worunter sie leidet.«
»Ich muss morgen den ganzen Tag fahren«, sagte ihr Mann.
»Kann das nicht einen Tag warten?«, meinte Irene Broch-Hansen. »Wir wären doch sonst am Mittwoch gefahren.«
Ihr Mann nickte. »Dann machen wir das so«, sagte er.
Im Wohnzimmer wurde es still. Wisting hatte eine andere Reaktion erwartet, mehr Verbitterung. Besonders Irene Broch-Hansen hatte alle Schuld für Adines Probleme auf die Vergewaltigung vor acht Jahren geschoben. Dass Morten Wendel verschwunden und niemals zur Verantwortung gezogen worden war, machte alles noch schwieriger. Vor der Vergewaltigung war Adine ein aktives Mädchen gewesen, danach hatte sie sich von allen sozialen Aktivitäten zurückgezogen. Sie bekam Angstzustände und Depressionen, war selbstmordgefährdet, und schließlich war der Missbrauch von Alkohol und anderen Rauschmitteln dazugekommen. Nachdem der Täter nun tot aufgefunden worden war, veränderte sich die Gesamtsituation. Die Unsicherheit war beseitigt. Der Übergriff würde jetzt leichter zu bewältigen sein.
Wisting schickte sich zum Aufbruch an.
»Ich kann morgen noch mal vorbeikommen, wenn sie hier ist«, sagte er. »Sie hat bestimmt viele Fragen.«
»Das wäre schön«, meinte Irene Broch-Hansen.
Wisting stand auf.
Allan Broch-Hansen erhob sich ebenfalls. »Wissen Reidar und Gunn Hilde Wendel schon Bescheid?«
Seine Frau schnaubte, als wäre es unangemessen, den Eltern von Morten Wendel auch nur einen Gedanken zu opfern.
»Noch nicht«, erwiderte Wisting. »Ich fahre aber gleich anschließend zu ihnen.«
»Sie brauchen ja nicht zu erzählen, dass Sie hier gewesen sind«, sagte Irene Broch-Hansen.
Wisting nickte und ließ sich von ihrem Mann zur Tür begleiten.
Als Wisting zum ersten Mal schlechte Neuigkeiten überbringen musste, hatte ihn das mehr belastet, als er erwartet hätte. Er hatte mit einer Mutter reden müssen, deren Sohn bei einem Badeunfall ertrunken war. Sie war zusammengebrochen und völlig außer sich vor Verzweiflung weinend zu Boden gesunken. Dort hatte sie gelegen und sich vor Schmerzen gewunden, und es gab nichts, was Wisting hätte tun können, um ihr Leiden zu lindern.
Es gab keine unkomplizierte Art, eine Todesbotschaft zu überbringen. Egal wie barmherzig die Worte auch ausgesprochen wurden, so waren sie doch stets gnadenlos. Aber gerade weil es eine so schwierige Aufgabe war, wollte Wisting sie nicht jemand anderem überlassen.
Gunn Hilde Wendel hielt einen Gartenschlauch in der Hand und wässerte ein Blumenbeet. Sie war barfuß, trug Rock und Unterhemd und hatte einen Strohhut auf dem Kopf. Es dauerte eine Weile, bis sie registrierte, dass sie nicht länger allein war. Als sie Wisting entdeckte, schwenkte der Wasserstrahl abrupt aufs trockene Gras hinüber.
Er nickte und sah sie beruhigend an. Das Wasser sammelte sich zu einer kleinen Pfütze, ehe sie es schaffte, den Hahn zuzudrehen.
»Das ist aber lange her«, sagte sie und trocknete sich die Hände an ihrem Rock ab. »Ich dachte, Sie wären schon pensioniert.«
»Die Regeln wurden verändert«, erwiderte Wisting lächelnd. »Ich habe schlechte Neuigkeiten.«
»Über Morten?«
»Ja.« Wisting blickte sich um. »Ist Ihr Mann auch zu Hause?«
Gunn Hilde zeigte auf die Tür. »Er ist drinnen«, sagte sie und ging Wisting voraus.
Die Temperatur im Haus war angenehm. Reidar Wendel saß an dem runden Wohnzimmertisch. Ein brauner Mischling lag zu seinen Füßen. Reidar legte das Handy weg und stand auf, als er die beiden kommen sah. An der Wand hinter ihm sorgte eine rauschende Klimaanlage für kühle Luft.
»Es geht um Morten«, sagte seine Frau.
»Haben Sie ihn gefunden?«
Wisting nickte. »Vor ein paar Stunden.«
Einen Augenblick sahen sie einander an, ehe Reidar Wendel auf die Stühle deutete. Als Wisting einen davon zu sich heranzog, stand der Hund auf. Er tapste ein paar Schritte weiter und legte sich dann wieder hin. Ungefähr an der Stelle, wo Adine Broch-Hansen vergewaltigt worden war.
Wisting sah sich im Zimmer um. Die Möbel und das Inventar stimmten im Großen und Ganzen mit denen auf den Tatortfotos überein. Der große Esstisch stand an derselben Stelle, dort war das Nachbarmädchen an eines der Tischbeine gefesselt gewesen.
Wisting wandte den Blick ab und zog sein Notizbuch hervor, um auf Uhrzeit und andere Details zurückgreifen zu können.
»Er wurde zusammen mit dem Motorrad gefunden, auf dem Grund des Farris«, begann er, korrigierte sich aber gleich. »Auf dem ausgetrockneten Seegrund. Wegen der Hitze ist der Wasserstand um fast fünf Meter gesunken.«
Die beiden nickten.
»Es sieht so aus, als wäre er aus einer Kurve ausgebrochen und von der Straße abgekommen«, fuhr Wisting fort. »An einer kleinen Bucht an der Westseite, bei Vassvik. Die Stelle wird Roper’n genannt.«
»Haben Sie da etwa nicht gesucht?«, fragte Gunn Hilde Wendel schroff.
»Ich muss das in den Akten überprüfen, aber es scheint nicht der Fall zu sein«, erwiderte Wisting.
»Und wieso nicht?«
»Es wurde auf den Wegen und in den Straßengräben gesucht, aber um ihn womöglich im See zu finden, hätten wir Taucher einsetzen müssen.«
Er machte eine kleine Pause und ließ sich den nächsten Satz durch den Kopf gehen, ehe er ihn laut aussprach.
»Einiges deutet darauf hin, dass er absichtlich aufs Wasser zugehalten hat.«
Es klang unbarmherzig, auch wenn er sich bemühte hatte, es vorsichtig und rücksichtsvoll auszudrücken.
Gunn Hilde Wendels Stimme zitterte. »Wie können Sie so etwas sagen?«
»Es gibt Hinweise, wie wir sie von ähnlichen Fällen kennen«, erwiderte Wisting ruhig. »Die eine Hand war an dem Lenker festgeklebt, als hätte er die Absicht gehabt, in den See hineinzufahren.«
Gunn Hildes Augen füllten sich mit Tränen. Sie schluckte. Ihr Mann legte seine Hand auf ihre, doch sie zog sie zurück.
»Ihr habt ihn dazu getrieben«, sagte sie. »Habt ihm alles Mögliche vorgeworfen und versucht, ihn ins Gefängnis zu stecken.«
Der Hund hob den Kopf, blieb aber liegen.
»Sie hätten das Mädchen verhaften sollen, sie hat doch lauter falsche Anschuldigungen vorgebracht«, fuhr Gunn Hilde Wendel fort. »Sie hat ja damals schon Drogen genommen. Die war doch verrückt. Und das ist heute nicht anders: rein in die Psychiatrie und raus aus der Psychiatrie. Sie hat ja sogar versucht, unser Haus anzuzünden, ehe sie dann das ihrer Eltern niedergebrannt hat.«
Wisting hatte das alles schon einmal gehört und war auf diese Reaktion gefasst gewesen. Es gab Details in dem Fall, die er den Eltern des Jungen erspart hatte. Als die Kriminaltechniker das Zimmer ihres Sohnes untersuchten, fanden sie Spermaflecken an der Wand neben dem Fenster, das auf den Garten der Nachbarn hinausging. Daraus hatten sie gefolgert, dass er dort gestanden und onaniert hatte, während er Adine beobachtete. Auf seinem Handy waren Fotos von ihr gewesen, die zeitlich fast ein Jahr zurückreichten. Einige davon waren durch das Fenster aufgenommen worden. Auf einem dieser Bilder lief sie nackt durch den Flur zwischen Bad und Schlafzimmer. Hätte er Gunn Hilde Wendel von der Besessenheit ihres Sohnes erzählt, hätte das ihre Meinung über Morten nicht geändert, aber ohnehin war das alles nichts, was Wisting erwähnen wollte.
»Es tut mir leid«, sagte er.
In einer Art demonstrativer Zurückweisung lehnte Gunn Hilde Wendel sich auf ihrem Stuhl zurück. Ihr Mann legte ihr eine Hand auf den Arm.
Wisting war klar, dass sich bei beiden Unsicherheit und Zweifel einstellen würden. Kein Zustand, in dem er sie gern zurücklassen wollte, weswegen er sie mit weiteren Informationen versorgte.
»Der Körper wird einer rechtsmedizinischen Untersuchung unterzogen«, erläuterte er. »Sein DNA-Profil ist uns bekannt. Innerhalb von achtundvierzig Stunden werden wir die endgültige Bestätigung bekommen.«
»Sie sind also nicht ganz sicher, dass er es ist?«, fragte Reidar Wendel.
»Es sind sein Motorrad, sein Helm und seine Kleidung«, erwiderte Wisting, um keinen Raum für Zweifel zu lassen. »Wir haben seine Geldbörse mit dem Führerschein gefunden. Die Untersuchung im Rikshospital ist reine Formsache.«
Reidar Wendel nickte.
»Ich kann ein Bestattungsunternehmen kontaktieren, das sich anschließend um das Organisatorische kümmert«, bot Wisting an.
»Gabrielsen«, ließ sich Gunn Hilde Wendel vernehmen. »Die haben wir engagiert, als meine Mutter starb. Zum Glück muss sie das alles nicht mehr erleben.«
Wisting kannte das Unternehmen, notierte der Form halber aber den Namen.
»Wenn Sie es wünschen, kann ich Sie zum Fundort begleiten«, sagte er. »Nicht heute, aber wann immer es Ihnen sonst recht wäre.«
Reidar Wendel beugte sich leicht vor. »Wo war das, sagten Sie?«
»Bei Vassvik«, erwiderte Wisting und fing an zu erklären, wo der Ort lag.
»Ich weiß, wo das ist«, unterbrach Reidar Wendel ihn. »Ich verstehe bloß nicht, was Morten auf dieser Seite des Sees zu suchen hatte.«
»Er war doch gar nicht mehr er selbst«, meinte seine Frau.
Wisting konnte keine bessere Antwort geben.
»Auf etwas sollten Sie sich aber vorbereiten«, sagte er. »Die Medien werden sich sehr für die Sache interessieren.«