Wo die Engel Weihnachten feiern - Gaby Hauptmann - E-Book

Wo die Engel Weihnachten feiern E-Book

Gaby Hauptmann

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Beschreibung

Ein Elch? Mitten im Schwarzwald? Das kann nicht sein, denkt Sandra, als ihr Wagen am Abend des 23. Dezember mit einer unförmigen Gestalt kollidiert. Doch als sie dann noch einen fluchenden, aber putzmunteren älteren Herrn in rotem Mantel entdeckt, weiß sie: Sie hat den Weihnachtsmann überfahren. Damit nicht genug: Erbost lässt der Weihnachtsmann sich und sein Gefährt von Sandra abschleppen. Nur dass die Route keineswegs in die Stadt, sondern direkt in den Himmel führt, genauer: in die von emsig vor sich hin werkelnden Engeln besiedelte Weihnachtswerkstatt. Doch ist die Gestalt, die da hinten so selig lächelnd inmitten eines Bergs von Strohsternen sitzt, nicht Oma Ruth? Etliche »himmlische Begegnungen« später weiß Sandra, wieso Weihnachten tatsächlich das Fest der Liebe ist …

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GABY HAUPTMANN

Wo die Engel Weihnachten feiern

Eine himmlische Geschichte

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www.piper.de

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

2. Auflage 2010

ISBN 978-3-492-96200-1

© Pendo Verlag in der Piper Verlag GmbH, München 2010 Covergestaltung: Hilden Design, München Coverillustration: Chris Menke Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

 

Der Aufprall war gigantisch. Doch Sandras Verwunderung war fast noch größer als der Schock. Während ihr alter Jeep die schneebedeckte Fahrbahn vorwärtsschlitterte und schließlich mitten im Wald auf der einsamen Straße stehen blieb, klammerte sie sich ans Lenkrad und starrte nach vorn in den Lichtkegel ihrer Scheinwerfer. Da war nichts. Sie konnte nichts sehen. Worauf, um Himmels willen, war sie geprallt?

Sie wollte gerade den Sicherheitsgurt lösen, um auszusteigen und nachzuschauen, als sie in ihrer Bewegung erstarrte. Das, was sie da durch die Beifahrerscheibe ansah, war kein einheimisches Tier. Sandra starrte in große, dunkle Augen, und obwohl es draußen stockfinster war, glaubte sie, ein großes Schaufelgeweih zu erkennen. Ein Elch? Mitten im Schwarzwald?

Wo sollte hier ein Elch herkommen?

Und was, wenn das Tier verletzt war?

Sandra zögerte und schaute nach ihrem Handy. Vielleicht sollte sie besser gleich Hilfe rufen? Aber was würde sie sagen?

Das machte keinen Sinn. Sandra gurtete sich entschlossen los. Sie war 34 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern, Ehefrau eines Automechanikers und von zupackendem Wesen. Sie würde jetzt nicht hier auf ihrem zerschlissenen Autositz warten, dass etwas passieren möge. Es war der 23. Dezember, und sie hatte die letzten Weihnachtseinkäufe hinten im Wagen. Bis auf die Gans, die mit ihresgleichen noch die letzten Körnlein im Garten der Nachbarin pickte, hatte sie alle Vorbereitungen abgeschlossen.

Sandra schaute noch mal zum Fenster, doch sie sah dort nur ihr eigenes Spiegelbild. Sie öffnete die Tür und konnte den Gedanken, der ihr spontan durch den Kopf fuhr, nicht unterdrücken: Wenn sie einen Elch angefahren und tödlich verletzt hatte, gäbe das den Weihnachtsbraten für die ganze Nachbarschaft. Die Gans würde sich freuen.

Der Motor lief noch, und die Schweinwerfer erhellten die Straße vor ihr – der Aufprall hatte sich offensichtlich heftiger angefühlt, als er tatsächlich gewesen war. So groß konnte der Schaden also nicht sein, dachte Sandra, während sie mit ihrem Fuß Halt auf dem Trittbrett suchte. Ihr neuer langer Mantel behinderte sie in ihren Bewegungen. So viel Tuch war sie nicht gewohnt, aber es war das Weihnachtsgeschenk ihres Mannes für sie – auch wenn er davon noch nichts wusste.

Sie ging die wenigen Schritte nach vorn zur Kühlerhaube ihres Jeeps, dann spürte sie den Schreck wie Feuer durch ihre Adern jagen. Da lag ein Mann. Ihr erster Gedanke war: Wo kommt der denn her? Ihr zweiter: Was mach ich nun?

Sandra bückte sich. Ganz in Rot gekleidet, lag er halb unter ihrem Wagen, und offensichtlich war er nicht mehr der Jüngste, denn der Bart, den er trug, war schon ganz weiß.

»Um Gottes willen«, entfuhr es Sandra, »sind Sie verletzt?« Sie kniete sich neben ihn und versuchte, etwas zu erkennen, aber der Mann lag im Schatten der Stoßstange, und sie war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt noch lebte.

»Was laufen Sie auch nachts so unbeleuchtet durch die Gegend«, warf sie ihm hilflos vor. »Jedes Kind hat Leuchtstreifen an seiner Kleidung und Sie … nicht.« Sandra fasste nach seiner Hand. Was sollte sie tun, wenn er wirklich tot war? Sie versuchte, seinen Puls zu ertasten, aber er hatte dicke Handschuhe an. Sie zerrte daran, um an sein Handgelenk zu kommen. »Und so albern«, sagte sie dazu. »Sie sehen aus wie ein Nikolaus, aber der hat ab dem 6. Dezember ausgedient. Haben Sie sich im Datum geirrt? Und wo wollen Sie überhaupt hin?« Es war, als müsste sie sich selbst Mut zusprechen. »Da hinten kommt nur noch unser Weiler und dann kilometerweit nichts. Und wir brauchen ganz bestimmt keinen Nikolaus!«

»Aber vielleicht einen Weihnachtsmann?«, tönte eine dunkle Stimme unter dem Wagen, und Sandra sprang vor Schreck auf, wobei sie auf ihren Mantel trat und rücklings auf den Po fiel. Da blieb sie sitzen und versuchte, gegen das grelle Scheinwerferlicht ihres Wagens etwas zu erkennen, vergebens.

»Was?«, fragte sie schließlich. »Ist ja auch egal«, erklärte sie, »Hauptsache, Sie leben!« Sie kroch auf allen vieren zu dem Mann unter ihrem Wagen und streckte ihm die Hand entgegen. »Halten Sie sich fest, ich zieh Sie da raus!«

Als keine Reaktion kam und Sandra im Gegenlicht noch immer nur Sternchen sah, ließ sie ihre Hand sinken und fragte zaghaft: »Oder sind Sie doch verletzt? Dann ruf ich jetzt den Notarzt!«

Unter ihrem Wagen fing es an zu brummen, dann begann sich der für Sandra sichtbare Teil des Männerkörpers langsam hervorzuarbeiten.

Sandra hatte richtig gesehen, der Mann war alt. Eigentlich zu alt, um nach einem solchen Aufprall gänzlich unverletzt zu sein. Sie musterte ihn wortlos.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte er, als er nun mit ausgestreckten Beinen neben ihr auf der Straße saß und sich den Schnee von seinem Mantel klopfte.

»Ich weiß nicht«, sagte Sandra zögernd. »Vielleicht ist es ja auch nur ein Traum!«

»Ja«, erwiderte der alte Mann und sah ihr direkt in die Augen, »ein Albtraum!«

»Nein«, widersprach Sandra, die ihren Blick nicht von ihm lösen konnte, »das nicht. Albträume sehen anders aus, und sicherlich wachen wir auch gleich wieder auf.«

»Ich nicht!«, sagte der alte Mann bestimmt. »Sie haben mein Transportunternehmen lahmgelegt, und nun habe ich höchste Lieferschwierigkeiten. Das gibt ein Fiasko!«

Sandra strich sich die honigblonden Locken zurück, die ihr ins Gesicht gefallen waren. »Lieferschwierigkeiten?«, fragte sie verständnislos. »Und wollen Sie nicht vielleicht aufstehen? Wenn es wirklich kein Traum ist, habe ich bereits einen eiskalten Hintern.«

»Meine Lieferung liegt jetzt unter Ihrem Wagen«, sagte der Mann und deutete auf den Jeep.

»Und was soll das sein?«, fragte Sandra, und sogleich fiel ihr das seltsame Tier ein. »Gehört das Viech dann auch zu Ihnen?«, fragte sie. »Dieser – verkleidete Elch?«

»Könnten Sie Ihren Wagen vielleicht ein paar Meter zurückfahren, damit ich an meinen Schlitten komme?«

»Bitte was?«

Sandra stand mühsam auf und blickte auf den Mann im roten Mantel hinunter. »Kommen Sie«, sagte sie und streckte ihm abermals ihre Hand hin. »Ich fahre Sie ins nächste Krankenhaus, es ist ja kein Wunder, dass es Ihnen nicht gut geht.«

Sie dachte an ihre beiden Kinder, acht- und elfjährig, die die Verspätung sicherlich dazu nutzen würden, sämtliche Weihnachtsbrötchen aufzuspüren und hinunterzuschlingen. Aber dieser Gedanke durfte sie jetzt nicht ablenken. Sie hatte einen Menschen angefahren, also musste sie zu ihrer Tat stehen und in Ordnung bringen, was in Ordnung zu bringen war.

»Wenn Sie einfach nur ein paar Meter zurückfahren würden, wäre mir schon geholfen«, sagte der Mann, während er sich langsam aufrichtete.

»Wenn Sie es wünschen«, entgegnete Sandra, die sich trotz allem noch wie in einem Traum fühlte. Er sah aus wie der Nikolaus, sie hatte ihn angefahren, und es war ihm nichts geschehen. Das Ganze war ihr nicht geheuer, wahrscheinlich konnte sie gleich auch noch fliegen.

»Aber nehmen Sie bitte den Rückwärtsgang«, sagte der Mann und blieb vor dem Jeep stehen.

»Sehr witzig«, murmelte Sandra und stieg in ihr Auto. Irgendwann würde wahrscheinlich der Wecker klingeln, und alles wäre wieder in bester Ordnung. Sie schob den Automatikhebel auf »R« und fuhr langsam rückwärts. Was da im Scheinwerferlicht auftauchte, ging über ihren Verstand. Es war tatsächlich ein Schlitten, der aber flach wie ein bunter Scherenschnitt gefaltet auf der Straße lag. Der aufgewirbelte Schnee legte sich auf die flachen Kufen, den Kutschbock und auf eine Menge bunter, glänzender Geschenke.

Sandra starrte hinaus, dann wanderten ihre Augen zu dem Mann im roten Rock, der sich nun im Scheinwerferlicht ihres Wagens hinkniete und mit der Hand über seinen Schlitten strich. Gleich darauf hob sich sein Blick und traf den ihren durch das Gegenlicht, den treibenden Schnee und die schmutzige Windschutzscheibe hindurch. Sie schauten einander regungslos an, und eigentlich wäre Sandra jetzt wirklich gern erwacht, aber sie konnte nicht. Der Wecker schien nicht auf ihrer Seite zu sein.

Sandra stieg aus. »Und jetzt?«, fragte sie, als hätte sie täglich mit platten Schlitten mitten auf der Straße zu tun.

»Jetzt haben wir ein Problem!«

»Wir?«, echote Sandra kratzbürstig, aber gleich darauf sah sie, dass nicht sie gemeint war. Im Dunkeln des Straßenrandes stand das Tier mit der Geweihschaufel und beobachtete sie aus glitzernden Augen.

»Ach du lieber Himmel«, sagte Sandra und war intuitiv versucht, sich zu bekreuzigen.