Wohn-Haft - Manfred Haferburg - E-Book

Wohn-Haft E-Book

Manfred Haferburg

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Beschreibung

Wohn-Haft ist ein Roman, der auf einer wahren Geschichte basiert. Der Leser taucht in den Alltag der DDR-Jahre ein. Er begegnet Menschen, die in dieses Land hineingeboren wurden und die sich hinter der Mauer einrichten müssen. Manche sind stark, wie die junge Lehrerin Sigi, deren Schicksal wie zufällig mit dem System kollidiert. Liebe trifft auf Dummheit und Hass. Manche sind zu schwach, den Verlockungen der Menschenfänger zu widerstehen. Wir lernen den blonden Wikinger Paul kennen, den das System zum Verräter an sich selbst und seinen Freunden macht. Manni, die Hauptfigur, begehrt auf. Aus dem Mitläufer wächst ein Mann, der versucht zu widerstehen. Wer sich nicht beugt, muss zerbrochen werden. Er wird verraten, zersetzt, gefangen und eingekerkert. Wir leiden mit im aussichtslosen Kampf des Einzelnen gegen das übermächtige System. Die Geschichte bietet aber auch Einblicke ins Innenleben eines schier allmächtigen Apparates. Fasziniert folgen wir den Bonzen und Schergen bis in den Kopf hinein. Spitzel sind auf Spitzel angesetzt. Abgestoßen lesen wir von der Intelligenz des Bösen, von dessen Gemeinheit und Schläue. Eine Lehrstunde über totalitäre „Systeme“, wie sie als Gesamtheit funktionieren, samt genauer Beschreibungen einzelner Rädchen. Der Autor erzählt packend von menschlichen Stärken und Schwächen in einem menschenverachtenden System, dass man fast atemlos weiterliest. Dieser Roman ist so gesättigt mit realem Leben, dass man den Takt der untergegangenen Welt beim Lesen nachspüren und nacherleben kann. Wir werden erfahren, was wir eigentlich schon immer ahnten – am Ende sind Menschlichkeit und Liebe stärker als jede Diktatur. Manfred Haferburg wurde 1948 im Osten Deutschlands geboren. Er wuchs in Sachsen-Anhalt auf und studierte in Dresden. Er arbeitete im Kernkraftwerk Greifswald, dem damals wohl größten Atomkraftwerk der Welt. Durch seine sture Weigerung, in die SED einzutreten, fiel er der Staatssicherheit auf. Als er sich auch noch weigerte, Spitzel zu werden, erklärte ihn die Partei zum Staatsfeind. Von seinem besten Freund verraten verlor Manfred erst seinen Beruf, dann seine Familie und zuletzt die Freiheit. Ein Irrweg durch die Gefängnisse des sozialistischen Lagers begann, der im berüchtigten Stasigefängnis Hohenschönhausen endete. Hier gehörte er zu den letzten Gefangenen, die von der Stasi entsorgt wurden. Manfred Haferburg lebt heute mit seiner Frau in Paris.

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Seitenzahl: 704

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INFO | TITEL | Haferburg | Wohn-Haft

Manfred Haferburg

WOHN-HAFT

Roman

K|U|U|U|K Verlag

INHALT

Wohn-Haft ist ein Roman, der auf einer wahren Geschichte basiert. Der Leser taucht in den Alltag der DDR-Jahre ein. Er begegnet Menschen, die in dieses Land hineingeboren wurden und die sich hinter der Mauer einrichten müssen. Manche sind stark, wie die junge Lehrerin Sigi, deren Schicksal wie zufällig mit dem System kollidiert. Liebe trifft auf Dummheit und Hass. Manche sind zu schwach, den Verlockungen der Menschenfänger zu widerstehen. Wir lernen den blonden Wikinger Paul kennen, den das System zum Verräter an sich selbst und seinen Freunden macht.

Manni, die Hauptfigur, begehrt auf. Aus dem Mitläufer wächst ein Mann, der versucht zu widerstehen. Wer sich nicht beugt, muss zerbrochen werden. Er wird verraten, zersetzt, gefangen und eingekerkert. Wir leiden mit im aussichtslosen Kampf des Einzelnen gegen das übermächtige System.

Die Geschichte bietet aber auch Einblicke ins Innenleben eines schier allmächtigen Apparates. Fasziniert folgen wir den Bonzen und Schergen bis in den Kopf hinein. Spitzel sind auf Spitzel angesetzt. Abgestoßen lesen wir von der Intelligenz des Bösen, von dessen Gemeinheit und Schläue. Eine Lehrstunde über totalitäre „Systeme“, wie sie als Gesamtheit funktionieren, samt genauer Beschreibungen einzelner Rädchen.

Der Autor erzählt packend von menschlichen Stärken und Schwächen in einem menschenverachtenden System, dass man fast atemlos weiterliest. Dieser Roman ist so gesättigt mit realem Leben, dass man den Takt der untergegangenen Welt beim Lesen nachspüren und nacherleben kann.

Wir werden erfahren, was wir eigentlich schon immer ahnten – am Ende sind Menschlichkeit und Liebe stärker als jede Diktatur.

DER AUTOR

IMPRESSUM

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek erfasst diesen Buchtitel in der Deutschen Nationalbibliografie. Die bibliografischen Daten können im Internet unter http://dnb.dnb.de abgerufen werden.

Alle Rechte vorbehalten. Insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und Medien – auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere neuartige Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors / der Autorin bzw. des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

HINWEIS: Deutsch ist überaus vielschichtig und komplex. Der Verlag versucht, nach bestem Wissen und Gewissen alle Bücher zu lektorieren und zu korrigieren. Oft gibt es allerdings mehrere erlaubte Schreibweisen parallel. Da will entschieden werden. Zudem ergeben sich immer wieder Zweifelsfälle, wozu es oft auch keine eindeutigen Antworten gibt. Schlussendlich haben auch die Autorinnen und Autoren ureigene Sprachpräferenzen, die sich dann bis in die Kommasetzung, Wortwahl und manche Schreibung wiederfinden lassen können. Bitte behalten Sie das beim Lesen in Erinnerung. Der Inhalt und die Form der Stasidokumente entsprechen im Wesentlichen den originalen Dokumenten, auch Schreibfehler gibt es darin. Einzelne Veränderungen wurden unter anderem für den Quellenschutz oder für die literarische Absicht des Romans durchgeführt. Aus künstlerischen Gründen musste im Roman „Wohn-Haft“ auch die C-Schicht einmal einen Brief schreiben, der historisch und realiter von der B-Schicht stammte.

Umschlagentwurf: Copyright © Projekt21 Wien, das Umschlagbild: © Alexander Gamper

Lektorat: KUUUK

E-BOOK ISBN 978-3-939832-62-1

Erste Auflage E-BOOK Oktober 2013

KUUUK Verlag und Medien Klaus Jans

Königswinter bei Bonn

K|U|U|U|K – Der Verlag mit 3 U

www.kuuuk.com

Alle Rechte [Copyright] © KUUUK Verlag – [email protected] und © Manfred Haferburg

WIDMUNG

Für alle diejenigen, die trotz ihrer Angst

der Diktatur des Proletariats

die Stirn geboten haben.

Vorwort

Von Wolf Biermann

Wenn ich demnächst in die Höllen des Himmelreichs komme, werde ich dem gehörnten Gott eine gute und eine schlechte Nachricht überbringen können, denn ich habe die Lektion auf Erden am eigenen Leibe: in der Nazizeit und dann in Ost und West erlebt. Die gute Nachricht: Eine Diktatur macht nicht aus allen Menschen Schweine. Die schlechte: Eine Demokratie macht nicht aus allen Schweinen Menschen.

Den ersten Teil dieser dialektischen Erfahrung liefert uns nun mein Freund Manfred Haferburg schwarz auf weiß, denn er hat einen besonders häßlichen und verrückten Teil seiner DDR-Geschichte schön vernünftig aufgeschrieben. Ich hätte sogar ein ideales Motto für sein Buch:

Wir achten eine Geschichte, die einmal die unsrige war, viel zu wenig, und doch werden die Zeittropfen, durch die wir schwimmen, erst in der Ferne der Erinnerung zum Regenbogen des Genusses.

Jean Paul, Roman „Hesperus oder 45 Hundposttage“

Dieses Wort vom genialen Frühromantiker paßt wie die Faust aufs Auge zu den Erinnerungen des AKW-Ingenieurs aus der DDR. Seine Geschichte nennt der Autor einen Roman. Er liefert uns, ganz nebenbei, eine aufschlußreiche Innenansicht eines real­sozialistischen Kernkraftwerkes russischer Bauart. Und die Klarnamen darin hat er offensichtlich enigmatisiert. Ich vermute den Grund: der Autor will womöglich leidige Prozesse wegen Beleidigung und Verleumdung mit Zeitgenossen vermeiden, Rechtsstreit mit den immer noch lebenden Untoten der verreckten DDR-Diktatur. „Zeittropfen“ – dieses Wort von Jean Paul gefällt mir. Es erinnert ja auch an den Vierzeiler des jungen Hölderlin:

Wie schnell ists ausgeronnen

Diß karge Tröpfchen Zeit

Dann mischt in unsre Wonnen

Sich nimmer Harm und Leid.

Schön altmodisch also, dieses Wort „Zeittropfen“ ! Heute, zweihundert Jahre später – wie Brecht schrieb: „in den finsteren Zeiten“ – sind die Tropfen besonders blutrot vom millionenfach vergossenen Blut des 20. Jahrhunderts, sind ein ganzes Totes Meer voll salziger Tränen, sind pisse-gelb und todes-angstschweiß-naß. Und trotz alledem sind die hier dokumentierten DDR-„Zeittropfen“ für mich beim Lesen des Buches „ ... in der ... Erinnerung zum Regenbogen eines Genusses“ geworden. Es ist allerdings der knochenkarge Genuss an der Wahrheit über die Diktatur – oder wie mein toter Freund Jürgen Fuchs es treffend nannte: die Wahrheit über „Die Landschaften der Lüge“ .

Der Autor hatte mich nun aber nicht um irgendein passendes Motto gebeten, sondern um einen Freundschaftsdienst: ein Vorwort zum Leseranlocken. Das Motto für seinen Doku-Roman bastelte er sich selber, eine Art Blanko-Allerwelts-Widmung:

Für alle diejenigen, die trotz ihrer Angst

der Diktatur des Proletariats

die Stirn geboten haben

Sympathisch! Ja ja, und anrührend! Beim zweiten Lesen provoziert diese Formulierung dann aber doch meinen Einspruch. Was der Autor Manfred Haferburg da die „Diktatur des Proletariats“ schimpft, das war im Osten Deutschlands, genau so wie in der Sowjetunion, wohl eine Diktatur. Aber es war eine Diktatur nicht des, sondern eine über das Proletariat. Der deutsche Realsozialismus existierte von Anfang bis Ende nur als eine totalitäre Diktatur mit besonderer Härte gegen das arbeitende Volk. Dieses Ulbricht-Honecker-Mielke-Krenz-Gysi-Regime, das Manfred Haferburg hier schildert, war eine rotlackierte Menschenbrechmaschine in sowjetischer Lizenz gebaut. Das Volk schuftete in Volkseigenen Fabriken, die ja nie dem Volke gehörten. Und die DDR war auch ein brutales Joch für all die entbauerten Bauern in der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), die zu sozialistischen Leibeigenen geprügelt worden waren. Die DDR war freilich auch ein Kontroll- und Strafapparat gegen die Intellektuellen. Und all den prometheuselnden Poeten und picassoversauten Malern und west-dekadenten Musikern wurde fürsorglich nicht die gallige Leber, sondern das Herz jeden Tag aus dem Rippenkäfig gerissen und gefressen, das erledigten Mielkes Aasgeier der Gehirnpolizei.

Mir gefällt, daß der Haferburg in seinem Motto schreibt: „Für alle diejenigen, die trotz ihrer Angst ...“ Das ist ein tapferes Bekenntnis zur Angst auch der Mutigen, zur Furcht der Widersacher, zum Zittern der Rebellen und zum Recht auch der Freiheitskämpfer auf Feigheit.

Dieses Dilemma ist jeden Tag neu zu lösen: Wer hat wen? Habe ich die Angst, oder hat die Angst mich! Und genau davon erzählt dieses Buch: vom Mut eines widerspenstigen Angsthasen, eines halb angepaßten Rebellen, eines wunderbar unzuverlässigen Freigeistes, eines Ingenieurs im größten Atomkraftwerk, im Prestige-AKW der DDR, in Lubmin bei Greifswald.

Haferburgs Geschichte muß von mir im Vorwort weder nachbereitet noch vorgekaut werden. In meinem Tagebuch von vor vielleicht zehn Jahren fand ich eine Notiz:

Als Pamela und ich vorgestern, am 21. Januar, aus Paris mit Air France zurück nach Hamburg flogen, saß direkt vor uns ein Mann, etwa Anfang 50. Ob seine Kummerfalten im Nacken vorn im Gesicht Lachfalten sind, konnte ich von hinten nicht erkennen. Und weil er so lässig Französisch parlierte, mit der Stewardess, hatte ich ihn für ’n Franzosen gehalten. Lässig charmant und hilfsbereit reagierte er, als noch eine junge Musikerin kam und ihren sperrigen Cello-Koffer ungeschickt auf seinen Schoß knallte. Er half ihr beim Festschnallen des Instruments ...

Und dann, bei der Landung auf dem Flughafen in Fuhlsbüttel, die Anschnallzeichen erloschen mit einem „Bling-Bling“, da sprach er mich an: „Herr Biermann ...“ Also doch ein Deutscher!

Und sogar ein Ostdeutscher! Er sei Ingenieur für Kernkraftwerke. Er reise durch die Welt als technischer Kontrolleur für die Sicherheit in AKWs, Europa, Asien, sogar in den USA ... und er sei grade auf dem Weg zu einer Inspektion des Atomkraftwerkes Brokdorf, hier an der Elbe ... und er kenne meine Lieder auswendig ...

„Oh ...“, spottete Pamela, „gegen das AKW Brokdorf hat mein Mann damals mitdemonstriert ! Und trotzdem ist er für die Nutzung der Atomkraft ...“

Nun rappelte der junge Graukopf uns eine Kurz-Vita runter. Als wir dann unten auf die Koffer warteten, erzählte er, daß er in Dresden studiert habe und daß er ... auch im Zusammenhang mit dem Fall Biermann, in der DDR großen Ärger hatte, weil er für‘n paar Freunde bei Gelegenheit meine verbotenen Lieder sang. Sein schlimmstes Verbrechen aber: er trat als leitender Ingenieur nicht in die SED ein. Und noch schlimmer: Er weigerte sich, ein IM des MfS zu werden.

Dann sei seine Flucht über die Tschechoslowakei in den Westen mißlungen. Den Knast in der ČSSR überlebte er nur knapp: da ging es noch brutaler zu, weil archaischer, als in der DDR. Dann die fein-infamere U-Haft bei der Stasi Hohenschönhausen. Ihn rettete 1989 die sanfte Revolution vor einer langen Haftstrafe.

Ihm wurden damals in den Tagen der sogenannten Wende plötzlich in der Zelle die Augen verbunden. Dann habe man ihn wie einen Blinden über Flure und Treppen in den Keller geführt ... eine dunkle Todesangst habe ihn überflutet. Er konnte die Situation nicht versteh’n. Eine Tiefgarage. Man drückte ihn in einen Personenwagen. Man fuhr mit ihm durch die Stadt ... Dann kurzer Stopp. Irgendwer stieß ihn dann aus dem Wagen auf die Straße ... Er riß sich die Binde von den Augen und fand sich nun irgendwo in Berlin. Ostberlin? Nein, Westen?

Das ist eine groteske Konstruktion: Ein eigensinniger Kernkraft-Ingenieur wird unkonventionell entsorgt wie ein radioaktiver Brennstab im Mülleimer.

Natürlich hat mich seine Story berührt und neugierig gemacht: den wollte ich gern mal wieder treffen und in Ruhe.

Ich drückte ihm enpasssant meine frische CD „Heimkehr nach Berlin Mitte“ in die Hand, die ich – wie immer – zufällig in der Tasche hatte. Und dazu auch das Neueste: ein kleines blaues Büchlein vom 2001-Verlag, darin abgedruckt fünf brisante Briefe. Den ersten hatte ich von Paris aus an meinen einstmaligen Fürsten, Erich Honecker, geschrieben. Der zweite war ein Bittbrief an Kanzler Kohl um den Freikauf eines Gefangenen aus dem VEB-Knast. Dann ein Brief an Roberts Witwe Katja Havemann, ein vierter Brief an die DDR-Mutter Theresa des Menschenhandels, den Rechtsanwalt Dr.h.c. Vogel. Und zum Schluß eine peinliche Epistel an den bayrischen Medienmafioso Beierlein wegen der „Internationale“ ...

Und ich krakelte dem Ostmenschen beim Aussteigen schnell noch meine eMail-Adresse dazu. Dann rutschten endlich die Gepäckstücke auf dem Fließband vorbei, und wir verloren einander aus den Augen.

Schon zwei Tage nach dieser Begegnung landete seine digitale Mail in meinem Computer. Und als pdf dazu ein Riesenmanus­kript. Es war die ungewaschene Rohfassung einer Erzählung über seine Erlebnisse in der DDR. Ich habe ein Drittel des Manuskripts am selben Abend gelesen und war tief bewegt.

Manfred Haferburg – er nennt sich im Buch Manni Gerstenschloß – schreibt wahrhaftig und schnörkellos. Dieser Zeitzeuge macht es goldrichtig, er vertraut auf die Phantasie der verrückten Wirklichkeit, die meistens phantastischer ist, als manche Schriftsteller und Schraftstuller sich ausdenken.

*

Das Ganze erinnert mich nebenbei an ein vergessenes Lied, das der tapfere DEFA-Regisseur Frank Beyer 1965 im Sommer von mir haben wollte. Immerhin: eine Auftragsarbeit für die DEFA. Ich war da schon mit frechen Versen in die Kritik geraten, aber noch nicht als Verräter und Staatsfeind geächtet. Ich lieferte also die bestellte Ware: ein Lied für den Prolog seines Filmes „Spur der Steine.“ Mein Freund Manfred Krug spielt darin glänzend die Heldenrolle: den Zimmermann und Brigadier auf einer sozialistischen Großbaustelle. Und Eberhard Esche mimte den Parteisekretär – eine peinlich naturnahe Idealbesetzung.

Mein bänkelsängerisches Eröffnungs-Liedchen, das die Filmcrew damals entzückte – kotzte die höheren Gedankenpolizisten an. Und am Ende des Jahres 1965 konnten sie dann den Befehl erteilen – nach meinem Total-Verbot auf dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember – dieses Lied, mit dem der ganze Film hatte anfangen sollen, aus dem fertigen Werk rauszuschneiden wie ein Geschwür. Frank Bayer operierte mit schlechtem Gewissen, denn er wollte das Leben seines wunderbaren Films retten. Ich fand seine Haltung vernünftig. Aber alle Klugheit nützte nichts. Zwei-drei Monate später wurde der Spur-der-Steine-Film ganz und gar verboten. Er war zu wahr, viel wahrhaftiger als der Roman von Erik Neutsch, nach dessen Roman das Drehbuch geschrieben worden war.

Wie schön!! Die letzten Zeilen meines Gedichtes kommen nun also doch noch zu Ehren, denn sie sind brauchbar für dieses Vorwort, fast 50 Jahre später. Die Verse schmücken nun eben den Anfang des DDR-Sittengemäldes mit seinem sinnigen Titel WOHN-HAFT.

Hier ist nichts gelogen

Nichts grad gebogen

Hier wird nichts kaschiert

Und blank poliert

Prolog Systemfehler

>>>

Donalke sitzt zutiefst deprimiert in seinem tristen Büro und schreibt an dem Bericht zu seinem neuesten Desaster. Er hatte dem Haukel seine Freude angesehen, als der rumbrüllte und ihm vor versammelter Mannschaft mangelnden revolutionären Elan vorwarf. Er hatte heiß das wissende Grinsen von Rasche in seinem Nacken gespürt.

Donalke nimmt diese Demütigung sehr persönlich. Es ist alles die Schuld von diesem halsstarrigen Idioten. Dem Gerstenschloss würde er es eintränken, diesem Penner. Das würde der bereuen, zutiefst bereuen. Er schreibt mit seiner wunderschönen Handschrift:

Zum Gerstenschloss wurde im März 1980 ein IM-Vorlauf angelegt, mit der Zielstellung, den Gerstenschloss im 2. Halbjahr 1980 als IM zu gewinnen. Mit Gerstenschloss wurde ein Kontaktgespräch geführt. Dabei zeigte sich, dass Gerstenschloss eine Zusammenarbeit ablehnte. Eine erneute Terminvereinbarung wurde ebenfalls abgelehnt. Am 9.10.1980 berichtete der IM „Förster“ über ein Gespräch mit ihm, in dem er erzählte, dass das MfS mit ihm Kontakt aufgenommen hatte, um ihn als inoffiziellen Mitarbeiter zu gewinnen.

Der IM schätzt ein, dass Gerstenschloss eine feindliche Einstellung hat und gegen alles, was im Sinne des Sozialismus ist, eingestellt ist.

Auf Grund dieser Hinweise wird der Gerstenschloss in der OPK „Silo“ weiterbearbeitet mit der Zielstellung:

– Erarbeitung von Hinweisen für eine Straftat gem. § 213 StGB,

– Weitere Aufklärung des Persönlichkeitsbildes, besonders der politisch ideologischen Einstellung,

– Werden keine strafrechtlich relevanten Hinweise erarbeitet, ist Gerstenschloss aus seiner Funktion herauszulösen,

– Dem Gerstenschloss wird die PM 18, die Genehmigung zum Segeln in den Küstengewässern der DDR entzogen,

– Einleitung von Kontrollmaßnahmen der Abteilungen M und PZF zur Feststellung eventueller NSW Verbindungen des Gerstenschloss und seiner Verwandten und deren Charakter,

– Nutzung der Speicher des MfS zur Feststellung deren Gewohnheiten und Verhaltensweisen

– Destabilisierung des Persönlichkeitsbildes des Gerstenschloss

– durch Einleitung einer Maßnahme der Abt. 8 im Wohn- und Freizeitbereich, streuen von Gerüchten über das Privatleben des Gerstenschloss durch die IM/GM „Jakob“, „Jürgen“, „Max Krüger“, „Sandmann“ und „Förster“.

– durch Einleitung von Misserfolgserlebnissen im Arbeitsbereich durch die IM „Wanderer“, GM „Paul“ unter Einbeziehung verlässlicher Kräfte und GM der staatlichen Leitung,

– durch Suggestion des Verdachtes einer schweren Krankheit durch den Betriebsarzt IM „Jüngst“.

„Da haben wir ja die volle Palette“, denkt Donalke. Dem Gerstenschloss wird die große Fresse schon vergehen. Wundern wird der sich! Der wird gar nicht wissen, wie ihm geschieht, wenn ihm rein gar nichts mehr klappt und ihn auch noch alle schief angucken. Von solchen Typen gibt es immer noch zu viele in unserem Staat. Wütend fügt er seinem Schriftstück noch ein paar Zeilen hinzu:

– Der Gerstenschloss wird bei Zuweisungen und bei der Verteilung zuweisungspflichtiger hochwertiger Konsumgüter (PKW, Haushaltgeräte) verzögert berücksichtigt,

– Der Zuschuss für Denkmalpflege seines Eigenheims wird dem Gerstenschloss nicht gewährt,

– Gerstenschloss wird durch inoffizielle Kräfte der Objektdienststelle unter operativer Kontrolle gehalten.

So, Silo wird unschädlich gemacht. Die Großfresse wird ihren Job in jedem Fall verlieren und für die Verweigerung der Zusammenarbeit mit uns ein bisschen gepiesackt. Aber der Mensch, unser Mensch Manni Gerstenschloss bekommt damit auch die Chance, sich in der sozialistischen Gesellschaft zu bewähren!

Januar 1976, MfS-Richtlinie, „Zersetzung“

Minister für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik, Erich Mielke: Richtlinie Nr. 1/76 zur Entwicklung und Bearbeitung operativer Vorgänge (OV), Geheime Verschlusssache GVS MfS 001-100/76 – Auszüge:

2.6 Die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung

2.6.1 Zielstellung und Anwendungsbereiche von Maßnahmen der Zersetzung

Maßnahmen der Zersetzung sind auf das Hervorrufen sowie die Ausnutzung und Verstärkung solcher Widersprüche bzw. Differenzen zwischen feindlich negativen Kräften zu richten, durch die sie zersplittert, gelähmt, desorganisiert und isoliert und ihre feindlich-negativen Handlungen einschließlich deren Auswirkungen vorbeugend verhindert, wesentlich eingeschränkt oder gänzlich unterbunden werden.

[...]

2.6.2 Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung

Bewährte anzuwendende Formen der Zersetzung sind:

− systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer und diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben;

− systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen;

− zielstrebige Untergrabung von Überzeugungen im Zusammenhang mit bestimmten Idealen, Vorbildern usw. und die Erzeugung von Zweifeln an der persönlichen Perspektive;

− Erzeugen von Misstrauen und gegenseitigen Verdächtigungen innerhalb von Gruppen, Gruppierungen und Organisationen;

[...]

Bei der Durchführung von Zersetzungsmaßnahmen sind vorrangig zuverlässige, bewährte, für die Lösung dieser Aufgaben geeignete IM einzusetzen.

Bewährte Mittel und Methoden der Zersetzung sind:

− das Heranführen bzw. der Einsatz von IM, legendiert als Kuriere der Zentrale, Vertrauenspersonen des Leiters der Gruppe, übergeordnete Personen, Beauftragte von zuständigen Stellen aus dem Operationsgebiet, andere Verbindungspersonen usw.;

− die Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, Telegramme, Telefonanrufe usw., kompromittierender Fotos, z. B. von stattgefundenen oder vorgetäuschten Begegnungen;

− die gezielte Verbreitung von Gerüchten über bestimmte Personen einer Gruppe, Gruppierung oder Organisation;

− gezielte Indiskretionen bzw. das Vortäuschen einer Dekonspiration von Abwehrmaßnahmen des MfS;

− die Vorladung von Personen zu staatlichen Dienststellen oder gesellschaftlichen Organisationen mit glaubhafter oder unglaubhafter Begründung.

Diese Mittel und Methoden sind entsprechend den konkreten Bedingungen des jeweiligen Operativen Vorganges schöpferisch und differenziert anzuwenden, auszubauen und weiterzuentwickeln.[...] 1

Personenbeschreibung „Silo“

Geschlecht : männlich

Alter : 30 - 35 Jahre

Größe : 175 - 178 cm

Gestalt : schlank

Kopfform : kreisförmig

Kopfprofil : flach

Gesichtsfülle : voll

Gesichtsfalten : Stirnfalten, Nasenfalten

Nasenwurzel : tief

Nasenrücken : gerade

Nasenbasis : waagerecht

Augenfarbe : blaugrau

Augenlid : unbedeckt, waagerecht

Augäpfel : hervorstehend

Ohrläppchen : angewachsen

Haarfarbe : dunkelblond

Haarstruktur : wellig

Frisur : Kurzhaar, Scheitel links

Bart : Oberlippen- u. Kinnbart

Bekleidung : gelbe Segeljacke, Jeans

Zubehör : braune Aktentasche

Bei der Kontaktaufnahme zeigte der Kandidat eine ablehnende Haltung. Der Kandidat dekonspirierte sich nach dem Kontaktgespräch gegenüber einem anderen IM der KD Greifswald. Inoffiziell wurde bekannt, dass der Kandidat eine negative politische Einstellung besitzt. Als feindlich negatives Element wird er weiter in einer OPK (operativen Personenkontrolle) bearbeitet“.

1 Der Text der Richtlinie ist weit über 50 Seiten lang.

Teil 1 Windsäher

März 1945, Stralsund, Heiliggeiststraße 5

Der kleine Pauli sitzt starr vor Angst auf dem braungestrichenen Kohlenkasten neben dem kalten Küchenherd. Bum bum bum, draußen hört man in schneller Folge die Flak ballern, vielleicht sind es aber auch schon die Katjuschas oder Russenpanzer. Das Zimmer ist vorschriftsmäßig verdunkelt, auf dem Küchentisch brennt ein Kerzenstummel. Sie gehen schon lange nicht mehr in den Keller, wenn die Sirenen heulen. Zu viele Familien sind in ihren Kellern erstickt oder verschüttet worden, wenn die Bomben auf Stralsund herniederprasseln wie Hagelkörner. Aber der Geschützlärm ist nicht der Grund für den Schrecken des kleinen Blondschopfs.

Die Mutter sitzt am Küchentisch und weint hemmungslos, die Tränen der großen Schwester tropfen auf den Selleriekopf, den sie versucht zu schälen. Der große Bruder starrt wütend auf die Frauen. Er nimmt der Mutter den Brief aus der Hand und sagt bitter, Unser Vater ist als Held gefallen. Hätte er sich mal hier zu Hause wie einer verhalten. Habt ihr schon vergessen, wie er uns alle verjackt hat, wenn er Samstagabend blau aus der Werft kam?

Versündige dich nicht!, faucht ihn seine Schwester an.

Die Mutter schluchzt noch lauter. Der kleine Pauli versteht nur, der Vater wird nicht wiederkommen aus dem großen Krieg. Er kennt den Vater nur als einen uniformierten harschen Fremden, der hin und wieder zu Besuch kommt und die Mutter zum Weinen bringt. Hauptsache, sie finden den Großvater nicht, der sich vor dem Volkssturm auf der „Korsar“ versteckt hat.

Am Abend darf er bei seiner Mutter im Bett schlafen. Sie drückt ihn fest an sich und ihre Tränen benässen seinen blonden Wuschelkopf. Sie flüstert, Was soll jetzt aus uns werden. Die Russen kommen. Papa ist gefallen. Ich bin mit euch Drei allein. Großvater muss sich verstecken. Was, wenn sie ihn finden? Dann erschießen sie ihn auch noch! Pauli fängt an zu wimmern und presst sein Gesicht gegen die großen Brüste seiner Mutter. Den Großvater sollen sie nicht finden. Er hat Pauli manchmal mit zum Boot genommen. Er ist ein rauer, wortkarger Mann, der den dreijährigen Pauli auch schon mal anschnauzt. Aber Pauli ist nicht verwöhnt, was die Zuwendung der Erwachsenen betrifft. Zu groß sind die Sorgen der kleinen Leute in diesem großen Krieg.

Pauli liebt den Hafen. Und wie die stolze „Korsar“ jetzt aussieht. Großvaters kundige Hand hat sie in ein komplettes Wrack verwandelt, das halb abgesoffen und voller Müll in dem verschlammten Hafen des Dänholm dümpelt. Großvater hat sogar in sein eigenes Boot geschissen. Wie soll der kleine Pauli das verstehen, dass der Großvater jetzt unter der Plicht, wo einst der Dieselmotor war, eine Matratze hat und dort versteckt vor aller Welt übernachtet? Paulis Tränen machen das dünne Nachthemd der Mutter nass. Sie nimmt ihn zu sich hoch und streichelt seine feuchten Locken, während sie sich in den Schlaf schluchzen.

Mai 1951, Stralsund, Bootshafen Dänholm

Pauli arbeitet mit dem Großvater auf dem Deck des Bootes. Mit dem Fuchsschwanz hat der Großvater das halbe Kajütendeck weggesägt und passt nun senkrechte Eichenbohlen an. Er baut eine Erhöhung auf das Kajütendach. Dadurch wird innen mehr Platz entstehen und von außen wird die „Korsar“ wie ein Motorsegler aussehen. Sie ist schon jetzt nicht mehr wiederzuerkennen.

Als die Russen ihre Posten von Dänholm abzogen, hat der Großvater angefangen, das Boot leer zu pumpen und zu entrümpeln. Das ging leicht, weil er das Boot planvoll wie ein Wrack nur hat aussehen lassen. 15 Handwagen voll Müll hat der Großvater weggekarrt, die „Korsar“ schwimmt gleich 20 Zentimeter höher auf. Dann bringt der Großvater weiße Farbe von der Werft mit und Pauli darf helfen, das Eichenholz des geklinkerten Rumpfs schön weiß anzustreichen. Dabei fängt er sich schon diese oder jene Ohrfeige des Großvaters ein. Aber die Mama tröstet ihn. Wenn ihr fertig seid, nimmt er dich mit zum Segeln. Sie drückt ihn an sich und gibt ihm einen nassen Kuss, so dass er sich mit dem Handrücken den Mund abwischen muss.

Die „Korsar“ hat keinen Mast mehr, jemand hat während der schlechten Zeiten Brennholz daraus gemacht.

Der Großvater balanciert einen riesigen Telegrafenmast auf dem Handwagen herbei. Er legt ihn auf zwei hölzerne Böcke und beginnt, mit dem alten Holzhobel daran herumzuwerkeln. Ganze zwei Wochen hobelt er, dann hat er aus dem klobigen Telegrafenmast einen schönen schlanken Segelmast gezaubert. Aus dem Schrottkasten holt er sich Mastbeschläge, die er heimlich in der Werft an zu verzinkende Teile anhängt, bevor sie in die Bäder gehen. Aus der Werft bringt er außerdem täglich in seiner braunen Lederaktentasche ein Stück verzinktes Stahlseil mit. Dann sitzen sie in der Abendsonne unter der Persenning, mit der das Boot abgedeckt ist, und spleißen Augen in die Enden der Stahlseile. Nach weiteren zwei Wochen ist es so weit. Die „Korsar“ bekommt wieder einen Mast und sieht schon aus wie eine Segelyacht. Mit Bugspriet ist sie zehn Meter lang und beinahe drei Meter breit – eine schöne alte Dame. Das Boot ist Baujahr 1932 und schwimmt im Bootshafen am Stralsunder Dänholm. Der Großvater lächelt zum ersten Mal nach vielen Jahren und Pauli ist überglücklich.

Abends beim Einschlafen erzählt er der Mama jedes Detail, das ihm der Großvater beigebracht hat. Sie hält ihn in ihren Armen, deckt ihn mit ihrer Decke zu und streichelt ihn in einen Schlaf, in dem es von Segelbooten nur so wimmelt. Dass ihr der Großvater ihren Liebling abspenstig macht, wird sie wohl zu verhindern wissen.

September 1960, Insel Rügen, große Fahrwassertonne B

Die Wellen sind über zwei Meter hoch, der Sturm heult in der Takelage der „Korsar“. Sie ist mit einer dicken Leine an der großen roten Fahrwassertonne festgemacht und hängt zehn Meter nach Lee in der schweren See. Wenigstens nimmt sie auf diese Weise die Wellen von vorn und ist einigermaßen sicher, obwohl das Festmachen an einer Fahrwassertonne strengstens verboten ist. Der junge Schipper Paul redet auf seine zwei Macker ein, die abwechselnd ihre Köpfe durch den Seezaun stecken, um zu kotzen, und die am allerliebsten umgehend sterben wollen.

Paul hat seine Macker die alten Schwimmwesten anlegen lassen, die noch von der Kriegsmarine stammen. Der Großvater hat sie aus ehemaligen Wehrmachtsbeständen von zu verschrottenden Schiffen besorgt. Es sind große unbequeme Korkkästen und Korkkragen, mit verblichener, orangefarbener Leinwand bezogen. Außerdem haben sie sich mit Sorgleinen um den Bauch in der Plicht festgebunden.

Der Wind frischt weiter auf. So sehr die Mama es auch sabotierte, der Großvater hat einen guten Segler aus dem kleinen Pauli gemacht. Er hat das Wunder vollbracht, nur mit Hilfe der eingerissenen Sturmfock an der großen Fahrwassertonne festzumachen, ohne dass die „Korsar“ dabei zerschellt. Während des Manövers quetscht sich Paul zwischen der Tonne und der Bordwand den linken Ringfinger. Später muss das erste Glied des Fingers amputiert werden.

Doch jetzt haben sie andere Sorgen. Zwar liegt die „Korsar“ jetzt relativ sicher an der großen Tonne wie vor einem Anker, aber das Boot geigt und giert in der schweren See, dass es selbst Paul übel wird. Sie lenzen das Boot und klaren es auf, so gut dies bei dem schweren Sturm möglich ist. Paul hat einen der Macker als Leinenwache auf dem Vorschiff festgebunden. Der andere verbindet ihm seinen breitgequetschten Finger. Dann sitzen sie auf dem tanzenden Boot und warten. Paul würde gern einen Rum an die Mannschaft verteilen, aber er benötigt die ungeöffnete Flasche als „Schleppbuddel“, falls ein Fischkutter vorbeikommt.

Langsam wird es dämmerig, als die Leinenwache aufgeregt auf einen Schatten mit drei Lichtern zeigt. Oben weiß, unten rot und grün, das Schiff kommt auf sie zu. Paul öffnet eine der Blechkartuschen und entnimmt ihr eine der roten Seenotraketen aus Kriegsbeständen der Marine. Natürlich sind sie zu alt, die erste funktioniert auch nicht.

Wütend schmeißt er sie über Bord. Aber als er an der Schnur der zweiten zieht, zischt der rote Feuerwerkskörper fauchend nach oben, nicht zu übersehen. Das grüne Licht, das schon verschwunden war, wird wieder sichtbar. Ein Küstenmotorschiff hält nun auf die Tonne mit der daran hängenden „Korsar“ zu. Es dauert eine ganze Weile, bis es gelingt, eine Leine von dem Kümo zur „Korsar“ zu bringen.

Am Heck des Frachters steht ein Matrose, der die Schleppleine bewacht. Die Segler haben die Flagge erkannt, es ist ein westdeutsches Schiff. Sie sind bereits um die Kreidefelsen von Stubbenkammer herum, die sich gespenstisch bleich unter den schwarzen Wolken an der Küste abzeichnen. Die See ist jetzt etwas schwächer. Mit schäumender Fahrt wird die „Korsar“ durch die aufgebrachten Wogen gezerrt. Sie kracht mit dem Steven in die Wellen und ganze Badewannen Wasser spritzen hoch und fliegen übers Deck in Richtung Plicht.

Dort sitzt Paul mit seinen Mackern und versucht, sich unter den überkommenden Wassermassen wegzuducken. Sie haben die Schotten zum Kajütniedergang geschlossen und auch das Schiebeluk ist zu. Die Stimmung ist gedrückt, immer wieder werden die Macker seekrank. Sie meckern und maulen die ganze Zeit. Plötzlich sagt der eine, So eine Scheiße, das Wasser läuft nicht mal mehr aus der Plicht ab! Paul schaut hinunter und sieht eine Handbreit Wasser in der Plicht stehen. Er bekommt eine Gänsehaut, die Haare sträuben sich ihm. Wenn dort Wasser steht, steht es im ganzen Boot. Er reißt die Tür zum Niedergang auf. Die „Korsar“ ist vollgelaufen. Die Matratzen, Bücher, Flaschen und Essen schwimmen auf der Wasseroberfläche, der Kajütentisch ist unter Wasser verschwunden. Panik überkommt ihn. Jetzt macht Paul seinen einzigen, alles entscheidenden Fehler. Statt zu versuchen, den Wassereinbruch zu finden und das Boot zu lenzen, springt er auf und brüllt dem Leinengast auf dem Kümo zu, Anhalten! Stopp!, wobei er wild mit den Armen fuchtelt.

Der Frachter verringert die Fahrt. Doch die Geschwindigkeit war es, was die „Korsar“ über der Wasseroberfläche hielt. Jetzt sackt sie sofort bis zum Deck weg und die Wellen schlagen ungehindert in die offene Kajüte. Die „Korsar“ sinkt.

Paul befiehlt seinen Mackern, über Bord zu springen. Der eine starrt ihn mit einem verblödeten Ausdruck an und ist völlig unfähig, zu reagieren. Paul gibt ihm eine schallende Ohrfeige, worauf er kapiert und versucht, ins Wasser zu springen, es aber nicht kann, weil er mit der Sorgleine an das sinkende Boot gebunden ist. Das Vordeck sackt schon weg. Paul sucht nach seinem Takelmesser, um die Leine durchzuschneiden, das ist aber unter dem Ölzeug in der Hosentasche. Der Macker sieht, dass vorne schon die Kajüte unter Wasser ist und wird plötzlich sehr gelenkig. Wie eine Schlange windet er sich aus der Leinenschlinge, ohne den Knoten aufzubekommen und springt vom Heckkorb in die schwarze See. Paul wirft einen bedauernden Blick auf sein Boot, sieht seine beiden Macker im Wasser schwimmen und springt hinterher.

Die Schwimmweste hält ihn in einer rückwärtigen Position und hebt seinen Kopf über Wasser. Er sieht zu, wie die „Korsar“ in der Ostsee versinkt. Es sieht sogar edel aus, irgendwie stolz geht das alte Boot unter. Der Rumpf des Kümo steht in Luv und hält die großen Wellen ab. Immer schneller werdend versinkt der Mast. Als nur noch ein halber Meter zu sehen ist, ruft Paul verzweifelt „Halt!“ und wie auf Befehl hört das Sinken auf. An Bord des Frachters machen sie ein Schlauchboot zur Aufnahme der Schiffbrüchigen klar. Paul sieht mit ergebenem Entsetzen, wie der Rumpf des Frachters auf seinen Mast mit dem fröhlich wehenden Verklicker zutreibt, dann drüber hinweggeht, wobei der Mast mit Sicherheit abgeknickt wird. Dann nimmt ihn das Schlauchboot auf, auch seine Macker sind schon gerettet.

Sie bekommen Decken, einen heißen Grog und der Frachter läuft mit voller Fahrt nach Saßnitz. Dort wartet schon der über Funk alarmierte Wasserschutz auf die Havaristen.

Sie verhören Paul und seine Macker. Warum musste es ausgerechnet ein westdeutsches Schiff sein? Gab es eine Verabredung? Zum Glück hat der Kapitän auf jede Bergeprämie verzichtet. Aber es wird ein Verfahren vor der Seekammer geben. Und die Sicherheitsorgane werden auch informiert.

September 1960, Stralsund, Heiliggeiststraße 5

Nun lass man gut sein, das wird schon wieder, sagt Mama mit beruhigender Stimme. Pauli liegt in ihrem Bett und drückt sein tränennasses Gesicht an ihren großen Busen. Morgen fährst du nach Saßnitz und siehst zu, was du machen kannst. Ich habe 500 Mark vom Konto abgehoben, die nimmst du mit. Du wirst ein bisschen Geld brauchen. Pauli schluchzt und hat neue Tränen in den Augen. Das sieht sehr merkwürdig aus. Ein weinender Wikinger.

Er ist ein großer kräftiger Bursche, sein wettergebräuntes Gesicht wird von ungebärdigen blonden Locken umrahmt. Seine Augen leuchten hellblau und auf Wangen und dem kräftigen Kinn wächst ein blonder Fünftagebart. Die Mama ist so stolz auf ihren Liebling. Was für ein schöner Mann er geworden ist. Sie tut alles für ihn und, seit der Großvater tot ist, hat sie ihn wieder ganz für sich. Die beiden älteren Geschwister sind ausgezogen, das Verhältnis zu ihnen ist mehr schlecht als recht. Mama legt ihre ganze Zuneigung in ihren jüngsten und schönsten Sohn.

Im Moment jedoch bejammert dieser schöne Mann, dass sein Boot gesunken ist, weil der Frachter zu schnell fuhr. Das Boot wurde weit über der Rumpfgeschwindigkeit durch die See gezerrt. Dadurch ist das Wasser durch den Kasten des Kielschwertes ins Boot gedrückt worden.

Die Wasserschutzpolizei hat ihm vorgeworfen, dass er während des Schleppens die Bilgenkontrolle vernachlässigt hätte. Was hätte er denn noch alles machen sollen? Die Leine bewachen, das Boot steuern, seine Macker festbinden?

Und sein verletzter Finger schmerzt höllisch, auch wenn Mama Salbe darauf getan hat und ihm einen schönen Verband gemacht hat. Die Fingerkuppe ist schon ganz blau und die linke Hand geschwollen und rot. Wie in seiner Kindheit streichelt sie ihn in ihrem großen Bett in den Schlaf. Morgen fahr ich nach Saßnitz, wir werden die „Korsar“ heben. Pauli schluchzt erneut, hier in Mamas Wärme fühlt er sich geborgen.

September 1960, Hafen Saßnitz

Dem Schlepperkapitän tut der junge blonde Hüne leid, der da mit seiner großen Schleppbuddel wie ein Bittsteller vor ihm steht. Er trägt den linken Arm in einer Schlinge, die Hand ist verbunden. Er hat sein Boot verloren, das ist für den Schlepperkapitän das Schlimmste, was einem Seemann passieren kann. Auch wenn es nicht den Vorschriften entspricht, er wird versuchen, ihm zu helfen. In Ordnung, sagt er, wir fahren raus. Aber wenn wir es nicht auf Anhieb finden, kannst du es vergessen. Der Segler hat Tränen in den Augen und hält ihm die Schleppbuddel hin. Der Kapitän schüttelt den Kopf. Behalt se man noch. Noch hebben wi se jo nich.

Die Schute mit dem alten Kran an Deck wird von dem Schlepper aus dem Hafen gezogen. Der Sturm hat sich verzogen und die See ist spiegelglatt. In einem großen Bogen nähern sie sich der Position, die der Frachterkapitän Paul angegeben hat. Paul steht mit dem Taucher am Bug des Schleppers und sie halten Ausschau. Paul betet zu Gott, Lass irgendwas schwimmen, was wir sehen können. Er weiß, er hat nur diese eine Chance. Eine professionelle Bergung gibt es nicht, das ist für ein Sportboot in der DDR undenkbar. Die privaten Probleme Einzelner spielen keine Rolle, es geht immer um Größeres, Wichtigeres als den Einzelnen. Es geht immer nur um die große Sache. Außerdem könnte er eine Bergung niemals bezahlen.

So starrt er angestrengt auf das Wasser und hofft auf ein Wunder. Der Kapitän drosselt die Fahrt. Da wären wir. Seht ihr was? Paul sieht nichts als eine spiegelglatte Wasseroberfläche. Da ist was!, ruft der Taucher und zeigt nach hinten. Paul traut seinen Augen nicht, da ist sein Verklicker, das kleine rote Wimpelchen auf der Mastspitze hängt nass und traurig 20 Zentimeter über der Wasserfläche in der Flaute. Wieder steigen ihm Tränen in die Augen, diesmal vor Freude.

Sie manövrieren die Schute in die Nähe des Verklickers und der Schlepper lässt rasselnd den Anker fallen. Der Taucher geht mit den Trossen ins Wasser. Heulend fiert der Kran das rostige Stahlseil weg. Der Kapitän sagt, Dreißig Meter tief hier laut Echolot, und schüttelt den Kopf.

Nach einer Viertelstunde kommt der Taucher wieder hoch und zeigt dem Kranfahrer den erhobenen Daumen. Langsam holt der seitlich ausgeschwenkte Kran Arm die Trossen an und die Schute schwojt sanft seitlich neben das gesunkene Boot. Dann beginnt der Hebezug. Der Mast kommt mehrfach gebrochen zum Vorschein. Paul sieht nun, warum der Verklicker über der Wasseroberfläche zu sehen war. Sein kleines, halb aufgeblasenes Schlauchboot hatte sich vom Kajütendeck losgerissen und ist an die Wasseroberfläche geschossen. Dabei hat es sich in den Oberwanten des Mastes verfangen und dessen Spitze über Wasser gehoben. Ein kleines Wunder.

Jetzt ist die „Korsar“ schon zu sehen, sie hängt in den Schlaufen der Gurte am Kranhaken. Die Kajüte kommt aus dem Wasser und der Kran stoppt. Der Taucher klettert behände auf das Deck und nimmt die große Söffelpumpe entgegen, die der Matrose ihm von der Schute reicht. Er lässt sie in die Kajüte der „Korsar“ hinab und hebt den Daumen erneut. Der Matrose schaltet den Strom ein und der Feuerwehrschlauch der Pumpe strafft sich, aus dem losen Ende spritzt Seewasser unter hohem Druck zurück in die See.

In wenigen Minuten schwimmt die „Korsar“ auf. Der Taucher macht sie seitlich an der Schute fest. Paul stopft Fender zwischen sein Boot und die Schute. Die Männer strahlen und lachen, klopfen sich gegenseitig auf die Schulter. Ein Wunder ist geschehen. Jetzt macht die Schleppbuddel doch noch die Runde. Der Taucher, der sich aus seinem orangefarbenen Gummianzug schält, sagt zu Paul, Du weißt überhaupt nicht, was du für ein Glück hast, Junge. Dein Boot stand auf der Spitze eines Kreidehügels. Rundherum ist es 30 Meter tief, wir hätten es nie gefunden, wenn es nur ein paar Meter entfernt gesunken wäre.

Januar 1961, Stralsund, Hafenamt, Sitzungszimmer

Im Hintergrund sieht man die Stralsunder Hafenmole. Die Fenster sind von Regentropfen nass, draußen ist es neblig und es dämmert schon um diese frühe Zeit des Tages. Pauli und die Mama sitzen am Kopfende des großen Sitzungstisches. Die Mama schaut böse auf die drei ehrwürdigen Seebären, die hier die Seekammer bilden. Diese bösen Männer wollen ihrem Liebling schaden. Pauli sitzt trotz seiner Hünenhaftigkeit wie ein Schuljunge neben ihr. Sein Hemdkragen würgt ihn, die linke Hand ist verbunden. Die Ärzte haben ihm das letzte Glied seines Ringfingers amputieren müssen, es war ganz vereitert und wollte nicht heilen.

Der Fall des Sinkens der Segelyacht „Korsar“ hat die Kammer nur eine Stunde gekostet. Der Vorsitzend der Seekammer trägt den Beschluss des Verfahrens vor. Es liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung des Schippers und Eigentümers der Yacht „Korsar“ Paul Andacht vor. Der Schipper hat bei dem Schleppzug die Bilgenkontrolle aufs Gröblichste vernachlässigt und damit sein und das Leben seiner Besatzung in akute Gefahr gebracht. Der Beschluss der Seekammer lautet auf Aberkennung des Befähigungsnachweises für Küstenfahrt für die Dauer eines Jahres. Der Wiedererwerb ist mit einer erneuten Prüfung zu verbinden. Die Kosten des Verfahrens trägt Herr Andacht. Die Sitzung ist geschlossen.

Pauli zieht die Mama, die laut auf die Seekammer im Allgemeinen und auf bärtige Seeveteranen im Besonderen schimpft, schnell zum Ausgang. Aber der Ärger hört heute nicht auf. Vor der Tür des Sitzungssaales wartet ein Herr im Trenchcoat auf Paul. Mamas Gezeter ignorierend zieht er Paul in ein schlicht eingerichtetes Büro.

Der Herr stellt sich als Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit vor. Erneut muss Paul peinliche Fragen nach dem westdeutschen Frachter und seinem Kapitän beantworten. Der Herr lässt ihn deutlich spüren, dass der Verdacht einer ungesetzlichen Kontaktaufnahme noch lange nicht ausgeräumt ist und womöglich weitere Konsequenzen zu erwarten sind. Paul wird ganz mulmig zumute. Aber dann wird der Offizier plötzlich freundlicher. „Herr Andacht, Sie können natürlich mit Ihrem künftigen Verhalten zeigen, dass Sie voll hinter unserer Gesellschaftsordnung stehen. Zeigen Sie einen festen Klassenstandpunkt! Gerade im Bereich des Sportsegelns gibt es immer wieder Vorkommnisse! Dort versammeln sich einige individualistische Elemente, Leute mit viel Geld und Beziehungen in den Westen. Dort brauchen wir Leute wie Sie!“

Was Pauli nicht ahnt, ist, dass er in diesem Moment am Scheideweg angekommen ist. Heute und hier wird sich entscheiden, was aus dem kleinen Pauli werden wird: Paul, der Mann, oder Pauli, der kleine Judas.

Er ist jung, unerfahren. Hat der Offizier nicht gerade genauso geklungen, wie die Mama, wenn sie ärgerlich ist? Es gilt doch nur, dem Staat den kleinen Finger zu geben. Was ist schon dabei?

Nach zehn weiteren Minuten hat Pauli sich schriftlich bereit erklärt, künftig als freiwilliger Helfer der Wasserschutzpolizei mitzuhelfen, für Ordnung und Disziplin im Hafen und auf den Küstenwasserstraßen zu sorgen. Ordnung und Disziplin im Hafen – eine Sache des Gemeinwohls!

Er ist ungeheuer erleichtert. Er hat das Gefühl, dass er billig davongekommen ist. Freiwilliger Helfer der Polizei, es hätte viel Ärger kommen können. Er ahnt noch nicht, dass er soeben den ersten Schritt eines langen Weges gegangen ist. Mama erzählt er von seiner Verpflichtung vorsichtshalber erst mal nichts.

Im Foyer des Hafenamtes wartet die Mama mit Klara. Klara ist das weit größere Ärgernis für Mama. Klara ist seit kurzem Paulis Freundin. Mama kann Klara nicht leiden, da sie ein paar Jahre älter ist als ihr vergötterter Sohn. Das gehört sich nicht. Eine ältere Freundin!

Aber Klara ist resolut und selbstsicher und lässt sich nicht abschrecken. Sie hängt sich auf der anderen Seite von Pauli ein und befragt ihn nach dem Ausgang des Verfahrens. Pauli meint, ganz im Gegensatz zu Mamas Ansicht, dass er noch ganz gut weggekommen sei. Mama wird ihm die dreihundertfünfzig Mark geben, um das Seekammerverfahren zu bezahlen. Und er wird sowieso ein Jahr nicht segeln können, erst einmal muss er die „Korsar“ reparieren.

Klara flüstert ihm ins Ohr, dass er heute Abend mit zu ihr kommen könnte. Pauli wirkt verunsichert, er will der Mama nicht wehtun, ausgerechnet heute, wo sie sich schon so ärgern musste. Gut dann, meint Klara, dann sehen wir uns morgen nach deiner Schule. Klara lächelt der Mama siegessicher zu und gibt Pauli einen Kuss.

Um ihn zu trösten, kocht Mama ihm am Abend sein Leibgericht. Vorm Einschlafen fragt sie ihn, Kannst du mir morgen nach der Schule nicht ein bisschen helfen? Ich muss große Wäsche waschen und könnte jemand brauchen, der mir den Waschkessel füllt und heizt. Pauli antwortet nicht, er tut so, als ob er schon schläft.

Klara wartet an der Freitreppe zur Ingenieurschule, als Paul am nächsten Tag Schulschluss hat. Sie sieht toll aus. Sie hat ihr bestes Kleid an, mit einem ansehnlichen Ausschnitt und schicke Absatzschuhe. Ihre Lippen sind knallrot geschminkt und kontrastieren mit ihren braunen Augen und dem rotblonden Haar. Paul strahlt sie an und sie gehen untergehakt zum Hafen. Doch Klara ist gewillt, heute ein ernstes Wort mit Paul zu reden. So geht das nicht weiter, Paul. Du musst weg von Mutters Rockzipfel. – Aber sie ist doch ganz allein, sie braucht mich. Eigentlich sollte ich ihr heute helfen, den Waschkessel zu füllen und ... Klara unterbricht ihn. Ist es normal, dass ein zwanzigjähriger Mann noch keine Freundin hatte? Besonders wenn er so aussieht wie du? Du bist doch noch Jungfrau, oder hast du schon mal? Paul wird puterrot und schüttelt den Kopf. Klara lacht und gibt ihm einen Kuss, Das lässt sich ändern, komm, wir gehen zu mir.

Paul hat heftig rote Wangen. Klara streicht mit dem Finger über seine blonden Brusthaare. Sie lächelt ihn an. Denkst du, es ist normal, dass ein zwanzigjähriger Mann mit seiner Mutter im selben Bett schläft? Paul wird noch röter. Das eben war sehr schön, er möchte jetzt nicht über unbequeme Dinge reden. Doch Klara lässt nicht locker. Du kommst von Mama nur weg, wenn wir heiraten. Vielleicht bekommen wir dann eine Wohnung. Ich gehe arbeiten und du studierst fertig. Ist ja nur noch ein gutes Jahr. Und dann ziehen wir weg von hier, ein bisschen aus Mamas Reichweite. Paul nickt unsicher, hat aber seine Sinne ganz woanders, weil sich Klaras Hand während ihrer Ansprache unter die Bettdecke begeben hat. Es ist eben mit Klara im Bett doch etwas ganz anderes als mit der Mama.

Juli 1963, Stralsund, SY „Korsar“

Klara und Mama haben sich in den letzten Monaten einen erbitterten Stellungskrieg geliefert. Mama hat so manche Schlacht gewonnen, mit gutem Essen und etwas Geld zustecken, aber den Krieg um ihren Pauli hat sie verloren. Klara hat mit einer Schwangerschaft einfach die besseren Argumente. Die resolute Klara hat Paul eines Tages erklärt, dass er nun Vater würde, und ihn einfach angewiesen, was er zu tun hätte. Folgsam hat Paul das Aufgebot bestellt. Mama hat bei der Hochzeit geweint und Paul war sich nicht sicher, ob vor Rührung oder um den Verlust. Paul ist zu Klara gezogen, obwohl es da aus seiner Sicht weniger komfortabel ist.

In seiner Freizeit arbeitet er an der „Korsar“. Er hat zwar keinen Telegrafenmast aufgetrieben, dafür aber eine kerzengerade gewachsene Fichte. Pauls geschickte Hände und Großvaters alter Hobel haben daraus den neuen Mast der „Korsar“ gezaubert. Der liegt nun zum Trocknen auf vielen Böcken, damit er sich nicht verzieht. Die „Korsar“ sah nach der Bergung doch furchtbar aus. Schlamm und Seetang, das kaputte Deck und die ganze gewässerte Inneneinrichtung waren in Ordnung zu bringen. Aber Paul ist nicht faul, wenn es um sein Boot geht. Er hat großes Geschick und einen sicheren Geschmack. Er hat von anderen Seglern alte Segel gekauft und für die „Korsar“ passend gemacht. Die legendäre blaue Fock hat er repariert. Langsam wird die „Korsar“ wieder ein Schiff.

Als das Baby kommt, verbringt Paul noch mehr Zeit am Boot. So süß das kleine Mädchen auch ist, das Geschrei geht ihm auf die Nerven. Klara stellt mehr und mehr Ansprüche an Paul. Die Mama bekommt ihre zweite Chance. Paul ist ein Flüchter, wenn es unkomfortabel wird, weicht er aus. So lässt sich Pauli öfters, wenn er nicht gerade studiert oder an der „Korsar“ arbeitet, von Mama verwöhnen. Mama spart auch nicht mit Bemerkungen über Klaras mangelnde Kochkünste und andere Unzulänglichkeiten des Haushaltes des jungen Paares.

Aber Klara ist auf der Hut. Einige Monate später besorgt sie eine kleine Wohnung in Greifswald und versucht so, Paul dem Einfluss von Mama gänzlich zu entziehen. Sie hat auch eine Arbeitsstelle für ihren Mann in Aussicht. Er kann Umweltbeauftragter in einem großen Elektronikbetrieb werden, ein Job, der ihm genügend Zeit für die Familie und seine „Korsar“ lässt. Sie ködert Paul damit, dass die erste Fahrt nach Greifswald zur neuen Wohnung auch die erste Fahrt mit der wiedererstandenen „Korsar“ ist. So segelt das junge Paar mit dem Baby in einen neuen mamafreien Hafen und das Segelglück für Paul ist so groß, dass in dieser Nacht in der Koje der „Korsar“ ein neuer Erdenbürger gezeugt wird. Wenn Klara etwas tut, dann tut sie es mit ganzem Herzen und mit aller Konsequenz.

Klara kämpft hart um ihren blonden Hünen mit den blauen Augen. Aber sie hat sich verrechnet, ihre Waffen kehren sich gegen sie selbst. Mit zwei kleinen Kindern kann sie nicht mehr so oft mit auf die „Korsar“ kommen und das Boot wird zum Fluchtpunkt für den jungen Vater, der offensichtlich noch nicht so ganz für die großen Aufgaben der Elternschaft bereit ist. Wenn Klara ihn zur Rede stellen will, flüchtet er zu Mama. Seine Abende verbringt er bastelnd auf der „Korsar“, die sich mehr und mehr in ein seglerisches Kleinod verwandelt. Abends klingen Gläser und Pauls Banjo an Bord der „Korsar“ und nicht selten auch fröhliches Mädchenlachen. Der blonde Wikinger mit den blauen Augen gefällt. Auch wenn seine Stirn langsam lichter wird, ersetzt er die oben fehlende obere Haarpracht durch einen dichten blonden Vollbart, der seine markanten Züge noch markanter macht. Den Frauen gefällt Pauls unbekümmerte Jungenhaftigkeit, die in einem schier unglaublichen Gegensatz zum männlichen Erscheinungsbild steht. Wo Paul ist, wird fröhlich gelacht. Einer ernsten Auseinandersetzung geht Pauli, von Mama unterstützt, stets aus dem Weg.

Klara erträgt das Unerträgliche eine Zeitlang, dann verlangt sie von Paul eine Entscheidung. Der eiert herum und lässt sich von einem Segelfreund, der Arzt ist, flugs krankschreiben und verzieht sich für einige Wochen zu Mama, die ihren Liebling freudig aufnimmt. Sie hat es ja schon immer gewusst: Eine ältere Ehefrau taugt zu gar nichts.

Klara reicht die Scheidung ein. Zum Glück für Paul ist es in der DDR nicht schwierig, geschieden zu werden. Scheidungen sind Alltag. Paul muss für die Kinder zahlen und darf sie ab und zu sehen, was von Klara allerdings listenreich hintertrieben wird. Sie wirft ihn aus der gemeinsamen Wohnung und er haust einen ganzen Sommer auf der „Korsar“. Mama wäscht ihm die Sachen und steckt ihm Geld zu, wenn es zu knapp wird.

Und Geld ist immer knapp. Die „Korsar“ braucht neue Segel und bekommt sogar wieder einen Dieselmotor. Paul hat die Schule beendet und geht jetzt arbeiten. „Umweltbeauftragter“ eines volkseigenen Betriebes ist nicht grade ein gut bezahlter Job, er bekommt gerade mal 690 DDR-Mark im Monat. Aber die Arbeit lässt ihm sehr viel freie Zeit für sein Boot. Die Segel und der Dieselmotor sind zwar nicht neu, aber unter Pauls geschickten Händen wird das Boot immer schöner.

Ein segelnder Wikinger mit schmuckem Boot und fröhlichem Banjo wirkt wie ein Magnet auf die Mädchen. Die nächste Braut heißt Silvia. Silvia ist eine hübsche, burschikose Blondine. Sie ist voll vom Segeln begeistert und so ist Paul voll von Silvia begeistert. Mama sieht es mit großem Missbehagen und meint, dass Silvia ein Flittchen ist. Aber Pauls Beziehungen entwickeln eine eigene Dynamik. Den ganzen Sommer lässt er sich nicht bei Mama blicken. Er ist wieder krankgeschrieben und mit seinem Boot um Hiddensee unterwegs. Silvia trägt recht bald ein Kind unter dem Herzen und sie heiraten.

So ist Mama auch nicht verwundert, dass Silvia nach nur einem Jahr Ehe mit dem Kind flüchtet und sich per Anwaltsvertretung scheiden lässt. Die nächste heißt Petra, aber Mama hat es gleich gewusst, dass diese Ehe nicht halten kann. Petra passt nicht zu ihrem Liebling. Immerhin hält sie es drei Jahre mit ihm aus, ehe sie Pauli aus der gemeinsamen kleinen Wohnung wirft und sich scheiden lässt.

Teil 2 Inverser Igel

Oktober 1965, Oberschule „Geschwister Scholl“, Mücheln

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