Wolfshügel - Dimitri Rouchon-Borie - E-Book

Wolfshügel E-Book

Dimitri Rouchon-Borie

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Beschreibung

Ein junger Häftling schreibt seine Bekenntnisse auf: Bis zum Schulalter lebt Duke verwahrlost mit seinen Geschwistern auf dem Wolfshügel. Seiner Lehrerin fällt bald auf, dass der scheue Junge brutal misshandelt wird. Er kommt zu Pflegeeltern. Doch nach einigen Jahren läuft er davon, durch Wälder bis ans Meer. Dort verliebt er sich in die drogenabhängige Billy und schließt sich ihren Freunden an. Dukes brennender Wunsch, Billy und sein eigenes versehrtes Leben zu beschützen, wird ihm immer wieder zum Verhängnis. Der Dämon des Wolfshügels lässt ihn nicht los … Dimitri Rouchon-Bories vielbeachteter Roman wagt eine radikale Innensicht: Er erzählt in einer poetischen Mündlichkeit voller Emotionen von Dukes Ringen mit dem Bösen in sich. Tabulos offenbart er seine verlorene Kindheit, sein Leben voller Schmerz und Wut, aber auch Momente der Liebe und des Glücks.

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Seitenzahl: 235

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Bis zum Schulalter lebt Duke verwahrlost mit seinen Geschwistern auf dem Wolfshügel. Seiner Lehrerin fällt bald auf, dass der scheue Junge brutal misshandelt wird. Er kommt zu Pflegeeltern. Doch nach einigen Jahren läuft er davon, durch Wälder bis ans Meer. Dort verliebt er sich in die drogenabhängige Billy und schliesst sich ihren Freunden an. Dukes brennender Wunsch, Billy und sein eigenes versehrtes Leben zu beschützen, wird ihm immer wieder zum Verhängnis. Der Dämon des Wolfshügels lässt ihn nicht los …

Dimitri Rouchon-Borie, geboren 1977 in Nantes, studierte Philosophie und Kognitionswissenschaft und arbeitet als Journalist und Gerichtsreporter bei der Tageszeitung Le Télégramme. 2018 gab er den Sammelband Au tribunal heraus. Sein Debütroman Le Démon de la Colline aux Loups wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt.

Dimitri Rouchon-Borie

Wolfshügel

Roman

Aus dem Französischenvon Anne Thomas

Lenos Verlag

Die Übersetzerin

Anne Thomas wurde 1988 in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz geboren und wuchs in Flensburg auf, nachdem sie 1989 mit ihrer Familie aus der DDR geflohen war. Seit 2013 ist sie als freiberufliche literarische Übersetzerin tätig (u. a. Colin Niel, Éric Plamondon, Gabriel Katz, Anna Boulanger, Marie Desplechin). Sie lebt hauptsächlich in Paris. Regelmässige Arbeitsaufenthalte in Berlin und London. Anne Thomas organisiert und leitet Übersetzungsworkshops in Schulen in Deutschland und Frankreich und ist als Dolmetscherin bei literarischen und kulturellen Veranstaltungen tätig.

Titel der französischen Originalausgabe:

Le Démon de la Colline aux Loups

Copyright © 2021 by Le Tripode

This edition is published by arrangement with Le Tripode in conjunction with its duly appointed agent

Books And More Agency #BAM, Paris, France. All rights reserved.

E-Book-Ausgabe 2023

Copyright © der deutschen Übersetzung

2023 by Lenos Verlag, Basel

Alle Rechte vorbehalten

Coverbild: Kris Mari / shutterstock

eISBN 978 3 03925 704 1

www.lenos.ch

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Wolfshügel

1

Mein Vater sagte so ist das immer gewesen auf dem Wolfshügel und so war das bei ihm gewesen und bei uns genauso. Jetzt weiss ich dass es endgültig vorbei ist. Der Wolfshügel da bin ich aufgewachsen und davon werde ich Ihnen erzählen. Auch wenn es keine schöne Geschichte ist es ist meine und so ist es eben.

Vom Wolfshügel rede ich normal nicht so gerne. Der Dämon ist dort geboren und hat mich dort gepackt. Aber wenn ich für immer Schweigen darüber breiten müsste wäre das als hätte er mir endgültig die Seele geraubt und meine Geschichte erst recht. Ich hoffe Sie können Barmherzigkeit aufbringen oder so was weil ich nämlich ein ganz eigenes Sprechen habe und in all der Zeit waren diese Wörter meine Art ich zu sein und kein andrer. Und weil ich nicht lange in die Schule gegangen bin wegen dem Vater, dem Dämon, der Mutter und andern, fehlen ein paar Stücke in meiner Fassungskraft der Dinge.

Für wen ich dann das Tagebuch schreibe weiss ich nicht. Vielleicht für mich selber und für den der ich vorher war vor dem Dämon.

2

Die Leute haben keine erste Erinnerung. Wie Fridge der neben mir in der Zelle schläft er hat keine erste Erinnerung. Er sagt Keine Ahnung Mann wen interessiert’s und dann reibt er sich die Mundwinkel wie wenn er einen Schnurrbart glattstreicht er hat nicht eine Stoppel. Fridge ist schon bei mir solange ich bei ihm in der Zelle bin er hat zehn oder zwölf Jahre Gefängnis aber er sagt die muss er nicht absitzen weil der Anwalt gesagt hat die muss er nicht absitzen. Fridge erinnert sich an vieles aber nicht an seine erste Erinnerung. Es ist als wüsste verdammt noch mal niemand wann wir alle zum ersten Mal über irgendetwas nachgedacht haben und warum das gelöscht wird und vielleicht ist es besser wenn es uns das Hirn nicht mit zu vielen Dingen verstopft.

Wenn Fridge schläft schreibe ich sonst schwatzt er und will über meiner Schulter mitlesen. Einmal habe ich ihm ins Ohr gefaucht. Ich habe den Chef um Bücher aus der Bibliothek gebeten und bekam Erlaubnis sie auszuleihen und mitzunehmen und ich habe ein Wörterbuch und eine Grammatik für Neuankömmlinge. Die Psychologen haben immer gesagt ich soll schreiben für die Therapie aber mit einem Stift konnte ich nichts anfangen jetzt habe ich sogar eine Schreibmaschine und ich kann mir Zeit lassen denn der Direktor hat gesagt Zeit ist das Einzige was ich noch habe.

Das macht mir keine Angst weil ich nämlich so was wie die Ewigkeit schon kenne vom Dämon. Das war ein endloser Sturz von Anfang an und ich wusste ein Teil von mir war weg und nicht mehr auf dieser Welt also nicht so wie man es für normale Leute sagt. Ich sage nicht dass ich nicht normal bin ich sage dass ich den Dämon geerbt habe und das ist wie wenn die Götter zu uns herabsteigen nur ist es in dem Fall der Teufel. Ich weiss nicht aus was er gemacht ist aber er war schon von meinem Vater herbeigerufen worden er wusste nicht was er tat und ich wurde nicht gefragt. Ich erinnere mich einmal als Kind als ich rausdurfte und die Natur einatmen konnte hatte ich einen Kokon gesehen aus dem ein Schmetterling werden würde und ich spürte dass ich auch ein Kokon war aber mit etwas schrecklich Hässlichem drin und ich lag gar nicht so falsch.

Wenn ich schreibe esse ich nicht manchmal nimmt Fridge mein Tablett und ich schreibe und das reicht mir ich will nicht dass die Maschine fettig wird und ich soll sie sauber zurückgeben hat der Direktor gesagt.

Ich weiss nicht ob ich bereit war den Wolfshügel noch einmal zu durchleben auch wenn ich ihn verlassen habe oder er mich verlassen hat ich bin wie ein verfaulter Baum für immer mit den Wurzeln im Sumpf der Kindheit. Der Psychologe hatte gesagt ich müsste weit weit weit zurückgehen dreimal hatte er das gesagt weit zurück in die Vergangenheit damit ich aufspüren kann wo Blockaden sind. Was hatte ich gelacht. Blockaden. Ich denke daran was ich getan habe. Blockaden. Aber hinterher hatte ich nachgedacht und mir überlegt wenn ich sterbe weiss ich nicht wem ich auf der andern Seite begegne deshalb sollte ich vielleicht langsam mal nein nicht direkt an Vergebung denken das wäre zu viel verlangt aber der Psychologe hatte gesagt Läuterung. Wie schreibt man Läuterung Fridge und er antwortet Mit meinem Pimmel. Mit Fridge kann man nicht reden.

Es klingt dumm aber der Wolfshügel am Anfang wusste ich nicht was der Wolfshügel war weil ich in dem Haus wohnte das obendrauf stand und noch nie herausgekommen war. Wir waren drin und wussten nicht dass wir drin waren. Wenn ich wir sage dann weil ich Ihnen wohl von den Geschwistern erzählen muss und es wird nicht einfach für mich werden denn ich weiss nicht wo sie jetzt sind und das tut mir so weh innen drin wie sonst nichts auf der Welt. Ich wurde zwischen den ersten beiden und den letzten dreien geboren deshalb habe ich immer gesagt wir wären fünf weil es sich leichter rechnen liess wenn es mich nicht gab in der Addition und in der Schule benutzte ich einen Taschenrechner wenn ich hinging aber nicht für die Aufgaben ich drückte nur auf den Tasten herum und erst jetzt könnte ich ihn richtig bedienen. Mit der Familie muss ich gar nicht mehr rechnen das ist der Vorteil wenn man alleine ist.

Es wird Ihnen allen komisch vorkommen aber am Anfang hatten wir keine Namen. Wozu auch wir mussten uns nicht rufen also hiessen wir nicht. Wir fanden einander ganz selbstverständlich.

Ich habe lange nach meinen ersten Erinnerungen gesucht und das Einzige was mir in die Nase steigt und fundamental ist das ist ein Gefühl von Wärme als ich klein war. Diese Wärme kam weil wir nie getrennt waren wir hingen immer zusammen und schmiegten uns aneinander wie Siebenschläfer oder Feldmäuse und ich könnte heute noch den Geruch all meiner Geschwister erkennen und meine Nase wüsste wer sich an mich drückt. Die Bilder meiner Kindheit das ist vor allem die Decke auf dem gefliesten Fussboden in einem Raum und dort lagen wir eng aneinandergekuschelt und manchmal kam jemand und es geschah etwas vielleicht gab man uns zu essen aber ich weiss nicht was. Wir kehrten immer zu dieser Wärme zurück. So war das und uns war warm aber niemand beschwerte sich und wir erleichterten uns in der andern Zimmerecke ganz am Anfang. Ich könnte nicht sagen wann ich das Prinzip der Tür und den Rest begriffen habe denn wenn ich ehrlich zu mir selber sein will und wirklich so weit wie möglich zurückgehen dann war unser Universum auf diese Masse beschränkt die wir alle zusammen bildeten und ich glaube ich habe dort nie ein Wort gehört wir stahlen uns nie davon vielleicht hatten wir Angst. Aber die Grossen und das kann ich nicht analysieren ich erriet einfach dass manche von uns gross waren, die waren schon durch diese Tür gegangen und sie kackten und pinkelten woanders aber ich weiss nicht wo.

Ab und zu wuchsen Schatten im Zimmer und sie machten dumpfe Geräusche und manchmal wurden Dinge gebrüllt die mit Pisse zu tun hatten oder fast immer irgendwie in Zusammenhang mit dem Endergebnis unseres Darms standen. Ich hatte lange gebraucht um diese Schatten nachzuzeichnen und ihre Züge genauer zu erkennen und noch länger um zu begreifen dass das Menschen waren und zwar nicht irgendwelche, meine Eltern.

Später habe ich Leute getroffen die auf Anhieb einen Vater und eine Mutter hatten mit Zuneigung und solchen Sachen das habe ich in Zeitschriften gelesen deshalb konnte ich versuchen zu vergleichen. Aber ich muss Ihnen eins sagen ich erinnere mich nicht am Anfang Menschen gesehen zu haben. Und ich weiss nicht wie diese Schatten die ungebeten in unser Nest eindrangen uns zu fressen gaben ich muss etwas gegessen haben sonst wäre ich gestorben aber auch hier hätte ich nicht eine einzige Mahlzeit ausmachen oder benennen können alles lief ineinander.

Es gibt einen Augenblick in der Kindheit wo wir alle die Augen weiter aufmachen und nach und nach hatte mein Blick jedes Wesen vom Nest unterschieden und ihm einen eigenen Körper gegeben. Und ich war einerseits glücklich dass nicht mehr alles völlig unscharf war und gleichzeitig trauerte ich um diese Welt verschwommener Verbundenheit in der ich einfach nur die Wärme spüren und wiederfinden musste wenn ich sie verlor. Eines Tages sah ich mich einem Gesicht gegenüber und das war meine Schwester und an diesen Tag erinnere ich mich, auch wenn es nicht meine erste Erinnerung ist weil es so ein schönes Gesicht war mit hellen Augen und rosa Lippen.

Hinterher habe ich nach und nach meine Geschwister kennengelernt einmal habe ich gemerkt dass die Kugel auf meinem Bauch jemand Schwächeres war als ich und mein grosser Bruder der Älteste war derjenige der uns immer Wasser holte.

Als aus den Schatten meine Eltern wurden konnte ich schon mehr und mehr Dinge voneinander unterscheiden und Geräusche und Geschrei. Und ich hatte angefangen mich der Tür zu nähern.

Näher an die Tür herangehen war eine instinktive Herausforderung ich hatte das im Blut also legte ich Kugel neben mir ab und liess ihn ein bisschen weinen und streichelte ihm zum Abschied übers Haar und machte mich auf den Weg. Es war dunkel und erst hinterher habe ich begriffen dass die Eltern nie die Fensterläden aufmachten es hat Jahre gebraucht ehe das Konzept von Tag und Nacht zu uns durchdrang.

Ich erzähle nicht der Reihe nach das könnte ich gar nicht. Das Bewusstsein war ein merkwürdiges Ding und für mich war es dieses allmähliche Erwachen das machte dass mir das Zimmer immer kleiner vorkam und ich kann es nicht besser erklären selbst nach allem was ich seitdem gelesen habe. Es gab keine Ränder keine Grenzen kein gar nichts. Und im Kopf des kleinen Kerls der ich war gab es plötzlich Wände eine Decke. Der Schatten und das Gebrüll nahmen eine klarere Kontur an bis ich endlich den Mann erfasste der gesagt hatte Mich nennst du Vater. Und als ich ganz nah an die Tür gegangen bin, das allererste Mal, ist sie aufgegangen und jemand hat zu mir gesagt Na will da jemand seine Mama besuchen.

Ich kann nicht das Gegenteil behaupten ich habe es nicht verstanden und ich glaube ich habe gebrüllt und wenn ich mich wirklich anstrenge bis zum bitteren Ende und die Augen schliesse sehe ich beinahe das riesige Weibsbild vor mir in einem schmutzig weissen Nachthemd und mit Haaren wie Lianen und ihrem Lächeln fehlten ein paar der notwendigen Zähne. Ich wollte zurück zum Gesicht meiner Schwester ich habe geplärrt meine Mutter hat Worte gekeift und ich verstand diese Laute nicht und ich wollte zurück ins Nest und nie wieder an die Tür heran.

3

Heute war ich nicht beim Hofgang weil ich nicht jeden Tag frische Luft brauche. Überhaupt würde es nichts ändern wenn ich mir hier eine tödliche Einsamkeit einfange wo ich doch aufs Sterben programmiert bin. Fridge ist rausgegangen und zurzeit will man ihm ans Fell wegen einer Sache mit Eliott der schlecht wird wenn es um Alkohol geht und ich hatte Fridge gesagt er soll sich nicht mit ihm anfreunden. Fridge denkt nicht ganz geradeaus und er kann auch keine Unterhaltung bestreiten die einem die Zeit vertreibt aber ich weiss er ist auf seine Weise aufrichtig wenn er nicht gerade von Geheimnissen heimgesucht wird oder nachts von den Bildern. Wenn er von den Bildern träumt ist er morgens anders das sehe ich an seinen Augen dann habe ich Angst dass ihm ein Unglück zustösst, nicht dass ich an ihm hänge aber ganz egal ist er mir nun auch wieder nicht. Andererseits kann Fridge unabsichtlich Streit suchen und er piesackt die andern wie eine Schmeissfliege und Eliott hatte zu ihm gesagt Schleich nicht ständig um mich rum, Herrgott. Aber Fridge hörte nicht auf und veranstaltete einen Zirkus und redete Blödsinn und irgendwann hat er Dinge gesagt die ungehörig wirken können. Eliott war giftig geworden aber er hat sich zurückgehalten weil er schon mal in Einzelhaft sass und niemand mag Einzelhaft selbst wenn es nichts mehr gibt was man hasst. Deshalb habe ich Angst dass er eine Knastabreibung ausheckt denn Fridge ist nicht auf der Hut. Ich habe gesagt er soll auf der Hut sein aber Fridge denkt immer dass alles nicht so schlimm ist.

Ich habe schlecht geschlafen wegen meinen persönlichen Bildern ich habe von der Mutter geträumt und das war nichts Gutes. Das erste Mal als ich sie gesehen hatte habe ich reagiert so gut ich konnte. Ich liess Tage verstreichen ich wollte nicht zur Tür trotzdem habe ich mir die Mühe gemacht. Ich weiss nicht ob sie dahinter wohnte oder ob es Zufall war aber sie fand mich wieder auf der Schwelle und sie hatte dasselbe Nachthemd an. Ich hatte noch Zeit das Tageslicht zu sehen es musste wohl ein Flur sein und da waren entfernte Geräusche aber ich weiss nicht was das war. Sie war riesig und sie sagte Na willst du wieder losplärren kleiner Hosenscheisser und ich sah sie an wie man einem Rätsel gegenübersteht und sie schlug mich ohne Vorwarnung. Ich blieb stehen ich glaube ich registrierte dass in mir drin etwas Neues passierte und das war kein bisschen angenehm aber damals sagte ich das nicht so. Die Tränen kamen von ganz alleine und ich geriet in Panik dass ich aus den Augen pinkelte weil ich dachte ich darf nicht in diese Ecke des Nestes machen. Meine Mutter brach in Gelächter aus sie sagte Nu guck sich mal einer an wie der auf Draht ist der kleine Rotzlöffel.

Ich bin zurück zu meinem Rudel und habe mich angeschmiegt und mir Kugel wieder auf den Bauch gelegt aber er wurde grösser und deshalb schwerer und wollte zur Tür da habe ich ihn nicht gelassen. Das machten wir ohne zu reden ich glaube nämlich ausser knurren konnten wir nicht viel.

Danach muss ganz schön Zeit vergangen sein denn das Nest verschwand mehr oder weniger und jemand hatte die Fensterläden aufgemacht aber sie wurden nie wieder geschlossen. Ich verbrachte all meine Zeit in dem Raum doch die beiden Grossen waren verschwunden und manchmal kamen sie wieder und verschwanden dann erneut. Ich besah mir oft das Gesicht meiner Schwester und nahm es in meine Hände und sie sagte nichts und ich sah sie an.

Meiner Mutter begegnete ich jetzt öfter ich verliess den Raum und sie schlug mich manchmal und prustete vor Lachen. Sie trug die ganze Zeit dasselbe Kleid sie krähte dass mein Vater ihr ruhig einmal Geschenke hätte machen können.

Sie strich oft um ihn herum und sagte Mein Mann hier und mein Mann da. An manchen Tagen heulte sie ohne Tränen an andern Tagen packte sie ihn am Schritt und sagte Meine Trophäe das ist meine Trophäe.

Der Vater war lange weg gewesen und als er wiederkam war ich in einem Alter wo ich die Dinge gut auseinanderhielt deshalb konnte ich all seine Gesichtszüge erkennen und vor allem seine Augen. Er war schwarz angezogen und trug Jeans und er hatte weisse Socken und Pantoffeln an. Er hatte schwarze Haare sie glänzten er hatte einen kleinen Schnurrbart und meine Mutter auch.

Es dauerte noch einige Zeit bis ich den Flur und das Esszimmer und die Küche entdeckte, als ich das erste Mal zu weit ging packte mich die Angst mich zu verirren und nie mehr das Gesicht meiner Schwester zu sehen. Eines Tages kam mein Vater uns besuchen und er hatte eine Katze dabei ein Kätzchen und danach war das Haus von Katzen bevölkert so kam es dass wir jeder eine kleine Kugel auf dem Bauch hatten denn wir waren alle zu gross geworden um uns gegenseitig zu tragen und die Katzen waren die verbindende Wärme zwischen uns allen auch wenn sie stanken.

Meine Mutter kümmerte sich manchmal um meine Schwestern sie kämmte ihnen die Haare und sagte Prinzessin und dann kniff sie ihnen in die Brustwarzen und sagte Da wird bald was spriessen. Meine Haare kämmte sie nicht aber eines Tages sagte sie mir ich würde miefen wie hundert Kerle und sie zeigte mir einen Ort wo Wasser aus einem Rohr kam und ich musste mich darunterstellen und mich einseifen danach ging ich zu meiner Schwester um zu fragen ob ich gut roch sie sagte Ja. Ich weiss nicht ob meine Mutter den Raum oft benutzte aber mein Vater sagte das wäre zu nichts nütze er hatte nur seinen Kamm in der Tasche und spuckte darauf um sich die Haare zu kämmen ich dachte ich würde es später genauso machen.

Die beiden grossen Brüder blieben immer länger weg und wenn sie wiederkamen beklagte sich mein Vater Und wer ernährt die nun und er trank Rotwein aus Flaschen ohne Etikett. Sie waren älter aber nicht zu sehr und ich hatte verstanden dass einer Michael hiess und ein andrer Jonas und die beiden prügelten sich, eines Tages schlug Jonas Michael die Nase blutig und mein Vater verpasste beiden eine Abreibung. Danach sind sie nicht mehr wiedergekommen und ich weiss bis heute nicht warum.

Die wichtigste Etappe für uns alle das sage ich ohne meine Geschwister gefragt zu haben aber ich ahne ihre Antwort das war als wir die letzte Tür entdeckt haben die in den Garten. Niemand kann sich das vorstellen aber ich erinnere mich immer noch an das Gefühl von stoppeligem Gras unter meinen nackten Füssen und unsichtbaren Kieseln die mir in die zarte Haut pikten. Nichts war feindselig ich schaute nach oben nach unten, der Boden und der Himmel und die Farben und die Formen und für mich war das als wenn die Wärme vom Nest früher dort existiert hätte und wir von dort kämen und diese ursprüngliche Wärme hätte alles erschaffen. Ich war an einem Frühlingstag hinausgegangen und mein Vater hatte erklärt Es ist Frühling so habe ich es mir gemerkt. An einem Baum waren Blüten und ich stand zum ersten Mal ganz nah so etwas Schönem gegenüber, und Farben, es stahl mir die Augen. Draussen fühlte ich mich gut weil ich zwischen herrlichen und verrückten Erfindungen in der zerstäubten Wärme stand und da waren Bäume, Pflanzen, Steine. Ich hob sie auf und steckte sie in die Tasche und liess sie knirschen und ich dachte das wäre das Lied der Welt. Die Steine waren ganz kostbar und ich schielte stundenlang auf das kleinste Schillern und ich hatte einen flachen Stein mit glatten Linien gefunden niemand könnte das absichtlich je so gut zeichnen.

Das Grundstück vom Haus war nicht gross aber es lag am Hang und man sah nichts als Bäume und die Lichtung und mein Vater hatte gesagt Das ist der Wolfshügel und ich hatte genickt auch wenn ich nicht wusste was das war ein Wolf.

Wenn wir hinausgingen schrie meine Mutter damit wir nicht zu den Bäumen gingen und sagte man könnte uns wegfangen weil es da diesen irren Pädophilen gab der herumstrich und ich wusste nicht was das bedeutete aber ich ahnte dass es etwas Furchtbares sein musste wenn es sogar ihr Angst machte. Der Vater sagte sie übertreibt und einmal hat sie ihm Wasser ins Gesicht geschüttet und gesagt Na was sagst du jetzt.

Viel später erst habe ich es verstanden denn eines Tages kam zum ersten Mal ein andrer Erwachsener er hatte eine Schirmmütze und kleine glänzende Augen und er sah alt aus weil seine Hände zitterten und mein Vater hatte ihm Rotwein angeboten. Meine Mutter hatte sich mit uns im Nest versteckt und sie sagte Seht ihr das ist er der irre Pädophile und er darf euch nicht sehen.

Später hatte mein Vater sie geholt und gesagt Das ist der Nachbar so ist das eben und sie hatten sich gestritten und ich glaube bestimmt dass er sie gehauen hat sie hatte danach noch tagelang ein rotes Ding im Gesicht.

4

Dieser Teil der Kindheit verzehrte sich mit der Entdeckung des Hügels und der Angst vor üblen Dingen im Bauch. Ich sammelte die Farben die Eicheln die Insekten auf faserigen Stängeln die Äste ich schaute alles an und nahm alles mit in meine Erinnerung für den Fall dass jemand die Fensterläden wieder schloss. Morgens wachte ich auf und sah die Sonne aufgehen und den rosa Himmel mochte ich am liebsten und abends den orangen. Manchmal beobachtete ich nachts den Mond und die Sterne aber meine Mutter hatte gesagt man darf den Mond nicht anstarren weil man sich sonst den Dämon einfangen könnte und ich traute mich nicht zu sagen dass ich das gemacht hatte.

Ich hatte nicht bemerkt dass ich ein bisschen Sprache erworben hatte und ich wusste auch nicht wie ich zu der Fähigkeit gekommen war die Worte der andern zu verstehen aber ich kapierte fast alles, und das war mächtig nützlich als eine Frau kam und Fragen stellte meine Mutter hatte uns vorher in den Wasserraum geschickt ausser meine grosse Schwester die musste sich verstecken. Sie hatte gesagt Der Erste der aufmuckt den bring ich um und wir wussten nicht was das bedeutete aber sie hatte gegen eine Katze getreten deshalb hatten wir den ungefähren Gedanken begriffen und meine grosse Schwester hatte meine eine Hand genommen und meine kleine Schwester die andre und ich drückte alle beide aber ich hatte alleine hineingemusst das ist das erste Mal dass ich Einsamkeit erlebte.

Die Dame roch nach einem Duft und das gefiel mir gut sie trug Schmuck das kannte ich nicht. Meine Mutter hatte ein andres Kleid an sie schnitt Grimassen damit sie nett aussah und sagte Möchten Sie wirklich kein Glas Wasser? Die Dame stellte mir Fragen über mein Leben und ich konnte nicht antworten denn ich verstand ihre Worte und ihr Sprechen nicht. Sie wiederholte aber ich verstand sie nicht ausser als sie, am Ende, gesagt hatte Das ist nicht normal dass der Kleine nicht zur Schule geht und mein Vater hatte erwidert Schule ist sinnlos.

Nur machte mein Vater nicht die Gesetze deshalb hatten sie mir eines Morgens Kleider und Schuhe gegeben und der Vater hatte mich wortlos den Hügel hinuntergebracht und ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so weit sehen können und ich machte mir in die Hosen als ich ein riesiges Geräusch hörte und dann kam ein ungeheurer Schatten auf uns zu und mein Vater haute mich und sagte Das ist der Bus du Idiot hast du noch nie einen Bus gesehen? Aber ich hatte ja noch nie einen gesehen und mir taten die Füsse weh. Ich brüllte und er schlug mich bis ich einstieg und die Türen gingen zu und Sie können sich vorstellen der dümmste Bengel im ganzen Schulbus der sich eingepisst hatte na das war ich. Ganz vorne sass ein alter Typ mit einer Seemannsmütze und rundem Gesicht wie ein grauer Seehund, das weiss ich weil ich später einen grauen Seehund im Wissenschaftsjournal der Schule gesehen hatte und ich hatte geträumt dass die Seehunde aus dem Meer kommen können und sich in Menschen verwandeln und mit Seemannsmütze einen Bus lenken. Er musterte mich und bewegte seinen dicken Hintern auf dem Sitz hin und her und das quietschte eklig dann sagte er ich soll mich hinsetzen. Es gab so einen Mittelgang und überall Sitze und oben guckten Kinderköpfe raus und musterten mich und ich glaube das war weil ich gebrüllt hatte. Einer sagte Guckt mal der hat sich eingepisst. Dann lachten sie und sagten Dinge zu mir die ich nicht verstand und ich fand keinen Platz zum Sitzen also musste der Seehund vorne den Bus anhalten weil ich stand und er sagte Solange das Kind nicht sitzt fahre ich nicht weiter und das könnt ihr dann mit dem Direktor klären. Ich wusste nicht was ein Direktor war aber in meinem Instinkt hatte ich das Wesentliche verstanden und ich sah dass die andern kleinlaut wurden deshalb begriff ich das musste eine ernstzunehmende Drohung sein. Ein Mädchen stand auf und setzte sich neben ein andres und machte zwei Plätze frei also bin ich dorthin gegangen und das war gut denn ich wollte kein andres Gesicht als meine Schwester und das Nest und Kugel. Ich war leer als der Bus hielt und ich verstand nicht was geschah wir waren noch immer auf dem Land aber auf einmal fuhren überall Autos und auch wenn ich mich ein bisschen an den Bus gewöhnt hatte, ich hatte den Eindruck in einer vollkommenen Hölle zu sein. Leute musterten mich ich sah Häuser und Fahrräder und ich hatte nichts um all das aufzunehmen. Heute weiss ich dass mein Bewusstsein zu viele Dinge sortieren musste und ich hatte keine Fächer in denen ich diese Neuheiten verstauen konnte die plötzlich auftauchten das schlug mir derart aufs Gemüt, als man mich aus dem Bus holte und in die Schule bringen wollte konnte ich nicht anders als mich obendrein noch zu übergeben deshalb lieh man mir etwas zum Anziehen und das gefiel mir.

Die Lehrerin war eine Frau, das sage ich jetzt damals war ich ein Tier und schnüffelte nur an den Leuten um aufzunehmen was mir ihr Duft sagte. Sie roch nach Frühling und nach Regen und wenn ich sie ansah hörte ich die Tropfen von einer ausgedachten Regenrinne fallen. Als ich ihren Klassenraum betrat sagte sie Ach Gott und ich kannte Gott nicht deshalb hat mich das nicht weiter beeindruckt aber die Tafel schon. Sie zeigte mir einen kleinen Stuhl und einen kleinen Tisch und da war ein Blatt Papier und Buntstifte und sie sagte Ach Gott und hielt sich die Hand vor den Mund. Ich dachte sie will mich in einen Waschraum führen aber nein sie gab mir den Stift und ich, ich hatte noch nie irgendwo gesessen deshalb habe ich mich unter dem Tisch versteckt als sie mir den Rücken zudrehte.