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Ein tiefes Grollen dringt aus den Wolkenbergen zu mir herunter, tief im Inneren werfen Blitze Töne von Violett und Grau an die Wände. Erneut das Summen in meiner Brust, der Beginn einer wunderschönen Melodie. Ich kann gerade noch meine Arme heben, bevor mich der nächste Blitz erfasst. - Das helle Königreich hat ihre Prinzessin wieder. In der Sicherheit der Mauern des Schlosses, können Evelyn und Taylor endlich aufatmen. Doch schnell wird ihnen klar, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Alte Geheimnisse und Intrigen verfolgen ihre Schritte und die Macht des dunklen Königs rückt immer näher. Während die Grenzen zwischen hell und dunkel weiter verwischen, muss sich Evelyn die Frage stellen, auf welcher Seite sie steht, bevor der letzte Sturm anbricht. - Das große Finale der Wolkenbruch-Trilogie!
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Seitenzahl: 553
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Playlist
WOLKENBRUCH III
You should see me in a crown – Billie Eilish
Pazifik - Provinz
Mad woman – Taylor Swift
All we are – Giant Rooks
Ilomilo – Billie Eilish
King – Florence & the Machine
Primavera – Ludovico Einaudi
Goldwing – Billie Eilish
Thousand Eyes – Of Monsters and Men
Sunrise – Norah Jones
“Does a scorpion sting when fighting back?”
Taylor Swift (Mad Woman)
TEIL 1 IRRLICHT
KAPITEL 1: Evelyn
KAPITEL 2: Evelyn
KAPITEL 3: Taylor
KAPITEL 4: Evelyn
KAPITEL 5: Evelyn
KAPITEL 6: Taylor
KAPITEL 7: Evelyn
KAPITEL 8: Evelyn
KAPITEL 9: Taylor
KAPITEL 10: Evelyn
KAPITEL 11: Evelyn
KAPITEL 12: Evelyn
KAPITEL 13: Evelyn
KAPITEL 14: Taylor
KAPITEL 15: Evelyn
TEIL 2 SCHWARZ & WEISS
KAPITEL 16: Evelyn
KAPITEL 17: Taylor
KAPITEL 18: Evelyn
KAPITEL 19: Evelyn
KAPITEL 20: Taylor
KAPITEL 21: Evelyn
KAPITEL 22: Evelyn
KAPITEL 23: Evelyn
KAPITEL 24: Taylor
KAPITEL 25: Evelyn
KAPITEL 26: Taylor
KAPITEL 27: Evelyn
KAPITEL 28: Taylor
KAPITEL 29: Evelyn
KAPITEL 30: Evelyn
KAPITEL 31: Taylor
KAPITEL 32: Evelyn
TEIL 3 DER LETZTE STURM
KAPITEL 33: Taylor
KAPITEL 34: Evelyn
KAPITEL 35: Evelyn
KAPITEL 36: Evelyn
KAPITEL 37: Evelyn
KAPITEL 38: Taylor
KAPITEL 39: Evelyn
KAPITEL 40: Evelyn
EPILOG: Evelyn
DANKSAGUNG
Es duftet nach Vanille und Lavendel.
Hohe Decken, kunstvolle Stuckverzierungen, Gemälde in goldenen Rahmen und riesige Fenster, welche die letzten Sonnenstrahlen hereinlassen, schmücken die Korridore.
Unruhig spiele ich mit der Kette an meinem Hals. Ein seltsames Gefühl hat sich in meinem Bauch eingenistet. Ich sage mir, dass es nur die Aufregung ist, meine Eltern endlich wiederzusehen.
Werden sie mich erkennen? Werden sie mir glauben?
Wir halten vor einer kunstvoll verzierten Flügeltür an.
„Der König und die Königin befinden sich hinter dieser Tür. Sobald Sie bereit sind, werden wir Ihnen öffnen“, erklärt der junge Wächter, der uns durch die Korridore geführt hat.
Ich höre meinen eigenen Herzschlag in den Ohren.
Es ist soweit. Das ist der Moment, von dem ich jahrelang geträumt habe. Der Moment, der lange Zeit nichts weiter als ein Traum sein konnte. Und doch stehe ich jetzt hier.
Jeder Schritt, den Taylor und ich auf unserer Reise gemacht haben. Jeder Atemzug, jeder Kampf, jeder Schmerz, alles führt zu diesem Moment.
Hinter mir höre ich unsere Freunde von einem Fuß auf den anderen treten.
Ich atme einmal tief aus und lockere die Schultern. Wieso bin ich nur so angespannt? Es wird schon alles gut werden.
Taylor tritt neben mich und lächelt mir bestärkend zu. Seine Augen strahlen Aufregung aus, und Ungeduld. Ich greife nach seiner Hand und er drückt meine Finger kurz.
Mit zitterndem Atem nicke ich dem jungen Wächter zu, der zwei Bediensteten ein Zeichen gibt. Sie stellen sich vor die Tür und öffnen die Flügel.
Mein Herz setzt einen Schlag aus.
Sie stehen mit dem Rücken zu uns vor einem hohen Fenster, das den Blick auf das offene Meer freigibt. Möwen segeln darüber hinweg.
„Meine Hoheiten“, verkündet der junge Wächter. „Sie ist hier.“
Sie wenden sich um.
Ich kann nicht atmen.
Sie sehen genauso aus, wie ich sie in Erinnerung habe. Genauso, wie ich sie in meinen Träumen gesehen habe. Nur die Gesichtszüge sind etwas tiefer und von feinen Fältchen geziert.
„Evelyn?“, wispert meine Mutter. „Evelyn, bist du es wirklich?“
Tränen schießen mir in die Augen und meine Eltern verschwimmen. „Ja, Mom, … ich bin es.“
Sie schluchzt und breitet die Arme aus.
Zitternd trete ich ein paar Schritte vor. Der Holzboden knarzt unter meinen Schuhen. Tränen rinnen mir über die Wangen, doch ich wische sie nicht weg.
Unsicher bleibe ich mitten im Raum stehen. Meine Mutter tritt auf mich zu, gefolgt von meinem Vater, der mich entgeistert anstarrt. Die himmelblauen Augen meiner Mutter sind glasig. Bevor ich mich versehe, hat sie mich in ihre Arme geschlossen. Ihr warmer Atem streicht über meine Haut, als sie seufzt.
„Ich kann es nicht glauben“, wispert sie.
„Ich habe euch so vermisst“, flüstere ich mit stockender Stimme.
Sie schluchzt an meiner Schulter.
„Und wir dich“, erwidert mein Vater.
Ich löse mich von meiner Mutter und sehe zu ihm auf. Auch er hat Tränen in den Augen. Als er die Arme ausbreitet, werfe ich mich hinein.
Mein Herz fühlt sich so voll an. So voll an Glück und Liebe, dass es wohl jeden Moment platzen muss.
All das Leid hat sich gelohnt, damit ich jetzt hier sein kann.
Schluchzend löse ich mich wieder von meinem Vater und sehe sie beide an.
„Wir haben jeden Tag an dich gedacht“, schnieft meine Mutter. „Jeden Tag haben wir uns dafür gescholten, dich zurückgelassen zu haben.“
Wenn ich meinem jüngeren Ich doch sagen könnte, dass ihre Sorgen, sie könnten mich nicht lieben, unbegründet sind. Ich schlucke hart gegen den Knoten in meinem Hals. „Jetzt bin ich ja hier“, erwidere ich.
„Ja, das bist du! Ich bin so glücklich!“ Meine Mutter zieht mich erneut in eine enge Umarmung. Ich schmiege mich an ihre Schulter und atme ihren Duft ein.
Ich könnte nicht glücklicher sein.
„Mom? Dad? Ihr habt mich rufen lassen“, höre ich auf einmal eine Stimme hinter mir. „Und wer sind all diese Leute?“
Kälte kriecht mir unter die Haut und lässt mich erstarren.
Meine Mutter löst uns sanft voneinander. „Kyle, Liebling, wir möchten dir jemanden vorstellen.“
Wie durch ein Wunder schaffe ich es, mich umzudrehen. Im Türrahmen steht ein junger Mann, der lässig die Hände in die Taschen seiner prachtvollen Robe geschoben hat. Honigblonde Haarsträhnen fallen ihm in die dunklen Augen.
Was in aller Welt?
„Kyle“, beginnt mein Vater und schiebt mich in seine Richtung, „das ist Evelyn, deine Schwester.“
Mein Herz pocht wild in meiner Brust.
„Meine Schwester? Ich dachte, die ist im dunklen Königreich?“
„Kyle, bitte. Evelyn ist den weiten Weg bis zu uns gereist“, sagt meine Mutter mit sanfter Stimme.
Kyle betrachtet mich von oben bis unten und streckt mir schließlich die Hand hin. „Hi, ich bin Kyle.“
Ich kann mich nicht bewegen.
„Wie alt bist du?“, frage ich und muss mich beherrschen, damit meine Stimme nicht zittert.
„Ich bin sechzehn, wieso?“
Nicht mal zwei Jahre jünger als ich. Nicht mal zwei Jahre!
Ich war eins, als mich meine Eltern verlassen haben.
Verdammte Scheiße.
„Evelyn?“, fragt meine Mutter sanft. „Fühlst du dich nicht wohl?“
Nicht wohl? Ich fühle mich, als hätte man mir in die Magengrube geschlagen.
Kyle hält mir immer noch die Hand entgegen. Irgendwie schaffe ich es, mich aus meiner Starre zu lösen und ergreife seine Hand. Sie ist warm, während meine Finger eiskalt sind.
„Hallo, Kyle.“
Ich sehe ihm an, dass er mein Verhalten seltsam findet.
„Lange Reise, oder?“, will er wissen und ich weiß genau, dass er auf meine schmutzige Kleidung anspielt. Meine Gabe kribbelt in meinem Bauch, fragt nach, ob ich ihre Hilfe brauche. Ob sie jemanden für mich verdreschen soll. Ich dränge sie zurück.
„Ja“, erwidere ich nur knapp.
„Evelyn, möchtest du uns nicht deine Freunde vorstellen?“ Meine Mutter scheint die angespannte Stimmung bemerkt zu haben. Trotz allem bin ich froh um die Ablenkung.
„Ja, gern. Kommt doch rein.“ Unsicher treten meine Freunde in den Raum.
„Das sind Max, Lucien, Helen, Ismael, Grace und Taylor. Taylor hat mich die ganze Reise über begleitet und war eine große Hilfe.“ Ich zwinge das Lächeln zurück auf meine Lippen und trete zu ihm.
„Taylor, wie in Prinz Taylor? Und Prinzessin Grace aus dem dunklen Königreich?“, will mein Vater wissen.
Erschrocken sehe ich mich zu ihm um und bemerke noch, wie mein Vater den Wachen im Raum zunickt.
„Ja, aber-“
„Bist du von Sinnen, Evelyn?! Es freut mich ja, dass du da bist, aber wie kannst du den Feind in unser Haus bringen?“ Seine Stimme wird mit jedem Wort lauter und vibriert in meinem Körper.
„Gregor, bitte beruhige dich“, bittet ihn meine Mutter sanft.
„Lasst es mich erklären“, erwidere ich ruhig und hebe schlichtend die Hände.
Die Wächter treten bedrohlich auf uns zu und heben ihre Waffen. Taylors Augen werden schmal. Grace tritt erschrocken einen Schritt zurück.
„Du bringst eine Gefahr in unser Haus, wie ein trojanisches Pferd! Was denkst du dir dabei?“
Ich weiß zwar nicht, was ein trojanisches Pferd ist, aber es stimmt sicher nicht!
„Warum können wir das nicht ganz ruhig angehen lassen?“, bittet Taylor.
„Ja, die Betonung liegt auf ruhig. Nehmt die Waffen runter!“
„Evelyn, wie kannst du von uns erwarten, dass wir ruhig bleiben, wenn du den Feind in unser Haus bringst?“
Zitternd trete ich einen Schritt zurück und greife nach Taylors Hand. „Weil ich ihn liebe.“
Mein Vater stockt. Die nächste Drohung lag ihm wohl schon auf der Zunge.
„Ich liebe ihn“, wiederhole ich. Taylor drückt bestärkend meine Hand. „Taylor hat sein Leben unzählige Male für mich riskiert und ich meines für ihn.“
Das warme Braun in den Augen meines Vaters ist versteinert. Meine Mutter sieht aus, als hätte sie tatsächlich Angst vor Taylor.
„Wenn ihr mich liebt, dann bitte ich euch, mir zu vertrauen. Taylor ist keine Gefahr. Und seine Schwester Grace auch nicht.“
„Wie sollen wir uns da sicher sein?“, erwidert meine Mutter.
„Das könnt ihr nicht, aber ihr könnt es herausfinden.“
Langsam mache ich ein paar Schritte auf sie zu, Taylor folgt mir, während mein Vater ihn mit seinem Blick fixiert.
Taylor streckt die Hand aus. Mein Vater mustert sie, als würde er einen Trick vermuten, bis meine Mutter ihm kaum merklich in die Seite stößt. Sie tauschen einen Blick aus, bevor mein Vater endlich Taylors Hand ergreift.
Das ist das schlimmste Zusammentreffen von Vater und festem Freund, das die Welt wohl je gesehen hat.
„Gregor Davenport, König des hellen Königreiches“, sagt mein Vater und ich hätte fast die Augen verdreht.
„Taylor Thornton, Thronprinz des dunklen Königreiches“, entgegnet Taylor.
Thornton.
Ich habe ihn noch nie seinen Nachnamen sagen hören. Im dunklen Königreich nennt niemand die Königsfamilie danach. Als wollten sie die Erinnerung daran löschen, dass es mehr als einen König gibt.
Die beiden sehen sich lange an. Mein Vater versucht, Taylor in den Boden zu starren, das merke ich genau.
„Evelyn, ihr seid doch alle bestimmt erschöpft von der langen Reise“, greift meine Mutter ein. „Wie wäre es, wenn wir euch eure Zimmer zeigen, wo ihr euch frisch machen könnt. Ihr könnt gerne das Abendessen entspannt dort einnehmen und wir sehen uns dann morgen früh zu unserem ersten Frühstück als vereinte Familie. Wie klingt das?“
Meine Mutter strahlt, als ich nicke.
Ich stoße die Tür zu meinem Zimmer auf.
Auch hier zieht sich der Geruch von Vanille und Lavendel weiter.
Seufzend trete ich ein und Taylor folgt mir.
„Entschuldigen Sie, aber das sind die königlichen Gemächer der Prinzessin. Sie bekommen Ihr eigenes Zimmer.“
Das ist ja wohl die Krönung.
„Ernsthaft?“, platzt es aus mir heraus und die Dienerin sieht mich erschrocken an.
„So wurde es mir aufgetragen.“
„Taylor bleibt bei mir, vielen Dank.“
„Ich bin angewiesen worden, dem Prinzen sein eigenes Gemach zu zeigen.“
Die Wut in meinem Bauch breitet sich aus und beginnt, auf meiner Haut zu knistern.
Taylor sucht meinen Blick und schenkt mir ein vorsichtiges Lächeln. „Geh schon mal vor. Ich komme gleich nach.“
Ich nicke erschöpft und sehe Taylor nach, wie er der Dienerin den Flur entlang folgt. Seufzend schließe ich die Tür hinter mir und lehne mich dagegen.
Das Zimmer ist wunderschön.
Die hellblauen Tapeten sind mit feinen Ästen und Blättern bemalt. Ein gewaltiges Himmelbett nimmt den meisten Platz im Raum ein. Überall finden sich goldene Akzente, wie an dem kleinen Kronleuchter mit Kerzen, dem Sesselpaar in einer Ecke und dem großen golden gerahmten Spiegel über dem Schminktisch.
Durch die angelehnte Balkontür weht eine feine Brise herein und spielt mit den Vorhängen des Himmelbetts. Ich trete nach draußen.
Der Blick, der sich mir bietet, ist atemberaubend. Vor mir breitet sich der Ozean bis zum Horizont aus. Die Sonne ist vor einigen Minuten untergegangen, doch das Wasser schimmert immer noch in Erinnerung an ihren Glanz.
Seufzend lehne mich an das Geländer des Balkons. Ich schließe die Augen und atme den Geruch des Salzwassers ein. Meine Gabe beruhigt sich langsam und pocht nicht mehr wie ein zweites Herz aufgeregt in meiner Brust.
Ich habe einen Bruder.
Einen Bruder.
Sie haben mich ganz schön schnell ersetzt.
Die logische Schlussfolgerung wäre natürlich, dass sie als Königspaar einen neuen Nachfolger gebraucht haben, nachdem ihre Erstgeborene außer Reichweite war.
War meine Mutter vielleicht sogar mit ihm schwanger, als sie geflohen sind?
Verdammt nochmal.
„Hey“, höre ich Taylors Stimme auf einmal. Er lehnt sich neben mich ans Geländer, so nah, dass sich unsere Arme leicht berühren.
„Hey“, antworte ich.
„Wie fühlst du dich?“
„Keine Ahnung.“
Taylor rückt noch näher an mich heran und schlingt einen Arm um mich. Er seufzt leise, als hätte er versucht, die richtigen Worte zu finden, und dann aufgegeben.
„Versuch, positiv zu denken. Dein Vater hat mich nicht erschießen lassen.“
Der scherzhafte Ton in seiner Stimme ist erzwungen, es bringt mich aber trotzdem zum Schmunzeln.
„Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“, erwidere ich. Taylor grinst, woraufhin sich feine Grübchen in seinen Wangen bilden. Ich lasse mich an seine Schulter sinken.
Innerhalb von wenigen Minuten hat sich meine Welt mehrmals gewendet. Wenigstens ist Taylor noch derselbe.
„Ich kann nicht fassen, dass ich einen Bruder habe“, wispere ich. „Ich meine, er ist nicht viel jünger als ich. Wie konnten sie mich nur so schnell abschreiben und weiterziehen?“
Ich spüre, wie er leicht den Kopf schüttelt.
Wir stehen eine Weile so da, aneinander gelehnt, und lauschen dem Geräusch der Wellen, die gegen die Felsen schwappen.
Bis Taylor den Moment mit einem lauten Gähnen unterbricht. „Entschuldige, ich bin nur richtig, richtig müde.“
„Wenn es wärmer wäre, könnte ich an deiner Schulter einschlafen“, murmele ich.
„Das kannst du ja trotzdem. Nur eben in einem federweichen Bett“, raunt er, plötzlich nahe an meinem Ohr. Sein warmer Atem beschert mir eine Gänsehaut.
„Na gut“, erwidere ich und kann ein Grinsen nicht unterdrücken.
Sein Gesicht ist meinem jetzt ganz nah.
„Wir haben es geschafft, Evelyn“, wispert er und sein Blick zuckt einen Moment zu meinen Lippen. „Auch wenn es anfangs unmöglich erschien, haben wir es geschafft. Und egal, welche Schwierigkeiten uns jetzt begegnen, wir werden sie meistern, wie wir es bisher immer getan haben.“
Er streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
„Gemeinsam“, vollende ich seinen Gedanken.
„Gemeinsam“, wiederholt er. Unsere Lippen treffen sich mit einem Lächeln.
Taylor schiebt eine Hand in mein Haar und zieht mich nah zu sich heran. Der Kuss ist warm und weich und federleicht.
Er schmeckt nach Salzwasser.
„Wie wäre es“, sage ich zwischen zwei Küssen, „wenn wir uns frisch machen und dann den Gedanken mit dem federweichen Bett in die Tat umsetzen?“
Er grinst an meinem Mund. „Einverstanden.“
Wasser prasselt auf meinen Kopf.
Es ist nicht lange her, seit wir bei den Rebellen waren, und doch habe ich eine richtige Dusche vermisst. Frische Energie rauscht durch meine Adern. Mit dem Schmutz der Reise werden auch die schlechten Gedanken von mir gewaschen.
Dann habe ich eben einen Bruder. Eigentlich habe ich mir das immer gewünscht. Eine leibliche Familie. Genau wie Felix und Amira.
Felix und Amira. Wie es ihnen wohl geht?
Seufzend fahre ich mir durchs Haar und wasche den Schaum heraus.
Vielleicht können wir versuchen, bald mal zu Felix und Noah Kontakt aufzunehmen? Nachdem wir ihnen im dunklen Königreich zur Flucht verholfen haben, haben wir nichts mehr von ihnen gehört. Ich weiß nicht einmal, ob sie noch am Leben sind.
Ich drehe den goldenen Wasserhahn zu und wickle mich in ein Handtuch. Auch das Badezimmer ist wunderschön. Hohe, mit Stuck verzierte Decken, ein edler perlweißer Fliesenboden und ein goldener, geschwungener Spiegel über den Waschbecken.
Ich habe die königlichen Gemächer im dunklen Schloss nie gesehen, aber ich habe das Gefühl, dass es hier deutlich edler ist. Nicht, dass irgendwer so viel Luxus und Platz überhaupt bräuchte. Selbst dieses Bad ist größer als unser Wohnzimmer im Waisenhaus.
Ein Gedanke genügt, um meinen Körper vollständig zu trocknen. Meine Haare fallen mir in leichten Wellen über die Schultern.
Als ich ins Schlafzimmer trete, ist Taylor verschwunden. Vermutlich holt er gerade etwas aus seinem Zimmer. Beflügelt von meiner erholsamen Dusche, gehe ich zu dem Kleiderschrank aus dunklem Holz. Die Auswahl ist viel zu groß, deshalb ziehe ich einfach irgendetwas heraus, was sich als zartes salbeigrünes Nachthemd herausstellt. Vielleicht ein bisschen luftig für diese Jahreszeit, aber es ist viel zu schön, um es zurückzulegen. Der Ausschnitt und der Saum sind mit feiner Spitze verziert und der Stoff mit kleinen Blumen bestickt.
Ich ziehe es mir über den Kopf und streiche sanft über den Rock. Mein Spiegelbild lächelt mir zu. Ich habe mich schon lange nicht mehr so schön gefühlt.
In dem hohen Schrank sind noch mehr edle Nachthemden, kurze und lange Kleider und zum Glück auch einige Hosen.
Die Frau, die uns unsere Gemächer gezeigt hat, meinte, dass das hier die Gemächer der Prinzessin sind. Haben sie das alles für meine Ankunft vorbereitet, sollte ich es irgendwann hierher schaffen?
Ich schließe den Schrank und sehe mich um. Auf dem Nachttisch stehen einige Bilderrahmen. Neugierig nähere ich mich ihnen und mein Herz stockt, als ich sie erkenne.
Es sind einige der wenigen Fotos, die ich von meinen Eltern und mir habe. Eines davon kenne ich nur von der Kiste, die mir meine Mutter hinterlassen hat. Meine Eltern wiegen mich darauf in ihren Armen und wirbeln mich in der Luft herum. Ein Foto zeigt das Familienporträt mit meiner Tante Liz und meinem Cousin Chris darauf.
Sie haben also wirklich darauf gehofft, dass ich es irgendwann hierher schaffe. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen und Tränen kitzeln mich in der Nase.
Ich sehe mich weiter im Raum um. Eine Wand besteht aus einem gewaltigen Bücherregal. Ziemlich gut erraten, dass mir das gefallen würde, obwohl mich meine Eltern gar nicht kennen. Ich stöbere ein wenig durch die Bücher, bis ich die Tür klicken höre.
„Entschuldige, ich habe nur kurz nach Grace gesehen“, beginnt Taylor und bleibt mitten im Türrahmen stehen. „Du siehst toll aus.“
Sein intensiver Blick fühlt sich wie eine Berührung an, unter der meine Haut zu prickeln beginnt.
Ich muss grinsen. „Vielen Dank. Was hat Grace denn gesagt?“
„Sie macht sich ein wenig Sorgen darüber, was mit uns geschieht. Deine Eltern waren nicht besonders begeistert von uns und selbst die Bediensteten sehen uns seltsam an.“
„Das tut mir leid. Dass er so heftig reagieren würde, habe ich nicht gedacht“, erwidere ich.
„Du kannst nichts dafür. Hoffentlich klärt sich das bald alles.“
„Das hoffe ich auch.“
Er tritt näher zu mir und legt sanft die Hände auf meine Hüften. „Mir gefällt deine neue Garderobe. Einer Prinzessin angemessen.“
„Mir wird das erst jetzt richtig bewusst. Das war immer so weit weg und hat sich nie real angefühlt.“
„Geht mir genauso. Aber dich so zu sehen, macht es mir eindeutig leichter.“
Ich grinse.
„Ich sollte duschen gehen. Ist es Ihrer Hoheit genehm, wenn ich heute Nacht hier verbringe?“
„Ihre Hoheit wünscht das sogar explizit.“
„Dann habe ich wohl keine Wahl, als mich Ihrem Wunsch zu beugen.“
Er schenkt mir einen schmerzhaft kurzen Kuss und verschwindet im Badezimmer.
Ich greife mir eines der Bücher und lasse mich aufs Bett fallen. Mein Körper sinkt tief in die weiche Matratze ein und ich kann ein Seufzen nicht unterdrücken.
Ich bin vollkommen in mein Buch versunken, als sich die Badezimmertür öffnet.
Taylor tritt mit engen Shorts am Körper aus dem Bad. Dunkle Haarsträhnen, die noch nass vom Duschen sind, fallen ihm in die Stirn. Als sich unsere Blicke treffen, leuchten seine sturmgrauen Augen.
Ich muss grinsen. „Lass mich raten. Du fühlst dich wie neu geboren?“
„Das trifft es ziemlich genau“, erwidert er und wirft sich neben mich. Das Bett ächzt unter seinem Gewicht.
Seufzend kuschelt er sich in die Kissen und schmiegt sich an meine Schulter. Wärme und Zufriedenheit durchströmen mich. „Das ist der Himmel“, murmelt er in den Stoff, sodass ich ihn kaum verstehen kann.
Ich muss lachen und lege das Buch auf den Nachttisch.
Taylor hat die Augen geschlossen, als ich mich ihm zuwende. Seine Atemzüge werden bereits tiefer und langsamer. Lächelnd streiche ich ihm durchs Haar und trockne es behutsam mit meiner Gabe.
Wenn ich daran denke, dass mein Vater ihn vorher bedroht hat, zieht sich mein Magen zusammen. Er vertraut ihm noch nicht, das ist mir klar. Sie kennen Taylor schließlich nicht.
Ich bin gespannt, wie das Frühstück morgen wird. Heute haben sie sich damit zufriedengegeben, dass ich Taylor vertraue. Aber was ist morgen? Mein Vater hat jetzt eine ganze Nacht Zeit, darüber nachzudenken, welche möglichen Risiken Taylors Aufenthalt hier bietet. Darauf muss ich vorbereitet sein. Allein zu sagen, dass ich ihn liebe, wird nicht genügen. Ich weiß genau, wie mich Leute sehen, die mich nicht kennen. Ich bin das kleine, blonde Mädchen, das man sofort als naiv und schwach abstempelt. Oft ist das sogar ein Vorteil, aber gegen meine Eltern will ich schließlich nicht kämpfen.
Irgendwie müssen wir es schaffen, dass sie uns vertrauen.
Ich weiß nur noch nicht, wie.
Eine Dienerin holt uns vor Evelyns Zimmer ab.
Sie beäugt mich seltsam, als hätte sie eine Meinung dazu, dass ich die Nacht im Gemach der Prinzessin verbracht habe. Dabei ist nicht einmal etwas passiert, was sie natürlich nicht weiß. Vermutlich ist das aber auch nicht von Bedeutung. Genau wie das Königspaar betrachtet mich diese Dienerin als Parasit in ihrem Garten.
Nachts bin ich mehrmals aufgewacht, weil Evelyn im Schlaf geredet hat. Sie muss Albträume haben. Nur weil wir das Schloss, unser großes Ziel, erreicht haben, macht das nicht wieder gut, was auf unserer Reise passiert ist. Vielleicht werden wir uns nie wirklich davon erholen.
Im Morgengrauen, als sie endlich tief geschlafen hat, bin ich zurück in mein Zimmer geschlüpft, um mir eine passende Garderobe für das Frühstück zu suchen. Ich kann noch nichts über die Königsfamilie sagen, aber Evelyns Blicken zufolge kann ich die luftigen, schwarzen Stoffhosen und das cremeweiße Leinenhemd gut tragen. Ich liebe es, wenn sie mich so betrachtet. Wenn sich ihre ozeanblauen Augen nur auf mich konzentrieren, als wäre sonst nichts von Bedeutung.
Wir folgen der Dienerin durch lichtdurchflutete Gänge, bis wir vor einer hohen Flügeltür anhalten. Evelyn tauscht einen Blick mit mir und ich sehe, dass sie dasselbe über das Frühstück denkt wie ich.
Wir ziehen in einen Kampf.
Ich nicke ihr aufmunternd zu, was sie zumindest zu einem schwachen Lächeln bringt.
Die Dienerin klopft gegen die Türen, woraufhin sie von innen geöffnet werden.
Ein prachtvoller Raum breitet sich vor uns aus. Von den hohen Decken winden sich mehrere Kronleuchter, die Lichtreflexionen an die Wände werfen. Mitten im Raum befindet sich eine lange, reich gedeckte Tafel.
Der König sitzt an einem Ende des Tisches, die Königin und Prinz Kyle neben ihm. Die Königin begrüßt uns mit einem Lächeln. „Guten Morgen, ihr Lieben. Setzt euch doch!“
Ich folge Evelyn an die Tafel. Sie nimmt neben ihrer Mutter Platz und ich direkt neben ihr.
„Habt ihr gut geschlafen?“, versucht die Königin weiter, ein Gespräch zu beginnen.
„Ja, sehr gut“, erwidert Evelyn und schenkt ihr ein Lächeln. „Ich habe seit langem nicht mehr so gut geschlafen. Die Betten hier sind ein Traum.“
„Das freut mich zu hören.“
„Tee?“, fragt eine Dienerin, die plötzlich neben mir aufgetaucht ist.
„Gerne“, erwidere ich.
„Für mich auch“, wirft Evelyn schnell hinterher. Sie sieht mich kurz an. Denkt sie wirklich, dass ihre Eltern mich vergiften wollen? Wohl etwas zu offensichtlich, es auf diese Art zu tun.
Andererseits kennen wir diese Leute überhaupt nicht.
Doch die Dienerin zögert keinen Moment und füllt auch Evelyns Tasse mit duftendem Kräutertee. Es wird erneut still im Saal. Ich werfe einen Blick in die Runde. Jeder berechnet seinen nächsten Schritt, denkt über jede Bewegung und jeden Atemzug zweimal nach. Die angespannte Stimmung ist geradezu greifbar.
„Also, Evelyn“, fängt die Königin erneut an. „Hat sich die Gabe bei dir entwickelt?“
Evelyn setzt ihre Teetasse von den Lippen ab. „Ja. Ich hatte anfangs keine Ahnung, wie ich mit ihr umgehen soll, und sie einfach unterdrückt. Erst, als ich Taylor kennengelernt habe, hat er mir den Umgang mit ihr gezeigt.“
„Faszinierend“, meldet sich der König nun zum ersten Mal zu Wort. „Hast du auch eine Gabe, Taylor?“ Er betont meinen Namen seltsam, als wäre es ein Wort in einer fremden Sprache, das er zum ersten Mal versucht, laut auszusprechen.
„Ja, meine Gabe ist es, die Luft zu kontrollieren. Ich wurde im dunklen Schloss darauf trainiert. Haben Sie hier ebenfalls solch ein Trainingsprogramm für Elementarier?“
„Bitte, Taylor, du musst uns nicht siezen. Du gehörst ja praktisch zur Familie.“
Das hat gestern aber noch anders geklungen.
„Du kannst mich gerne Helena nennen.“
Ich schenke ihr mein schönstes Lächeln. „Vielen Dank, Helena.“
Der König sagt nichts, aber das habe ich auch nicht anders erwartet. Seltsamerweise erinnert er mich ein wenig an meinen eigenen Vater, aber das werde ich Evelyn auf keinen Fall sagen.
„Unser Programm gilt nur wenigen ausgewählten Elementariern“, beantwortet der König schließlich meine Frage. Ich nicke nur. Gegenfragen sind wohl eher unerwünscht.
„Kyle, wie steht es mit dir?“, fragt Evelyn freundlich. „Haben sie schon eine Ahnung, welche Gabe du entwickeln wirst?“
Kyle, der die gesamte Zeit nur etwas Obst gegessen hat, sieht von seinem Teller auf. Er betrachtet Evelyn einen Moment, bevor er antwortet. „Nein. Die Berater vermuten, dass ich keine Gabe habe.“
Keine Gabe. Interessant.
Er sieht sie verärgert an, als hätte sie ihn absichtlich bloßstellen wollen. Vermutlich ist dieses Thema ein wunder Punkt.
„Oh“, erwidert Evelyn etwas verspätet. „Ich dachte, vielleicht kannst du ja auch bald das Feuer beherrschen, so wie Dad.“
„Nein“, ist seine Antwort darauf.
Evelyn presst die Zähne aufeinander und atmet kaum merklich tief durch.
„Wie habt ihr beide euch kennengelernt?“, wechselt Königin Helena eilig das Thema.
Weil sich Evelyn, innerlich brodelnd vor Wut, Trauben in den Mund stopft, entscheide ich, für uns beide zu antworten. „Evelyn wurde für die Soldatenschule meines Vaters rekrutiert. Das passiert oft, wenn sich Bürger selbstlos und mutig für andere einsetzen.“
„Unfassbar, Evelyn!“, ruft ihre Mutter aus. „Was hast du getan?“
„Ich habe Kinder aus einem brennenden Waisenhaus gerettet.“
„Beeindruckend!“
Mir ist nicht entgangen, dass sich das angehört hat, als hätte Evelyn nicht selbst dort gelebt. Vermutlich will sie dieses Thema ein anderes Mal behandeln.
Ich betrachte Evelyn, während sie weiterredet. Ihre tiefblauen Augen erzählen die Geschichte mit, während sie spricht. Sie verdunkeln sich und strahlen, wenn sie über bestimmte Dinge redet. Die Augenfarbe der Königin ist anders, heller und fröhlicher, wie ein Sommerhimmel.
„Und so bin ich am Schloss angekommen und habe Taylor kennengelernt.“
„Ich war einer der Trainer der Soldatenausbildung“, fahre ich fort. „Wir haben uns allein getroffen und ich habe von ihrer Gabe erfahren.“
„Taylor hat mich bei einem Test des dunklen Königs davor bewahrt, entdeckt zu werden. Der Test sollte herausstellen, ob sich Elementarier im Schloss befinden, und er hat mir damit das Leben gerettet“, ergänzt Evelyn. „Beim ersten Kampf, in den wir geschickt wurden, habe ich ihm das Leben gerettet. Und mich dabei verraten, weil ich meine Gabe benutzt habe.“
Königin Helena hängt wie gebannt an Evelyns Lippen.
„Daraufhin musste ich fliehen und bin von einer Brücke ins Ungewisse gesprungen. Für einen Moment dachte ich, dass ich alles verloren hätte, aber dann ist mir Taylor hinterhergesprungen.“
Sie greift unter dem Tisch nach meiner Hand, die wieder einmal kalt vor Aufregung ist. Ich drücke sie kurz bestärkend.
„Wir haben eine lange Reise hinter uns, die auf keinen Fall einfach war. Taylor hat alles für mich geopfert und mir unzählige Mal das Leben gerettet. Und ich seines. Ich weiß, dass ihr ihm immer noch nicht vertraut, und ich verstehe das“, sie sieht ihren Eltern nacheinander lange in die Augen. „Ich weiß, dass die Vergangenheit tiefe Wunden hinterlassen hat, aber wir sind hier, um das zu ändern. Wir wollen beide für ein vereintes, friedliches Land kämpfen.“
„Kämpfen?“, stößt der König aus, und es klingt fast wie ein Lachen. „Ich bin ja sehr stolz auf dich, Evelyn. Darauf, dass du im dunklen Königreich das Kämpfen gelernt hast und so weiter. Aber du bist jetzt eine Prinzessin. Und Prinzessinnen kämpfen nicht.“
Auf einmal ist es totenstill im Raum. Selbst Kyle hat aufgehört zu essen, obwohl er sich bisher nicht für die Gespräche interessiert zu haben schien.
Prinzessinnen kämpfen nicht.
Mir fallen unzählige Antworten auf diese Aussage ein, aber ich weiß, dass es nicht meine Aufgabe ist, darauf zu antworten. Es ist Evelyns.
„Entschuldige bitte?“ Ihre Stimme ist ruhig, aber ich höre die unterdrückte Wut daraus hervor. „Ist das, weil ich eine Frau bin?“
Der König setzt seine Teetasse ab. „Nicht unbedingt. Dein Bruder kämpft schließlich auch nicht.“
„Er hat aber auch keine Gabe.“
„Das spielt keine Rolle, Evelyn“, schneidet ihr der König das Wort ab.
„Ich bin eine hervorragende Kämpferin und eine begabte Elementarierin. Ihr habt keine Ahnung, was auf der Reise alles passiert ist.“
„Deine Pflichten liegen jetzt hier“, erwidert die Königin sanft. „Du musst lernen, eine Prinzessin zu sein. Wir wollen unsere Tochter dem Land präsentieren. Wir haben dich endlich zurück, mein Liebling.“
„Ihr habt mich nur zurück, weil ich es geradeso geschafft habe, dem dunklen König zu entkommen. Nur, weil ich jetzt hier bin, heißt das nicht, dass ich sicher bin. Dass irgendjemand sicher ist. Der Krieg mit dem dunklen Königreich ist einen Atemzug entfernt! Ihr habt sie angegriffen. Dachtet ihr, dass das keine Konsequenzen haben wird?“ Mit jedem Wort wird sie noch aufgebrachter. Ihre Finger in meiner Hand beginnen zu knistern, als wäre ihre Gabe dabei, aus ihr herauszubrechen.
„Derartige Machtspiele finden seit Jahren statt. Das kann dir dein Freund hier bestätigen“, erwidert der König darauf trocken. Evelyn sieht mich kurz an, ihre Augen glühen. Ich würde ihr gerne helfen, aber ich weiß genau, dass das nicht gut enden wird, wenn es das Königspaar gerade einmal erträgt, mit mir im selben Raum zu sein.
Trotzdem muss ich dem König Recht geben. Beide Königreiche sticheln sich immer wieder gegenseitig. Dennoch ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das zu einer Eskalation führt.
„Ich kann es nicht glauben!“, ruft Evelyn aus und knallt die Tür zu. Aufgebracht beginnt sie, durch den Raum zu stürmen. „Ist ihnen überhaupt bewusst, was für eine Reise wir hinter uns haben? Haben sie nur die leiseste Ahnung?“
Seufzend lasse ich mich aufs Bett fallen. „Wohl eher nicht.“
„Dass er Kyle als Beispiel genommen hat, war doch ein schlechter Scherz. Sie haben den Jungen zu einem verzogenen Prinzchen gemacht, der gefüttert werden muss. Natürlich kann er nicht kämpfen! Aber ich wurde nicht hier erzogen, ich bin in Armut aufgewachsen. Ich musste immer schon kämpfen. Das alles ist so lächerlich!“
„Ich bin überrascht, dass dein Vater deine Frage nicht gleich bejaht hat, als du meintest, ob er das sagt, weil du eine Frau bist“, werfe ich ein.
„Ja, oder? Ist dir aufgefallen, dass alle Bediensteten Frauen sind und alle Wächter Männer? Dagegen war ja das dunkle Königreich fortschrittlich.“
Unsere Blicke treffen sich. Evelyn hält inne und bleibt auf dem Teppich stehen.
„Tut mir leid“, beginnt sie leise. „Ich … ich denke nur gerade viel daran.“
„Keine Sorge. Mache ich auch“, erwidere ich.
Sie tritt ans Bett und legt sich neben mich auf die Decke. „Denkst du, ich reagiere über? Mit den Bediensteten und den Wächtern und Kyle?“
Ich starre an den Baldachin über dem Bett. Evelyn ist leicht reizbar, wenn es um die Dinge geht, die ihr wichtig sind. Eine Eigenschaft, die eine Prinzessin nicht haben sollte. Aber eine Eigenschaft, die eine Kämpferin besitzt. Ich rolle mich auf die Seite und beginne, ihr durchs Haar zu streichen. Sie seufzt tief und schmiegt sich in meine Hand.
„Ich denke, dass es einiges zu tun gibt. Fürs Erste ist es wohl besser, wenn wir uns integrieren und Vertrauen aufbauen. Dann lassen sie uns wahrscheinlich eher mitbestimmen.“
„Vernünftig“, erwidert sie und sieht schmunzelnd zu mir auf. Ihre ozeanblauen Augen blitzen. „Du bist wie ein weiser alter Mann.“
„Schlag dir dieses Bild bitte aus dem Kopf, wenn ich gleich etwas mache“, lache ich und streiche ihr über die Wange, bevor ich sie küsse. Ihre Lippen sind weich und sie schmeckt süß nach Trauben. Ich fahre mit den Fingern unter den Rand ihrer Bluse und genieße die Gänsehaut, die meine Berührung auf ihrer Haut auslöst.
Plötzlich kichert sie an meinem Mund.
„Was?“, will ich wissen und löse mich kurz von ihr.
„Du hast es mit diesem Satz nur schlimmer gemacht“, lacht sie. Ich verdrehe die Augen, bevor ich sie wieder eng an mich ziehe.
Am selben Nachmittag werde ich zu meiner ersten Unterrichtsstunde abgeholt. Ich lasse mich auf einem Stuhl an dem runden Tisch nieder, über dem ein wunderschöner goldener Kronleuchter thront. Die Petrolfarben der Wandtapete spiegeln sich auch in den Polstermöbeln der Stühle und dem geschwungenen Kanapee.
Ich streiche gerade mit den Fingern über die Goldverzierungen der Stuhllehnen, als die Flügeltüren aufgerissen werden. Eine Frau rauscht herein. Sie trägt ein schlichtes graues Kleid und hat die hellbraunen Haare streng hochgesteckt. Ihr schlichtes Aussehen steht im Kontrast zu ihrer schrillen Stimme, als sie den Mund aufreißt. „Sie sind zu spät!“, schilt sie mich.
Ich runzle die Stirn. „Ich war vor Ihnen hier.“
„Widersprechen Sie mir nicht, ich habe hier minutenlang auf Sie gewartet und dann nach Ihnen gesucht.“
Ich kann mich gerade noch beherrschen, nicht die Augen zu verdrehen. Ich war höchstens fünf Minuten zu spät.
„Aber nachdem wir jetzt schon unnötig Zeit verloren haben, fangen wir sofort an. Ich bin Fräulein Anneliese und ab sofort dafür zuständig, dass Sie sich wie eine Prinzessin verhalten und nicht wie eine Bäuerin.“
Ich will gerade ansetzen, etwas zu sagen, da plappert sie bereits weiter.
„Fangen wir mit Ihrer Sitzposition an, das kann ich mir ja kaum ansehen!“
Sie kommt mit großen Schritten auf den Tisch zu und packt mich an den Schultern. Sie schiebt mich zurück, sodass ich kerzengerade dasitze. „Es gibt zwei Positionen, wie Sie ihre Beine und Füße platzieren können. Die Beine nebeneinander und leicht schräg oder die Knöchel übereinander unter dem Stuhl.“
Vermutlich spielt sie darauf an, dass ich meine Beine nach vorne ausgestreckt hatte, als sie reingekommen ist. Unerhört von mir. Innerlich bis zehn zählend richte ich meine Beine hin, wie sie es mir erklärt hat und kreuze die Knöchel unter dem Stuhl. Fräulein Anneliese geht um meinen Stuhl herum und betrachtet mich mit prüfendem Blick.
„Die Hände im Schoß falten“, bellt sie und ich folge brav ihrem Befehl. „Nein, das ist es immer noch nicht.“
Wir verbringen geschlagene zwanzig Minuten damit, meine Sitzposition zu perfektionieren und Anneliese lässt mich absichtlich sehen, wie idiotisch ich mich dabei in ihren Augen anstelle.
„Die königlichen Hoheiten möchten Sie dem Volk präsentieren. Dazu gehören auch die Grafen, die bereits in einer Woche zum Tee eingeladen sind. Bis dahin haben wir noch viel zu tun.“
Die Grafen gibt es im dunklen Königreich nicht. Ihre Existenz hier ist aber auch eher repräsentativ und nicht mit besonders viel Macht verbunden, wie mir bereits erklärt wurde. Manche haben eine Beratertätigkeit am königlichen Hof, aber die meisten genießen einfach einen deutlich höheren Lebensstil, als sich das gemeine Volk nur erträumen kann.
„Ein bisschen Tee zu trinken werde ich schon hinbekommen“, murmele ich in mich hinein, während Fräulein Anneliese auf einem Servierwagen das Teeset herrichtet.
„Ich verstehe ja, dass es schwierig für Sie sein muss, sich an die höfische Etikette anzupassen, aber es ist zwingend notwendig. Sie sind eine Prinzessin, jetzt müssen Sie sich auch wie eine verhalten.“ Anneliese setzt das Tablett auf dem Tisch ab und ich lasse den Blick über die unterschiedlichen verschnörkelten Tassen, Schälchen und Teesiebe schweifen.
So schwierig kann das ja nicht sein.
Wie sich herausstellt, liege ich damit falsch. So sehr ich es versuche, Annelieses Anforderungen gerecht zu werden, und sei es nur darum, dass ich endlich von ihr wegkomme, ich kann es nicht. Es ist unmöglich. Sie findet immer irgendetwas, das ihr nicht passt. Ein abstehender Finger, ein Ellbogen, der der Tischplatte zu nahe gekommen ist, oder mein Augenverdrehen.
Für Letzteres habe ich wirklich keine Beherrschung mehr gehabt.
Stunden später entlässt sie mich unter einem enttäuschten Seufzen und wiederholt erneut, dass noch viel Arbeit vor uns liegt.
Ziellos schlendere ich durch die Gänge und genieße das Sonnenlicht des späten Nachmittags auf meinem Gesicht. Hohe Fenster geben den Blick auf einen wunderschönen Garten frei, den allerlei Blumen und zu Figuren geformte Buchssträucher zieren.
Wenn ich doch nur wüsste, wie man da hinunterfindet.
„Evelyn?“, höre ich hinter mir eine Stimme. Erschrocken wirble ich herum und entdecke Max, mit einem Buch in der Hand.
„Hey“, erwidere ich und ziehe ihn in eine kurze Umarmung. „Schön, dich zu sehen. Ich hatte noch gar nicht wirklich Zeit, zu dir zu gehen. Entschuldige.“
Damals als Rekruten im dunklen Schloss haben wir fast jeden Tag zusammen verbracht.
„Ach was, ist doch kein Problem. Ich werde hier rundum versorgt.“ Er grinst und seine seegrünen Augen blitzen dabei.
„Wohin willst du?“, frage ich und nicke mit dem Kopf auf das Buch in seinem Arm.
„Ich bin gerade auf dem Weg in den Garten.“
Ich lächle. „Das trifft sich hervorragend.“
Auf dem Weg nach draußen erzählt mir Max, dass er den Garten zufällig gefunden hat, als er ein wenig im Schloss herumgeirrt ist. Er teilt sich mit Lucien und Ismael ein Zimmer, was bisher gut funktioniert. Lucien ist recht still, was Ismael ausgleicht. Sie wollen sich gemeinsam für das Training der hellen Soldaten anmelden. Ich erzähle ihm im Gegensatz von meinem quälend langen Nachmittag mit Fräulein Anneliese.
„Sie wollen mich den Grafen vorstellen, wofür ich mich unbedingt wie eine Prinzessin verhalten muss.“
„Ja, das habe ich auch mitbekommen. Zuerst den Grafen und dann im Fernsehen. Ganz schön aufregend.“
Wir treten durch hohe Glastüren ins Grüne, und ich atme innerlich auf. Dieser Teil des Parks ist mit hüfthohen Hecken durchzogen, die sich auf einen großen Springbrunnen in der Mitte zuschlängeln.
„Keine Ahnung, was sie da von mir wollen. Was sollen wir mit diesen Grafen denn reden?“
Max zuckt die Schultern. „Du könntest die Chance nutzen, um ihnen klarzumachen, wie nah ein Krieg mit dem dunklen Königreich ist. Sie wollen das ja noch gar nicht wahrhaben.“ Unsere Blicke treffen sich. „Grace hat es mir erzählt. Taylor hat gesagt, euer Frühstück war sehr angespannt, auch weil der König meint, dass es weiterhin bei kleinen Machtspielen bleiben wird.“
„Angespannt ist ein gutes Wort. Ich habe das Gefühl, dass sie mir gar nicht vertrauen. Die Reise hierher hat Taylor und mir viel abverlangt. Es ist fast, als wäre ihnen das egal. Ich bin mehr als eine stille Prinzessin, die man nur vorführen kann. Ich will helfen. Ich kann helfen.“ Aufgewühlt fahre ich mir durchs Haar.
„Vielleicht ist das Treffen mit den Grafen ja eine Möglichkeit, das zu zeigen. Die Rebellen sind eure Verbündeten, das hast du mir selbst gesagt. Davon sind die Grafen und deine Eltern bestimmt beeindruckt.“
„Vielleicht“, gebe ich zu.
Wir lassen uns auf einer Parkbank am Springbrunnen nieder. Feine Wassertropfen treffen mich im Gesicht und lassen meine Haut prickeln. Ich habe bei den Grafen ganz sicher die Chance, etwas zu sagen, ohne dass mein Vater wieder mit einem Spruch kommen kann wie: Prinzessinnen kämpfen nicht.
Der Satz sitzt mir noch tief in den Knochen. Wenn er wüsste, was ich alles schon hinter mir habe. Wie viele Kämpfe ich geschlagen und wie viele Menschen durch meine Hand gestorben sind. Bei dem Gedanken fährt mir ein Stechen durch den Magen.
Was haben meine Eltern denn erwartet? Haben sie überhaupt gedacht, dass ich irgendwann einmal ins helle Schloss kommen werde? Die Reise wäre auch ohne Angriffe des Königs schwierig gewesen. Wieso haben sie nie versucht, zu mir Kontakt aufzunehmen?
Kyles Gesicht taucht vor meinem inneren Auge auf. Er ist der Grund, oder? Ich verdränge den Gedanken eilig aus meinem Kopf, doch er schleicht sich zurück. Vielleicht sollte ich mich einmal mit Kyle verabreden, damit wir uns näherkommen? Oder hat er darauf ohnehin keine Lust? Sein Verhalten beim Frühstück hat das auf jeden Fall vermuten lassen.
Immer mehr Gedanken rasen mir durch den Kopf und verknoten sich, bis ich den Durchblick völlig verliere. Seufzend recke ich mein Gesicht der Sonne entgegen und konzentriere mich einen Moment nur auf ihre Wärme.
Als ich die Augen wieder öffne, merke ich, dass Max sein Buch aufgeklappt hat.
„Was liest du da?“, will ich wissen.
„Die Geschichte der Welt von Dorian Davenport“, erwidert er und hält den in rotes Leder gebundenen Einband hoch.
„Wie kommst du denn darauf?“
„Ich habe das Gefühl, dass ich gar nichts über unsere Vergangenheit weiß. Wie sich das Königreich gespalten hat und welche Rolle die Elementarier hatten.“
„Hm“, mache ich. Mein Wissen über die Vergangenheit von Etaria, unserem einst vereinten Königreich, hält sich ebenfalls in Grenzen. Bisher hat mir das aber auch gereicht.
„Wenn du etwas Interessantes herausfindest, erzähl mir gern davon“, sage ich und Max nickt.
„Klar. Werde ich machen. Das Buch liest sich nur sehr zäh, also wer weiß, ob ich es bis zum Schluss durchhalten werde.“
Sein Grinsen bringt mich zum Lachen.
Das Geräusch von Vorhängen, die aufgezogen werden, reißt mich aus dem Schlaf. Stöhnend drehe ich mich in den Kissen herum und verberge mein Gesicht vor der Helligkeit.
„Auf, auf, Prinzessin, wir haben heute viel zu tun!“
Fräulein Anneliese. Welch Freude.
Ich zwinge mich dazu, meine Augen zu öffnen. Anneliese ist nicht allein, neben ihr stehen zwei weitere Frauen, die wohl Zofen sind. Seufzend setze ich mich auf und werfe einen Blick auf die andere Seite des Bettes. Taylor hat mir gestern noch erzählt, dass er sich mit Max und den anderen für das Training der hellen Soldaten vorstellen möchte. Dafür musste er früh raus und hat das anscheinend so geschickt angestellt, dass er mich nicht aufgeweckt hat. Ich würde jetzt lieber bei ihm sein und meinen Frust an einem Sandsack abreagieren.
Stattdessen sehe ich wieder zu Fräulein Anneliese auf und schlage die Bettdecke zurück. „Was steht heute an? Eine Lektion darin, wie ich meine Wirbelsäule in Stein verwandle, damit ich endlich stundenlang aufrecht sitzen kann, Training für meine kleinen Zehen, zehn Arten, wie man eine Teetasse ordnungsgemäß hält?“
„Ihre Scherze lassen mich kalt, Prinzessin.“
Nicht anders zu erwarten.
„Bevor wir mit unseren nachmittäglichen Lektionen beginnen, möchten wir den Vormittag dafür nutzen, ihr Aussehen aufzubessern.“
Ich halte in der Bewegung inne. „Mein Aussehen?“
„Hervorragend zugehört. Wir werden Sie etwas aufpolieren. Ihr Haar schneiden, die Nägel feilen, Ihre wüste, trockene Haut bearbeiten. Alles Weitere werden Sie schon selbst sehen.“
Wüst?
Keine zwei Minuten wach und schon kocht die Wut in meinem Bauch. Ich ersticke sie, gehe ohne ein weiteres Wort ins Bad und trete die Tür zu. Ich lasse Anneliese und die beiden Zofen warten, indem ich ausgiebig dusche und meine Zähne mehrmals putze.
Als ich in einen Bademantel gewickelt zurück ins Schlafzimmer trete, begleitet mich eine Wolke aus Dampf aus dem Bad. Die Frauen haben in der Zwischenzeit den Schminktisch mit zahlreichen Utensilien überflutet. Die eine Zofe nimmt mich sogleich an der Hand und führt mich auf den Stuhl, direkt vor den großen Spiegel.
Sie beginnen damit, mich von Kopf bis Fuß mit Schrubbern und Schabern zu bearbeiten, um die alten Hautschuppen zu entfernen. Danach leuchtet meine Haut in allen Rosatönen, aber dafür ist sie unfassbar weich. Sie rasieren jedes unerwünschte Haar von meinem Körper. Sogar in meinem Gesicht entfernen sie die feinen Härchen auf meinen Wangen.
Es ist seltsam, mich vor ihnen halb auszuziehen, aber die Zofen gehen mit derartiger Professionalität vor, dass es in Ordnung ist. Außerdem bekomme ich einen neuen Haarschnitt, bei dem sie mir zehn Zentimeter der Spitzen entfernen, die laut Fräulein Anneliese aussehen wie trockenes Stroh. Ich verdrehe über ihren Kommentar die Augen, was sie wohl nicht gesehen oder schlichtweg ignoriert hat.
Die Zofen kümmern sich auch um meine abgekauten Fingernägel, feilen sie und pinseln anschließend einen durchsichtigen Nagellack darauf. Auch meine Fußnägel werden bearbeitet und lackiert. Schlussendlich reiben sie meine Haut und Haare noch mit duftenden Ölen ein.
Irgendwie ist dieses Aufpolieren, wie Fräulein Anneliese es genannt hat, gar nicht so schlecht. Ich fühle mich so sauber und frisch wie noch nie.
Gerade drehen die Zofen meine Haare noch in Lockenwickler ein, da öffnet sich die Tür und meine Mutter tritt ein.
„Guten Morgen, Evelyn, Liebes“, singt sie lächelnd.
„Morgen, Mom.“
„Ich sehe, Anneliese kümmert sich gut um dich.“
„Sehr wohl, Ihre Majestät“, erwidert diese sofort und macht einen tiefen Knicks. Ich kann gerade noch verhindern, erneut die Augen zu verdrehen.
Meine Mutter tritt hinter mich und streicht mir behutsam über die Schultern.
Eine Erinnerung stiehlt sich in meinen Verstand. Wie ich in Liz‘ Haus vor dem Spiegel stand, in dem dunklen Kleid, das ich zur Eröffnungsfeier getragen habe. Ich habe mir vorgestellt, wie meine Mutter mir über die Schultern streicht, genau wie jetzt, und mir darüber Gedanken gemacht, was sie zu mir sagen würde.
Dieser Moment scheint eine Ewigkeit her zu sein.
„Du bist wirklich außergewöhnlich schön, mein Liebes“, wispert meine Mutter und lächelt mich im Spiegel an. „Ich bin so glücklich, dass es dir gutgeht.“
„Danke“, ist das Einzige, das ich vollkommen überrumpelt herausbringe. Ihre Worte sind so voll an tiefer Ehrlichkeit und Wärme.
„Wenn ihr hier fertig seid, würde ich sehr gerne mit dir im Park spazieren gehen und ein wenig plaudern. Natürlich nur, wenn dir das zusagt.“
„Ich würde nichts lieber tun“, erwidere ich und meine es auch genauso.
„Das freut mich sehr. Du findest mich in meinem Arbeitszimmer.“
Selbst Minuten später, nachdem meine Mutter gegangen ist, habe ich mich noch nicht von ihren Worten erholt. Natürlich hat sie mir am Tag meiner Ankunft ähnliche Worte gesagt, aber dieses Mal hat es sich anders angefühlt. Ich weiß nicht einmal, wieso.
Ich bin so glücklich, dass es dir gutgeht.
Die Zofen zupfen noch ein wenig an meinem Körper herum, öffnen die Locken, die einfach wunderschön geworden sind, und schminken mein Gesicht ein wenig. Anschließend helfen sie mir in ein schlichtes, aber edles Kleid. Ehrfürchtig streiche ich über die feinen hellrosa Tülllagen und detaillierten Stickereien.
Ich sehe wirklich wie eine Prinzessin aus.
Jetzt muss ich mich nur noch wie eine fühlen.
„Hey.“ Taylor betritt das Zimmer, bleibt jedoch an der Tür stehen, als er mich entdeckt. „Was haben sie denn mit dir gemacht?“
„Gefällt es dir?“, frage ich, hebe die Seiten meines Kleids und deute einen Knicks an.
Taylors Augen leuchten, als er näher kommt. Er streckt die Hand nach mir aus und streicht behutsam mit den Fingern über meine Taille. Ein Schauer fährt mir über den Rücken. „Ein wenig überladen vielleicht, aber du gefällst mir immer.“
„Prinz Taylor, uns wurde aufgetragen, Ihnen ebenfalls die Haare zu schneiden. Wäre das in Ordnung?“
Taylor sieht auf und schenkt den Zofen ein Lächeln. „Sehr gerne.“
„Aber schneidet ihm nicht zu viel weg“, werfe ich ein.
„Wieso? Gefalle ich dir dann nicht mehr?“, ruft Taylor gespielt empört auf, während er sich bereits auf den Stuhl setzt. „Meine Damen, ich bin mir sehr sicher, dass Sie genau wissen, was zu tun ist, aber halten Sie sich bitte an die Anweisungen der Prinzessin.“
Ich verdrehe die Augen. „Ja, sonst muss ich ihn leider aus dem Schloss werfen, weil seine Haare das Beste an ihm sind.“
Taylor grinst mich aus dem Spiegel frech an. „Oh, ich wette, du findest auch andere Sachen gut an mir.“
Hitze schießt mir in die Wangen, und die Zofen kichern verhalten hinter ihren Händen.
Der Himmel hat eine gleichmäßige hellgraue Farbe, als meine Mutter und ich den Garten betreten. Ich verabscheue dieses Wetter mehr als jedes andere. Selbst wenn es stürmen würde, wäre mir das lieber. Dann wäre man wenigstens nicht in diesem seltsamen Zwischenzustand gefangen.
Doch ich verdränge diese Gedanken und konzentriere mich nur auf meine Mutter. Ihr Gang ist makellos, sie schwebt geradezu über den von hohen Bäumen gesäumten Weg. Wenn sie der Standard ist, den Fräulein Anneliese für mich erreichen möchte, muss ich noch sehr viel Zeit mit ihr verbringen.
Schöne Aussichten.
„Worüber denkst du nach, Liebes?“
„Ach, nur darüber, wie unfassbar anstrengend der Unterricht mit Fräulein Anneliese ist“, erwidere ich ehrlich.
Meine Mutter kichert. „Das kann ich dir nicht verübeln. Sie ist wirklich eine sehr gründliche Frau, achtet auf jede Kleinigkeit.“
„Das kannst du laut sagen. Wir haben fast eine halbe Stunde dafür gebraucht, dass ich richtig sitze.“
„Keine schlechte Zeit. Als ich hier damals angekommen bin, habe ich mindestens so lange gebraucht.“
„Das ist beruhigend zu hören.“
„Du wirst das schon hinbekommen. Bis zum Treffen mit den Grafen ist schließlich noch etwas Zeit.“
„Richtig.“ Seit dem Gespräch mit Max denke ich in jeder freien Minute daran, wie ich unser Bündnis mit den Rebellen am besten anbringen kann. Sie sind ein Trumpf, den Taylor und ich bisher noch nicht gespielt haben. Meine Eltern wissen nichts davon und das möchte ich vorerst nicht ändern, damit sie bei der Teegesellschaft alle gemeinsam beeindruckt von mir sein werden. Jedenfalls ist das der Plan.
„Aber genug davon. Erzähl mir von Zuhause. Wie geht es Liz?“
Ich muss beim Gedanken an sie lächeln. „Gut, schätze ich. Aber ein paar Jahre, nachdem ihr die Stadt verlassen habt, ist Liz‘ Ehemann verstorben.“
„Nein, das ist ja furchtbar.“ Meine Mutter legt sich eine Hand aufs Herz.
„Sie hat erneut geheiratet, den Bürgermeister von Pantergan, Lawrence Lowell.“
„Das ist schön für sie. Zumindest sind ihr Chris und du geblieben.“
Mein Gesicht muss Bände sprechen.
„Oder nicht?“
„Naja, schon, aber Lawrence mochte mich nicht besonders. Ich habe seitdem im Waisenhaus gewohnt.“
„Im Armenviertel?“ Meine Mutter ist stehengeblieben und sieht mich erschüttert an. „Du bist eine Prinzessin.“
„Das hat ja keiner gewusst“, setze ich schnell hinterher. „Außerdem war es schön dort. Die Kinder und unsere Betreuerin Mary sind meine neue Familie geworden.“
Erst, als die Worte meinen Mund verlassen haben, merke ich, was ich da gerade gesagt habe. Der Sommerhimmel in den Augen meiner Mutter verdüstert sich und sie presst die Lippen aufeinander
„Das ist schön“, sagt sie irgendwann, doch das Lächeln erreicht ihre Augen nicht.
Sie ist meine Familie.
Ich weiß, dass sie das gerne sagen würde, aber dazu kein Recht hat. Sie hatte die Möglichkeit, meine Familie zu sein, aber das hat sie verstreichen lassen.
Meine Mutter räuspert sich und setzt ihren Weg durch den Garten fort. Ich folge ihr. Für einige Minuten sagt niemand von uns etwas. Die unausgesprochenen Worte stehen sichtlich zwischen uns.
Ich fühle mich verantwortlich für unser Schweigen, weshalb ich schnell nach einem neuen Thema suche. „Sie vermuten also, dass Kyle keine Gabe hat. Das überrascht mich.“
„Normalerweise zeigen Elementarier schon in frühen Jahren eine Verbindung zu ihrem Element, obwohl sie die Gabe noch nicht benutzen können. Bei Kyle haben wir so etwas nicht festgestellt. Außerdem haben sie einige Tests gemacht, mit denen man sehr sicher sein kann. Es kann natürlich immer noch sein, dass er eine Gabe hat, aber es ist sehr unwahrscheinlich. In ein paar Wochen wissen wir mehr.“
Dann hat Kyle also in ein paar Wochen Geburtstag. Bis zu meinem eigenen Geburtstag ist es ebenfalls nicht mehr weit. Dann bin ich also ein Jahr und ein paar Wochen älter als er. Damit bestätigt sich meine Theorie, dass meine Mutter definitiv mit ihm schwanger war, als sie mich zurückgelassen haben. Ein schwerer Stich fährt mir durch den Magen.
„Was ist mit Taylor. Ist er gut zu dir?“
„Ja, das ist er. Es ist geradezu unglaublich, wie viel er für mich aufgegeben hat. Ich vertraue ihm mit meinem Leben, und ich hoffe, dass ihr auch Vertrauen zu ihm aufbauen könnt.“
„Das verstehe ich. Er ist wirklich ein besonderer junger Mann. Wenn du ihm vertraust, dann tue ich das auch.“
„Danke, Mom, das bedeutet mir wirklich viel.“ Ich lächle sie an, doch die Schwere in meinem Bauch hat sich noch nicht vollständig aufgelöst. Sie erwidert es vorsichtig. „Taylor stellt sich heute übrigens für das Training der hellen Soldaten vor. Nachdem alle wissen, wer er ist, wird das vermutlich nicht leicht für ihn werden. Er ist ein herausragender Lehrer und würde sicher eine Position als Trainer statt als Schüler bevorzugen. Meinst du, dass wir da irgendetwas tun können?“
„Selbstverständlich. Ich werde gleich nachher mit den Zuständigen darüber reden.“
Ich muss lächeln. „Danke.“
Mein Körper spiegelt meine Unruhe. Ich zapple herum und streiche mir die feuchten Handflächen am Rock meines schönen Kleides ab.
Die letzten Tage habe ich mich intensiv auf das Treffen mit den Grafen vorbereitet. Auch wenn sie nicht das letzte Wort haben, habe ich das Gefühl, dass ihre Meinung meinem Vater sehr wichtig ist und damit ist heute meine Chance, mich zu beweisen. Ich habe Fräulein Annelieses Programm widerstandslos über mich ergehen lassen, damit die Grafen nicht aufgrund meines Benehmens schon den Respekt vor mir verlieren.
Ich habe mich sehr gut vorbereitet. Und doch bin ich unfassbar unsicher. Ich darf diese Chance nicht verspielen.
Leider ist Taylor nicht an meiner Seite. Vielleicht hätte er mich etwas beruhigen können. Vielleicht ist das aber auch eine gute Sache, schließlich begegnen sie ihm hier nach wie vor kühl und misstrauisch.
Meine Eltern und ich schreiten gemeinsam durch die Gänge, bis wir an einem vergleichsweise kleinen Raum ankommen, dessen Tür weit offen steht. Die fünf Grafen – fünf Männer – erheben sich von ihren Stühlen und verbeugen sich leicht vor uns. Ich knickse und meine Eltern deuten ein Nicken an.
„Eure königlichen Majestäten“, sagt einer der Grafen. Dank Annelieses Einweisung weiß ich, dass es sich dabei um Graf Thelon handelt. „Vielen Dank für die Einladung.“
„Die erlauchten Grafen“, beginnt mein Vater. „Darf ich Ihnen unsere Tochter, Prinzessin Evelyn, vorstellen? Wir mussten sie damals bei unserer Flucht im dunklen Königreich zurücklassen, doch sie hat den Weg zu uns zurückgefunden.“
„Sehr erfreut, Prinzessin“, sagen die Grafen im Chor und nicken mir zu.
Ich erwidere es. „Die Freude ist ganz meinerseits.“
„Bitte, nehmt Platz.“ Meine Mutter weist mit einer Handbewegung auf den einladend gedeckten Tisch. Die Männer warten darauf, dass meine Mutter und ich Platz genommen haben.
„Graf Erson, wie geht es Ihrer Frau? Es ist eine gefühlte Ewigkeit vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“
Meine Mutter beherrscht diese bewundernswerte Kunst, ein Gespräch vollkommen natürlich ins Rollen zu bringen.
„Sehr gut. Wir haben vergangenen Monat unseren ersten Sohn bekommen, eine wahre Augenweide. Nach vier Töchtern hat mich das besonders gefreut.“
„Ich freue mich sehr für Sie.“ Die Worte meiner Mutter hören sich fast gesungen an, so melodisch klingt ihre Stimme. Ich frage mich, wieviel davon ehrliche Freude und wieviel davon aufgesetzt ist.
Dienerinnen tragen dampfende Teekannen herbei und beginnen, unsere Tassen zu füllen. Ich betrachte die Blütenblätter in meiner Tasse einen Moment. Dunkelrot und rosa schwimmen durcheinander.
„Aber lassen Sie uns über die Prinzessin sprechen! Wir sind sehr gespannt auf die verschollene Tochter des hellen Königreiches“, säuselt Graf Lacron, der direkt neben mir sitzt.
Ich zwinge ein Lächeln auf mein Gesicht.
„Haben Sie sich schon gut eingelebt? Das Leben als Prinzessin unterscheidet sich sicher stark von Ihrem vergangenen Leben. Liege ich damit richtig?“, ergänzt Graf Erson lachend.
„Sehr wohl. Die Förmlichkeiten und Protokolle waren mir bisher fremd, doch ich konnte mich bereits in kurzer Zeit an die Gepflogenheiten anpassen.“
„Das ist schön zu hören.“
Ich nicke lächelnd und nippe möglichst vornehm an meiner Tasse.
„Prinzessin, erzählen Sie uns von Ihrer Reise! Haben Sie den Weg ganz allein zurückgelegt?“
Ich atme innerlich tief durch. „Nein. Ich hatte eine Begleitung auf der Reise, den Prinzen des dunklen Königreiches.“
„Unfassbar! Ist er hier? Hält er sich gerade hier im Schloss auf?“, stottert Graf, der außer einer Begrüßung sonst noch kein Wort gesagt hat.
Mein Vater hebt beschwichtigend die Hände. „Machen Sie sich keine Sorgen, verehrte Grafen. Der Prinz stellt keine Gefahr dar. Sehen Sie es so: Er wird uns in Zukunft einer der wichtigsten Verbündeten sein können.“
„Wenn er nicht vorher seine Leute ins Schloss lässt“, zischt Graf Erson seinem Nachbarn zu.
„Ich versichere Ihnen, dergleichen wird nicht passieren“, hake ich ein und schenke dem Grafen mein gewinnendstes Lächeln. Seine zuckenden Mundwinkel verraten mir, wie viel er von meiner Einschätzung hält.
Reizend.
„Zwischen hier und der Grenze des dunklen Königreiches liegt ein wochenlanger Marsch. Sie haben bestimmt einiges zu erzählen“, versucht Graf Lacron das Gespräch wieder auf ein weniger verfängliches Thema zu lenken.
Jetzt ist es so weit. Ich straffe die Schultern und mache mich bereit für den Text, an dem ich seit Tagen gefeilt habe.
„Absolut. Von einem besonders interessanten Zwischenhalt habe ich selbst meinen verehrten Eltern noch nicht erzählt.“ Ich werfe diesen einen kurzen Blick zu. „Der Prinz und ich sind auf unserer Reise auf Rebellen getroffen.“
„Rebellen?“, wiederholen mehrere Grafen meine Worte. „Diese Wilden?“
Ich verziehe für einen winzigen Moment verwirrt das Gesicht, zügle mich aber augenblicklich wieder. „Der dunkle König hat ein heimliches Abkommen mit ihnen geschlossen, das wir aufdecken konnten. Er hat Experimente an den Elementariern dort durchführen lassen, wie er es selbst im dunklen Schloss schon getan hat. Doch irgendwann hat er sich durch die Rebellen bedroht gefühlt und sie angegriffen. Der Prinz und ich konnten die Rebellen bei der Verteidigung unterstützen. Nach unserem Sieg haben sie uns ihre bedingungslose Unterstützung im Kampf gegen das dunkle Königreich zugesichert.“
Begeistert sehe ich mich am Tisch um, doch die Anwesenden erwidern es nicht.
„Das ist sehr löblich, Prinzessin. Doch was werden die Rebellen schon nützen?“, setzt einer der Grafen an. „Sie verfügen weder über nennenswerte Truppen noch über große Waffenarsenale oder Technologien.“
„Sie konnten die Truppen des dunklen Königs zurückschlagen. Ich meine, das bedeutet allerdings etwas“, erwidere ich und schaffe es gerade so, meine Fassungslosigkeit über seine Worte zu unterdrücken. „Außerdem haben wir uns ebenfalls mit den Elementariern verbündet, die wir bei den Rebellen befreien konnten.“
„Und wo sind sie nun?“, will mein Vater wissen und nippt entspannt an seinem Tee. „Die Elementarier, von denen du sprichst.“
„Nun“, fange ich an, breche aber wieder ab. Das ist tatsächlich eine gute Frage. Alice meinte, dass sie nach Norden weiterziehen. So viele Elementarier, so viel Energie auf einem Fleck, die sollten wir schon aufspüren können. „Das wissen wir nicht genau. Aber sie haben uns ebenfalls ihre Unterstützung zugesichert. Es wird sicher kein Problem sein, über unsere Fähigkeiten zu ihnen Kontakt aufzunehmen.“
Die Grafen wechseln Blicke untereinander und sehen auch kurz zu meinem Vater, der sichtlich unruhig wird unter den kritischen Augen. Ich sitze vollkommen fassungslos da. Haben sie mir überhaupt zugehört? Ist ihnen nicht bewusst, wie viel diese Bündnisse wert sind?
Mein Vater tauscht einen kurzen Blick mit meiner Mutter. „Sehr beeindruckend, Evelyn.“ Er räuspert sich verhalten. „Graf Erson, ich habe kürzlich von den Innovationen in der Bewirtschaftung der kriegsgeschädigten Ländereien erfahren. Sie müssen die Pläne unbedingt meinen Beratern präsentieren.“
„Das war alles, was ich hatte.“
Wie knochenlos liege ich auf meinem Bett und starre an den Baldachin hinauf.
„Nachdem ich gesprochen habe, hat mein Vater einfach ein völlig neues Thema angefangen. Sie haben meine Worte wie kindliche Belange abgetan und ich war so überrumpelt davon, dass ich kein Wort mehr hatte … kein einziges Wort.“
„Das ist doch verrückt“, erwidert Taylor, der vor dem Bett auf und ab läuft. „Richard hat die Rebellen angegriffen, weil er ihre Existenz als zu riskant eingeschätzt hat. Was wollen sie denn noch hören?“
Es ist eine rhetorische Frage, doch ich zucke trotzdem mit den Schultern.
„Ich habe das Gefühl, uns nimmt hier niemand ernst.“
Ich muss fast lachen und setze mich im Bett auf, um Taylor ansehen zu können. „Das Gefühl?“
„Du weißt, was ich meine.“
„Vielleicht sollte ich nochmal mit meinen Eltern allein reden. Dann kann ich ihnen vielleicht besser verständlich machen, wie viel dieses Bündnis bedeutet“, sage ich fast nur zu mir selbst.
Taylor lässt sich neben mich aufs Bett fallen.
„Meinst du wirklich, dass das hilft?“
„Keine Ahnung, aber ich muss es versuchen.“
Normalerweise nehmen wir das Abendessen gemeinsam mit meinen Eltern und Kyle im Speisezimmer ein, doch heute bitte ich die Zofen, es auf mein Zimmer bringen zu lassen. Vielleicht werden meine Eltern mein Fehlen als Trotz auffassen, aber das ist mir egal.