World of Trash - Tobias Marks - E-Book

World of Trash E-Book

Tobias Marks

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Beschreibung

Ruinen, Stille, Müll. Die Erde ist nach dem großen Krieg und dem darauffolgenden Zusammenbruch vor mehr als einhundert Jahren wie leer gefegt. In dieser Welt lebt Annk zusammen mit anderen Überlebenden im Einklang mit der Natur. Doch ihr beschauliches Leben wird auf den Kopf gestellt, als sie eines Tages einen halb verdursteten Jungen vor den Toren ihres Refugiums rettet. Wer ist dieser Lukem und warum ist er alleine durch die Einöde geflohen? Und wie hängt das alles mit dem Artefakt zusammen, das Annk als kleines Mädchen gefunden und viele Jahre als ihr Geheimnis gehütet hat? Es beginnt für die beiden ein rasantes Abenteuer, bei dem sie über sich hinauswachsen müssen, um die Bedrohung aus der Vergangenheit, die sich langsam und unaufhaltsam nähert, aufzuhalten.

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Seitenzahl: 617

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ähnliche


Tobias Marks

WORLD OF TRASH

Teil 1: Erwachen

Für Elina und Jorin

TOBIAS MARKS

[ERWACHEN]

© 2025 Tobias Marks

Umschlag, Illustration: Tobias Marks

Bildelemente: Martinus Sumbaji, 66649344, Dreamstime.com

Schriftart: Freedom45, Khurasan Studio

Lektorat, Korrektorat: Tino Falke

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Trash [træʃ]

(SUBST no pl.)

Müll, Abfall der sog. Früheren Menschen in der Regel mit fester Beschaffenheit bzw. auch als Oberbegriff für Gesamtmenge des M. und A. der sog. Früheren Menschen.

Auch beinhaltend Überreste oder Hinterlassenschaften der Früheren Menschen jeglicher anderen Art, die gemeinhin nicht als M. oder A. bezeichnet werden wie z. B. Ruinen, Wracks, kontaminierte Wasserkörper etc. Funktionsfähige Überreste werden gewöhnlich dem Trash zugezählt, bis sie zu einer neuen Verwendung nutzbar gemacht worden sind.

Unterschieden wird gelegentlich zwischen Microtrash [maɪ.kroʊ træʃ] und Macrotrash [mæk.roʊ træʃ]. Gasförmige bzw. flüssige Überreste sind gemeinhin nicht Bestandteil des Trash, wenngleich die Definition hier nicht eindeutig ist und die Übergänge fließend sind.

Besondere Stücke des Trash werden gemeinhin als Artefakte, wenn sie weniger in sozialen oder ideologischen Kontexten Verwendung fanden, sondern speziell zur Ausübung einer praktischen Funktion bestimmt waren, auch als Technofakte bezeichnet.

[Prolog]

»Sapman hat es erwischt! Wir können die Stellung nicht mehr länger halten!« rief Ranger über das Com. »Alle Einheiten zum Sektor P25B, sofort!«

Panik stieg in ihm hoch, doch er kämpfte sie herunter, indem er sich auf das Hier und Jetzt konzentrierte, so wie er es im Training immer wieder geübt hatte. Anfangs hatten sie noch eine echte Chance gehabt, doch dann waren die anderen mit ihren Crushern massiv vorgerückt und hatten eine Stellung der UEDF nach der anderen dem Erdboden gleichgemacht. Die Schlacht hatte sich mittlerweile bis zum Fluss verlagert. Die Kampfroboter und Flugdrohnen, die Ranger befehligte, wichen stetig zurück und hatten an Feuerkraft dem Gegner nicht mehr viel entgegenzusetzen. Eine Einheit nach der anderen wurde durch die Projektile des Gegners zerfetzt, durch dessen elektromagnetische Waffen lahmgelegt oder durch Laserstrahlen zerschnitten. Es war nur noch eine Frage der Zeit.

Ranger war einer der wenigen Menschen auf dem Schlachtfeld. Außer ihm waren nur Sapman, Rix und Jackson für dieses Gefecht eingeteilt worden. Sapman hatte es schon erwischt, für ihn kam jede Hilfe zu spät. Rix und Jackson waren in den angrenzenden Sektoren noch im Einsatz. Wenn ihr Rückzug klappte, würden sie sich in Sektor P25 treffen. Hoffentlich.

Ranger wusste, dass in früheren Kriegen hauptsächlich menschliche Soldaten an die Front geschickt worden waren. In der Schlacht, die jetzt um ihn herum tobte, wurden die Kämpfe durch Roboter und Drohnen ausgefochten. Was hatte ein Mensch Zigtausenden fliegenden Minidrohnen auch schon entgegenzusetzen? Menschen waren für diese Art der Hightech-Kriegsführung schlichtweg zu langsam, zu verwundbar und zu schwach. Die modernen Battle-Units waren hingegen durch ihre fortschrittlichen KI-Systeme in der Lage, innerhalb von Millisekunden Entscheidungen zu treffen, Aktionen zu planen und diese auch durchzuführen. Ohne die Beschränkungen durch Menschen konnten sie mehr Waffen transportieren, hatten eine erhöhte Feuerkraft und Reaktionsschnelligkeit und konnten riskantere Manöver durchführen. Und Ranger wusste aus eigener Erfahrung, dass wenn ihm die Projektile nur so um die Ohren flogen, es ihm unmöglich war, den Überblick zu behalten. Dann trafen die zentralen Gefechts-KIs die Entscheidungen, und das in Bruchteilen von Sekunden.

Aber es gab auch Situationen, in denen selbst all die fortschrittliche Technik nicht weiterhalf. Denn eine entscheidende Fähigkeit fehlte den KI-Systemen allem Fortschritt zum Trotz immer noch. Und das war Unberechenbarkeit. Manche hätten es auch als Rauschen, Noise oder gar Kreativität bezeichnet, wie man es auch nennen mochte, es war jedenfalls der Grund dafür, dass es in Gefechten wie diesem immer noch Soldaten und somit Menschen gab, die menschliche Entscheidungen trafen. Eben solche Entscheidungen, die der Gegner im besten Fall nicht vorhersehen konnte.

Aber auch das würde ihnen jetzt nicht mehr weiterhelfen. Ranger wusste, dass der Feind in der Überzahl war und ihre Stellungen bald überrennen würde. Wenn sie nur Sektor P25 noch eine Weile halten könnten, dann könnten sie auf Verstärkung hoffen und so den Vormarsch des Feindes wenigstens bremsen. Aber Sapman war schon gefallen und das bedeutete, dass die Battle-Units der UEDF in Sektor Q24 ihn nicht mehr hatten beschützen können, weil sie  zerstört oder ausgefallen waren. Und Ranger selbst hatte von seiner Position aus nichts dagegen tun können. Zudem schätzte die zentrale Gefechts-KI die Lage mittlerweile als RED3-R ein, was nichts anderes bedeutete als aussichtslos. Rangers Befehl zum Rückzug wurde daher von allen Einheiten vorrangig behandelt. Es galt zu retten, was noch zu retten war. Er selber rannte nun ebenfalls in seinem PECS in Richtung des Sektors P25. Der nächtliche Himmel über ihm war erleuchtet von den unzähligen Feuern brennender Wracks, den Blitzen der Laserwaffen und dem Mündungsfeuer der Geschütze.

Krieg bringt immer nur Verderben, ging es ihm durch den Kopf, es gibt keinen Gewinner. Und auch wenn hier auf dem Schlachtfeld hauptsächlich Maschinen vernichtet wurden, so galten die Angriffe des Gegners doch den Menschen, die diese Maschinen in die Schlacht führten. Und selbst wenn der Gegner in diesem Krieg nicht vollständig ausgelöscht wurde, so war die Infrastruktur bereits so stark geschädigt, dass es im Nachgang des Krieges deutlich höhere menschliche Verluste geben würde, als in den einzelnen Gefechten zu beklagen waren. Dass in diesem Krieg nicht längst schon Atomwaffen eingesetzt worden waren, lag lediglich daran, dass die ohnehin schon kaum mehr bewohnbare Erde durch deren Einsatz letztlich vollends zerstört worden wäre, sodass der vermeintliche Sieger dieses Krieges schließlich auch unvermeidlich zugrunde gehen würde.

Zum Teufel, er durfte mit den Gedanken nicht abschweifen, er musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Er kontaktierte die zentrale Gefechts-KI und ließ sich das aktuelle Lagebild in sein Helmdisplay einspielen, während er weiter über den steinigen Boden des Gefechtsfeldes in Richtung P25 rannte. Überall um ihn herum lagen Teile von zerstörten Einheiten oder der Auswurf von Einschlagkratern. Das Exoskelett seines Anzuges trug ihn jedoch schnell und sicher vorwärts und glich dabei Unebenheiten automatisch aus. Er schwitzte in seinem Anzug, obwohl die Kühlung auf Hochtouren lief und das Hightech-Material, das seinen gesamten Körper umschloss wie eine zweite Haut, jedes Quäntchen Flüssigkeit sofort aufsaugte, um es der Wiederaufbereitung zuzuführen. Das Außenthermometer zeigte 37 Grad Celsius. Während er rannte, versuchte er, die Lage zu analysieren und einzuschätzen. Er schielte auf die statistische Übersicht am Rande seines Displays und wie er erwartet hatte, purzelten die Zahlen seiner aktiven Einheiten nur so ins Bodenlose. Verdammt, auch P25 war vermutlich nicht mehr lange zu halten. Er musste die Evakuierung seiner Kameraden und von sich selbst befehlen, versuchen zu retten, was noch zu retten war. Jetzt! Sofort!

Er blinzelte sich einen Schweißtropfen aus den Augen und aktivierte mit einem Blick auf das entsprechende Symbol in seinem Helmdisplay sein Military Identification Device, das an der Panzerung seines linken Unterarms befestigt war. Sofort schaltete die MID auf Bereitschaft und er sprach den Evakuierungsbefehl in das Com. Die MID bestätigte seinen Befehl umgehend und leitete die Anfrage an das CBCME weiter. Die menschlichen Soldaten würden nun schnellstmöglich von Evak-Units aus der Gefechtszone herausgebracht werden. Nach ein paar Sekunden schon bekam er auf seinem Helmdisplay die Bestätigung, dass die Evaks gestartet und unterwegs waren. Die übrigen robotischen Einheiten würden sich derweil zur nächsten befestigten Stellung zurückziehen. Wenn überhaupt noch welche übrig waren.

Er rannte weiter und während sein Blick über das Schlachtfeld wanderte, schoben sich unaufhaltsam die Erinnerungen an Sapman in seine Gedanken. Sie beide bei ihrem ersten Tag an der Akademie, die heimliche Geburtstagsfeier in der Baracke und der erste Einsatz. Scheiße! Verdammte Scheiße! Was sollte dieser Krieg überhaupt? Wie hatte es überhaupt so weit kommen können, dass die Menschen ihren Planeten, ihre Lebensgrundlage so dermaßen zerstört und ausgebeutet hatten, dass sie auf ihm nicht mehr leben konnten? Und trotzdem oder gerade deshalb trugen sie noch diese Konflikte aus, weil jeder das bisschen, was von der Erde noch übrig war, für sich haben wollte. Die tragische Ironie in dem Ganzen lag darin, dass durch die Kämpfe die Zerstörung ein solches Ausmaß erreichte, dass am Ende wirklich nichts mehr übrig bleiben würde, um das zu kämpfen es sich noch lohnen würde. Warum konnte es kein friedliches Miteinander der Menschen geben? War die Menschheit durch ihr Menschsein dazu verdammt, immerfort gegeneinander kämpfen zu müssen? Gehörte der immerwährende Konflikt zum Menschsein wie der Schatten zum Licht?

Diese Gedanken schossen ihm durch den Kopf, als ein Projektil sein rechtes Bein traf und er durch die Wucht des Aufpralls zu Boden geschleudert wurde.

»Beschuss aus Sektor P23, ich habe keine Deckung mehr. Ich bin getroffen!«, keuchte er mit schmerzerfüllter Stimme in sein Helmmikrofon.

»Shit, Ranger!«, rief Jackson über das Com, seine Stimme überschlug sich fast. »Wir holen dich da raus! Halte durch!«

»Negativ... ihr schlagt euch weiter zu P25B durch, kommt mich nicht holen, ich hab die Evaks schon angefordert, die holen uns in ein paar Minuten sowieso raus!«, befahl Ranger schwer atmend.

Er lag am Boden hinter einem kleinen Hügel Schutt. Sein Bein war nicht mehr zu gebrauchen, das panzerbrechende Projektil hatte die Panzerung zerschlagen, als wäre sie aus Papier, und seine Muskeln und Knochen dahinter zu Brei verarbeitet. Das bionische Exoskelett war an der Austrittsstelle zerfetzt, sodass er auch mit dessen Hilfe das Bein nicht mehr würde belasten können. Der einzige Grund, weshalb er überhaupt noch bei Bewusstsein war, war das MESY seines Anzuges, welches mit der MID gekoppelt war und das ihn nun mit Drogen vollpumpte, die die Schmerzen weitgehend ausschalteten. Nur dumpf spürte er, wie sein Anzug das Bein automatisch abklemmte.

Hinter dem Hügel sah er die Blitze der Waffen den Nachthimmel erhellen, der von den unzähligen Feuern blutrot schimmerte. Er sah zwei Flugeinheiten, vermutlich von der UEDF, wie sie von Laserstrahlen getroffen trudelnd abstürzten, nur um dann noch in der Luft zu Tausenden Einzelteilen zu explodieren. Eine Bodeneinheit wurde getroffen und zerbarst in einem hellen Feuerball.

Er verkrampfte sich undsein Atem ging schwer, als er versuchte, sich aufzurichten und seine Waffe durchzuladen. Ein gellender Schmerz durchzuckte sein Bein und er stöhnte auf. Verdammt! Er konnte die Vibrationen im Boden bereits spüren, noch bevor er etwas sehen konnte. Kurz darauf zeigte sein Helmvisier auch schon die entsprechende Warnmeldung an. Verdammt, verdammt, verdammt! Es dauerte nur noch wenige Sekunden und dann sah er auch schon die dunkle Silhouette hinter dem Hügel erscheinen. Ein Crusher. Ganz langsam schob sich die breite Front des Ungetüms näher, und durchbrach den nebligen Dunst, der sich überall über das Schlachtfeld gelegt hatte. Die seitlichen überdimensionierten Räder walzten alles nieder, was ihnen in die Quere kam, und rollten unaufhaltsam auf ihn zu. Ranger dachte nicht nach und feuerte, sodass die Projektile des mit seinem Exoskelett verbundenen Maschinengewehrs wie ein Hagelschauer auf die breite Front des Angreifers prasselten.

Klick. Er musste nachladen. Wieder keimte die Panik in ihm auf. Hektisch fasste er an die Magazinhalterung an seinem Anzug, schob einen der länglichen Kästen hinaus und entriegelte gleichzeitig mit der anderen Hand den Schieber an der Waffe. Wieder dieser unerträgliche Schmerz. Er biss die Zähne zusammen und kurz wurde ihm schwarz vor Augen. Dann klärte sich sein Blickfeld wieder. Und während seine Hände automatisch arbeiteten, während sie Schritt für Schritt die Bewegungen ausführten, die er Hunderte, nein Tausende Male mit Sapman, Rix, Jackson und all den anderen geübt hatte, sah er, wie der Crusher ihn mit seinen Sensoren erfasste und die Waffen auf ihn ausrichtete. Im gleichen Moment realisierte er, dass seine Chancen, das Schlachtfeld lebend zu verlassen, verschwunden waren, und er wurde ganz ruhig, während sich langsam seine Augen mit Tränen füllten.

Was hatte er in seinem Leben erreicht? Was würde von ihm bleiben, wenn es ihn nicht mehr gab? Wer würde sich an ihn erinnern? Scheiße! Die Tränen kamen jetzt unaufhaltsam. Im Anblick der todbringenden Maschine weinte er wegen der Dummheit des Krieges, der nie einen Gewinner kannte. Er weinte wegen der Dummheit der Menschen, die aus Habgier und Machthunger ihre eigene Lebensgrundlage und dadurch unvermeidlich sich selbst zerstörten. Und er weinte, da er erkannte, dass er selbst immer auch ein Teil des Ganzen gewesen war.

+++

Die UEDF Evakuierungs- und Extraktionseinheit vom Typ SilverMan V2 mit Kennung EX23 hatte den Aufwachbefehl bekommen und hatte unmittelbar danach ihre Systeme hochgefahren.

HUMAN READABLE TOP LEVEL PROCESS PROTOCOL (TLPP)UNIT: EU-EX23 / TIMESTAMP: 2044|08|06|03|12|10|UTC -------------------------------------------------- ▸ AKTIVIERUNGSSIGNAL EMPFANGEN ↴   ⁝ AKTIVIERUNGSSEQUENZ EINLEITEN   ⁝ ALLE SYSTEME HOCHFAHREN --------------------------------------------------

Die Einheit war ein Hybridroboter, der über einen bionischen Bewegungsapparat mit vier Gliedmaßen verfügte, mit dem er sich schnell und zuverlässig am Boden fortbewegen konnte. Die Erschaffer dieser Maschine hatten bei der Entwicklung offensichtlich bei der Natur abgeschaut, in welcher sich im Laufe der Jahrmillionen die Organismen perfekt an die Gegebenheiten auf der Erde angepasst hatten und sich im unterschiedlichsten Gelände äußerst geschickt und flink fortbewegen konnten. Auch das Äußere der Evak erinnerte daher am ehesten an ihre natürlichen Vorbilder wie Pferde oder Hirsche, wenngleich die Bewegungen der Evak ungleich fließender und geschmeidiger waren und eher denen von Raubtieren glichen. Verstärkt wurde diese optische Verwandtschaft durch den gedrungenen Sensorapparat vorne am Korpus der Einheit, welcher mit Stereo-Kameras und einer Vielzahl anderer Sensoren ausgestattet war und an einen Kopf mit Augen erinnerte.

Hier hörte die Ähnlichkeit mit der Natur aber auch schon auf. Als echter Hybridroboter war die Evak anders als ihre natürlichen Vorbilder mit einem Antriebssystem zur Durchführung kurzer bis mittellanger Flüge ausgestattet. Dazu klappten aus den oberen Teilen der vier Beine Rotoren aus, die den Roboter schnell ins Einsatzgebiet hinein- und mit seiner Last schnell wieder aus dem Gefahrenbereich hinausbringen konnten. Die Befestigung der Rotoren an den Gliedmaßen ermöglichte zudem eine äußerst flexible Einstellung der Schubvektoren. Das bescherte dem Roboter im Flug, aber auch bei Bedarf am Boden, eine außergewöhnliche Wendigkeit.

Um den primären Einsatzzweck zu erfüllen, konnte die zu evakuierende Person in den Korpus der Maschine geladen werden, der zwar eng bemessen, aber groß genug für einen Soldaten samt Kampfanzug war. Sollte das zu evakuierende Subjekt unbeweglich sein, konnte es mithilfe von speziell dafür vorgesehenen Greifarmen in den Korpus geladen werden, wobei sich der Evakuierungsroboter über dem Subjekt platzieren musste und den Korpus nach unten hin aufklappte.

Aufgrund seiner Bauweise war der Evakuierungsroboter für harte Kampfeinsätze jedoch schlecht geeignet. Er verfügte nur über eine leichte Panzerung und über keinerlei Bewaffnung. Der große Vorteil lag indes darin, dass er zur Evakuierung von Personen flexibel und vor allem schnell eingesetzt werden konnte. Zudem verfügten Evakuierungseinheiten über fortschrittliche KI-Systeme, welche eine individuelle Einschätzung der Lage und eigenständige Reaktion auf Ereignisse ermöglichten. Diese Version der KI-Systeme war sogar dazu fähig, die eigenen Ziele zu revidieren und sich neue Ziele zu setzen, um die primäre Aufgabenerfüllung sicherzustellen.

HUMAN READABLE TOP LEVEL PROCESS PROTOCOL (TLPP)UNIT: EU-EX23 / TIMESTAMP: 2044|08|06|03|13|21|UTC -------------------------------------------------- ▸ EMPFANGE PRIMÄRE ZIELKOORDINATEN VON CBCME ↴   ⁝ EIGENE POSITION: O27C   ⁝ ZIELPOSITION: P24A   ⁝ EVAKUIERUNGSORT: EPT-144 (V27C)   ⁝ EVAKUIERUNGSZIEL: #ID34284CODERANGER ▸ INITIIERE STARTSEQUENZ ↴   ⁝ ROTOREN: IN POSITION   ⁝ ROTOREN: AKTIV   ⁝ LAGE- UND FLUGREGELUNG: AKTIV ▸ START --------------------------------------------------

Kaum hatte EX23 die Zielkoordinaten von der Gefechts-KI über das Com erhalten, klappte sie ihre Rotoren aus und startete nach einem kurzen Systemcheck die Motoren. Zügig hob die Evakuierungseinheit vom Startpad des vorgezogenen Bereitschaftspostens in Sektor O27C ab, neigte sich etwas gegen die Horizontale und flog in flachem Winkel los in Richtung Gefechtszone.

HUMAN READABLE TOP LEVEL PROCESS PROTOCOL (TLPP)UNIT: EU-EX23 / TIMESTAMP: 2044|08|06|03|13|56|UTC -------------------------------------------------- ▸ START ERFOLGREICH ▸ KURS ZU ZIEL P24A GESETZT ▸ STATUS ↴   ⁝ VERBLEIBENDE ZEIT: 3MIN/27SEC --------------------------------------------------

EX23 beschleunigte stark und gewann schnell an Geschwindigkeit und Höhe. Mehrmals passte sie dabei den Kurs an, um dem aktuellen Wind entgegenzuhalten.

HUMAN READABLE TOP LEVEL PROCESS PROTOCOL (TLPP)UNIT: EU-EX23 / TIMESTAMP: 2044|08|06|03|14|09|UTC -------------------------------------------------- ▸ STATUS ↴   ⁝ VERBLEIBENDE ZEIT: 3MIN/14SEC --------------------------------------------------

Alles verlief nach Plan, EX23 befand sich zwar noch weit außerhalb der Gefechtszone, aber ihre Sensoren registrierten schon das Aufblitzen von Geschützen und Laserwaffen sowie auch eine Reihe von elektromagnetischen Entladungen, die auf den Gebrauch von EMP-Waffen und Störsendern hindeuteten. Glücklicherweise waren sie auf die Entfernung nicht stark genug, um ihre Systeme auszuschalten, sonst wäre es ein kurzer Flug geworden.

Der Gegner besaß natürlich verschiedenste Möglichkeiten, die Kommunikation und Aufklärung der UEDF elektronisch zu stören und zu beeinflussen, von denen er auch ausgiebig Gebrauch machte. Die Kanäle waren voll und es war schwierig, die Informationen des Central Battle Core Middle Europe (CBCME), welche stark verschlüsselt waren und zur Verschleierung zudem ständig die Frequenzen wechselten, aus dem ganzen Wirrwarr herauszufiltern. Aber es gelang EX23 und der stetige Informationsfluss von der Gefechts-KI gab ihr ein genaues Bild der Situation, jedenfalls soweit dieses bekannt war.

EX23 passte ihren Kurs den ständig aktualisierten Informationen an, plante ihre Route kontinuierlich neu, um Gefahren frühzeitig auszuweichen.

HUMAN READABLE TOP LEVEL PROCESS PROTOCOL (TLPP)UNIT: EU-EX23 / TIMESTAMP: 2044|08|06|03|14|35|UTC -------------------------------------------------- ▸ STATUS ↴   ⁝ VERBLEIBENDE ZEIT: 2MIN/48SEC --------------------------------------------------

Ihr Ziel #id34284codeRANGER hatte sich in der Zeit vom Absenden des Hilferufs bis jetzt so gut wie nicht von der Stelle bewegt.

HUMAN READABLE TOP LEVEL PROCESS PROTOCOL (TLPP)UNIT: EU-EX23 / TIMESTAMP: 2044|08|06|03|15|09|UTC -------------------------------------------------- ▸ STATUS ↴   ⁝ VERBLEIBENDE ZEIT: 2MIN/14SEC --------------------------------------------------

Die Koordinaten des Zielobjekts blieben unverändert. EX23 registrierte durch Analyse der Daten von der Gefechts-KI, dass der Gegner auf die Position des Ziels mit mehreren schweren Einheiten vorrückte. Die Berechnungen ergaben, dass die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Evakuierung stetig abnahm. EX23 kontaktierte über die MID des Zielsubjekts dessen medizinisches Versorgungssystem (MESY) und forderte die Übermittlung der Vitalwerte an.

HUMAN READABLE TOP LEVEL PROCESS PROTOCOL (TLPP)UNIT: EU-EX23 / TIMESTAMP: 2044|08|06|03|15|57|UTC -------------------------------------------------- ▸ STATUS ↴   ⁝ VERBLEIBENDE ZEIT: 1MIN/26SEC ▸ VITALWERTE DES ZIELS (MESY) ↴   ⁝ HERZFREQUENZ: 176 (STARK ERHÖHT)   ⁝ ATEMFREQUENZ: 35 (STARK ERHÖHT)   ⁝ ADRENALINSPIEGEL: STARK ERHÖHT   ⁝ SCHMERZMITTEL APPLIZIERT: MORPHIN 2 EINHEITEN --------------------------------------------------

Ihr Ziel war verwundet, es galt daher, keine Zeit zu verlieren. Mit maximaler Geschwindigkeit flog EX23 über das Gefechtsfeld. Schon waren die Zielkoordinaten in Reichweite der visuellen Sensoren, die Sichtbedingungen auf dem Schlachtfeld erlaubten jedoch keine direkte Identifizierung des Zielsubjekts.

HUMAN READABLE TOP LEVEL PROCESS PROTOCOL (TLPP)UNIT: EU-EX23 / TIMESTAMP: 2044|08|06|03|16|34|UTC -------------------------------------------------- ▸ STATUS ↴ ⁝ VERBLEIBENDE ZEIT: 0MIN/49SEC ▸ VITALWERTE DES ZIELS (MESY) ↴   ⁝ VITALWERTE ERLOSCHEN ▸ PRÜFE ZIEL MID ↴   ⁝ STATUS: AKTIV, KEINE KOPPLUNG MIT PECS ▸ WARNUNG ↴   ⁝ ZIELERFASSUNG DURCH FEIND --------------------------------------------------

Offensichtlich war ihr primäres Zielsubjekt tödlich getroffen worden. Die MID war zudem vom Exoskelett, dem Prime Exterior Combat Skelleton (PECS), getrennt worden. Dies deutete ebenfalls auf Beschuss hin. Somit konnte sie ihre primäre Mission nicht mehr erfolgreich abschließen. Und die Lage hatte sich weiter verschlechtert, denn der Gegner hatte sie mittlerweile schon fast in Reichweite seiner Geschütze. EX23 entschied daraufhin, die Mission abzubrechen und den gefallenen Soldaten nicht gemäß Protokoll zu bergen. Stattdessen leitete sie ein Ausweichmanöver ein, was bedeutete, dass sie in den Sturzflug überging, um dann kurz vor dem Aufschlag auf den Boden wieder in den Horizontalflug überzugehen. Ein gewagtes Manöver für eine Evak-Unit, aber nur so konnte sie die Zielerfassung des Gegners für kurze Zeit täuschen, und vorgeben ein fallendes inaktives Objekt zu sein.

Im Fallen drehte sie sich um die eigene Achse, sodass es den Anschein hatte, ihre Motoren wären beschädigt und sie stürze unkontrolliert ab.

Kurz vor dem Boden brachte sie sich wie geplant in eine geeignete Position zum Abfangen des Sturzes und beschleunigte dann mit voller Schubkraft schräg nach oben.

HUMAN READABLE TOP LEVEL PROCESS PROTOCOL (TLPP)UNIT: EU-EX23 / TIMESTAMP: 2044|08|06|03|17|45|UTC -------------------------------------------------- ▸ CBCME WARNUNG ↴   ⁝ GEGNERISCHE EINHEITEN VORAUS --------------------------------------------------

Die kurze Pause währte nicht lange, denn jetzt rückten gegnerische Einheiten auch von der anderen Seite her an. Sie hatten EX23 zwar inmitten des Gefechts offenbar noch nicht als aktive Einheit identifiziert, aber vor ihr und hinter ihr wimmelte es nur so von Feinden. Sie prüfte das Lagebild und versuchte, ihre Situation einzuschätzen. Blitzschnell kalkulierte sie Tausende von Optionen und Varianten und kam letztendlich zu dem Ergebnis, dass der Feind sie eingekesselt hatte. Die Wahrscheinlichkeit, unversehrt die gegnerischen Reihen zu durchbrechen ging mittlerweile gegen null. EX23 blieben nur noch wenige Optionen.

Sie entschied sich dafür, an einer versteckten Stelle zu landen und abzuwarten, wie sich das Gefecht weiter entwickelte. Wenn sie unentdeckt blieb, könnte sie gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt den gefallenen Soldaten bergen und zu ihrer Zentrale zurückkehren. Sie bremste daher ab und verringerte gleichzeitig die Höhe, um eine geeignete Landeposition zu finden.

HUMAN READABLE TOP LEVEL PROCESS PROTOCOL (TLPP)UNIT: EU-EX23 / TIMESTAMP: 2044|08|06|03|24|21|UTC -------------------------------------------------- ▸ KONTAKT ZUM CBCME VERLOREN ▸ PRÜFE COM-KANÄLE ↴   ⁝ KEINE EINGEHENDEN SIGNALE GEFUNDEN --------------------------------------------------

EX23 prüfte die Kommunikationskanäle. Erdgebundener Funk, Satellit, Quantenkanal, alles tot. Nicht ein einziges Signal kam mehr zu ihr durch. Auf Basis der ihr zur Verfügung stehenden Informationen konnte sie die Ursache für diese Meldungen nicht aufklären. Sie prüfte abermals das letzte Lagebild, das sie über die Com-Kanäle vom CBCME empfangen hatte. Sie kam zu dem Schluss, dass der Feind mit großer Wahrscheinlichkeit in den lokalen Kommandostützpunkt eingedrungen war und die zentrale Gefechts-KI beschädigt oder gar zerstört hatte.

Sie berechnete abermals ihre Optionen und kam nun zu dem Ergebnis, dass die einzige Möglichkeit, nicht entdeckt und zerstört zu werden, darin bestand, sich gewissermaßen tot zu stellen und abzuwarten. Sie verringerte weiter ihre Flughöhe und setzte schließlich auf dem Boden auf. Unmittelbar nach der Landung leitete sie den E-REAC-Modus ein, um von den Gegnern nicht mehr als aktives Ziel wahrgenommen zu werden.

HUMAN READABLE TOP LEVEL PROCESS PROTOCOL (TLPP)UNIT: EU-EX23 / TIMESTAMP: 2044|08|06|03|31|17|UTC -------------------------------------------------- ▸ E-REAC EINLEITEN ↴   ⁝ AKTIVE FUNKAKTIVITÄT: BEENDET   ⁝ FLUGSYSTEM: EINGEFAHREN/VERRIEGELT   ⁝ EXTREMITÄTEN: ANGELEGT/VERRIEGELT   ⁝ SENSORÖFFNUNGEN: VERSCHLOSSEN   ⁝ SYSTEMZUSTAND: GESICHERT   ⁝ COM-KANAL E-REAC: OFFEN ▸ NEBEN-SYSTEME RUNTERFAHREN ↴   ⁝ ABGESCHLOSSEN ▸ BYPASSING HAUPT-SYSTEME ↴   ⁝ ABGESCHLOSSEN ▸ HAUPT-SYSTEME RUNTERFAHREN ↴   ⁝ ABGESCHLOSSEN ▸ TRENNUNG DER HAUPT-ENERGIEZUFUHR ↴   ⁝ ABGESCHLOSSEN ▸ E-REAC ↴   ⁝ STATUS: AKTIV --------------------------------------------------

Sie fuhr alle Systeme runter. Nach außen hin gab sie nun das Bild einer zerstörten oder defekten Einheit ab, von der keinerlei Signale mehr ausgingen und die keine Aktivität mehr zeigte. Langsam kühlte sich EX23 ab, sodass nach einiger Zeit auch keine Wärmesignatur mehr zu erkennen war. Nur ein einziger Empfangskanal blieb offen, auf dem EX23 mit minimaler Energie lauschte. Lauschte auf ein Reaktivierungs-Signal, das vielleicht nie  kommen würde.

[1 Annk]

Immer wieder das Gleiche, jeden Tag nun schon seit fast zwei Wochen. Ich will mal wieder was anderes machen, dachte Annk, als sie das Unkraut aus der Erde zog. Sie schüttelte die Erdklumpen ab, die sich zwischen den Wurzeln der Pflanzen verfangen hatten, und warf den Rest in den Korb, der neben ihr stand. Die Pflanzen wurden dann auf den großen Komposthaufen wieder zu neuer fruchtbarer Erde, die bald neues Leben hervorbringen würde. Nichts wurde verschwendet.

Heute waren sie alle gemeinsam dabei, einen seit Jahren verwilderten Teil der Gärten wieder nutzbar zu machen. Denn es gab wieder mehr Kinder im Refugium, was gut war, aber natürlich auch bedeutete, dass sie mehr Nahrungsmittel produzieren mussten. Annk war zusammen mit den anderen Kindern zum Jäten einer kleinen Brachfläche eingeteilt worden und hockte nun mit ihrem weit ausladenden Sonnenhut aus geflochtenem Bast und dem langärmeligen rosafarbenen Leinenhemd auf ihrem Bastpolster und rupfte lustlos die Pflanzen aus. Anfangs hatte es noch mehr Spaß gemacht, sie hatten gelacht und versucht, schneller zu sein als die anderen. Hatten sich gefreut, wenn sie Trash ausgebuddelt hatten, und stolz ihre Fundstücke verglichen. Hier ein buntes Stück Plastik, dort ein altes Metallstück, das vielleicht mal eine Schraube gewesen war. Und Silvis hatte vermutlich eine alte Münze ausgegraben. Jedenfalls hatte das Ding die passende Form und war aus Metall.

Die Fundstücke wurden später im Haupthaus in Kisten gesammelt, wobei für die Kinder eigene Kisten mit ihren Namen bereitstanden. Annks Kiste stand zwischen der von Runa und der von Noris, dem nervigen Sohn des Lagerverwalters, der heute allerdings für eine andere Arbeit eingeteilt war. Die Funde wurden dann von den Ältesten begutachtet und sie entschieden, ob sie direkt zu verwenden waren oder ob man sie benutzen konnte, um daraus noch etwas zu machen. Optisch schöne Exemplare, etwa geschmolzene Metalltropfen, Platinen mit Microchips oder schillernde Plastikstücke konnte man meistens selbst behalten und für Schmuck oder Dekoration verwenden. Größere Teile aus Metall, Glas oder Kunststoff wurden als Ersatzteile oder Baumaterial eingelagert, ebenso funktionierende Fundstücke wie zum Beispiel Werkzeuge. Jedoch Bruchstücke aus Beton, Gestein oder Holz, Plastikfetzen und andere Kleinteile waren meistens nicht mehr zu gebrauchen und wurden in der Trashmulde neben dem alten Bunker außerhalb des Refugiums am Haupteingang entsorgt.

Aber jetzt, wo es schon auf den Mittag zuging, war die Freude über die Funde schon fast wieder vergessen. Annk blickte zu den anderen hinüber, die ebenso wie sie selbst mit Hacke, Schaufel oder anderem Werkzeug, Pflanze um Pflanze aus dem Boden zogen und in die Körbe beförderten. Sie hörte das Klopfen, wenn jemand mit der Hacke den Boden auflockerte und das Kratzen der Werkzeuge auf Stein, wenn der Boden zu hart war. Layke, die ein paar Meter weiter auf ihrer rechten Seite in der gleichen Reihe arbeitete, hatte ihren Korb zur Hälfte gefüllt und war immer noch emsig bei der Sache. Runa links von Annk machte hingegen einen gelangweilten und erschöpften Eindruck und stocherte scheinbar planlos in der Erde herum. Dahinter arbeitete Jant. Konzentriert und gewissenhaft, so wie immer.

»Wann sind wir endlich fertig?«, fragte plötzlich Runa und sprach den Gedanken aus, der Annk schon seit Langem durch den Kopf ging.

Annk stöhnte auf und rieb sich automatisch mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, bevor er in ihre Augen laufen konnte. Kurz darauf bereute sie es, als sie sah, wie schmutzig ihre Hände waren.

»Was meinst du, sollen wir zu einem der Erwachsenen gehen und sagen, dass wir eine Pause brauchen?«

»Ach was!«, kam es jetzt von Layke. »Es kann nicht mehr lange dauern. Die Sonne steht doch schon hoch. Wir halten noch durch. Schaut mal, mein Korb ist schon fast voll!« Sie strahlte.

»Ja, ja, ja«, maulte Runa zurück. »Immer schön fleißig!«

»Ha ha«, Layke streckte Runa die Zunge raus. »Einer muss es ja machen.«

Annk verdrehte die Augen. Ihr ging das Gezicke ihrer Freundinnen manchmal ziemlich auf die Nerven, aber sie wusste, dass das meiste davon nur gespielt war. »Ach, hört doch auf«, sagte sie. »Ich bin auch müde, aber Layke hat recht. Es kann wirklich nicht mehr lange dauern.« Sie beschloss, obwohl die Arbeit mühsam war und die heiße unbewegte Luft jede Bewegung zu einem Akt schierer Willenskraft werden ließ, das Beste aus der Situation zu machen. Und durchzuhalten. Die anderen schafften das ja auch. Und sie liebte es schließlich, draußen zu sein. Draußen an der frischen Luft und unter freiem Himmel, wo sie den Gesang der Vögel und das Zirpen der Grillen hören konnte, wo ihr der Duft des Grases und der Bäume in die Nase stieg. Nicht auszudenken, in dieser Jahreszeit womöglich in einem der Dorfhäuser zu sitzen, in denen es auch sonst schon stickig genug war.

Annk sah ein, dass es Situationen gab, die es erforderten, dass wirklich alle mithalfen, auch die Kinder. Die Permakulturen im Refugium waren eine optimal abgestimmte Lebensgemeinschaft, in der Pflanzen und Tiere ein funktionierendes Ökosystem bildeten. Zwar waren dadurch die normalerweise in dieser Gegend vorherrschenden kargen Böden einigermaßen fruchtbar und vor Austrocknung und Erosion geschützt, trotzdem musste durch die Bewohner des Refugiums immer wieder viel Handarbeit geleistet werden, um alles in Schuss zu halten. Das Entfernen von ungewolltem Bewuchs, der den Nutzpflanzen die Nährstoffe entzog und ihnen das Wasser streitig machte, gehörte ebenso dazu wie die Aussaat und die Ernte.

Die Sonne schien an diesem herrlichen Junitag klar vom blauen wolkenlosen Himmel und sorgte bereits für hochsommerliche Temperaturen, obwohl der Sommer noch gar nicht so richtig begonnen hatte. Am Morgen noch, als Annk und die anderen hinaus in die Gärten gegangen waren, hatte es sogar noch Tau auf den Blättern der Pflanzen gegeben, der jetzt zur Mittagszeit aber natürlich schon längst verschwunden war.

Annk griff zu ihrer Wasserflasche, nahm einen tiefen langen Schluck und wartete sehnsüchtig auf den Gongschlag, der die Mittagspause einleiten würde.

»Was gibt’s denn heute Nachmittag bei der Unterweisung? Sind wir wieder bei den großen Eichen? Wo es so schön schattig ist?«, fragte sie laut.

Sie freute sich schon, der brütenden Hitze ein wenig zu entkommen und den Geschichten der Ältesten zu lauschen. Annk liebte diese Stunden, die sie selbst immer als Märchenstunden bezeichnete. Denn wenn die Ältesten ihnen nicht gerade praktische Dinge beibrachten, die im Refugium benötigt wurden, erzählten sie oft von den Errungenschaften der Früheren. Und was sie am besten daran fand, war, dass es dabei auch noch etwas zu lernen gab.

»Keine Ahnung, wahrscheinlich wieder das übliche langweilige Zeug«, meckerte Runa.

»Ich weiß gar nicht, wofür wir das alles lernen sollen. Zum Unkraut jäten und Früchte ernten brauchen wir den ganzen Kram jedenfalls nicht, so viel ist klar«, stellte Layke fest.

»Also ich finde die Unterweisungen super.«

»Du verstehst ja auch alles, Annk!«

»Das liegt einfach daran, dass ich die meisten Sachen halt superspannend finde. Wir können so viel von den Früheren lernen.«

Wer weiß, dachte sie, wozu ich das ganze Wissen über Mathematik, Sprachen, Kultur, Naturwissenschaften und Technik vielleicht mal gebrauchen kann? Dann malte sie sich in ihren Gedanken aus, was sie später einmal werden würde. Aus den Erzählungen der Ältesten kannte sie schließlich viele der Möglichkeiten, die den Früheren Menschen in ihrer hochentwickelten Gesellschaft offengestanden hatten.

Vor allem die Natur und die Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Lebewesen interessierten sie. Später, das hatte sie beschlossen, wollte sie im Refugium eine führende Rolle als Wissenschaftlerin oder Technikerin einnehmen. Mit ihren zwölf Jahren hatte sie bis dahin aber noch etwas Zeit.

»Also ich kann mir tausend Sachen vorstellen, die ich lieber machen würde, als zu den Unterweisungen zu gehen«, seufzte Runa.

»Was denn zum Beispiel?«, wollte Layke wissen.

»Na, zum Beispiel mit den anderen zum Rand gehen um dort ein bisschen abzuhängen. Oder was Leckeres kochen. Oder mit den Entenküken spielen … Die sind so süß!«

»Ja, die sind süß, aber das ist doch auch immer das Gleiche«, sagte Annk. »Findet ihr es nicht auch faszinierend, dass wir eine komplette Welt des Wissens vor unseren Füßen haben und nur in sie eintauchen müssen, um zu verstehen, wie die Dinge funktionieren?«

»Na ja. Mir reicht’s, wenn ich die Dinge hier im Refugium verstehe«, fand Runa.

»Stimmt«, pflichtete Layke ihr bei.

Annk verstand ihre Freundinnen manchmal nicht. Die Früheren hatten Techniken entwickelt, mit denen sie unglaublich umfassende und präzise Einsichten in die Natur erlangt hatten. Wenn sie in ihrem Refugium überleben wollten, mussten sie dieses Wissen nutzbar machen und die Fehler der Früheren vermeiden.

Immer wieder war in der Geschichte der Menschen deutlich geworden, dass wenn man versuchte, der Natur an einer Stelle seinen Willen aufzuzwingen, an ganz anderen unvorhersehbaren Stellen Effekte auftreten konnten, mit denen man aufgrund des fehlenden Verständnisses der Zusammenhänge nicht gerechnet hatte. Die Schlussfolgerung, die sich daraus ergab, war für Annk sonnenklar. Es konnte nur heißen: mit der Natur und nicht gegen sie. Die Menschen waren nicht die Krone der Schöpfung, sondern nur ein kleiner Teil davon. Es gab keine Krone, nichts, was über allem stand, sondern nur Puzzleteile, die zusammen das große Bild ausmachten. Auch die Menschen mussten sich eingliedern, durften nur so viel nehmen, wie die Natur ihnen gab, und durften nichts verschwenden. Und dazu musste man die Welt verstehen können.

Wieder so ein verflixter Stein, dachte sie, als sie beim Graben plötzlich auf etwas Hartes stieß. Oder wieder Trash der Früheren. Der liegt hier ja sowieso kreuz und quer herum. Kein Wunder, dass hier nur Unkraut wächst. Wenn es einen Preis für die gründlichste und nachhaltigste Verschmutzung der Erde geben würde, hätten die Früheren ihn sicher gewonnen.

Annk musste ein Geräusch gemacht haben, denn plötzlich hörte sie Runa neugierig fragen: »Annk, was ist los?«

»Ach, wahrscheinlich nur ein Stein!«, antwortete Annk.

»Ja, die verdammten Dinger stecken hier wirklich überall.« Um ihre Worte zu verdeutlichen, nahm Runa einen Stein, der neben ihr lag, zielte kurz und warf ihn auf den Sammelhaufen, den sie im Laufe des Vormittags angelegt hatten. Mittlerweile hatte er schon eine beachtliche Größe erreicht.

Annk wollte schon mit der Entwurzelung der nächsten Pflanze weitermachen, als sie spürte, wie sie dieser besondere Ehrgeiz packte, den sie schon seit sie ein kleines Kind war kannte, und sie begann doch, den Stein oder das Stück Trash oder was immer es auch sein mochte, auszugraben. Sie wollte es einfach schaffen und sich dieses Ding ansehen, das die Frechheit besaß, genau dort zu liegen, wo sie gerade grub, wollte es wegschleudern auf den Haufen, wo es hingehörte. In der harten, staubigen Erde stellte sich dieses Unterfangen allerdings als gar nicht so einfach heraus.

Mit den drei Zacken ihrer Hacke schlug sie die trockene Erde über dem Gegenstand und um ihn herum ab und versuchte, ihn so freizulegen. Mit den Händen beförderte sie die abgelöste Erde aus dem Loch nach draußen, wo mittlerweile schon ein kleiner Hügel entstanden war. Das Ding schien nicht sonderlich groß zu sein und als sie mit ihrer Hand hinab in das Loch griff und über es wischte, um sich ihren Herausforderer schon mal genauer anzuschauen, merkte sie, dass dieser ganz anders als die Steine in der Gegend nicht graubraun sondern dunkel, fast schwarz war. Also doch mal wieder Trash, stellte sie fest. Aber, so viel konnte sie durch den ganzen Dreck schon erkennen, sicher ein schönes Stück davon.

Ein schönes Stück Abfall war immerhin besser als nichts, denn zumindest könnte man daraus einen Anhänger oder anderen Schmuck herstellen, so wie er von vielen im Refugium getragen wurde. Hoffentlich war es kein Plastik, denn Metallteile waren in der Regel gefragter. Manche Arten von Metall waren sogar sehr wertvoll, da man sie heute nicht mehr herstellen konnte. Jetzt wurde Annk besonders ehrgeizig, das Stück vollends auszugraben, und versuchte, die Spitzen der Hacke unter dessen Rand zu bekommen. Beim zweiten Versuch klappte es schließlich und sie benutze die Hacke als Hebel, um das Stück aus der festen Erde zu lösen. Das ging zu ihrer Freude leichter als gedacht, denn es war flach und reichte nicht besonders tief ins Erdreich hinab. Sie griff in das Loch und nahm es in die Hand. Dann brach sie die noch anhängenden Erdreste von den Seiten ab und versuchte, mit dem Ärmel ihres Hemdes die verbliebenen Erdkrümel und den Staub herunterzuwischen.

Die Spuren der Früheren Menschen waren allgegenwärtig. Die verfallenen Ruinen ihrer Bauten waren nicht zu übersehen, selbst hier in der Umgebung des Refugiums gab es einige davon. Gleich einige Hundert Meter von Haupteingang entfernt, ragten die Überreste eines Bunkers aus dem trockenen Boden und in Richtung Osten war ein altes zusammengefallenes Gebäude vom Rand des Refugiums aus zu erkennen. Und wenn man sich auf das Dach des Vorratsgebäudes wagte, konnte man im Nordwesten sogar gleich mehrere davon erspähen. Zu holen gab es dort aber nichts mehr, schon vor vielen Jahren hatten die Gründer des Refugiums alles von dort mitgenommen, was sie für das Überleben nach dem Zusammenbruch brauchten.

Neben den verfallenen Ruinen und Bauten zählten aber auch Wracks, Teile von Wracks sowie sonstiger Müll, schlichtweg alle Hinterlassenschaften der Früheren Menschen, die irgendwo herumlagen, bis hin zum kleinsten Plastikschnipsel zum Trash. Und dieser fand sich überall. Das meiste war jedoch weder intakt noch brauchbar. Meistens war es so: Fand man etwas, was noch intakt war, war es nicht zu gebrauchen. Fand man etwas, das man brauchen konnte, war es nicht intakt.

Annk konnte sich erinnern, dass man vor einigen Jahren in ihrem Refugium versucht hatte, ein altes Bodenfahrzeug der Früheren wieder fahrtüchtig zu bekommen. Das hätte man wirklich gut gebrauchen können. Sie hatten es geschafft, die Reifen aufzupumpen oder zu ersetzen und die gesamte Mechanik zu reparieren. Auch Treibstoff hatten sie herangeschafft. Letztlich war der Versuch jedoch daran gescheitert, dass der Motor einfach nicht hatte laufen wollen. Das Wissen über die Technik der Früheren Menschen war mit den Jahrzehnten nach dem Zusammenbruch verloren gegangen und selbst den Klügsten fehlten heutzutage die Grundlagen, um die Lücken wieder aufzuarbeiten. Oder es fehlten schlicht die notwendigen Ersatzteile.

Artefakte waren besondere oder unbekannte Stücke Trash, von denen man oft nicht wusste, welche Funktion sie hatten. Daher waren sie potenziell gefährlich und es galt die Regel, dass diese von Kindern an die Erwachsenen abgegeben werden müssen. Das wurde ihnen im Refugium schon von klein an beigebracht und hatte seinen guten Grund, denn immer wieder wurden auch Bruchstücke und Reste von Waffen gefunden.

Neugierig betrachtete Annk das Objekt, das nun in ihrer Hand lag. Es war tatsächlich von einem tiefen Schwarz und sehr gleichmäßig geformt, ja sogar symmetrisch. Es hatte eine Größe in etwa wie ein kleines Buch, etwas zu groß für eine Kinderhand. Ansonsten war es vollkommen glatt, spiegelte das Sonnenlicht und fühlte sich ein bisschen an wie Glas. Annk schauderteund sie merkte, wie ihr Herz zu pochen anfing.

Das ist ganz sicher ein Artefakt!, dachte sie. Ich hab ein richtiges Artefakt gefunden!

[2 Annk]

Ein lauter dumpfer Glockenschlag riss Annk aus ihren Gedanken. Sie zuckte bei dem plötzlichen Geräusch unmerklich zusammen und hatte das Gefühl, ihr Herz bliebe kurz stehen. Was war das?, schoss es ihr durch den Kopf, aber die Antwort gab sie sich einen Augenblick später auch schon selber. Ach, nur der Mittagsgong, atmete sie erleichtert auf. Das Artefakt lag immer noch schwarz und glänzend in ihrer Hand und sie beugte sich tief darüber, um es mit ihrem Körper und mit ihrem weit ausladenden Sonnenhut vor neugierigen Blicken zu verdecken.

»Endlich haben wir es geschafft!«, hörte sie Runa neben sich aufatmen. Gleichzeitig sah sie aus dem Augenwinkel, wie sie sich aufsetzte und sich den Dreck von ihrer Kleidung klopfte. Von überall her waren nun erleichterte Stimmen zu vernehmen. Einige Eilige liefen auch schon in Richtung Zentrum.

Haben sie etwas bemerkt? So unauffällig wie möglich drückte sie das Artefakt an sich und verbarg es bestmöglich mit den Händen. Und wenn sie es einfach nicht abgeben würde, überlegte sie. Hatte sie die Ältesten eines Abends nicht sprechen hören, dass die Artefakte sogar an Händler verkauft wurden? Nein, verkaufen würde sie das schöne Stück sowieso nicht.

»Ich bin so fertig«, seufzte jetzt Layke auf Annks anderer Seite und ließ sich theatralisch rückwärts auf den Boden kippen.

Und wenn sie es heimlich versteckte? Dann bliebe es ihr Geheimnis, bis sie eines Tages selbst alt genug sein würde, um zu entscheiden, was sie damit anfangen würde. Aber, ging es ihr durch den Kopf, ihr Vater gehörte zu den Ältesten im Refugium und war Mitglied des Rates. Besonders von Annk wurde daher erwartet, dass sie sich genau an die Regeln des Refugiums hielt, um ein gutes Vorbild zu sein.

»Annk, wo bleibst du?«, rief eine Jungenstimme und sie erkannte Jant, der auf sie zukam. »Es gibt doch gleich Essen! Bist du nicht hungrig?«

Sie zuckte wieder zusammen und ihre Hand zitterte leicht. Hat er etwa bemerkt, dass ich etwas gefunden habe? Er hatte sie fast erreicht und sie schaute zu ihm auf. Wahrscheinlich nicht. Sie überlegte nicht lange und ließ mit einer unauffälligen Bewegung das Artefakt schnell in ihrer Tasche verschwinden, in der sie auch ihr Werkzeug und ihre Trinkflasche verstaut hatte. Dann setzte sie sich gespielt schwerfällig auf. Jant eilte herbei und streckte ihr seine Hand entgegen.

»Danke.« Annk zog sich hoch und hängte die Tasche dabei möglichst lässig über ihre Schulter.

Layke und Runa machten sich bereits auf den Weg ins Zentrum. »Annk, kommst du?«, fragte Runa und blickte in ihre Richtung.

»Ja, Moment … Ich komme ja schon!«

Jant musterte sie mit einer Spur von Besorgnis in der Miene. »Alles klar bei dir?«

»Ach, nur die Hitze … Ist halt super anstrengend«, antwortete Annk ausweichend und setzte sich in Bewegung. Gleich darauf liefen sie hinter Runa und Layke die Reihe mit Pflanzen entlang in Richtung des Zentrums des Refugiums.

»Soll ich vielleicht deine Werkzeugtasche tragen, mir macht es nichts aus?«, fragte Jant hilfsbereit.

»Nein, nein, alles prima, aber danke für das Angebot«, sagte Annk schnell und lächelte Jant über die Schulter zu, denn sie war ihm schon zwei Schritte voraus.

Auch wenn Annk sich große Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen, war sie innerlich bis zum Zerreißen gespannt. Schließlich stand sie tatsächlich im Begriff, gegen die Regeln des Refugiums zu verstoßen. Und das kam bei ihr eigentlich niemals vor. Hoffentlich, hoffentlich sieht man es mir nicht an. Wenn ihre Mutter jetzt da gewesen wäre, hätte sie sie wie früher, wenn sie heimlich von den leckeren Keksen genascht hatte, sofort durchschaut. Aber ihre Mutter war nicht mehr da und ihr Vater liebte sie zwar über alles, dass wusste sie, aber er hätte ihre Lüge niemals erkannt. Genauso wie Jant. Männer eben!, dachte Annk, denn Jant schien es tatsächlich gar nicht aufzufallen, dass sie innerlich vor Aufregung fast zerplatzte.

»Ja, ist echt anstrengend hier draußen, aber wenigstens ist für uns jetzt schon Schluss. Ich freue mich auf das Mittagessen und die Unterweisung nachher«, versuchte Jant ein Gespräch anzufangen.

»Ja, wird bestimmt wieder interessant«, erwiderte Annk. Sie war froh darüber, dass außer ihr noch jemand ihr Interesse an dem Wissen der Früheren teilte.

Sie liefen eine Weile schweigend nebeneinanderher. Andere Kinder und Erwachsene kamen aus verschiedenen Richtungen hinzu und es bildeten sich mehrere kleine Grüppchen, die in Richtung Zentrum liefen.

»Was hast du heute noch so vor? Ich meine, nach dem Unterricht?«, fragte Jant beiläufig.

»Ach, weiß ich noch nicht«, antwortete Annk, »nichts Spannendes.«

»Wir wollten nach dem Unterricht vielleicht noch an den Rand. Kommst du mit?«, fragte Jant etwas leiser und meinte damit den Rand des Refugiums, an dem sich die Jugendlichen abends manchmal trafen. Annk wusste nicht, was sie davon halten sollte. Klar, Zeit mit ihren Freunden zu verbringen war toll, trotzdem war es für Kinder nicht erlaubt, sich dort nach Einbruch der Dunkelheit aufzuhalten.

»Nee, ich glaube nicht. Ich wollte vielleicht ein bisschen lesen und dann früh ins Bett. Morgen wird es ja bestimmt wieder anstrengend«, erwiderte sie ausweichend. Insgeheim wusste sie aber ganz genau, was sie vorhatte. Nämlich ihr Artefakt genaustens inspizieren und dann ein sicheres Versteck dafür suchen.

[3 Annk]

Einige Tage später hatte Annk das Artefakt sicher verwahrt und die erste Freude war der Erkenntnis gewichen, dass es zwar schön, aber im Grunde nicht zu gebrauchen war. Und sie hätte das Ganze sicher bald vergessen, wenn es nicht plötzlich im Refugium eine große Aufregung gegeben hätte. Denn beim Anlegen des neuen Pflanzbereichs, an dem auch Annk und all die anderen Kinder mitgeholfen hatten, war Pales, Runas Bruder, unter der Erde auf etwas gestoßen.

Natürlich war es eine Hinterlassenschaft der Früheren, was auch sonst? Aber obwohl viele mithalfen, brauchten die Erwachsenen einige Zeit, bis sie den Trash komplett ausgegraben hatten. Es war etwas Großes. Als das Ding schließlich geborgen wurde, stand Annk mit den anderen Kindern etwas abseits der Grabestelle und beobachtete neugierig, was dort vor sich ging. Obwohl die Kinder nicht so nah herankommen sollten, konnte sie trotzdem einen Blick auf das Fundstück erhaschen, als es von den Männern schließlich auf einen Karren geladen wurde, den man extra für den Abtransport bereitgestellt hatte.

»Was zum Trash ist das denn?«, raunte sie Runa zu, die neben ihr stand.

Im ersten Moment dachte sie, es sei nur ein wilder Haufen Trash, den man da gefunden hatte. Metall, Plastik oder auch beides gemischt, teils flächig, teils kantig, aber doch irgendwie formlos. Und eine Art Stern, der in das ganze Bild irgendwie nicht hineinpassen wollte.

»Sieht aus wie ein großes Bündel Schrott«, fand Runa und reckte sich, um mehr erkennen zu können.

»Hey, mach dich nicht so breit«, beschwerte sich sofort Layke, die ebenfalls bei ihnen stand.

»Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Haben wir nicht schon genug Trash hier überall rumliegen? Ein Haufen mehr oder weniger ist doch egal«, mischte sich nun William, der etwas älter war, ein. »Was ist daran so besonders?«

»Keine Ahnung«, pflichtete ihm Runa bei.

Es gab einen dumpfen Knall, als der Trash auf den Karren knallte, und einen Moment später schaffte es Annk wieder, einen Blick auf das Ding zu werfen. Diesmal reichte die Zeit, damit ihr Gehirn die Verbindung zu einem Bild herstellen konnte, das sie mal in einem der Bücher der Früheren gesehen hatte: »Anatomie der Roboter«. Dort war ein Roboter der Früheren abgebildet gewesen und das Ding, das da jetzt auf dem Karren lag, erinnerte sie genau daran. Schwarz, grau, metallisch und natürlich völlig mit Erdreich verkrustet und verschmutzt, aber jetzt, wo sich diese Idee in ihrem Kopf verankert hatte, ganz klar und unverkennbar ein Roboter. Plötzlich war es ein Leichtes für Annk, Beine, Arme, einen Rumpf und schließlich sogar einen Kopf in dem Durcheinander zu erkennen.

Angestrengt versuchte sie, sich genauer an das Bild aus »Anatomie der Roboter« zu erinnern, versuchte sich vorzustellen, wie der Roboter früher einmal ausgesehen haben könnte, als sich das, was Annk für dessen Kopf hielt, beim Ablegen auf den Karren plötzlich bewegte und zu ihr hindrehte. Und obwohl noch viel Erde, Dreck und Sand die genauen Details verschleierten, erkannte sie in diesem Moment, dass sie aus dem Inneren des Kopfes ein menschlicher Schädel anstarrte.

Annk zuckte zusammen und erstarrte, als ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Sie spürte, wie ihr trotz des warmen Tages eine Gänsehaut ausgehend von ihrem Rücken über den ganzen Körper kroch.

»Das ist ein Roboter«, flüsterte sie mehr zu sich selbst als zu den anderen. »Ein Roboter mit einem toten Menschen drin!«

Dann wurde aber auch schon von Mallory und dem alten Brun etwas über das Ding hinübergelegt, das ihr die Sicht auf den Schädel nahm.

»Wir bringen es zur alten Scheune!«, hörte sie ihren Vater rufen.

Einen Moment später setzte sich der Karren auch schon in Bewegung und der Roboter oder der Mensch oder was immer es auch sein mochte, wurde von den Erwachsenen abtransportiert.

»Habt ihr das auch gesehen?«, fragte plötzlich Runa und Annk konnte deutlich an ihrer Stimme hören, dass auch sie von dem Anblick des Toten schockiert war.

»Ich glaub da war ’ne Leiche drin!«, rief nun William aufgeregt. Und daraufhin fingen alle an, durcheinanderzurufen und sich gegenseitig mit wilden Spekulationen zu überbieten, während sie dem Karren in Richtung Zentrum nachliefen. Sie verfolgten ihn, bis er in eine der Scheunen gebracht wurde, wo er von den Erwachsenen begutachtet werden konnte.

»Ihr bleibt schön draußen!«, knurrte der alte Brun und versperrte mit seinem drahtigen Körper den Eingang zur Scheune.

»Wir wollen auch sehen, was es ist!«, beschwerte sich William.

»Ja, genau!«, rief Layke.

»Das ist nichts für Kinder«, befand der Alte, zog etwas mühsam die schwere Scheunentür zu und ließ die Kinder davor stehen.

Die Kinder aber waren neugierig und ließen sich davon nicht abhalten. Obwohl sie nicht in die Scheune hinein durften, wussten sie schon bald, dass es sich um eine Kampfrüstung der Früheren handelte, die außerordentlich gut erhalten war, und dass in dieser Rüstung noch der Leichnam des toten Soldaten steckte.

Damit war die Sache aber noch nicht zu Ende, denn noch am gleichen Tag fingen die Erwachsenen an, den gesamten Bereich um den Fundort herum umzugraben. Nein, nicht nur umzugraben, sondern regelrecht auszuheben. Annk wusste nicht, was vor sich ging, und sprach daher ihren Vater abends darauf an, als dieser erschöpft von den vielen Ereignissen schließlich nach Hause kam.

»Das Artefakt ist außergewöhnlich gut erhalten und du weißt ja mittlerweile sicher auch, dass es ein militärisches Exoskelett der Früheren ist«, erklärte er ihr in seiner ruhigen Art.

»Ja«, antwortete Annk. »Ich dachte erst, es wäre ein Roboter.« Sie hatte sich sofort nach dem Fund die »Anatomie der Roboter« aus der kleinen Bibliothek des Refugiums geschnappt und sie zusammen mit den anderen eifrig durchgeblättert. Die Kampfrüstung, war dort zwar nicht zu finden gewesen, wohl aber eine Art Arbeitsskelett, mit dem die Menschen früher schwere Arbeit verrichtet hatten und das der Rüstung recht ähnlich war. »Aber dann habe ich den Schädel gesehen.« Wieder erschien das Bild vor ihren Augen und sie schauderte.

»Ja, damals im Krieg waren zwar nicht viele Soldaten an der Front. Aber die, die dort im Einsatz waren, trugen solche Rüstungen. Und dieselben wurden dann zu ihrem Grab.« Er seufzte, wie um zu unterstreichen, wie sinnlos das alles in seinen Augen war.

»Aber was sucht ihr dann jetzt noch? Meint ihr, da liegen noch mehr von den Dingern herum?«, wollte Annk wissen.

»Wir haben uns das Exoskelett genau angesehen. Er ist gut erhalten, nur ein Bein ist beschädigt. Außerdem vermuten wir, dass ein spezielles Teil der Rüstung fehlt. Oder sagen wir mal, wir hoffen.«

»Wie meinst du das? Was genau fehlt denn?«, fragte Annk neugierig.

»Ich kenne mich mit den Dingern auch nicht so gut aus. Aber es ist wohl ein elektronisches Gerät. Wir vermuten, dass es an dem Anzug befestigt war, im Kampf verloren ging und jetzt vielleicht noch in der Nähe herumliegt. Vielleicht aber auch nicht. Wir wissen ja nicht, was damals passiert ist. Vielleicht hatte er das Gerät gar nicht dabei oder es liegt ganz woanders. Wer weiß das schon? Wir suchen ein wenig, aber wenn wir es nicht finden … auch egal. Die Rüstung ist jetzt schon viel wert.«

Annk beschlich bei den Worten ihres Vaters das ungute Gefühl, dass das fehlende Teil möglicherweise das Artefakt sein könnte, das sie selbst zuvor gefunden und ausgegraben hatte und das jetzt sauber und gut versteckt in ihrem Zimmer unter der Kommode lag. Bei dem Gedanken daran wurde sie innerlich sehr unruhig. Sollte sie es ihrem Vater erzählen? Schließlich schien es ja ein wichtiger Bestandteil der Rüstung gewesen zu sein. Jedenfalls wichtig genug, um den ganzen Bereich abzusuchen. Jetzt wäre sicher der richtige Moment dafür, es zu beichten.

Ihr Vater würde nicht schimpfen, das wusste sie. Trotzdem fand sie es komisch, da sie ja nun schon so lange gezögert hatte, ihren Fund zu melden. Natürlich könnte sie auch morgen so tun, als hätte sie das Artefakt gerade zufällig gefunden, aber das wäre sicher nicht besser. »Schaut mal, Annk hat das fehlende Teil zufällig gefunden, nachdem wir schon alles akribisch abgesucht haben.« Nein, das wäre zu peinlich.

Abgesehen davon wollte sie einfach nicht, dass ihr Artefakt verkauft wurde. Das war für sie das Entscheidende. Sie selbst hatte es gefunden und sie selbst wollte auch entscheiden, was damit passierte. Also sagte sie nichts und ließ den Moment verstreichen. Das Artefakt blieb weiter ihr Geheimnis.

Einige Zeit später erschienen dann Händler im Refugium. Die Rüstung wurde ihnen umgehend verkauft und brachte dem Refugium auch ohne das fehlende Teil einen satten Haufen Creds ein. Annk jedoch hütete ihr Geheimnis und sagte niemandem auch nur ein einziges Wort. Später, so dachte sie trotzig, wenn sie alt genug wäre, würde sie selbst entscheiden, was mit ihrem Artefakt passierte.

[4 Lukem]

Der Tag begann wie jeder andere. Lukem hätte sich nie im Leben träumen lassen, dass nach diesem Tag sein Leben nicht mehr so sein würde wie früher. Er war dreiundzwanzig Jahre alt, hatte braunes, kurz geschnittenes Haar und braune Augen und sah nicht überdurchschnittlich gut, aber auch nicht besonders schlecht aus, jedenfalls wenn man nach den Mädchen in Mooshap ging.

In seiner Freizeit streifte er mit seinem besten Freund Joby durch die Gegend. Insbesondere die großen Wälder, die es um Mooshap gab, hatten es ihnen angetan. Dabei fühlte er sich wohl und lernte viele Dinge auf seine ganz eigene Weise, nämlich indem er aufmerksam beobachtete und ganz genau hinsah, was um ihn herum passierte.

Die Wälder waren so mit der Zeit Lukems und Jobys zweiter Heimat geworden und sie kannten sich dort aus wie niemand sonst in Mooshap oder vielleicht sogar wie niemand sonst in ganz SouthCity. Das Zwitschern der Vögel, die Spuren der Tiere, die Arten von Pflanzen und wo und wie sie wuchsen, gaben ihnen zu jeder Zeit Hinweise darüber, wo im Wald sie waren und was gerade um sie herum passierte. Und das war wichtig, denn es war nicht ganz ungefährlich, einfach so durch die riesigen Wälder zu streifen.

»Achtung, Joby, hier ist es rutschig!«

»Alles klar! Danke.«

Lukem rutschte einen bemoosten Felsen herunter und landete geschickt auf der Sandfläche, die sich an dessen Fuß gebildet hatte, kurz bevor die Böschung weiter steil abfiel. Einen Moment später erschien Joby auch schon neben ihm.

Sie verschnauften nach ihrer kleinen Kletterpartie und betrachteten die Aussicht, die sich ihnen nun bot. Von hier aus blickten sie über eine Lichtung in eine Talsenke hinab, die in früheren Zeiten durch einen Fluss in die Landschaft gegraben worden war. Ein atemberaubender Ausblick.

Sie waren früh losgezogen, wollten mal wieder richtig draußen sein und die Natur auf sich wirken lassen. Und sie wurden nicht enttäuscht. Es war ein herrlicher Morgen, der Himmel war von einem kristallklaren Blau und dünne Nebelschwaden hingen noch in den Schatten der Bäume. Die Sonne schickte ihre Strahlen schräg über die Baumwipfel hinweg und verwandelte die Szenerie in ein kontrastreiches Spiel aus Schatten und Licht. Sie schwiegen und ließen die friedliche Stille auf sich wirken, in der nur das morgendliche Konzert der Vögel und das Rauschen der Blätter im Wind zu vernehmen war.

»Was riecht hier so, Joby?« Ein herber Geruch stieg unvermittelt in Lukems Nase.

»Das bist doch du!« Joby grinste ihn an.

»Haha. Nein, im Ernst. Das sind Wölfe.« Schon scannten seine Augen die Umgebung ab. Dort! Er lief zu einer Stelle keine drei Meter von ihm entfernt und ging in die Hocke. »Joby, hier sind Wolfsspuren!«

»Hier sind auch welche!«, bestätigte Joby, der nun an einer anderen Stelle ebenfalls den Boden betrachtete.

»Wir müssen aufpassen, schließlich wollen wir sie nicht verärgern. Es scheint so, als hätten sie ihr Revier ausgeweitet.«

»Oder es hat sich ein neues Rudel gebildet.«

»Ja, könnte auch sein. Jedenfalls, als wir das letzte Mal hier waren, gab es noch keine Hinweise auf ihre Anwesenheit. Das hätten wir sicher bemerkt.«

Das Wegbleiben der Menschen hatte dazu geführt, dass sich große Raubtiere wieder ungehindert ausbreiten konnten. Wenn man genau hinschaute, konnte man die Spuren dieser Jäger überall entdecken. Manchmal konnte man sie auch direkt erspähen, wie sie durch die Wälder streiften oder sich im Schatten von Felsen oder Bäumen ausruhten. Aber sie ließen die Menschen normalerweise in Ruhe, denn es gab genug Beute, sodass sich Raubtiere und Menschen meistens nicht in die Quere kamen.

Nur selten gab es Zwischenfälle, bei denen Wölfe Schafe oder andere Nutztiere der Menschen erbeutet hatten. An direkte Angriffe auf Menschen in SouthCity konnte Lukem sich nicht erinnern. Trotzdem waren Joby und er bei ihren Streifzügen immer auf der Hut und wenn sie Anzeichen dafür entdeckten, dass Raubtiere in ihrer Nähe waren, gingen sie ihnen lieber aus dem Weg. Und sie vermieden es, sich nachts alleine und ungeschützt in den Wäldern aufzuhalten.

»Wir gehen den anderen Weg zum Block, sicher ist sicher«, schlug Lukem vor.

»Was? Aber der ist doch viel länger«, jammerte Joby und verzog dabei das Gesicht.

»Schwächelst du etwa schon? Ich finde den anderen Weg sowieso viel schöner und wir sind ihn schon lange nicht mehr gelaufen.«

»Hast ja recht.« Joby seufzte. »Und wir wollten ja draußen sein. Aber finden wir ihn denn auch? Vielleicht sind unsere Markierungen nicht mehr zu sehen.«

»Ein guter Grund, sie zu erneuern!«

In den weitläufigen Wäldern konnte man sich sehr leicht verlaufen. Um sich zu orientieren, musste man jederzeit wissen, wo die Himmelsrichtungen waren, und markante Stellen erkennen. Man musste sich merken, wie lange man in welche Richtung gelaufen war und daraus schließen, wo in etwa man sich befand. Lukem und Joby hatten in dieser Beziehung schmerzhaft Lehrgeld bezahlt. Lukem erinnerte sich noch lebhaft daran, dass sie einmal fast zwei Tage lang durch den Wald geirrt waren, bis sie sich wieder zurechtgefunden hatten. Seitdem brachten sie entlang ihrer Wege gewissenhaft Markierungen an.

Die meisten ihrer Wege führten zum Block, zu dem sie auch diesmal unterwegs waren. Der Block war eine heruntergekommene Ruine der Früheren, die ganz versteckt und tief in den Wäldern südöstlich von Mooshap verborgen lag. Trash natürlich! Und er war ihr Geheimnis. Sie hatten niemals auch nur einer Menschenseele gesagt, dass sie hier heimlich ihre Zeit verbrachten, obwohl es für Kinder und Jugendliche natürlich verboten war, die alten Ruinen der Früheren zu betreten. Aber das war ihnen egal, denn der Dorfalltag versprach wenig Abenteuer.

Der Block hatte eine Grundfläche von circa fünfzig mal fünfzig Metern und lag am Fuße einer Ansammlung von massiven Felsen aus Karstgestein, wie es sie in der Gegend häufiger gab. Der Block hatte ursprünglich aus mit Stahlstreben verstärktem Beton bestanden, war aber vermutlich im Krieg stark beschädigt worden und mit der Zeit dann auch komplett in sich zusammengefallen.

»Hast du denn auch die Farbe dabei?«, fragte Joby.

»Na klar, immer dabei!« Lukem griff über die Schulter und klopfte auf seinen Rucksack. »Und hast du auch genug Taschen für all die Schätze, die wir diesmal am Block finden werden?«

»Na klar, du alter Trasher!« Joby grinste ihn an. »Schließlich will ich alles auf dem Suuk verkaufen und richtig Creds abräumen!«

Das war ein gängiger Scherz unter den Jugendlichen in Mooshap, denn viel war normalerweise nicht zu holen. Zum Zeitvertreib suchten fast alle nach brauchbaren Überresten der Früheren, um sie auf einem der Märkte zu verkaufen. SouthCity befand sich südlich des Agglomerats, ein gutes Stück entfernt von dessen sich wie Tentakel ins Land hinausstreckenden Ausläufer. Doch obwohl hier nicht so viel los war gab es einen kleinen Suuk in der Nähe von Gondhap, genau an der nördlichen Grenze von SouthCity. Hier wurde alles nur Denkbare, aber auch Trash gehandelt. So hatten sie sich schon das ein oder andere Kleingeld hinzuverdient.

Durch ihre Entdeckung des Blocks hatten sie in dieser Hinsicht richtig Glück gehabt. Dort waren sie, um Trash zu suchen, schon oft zwischen den vielen Betonresten herumgeklettert, während sie überlegten, was es mit dem Block wohl einmal auf sich gehabt haben mochte. Neben undefinierbaren Müll oder Wrackteilen aus Metall oder Kunststoff hatten sie dabei das eine oder andere Mal sogar noch funktionierendes Werkzeug gefunden.

»Da waren wir auch schon länger nicht mehr«, stellte Lukem fest.

»Stimmt. Wenn wir wieder in Mooshap sind, fragen wir Ginger und Roonie, ob wir zusammen mal wieder beim Suuk Temple vorbei schauen sollen. Was meinst du?«

»Gute Idee, ich vermisse das Treiben auf den Suuks. Und vor allem das Essen!«

»Ja, Tajagi macht die besten Snipsticks in ganz SouthCity und wahrscheinlich auch im ganzen Agglomerat!«, schwärmte Joby.

»Umm … Hör auf, mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen.«

Neben den kulinarischen Köstlichkeiten und dem kleinen Zuverdienst waren für die Jugendlichen aus Mooshap die Besuche auf den Suuks selbst auch ein Gewinn. Hier gab es Werkzeuge, Geräte, Metall- und Plastikteile aller Art, Motoren und Teile davon, Elektro- und Computerschrott. Es gab aber auch noch funktionierende Computer, die man benutzen konnte, alte Roboter, die man bestaunen konnte, Bücher, die man durchblättern konnte, Kleidung, die man anprobieren konnte, und zahllose andere Kuriositäten der Früheren, die feilgeboten wurden. Sie konnten sich das meiste davon zwar nicht leisten, aber anschauen, ausprobieren und mit den Händlern, den sogenannten Tradern, drüber reden war erlaubt und das reichte oftmals schon, um die Dinge besser zu verstehen. Hier konnte Lukem begierig all das Wissen aufsaugen und in sein außergewöhnliches Gedächtnis aufnehmen, was man über die alte Technik der Früheren wusste und was nicht in den Unterweisungen gelehrt wurde.

»Falls du jetzt schon daran denkst, dich über unseren Proviant herzumachen … den gibt es erst am Block.«