World of Warcraft: Traveler. Das leuchtende Schwert - Madeleine Roux - E-Book

World of Warcraft: Traveler. Das leuchtende Schwert E-Book

Madeleine Roux

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Beschreibung

Ein neues Abenteuer in der Welt des weltbekannten Computerspiel-Bestsellers »World of Warcraft«.Dunkle Wolken ziehen über Azeroth auf. Mithilfe seines magischen Kompasses muss Aram Dorn die Splitter einer legendären Waffe finden. Das Geheimnis dieses Schwerts scheint ebenso wie das drohende Unheil, das sie abwenden soll, mit seinem Vater Greydon Dorn auf hoher See verschollen zu sein. Doch nicht alle Geheimnisse sollen für immer verborgen bleiben. Das Schicksal von Azeroth liegt jetzt allein in Arams Händen. Der fulminante Abschluss der Traveler-Trilogie endet in einem letzten Gefecht zwischen Gut und Böse: Wird Aram es schaffen, Azeroth vor der ewigen Dunkelheit zu bewahren?Alle Bände der Traveler-Serie:World of Warcraft: Traveler (Band 1)World of Warcraft: Traveler. Die Goblin-Stadt (Band 2)World of Warcraft: Traveler. Das leuchtende Schwert (Band 3)Mit vielen Illustrationen von Brandon Dorman.Offiziell lizensiert durch Blizzard Entertainment.

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Seitenzahl: 456

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Madeleine Roux

World of Warcraft: Traveler. Das leuchtende Schwert

Aus dem Englischen von Andreas Kasprzak

Mit Illustrationen von Brandon Dorman

FISCHER E-Books

Inhalt

Kapitel 1 Neue UferKapitel 2 Leicht angebratenKapitel 3 VerschnaufpauseKapitel 4 Die AussichtKapitel 5 Abendessen mit DruidenKapitel 6 Böse OmenKapitel 7 Unerwartete VisionenKapitel 8 Das Band durchtrennenKapitel 9 SilberleinKapitel 10 GefährtenKapitel 11 GeständnisseKapitel 12 Der WeberpassKapitel 13 BuschKapitel 14 HinterhaltKapitel 15 Blut und BedauernKapitel 16 Das OpferKapitel 17 Abschied von einer FreundinKapitel 18 Murkys WehklagenKapitel 19 Freund oder FeindKapitel 20 Das verlorene ParadiesKapitel 21 Unerwartetes WiedersehenKapitel 22 Abschied von der AussichtKapitel 23 Nach SeenhainKapitel 24 Familie WaldwiesKapitel 25 SplitterträumeKapitel 26 Der DunkelsturmKapitel 27 DrachenjagdKapitel 28 TelagosKapitel 29 Bittere WahrheitenKapitel 30 Valgrimms GeheimnisKapitel 31 TrrrnsprrrglKapitel 32 Das Geschenk der DryadeKapitel 33 Verzweifelte BündnisseKapitel 34 Einmarsch in die ScherbenweltKapitel 35 Hilfe und VerratKapitel 36 Die Macht des LichtsKapitel 37 Galenas RacheKapitel 38 BrüderKapitel 39 Sieben werden einsEpilogDanksagung

Kapitel 1Neue Ufer

Er hatte von zu Hause geträumt, von Seenhain – oder zumindest glaubte er, dass er davon geträumt hatte. Im einen Moment war er im Laden seines Stiefvaters und beobachtete, wie die Esse rot und heiß glühte, im nächsten züngelten Flammen an ihm hoch, die aus schwarzen Ranken kamen, ihn packten und ihm die Arme an den Körper fesselten.

Und als wäre das nicht schlimm genug, sah Aramar Dorn einmal mehr in die verzerrte, grausame Miene des Mörders, der seinen Vater auf dem Gewissen hatte – des hassenswertesten Mannes von ganz Azeroth: Malus, Kapitän der Unausweichlich. Er knurrte Aram an, war so dicht vor ihm, dass man den Schweiß riechen konnte, der von seiner Stirn tropfte. Arams Mutter hatte immer gesagt, dass sich das Böse im Inneren einer Person in ihrem Äußeren widerspiegelte, und so war es bei Malus, dessen einst so nobles Gesicht sich verzog und dessen Augen und Lippen allein zu einem hämischen Grinsen imstande zu sein schienen. Sie konnten nichts als Verachtung ausdrücken.

Er wollte den magischen Kompass, den Aram um den Hals trug, und er würde vor nichts haltmachen, um ihn zu bekommen, nicht einmal davor, unaufgefordert in Arams Träume hineinzuplatzen.

»Ich habe dir mehr als eine Chance gegeben, Junge. Das hast du dir selbst eingebrockt. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm«, sagte er, seine Stimme ein tödliches Wispern.

Es fühlte sich genauso an wie seine Erinnerung daran, wieder in Gadgetzan zu sein, in Winifreds Haus, gefangen von furchteinflößender Magie. Er hatte sich nicht bewegen, nicht atmen können, war ganz allein und verzweifelt gewesen, hatte gewusst, dass jeder Moment der letzte sein könnte. Aram versuchte, nach seinem Säbel zu greifen, aber dann fiel ihm ein, dass die Waffe gegen diese dunkle Energie nutzlos war, also streckte er die Hand stattdessen nach dem Griff des unvollständigen Kristallschwerts aus, das unter seinem Gürtel steckte. Er tastete danach und keuchte. Der Schwertgriff war nicht mehr da. Wie konnte das sein? Jetzt war er wirklich hilflos …

Diesmal war das Licht nicht da, um ihn zu retten. Diesmal gab es nur Malus und seine riesigen Hände, die sich langsam näher schoben, um Aram zu entreißen, was ihm am allerwichtigsten war – die eine Sache, die er zu beschützen geschworen hatte, für seinen Vater …

»Tick, tack«, zischte Malus. »Deine Zeit ist abgelaufen, Junge.«

Und dann löste sich der Albtraum ebenso schnell auf, wie er gekommen war. Malus zerbarst zu dichtem schwarzem Rauch, und nur ein Abbild seiner Augen blieb noch in der Dunkelheit übrig. Aram spürte Druck auf seiner Schulter, seinem Bauch, und er schrie so, dass er davon wach wurde. Während er noch mit den Armen um sich schlug, starrte er plötzlich direkt in die – deutlich freundlicher blickenden – Augen seiner Schwester, Makasa Flintwill.

Es war, als wäre er wieder zurück auf der Wellenschreiter; da hatte sie ihn auch immer aus dem Schlaf gerissen, begleitet von einem eisigen »Aramar Dorn, beweg deinen Hintern endlich aus dieser Koje!«. Er hatte die Worte so oft aus Makasas Mund gehört, dass sie sich ihm ins Gedächtnis eingebrannt hatten. Doch diesmal schrie sie ihn nicht an. Sie wirkte nicht ungeduldig, nur besorgt, und ihre Brauen waren beunruhigt zusammengezogen.

»Bruder? Wir sind gelandet. Es ist Zeit weiterzugehen.«

»Sicher«, wisperte Aram. »Ich bin gleich so weit.«

»Schlecht geträumt?«, fragte sie und trat zurück, um sich ihre Tasche umzuhängen und noch einmal zu überprüfen, ob sie ihre Waffen und ihre Feldflasche dabeihatte.

»Das kannst du laut sagen«, erwiderte er und verzog das Gesicht. Die anderen waren bereits vorgegangen und hatten den Goblin-Zeppelin verlassen, also packte Aram hastig seine Sachen, obwohl seine Hände noch immer schweißnass waren vor Nervosität. Er konnte den Albtraum einfach nicht abschütteln. Normalerweise träumte er vom Licht, das ihn leitete und schützte, aber jetzt? Hoffentlich war das kein böses Vorzeichen. Andererseits, war es wirklich so seltsam, dass die wilden und nicht selten beängstigenden Ereignisse der letzten Wochen ihn im Schlaf verfolgten? Die meisten Zwölfjährigen hatten Angst, an einem Schultag zu verschlafen oder erwischt zu werden, wenn sie sich hinter Zweigmanns Haus küssten. Aram hingegen – der den zu großen Kapitänshut seines Vaters auf dem Kopf trug, mit einem Säbel in der einen Hand und einem verzauberten Kompass in der anderen – fühlte sich immer weniger wie ein Kind und mehr und mehr wie ein junger Mann.

Vielleicht wurde er gerade wirklich erwachsen. Sie waren inzwischen unglaublich weit von dem Ort entfernt, an dem alles begonnen hatte; in Arams Fall war der Ausgangspunkt dieses langen, weitschweifigen Abenteuers der Wunsch, seinen Vater besser kennenzulernen, aber dieser einfache Plan war aus dem Ruder gelaufen, als der abscheuliche Kapitän Malus ihr Schiff versenkt hatte. Bewaffnet mit seinem getreuen Skizzenbuch, war Aram dem Kompass und den Visionen des Lichts gefolgt, und er hatte sein Bestes getan, die Mission seines Vaters zu vollenden und die über ganz Azeroth verstreuten Splitter der Diamantklinge zu finden und einzusammeln. Diese Aufgabe war von größter Wichtigkeit. Nur war Azeroth sehr groß, so groß, dass es beinahe Arams Verständnis überstieg – ebenso wie die Mission, mit der er betraut worden war, sein Fassungsvermögen überstieg. Dennoch hatte er es bis hierher geschafft. Oder besser gesagt: Sie hatten es hierhergeschafft. Denn wohin es Aram auch verschlug, stets schien er mehr Verbündete zu finden, die ihn bei seiner Sache unterstützten, einschließlich des mächtigen Druiden Thalyss Graueiche, der eines ungerechten Todes gestorben war. Und dasselbe Schicksal drohte Aram und weiteren seiner Freunde, falls sie den Herausforderungen vor ihnen nicht gewachsen waren.

Also straffte er die Schultern und stieg von Bord des Zeppelins. Er würde es vermissen, sich spätabends mit Charnas, einem anderen Künstler, über Zeichentechniken zu unterhalten, aber er war zuversichtlich, dass sein Abschied von dem Goblin nicht endgültig war.

Die Leiter war bereits heruntergelassen, und Aram stieg so schnell hinab, wie es eben ging, wenn man all seine Sachen balancieren musste und versuchte, dabei noch seine Würde zu wahren. Als er unten ankam, stand er mit dem Rücken zum Meer. Im Norden und Osten erstreckte sich geschwärztes Terrain bis zu einem Tal, im Süden erhoben sich Berge. Dies war die Landschaft, die sie nun erwartete, und während er sie betrachtete, geriet sein Optimismus ein wenig ins Wanken.

Das Verbrannte Tal war … na ja, verbrannt, und von dem Moment an, in dem sie Gazlowes Zeppelin, die Wolkenwirbler, verließen, spürte Aramar Dorn, wie Rauch und Asche in seiner Lunge brannten.

Aber was hast du denn erwartet?, dachte er und schnaubte. Die anderen wirkten nicht gerade erfreut, dass sie diese versengte und schwarze Landschaft durchqueren mussten, aber Aram tat sein Bestes, sich auf das Positive zu konzentrieren. Die schwelenden Hügel vermittelten eine harte, brutale Schönheit, und die noch immer glühende Asche stellte einen krassen Kontrast zu dem verbrannten Land dar. Es würde nicht leicht sein, das in einer Zeichnung festzuhalten oder auch, mit welcher Ehrfurcht dieser Ort einen erfüllte, aber das war nun mal die Aufgabe eines Künstlers – er musste es zumindest versuchen.

Er stand noch immer auf dem ansonsten unberührten Sand, und seine Stiefelspitzen berührten das geschwärzte Gras, das den brennenden Wald bedeckte. Ascheerfüllter Wind zerzauste ihm das Haar; er war trocken und heiß, aber dennoch schauderte Aram. Makasa, seine größere, mutigere Begleiterin und Wahlschwester, stand neben ihm und stieß nun einen langen, leisen Pfiff aus. Sie spielte abwesend mit der Kette, deren Glieder sich vor ihrem Oberkörper überkreuzten, dann kratzte sie an einer neu verschorften Stelle an ihrem Unterarm.

»Wir sind definitiv nicht mehr in Feralas«, murmelte sie.

So viel war sicher. In jenem Regenwald waren sie verlassen und gejagt worden und beinahe verhungert, aber zumindest hatte es Regen gegeben. Trotzdem, vielleicht würde es ja gar nicht so schlimm werden. Immerhin könnten sie Feinde hier schon aus einer Meile Entfernung sehen; das war mehr, als man von einem dichten, dunstigen Dschungel behaupten konnte.

Das Luftschiff, das hinter ihnen in der Luft schwebte, richtete seine spitze Nase tuckernd nach Norden aus. Gazlowe, der kleingewachsene grüne Goblin-Ingenieur, den Aram inzwischen sehr bewunderte, schritt mit einem Seufzen über den Strand auf sie zu und streckte die Arme über den Kopf. Der Rest der Mannschaft blieb an Bord, ein eindeutiges Zeichen, dass sie nicht lange bleiben würden.

»Alles in Ordnung, Junge?«, krächzte Gazlowe fröhlich. Natürlich war er fröhlich. Ihm stand ja auch kein zweitägiger Marsch durch einen verbrannten Wald bevor. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und klopfte Aramar auf den Rücken. »Da wären wir also: das Verbrannte Tal. Nicht übel, hm?«

Drella, ihre ewig ehrliche Dryaden-Begleiterin, wickelte ein paar Strähnen lockiges blaugrünes Haar um ihren Finger und zog die Nase kraus. »Das ist … mehr als übel. Diese Bäume … die Tiere … alles leidet. Ich kann kaum hinsehen.«

»Ich dachte, alles stirbt irgendwann«, sagte Makasa. Sie schmunzelte, während sie Drella die Worte entgegenhielt, die die Dryade selbst so gern benutzte.

»Ja«, erwiderte Drella, und ihre Mundwinkel verzogen sich. »Aber nicht so langsam.«

»Ach, das hatte ich ja ganz vergessen, du und dein Natur … Dingens«, sagte Gazlowe mit einem Schulterzucken. Er meinte das tiefe druidische Band zwischen Drella und Azeroth mitsamt all seinen Kreaturen. Das war mehr als nur ein Natur-Dingens. »Ich bin sicher, du gewöhnst dich dran. He! Immerhin werdet ihr nicht erfrieren. Und ein Feuer fürs Abendessen zu machen, dürfte auch ein Kinderspiel sein.«

Niemand reagierte auf seine Scherze.

»Wie auch immer.« Gazlowe streckte sich erneut und ging um die Gruppe herum, bis er vor ihnen stand. Er zischte unvermittelt und rieb sich den Hintern, der offenbar von einem herabschwebenden Funken versengt worden war. »Wie gesagt, weiter können wir nicht. Spross und ich müssen zurück. Die Mechanische Entwicklergilde von Azeroth wird den Wettbewerb für niemanden pausieren, sei es nun ein Mensch oder ein Ingenieur oder ein Goblin.« Er zwinkerte, aber nur Drella erwiderte die Geste. Mit einem Husten bot Gazlowe Aram die Hand an, und als der Junge danach griff, schüttelte er sie fest. »He, Kleiner, falls du mich je brauchen solltest – und du genug Geld oder einen profitablen Geschäftsvorschlag hast –, melde dich.«

»Sicher, Gazlowe«, erwiderte Aram mit einem schwachen Lächeln. »Dauert bestimmt nicht lange.«

»Schon gut, schon gut! Genug Nettigkeiten. Bis zur Aussicht von Thal’darah habt ihr noch einen langen Weg vor euch.« Gazlowe schüttelte Arams Hand noch ein letztes Mal, dann schob er sich zwischen den Abenteurern hindurch. Sie machten ihm Platz und wandten sich um, damit sie den Abflug des Goblins beobachten konnten. Einige Mitglieder seiner Mannschaft, einschließlich Spross und Charnas, hatten sich am Geländer der Wolkenwirbler versammelt und winkten. Aber taten sie es, weil sie die Gruppe aufmuntern wollten oder weil sie sich freuten, wieder von hier zu verschwinden? Aram war sich da nicht sicher.

»Halt die Ohren steif, Junge!«, rief Gazlowe, während er einen regelrechten Freudensprung auf die Leiter machte, die hoch zum Zeppelin führte. »Bleibt zusammen. Ihr seid eine gute Mannschaft.«

Aramar Dorn winkte und nickte ihm zu. Ja, er hatte eine gute Mannschaft. Eine verlässliche Mannschaft. Sie hatten so viel durchgemacht: Piratenangriffe, Gladiatorenkämpfe, Schlachten, Rennen, noch mehr Gladiatorenkämpfe … und sie hatten überlebt. Mit einem Mal fühlte er sich alt und müde, aber dann schüttelte er den Kopf und verdrängte den Gedanken. Es lag noch immer ein langer Weg vor ihnen – und zuallererst mussten sie die Aussicht von Thal’darah erreichen und ihr Versprechen Drella gegenüber einlösen. Die Wolkenwirbler hüllte sie in einen warmen, salzigen Windhauch, als sie mit surrenden und tuckernden Maschinen davonflog.

Aram lief zu Makasa hinüber, die so tat, als würde sie ihre Tasche zurechtrücken, während sie nervös zum Himmel hochblickte. »Alles in Ordnung?«, fragte er.

»Ich bin nicht sicher, ob wir Malus wirklich abgehängt haben«, sagte sie, die Hand erhoben, um ihre Augen abzuschirmen, während sie den Abflug des Zeppelins verfolgte.

»Falls wir Glück haben, sucht er noch immer auf dem Meer nach uns. Die Krustazee sollte uns ein wenig Zeit verschaffen.« Nur wie viel Zeit, das konnte er nicht sagen. Makasa schien seine Gedanken zu lesen. Sie kratzte sich am Kinn.

»Wir hatten auf der Wolkenwirbler jede Menge Gelegenheit, uns auszuruhen. Jetzt ist es Zeit, unsere Sohlen weiter abzulaufen.« Motiviert hob sie die Hände und musterte die Gruppe, die in einem Halbkreis vor ihr versammelt war: Ganz links stand Murky, der Murloc, der seine neuen, heißgeliebten Netze wie eine Weste trug; daneben Hackel, der Gnoll, mit seiner Keule über der Schulter; in der Mitte dann Drella, eine unwahrscheinlich mächtige Dryade; und auf der anderen Seite Aram, der ungeduldig darauf wartete, dass seine Schwester ihre Ansprache fortsetzte.

»Verzeihung!«, meldete sich Drella zu Wort, ihre Stimme melodisch, aber fordernd. Sie war dabei, sich in eine ältere, etwas zahmere Version der grellen Halb-Elfen-Halb-Rehkitz-Erscheinung zu verwandeln, die sie anfangs gewesen war. Für die Dryade ging der Frühling gerade in den Sommer über, auch wenn es für die anderen die ganze Zeit schon Sommer war. Es war eine Eigenheit der Dryaden, die Aram nur langsam zu verstehen begann. Ungeachtet der trostlosen Ödnis des verkohlten Waldes hatte ein Schmetterling Drella gefunden, und nun landete er sanft auf ihrem Kopf. Sie lachte und ließ ihn gewähren. »Oh! Ein Freund.«

»Ist es wichtig?«, fragte Makasa, die sich den Nasenrücken massierte.

»Natürlich ist es wichtig! Wenn ich mich nur daran erinnern könnte. Hmm …«

Makasa stöhnte.

»Gib ihr eine Chance«, murmelte Aram, was seine Schwester nur noch weiter irritierte. Augenverdrehen war bei ihr strikt verboten, aber jetzt brach sie sogar ihre eigene Regel, um zu demonstrieren, was sie von Arams nachsichtigem Verhalten der Dryade gegenüber hielt.

»Ah, jetzt weiß ich es wieder!« Drella tat so, als würde sie den Gedanken einfangen und ihn zurück in ihren Mund stecken. »Als ich eine Eichel war, hat Thalyss mir viele Geschichten über die großen Helden der Vergangenheit erzählt und darüber, wie sie alle gute und wahre Namen hatten, die ihre guten und wahren Taten widerspiegelten. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir unsere eigenen wahren Namen wählen. Namen, die uns wirklich beschreiben.«

Makasa stöhnte erneut. »Drella …«

»Seht nur, wie weit wir gekommen sind. Wir haben den Knochenhaufen überlebt und die Donnerkuppel, wo ich Taryndrella die Beeindruckende wurde, die Tochter des Cenarius, aber das wisst ihr natürlich alle! Und du« – sie deutete auf Murky, der gurgelnd zu ihr hochblickte, während eine Spuckeblase zwischen seinen Lippen hervorwuchs – »bist Murky der Ungestochene! Weil du immun gegen das Gift des Skorpids bist! Gut, oder?«

»Mrgle, mrgle, Drhla«, stimmte der Murloc ihr zu.

»Drella.« Makasa sah aus, als wäre sie kurz davor, jemanden umzubringen.

»Und du!« Sie deutete auf Hackel, der seinen pelzigen Kopf schräg legte. »Du bist Hackel der Rächer!«

Damit spielte sie auf den Triumph des Gnolls über Marjuk, den Oger, an – einen furchteinflößenden Feind, dem viele von Hackels Artgenossen beim Waldpfoten-Clan zum Opfer gefallen waren.

»Und Aram ist Aramar Dorn der Lichtkämpfer!«

Er konnte nicht anders, als zu nicken, und er war froh, dass Makasa davon abgesehen hatte, ihn umzubringen, bevor er seinen neuen ›guten und wahren‹ Namen zu hören bekommen hatte. Der Name hatte seinen Ursprung in einem ihrer seltsameren Abenteuer in Gadgetzan, bei dem Aram nur mit knapper Not dem Tod durch seinen Erzfeind Malus entgangen war. Gefangen von Ranken schwarzer Magie hatte er den Griff der Diamantklinge geschwungen, um die Magie zu brechen und sich in Sicherheit zu bringen. Die Klinge hatte ihm damals gute Dienste geleistet, aber in seinen Albträumen konnte er leider nicht auf eine solche Waffe des Lichts zurückgreifen; dort fühlte er sich einfach nur schrecklich verwundbar …

»DRELLA.« Makasa schnaubte, was nie ein gutes Zeichen war.

»Du bist Makasa die Binderin!«, trällerte Drella unbeeindruckt, während sie auf ihren Rehbeinen um Makasa herumging. Der Schmetterling flatterte von ihrem Haar hoch und landete auf Makasas Unterarm … nur um eine Sekunde später zu buntem Staub zerquetscht zu werden. Drella schien es aber nicht mitzubekommen, denn sie tänzelte weiter umher und sang dabei leise vor sich hin.

»Die Binderin?« Makasa verzog das Gesicht, und selbst die Narben auf ihrer Stirn und ihrer linken Wange krümmten sich. Hackel setzte zu dem hohen, hysterischen Lachen an, das so typisch für ihn war, aber er verstummte rasch wieder, als Makasa ihm einen Blick zuwarf. »Aramar ist der Lichtkämpfer, und ich bin die verfluchte Binderin?«

»Ja! Die Binderin – weil du uns alle zusammenhältst. Du bist wie Kleber! Nur stärker! Stärker als Kleber.«

Das ließ die junge Frau innehalten, so hochgewachsen und muskulös und wild sie auch war. Aramar wusste, wenn es eine Sache gab, die seine Schwester aus dem Konzept bringen konnte, dann waren es ernst gemeinte Gefühle. Wenn er es zum Beispiel wagte, das Wort »Schwester« laut auszusprechen, gab sie seinen Bitten in der Regel nach.

»Na schön. Wundervoll. Ich bin die Binderin.« Makasa wischte die Überreste des Schmetterlings von ihrer Hand, bevor die Dryade sie sehen konnte. »Darf ich jetzt endlich was sagen?«

Alle schwiegen, sogar Drella. Sie hatte ihren Willen bekommen und allen ihren guten und wahren Namen geben dürfen; das schien ihr zu reichen.

»Wir haben uns ausgeruht und gestärkt«, erklärte Makasa. Die Wolkenwirbler war bereits wieder hoch über ihnen, und das laute Surren der Maschinen wurde immer leiser, während der Zeppelin Gazlowe, Charnas und Spross zurück zu ihrem MEGA-Wettbewerb trug. »Ich halte es für das Beste, wir machen nur einmal Rast, während wir das Tal durchqueren. Es wird schwer und mühsam, aber ich bin sicher, keiner von uns möchte länger hier sein als unbedingt nötig.«

»Das sehe ich auch so«, sagte Aram und nickte. Aus zusammengekniffenen Augen blickte er zu dem Rauch hinüber, der hinter Makasa emporstieg, dann schnitt er eine Grimasse. »Bindet euch etwas vor den Mund. Wir sollten nicht diesen ganzen Qualm einatmen.«

»Aram hat recht.« Diese Worte aus dem Mund des älteren, erfahreneren Mädchens zu hören, erfüllte Aram jedes Mal mit Stolz. Lange Zeit – lange, lange Zeit – hatte er sich nicht vorstellen können, dass sie je so etwas sagen würde. Das war damals auf der Wellenschreiter gewesen, als sie ihn noch wach gerüttelt oder mit einem Tritt hochgeschreckt hatte. Doch jetzt gingen er und Makasa Schulter an Schulter, und sie zogen sich die Hemden über die Münder, um sich in den verkohlten, rauchenden Hinderniskurs vorzuwagen, der zwischen ihnen und der Aussicht lag.

Zu Arams Überraschung setzte sich der kleine grüne Murky raschen Schrittes an seine Seite, und seine flossenartigen Füße klatschten auf den aschebedeckten Boden, während er neben ihm dahinmarschierte.

»Mrgle, nk teergle, slorlem n Murky Tilurgel-gurgel«, erklärte Murky. Er hob seinen kleinen Speer und deutete damit in die Tiefen des Tals.

Die anderen und Aram blickten hilflos zu Drella hinüber, die von ihrem Druidenmentor, dem Nachtelfen Thalyss Graueiche, die Sprache der kleinen Kreatur erlernt hatte.

»Er sagt, ja, wir sollten uns beeilen.« Drella folgte dem Murloc dichtauf, und sie blieb nicht stehen, während sie übersetzte. Stattdessen beugte sie sich vor und hob Murky hoch, damit er auf ihrem Rücken reiten konnte und seine nackten Amphibienfüße vor der Hitze des Bodens verschont blieben. »Wir sollten uns beeilen, weil sein guter und wahrer Name ansonsten bald Murky der leicht Angebratene, lauten wird.«

Kapitel 2Leicht angebraten

Makasa beobachtete, wie ihre Begleiter die Köpfe gefährlich tief hängen ließen. Nach sieben Stunden Fußmarsch durch die trostlose schwarze Weite des Verbrannten Tals war ihre Moral so weit gesunken, dass man sie aus der rauchenden Erde unter ihren Füße hätte ausgraben müssen, wäre sie greifbar gewesen. Sie schleppte sich weiter, atmete nur, wenn es sein musste, und kniff die Augen gegen die brennende Luft zusammen, die Hände um die Ketten vor ihrer Brust geschlossen, als könnte sie sich an ihnen schneller vorwärtsziehen.

Ihr Blick huschte zu Aram, der nur ein paar Schritte hinter ihr ging. Bislang schlugen er und Hackel sich am besten. Hackels dick gepolsterte Füße und sein Fell schirmten ihn vor der gnadenlosen Hitze ab. Ascheflocken legten sich wie Schnee auf sein fleckiges Fell, und seine unablässig zuckende Nase gab komische pfeifende Geräusche von sich. Arams Schultern sanken zusehends nach unten, aber er marschierte weiter, ohne sich zu beschweren. Makasas wachsamer Blick wanderte weiter zu Drella. Die Dryade war zu einem vertrockneten Baum hinübergetrottet, und obwohl Tränen ihre Augen füllten, war sie hochkonzentriert. Sie streckte eine Hand aus, so dass ihre schlanken Finger die geschwärzte Borke beinahe berührten. Kurz tat sich nichts, dann zuckte ihr ganze Körper, und grüne Ranken mit kleinen Blättern bildeten eine Brücke zwischen der Dryade und dem abgestorbenen Baum. Selbst Makasa ließ sich davon ablenken, als winzige neue Triebe aus den Rissen in der Borke sprossen. Plötzlich schloss Drella die Augen, dann schrie sie und richtete sich auf die Hinterbeine auf. Makasa sog den Atem ein, als das kleinste Mitglied ihrer Gruppe langsam vom fleckigen Rücken der Dryade rutschte.

Das neue Leben, das aus dem Baum wuchs, erstarb und begann, in der grausamen heißen Luft zu qualmen.

Makasa hatte noch immer Kraft in ihren Beinen, und sie rannte los, schlitterte durch die feine, weiche Ascheschicht auf dem Boden und blieb dann direkt neben der Dryade stehen, um Murky aufzufangen, bevor er auf der Erde aufprallte.

»Ist alles in Ordnung mit ihm?« Aram eilte an ihre Seite und wischte Schmutz von der Stirn des Murloc.

»Murky nk blurg mlger.« Seine Augen rollten nach oben, und Drella keuchte.

Dann hustete sie.

»Oh! Ich dachte, ich könnte vielleicht diese Bäume heilen, aber meine Kräfte … ich bin einfach noch nicht stark genug. Und Murky! Er ist so schwach! Jetzt ist er wirklich leicht angebraten.« Sie nahm Makasa den Murloc aus den Armen. Das war Makasa ganz recht; Murky war glitschig und klebrig und nicht gerade angenehm zu halten. Trotzdem konnte sie nicht anders, als mit zusammengezogenen Brauen zu Aram hinüberzublicken.

»Nein«, murmelte Makasa, während Drella versuchte, den erschöpften Murky aufzuwecken. »Wir können nicht schon wieder haltmachen.« Sie drehte sich nach Norden und schauderte. Dunkle Wolken zogen sich dort zusammen, aber sie hingen zu tief über dem Boden, um Regen zu sein. Das war kein natürlicher Sturm, sondern eine seltsame wirbelnde Staubformation. Schlimmer noch, das Tageslicht verblasste, und die hohen gezackten Felsgrate rings um sie herum sahen mehr und mehr wie schwarze Dolche aus, die in den Himmel stachen. Außerdem war da ein weit entferntes Fauchen, das nur Makasa zu bemerken schien, aber es kam stetig näher.

Drachen, dachte sie. Todesboten.

Ihre Fußspuren hinter ihnen waren verschwunden, verschluckt von den ständig wechselnden heißen Winden, die ihr all den Schmutz in die Augen geblasen hatten. Makasa wischte sich über das Gesicht und seufzte. Nachdem sie stundenlang einen Bogen um Drachennester und feurige Risse im Boden gemacht hatten, waren sie alle mit einer dicken Schicht aus Asche bedeckt.

»Und wir können auch nicht umdrehen«, wandte sie sich an ihre Begleiter. »Die Aussicht ist inzwischen sicher näher als die Küste. Außerdem, was sollen wir tun, wenn wir jetzt kehrtmachen?«

Aram rückte seine Tasche zurecht, und Hackel schnüffelte die Luft, bevor er lautstark schnaubte.

»Hackel tragen Murloc«, schlug er vor. »Murloc erholen. Hackel stark, noch nicht müde.«

Doch Makasa konnte die Erschöpfung in der Stimme des Gnolls hören. Götter, sie waren alle mit den Kräften am Ende. Sie konsultierte die Karte vom Luftschiff, aber die Umrisse wollten sich nicht ändern, ganz gleich, wie sehr sie es sich auch wünschte. Die Entfernung blieb dieselbe: ein zermürbender Zwei-Tages-Marsch bis zur Aussicht von Thal’darah. Nach dem ersten Tag sollten sie die Ödnis des Tals hinter sich haben, aber noch waren sie nicht so weit. Drella bettete den schlaffen, zitternden Murloc behutsam auf Hackels Arme, und der Gnoll versuchte, einen Streifen seiner Lederrüstung über das Gesicht der armen kleinen Kreatur zu ziehen.

»Wir müssen weiter«, beharrte Makasa. Die anderen nickten, rührten sich aber nicht. Erneut sah sie zu Aram hinüber, der nervös am Riemen seiner Tasche herumspielte.

Wie um Makasas Worte zu bekräftigen, schnitt ein Chor schriller Schreie durch die unheimliche Stille des Tals. Je länger sie zögerten, desto länger wurden die Schatten ringsum, und Makasa riss an der Kette, um sie von ihrer Brust zu lösen. Anschließend schwang sie die Waffe ein paarmal und wirbelte sie probehalber im Kreis. Die schwelenden Feuer des Tals flackerten und spielten ihren Augen Streiche, aber sie erkannte einen hungrigen Schrei, wenn sie einen hörte. Bei Tageslicht wagten sich die kleinen Drachenjungen vielleicht nicht näher heran, aber dieser Vorteil wäre schnell dahin, wenn ihre größeren Artgenossen erst in den Himmel aufstiegen.

Schwarze Drachen. Sie konnte sich ihre gewaltigen Silhouetten bereits vorstellen, wie sie vor den Monden vorbeihuschten.

»Ich sage es ja nur ungern«, begann sie, während sie an die Spitze der Gruppe marschierte und das Tuch vor ihrem Mund hochzog. »Aber dieser Staubsturm da vorne könnte unsere beste Option sein. Die Drachen können uns nicht schnappen, wenn sie uns nicht sehen.«

»Vielleicht könnte ich die Drachen ja zur Vernunft bringen!« Drella klang so selbstsicher wie eh und je, aber sogar sie war ein wenig ermattet. Nichtsdestotrotz eilte sie zu Makasa vor, und die warme Erde wirbelte unter ihren Hufen hoch. Wie nicht anders zu erwarten, trat Aram neben die Dryade.

»Ich bezweifle, dass das funktionieren wird«, warnte Makasa. »Drachen sind nicht sonderlich gesprächig, weißt du?«

»Das weißt du nicht. Und ganz sicher haben sie noch nie mit jemandem wie mir gesprochen!«, hielt Drella dagegen.

»Jetzt ist nicht der Moment für unnötige Risiken, Drella! Wir verstecken uns im Sturm«, rief Makasa – und keine Sekunde zu spät. Ein weiterer schriller Schrei hallte aus der Staubwolke vor ihnen, und Makasa hätte schwören können, dass er vom Windhauch mächtiger Flügel begleitet wurde.

Der Pfad beschrieb eine Kurve nach Nordosten, auf die Hügel zu, und der brodelnde Wirbel des Sturms schien ihnen auf ihrem Weg entgegenzukommen. Hackel wurde als Erster erfasst, und er gab ein hicksendes Gnolllachen von sich – kein Laut der Belustigung, sondern des Schreckens. Makasa senkte den Kopf und marschierte in den rauen Wind hinein, der ihr Gesicht und ihre Hände wundschliff. Sie weigerte sich, die Kette loszulassen, denn sie war sicher, dass die Drachen ihnen jetzt, wo die Sonne so tief stand, schneller folgen würden. Obwohl sie ihr Gesicht abschirmte, spürte sie Sandkörner im Mund. Ihre Augen brannten, und Tränen rannen ungeniert über ihre Wangen. Aram rief ihr etwas zu, was sie wegen des heulenden Windes nicht verstehen konnte.

»Was?«, brüllte sie zurück. Die Worte schmerzten in ihrem trockenen, rauen Hals.

Es klang, als würde er sagen: »Bär aus!« Aber das ergab keinen Sinn.

Makasa neigte sich zur Seite und stapfte um Drella herum, bis sie Seite an Seite mit ihrem Bruder war. »Sag das noch mal!«

»ÜBER UNS!«

Aram zog den Kopf ein, packte Drella an ihrem schlanken Hals und zog. Doch die Warnung kam einen Sekundenbruchteil zu spät, und Makasa richtete den Blick gerade noch rechtzeitig zum Himmel hoch, um zu sehen, wie ein gewaltiger schwarzer Schatten auf sie herabstieß.

Fauchen und Zähneklacken, der beißende Gestank von Schwefel, das trommelnde Schlagen riesiger ledriger Schwingen … Die Drachen waren gekommen.

In einem Punkt hatte Makasa recht gehabt – die näher kommenden Schreie waren die Vorboten des Todes gewesen. Was den Rest anging, hatte sie sich aber aufs Grausamste geirrt: Der Sturm hielt die Drachen nicht auf Distanz, er machte sie nur noch aggressiver. Das war ihr letzter Gedanke, bevor klauenbewehrte Füße ihr Wams zerrissen und ihre Haut aufkratzten. Dann wurde sie, begleitet von einem lauten Brüllen, in die Luft hochgerissen.

Makasa konnte die Rufe und die Panik der anderen hören. Das Herz schlug wie wild in ihrer Brust, während sie verzweifelt ihre Waffe festhielt, denn der Wind riss ihr die Kette fast aus den Händen. Doch sie weigerte sich loszulassen und wirbelte das Ende nach oben, um ihren Entführer zu erschrecken. Schmerz zuckte durch ihre Schultern, und sie spürte, wie Blut ihr Hemd durchtränkte. Vielleicht würde sie das glitschiger machen. Vielleicht würde der Sturm sie dem Drachen entreißen. Vielleicht, vielleicht, vielleicht …

Der Drache war verdammt stark, und riesig war er auch. Mindestens so groß wie vier Pferde. Es fiel Makasa schwer, zu denken oder sich zu bewegen, trotzdem versuchte sie weiter, die Kette zu der Kreatur hochzuwirbeln. Leider lösten sich dadurch nur ein paar trockene Schuppen. Die Flügel des Drachen schlugen energisch, schienen gegen die Urgewalt des Sturms aber kaum etwas ausrichten zu können, und sie wagte zu hoffen, dass er nicht bis auf gefährliche Höhe über den Boden aufsteigen könnte. Die fliegenden Monster riefen einander schrill und alarmiert zu, dann hörte Makasa ein seltsames Geräusch: Das langgezogene, tiefe Dröhnen eines Horns hallte durch das Tal. Das war definitiv kein Drache. Nein, es klang nach etwas viel Erfreulicherem.

Sie strengte ihre Ohren an, um über das Lärmen der Drachen und das Tosen des Wirbelwinds hinweg etwas zu hören. Auf den Hörnerschall folgte das Geräusch schwerer Schritte – einer ganzen Menge Schritte. Und sie kamen von Norden, aus der Richtung ihres Ziels. Während das Monster in der Luft hing und vergeblich versuchte, sich von den Sturmwinden loszureißen, eilte Hilfe über die Berghänge herab. Drei große Umrisse näherten sich ihnen mit großer Geschwindigkeit, und sie wirbelten selbst einen Sandsturm auf. Makasa hörte die anderen Drachen und Drachenjungen kreischen und davonflattern, aber ihr Entführer zögerte. Ein tödlicher Fehler.

Sie zuckte zusammen, als das Zischen von Pfeilen die Luft durchschnitt. Es kam direkt auf sie zu, begleitet von weiteren Rufen aus der Tiefe. Ihre Freunde. Eine zweite Salve aus Pfeilen surrte ihnen entgegen, und sie trafen ihr Ziel. Der Drache zuckte und schauderte und brüllte vor Schmerz. Makasa fand die Kraft, um einen letzten Versuch zu starten. Sie wirbelte ihre Kette nach oben, und das Ende wickelte sich um einen der Pfeile, die aus dem Oberschenkel des Drachen ragten. Jetzt stieß Makasa selbst einen Schrei aus und zog an der Kette, so fest sie nur konnte.

Es funktioniert!, dachte sie, einen Moment später gefolgt von: Oh, oh.

Ohne Vorwarnung kippten sie dem Boden entgegen. Der Sturm war wie eine Mauer, in die sie hineindonnerten, und Makasa schloss die Augen. Sie hatte Angst vor dem Aufprall, Angst davor, was passieren würde, sollten die Winde nachlassen. Angst davor, hilflos in die Tiefe zu stürzen.

Kapitel 3Verschnaufpause

»Kannst du mich hören? Makasa? Makasa …«

Diesen Traum hatte sie schon hundertmal gehabt: Ihre Mutter rief nach ihr, ihre Stimme wie eine Schlaflied. Makasa irrte ihr hinterher durch eine Düsternis, so tief und dicht, dass es sich wie durch einen Ozean anfühlte. Meersalz hing in der Luft, der Geruch von Feuer. Das Gesicht ihrer Mutter, wunderschön und verschwommen, wartete knapp außerhalb ihrer Reichweite, und wann immer Makasa ihm näher kam, wich es weiter vor ihr zurück. Trotzdem gab sie nicht auf. Sie stürzte sich in die klebrige Dunkelheit, aber als sie schließlich auf die andere Seite durchbrach, empfingen sie nicht die Arme ihrer Mutter. Stattdessen spürte sie, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte, als sie in eine schaurige Fratze blickte. Sie grinste, aber es war das starre Lächeln eines Skeletts, und der süßliche Geruch des Todes ging davon aus.

»Kannst du mich hören?«, fragte die Fratze mit gelbzahnigem Grinsen. »Makasa?«

Sie schlug um sich und setzte sich auf, keuchte, als sie sah, wie Aram hintenüberkippte, die Hand auf die Stelle gepresst, wo Makasas Faust gegen seine Wange gedonnert war.

»Ja.« Er schüttelte den Kopf und lachte leise, während er auf der Erde lag. »Sie kann mich definitiv hören.«

Zwei fremde Gesichter starrten auf sie herab, zwei purpurhäutige Kaldorei. Nachtelfen. Makasa stöhnte und hielt sich erst die eine Schulter, dann die andere, aber darauf folgte nur eine weitere Woge Schmerzen, so stark, dass ihr übel wurde. Also ließ sie sich auf den Boden zurücksinken, wobei sie feststellte, dass man sie auf ein Bett aus Laub und weichen Zweigen gelegt hatte.

Ihr verstärktes Wams war fort, das Hemd darüber blutverschmiert, aber größtenteils intakt. Jemand hatte die Ärmel nach unten gezogen, um ihre Schultern zu behandeln, und sie konnte die ölige Salbe riechen, mit denen ihre Wunden bestrichen waren. Sie hatte einen penetranten Geruch, beinahe wie Salz, aber nicht so durchdringend. Das erklärte ihren Traum. Sie sah nach links und erblickte den dunklen Horizont des Tals, das sich noch immer südlich von ihnen erstreckte. Daher also der Rauchgestank. Der Staubsturm war jedoch verschwunden, und die Drachen kreisten in weiter Ferne, hielten auf die Küstenlinie zu.

»Du bist wohl eine Kämpfernatur«, bemerkte der größere Elf. Er hatte langes silbernes Haar, das geflochten über seine Schulter herabhing, und in der Hand hielt er einen gefiederten Helm. Nun richtete er sich auf und musterte sie mit einem schwach glühenden lavendelfarbenen Auge; das andere Auge schien verletzt zu sein und war unter einem grünen Lederstreifen verborgen.

»Meine Kette!« Makasa schreckte erneut auf und setzte sich hin, was sie sofort bereute. Ihr Puls raste gefährlich schnell – war diese verdammte Bestie etwa mit ihrer geliebten Waffe davongeflogen?

»Sie ist hier«, versicherte Aram ihr. Dabei tätschelte er ein Bündel neben ihren Füßen, zu dem auch ihr Wams gehörte. »Iyneath und Llaran haben den Drachen erlegt. Er hatte keine Chance!«

Makasa schnaubte angesichts von Arams Enthusiasmus. Ihr kleiner Bruder strahlte zu den beiden Nachtelfen hoch – Wächtern, wie sie sich nannten –, deren identische Langbögen hinter ihren Köpfen aufragten. Aber falls es den Kaldorei gelungen war, einen Drachen mitten in einer Staubwolke zu Boden zu bringen, und zwar, ohne dabei das Mädchen in seinen Fängen ebenfalls zu durchbohren, dann war Arams Bewunderung vermutlich gerechtfertigt, entschied sie. Llaran, die Elfenfrau, war nur eine Winzigkeit kleiner als Iyneath, und sie hatten beide feine Gesichtszüge, mit langen, schmalen Nasen und vorgestülpten Lippen, die ihnen etwas Verträumtes verliehen. Sie waren Bruder und Schwester, tippte Makasa. Wenn nicht sogar Zwillinge.

»Aiyell hat ihre Eule vorausgeschickt, um alle bei der Aussicht über euer Kommen zu informieren«, erklärte Llaran. »Sie werden sicher mehr Wachen schicken, um sich um diese Drachen zu kümmern. Sie sind in letzter Zeit viel aggressiver geworden.« Anschließend kniete sie sich hin und betastete die Wunde an Makasas Schulter. Es tat nicht so sehr weh, wie es sollte, überlegte sie – was wohl bedeutete, dass die Elfen mit mehr als nur einem Verband ausgeholfen hatten. Trotzdem wollte Makasa ihnen nicht vertrauen. Nicht, solange Aram diesen Kompass mit sich herumtrug. Absolut jeder könnte ein Spion sein.

»Danke«, sagte sie gedehnt. »Allein hätten wir das nicht überlebt.«

»Wir? Du meinst wohl eher, du«, stichelte Aram. »Wir wären mühelos aus dem Sturm herausspaziert.«

Sie trat nach ihm, und er lachte.

»Ruh dich jetzt aus«, forderte Iyneath sie mit angenehm tiefer Stimme auf. »Aiyell wird etwas zu essen zubereiten, und sobald du kräftig genug bist, brechen wir zur Aussicht auf.«

Die Nachtelfen gingen davon – nicht dass man allzu weit davongehen konnte. Wie es aussah, teilten sie sich alle ein Lager hinter einem kleinen, hügeligen Vorsprung. Makasa blickte sich zufrieden um; es war ein guter Platz für ein Lager, geschützt und leicht zu verteidigen. Die unangenehme Luft des Verbrannten Tals klärte sich hier ein wenig, und sie sah sogar ein wenig frisches grünes Gras aus Rissen im Boden hervorwachsen. Im Westen glänzte eine Handvoll Grabsteine, und ein dürrer Baum reckte sich in die Höhe, seine Wurzeln überwuchert von einem Gewirr wilder Wildstahlblumen. Nicht weit entfernt brannte ein Lagerfeuer, dessen Knistern und Knacken das leise Gemurmel von Stimmen übertönte. Das mussten die anderen sein. Makasa sank wieder auf ihr behelfsmäßiges Bett zurück. Sie war müde, aber neben der Müdigkeit war da noch etwas anderes.

»Ich hätte uns beinahe alle umgebracht«, sagte sie, die Augen fest geschlossen. »Hätten diese Späher uns nicht entdeckt …«

»So darfst du nicht denken«, erwiderte Aram. Er nahm ein schmutzig aussehendes Stück Stoff aus der Tasche seiner Kapitänsjacke und wischte ihr damit das Gesicht ab. Sie bezweifelte, dass sie danach wirklich sauberer war. Der Ruß des Tals hatte sich in den Lachfalten um Arams Augen festgesetzt, weswegen er deutlich älter aussah als lediglich zwölf Lenze. Einen Moment lang hatte sie das Gefühl, als würde ihr Vater, Greydon Dorn, auf sie herabblicken. »Welche Wahl hatten wir denn schon? Wären wir umgekehrt, hätten wir am Strand festgesessen und wären ein noch leichteres Opfer für diese Biester gewesen. Der Sturm war eine gute Entscheidung, Makasa; es lief nur eben nicht so, wie du geplant hattest.«

»Ja. Und genau darum war es töricht.«

»Jetzt sind wir hier, oder?« Er seufzte. »Glück kann man nicht planen. Man kann nur darauf hoffen. Außerdem kannst du jetzt damit angeben, dass du einen Drachenangriff überlebt hast. Ich kann es kaum erwarten, das Ganze zu zeichnen.«

»Vermutlich haben wir wirklich ein wenig Glück verdient.«

Aram nickte und steckte das Tuch wieder ein. Kurz huschte seine Hand zu seinem Kragen, und sie konnte sehen, dass er versuchte, nicht nach dem Kompass zu greifen. Vielleicht sah er ja deshalb älter aus; weil er dieses Ding um seinen Hals trug, wie ein Symbol seiner Mission, die Diamantklinge wieder zusammenzusetzen. Es musste schrecklich schwer auf ihm lasten. Nun war Aram an der Reihe, betroffen dreinzublicken, und Makasa drehte sich zu ihm herum, wobei sie versuchte, sich nicht ihre verwundete Schulter zu stoßen.

»Glaubst du den Nachtelfen?«, fragte sie mit gesenkter Stimme. »Wer sie sind, wo sie herkommen?«

Seine Augen glänzten im Feuerschein, während er zu ihrer Gruppe hinüberblickte. Oder genauer: Er blickte zu Drella hinüber. Sich um die Dryade zu kümmern, war für ihn der erste Vorgeschmack auf echte Verantwortung, und leider hatte Drella ein Talent dafür, ständig in irgendwelche Schwierigkeiten zu geraten.

»Du hältst mich vielleicht für leichtgläubig, aber sie hätten uns nicht helfen müssen. Sie hatten keine Ahnung, wer da durch den Sturm irrte. Ich habe ihnen zwar zugerufen, dass sie aufpassen sollen, dich nicht zu treffen, aber wer weiß, ob sie mich überhaupt gehört haben. Ich glaube, sie meinen es ehrlich. Und du kannst auch immer noch misstrauisch sein, nachdem sie uns zu Thal’darah gebracht haben.«

Sie nickte. Deswegen würde sie aber nicht in ihrer Wachsamkeit nachlassen, nicht mal, falls diese stinkende Heilsalbe der Nachtelfen die dunkle Wolke über ihrem Kopf auf magische Weise zu vertreiben vermochte.

»Ich bin froh, dass du es geschafft hast«, sagte Aram und stand auf. »Denk nicht weiter über den Sturm nach, Makasa; du hast die richtige Entscheidung getroffen. Und vielleicht hätten wir es ja auch alleine geschafft. Jetzt ruh dich aus. Ich kann es kaum erwarten, diesen Ort hinter mir zu lassen.«

Makasa lächelte schmal, als er davonging, dann streckte sie sich wieder auf ihrem Laubbett aus. Denk nicht weiter über den Sturm nach. Leicht gesagt. Aber wie könnte sie nicht weiter darüber nachdenken? Und was war mit dem Sturm vor ihnen – nicht dem aus Staub und Asche, sondern dem aus Menschen und Stahl und kalter, schrecklicher Rache? Sollte sie den etwa auch ignorieren? Fürs Erste saß Malus ihnen vielleicht nicht mehr im Nacken, aber sie zweifelte nicht daran, dass er sein hässliches Gesicht bald wieder zeigen würde. Sie konnten vor ihm davonrennen, aber er war nicht der Typ, der einfach so aufgab.

Makasa wusste, dass sie nicht schlafen konnte, trotzdem schloss sie die Augen und versuchte angestrengt, nicht die fernen Kriegstrommeln zu hören.

Kapitel 4Die Aussicht

Arams Beine knickten beinahe ein, als sie den letzten Hügel überquert hatten und ihr Ziel erreichten: die Aussicht von Thal’darah. Der zweite Tag ihres Marsches war nicht so heiß gewesen, aber das bedeutete nicht zwangsläufig, dass er weniger anstrengend gewesen war. Das Verbrannte Tal barg jede Menge Gefahren, und nachdem sie diese trostlose, qualmende Landschaft hinter sich gelassen hatten, war das Terrain steil angestiegen. Der Weg um das Kriegsnarbental herum war praktisch gänzlich bergauf verlaufen. Doch immerhin gab es dort Bäume, und zwar keine brennenden Stümpfe, sondern mit smaragdfarbenem Blätterdach. Die üppige Natur stellte einen krassen Kontrast zu der Kriegszone des Tals selbst dar, wo die Allianz und die Horde einander in erbittertem Streit gegenüberstanden. Adler schwirrten durch die Luft und kreischten einander zu, so schrill, dass der Laut die Berge zu durchbohren schien, und Widder stoben auseinander, als die Gruppe näher kam – nach all der trockenen geschwärzten Erde waren das ermutigende Zeichen von Leben.

Die Wächter gingen neben ihren Reittieren her – großen Mondsäblern mit perlfarbenem Fell, die sich dank langer Erfahrung mühelos durch die steilen Hügel bewegten. Murky, der sich auf einem der Sattel ausruhte, wirkte geradezu komisch klein auf dem Rücken einer so gewaltigen Kreatur. Da Makasa noch immer verletzt war, saß sie natürlich auf Iyneaths gestreiftem Säbler, die Lippen zu einer strengen, undankbaren Linie zusammengepresst. Sie brachte aber ein kleines Lächeln zustande, als der Nachtelfen-Späher an ihre Seite trat und sich nach ihrem Befinden erkundigte.

Hackel weigerte sich natürlich störrisch, einen der Säbler zu reiten, und Drella war bereits schnell und sicher genug auf ihren Rehbeinen. Und da Aram sich auch selbst kräftig genug fühlte, um die Reise zu Fuß zu unternehmen, hatte er Aiyell mit ihrem Säbler vorausreiten lassen. Wenn er ganz ehrlich sein sollte, lag es teilweise aber auch daran, dass er den Rest des Marschs in Drellas Nähe bleiben wollte. Sinn und Zweck ihrer Reise zum Aussichtspunkt war, das magische Band zu durchtrennen, das sie seit der Geburt der Dryade miteinander verband, und zumindest vor sich selbst konnte Aram zugeben, dass er deswegen ein mulmiges Gefühl hatte. Würde er sich danach anders fühlen? Was, falls er ihr danach egal war? Was, falls sie ihm gar die kalte Schulter zeigte?

»Da ist etwas Besonderes zwischen euch beiden«, hatte Llaran gesagt, nachdem sie sie lange Zeit mit ihren hellen violetten Augen gemustert hatte. »Es ist schwer zu beschreiben, aber ich spüre … ich spüre …«

»Eine Verbindung?«, warf Drella ein. Ihre türkisfarbenen Locken hüpften auf und ab, als sie der Wächterin zunickte. »Wir haben eine besondere Verbindung. Darum sind wir auch den weiten Weg hierhergekommen. Weißt du, ich wurde aus einer Eichel geboren – einem wunderschönen, winzig kleinen Haus. Es war wirklich gemütlich da drinnen, aber auch eng. Und als ich geboren wurde, da war das Erste, was ich sah, Aramar Dorn. Deswegen sind wir jetzt für den Rest unseres Lebens miteinander verbunden. Ist das nicht toll?«

Drella schloss die Augen und warf den Kopf zurück, sichtlich zufrieden mit ihrer Erklärung.

Llaran blinzelte, dann setzte sie das amüsierte Lächeln auf, das Aram allmählich für ihren natürlichen Gesichtsausdruck zu halten begann. »Da steckt doch sicher mehr dahinter? Verfügst du zufällig über das Wissen eines Druiden, Junge?«

»Nicht wirklich«, erwiderte Aram hilflos. »Eine Druidenhüterin hat uns hergeschickt, um dieses Band zu lösen und, na ja, und Drella mit jemand anderem zu verbinden. Jemand …« Weisem? Qualifiziertem? Kundigem? »Druidenhaftem.«

Er verzog das Gesicht.«

»Oh! Ein neues Wort!«, rief Drella erfreut.

»Das kann man so sagen.« Llaran schien in Gedanken versunken, aber nicht wegen seiner neuen Wortschöpfung. »Ich habe Geschichten über die Geburt von Dryaden gehört, aber ich dachte, dazu wäre ein Druidenhüter nötig. Normalerweise entsteht dieses Band zwischen dem Druiden und der Dryade, damit er sie ausbilden kann. Ich habe noch nie gehört, dass ein … Menschenkind so etwas vollbracht hat.« Sie klang verwirrt. »Und doch lässt sich das Band zwischen euch nicht leugnen. Seltsam.«

Makasa, die auf Iyneaths Mondsäbler vor ihnen hin und her schaukelte, stieß ein verdächtig lautes Hüsteln aus, das nach ihrem erst kürzlich genommenen Rauchbad noch ein wenig harscher klang als üblich. Aram errötete. Richtig. Sie vertraute niemandem, nicht mal den Elfen, die ihr das Leben gerettet hatten, und jetzt erzählte er Llaran leichtfertig von ihrer Mission. Andererseits, was konnte es schaden? Früher oder später würden sie ohnehin erklären müssen, warum sie hierhergekommen waren, und es war ja nicht so, als hätte er den Kompass erwähnt oder die Kristallscherben …

»Na ja«, fuhr er fort, um die Geschichte zu beenden, »wir sind jedenfalls hier, um mit einem Druiden, der sich Thal’darah nennt, über dieses Band zu sprechen und … es zu lösen.« Sein Herz schlug schwerer, als er das sagte. Natürlich wusste er, warum das Band auf eine andere Person übertragen werden musste, aber das hieß nicht, dass es ihm gefiel. Etwas Besonderes zu sein, diese besondere Verbindung mit Drella zu haben, der faszinierendsten Kreatur, die er je gesehen hatte … das war aufregend. Er linste zu ihr hinüber, während sie behutsam abgebrochene Wildblumen entlang des Weges aufhob und zu einer Kette zusammenflocht.

»Als ich diesen Drachen abgeschossen habe«, flüsterte Llaran nachdenklich, »da hatte ich keine Ahnung, dass ich dadurch eine so ungewöhnliche Gruppe von Reisenden retten würde.«

»So interessant sind wir gar nicht«, wehrte Aram ab, wohlwissend, dass Makasa ihn noch immer mit ihren Blicken aufspießte. »Um ehrlich zu sein, sind wir sogar ziemlich langweilig. Das mit Drella war nur ein Zufall. So was passiert mir öfter … Zufälle, meine ich.«

»Sei nicht töricht.« Drella platzierte ihre Krone sanft auf seinem aschebefleckten Haar und gluckste. »In dieser Welt gibt es keine Zufälle.«

Sein Herz schlug wieder leichter, dafür aber umso schneller, als sie die Hände unter ihrem Kinn faltete und er in ihre hellen, lieblichen Augen blickte. In dieser Welt gibt es keine Zufälle. Wollte sie damit sagen, dass ihr Band vom Schicksal vorherbestimmt worden war? War es so wichtig für sie? Die Dryade deutete erst in die eine Richtung, dann in die andere. »Alles ist perfekt. Und du bist auch perfekt, genau so, wie du bist.«

Er war nicht sicher, aber es klang so, als würde Makasa vor ihnen schnauben. Sein Herzschlag beruhigte sich.

Danach schwieg er eine Weile und konzentrierte sich darauf, nicht zu laut zu ächzen, denn der Pfad wurde immer steiler, und schließlich kletterte er praktisch auf allen vieren die Serpentinen hoch, die zur Aussicht von Thal’darah führten. Sie marschierten unter einem polierten violetten Bogen hindurch, der geisterhaft glitzerte, und Aram zupfte verschwitzt und erschöpft am Kragen seines Hemds, während er zusah, wie Makasa sich von ihrem Mondsäbler helfen ließ. Hoffentlich brauchte sie ein wenig Rast, denn beim Licht, er hatte eine Pause bitter nötig. Für ihn sah es aus, als wäre es das Ziel der Erbauer gewesen, die Aussicht zum genauen Gegenteil der öden und rauchverhangenen Hügel des Verbrannten Tals zu machen. Leise Musik, so mystisch und wunderschön wie das Sternenlicht, hallte über die Lichtung, und ein Kreis hoher Bäume umgab schützend eine Handvoll Gebäude, zu denen auch ein robust erbautes Gasthaus gehörte.

Aiyell bemerkte sie zuerst, dann drehten sich auch die anderen Wächter um. Iyneath schien der einzige Mann hier zu sein, und schon bald wurden sie von neugierigen Nachtelfen in Kampfrüstung umringt. Eine braune Eule setzte sich gurrend auf Aiyells Arm, den Blick der scharfen Augen fest auf die müden Reisenden gerichtet – sogar während sie ihr Gefieder zu putzen begann.

»Ihr wart schnell«, bemerkte Aiyell, die vortrat und den anderen half, von ihren Mondsäblern zu steigen.

»Sie sind jung«, erwiderte Llaran, »aber entschlossen.«

Makasa trat von den Wächtern zurück und platzierte sich neben Aram. Obwohl ihre Schultern verbunden waren, stand sie hochaufgerichtet da. Nachdem sie sich unter den versammelten Elfen umgeblickt hatte, räusperte sie sich und verkündete laut: »Wir sind hier, um Meister Thal’darah zu sprechen. Bitte ruft ihn.«

Aram stieß sie mit dem Ellbogen an – aber nur sanft, schließlich war sie verletzt.

»Und was, wenn nicht?«, stichelte Iyneath, während er Murky vorsichtig aus dem Sattel hob. Der Murloc rückte den Speer und das Netz auf seinem Rücken zurecht und setzte sich prompt auf den Boden, die großen Füße vor sich ausgestreckt. Hackel wirkte ähnlich erschöpft, aber er blieb stehen und rieb sich nur mit schmutzigen Pfoten die Augen.

»Langsam, ihr jungen Besucher«, fuhr Iyneath fort. »Wir werden Meister Thal’darah informieren, aber ihr müsst euch ausruhen.«

»Ja. Macht es euch hier bequem, zumindest ein Weilchen. Ihr werdet noch genug Zeit haben, über druidische Zauber und Bande und dergleichen mehr zu sprechen, aber zuerst einmal solltet ihr etwas essen, findet ihr nicht?« Diesmal war es Llaran, die sie tadelte.

Aram stieß Makasa vorsichtshalber noch einmal an, weil er wusste, wie sehr sie es hasste, belehrt zu werden.

Doch zur Abwechslung machte sie keinen Ärger. Stattdessen seufzte sie und berührte mit verzerrtem Gesicht einen ihrer Verbände. »In Ordnung. Aber wir müssen unsere Reise schnellstmöglich fortsetzen. Wir sind nicht den weiten Weg hierhergekommen, um …«

»Wie weit war euer Weg denn?«, wollte Llaran wissen.

Sie wurde jedoch unterbrochen, als sich ein größeres und deutlich haarigeres Gesicht durch die Menge schob. Arams erster Instinkt war es, sein Skizzenbuch zu zücken. Er sah, wie Makasa nach ihrem Säbel griff, ihm fiel aber auch auf, dass das Taurenmädchen lächelte, oder genauer: Es sog den Atem ein und warf die dreifingrigen Hände in die Höhe. Dann war dies wohl doch keine Kriegerin der Horde, wie Makasa zu befürchten schien, sondern nur eine weitere Bewohnerin der Aussicht.

»Eine weitere Dryade! Wie aufregend!« Die Tauren war größer als Makasa und hatte lange schwarze, geflochtene Zöpfe mit braunen Strähnen. Sie trug eine lange fließende Robe, deren Ärmel und Kragen mit bunten Federn und Perlen verziert waren. Das Auffälligste an ihr waren aber ihre Augen: glitzernd und rund, erfüllt von einer freundlichen Intensität, die Aram an Drella erinnerte. »Ich wollte schon lange eine andere Dryade kennenlernen. Bei der Erdenmutter, ich habe so viele Fragen!«

Drella trat vor. Sie tänzelte sogar ein wenig, fast, als hätte sie die letzten beiden Tage nicht damit verbracht, über einen aschebedeckten Friedhof zu marschieren. Die Wächter ringsum musterten die Tauren mit undeutbaren Mienen.

»Hallo, neue Freundin! Ich bin Taryndrella die Beeindruckende. Das ist Murky der Ungestochene. Der zottelige Zeitgenosse da drüben ist Hackel der Rächer. Der mit der großen Jacke ist Aram der Lichtkämpfer. Und das wütende Mädchen mit der beängstigenden Kette ist Makasa die Binderin. Kennst du Meister Thal’darah?«

»Titel und Fragen – und so viel jugendlicher Übermut!«

Aram wandte den Blick von der seltsamen Szene vor sich ab. Die dröhnende Stimme stammte von einem hochgewachsenen, stämmigen Nachtelfen mit milchig blauer Haut, dessen Gesicht von einem dünnen Bart bedeckt war. Blätter und Federn waren in die Strähnen seines Haars gewoben. Seine Robe ähnelte der der Tauren, nur war sie um hohe, kunstvolle Rüstungsteile ergänzt, die vor subtiler Magie pulsierten.

»Titel und Fragen«, wiederholte er mit einem Lachen, nachdem seine hellen Augen sie der Reihe nach gemustert hatten. »Ihr seid hier sicher und willkommen. Seht, wie die Irrlichter in den Bäumen tanzen, um eure Ankunft zu feiern! Selbst meine Wächter sind begeistert, euch zu sehen.«

Drella machte einen kleinen Schritt nach vorne, wobei ein zierlicher Huf fragend über dem Boden verharrte. »Seid Ihr Meister Thal’darah?«

»Der bin ich«, bestätigte er mit seiner tiefen, warmen Stimme. »Es klingt, als hättet ihr nach mir gesucht. Nun, in dem Fall ist eure Reise jetzt zu Ende.«

Arams Schultern entspannten sich, und Erleichterung schwappte über ihn hinweg wie kaltes Wasser. Der Druide irrte sich zwar – ihre Reise war noch längst nicht zu Ende –, aber er war doch froh, einen Moment Ruhe zu haben und Drellas strahlendes Lächeln zu sehen, so als gäbe es wirklich nichts, weswegen sie sich Sorgen machen müssten.

Kapitel 5Abendessen mit Druiden

Aram wischte einen Kimchi-Klecks von seinem Skizzenbuch und fluchte leise. Er hatte nicht bis nach dem Abendessen warten können, um alles zu Papier zu bringen, was er seit dem Abschied von der Wolkenwirbler gesehen hatte. Nach den ersten zehn Schlucken frischen Safts und ein paar Bissen gebratenem Weisenfisch in würzigem Kimchi war seine Energie zurückgekehrt und mit ihr der Drang zu zeichnen. Also versuchte er, gleichzeitig Essen in seinen Mund zu schaufeln, mehr Saft hinunterzukippen und seinen Stift über das Pergament zu bewegen, ohne eine Sauerei zu machen.

Es gelang ihm nur teilweise, aber zumindest brachte er ein paar grobe Skizzen des langen Tischs in dem Gasthaus zustande und von all den Personen, die darum versammelt waren. Am Kopfende saß Meister Thal’darah, eingerahmt von Drella und ihrer neuen Taurenfreundin.

»Galena«, hatte sie sich atemlos vorgestellt, als sie gemeinsam zum Gasthaus gegangen waren, um ihre Sachen abzulegen und sich auszuruhen. »Galena Sturmspeer! Ich gehöre zum Zirkel des Cenarius. Na ja, eigentlich zu Meister Thal’darah. Er bringt mir alles bei, was er weiß. Es ist nur … Ihr habt ja keine Ahnung, wie aufregend es ist, euch alle kennenzulernen. Das Leben hier ist oft ein wenig …«

Sie hatte den Satz nicht beendet, vermutlich, weil sie wusste, dass ihr Lehrmeister mithörte, aber Aram konnte sich vorstellen, was sie hatte sagen wollen. Ihre Aufregung – ihre Hochstimmung – war ebenso offensichtlich wie Drellas Freude darüber, dass die Druidenschülerin sie so bewunderte. Das Leben hier bei der Aussicht von Thal’darah musste für eine junge Tauren ziemlich langweilig sein, und Galena bombardierte sie geradezu mit Fragen. Aram hatte das sichere Gefühl, dass die meisten der Nachtelfen nicht bereit waren, ihre Pflichten zu vernachlässigen, nur um mit ihr zu plaudern. Vermutlich waren er und seine Begleiter die ersten freundlichen Gesichter, die sie seit langer Zeit zu sehen bekam.

Wo kamen sie her? Wie hatten sie die Schlacht unten im Tal umgangen? Warum wollten sie Meister Thal’darah sprechen? Ob sie wohl bei dieser Verbindungszeremonie mithelfen dürfte? So ging es immer weiter, eine Unzahl von Fragen, die Drella nur allzu bereitwillig beantwortete. Ein Glück – den anderen hätte die Geduld dafür gefehlt, allen voran Makasa, die sich möglichst weit ans untere Tischende gesetzt hatte. Man hatte ihnen Wasser für ein Bad und einen kleinen Happen zu essen gegeben, nachdem sie das Gasthaus erreicht hatten, und dann, kurz darauf, als sich das Abendrot vertiefte, hatte Llaran sie aus ihren Zimmern im oberen Stockwerk des Gebäudes herabgerufen. Alle kamen unten im Schankraum zusammen, wo Aram sich nun über sein Essen hermachte und mit einem Ohr zuhörte, wie Galena Drella mit Fragen löcherte, während Makasa mürrisch über ihrem Fisch mit Eintopf brütete.

Nach einer Weile drehte Drella den Spieß um und begann, jede Frage zu stellen, die ihr gerade in den Sinn kam. Dabei sprang sie ohne Übergänge oder Logik von einem Thema zum nächsten, während eine verwirrte Galena versuchte, mit ihr mitzuhalten. Die Tauren hatte Mulgore in jungen Jahren verlassen, nachdem ihre druidischen Fähigkeiten offensichtlich geworden waren, und schon bald hatte ein Akolyth vom Zirkel des Cenarius sie in Feralas zur Schülerin genommen. Kurz nach ihrer Ankunft dort hatte ein Brief die Mitglieder des Zirkels darüber informiert, dass Meister Thal’darah endlich bereit war, einen neuen Schüler auszubilden, und Galena hatte sich auf die Gelegenheit gestürzt. Aram fragte sich, ob sie diese Entscheidung inzwischen wohl bereute, denn wie sie selbst zugab, war es nicht einfach, die einzige Tauren hier an der Aussicht zu sein.