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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Was ist der Mensch? Knochen! Staub, Sand, Dreck. In Georg Büchners berühmtem Drama um den Soldaten Franz Woyzeck wird das Geschehen von Angst und Wahnsinn, Verrat und vergeblicher Liebe beherrscht. Von seinem Vorgesetzten schikaniert, von seinem Arzt zu Versuchen missbraucht und von seiner Geliebten betrogen, zerbricht Woyzeck schließlich an der klaustrophobischen Enge seines kasernierten Lebens und wird zum Mörder.
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Seitenzahl: 103
Veröffentlichungsjahr: 2012
Georg Büchner
Covergestaltung: bilekjaeger, Stuttgart
Abbildung: Reginald Marsh/Ullsteinbild/Granger
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
Unsere Adressen im Internet:
www.fischerverlage.de
www.fischer-klassik.de
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ISBN 978-3-10-401966-6
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Entstehungsstufen
Erste Fassung, Szenengruppe 1
1 BUDEN. VOLK
2 DAS INNERE DER BUDE
3 MARGRETH ALLEIN
4 DER CASERNENHOF
5 WIRTSHAUS
6 FREIES FELD
7 EIN ZIMMER
8 CASERNENHOF
9 DER OFFICIER. LOUIS
10 EIN WIRTSHAUS
11 DAS WIRTSHAUS
12 FREIES FELD
13 NACHT. MONDSCHEIN
14 MARGRETH MIT MÄDCHEN VOR DER HAUSTÜR
15 MARGRETH UND LOUIS
16 ES KOMMEN LEUTE
17 DAS WIRTSHAUS
18 KINDER
19 LOUIS ALLEIN
20 LOUIS AN EINEM TEICH
21 GERICHTSDIENER. BARBIER. ARZT. RICHTER
Erste Fassung, Szenengruppe 2
1 FREIES FELD. DIE STADT IN DER FERNE
2 DIE STADT
3 ÖFFENTLICHER PLATZ. BUDEN. LICHTER
4 HANDWERKSBURSCHEN
5 UNTEROFFICIER. TAMBOURMAJOR
6 WOYZECK. DOCTOR
7 STRASSE
8 WOYZECK. LOUISEL
9 LOUISEL ALLEIN. GEBET
Verstreute Bruchstücke
1 DER HOF DES PROFESSORS
2 DER IDIOT. DAS KIND. WOYZECK
Vorläufige Reinschrift
1 FREIES FELD. DIE STADT IN DER FERNE
2 MARIE MIT IHREM KIND AM FENSTER. MARGRETH
3 BUDEN. LICHTER. VOLK
4 MARIE SIZT, IHR KIND AUF DEM SCHOOSS, EIN STÜCKCHEN SPIEGEL IN DER HAND
5 DER HAUPTMANN. WOYZECK
6 MARIE. TAMBOUR-MAJOR
7 MARIE. WOYZECK
8 WOYZECK. DER DOCTOR
9 HAUPTMANN. DOCTOR
10 DIE WACHSTUBE
11 WIRTHSHAUS
12 FREIES FELD
13 NACHT
14 WIRTHSHAUS
15 WOYZECK. DER JUDE
16 MARIE. DER NARR
17 CASERNE
Lesefassung
Personen
Woyzeck und Andres schneiden [...]
[1] FREIES FELD. DIE STADT IN DER FERNE
Der Zapfenstreich geht vorbei, [...]
[2] MARIE MIT IHREM KIND AM FENSTER. MARGRETH
ALTER MANN. KIND (das [...]
[3] ÖFFENTLICHER PLATZ. BUDEN. LICHTER
Marie sitzt, ihr Kind [...]
[4] KAMMER
Hauptmann auf einem Stuhl. [...]
[5] DER HAUPTMANN. WOYZECK
Marie. Tambourmajor.
[6] KAMMER
Marie. Woyzeck.
[7] AUF DER GASSE
Woyzeck. Der Doktor.
[8] BEIM DOKTOR
Hauptmann. Doktor
[9] STRASSE
Woyzeck. Andres.
[10] DIE WACHSTUBE
Die Fenster offen, Tanz. [...]
[11] WIRTSHAUS
WOYZECK
[12] FREIES FELD
Andres und Woyzeck in [...]
[13] NACHT
Tambourmajor. Woyzeck. Leute.
[14] WIRTSHAUS
WOYZECK
[15] WOYZECK. DER JUDE
MARIE (blättert in der [...]
[16] MARIE. DAS KIND. DER IDIOT
Andres. Woyzeck kramt in [...]
[17] KASERNE
Studenten unten, der Professor [...]
[18] DER HOF DES PROFESSORS
MÄDCHEN (singen)
[19] MARIE MIT MÄDCHEN VOR DER HAUSTÜR
MARIE
[20] MARIE UND WOYZECK
ERSTE PERSON
[21] ES KOMMEN LEUTE
WOYZECK
[22] DAS WIRTSHAUS
WOYZECK
[23] WOYZECK ALLEIN
WOYZECK
[24] WOYZECK AN EINEM TEICH
ERSTES KIND
[25] KINDER
GERICHTSDIENER
[26] GERICHTSDIENER. ARZT. WOYZECK
KARL (hält das Kind [...]
[27] DER IDIOT. DAS KIND. WOYZECK
Anhang
Editorische Notiz
Daten zu Leben und Werk
Georg Büchner, ›Woyzeck‹
Georg Büchner
Woyzeck
Woyzeck
Szenengruppe I
MARKTSCHREIER vor einer Bude
Meine Herren! Meine Herren! Sehn Sie die Creatur, wie sie Gott gemacht, nix, gar nix. Sehen Sie jezt die Kunst, geht aufrecht hat Rock und Hosen, hat ein Säbel! Ho! Mach Compliment! So bist Baron. Gieb Kuß! Er trompetet. Wicht ist musikalisch. Meine Herren hier ist zu sehen das astronomische Pferd und die kleine Canaillevögele. Ist favori von alle gekrönte Häupter. Die rapräsentation anfangen! Man mackt Anfang von Anfang. Es wird sogleich seyn das commencement von commencement.
WOYZECK
Willst du?
MARGRETH
Meinetwege. Das muß schön Dings seyn. Was der Mensch Quasten hat und die Frau hat Hosen.
MARKTSCHREIER
Zeig’ dein Talent! zeig deine viehische Vernünftigkeit! Beschäm die menschlich Societät! Meine Herren, dieß Thier, das Sie da sehn, Schwanz am Leib, auf sei 4 Hufe ist Mitglied von alle gelehrte Societät, ist Professor an unse Universität, wo die Studente bey ihm reiten und schlage lerne. Das war einfacher Verstand. Denk jezt mit der doppelte raison. Was machst du wann du mit der doppelte Raison denkst? Ist unter der gelehrte Société da ein Esel? Der Gaul schüttelt den Kopf. Sehn Sie jezt die doppelte Räson? Das ist Viehsionomik. Ja das ist kei viehdummes Individuum, das ist eine Person. Ei Mensch, ei thierisch Mensch und doch ei Vieh, ei bête. Das Pferd führt sich ungebührlich auf. So beschäm die société. Sehn Sie das Vieh ist noch Natur, unideale Natur! Lern Sie bey ihm. Fragen Sie den Arzt, es ist höchst schädlich. Das hat geheiße: Mensch sey natürlich. Du bist geschaffe Staub, Sand, Dreck. Willst du mehr seyn, als Staub, Sand, Dreck? Sehn Sie was Vernunft, es kann rechnen und kann doch nit an de Finger herzählen, warum? Kann sich nur nit ausdrücke, nur nit explicirn, ist ein verwandelter Mensch! Sag den Herrn, wieviel Uhr es ist. Wer von den Herrn und Damen hat eine Uhr, eine Uhr?
UNTEROFFICIER
Eine Uhr! Zieht großartig und gemessen die Uhr aus der Tasche. Da mein Herr. (Das ist ein Weibsbild guckt siebe Paar lederne Hose durch)
MARGRETH
Das muß ich sehn. Sie klettert auf den 1. Platz. Unterofficier hilft ihr.
UNTEROFFICIER
Der andre hat ihm befohlen und er hat gehn müssen. Ha! Ein Mann vor einem Andern.
Andres. Louis.
ANDRES singt
Frau Wirthin hat n’e brave Magd,
Sie sizt im Garten Tag und Nacht,
Sie sizt in ihrem Garte,
Biß daß das Glöcklein zwölfe schlägt,
Und paßt auf die Soldate.
LOUIS
He Andres, ich hab kei Ruh!
ANDRES
Narre!
LOUIS
Was meinst du? So red doch!
ANDRES
Nu?
LOUIS
Was glaubst du wohl, daß ich hier bin?
ANDRES
Weils schön Wetter ist und sie heut tanzen.
LOUIS
Ich muß fort, muß sehn!
ANDRES
Was willst du?
LOUIS
Hinaus!
ANDRES
Du Unfried, wegen des Menschs.
LOUIS
Ich muß fort.
Die Fenster sind offen. Man tanzt. Auf der Bank vor dem Haus.
LOUIS lauscht am Fenster
Er – Sie! Teufel! Er setzt sich zitternd nieder. Er späht, tritt an’s Fenster. Wie das geht! Ja wälzt euch übernander! Und Sie: immer, zu – immer zu.
DER NARR
Puh! Das riecht.
LOUIS
Ja das riecht! Sie hat rothe rothe Backe und warum riecht sie schon? Carl, was witterst du so?
DER NARR
Ich riech, ich riech Blut.
LOUIS
Blut? Warum wird es mir so roth vor den Augen! Es ist mir als wälzten sie sich in einem Meer von Blut, all mitnander! Ha rothes Meer.
LOUIS
Immer! zu! – Immer zu! – Hisch! hasch, so gehn die Geigen und die Pfeifen. – Immer zu! immer zu! Was spricht da? Da unten aus dem Boden hervor, ganz leise, was, was? Er bückt sich nieder. Stich! Stich! Stich die Woyzecke todt! Stich! stich die Woyzecke todt! Immer Woyzecke! das zischt und rumort und donnert.
Louis und Andres.
ANDRES
He!
LOUIS
Andres!
ANDRES murmelt im Schlaf
LOUIS
He Andres!
ANDRES
Na, was is?
LOUIS
Ich hab kei Ruh, ich hör’s immer, wie’s geigt und springt, immer zu! immer zu! Und dann wann ich die Augen zumach, da blizt es mir immer, es ist ei groß breit Messer und das liegt auf eim Tisch am Fenster und ist in einer eng dunkel Gaß und ein alter Mann sizt dahinter. Und das Messer ist mir immer zwischen den Augen.
ANDRES
Schlaf Narr!
LOUIS
Hast nix gehört?
ANDRES
Er ist da noch mit einem Kamraden.
LOUIS
Er hat was gesagt.
ANDRES
Woher weißt du’s? Was soll ich’s sagen. Nu, er lachte und dann sagt’ er: ein köstlich Weibsbild! Die hat Schenkel und Alles so heiß!
LOUIS ganz kalt
So hat er das gesagt?
Von was hat mir doch heut Nacht geträumt? War’s nicht von eim Messer? Was man doch närrische Träume hat.
ANDRES
Wohin Kamrad?
LOUIS
Meim Officier Wein holen. – Aber Andres, sie war doch ein einzig Mädel.
ANDRES
Wer war?
LOUIS
Nix. Adies.
LOUIS allein
Was hat er gesagt? So? – Ja es ist noch nicht aller Tag Abend.
Barbier. Unterofficier.
BARBIER
Ach Tochter, liebe Tochter,
Was hast du gedenkt,
Daß du dich an die Landkutscher
Und die Fuhrleut hast gehängt? –
Was kann der liebe Gott nicht, was? Das Geschehene ungeschehn machen. Hä hä hä! – Aber es ist eimal so, und es ist gut, daß es so ist. Aber besser ist besser.
Singt. Branntewei das ist mein Leben,
Branntwei giebt Courage.
Und ein ordentlicher Mensch hat sein Leben lieb, und ein Mensch, der sein Leben lieb hat, hat keine Courage, ein tugendhafter Mensch hat keine Courage. Wer Courage hat ist ein Hundsfott.
UNTEROFFICIER mit Würde
Sie vergessen sich, in Gegenwart eines Tapfern.
BARBIER
Ich spreche ohne Beziehungen, ich spreche nicht mit Rücksicht, wie die Franzose spreche, und es war schön von Euch. – Aber wer Courage hat ist ein Hundsfott!
UNTEROFFICIER
Teufel! du zerbrochne Bartschüssel, du abgestanden Seifbrüh du sollst mir dei Urin trinke, du sollst mir dei Rasirmesser verschlucken!
BARBIER
Herr Er thut sich Unrecht, hab ich Ihn denn gemeint, hab ich gesagt Er hätt Courage? Herr laß Er mich in Ruh! Ich bin die Wissenschaft. Ich bekomm für mei Wissenschaftlichkeit alle Woche ein halbe Gulden, schlag Er mich nicht grad oder ich muß verhungern. Ich bin eine Spinosa pericyclyda; ich hab ein lateinischen Rücken. Ich bin ein lebendiges Skelett. Die ganze Menschheit studirt an mir. Was ist der Mensch? Knochen! Staub, Sand, Dreck. Was ist die Natur? Staub, Sand, Dreck. Aber die dummen Menschen, die dummen Menschen. Wir müssen Freunde seyn. Wenn Ihr keine Courage hättet gäb es keine Wissenschaft. Nur Natur, keine Amputation, [unleserlich] . Was ist das? Bein, Arm, Fleisch, Knochen, Adern? Was ist das? Dreck? Was steckt’s im Dreck? Laß ich den Arm so abschneide? nein. Der Mensch ist egoistisch, aber haut, schießt, sticht, hurt. Er schluchzt. Wir müssen. Freunde ich bin gerührt. Seht ich wollte unsre Nasen wärn zwei Bouteillen und wir könnten sie uns einander in den Hals gießen. Ach was die Welt schön ist! Freund! ein Freund! Die Welt! Gerührt. Seht die Sonn kommt zwischen de Wolke hervor, als würd e potchambre ausgeschütt. Er weint.
Louis sizt vorm Wirtbsbaus.
Leute gehn hinaus.
ANDRES
Was machst du da?
LOUIS
Wieviel Uhr ist’s?
ANDRES
–––––
LOUIS
Is noch nicht mehr? Ich meint’ es müßt schneller gehn. Ich wollt es wär übermorgen Abend.
ANDRES
Warum?
LOUIS
Dann wär’s vorbey.
ANDRES
Was?
LOUIS
Geh dei Wege.
ANDRES
Was sizt du da vor der Thür?
LOUIS
Ich size gut da, und ich weiß – aber es size manche Leut vor der Thür und sie wissen es nicht: Es wird mancher mit den Füßen voran zur Thür n’aus getragen!
ANDRES
Komm mit!
LOUIS
