Wulwgars Legende - Peter Mientus - E-Book

Wulwgars Legende E-Book

Peter Mientus

0,0

Beschreibung

Vorsichtig berührte er die drei Runen, die in den Axtkopf eingearbeitet waren. Es waren alte Zeichen, die in keinem ihm bekannten Buch verzeichnet waren. Die Axt fühlte sich wie eine Verlängerung seines Arms an - wie ein Teil von ihm. Heute würde er ihren Durst nach Orkblut erneut stillen. Viele Jahre sind vergangen, seitdem die stattliche Festung Kar-Gor-Vahr den Orks in die Hände fiel. Die überlebenden Zwerge flohen ins weit entfernte Andoria, wo sie sich in den Zwillingsbergen eine neue Heimat schufen - unwissend, dass einige von ihnen als Sklaven der Orks zurückblieben. Als einer der versklavten Zwerge Jahrzente später den wertvollsten Schatz der Orks stiehlt und flüchtet, schicken die Orks ihre besten Krieger los, um den Dieb zu finden. Doch auch die Zwerge aus Andoria entsenden eine Gruppe von Gefährten, um sich zurückzuholen, was rechtmäßig ihnen gehört. Unter ihnen: Wulwgar Axthüter, Kriegsveteran und Legende von Kar-Gor-Vahr. Die abenteuerliche Reise führt beide Truppen in die Tiefen der uralten Zwergenmine Zirak-Dum, wo eine noch viel größere Gefahr lauert als der altbekannte Feind.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 537

Veröffentlichungsjahr: 2022

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Inhalt

Prolog

Die Patrouille

Der Zwergenkönig

Die Heimat der Orks

Die Vernehmung

Die Auswahl

Dunkelheit

Die Reise beginnt

Der Hügel

Rock

Das weite Tal

Die Vorbereitungen

Die Jagd

Ruinen

Zwillingsberge

Die Verfolgung

Die Weiße Hand

Tiefer Wald

Ein Gegner kommt selten allein

Alter Pfad

Das Refugium

Das Ziel ist nah

Enge Gänge

Das Zeichen

Die Fährte

Keine Ruhe

Der Wettlauf

Dhungabar

Hier wird alles enden

Neue Wege

Stein für Stein

Der Krieg beginnt

Runen

Aussichten

Die Schlacht

Entscheidung

Ansturm

Der Hügel

Der dunkle Hexer

Neue Freunde

Liste der Charaktere

Widmung:

Ich widme dieses Buch meiner Ehefrau Kathi, die mich stets mit ausreichend Kaffee, aufmunternden Worten und Kuchen versorgt hat. Ohne Dich wäre ich wahrscheinlich nie fertig geworden. Die Widmung richtet sich auch an meine beiden Kinder, die mir oft den Freiraum gaben, um meine Vision in Worte zu fassen. Auch eure Fantasie hat mir immer den nötigen Antrieb gegeben und dafür sage ich Danke, ihr seid die besten Kinder der Welt.

Der Autor:

Peter Mientus, geboren 1976 in Oberschlesien und aufgewachsen in Leverkusen, sammelt seine Romanideen am liebsten im Urlaub am Strand, wo ihn das Rauschen des Meeres zu vielerlei Notizen inspiriert. Aus einigen wurde der Grundstein zu Wulwgars Legende – Das Heiligtum der Zwerge. Bereits seit seiner Kindheit schlägt sein Herz für fantastische Geschichten. Mit seinem Debütroman erfüllt sich der gelernte Betriebswirt den Traum, Fantasy Fans zu begeistern und seinen Kindern etwas zu hinterlassen, das sie immer an ihn erinnern wird. Mientus lebt zusammen mit seiner wunderbaren Familie in Nordrhein-Westfalen am Rhein

Prolog

Es war eine dunkle Zeit für die Zwerge in der alten Mine von Kar-Gor-Vahr, doch Bahldor entschied, endlich etwas gegen die aussichtslose Situation zu unternehmen. Als Träger konnte er sich innerhalb der Sklavenmine oft frei bewegen, um die Wünsche seiner Herren zu erfüllen. Vor allem jene des fiesen Fettsacks Buhgal, einem Goblin, der es liebte, ihn zu schikanieren. Nach so vielen Zyklen der Knechtschaft kannte sich Bahldor blind in jedem Winkel der alten Festung sowie in den tiefen Minen aus. Heute war es so weit, er würde fliehen.

Yany wird nicht erfreut sein, ging ihm durch den Kopf. Seit vielen Monden versuchte seine Frau, ihm sein Vorhaben immer und immer wieder auszureden, doch er hatte sich entschieden. Seit der Geburt seines Sohnes verfolgte ihn ein einziger Gedanke: Er darf nicht in Gefangenschaft aufwachsen und ein so erbärmliches Leben führen wie seine Eltern. Nein, nicht Wulwgar. Er würde frei sein und ein wahrer Zwerg werden. Wie es die Legenden besagten, an die sich heute kaum mehr einer erinnern konnte.

In der Gefangenschaft drohte ihm ein kurzes Leben, und das nur, um die Wünsche der Grünhäute zu erfüllen.

Bahldors Freund Groam war als Arbeiter in den Minen tätig und hatte ihm erzählt, dass er in den letzten Tagen einen Weg zum eingestürzten Höhlensystem gefunden hatte. Schnell und ohne Aufsehen zu erregen, hatte er die kleine Öffnung verbergen können. Es war purer Zufall gewesen, dass er genau an dieser Stelle die Festigkeit des Stollens überprüft hatte, denn seine Kolonne grub für gewöhnlich in einer anderen Tiefe. Die Orks würden ihre Sklavenarbeiter noch lange an der falschen Stelle nach dem Durchgang suchen lassen.

Das ist genau meine Chance. Vielleicht die letzte, die ich bekomme.

So viele Zyklen nachdem der ehemalige Kommandant Kruhl Eisenfaust den gesamten Abschnitt zum Einsturz gebracht hatte, hatten sie einen Weg in das neue Königreich gefunden. Bahldor war klar, was passieren würde, wenn auch die Orks den lang ersehnten Weg nach Andoria finden würden.

Ein Peitschenhieb unterbrach seine Gedanken und erinnerte ihn an seine Pflicht. Er beeilte sich, dem Goblin in seinem Rücken keinen weiteren Grund zu geben, die Peitsche zu schwingen.

»Du solltest die Kiste doch schon längst in das Lager gebracht haben! Nutzloses Stück Dreck. Wofür gebe ich mir überhaupt Mühe mit dir? Ich sollte dich fressen und mir einen anderen Knecht suchen!«

Bahldor fiel auf die Knie und entblößte seinen Nacken, wie es bei den Grünhäuten üblich war, um seine Unterwürfigkeit zu bekunden. Das schien dem Goblin zu schmeicheln, denn oft genug mussten die kleinen Giftmischer vor den größeren Orks kriechen. Überlegenheit und Macht waren für die grünen Spitzohren – neben allem, was glitzerte – der größte Schatz.

»Lass mich das nicht noch einmal sehen. Jetzt ab mit dir, bring die Kisten ins Lager, bevor ich es mir anders überlege.«

Bahldor stand auf und nahm die sperrige Kiste in beide Hände. Ein abstehender Splitter bohrte sich tief in sein Fleisch, aber er biss die Zähne zusammen. Außer Sicht seines Meisters stellte er den Behälter vorsichtig ab. Blut floss über sein Handgelenk, und das kantige Holzstück, das er schließlich aus seiner Haut zog, machte die Wunde nur noch größer. Mit schmerzverzerrtem Gesicht setzte er seinen Botengang durch halb Kar-Gor-Vahr fort. Eine lange Strecke, um über die Details seiner Flucht nachzudenken. Sein Vater hatte ihm ein Erbe hinterlassen, und dieses Erbe würde er, zusammen mit seinem Sohn Wulwgar, weit fortbringen, weg von den Orks und deren sadistischer Knechtschaft. Nichts davon würden sie jemals in die Hände bekommen, das schwor er sich.

Seinen Auftrag hatte er erledigt, zur Zufriedenheit des Goblins, der ihm mit einer Handbewegung andeutete, dass er heute etwas früher als sonst in seine Unterkunft zurückkehren durfte. Voller Vorfreude machte sich Bahldor auf den Heimweg. Seine Füße brannten wie an jedem anderen Tag. Unter seinen nackten Fußsohlen spürte er sämtliche Unebenheiten der Straße, auf der sich der Dreck nur so türmte. Die Grünhäute waren nicht gerade dafür bekannt, alles sauber zu halten, und so stank es bestialisch nach Unrat, dessen Entfernung die undankbare Aufgabe jener Arbeiter war, die nicht im Bergwerk schuften mussten.

Von den wenigen Ältesten hörten sie oft Geschichten über die glorreichen Zeiten der Zwerge, als Kar-Gor-Vahr eine prächtige Festung war, die nur von den nahezu unendlichen Minen tief im Berginneren übertroffen wurde. Doch von diesem Glanz war nichts mehr übrig. Selbst Bahldor erinnerte sich nicht an die Zeit, bevor die Grünhäute Kar-Gor-Vahr gewaltsam an sich rissen. Er war in Gefangenschaft geboren und aufgewachsen.

Völlig in Gedanken versunken, bemerkte Bahldor, dass er bereits vor dem Eingang zu seiner Ruhestätte stand. Dort war sein Ein und Alles, seine Familie, die spätestens nach der Geburt seines Sohnes vollkommen war.

Er schob den Vorhang zur Seite und trat leise ein. Es waren die einfachsten Verhältnisse, in denen sie lebten, aber Yany tat ihr Bestes, um ihr Heim so angenehm wie möglich zu gestalten. Ein einfacher Holztisch, dessen Beine bereits mehrfach repariert worden waren, dazu ein paar alte Fässer, die sie als Stühle nutzten, sowie eine Schlafnische aus Stroh, darauf eine Bettwäsche, die als solche kaum zu bezeichnen war. Erbärmlich sieht es hier aus, ging es ihm durch den Kopf. Seine Frau bemerkte ihn nicht, denn sie beaufsichtigte gerade die Feuerstelle, über der ihr einziger Kochtopf hing. In der Ecke stand die Wiege, notdürftig zusammengezimmert aus allem, was nicht mehr gebraucht wurde. Sein Sohn schlief seelenruhig. Jeden Abend wiegte Bahldor ihn in den Schlaf, erzählte ihm von den großen Abenteuern seines Volkes, bis Wulwgar friedlich im Land der Träume verschwand. Der Kleine war noch ein Jungzwerg, wenige Tage alt.

Die Orks sorgten dafür, dass sich die Zwerge vermehrten, sie brauchten schließlich Arbeiter. Doch Bahldors und Yanys Liebe zueinander war zum Glück von allein entstanden. Viele andere wurden auf grausame Weise dazu gezwungen, sich fortzupflanzen.

Wulwgar war Bahldors und Yanys ganzer Segen sowie ein Geschenk ihrer Liebe. Diese Liebe trieb Bahldor nun an, machte ihn fest entschlossen. Heute Nacht sollte es geschehen.

So leise wie möglich schlich er an seine Frau heran, drehte sie ruckartig um – was ihr einen Schrei entlockte – und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss. Ein kleines Ritual, das er noch an keinem Tag versäumt hatte. Ihr spitzer Aufschrei genügte, um Wulwgar aufzuwecken, der vor Schreck anfing zu weinen.

Sie schaute ihn verschmitzt an. »Das hast du doch nur gemacht, damit du ihm wieder deine Geschichten erzählen kannst!«

Bahldor antwortete ihr nicht, sondern drückte ihr noch einen zweiten Kuss auf den Mund. »Du liest in mir wie in einem offenen Buch«, raunte er ihr leise ins Ohr, wandte sich ab und ging zu seinem Sohn.

Wulwgar hatte inzwischen aufgehört zu weinen und spielte stattdessen mit der kleinen Holzaxt in seiner Hand. Der Versuch, alle Ecken und Enden gleichzeitig in seinen Mund zu bekommen, schien ihn vollkommen zu begeistern, was Bahldor ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Das Stück Holz hatte er bei einem Transport eingesteckt, in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden. Tagelang hatte er es mit einem spitzen Stein bearbeitet und sorgfältig den Namen seines Sohnes dort eingebrannt. Die Axt sah zwar nicht besonders schön aus, aber sie erfüllte ihren Zweck, und scheinbar gefiel sie Wulwgar.

Yany trat vor ihn und legte ihre Arme um seinen Nacken, während sie leise in sein Ohr flüsterte: »Kann ich dich irgendwie davon abhalten?« Tränen füllten ihre Augen, während er ihren Arm küsste und dabei seinen Sohn nicht einen Moment aus den Augen ließ.

»Ich bringe es einfach nicht übers Herz, ihn hier aufwachsen zu sehen. Was hatten wir für eine Kindheit, Yany? Unter welchen Qualen mussten wir leben? Nein, so darf es Wulwgar nicht ergehen.«

Es überraschte sie nicht, dass seine Antwort so ausfiel. Sie hatten Hundert Male darüber gesprochen.

»Hast du den Proviant zusammengepackt?«

Yany antwortete nicht, doch er wusste, dass sie alles für ihn vorbereitet hatte. Sie war eine gute Frau. Die einzige, die es jemals für ihn geben würde.

Mit gebrochener Stimme sagte sie: »Ich will euch nicht beide verlieren, das ertrage ich nicht.«

Bahldor wollte sich nicht zu ihr umdrehen, er hasste es, sie weinen zu sehen. Aber ihre Tränen würden weitaus zahlreicher fließen, wenn Wulwgar hierblieb. Er verstand ihre Furcht nur zu gut, aber sein Plan stand fest. Sein Freund Groam hatte ihm eine genaue Anleitung gegeben, die ihm den Weg zum verborgenen Eingang wies. Danach war er auf sich allein gestellt, denn die Reise nach Andoria war weit und mit einem Jüngling mehr als beschwerlich.

Trotzdem musste er es versuchen, seinem Sohn zuliebe.

»Ich komme wieder, verlass dich darauf. Morgen fährt Buhgal nach Dhungabar. Wie immer wird er viele Tage fort sein, ich werde in der Zeit zurückkommen.« Mit geschlossenen Augen drehte er sich um und nahm sie in den Arm, während sich ihre Brust hektisch auf und ab bewegte. »Wenn es stimmt, was Groam gesagt hat, gibt es in den Höhlen Pilzgeflechte, die uns etwas Licht, aber auch Nahrung spenden werden. Wir werden es schon schaffen, Yany, ich verspreche es dir.«

Er ging zum anderen Ende ihrer Unterkunft, wo er sie eigenhändig versteckt hatte. Vorsichtig kratzte er den Mörtel von der Wand und entfernte die Steine so, dass er sie im Anschluss wieder einsetzen konnte. Weiter hinten lag sie, in Lumpen eingewickelt. Er zog sein Kleinod heraus und schlug sorgfältig den Stoff auseinander. Zum Vorschein kam eine Axt, die schöner nicht hätte sein können. Sie war besonders, genauso wie sein

Sohn. Beide würde er in Sicherheit bringen, das schwor er sich und seiner kleinen Familie …

Die Patrouille

Wulwgar schloss die Augen, während die frische Bergluft seine Lungen füllte. Er liebte es, die kalte und stechende Brise in seinem Körper zu spüren. Es war schon spät, seine Füße brannten wie Feuer. Wenn er bereits erschöpft war, wollte er gar nicht erst wissen, wie es den Rekruten im Schlepptau erging. Sie saßen weiter abseits und rieben sich angestrengt ihre Waden. Die Berge sind rau und erbarmungslos. Je eher sie lernen, mit den Strapazen umzugehen, desto besser, dachte er schmunzelnd bei sich. Obwohl Zwerge für die Berge wie geschaffen waren, war ein Gewaltmarsch auch für sie eine extreme Belastung. Endlose Steinhänge, kaum breitgetretene Wege sowie haufenweise Geröll, das die Routen der Patrouillen teilweise unpassierbar machte.

Die Sonne malte große Schatten auf den Bergkamm, was bedeutete, dass es bald deutlich kühler werden würde. Wulwgar konnte nicht genau benennen, was ihn beunruhigte, doch es lag etwas in der Luft, eine Anspannung, die sich auch in seiner Magengrube anstaute.

Steine purzelten den Berghang hinunter, als Pilgrim neben ihn trat. »Was ist los?«, fragte sie leise. »Wir sollten schon längst den Rückweg angetreten haben. Sonst kommen wir zu spät, und der Kommandant lässt uns dafür Doppelschichten schieben.«

Wulwgar hatte Pilgrim selbst ausgebildet und wusste von ihren Stärken. Geduld zählte leider nicht dazu.

Er antwortete nicht sofort, sondern konzentrierte sich weiter auf den schwachen Geruch, der ihm um die Nase wehte. Die frische Brise ließ ihn ständig verschwimmen, doch er war da, dass spürte Wulwgar. Der Geruch war schwer, gar nicht wie die sonst so klare Bergluft. Eine Mischung, die ihn entfernt an ranziges Fett oder mit Schweiß verdünntes Blut erinnerte. Der Wind, der an

der Ostwand des Berges entlangwehte, trug ihn eindeutig mit sich. Dann dämmerte es ihm.

Langsam drehte er sich zu Pilgrim um und flüsterte: »Wir sind nicht allein!«

»Bist du dir da sicher?«, fragte sie ungläubig, was ein kurzes Nicken ihres Ausbilders zur Folge hatte.

Er wandte sich um und gab Vangar ein Zeichen, sich einen Überblick zu verschaffen. Flink wie eine Bergziege kletterte der erfahrene Späher den Bergkamm hinauf und verschwand wenige Augenblicke später aus ihrem Sichtfeld. Es dauerte nicht lange, bis er beinahe lautlos wieder auftauchte. Wie es sich gehörte, salutierte er vor seinen Truppenführern und erstattete Bericht.

Wulwgars Gefühl hatte ihn nicht getäuscht. Hinter einigen Felsvorsprüngen hätten ein paar Grünhäute ihr Lager aufgeschlagen, berichtete der Späher. Es seien nicht viele, doch der Feind durfte auf keinen Fall ihren geheimen Standort entdecken, dafür stand viel zu viel auf dem Spiel.

Wulwgar genügte diese Information, um eine Entscheidung zu treffen. Mit einem schiefen Grinsen flüsterte er: »Lasst uns Orks jagen!« Orks und Goblins waren die Erzfeinde der Zwerge. Ein Waffenstillstand zwischen beiden Völkern hatte nie länger als zwei Winter angehalten. Natürlich immer mit dem ein oder anderen Zwischenfall. Da steckte mal ein Orkkopf auf einem Pfahl, oder eine Zwergen-Patrouille kehrte nie von ihrer Mission zurück.

Die Patrouille hatte Glück, dass der Wind günstig stand, so hatten die Orks keine Ahnung, dass die Zwerge in der Nähe waren.

»Das Überraschungsmoment liegt auf unserer Seite«,

durchbrach Pilgrim die eingetretene Stille, während sie sich alle kampfbereit machten und nur ein leises Geklapper hörbar war. Sie war die einzige Truppenführerin im gesamten Zwergenreich. Wulwgar war stolz auf sie und ihre Taten. Die Abhärtung sah man ihr sprichwörtlich an. Ein durchtrainierter Körper, muskelbepackte Oberarme und der eiserne Wille eines Zwergs – den man auch als abgrundtiefe Sturheit bezeichnen mochte.

Als Kriegsveteran stand es Wulwgar frei, sich einer Patrouille oder Erkundung anzuschließen. Allein die Beschäftigung mit der Ausbildung der neuen Rekruten war ihm oft zu eintönig. Zudem vermisste er den Nervenkitzel. Im Gebirge bestand bei jedem Einsatz die Gefahr, ungebetenen Gästen über den Weg zu laufen. Trollen, Berglöwen, Goblins oder – wie an diesem Tag – Orks. Insgeheim freute er sich auf das Scharmützel, obwohl es alles andere als einfach war, gegen Grünhäute zu kämpfen. Niemand sollte das auf die leichte Schulter nehmen. Genau das brachte er seinen Rekruten jeden Tag schmerzhaft bei, schließlich waren auch die Orks mit guten Rüstungen ausgestattet und nicht selten bis unter die Hauer bewaffnet. Ihre Stärke war jener der Zwerge zudem deutlich überlegen.

Er nickte Pilgrim zu. »Wir werden uns die Überraschung und die bessere Lage im Gebirge zunutze machen!« Wulwgar bedachte seine Ausrüstung mit einem letzten prüfenden Blick. Seine Hand schloss sich um die Axt, die locker an seinem Gürtel hing, und mit einem geübten Griff nahm er seinen Schild aus der Rückenhalterung. Alles war bereit.

Als er aufblickte, stand der Trupp bereits mit erwartungsvollen Gesichtern vor ihm. Es war eine gute Mischung aus alten Hasen und Frischlingen – so nannten sie alle Rekruten, die ihren ersten Außeneinsatz verrichteten. Neben dem Späher Vangar bestand die Gruppe aus den Kriegern Brim und Bram, zwei Brüdern aus dem Clan der Rotzöpfe, sowie dem

Ingenieur Hower. Seine Spezialität lag nicht nur darin, vermeintliche Fallen zu entschärfen, sondern auch in der Entwicklung sonderbarer Konstruktionen. Er konnte nahezu aus allem etwas zusammenbasteln, was seinen Feinden sehr wehtun konnte.

Den Trupp machten die vier neuen Krieger-Rekruten komplett. Ihnen sah man die Nervosität besonders an, denn sie kontrollierten nun schon zum dritten Mal ihre Ausrüstung. Ein wichtiger Teil des Rekrutentrainings war es, den jungen Zwergen die Grundregeln des Kampfes einzubläuen. Erstens: Erscheine niemals ohne Rüstung zu einer Schlacht. Zweitens: Was immer auch geschieht, verliere deine Waffe nicht.

Auf dem Bergkamm ging langsam die Sonne unter und malte dämonische Schatten auf die Steinplatten. Wulwgar beeilte sich, die Krieger in zwei Gruppen aufzuteilen, um die Orks von beiden Seiten in die Zange zu nehmen. Wenn das Licht vollständig verschwand, wären die Grünhäute im Vorteil, und das wollte er unter allen Umständen vermeiden. Im Dunkeln konnten diese Biester sehr gut sehen, mindestens genauso gut wie Zwerge, und waren noch vitaler als am helllichten Tag. Orks bewegten sich für gewöhnlich äußerst ungern im Sonnenlicht. Etwas musste sie angespornt haben, jetzt schon unterwegs zu sein.

Beide Gruppen teilten sich unter der Führung von Pilgrim und Wulwgar auf. Brim und Bram waren wie immer unzertrennlich und folgten gemeinsam Wulwgar. Auch Vangar ließ es sich nicht nehmen, mit seinem alten Truppenführer in den Kampf zu ziehen. Im Vorbeigehen packte er einen der verängstigt dreinschauenden Rekruten mit den Worten, »Komm mit, Frischling!«, am Kragen und zog ihn mit sich.

Wulwgar überquerte so unauffällig wie nur möglich den Pass oberhalb ihrer Feinde. Vangar hatte ganze Arbeit geleistet und haargenau den Weg erkundet. Trotzdem musste der kleine Trupp sehr vorsichtig sein, um keine Geräusche zu verursachen. Auch der Wind stand günstig, die Frage war nur, wie lange noch. In den Bergen drehte die Windrichtung sprunghaft, was sie nur noch mehr anspornte, sich zu beeilen.

Nach einigen Kletterpartien waren sie angekommen und konnten nun laut und deutlich die Grünhäute in ihrer abscheulichen Sprache reden hören. Wulwgar verstand nur Bruchteile davon, doch offenbar machten sie derbe Scherze und schlugen sich damit die Zeit tot. Noch deutete nichts darauf hin, dass sie von den Zwergen wussten.

Der Wind trug die Geräusche der Gegner noch deutlicher zu ihnen herüber. Wulwgar presste sich eng an den Felsen, während sich der Rest zum Angriff bereit machte. Er schloss die Augen, wie er es vor jeder Schlacht tat. Die Luft war rein und gab ihm das Gefühl, lebendig zu sein. Er zog vorsichtig seine Axt aus der Halterung und wog sie in der Hand. Das fühlte sich gut an, fast schon zu gut. Er konnte es kaum erwarten, in die überraschten Fratzen der Orks zu schauen, wenn der Angriff losging.

Langsam öffnete er die Augen wieder und blickte auf das schwarze Eisen, aus dem der Axtkopf hergestellt war. Jenes Eisen, das nur in den Schwarzen Bergen gewonnen werden konnte, die, wie jeder wusste, seit Anbeginn der Zeit in der Hand der Grünhäute waren. Umso erstaunlicher, dass die Axt ihren Weg zu ihm gefunden hatte.

Er drehte sie nachdenklich von links nach rechts, ohne sie aus den Augen zu lassen. Irgendwann werde ich erfahren, woher du kommst und wer dich erschaffen hat.

Vorsichtig berührte er die drei Runen, die in den Axtkopf eingearbeitet waren. Es waren alte Zeichen, die in keinem ihm bekannten Buch verzeichnet waren. Die Axt fühlte sich wie eine Verlängerung seines Arms an – wie ein Teil von ihm. Heute würde er ihren Durst nach Orkblut erneut stillen.

Pilgrim war zwischenzeitlich mit ihrem Trupp am Westhang angekommen. Angespannt nahm sie das Horn in die Hand. Die Schritte wohl bedacht setzend, kam sie ihrem Zielort immer näher. »Jetzt nur keinen Fehler machen«, flüsterte sie leise zu sich selbst. Wie Raubkatzen auf der Jagd kletterten die dunklen Schatten den Berg hinauf. Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden fast vollständig hinter dem Bergkamm.

Der kleine Stoßtrupp bemühte sich, seiner Anführerin so leise wie möglich zu folgen. Dennoch kam sie nicht umhin, sich anstatt ihrer Gefährten ein paar leichtfüßige Elben an ihre Seite zu wünschen. Es verging nämlich kaum ein Schritt, der nicht doch irgendein unglückliches Geräusch produzierte.

Ihr Herz hämmerte, pumpte das Blut durch ihre Adern. Wenn wir zurück sind, werde ich sie in voller Montur das Schleichen üben lassen, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrechen, schwor sie sich.

Allmählich wurde die Luft von bedrohlich tiefen Stimmen und der schmutzigen Sprache der Orks erfüllt. Pilgrims Magen verkrampfte sich, je länger sie den Worten des Grünen Volkes lauschte. Geduckt kauerte sie hinter dem letzten Felsen, der sie von den Grünlingen trennte. Bevor es richtig losging, wollte sie noch einen Blick riskieren. Pilgrim liebte die Aufregung kurz vor einem Kampf. Wenn der Wind nicht wäre, könnte sie das Blut in ihren Ohren rauschen hören–

Eine Berührung an ihrer Schulter riss sie abrupt aus ihrer Konzentration. Hinter ihr stand Hower und gab ihr mit einer knappen Kopfbewegung zu verstehen, dass er vorausgehen wollte. Was hat der starrsinnige Alte nun wieder für eine Spinnerei ausgeheckt?

Gekonnt drückte sich der Zwerg an ihr vorbei und gleichzeitig fest gegen den Felsen, um nicht entdeckt zu werden. Mit dem linken Arm berührte er abschätzend das Gestein, bevor er zupackte. Eiskalt, rau, uneben, ohne spitze Kanten … eindeutig Granit. Er hatte es befürchtet. Granit war von Natur aus poröser als anderes Gestein. Das war einer der Gründe, warum Zwerge ihn nur für Verzierungen benutzten.

Hower verzog das Gesicht. Das bedeutete, jeder Schritt musste sorgfältig geplant sein. Hoffentlich hielt das Gestein, sonst wäre es mit ihrem Überraschungsmoment sehr bald vorbei.

Er verlagerte sein Gewicht vorsichtig auf das linke Bein, um auf der schmalen Kante nicht abzurutschen. Als er gerade um den Felsvorsprung blicken wollte, löste sich ein kleiner Granitbrocken vor seinen Fußspitzen und purzelte den Abhang hinunter. Das Klappern war zwar nicht laut, aber es reichte aus, dass alle die Luft anhielten.

Hower traute sich kaum zu blinzeln. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Wenn die Grünlinge das gehört haben, war’s das jetzt. Sekunden der Stille vergingen, in denen nur das Gegrunze der Orks zu hören war. Nach einer gefühlten Ewigkeit wagte Hower den nächsten Versuch und spähte vorsichtig um die Ecke.

Da saßen sie, zwei stinkende Orks, eng um ein Feuer gedrängt. Ihre massiven Körper waren denen der Zwerge nicht nur bezüglich ihrer Größe überlegen. Einer drehte – mehr dösend als wach – einen Stock, auf dem ein großes Fleischstück aufgespießt war, während der andere gelangweilt sein übergroßes Beil schärfte. Ein dritter saß etwas abseits und hielt Wache. Zumindest sollte er das vermutlich tun. Tatsächlich

schlief er tief und fest, beide Arme auf seine Waffe gestützt. Unter einem Felsvorsprung unterhielten sich ein paar weitere Grünhäute. Wie viele es waren, konnte Hower nicht genau erkennen.

Plötzlich weckte etwas seine Aufmerksamkeit. Eine Bewegung, um genau zu sein. Hinter der schlafenden Wache schälte sich ein weiterer Ork beinahe lautlos aus der Dunkelheit. Zu allem Übel ein besonders großes Exemplar. Der riesige Ork betrat den Lichtkegel, den das Lagerfeuer in verschiedene Richtungen warf. Sein Schatten tanzte grotesk auf der Felswand, als der Wind das Feuer wild züngeln ließ.

Harlok trat die schlafende Wache seitlich um. »Du fauler Drecksack, ich werde dir die Haut abziehen und mir daraus einen Bettvorleger machen, wenn ich dich noch mal beim Schlafen erwische! Hier draußen kann es überall von dreckigen Zwergen wimmeln. Willst du im Schlaf abgestochen werden?«

Vollkommen verschlafen rappelte sich Slay auf, während sich die anderen vor Lachen kringelten. Harlok blickte alle Mitglieder seines Aufklärungstrupps der Reihe nach finster an. »Unser Auftrag ist einfach: Findet einen Weg über den Pass. Der kleine Giftmischer hat die Karten fast fertig!« Ein strenger Blick in Richtung des besagten Goblins sorgte dafür, dass dieser noch schneller Wegmarkierungen auf ein altes Lederstück zeichnete. »Ich möchte auch auf den letzten Metern keine Leichtsinnigkeit von euch sehen, nur weil wir bisher auf keine Gegenwehr gestoßen sind.« Die anderen saßen in unmittelbarer Nähe und grinsten nach wie vor über den Anschiss, den Slay bekommen hatte. Der Trottel schlief immer ein, und keine Strafe änderte etwas daran.

Harlok nervte die mangelnde Moral seiner Krieger mächtig. Dummerweise hatte er kein Mitspracherecht gehabt, was die

Auswahl seiner Truppenmitglieder betraf. Andernfalls wäre keiner von diesen Idioten heute hier. »Br`agka wird uns zeigen, was er davon hält, wenn wir die Karten nicht vollständig zurückbringen. Wollt ihr erfolglos in Dhungabar aufschlagen? Wer möchte ihm die Nachricht überbringen?« Erwartungsvoll blickte sich der Anführer um.

»Du!«, kam es dröhnend von der rechten Seite.

Balk, wer sonst? Der Krieger saß am Feuer und schärfte immer noch sein gezacktes Beil, während er über seinen eigenen Scherz grinste. Auch er war muskelbepackt und trug als Rüstung eine schlecht geschmiedete Brustplatte, die mit Riemen an seinem Rücken zusammengehalten wurde, wie die meisten Orks aus den schwarzen Bergen. »Schließlich bist du unser Truppenführer«, setzte er nach.

Diese Widerworte ließ sich Harlok nicht gefallen. Seit einigen Tagen hoffte er auf einen Vorwand, einem von ihnen endlich aufs Maul hauen zu können. Mit einem Satz sprang er übers Feuer und schlug Balk mit der Faust so hart ins Gesicht, dass dieser beim Sturz seine Waffe fallen ließ. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als wollte Balk zum Angriff übergehen, sank dann aber auf ein Knie und entblößte seinen Nacken. Harlok schaute ihn lange an, während seine Hand noch von dem Schlag pulsierte. Er hätte nichts dagegen gehabt, noch ein paar Mal auf den Blödmann einzuschlagen.

Enttäuschung breitete sich in ihm aus, gemischt mit Genugtuung. Seine Muskeln entspannten sich wieder, als er Speichel in seinem Mund sammelte und ins Feuer spuckte. »Ich wusste, dass du eine feige Sau bist!« Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ mit schweren Schritten den Schauplatz. Die restlichen Orks konnten sich das Lachen kaum verkneifen, während die beiden Goblins erschrocken die Köpfe einzogen. Solche Rangeleien waren leider an der Tagesordnung, allerdings gehörten Goblins eher zu der feigen Fraktion. Beim Vorbeigehen musterte Harlok sie mit einem verächtlichen Blick. Er war alles andere als erfreut, die Arschkriecher mitnehmen zu müssen, aber sein Vater zwang in förmlich dazu. »Die Allianz zwischen unseren Völkern ist wichtig« – Er konnte den Satz nicht mehr hören. Die Winzlinge waren keine besonders guten Krieger und noch schlechtere Jäger. Das Einzige, was sie konnten, war, jemanden hinterrücks abzustechen. Und genau dafür verabscheute er sie. Ihm konnten sie nur als Späher dienen, und wenn sie die Kartenzeichnungen versauen sollten, würde er ihnen persönlich den Arsch aufreißen. Wörtlich.

»Was glotzt ihr beiden so?«, blaffte Harlok sie an. »Kümmert euch um den Vorrat! Wir haben Hunger und brauchen ausreichend Nahrung für den Rückweg, sonst fressen wir euch!« Ein schadenfrohes Lachen ging durch die Reihen, während sich die beiden Goblins quiekend auf den Weg machten, etwas Essbares zu finden.

Hinter dem Felsvorsprung gab Hower den Rekruten ein Zeichen, sich um die Goblins zu kümmern. Nachdem einige Minuten vergangen waren, nahm Pilgrim das Kriegshorn, betrachtete es einen Moment und wartete auf das verabredete Signal. Es dauerte nicht lange, da hob Hower die Hand. Alle starrten voller Anspannung auf die geballte Faust des alten Zwergs. Dann schoss sein Zeigefinger hoch in Richtung der Sterne, die am wolkenlosen Himmel der Nacht zu sehen waren.

Pilgrim führte das Horn an ihre Lippen, atmete tief ein und blies aus Leibeskräften. Es erklang ein tiefer Ton, dessen Echo durch die Berge um ein Vielfaches verstärkt wurde. Im gleichen Moment sprang die Ork-Schar erschrocken auf, um nach ihren Waffen zu greifen. Der Ruf des Horns schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen. Hower sah, wie sie von

wilder Panik getrieben um sich blickten.

In diesem Augenblick sprang Wulwgar hinter dem Felsen auf der anderen Seite hervor, direkt auf den nächsten Ork zu. Dieser hatte nicht den Hauch einer Chance. Seine großen Augen fixierten überrascht den heranfliegenden Zwerg – zu spät – denn keine Sekunde später fuhr bereits die Axt durch seinen Schädel. Ohne auch nur einen Ton von sich zu geben, fiel er hintenüber. In einer fließenden Bewegung zog Wulwgar die Axt aus dem Ork, während Vangar mit seinem Gewehr die hinteren Orks unter Beschuss nahm.

Der Orkanführer brüllte Befehle, was die Verwirrung unter den Grünhäuten nur noch größer machte. Als sich so etwas wie eine Formation unter den Kriegern bildete, sprang Pilgrim mit ihrem Trupp aus dem Versteck, genau in die ungedeckte Rückseite der Orks. Das ließ die geringe Verteidigungstaktik endgültig zusammenbrechen. Zwei Orks versuchten, auf eigene Faust zu fliehen, verließen die Formation und sprangen den Abhang hinunter. Eine wilde Rutschpartie begann, die direkt vor den beiden Zwergenkriegern Brim und Bram endete.

»Schau mal, Bruderherz, da will wohl jemand vom Schlachtfeld türmen!« Schelmisch grinsend begrüßten sie die verwirrten Orks, aus deren Augen blanke Angst sprach. Die Brüder hingegen wiegten gelassen die Doppeläxte in ihren Händen.

»Kommt, ihr süßen Fröschlein«, rief Bram, »ich spalte euch von Kopf bis Fuß, danach werde ich –« Doch bevor Bram seine Ansprache beenden konnte, teilten sich die Orks plötzlich in verschiedene Richtungen auf und nahmen Reißaus.

»Dein Gequatsche bringt uns irgendwann noch um, Bruderherz!«, schrie Brim, während er zum Sprung ansetzte, um einem der beiden den Fluchtweg abzuschneiden. Die Grünhaut war unerwartet wendig unterwegs. Mit einem lauten Kriegsschrei sprang Brim auf ihn zu. Schwungvoll ließ er seine Doppelaxt in

hohem Bogen auf den Ork niedersausen. Der Hieb traf ihn auf Kniehöhe, was ein ekelerregendes Knacken zur Folge hatte. Die Wucht des Schlags trennte die Grünhaut vollständig von ihren Beinen. Alles ging so schnell, dass der Ork noch zwei weitere Schritte auf seinen Stumpen lief, ehe er bemerkte, was passiert war. Er schaute an sich herab, doch bevor er sich seiner Schmerzen bewusst wurde, schlug Brim ihm mit dem nächsten Schlag den Kopf von den Schultern.

Sein Bruder hatte zwischenzeitlich weniger Glück, denn in dem Durcheinander hatte sich der zweite Ork einen gewaltigen Vorsprung verschafft. Er durfte Bram nicht entkommen, unter keinen Umständen. »Du mieser Frosch, bleib stehen!«, schrie er ihm schnaufend hinterher. Der kurze Sprint war leider nicht erfolgreich, sodass der Abstand zwischen dem Zwerg und dem Ork immer größer wurde. Bram wog ab, ob er es wagen sollte, seine Axt zu werfen. Es sieht ja niemand zu, dachte er bei sich. Doch noch bevor er mit der Axt ausholte, sackte der Ork plötzlich zusammen.

Völlig überrascht verlangsamte Bram sein Schritttempo. Er trat vorsichtig näher und stupste den am Boden liegenden Ork mit dem Fuß an. »Sag mal, wurdest du vom Blitz getroffen?«

Keine Reaktion. Die Grünhaut lag da, als ob der Vater aller Zwerge selbst ihn mit seinem Hammer erschlagen hätte.

Die Axt fest im Griff, umrundete der Zwerg den leblosen Körper. An seinem Kopf – oder dem, was davon übrig war – angekommen, sah er den Grund des raschen Todes: Am Hinterkopf klaffte eine Wunde, die so groß war wie die Faust eines Zwergs. »Vangar, du blöder Arsch!«, murmelte er in seinen Bart hinein. Bram drehte mit angewiderter Miene das Gesicht weg. Der Anblick war wirklich alles andere als appetitlich.

Hinter ihm schrie sein Bruder: »Eins zu null, Bruderherz«, worauf Bram erneut eine Grimasse zog. Er hasste es, gegen seinen

Bruder zu verlieren. Brim würde garantiert in jeder Schänke der Zwillingsberge die Geschichte zum Besten geben.

Brams blaue Körperbemalung zuckte, als er die Muskeln anspannte und in Richtung des Kampflärmes stürmte. Irgendwo musste doch noch ein Grünling zu finden sein …

Wulwgar kämpfte derweil erbittert mit dem Anführer der Orks, der sich erstaunlich gut gegen die Angriffe des Zwergs zur Wehr setzen konnte. Der Ork war beinahe doppelt so groß wie jeder Zwerg, den er kannte – und er kannte viele. Wulwgar hatte noch nie einen Gegner erlebt, der sich so lange gegen ihn behauptete. Die Anstrengung sah man ihm inzwischen deutlich an, er schwitzte aus allen Poren, und sein Arm fing an zu zittern, je öfter er einen harten Schlag des Orks abwehrte. Beide teilten gewaltige Hiebe gegeneinander aus, und Wulwgar konnte die wuchtigen Schläge mehrfach nur mit Hilfe seines Schilds parieren. Je länger sie sich so duellieren würden, desto unwahrscheinlicher war es, dass er als Sieger hervorging. Der Grünarsch muss doch irgendeine Schwachstelle haben.

Sie umrundeten einander wie zwei lauernde Raubkatzen. Wulwgar ärgerte sich, nicht härter trainiert zu haben, doch ihn hatte auch schon lange niemand mehr so sehr gefordert.

Der nächste Hieb kam auf ihn zu, und wieder entkam er nur knapp, indem er sich zur Seite abrollte. Der Ork spürte, dass der Zwerg nicht mehr lange durchhalten würde, und ließ sein Schwert umso öfter auf ihn niedersausen, angetrieben von seinem angeborenen Siegeswillen. Doch diesmal erahnte Wulwgar die Taktik. Der nächste Schlag ging haarscharf an seinem Helm vorbei, was er deutlich an dem Luftzug auf seiner Wange spürte.

Die Wucht des Schwungs brachte den großen Ork für einen kurzen Moment ins Wanken. Genau darauf hatte Wulwgar

gewartet. Er schlug die Rückseite seiner Axt, die einem hammerförmigen Dorn glich, in die Kniekehle seines Gegners – der seinen Fehler zu spät bemerkte. Auf Knien und mit weit aufgerissenen Augen sah er im nächsten Moment auch schon die Axt auf sich zukommen. Danach wurde alles um ihn herum dunkel.

Hower kämpfte einige Schritte entfernt an der Seite der Rekruten und konnte mit seinem Schild Schlimmeres verhindern. Er fühlte sich irgendwie für die Neulinge verantwortlich, was ihn dazu bewog, sich während der Kampfhandlungen nie weit von ihnen zu entfernen. Seine Schrotflinte war im engen Zweikampf kaum zu gebrauchen, zu groß war die Gefahr, dass das Streugeschoss nicht nur Feinde traf, sondern auch Freunde. So verließ er sich auf sein Kurzschwert, was sich im direkten Vergleich mit seinem Gegner leider als ebenfalls unbrauchbar entpuppte, denn der Ork kämpfte mit einer gewaltigen Axt gegen ihn. Dabei war der Begriff Axt eine deutliche Untertreibung, denn das Ding glich eher einem enormen Schlachterbeil. Funken lösten sich bei jedem parierten Schlag, die in der Nacht wie Tausende von Glühwürmchen aussahen, die blitzschnell in verschiedene Richtungen flogen.

Der Ork gewann zunehmen die Oberhand, was seine Raserei nur noch befeuerte. Die gewaltigen Angriffe nahmen nochmals an Schnelligkeit zu. Nur mit viel Mühe gelang es dem alten Zwerg, seinen Schild von links nach rechts zu drehen, um nicht entzwei gehackt zu werden. Zum Glück bedrängten die Rekruten den Ork so gut sie konnten, was Hower die dringend benötigten Verschnaufpausen erlaubte.

Den nächsten Schlag parierte ein Rekrut zu seiner Rechten, dessen Namen Hower nicht kannte. Es war nicht üblich, die Namen der Neulinge zu kennen, bevor sie sich im Kampf bewiesen hatten. Mit Achtung bedachte Hower den Mut des

jungen Kriegers, gegen einen Gegner anzutreten, der ihm deutlich überlegen war.

Der nächste Schlag riss ihn aus seinen Gedanken, denn das Beil des Orks kam mit einem solchen Schwung auf sie zu, dass die Rekruten nur noch zurückspringen konnten, um nicht selbst eine schwere Verletzung hinzunehmen. Für Hower war es zu spät, und Kraft für einen weiteren Hechtsprung hatte er ohnehin nicht mehr. Ihn traf die gesamte Wucht des Aufpralls. Sein Schild ächzte und zerbrach in viele Stücke, nachdem er einen Großteil des Drucks parierte. Hower selbst flog einige Meter durch die Luft, bis die Felswand ihn abrupt stoppte und er hart auf dem Stein aufschlug. Der Sturz drückte ihm all seine verbliebene Luft aus den Lungen, und für einen kurzen Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen. Zum Glück verhinderte seine Rüstung eine tödliche Verletzung, aber einen weiteren Schlag dieser Art würde er nicht überstehen, dessen war sich der alte Zwerg sicher.

Geistesgegenwärtig tastete er nach seiner Schrotflinte, die an der Seitenhalterung seines Gürtels baumelte. Sein Gegner verzog das Gesicht zu einer abscheulichen Grimasse, bevor er sich siegessicher auf den Zwerg warf. Hower sah den massiven Ork mit seinem Beil brüllend auf sich zukommen und schloss die Augen, während er mit letzter Kraft den Abzug der doppelläufigen Schrotflinte drückte.

Den Ork traf die Ladung aus nächster Nähe und ließ ihn – aus zahlreichen Wunden blutend – viele Meter weit rückwärts fliegen. Auch von seinem Brustpanzer war nicht mehr viel übrig. Dort, wo vorher noch Metall glänzte, prangte ein riesiges Loch, aus dem die Gedärme seitlich hervorquollen und sich auf dem nackten Felsboden verteilten. Hower atmete tief und erleichtert ein. Es war geschafft. Halb benommen und vollkommen erschöpft rappelte er sich auf. Ihm fiel es schwer, seine Lungen mit frischer Luft zu füllen, denn bei jedem Atemzug brannte es in seiner

Brust, als würde eine Feuersbrunst darin wüten. »Der Nahkampf ist nichts mehr für mich«, grummelte der alte Zwerg vor sich hin. »Ich bin zu alt für diesen Scheiß!«

In der Zwischenzeit hatte Pilgrim die restlichen Grünhäute ins Jenseits befördert. Es schienen keine besonders erfahrenen Krieger gewesen zu sein, denn sie hatte mit dreien von ihnen gleichzeitig wenig Mühe gehabt. Der Kampf war für sie schneller beendet gewesen, als sie sich zu Anfang in ihrer Überheblichkeit gedacht hatten. Als das Chaos vorbei war, kehrte die Stille der Nacht in die Berge ein, nur unterbrochen vom Rauschen des Windes in den Baumkronen.

»Schnürt die Grünhaut gut ein, wir nehmen ihn mit!«, befahl Wulwgar, verächtlich auf seinen Gegner schauend, der bewusstlos zu seinen Füßen lag.

Vom Berghang drang lautes Knacken und kündete von der Rückkehr der beiden Rekruten, die Hower losgeschickt hatte, um sich um die Goblins zu kümmern. Zwischen ihnen eingeklemmt, taumelte einer von ihnen. Sie zogen ihn mehr, als dass er noch eigenständig laufen konnte.

»Gut gemacht, Rekruten«, lobte Pilgrim die Leistung der Neulinge, was sie sichtlich strahlen ließ. Ihr erster Außeneinsatz – und dann gleich ein Kampf gegen Orks. Das konnte kaum ein anderer Rekrut von sich behaupten. Bis auf einen von ihnen, der eine kleine Fleischwunde am Arm davontrug, waren alle heil aus dem Scharmützel herausgekommen.

Alle versammelten sich um das noch brennende Lagerfeuer und bereiteten den Abmarsch vor. Brim zog seinen Bruder unablässig mit seinem Sieg über den Ork auf, während Brams Lippen immer schmaler wurden. Ihm war es nicht gelungen, einen weiteren Ork zu fällen, und der Missmut darüber wuchs von Augenblick zu

Augenblick. Schweigend stand er neben seinem Bruder und ertrug seine ausschweifenden Erzählungen.

»Du kannst ruhig Danke sagen«, zog Vangar den schmollenden Zwerg auf, ohne den Blick von seiner Flinte abzuwenden. Nach jedem Kampf ließ er ihr eine eingehende Reinigung zuteilwerden.

»Hättest du nicht geschossen, hätte meine Axt die Grünhaut gespalten!«, polterte Bram zornig los.

»Ein Zwerg sollte nie seine Axt werfen, Bram, hat man dir das nicht beigebracht?« Vangar konnte sich sein Schmunzeln nicht länger verkneifen, doch das ärgerte Bram umso mehr. Er kochte inzwischen vor Wut, was gut an seinem Kopf zu erkennen war, der allmählich die Farbe seines unverkennbar roten Schopfes annahm.

»Ich werfe meine Axt, wann und wohin ich will, hast du mich verstanden? Stell’ dich nicht noch einmal zwischen mich und meine Beute.« Seine Hände wanderten wie von selbst zum Griff seiner Axt.

Vangar schmunzelte, während er beschwichtigend beide Hände hob. Er kannte Bram nur zu gut. Mit ihm zu streiten, brachte nichts als Ärger, meist für alle Beteiligten.

Brim legte seinem Bruder lächelnd die Hand auf die Schulter. »Lass gut sein, Bruderherz, das war nicht der letzte Frosch, den du sehen wirst.« Nach ein paar Sekunden der Stille setzte er nach: »Hast du übrigens gesehen, wie ich meinen auf unsere Größe gestutzt habe?«

Nachdem alle abmarschbereit waren, gab Pilgrim den Befehl zum Sammeln, und der Trupp trat geschlossen den Rückweg an. Den gefangenen Grünhäuten wurde zur Vorsicht ein Sack über den Kopf gestülpt und die Hände verbunden, was den Rückweg für alle beschwerlicher machte.

Auf halber Strecke gesellte sich Pilgrim zu Wulwgar, der einige Schritte vorausgegangen war. »Wir haben mit den Gefangenen Glück gehabt. Es ist selten genug, dass wir einen von ihnen lebend bekommen, und heute haben wir gleich zwei Exemplare erwischt! Das wird unseren Kommandanten freuen.«

Dem konnte Wulwgar nur zustimmen. »Nicht nur den Kommandanten wird es freuen. Auch der König wird viele Fragen an die beiden haben.«

»Unsere Rekruten haben heute viel gelernt, das wird ihnen guttun. Seitdem wir die Goblins aus dem Gebirge vertrieben haben, sind die Kampfeinsätze weniger geworden. Das war der erste seit mehreren Monden.«

Auch Wulwgar missfiel, dass die Kampfeinsätze so selten geworden waren, denn das machte die Krieger träge. Hatte er das vorhin nicht beinahe am eigenen Leib erfahren? Andererseits war es ein verlustreicher Kampf gewesen, der ihnen ein so friedvolles Leben in Andoria verschafft hatte. »Wir können froh sein, dass unsere Kinder in Frieden aufwachsen. Es war ein steiniger Weg bis hierhin. Lass uns das nie vergessen.«

Wulwgar wusste genau, wovon er sprach. Er war bei den Schlachten dabei gewesen. Aber all das Kämpfen hatte sich gelohnt. Nun trafen die Patrouillen höchst selten auf Grünhäute, und wenn, dann nur auf wenige, die sich in kleinen Gruppen versuchten durchzuschlagen.

»Ich werde unseren König aufsuchen, um Bericht zu erstatten«, wandte er sich erneut an Pilgrim. »Geh du gleich zu eurem Kommandanten.«

In der Dunkelheit lenkte der angeborene Instinkt der Zwerge ihre Schritte auf sicheren Pfaden. So erreichten sie ohne Zwischenfälle die Säulen des Nebeneingangs.

Eine Gruppe von zehn Zwergen kam mit Fackeln in den Händen den Bergpfad hinauf. Man suchte bereits nach ihnen – was Pilgrim nur mit einem Seufzer zur Kenntnis nahm. Der Truppenführer salutierte vor Wulwgar und war sichtlich erleichtert, nicht die gesamte Nacht durchs Gebirge laufen zu müssen.

»Es ist schön, Euch wohlbehalten unter dem Berg zu begrüßen, Wulwgar Axthüter. Wir wollten gerade aufbrechen, um nach Euch zu sehen.« In diesem Augenblick erspähte er die beiden gefangenen Grünhäute. »Wie ich sehe, bringt Ihr Geschenke mit. Folgt uns, der Kommandant erwartet Euch bereits.«

Wulwgar war ein Kriegsheld, seine Verdienste in der Schlacht um Karak-Wahr und der Schlucht von Ostgard waren legendär. Jeder Zwerg unter dem Berg kannte seinen Namen und die Geschichten, die man sich bei festlichen Anlässen erzählte.

Sie passierten den Nebeneingang, der gut getarnt in den Berg eingebaut war. Wulwgar nickte dem wachhabenden Offizier zu, der mit den Zwergenkriegern die Wehrmauer besetzte, welche die Feste vor Eindringlingen schützte. Das Gitter öffnete sich, als die Rückkehrer den Eingang passierten. Kurz dahinter drehte sich der Veteran zu seinem Trupp um. »Ihr habt tapfer gekämpft, Soldaten«, wandte er sich an alle. »Ich denke, nach dem Report ist mindestens ein Dunkelbier fällig.«

Der Trupp gab jubelnd seine Zustimmung, während lautes Klopfen gegen zahlreiche Schilde die Vorhalle mit Lärm erfüllte.

Der Zwergenkönig

König Lungar hustete und ging unruhig in seinen Räumen umher. Der blutige Geschmack in seinem Mund widerte ihn an. Er konnte sich kaum mehr daran erinnern, wie es war, ohne diesen ekligen Beigeschmack zu husten. Zu allem Übel hatte sich noch der hohe Rat angekündigt und das Treffen deutlich vorgezogen. Wie immer war das kein gutes Zeichen. Bestimmt wollten die Wichtigtuer wieder um seine Gunst buhlen. In Wirklichkeit schlichen sie um seinen Thron wie Ratten, die auf die Reste einer Beute warteten.

»Wären mir doch mehr Kinder vergönnt gewesen«, murmelte der König zu sich selbst, »dann könnte ich mir diese Angelegenheit ersparen.« Wie immer breitete sich bei diesem Gedanken ein Schmerz in ihm aus, der das Atmen umso schwerer machte. Die Erinnerung an seinen Sohn überwältigte ihn immer noch, und das nach so vielen Zyklen. Es fühlte sich an, als wäre es erst heute gewesen, dass man ihm von Vamdals schrecklichem Unfall berichtet hatte. Sein Sohn war tot, hinabgestürzt in die Tiefen des Berghangs, erschlagen von einer Steinlawine, die ihn samt seines Gefolges mit sich riss. Die besten Krieger und Bergleute waren an seiner Seite gewesen, aber die Götter hatten über ihr Schicksal entschieden.

Lungar schloss die Augen und versuchte, den nächsten Hustenanfall zu unterdrücken, der sich seinen Weg in die Freiheit bahnte, doch der Reiz überwältigte ihn. Ein schrecklicher Anfall, schlimmer als der vorherige, schüttelte ihn und zwang den König, sich an der polierten Steinwand abzustützen. Er wusste, was nun kommen würde, und er wurde nicht enttäuscht. Jener vertraute, eiserne Geschmack breitete sich in seiner Mundhöhle aus. Angewidert schluckte er die schleimige Brühe hinunter. Wann wird das endlich aufhören?, dachte er. Es ist längst an der Zeit, in die Halle der Ahnen einzukehren und die beiden wiederzusehen. Vamdal und meine Frau …

Lungar war bereit. Wenn er ehrlich mit sich selbst war, konnte er es sogar kaum noch erwarten. Das Einzige, was ihn davon abhielt, war sein Volk. Er wusste genau, dass nach seinem Tod das Chaos regieren würde. Bunfgdil würde Anspruch auf den Thron erheben, doch genau das galt es zu verhindern.

Der König sammelte all seine verbliebenen Kräfte und machte sich auf den Weg ins Audienzzimmer, das durch einen schmalen Gang mit seinen Gemächern verbunden war. Diese Bezeichnung wurde der prächtigen Halle nicht gerecht, deren verzierte Wände von den glorreichen Taten seiner Vorfahren berichteten.

Werden sie nach meinem Tod auch über mich erzählen?

Der König klammerte sich gedankenverloren am Treppengeländer fest und ließ den Blick über den marmornen Boden und die aufwendigen Wandgravuren schweifen. Wie so oft blieb er bei der Schlacht um das alte Königreich Kar-Gor-Vahr hängen. Dort war er, der erste König der Zwerge, Ohlinger Silberbart, auf dem mächtigen Streiteber Uzhag. Die meisten Zwerge kannten die Geschichte nur aus Erzählungen und den Büchern der uralten Zwergen-Bibliothek. Oder dem, was davon übrig war.

Kar-Gor-Vahr war ein Königreich von unvorstellbarer Größe und von unvorstellbarem Reichtum. Die Legenden besagten, dass es dort entstanden war, wo sich alle Zwergenfürsten unter einem Königsbanner vereint hatten. Die Wandkunstwerke seiner besten Steinmetze zeigten die legendäre Schlacht, und jeder Zwerg kannte das schreckliche Ende.

Am Fuße ihres Bergs hatten sie einen erbitterten Kampf gegen Horden von Grünhäuten geführt, die gekommen waren, um das Volk der Zwerge vollständig zu vernichten. Im Gegensatz zu den Orks, die wie Maden aus ihren Erdlöchern krochen, waren die Zwerge zahlenmäßig deutlich unterlegen gewesen. Sie hatten nicht verhindern können, dass die Kriegsmaschinen der Orks den Mauern ihrer Festung immer näher kamen. Kanonenkugel um Kanonenkugel hatten ihre Verteidigungsanlagen in die Reihen der Orks gefeuert, doch nichts vermochte die grüne Flut aufzuhalten. Ihr Heer war unentwegt auf die Tore von Kar-Gor-Vahr zumarschiert. Ein aussichtsloser Kampf gegen einen Gegner, der jede Lücke, die die Verteidiger rissen, augenblicklich wieder schloss.

Die Wandgravuren zeigten den Moment, als der König der Zwerge den letzten verzweifelten Versuch unternahm, die Heerführer der Allianz zu erschlagen. Ohlinger ritt auf seinem Eber, gefolgt von einer Hundertschaft Zwergenschlächter und weiteren einhundert Zwergenkriegern. Es war ein Spektakel epischer Natur. In diversen Büchern wurde davon berichtet, dass beim Klang der Kriegshörner von Kar-Gor-Vahr die Schlacht für einen Moment stillstand. Der König brach mit seinem Eber in die Ork-Horden ein, unzählige Feinde fielen dem wuchtigen Angriff zum Opfer. Ohlinger schwang seine legendäre leuchtende Axt in weiten Kreisen und fällte eine Grünhaut nach der anderen, während sein Streiteber jedem, der zu nahe kam, seine Hauer ins Fleisch rammte.

Für einen Moment hat es so ausgesehen, als ob die Zwerge die Grünhäute zum Rückzug zwingen könnten, erinnerte sich Lungar.

Aus der Stadt und vom Schlachtfeld donnerten die Schlachtrufe der Zwerge. Hoffnung keimte auf! Hoffnung, die vehement im Keim erstickt wurde. Denn dann geschah das, was die Geschichte der Zwerge für immer verändern sollte: Torul der Grausame betrat das Schlachtfeld. Der Anführer der Orks war mit seiner Leibgarde gekommen, um allem ein Ende zu setzen,

was die Götter aller Zwerge, erschaffen hatte. Torul war nicht nur ein Ork. Er war der Inbegriff des Schreckens. Seine Hauer waren riesig und er gut zwei Köpfe größer als jeder andere Ork seiner Horde.

Lungar verweilte bei dem großflächigen Kunstwerk, auf dem die Abscheulichkeit in allen Details in den Stein graviert worden war. Hinter Torul ragten die Kriegstrolle auf, die seine Leibgarde begleiteten. Ihre baumstammartigen Keulen zermalmten die Reihen der Zwergenkrieger an den Flanken des Königs und somit jede Fluchtmöglichkeit. Es war ein schrecklicher Kampf, dem Ohlinger letztlich zum Opfer fiel. Als Torul ihn enthauptete, war der Kampf endgültig entschieden.

Die Zwerge, die grausame Verluste erlitten hatten, zogen sich nach Kar-Gor-Vahr zurück und schlossen hinter sich die eisernen Tore. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Mauern unter dem Ansturm der Orks brechen würden, sodass der Kommandant des Zwergenheers, Kruhl Eisenfaust, eine bis dahin undenkbare Entscheidung traf und befahl, die Bevölkerung Kar-Gor-Vahrs über das Höhlensystem zu evakuieren. Seine Armee kämpfte drei lange Tage gegen die Fluten der Grünhäute. Als die Mauern endgültig fielen, verbarrikadierten sich die übrigen Verteidiger in der Zugangshalle zu den Höhlen, wo sie sich mit letzter Kraft gegen die Angreifer warfen, um ihrem Volk so viel Zeit wie nur möglich zu verschaffen. Im allerletzten Moment betätigte Kruhl Eisenfaust die Fallenvorrichtung, sodass der Berg über den Kämpfenden einstürzte.

Lungar erinnerte sich an die Geschichten seines Vaters, als ob er sie ihm erst gestern erzählt hätte. Niemals hatte sein Vater die Blicke der Zwerge vergessen, die sich freiwillig für ihr Volk geopfert hatten. Mit einer Handvoll seiner Leibgardisten hatte Kruhl Eisenfaust den langen Weg ins neue Heimatland der Zwerge, die Zwillingsberge im weit entfernten Andoria,

angetreten. Das Höhlensystem hinter ihm war für immer verschlossen worden, und damit gab es nur noch eine Richtung, in die sie gehen konnten.

Lungar war so in Gedanken versunken, dass er zusammenzuckte, als ihn sein Diener vom Fuße der Treppe aus dringlich mit »Eure Majestät« ansprach. Mit einem letzten Blick auf die Schlacht erinnerte er sich an Kruhl Eisenfaust, seinen Vater, den ersten König unter den Zwillingsbergen.

Der versammelte Hohe Rat saß bereits ungeduldig am runden Besprechungstisch. Jeder Clan hatte in feinster Kleinarbeit sein Wappen in den schwarzen Basalt eingraviert und mit Edelsteinen verziert bekommen.

Andächtig strich Hamdal Hammerfaust mit seiner wulstigen Hand über die Insignien seines Wappens, während er sich in der Versammlungshalle umschaute. Sie war ein wahres Prunkstück, das alle zwergischen Künste bewies. Sechs Säulen stützten die hohe Decke, die wahrscheinlich zwanzig übereinandergestapelte Zwerge nicht erreichen konnten. Sie schimmerte an verschiedenen Stellen und war so aus dem Felsen geschlagen worden, dass sie aussah wie der Himmel unter dem Sternenzelt. Selbst die funkelnden Himmelskörper waren durch unterschiedlich große Edelsteine nachgebildet worden. Hamdal erwischte sich dabei, wieder einmal etwas Neues entdeckt zu haben, obwohl er schon Hunderte Male in dieser Halle gesessen hatte.

Laute Trommelschläge rissen ihn unsanft in die Gegenwart zurück, als das Erscheinen des Königs angekündigt wurde.

Lungar betrat den Saal, gefolgt von seinen engsten Beratern: dem Kriegsmeister Haldor, dem Vorsteher aller Arbeiter, Meister Farondil, sowie dem Runenmeister Tondal. Alle Mitglieder des Rats erhoben sich und huldigten ihrem König, indem sie laut seinen Namen riefen. Lungar setzte sich angestrengt auf seinen Thron. Die Kälte des Herrscherstuhls machte dem König heute besonders zu schaffen, auch wenn seine Diener mehrere Felle übereinandergelegt hatten, um ihm die Versammlung so angenehm wie nur möglich zu gestalten. Die Kälte fraß sich erbarmungslos durch die Lagen toter Tiere hindurch.

Der Thron bestand aus schwarzem Gestein, durch das goldene Verzierungen verliefen. Ein imposantes Kunstwerk, das als Wahrzeichen eines großen Zwergenkönigs galt.

Bin ich das?, überlegte Lungar. Bin ich der König, den mein Volk so dringend braucht? Andächtig strich er über den kalten Stein. Nimm es mir nicht übel, alter Gefährte, aber heute würde ich dich lieber gegen einen Zuber mit heißem Wasser eintauschen. Er schloss für einen Moment die Augen und unterdrückte – diesmal erfolgreich – einen erneuten Hustenanfall.

Der König blickte schweigend in die Runde, nahm ehrfürchtig seinen Kriegshammer in die Hand und stieß ihn auf den Boden. Dabei ertönte ein tiefer Laut, der sich vibrierend in der gesamten Halle ausbreitete. Alle Gespräche verstummten abrupt an dem runden Tisch der Ratsmitglieder, der aus einem ganz bestimmten Grund rund war: Jeder der Anwesenden hatte bei einer Abstimmung genau eine Stimme zu vergeben, egal wie groß oder klein sein Clan war. Damit wurde sichergestellt, dass kein Gleichstand die Entscheidungen des Hohen Rats verzögerte. Mit einem erneuten Stoß eröffnete Lungar die Sitzung.

Bunfgdil Eisenhaar, ein junger Nachfahre aus dem Hause der Rotzöpfe, dessen Clan in alles verstrickt war, was mit dem Handel unter dem Berg zu tun hatte, hob seine Axt und meldete sich damit zu Wort. Der König nickte ihm kurz zu, worauf sich der Zwerg erhob und mit seiner tiefen Stimme, gewohnt diplomatisch, zu sprechen begann. »Verehrter König, verehrte Ratsmitglieder, unser Volk ist nun seit vielen Zyklen unter den

Zwillingsbergen beheimatet und hat großen Wohlstand erlangt. Unsere Krieger haben alle Nester der Grünhäute aus unserem Teil der Berge und ganz Andoria vertrieben.« Er machte eine Pause, als alle Ratsmitglieder ihre Zustimmung mit lautem Hämmern gegen den Stein kundtaten. Selbstsicher schaute sich Bunfgdil um, bevor er erneut das Wort ergriff. »Alle Tiefen des Bergs haben wir erforscht und von Trollen, Ogern und sonstigen Scheusalen befreit. Die letzten Berichte unserer Arbeiter hingegen waren alles andere als zufriedenstellend. Immer mehr Minen werden geschlossen, da nichts als Steine zu finden sind. Wir haben viele Wege in die Zwillingsberge geschlagen, jedoch ist unser Reich klein und durch das große Gewässer auf einer Seite begrenzt. Was nützt uns der ganze Reichtum, den wir uns mühsam erarbeitet haben, wenn wir ihn nicht teilen können? Uns mangelt es an vielen Dingen, die wir seinerzeit unser Eigen nannten. Mein Anliegen ist damit einfach erklärt, Eure Majestät. Sendet Kundschafter aus, um über unsere Grenzen hinaus neue Handelspartner zu finden.« Mit diesen Worten endete sein Monolog, und er schaute erwartungsvoll in die Gesichter der Ratsmitglieder.

Woldim Donnerklang aus dem Hause der Turmschilde, dessen Clan die wertvollsten Steinmetze hervorbrachte und unter anderem für die kunstvolle Deckenverzierung verantwortlich war, hob als Erster seine Axt, worauf der König erneut nickte. »Eure Majestät, es war weise von uns, die Zwillingsberge bisher nicht zu verlassen. Wir haben unsere Höhlen ausgebaut und Nahrung, Metall sowie Edelsteine im Überfluss. Der Handel mit den Menschen ist ausgeblieben, das stimmt. Seit vielen Monden sind die Treffpunkte leer. Zu unseren damaligen Verbündeten, den Elben, haben wir seit der Flucht aus Kar-Gor-Vahr keinen Kontakt. Ob sie die Herrschaft von Torul dem Grausamen überstanden haben, wissen wir nicht. Dennoch sollten wir andere Wege beschreiten.« Entschlossen sah er in die Runde. »Es ist ein zu großes Risiko, von den Orks aus der Rohnmark entdeckt zu werden. Lasst uns stattdessen Kolonien an der Oberfläche gründen und selbst Getreide anbauen sowie Vieh züchten. Wir haben viel von den Menschen gelernt und wissen, wie sie es handhaben, Höfe zu bestellen.«

Roongar Eisenfeuer aus dem Hause der Axtschwinger stand schwungvoll auf, sodass sein Stuhl mit lautem Gepolter umfiel. Seine Stimme donnerte durch die Halle wie ein Hammerschlag. »Dazu wurden wir Zwerge nicht geschaffen. Ich kann so etwas unter keinen Umständen unterstützen! Wir sind keine Bauern, wir sind Krieger! Söhne des Steins! Sollen die Orks uns doch finden, wir haben inzwischen eine große Streitmacht. Es ist an der Zeit, uns der Welt zu zeigen.«

Ein Tumult bahnte sich an, ganz wie es Bunfgdil beabsichtigt hatte. Der Stachel der Niederlage seit dem Krieg gegen die Orks saß tief, es würde sich sicherlich keine Mehrheit für einen offenen Krieg gegen die Grünhäute aussprechen. Das wiederum bedeutete, dass seinem Vorschlag, den Handel nach Süden auszudehnen, kaum etwas im Weg stand.

Mit eiskalten Augen fixierte er das Oberhaupt der Zwerge. Ich werde nicht mitansehen, wie der Handel zum Erliegen kommt, darauf kannst du dich verlassen. Wenn ich erst einmal König bin, werden die alten Traditionen wieder eingeführt. Du musst nur noch sterben, alter Mann.

Der König klopfte mit dem Hammer auf den Boden. Die anschließende Stille war allgegenwärtig, während Lungar die Ratsmitglieder einzeln anschaute. Als sein Blick auf den Runenmeister Tondal fiel, hob dieser zaghaft sein Zepter, was der König mit einem Lächeln quittierte. »Mein Herr, ich möchte allen in Erinnerung rufen, warum wir uns über viele Zyklen versteckt hielten. Nur mit Mühe und herben Verlusten sind wir

seinerzeit aus Kar-Gor-Vahr entkommen. Bis heute waren und sind wir im Verborgenen geblieben. Wir haben keine Kenntnis über die Entwicklung hinter den zerstörten Höhlensystemen, und niemand traute sich bislang, diese wieder in Betrieb zu nehmen. Unser Berg hingegen ist vollständig erkundet. Ich empfehle daher, keinen der beiden Vorschläge anzunehmen.«

Bunfgdils Blick verfinsterte sich, während andere zustimmend mit den Äxten klopften. Tondal jedoch hob beschwichtigend beide Hände. »Freunde, ich war noch nicht fertig. Ein Ereignis trübt unsere Tage mehr als jeder nicht vorhandene Handelsvertrag, denn der letzte Seelenkristall ist heute in Betrieb gegangen.« Ein Raunen ging durch die Reihen der Anwesenden. »Damit verbleiben uns nur wenige Monde, um alle Schutzrunen und andere Vorrichtungen aktiv zu halten. Danach müssen wir ohne sie auskommen.«

»Ist es wirklich der letzte Stein, Tondal?«, fragte der König mit sorgenvoller Miene.

»Ja, Eure Majestät. Wir wissen bis heute nicht, wie wir Seelenkristalle aufladen können, ohne einen Seelenstein zu besitzen. Alle Versuche schlugen bisher fehl.«

Als sich Tondal nach diesen Worten betroffen auf seinen Platz fallen ließ, herrschte bedrückte Stille. Der König vernahm die letzten Worte des Runenmeisters mit Schrecken, auch wenn er geahnt hatte, dass dieser Tag irgendwann kommen musste. Nun war es so weit, der letzte Kristall trat seinen Dienst an, und nach ihm würden keine weiteren mehr folgen.

Einst war der Seelenstein das königliche Geschenk der Elben an sie gewesen. Er war das Zeichen der neuen Freundschaft zwischen Zwergen und Elben nach jahrelangen Kriegen und Auseinandersetzungen. Unter dem Bündnis des Zwergenkönigs Ohlinger und des Elbenkönigs Angeril begann das Zeitalter der Freundschaft. Von da an lernten die Zwerge, Runenzauber

einzusetzen und mit Hilfe der Elbenmagier zu perfektionieren. Die ersten Versuche waren kläglich gescheitert. Die Götter hatten wohl nie vorgesehen, dass sich Zwerge mit Magie beschäftigten, denn es hatte lange gedauert und viele verbrannte Bärte gekostet, bis sie die filigrane Kunst des Runenwebens erlernt hatten. Für die meisten Zwerge blieb es weiterhin eine Teufelei, und das Misstrauen gegenüber dieser nicht greifbaren Fertigkeit verschwand nie vollständig aus ihren Köpfen. Dennoch blieb sie die Art von Zauber, die für Zwerge und ihre brillante Baukunst am geeignetsten war. Doch mit dem Fall von Kar-Gor-Vahr waren die meisten Schätze und mit ihnen auch der Seelenstein verloren gegangen.

Die Heimat der Orks

Dhungabar war ein Ort des Grauens. Die Orks hausten hier schon seit Anbeginn der neuen Zeitrechnung, was die Verunstaltung des Gebirgs bereits von weitem erkennen ließ. Es gab viele Zugänge in das Berginnere, und alle wurden schwer bewacht. Eine riesige Mauer umgab das Haupttor, das von einem Turm mit mächtigen Katapulten gesichert wurde. Der Zugang zu den Toren war ausschließlich durch eine schmale Schlucht möglich, was zur Folge hatte, dass Angreifer dort nur in engen Formationen marschieren konnten. Aus eben jenem Grund hatte bisher keine Armee, ob von den Elben, Zwergen oder Menschen, jemals einen Angriff heil überstanden.

Die Höhlen unter dem Berg waren im Laufe der Zeit stets erweitert worden und zogen sich weitläufig in und um den Berg herum. In der Herrscherhalle saß Br`agka auf seinem Thron und hörte den Heerführern zu, die sich – wie immer – in den Haaren lagen und einander mit dem Tod drohten. Br`agka hasste diese Sitzungen und fragte sich oft, wozu die Orks fähig wären, würde nicht jeder der Holzköpfe nur die eigenen Vorteile im Sinn haben.

Er war Toruls direkter Nachfahre und damit Oberhaupt der glorreichen Spaltäxte, jener Stamm, der die kleinen stinkenden Zwerge aus ihrer Heimat vertrieben hatte. Die Herrscherlinie seiner Familie war seither unangefochten. Seine Hauer glänzten im Schein der vielen Fackeln, und auf seiner Haut prangten zahlreiche Tätowierungen, die von den Erfolgen früherer Schlachten erzählten. Das lange krause Haare hatte er zu Zöpfen gebunden, die gebieterisch auf seiner Brust auflagen. Neben dem Thron lehnte das Schwert seiner Ahnen, eingelassen in eine Halterung aus Zwergenknochen.

So langsam nahm die Versammlung Fahrt auf. Als Goran, der

Heerführer der Giftmischer, vorschlug, den Krieg gegen die Zwerge hinauszuzögern, erhob Rashful vom Stamm der Mauerreißer die Stimme und brüllte: »Es ist feige, nichts zu tun und die Zwerge in ihrem Versteck in Ruhe zu lassen!«

»Willst du mich einen Feigling nennen, du elende Made?«, schrie Goran zurück. »Wir müssen vorbereitet sein, wenn wir nach Andoria marschieren. Falls du mit deiner lausigen Bande da überhaupt ankommst.«

Rashful nahm die Provokation nur zu gern entgegen, denn sie war ein hervorragender Vorwand, um mit dem Beil in der Hand vom Sitz zu springen. »Ich spalte dir die Zunge, und zwar vom Scheitel angefangen, du fieser Drecksack!«

Auch Goran hielt seine Waffe griffbereit, wie es sich für einen ordentlichen Meuchler gehörte. Br`agka hätte am liebsten mitangesehen, wie sich die Idioten zerfleischten, doch für solche Albernheiten hatten sie keine Zeit. »Ruhe! Ich kann euer Gezanke nicht mehr ertragen.«

Augenblicklich setzten sich die Streithähne und gaben keinen Ton mehr von sich. Niemand widersprach Br`agka, zumindest niemand, der Interesse am Leben hatte. Allein ihr lautes Schnaufen verriet die unterdrückte Wut der beiden.

»Wer von euch hat einen vernünftigen