Wunder - R.J. Palacio - E-Book

Wunder E-Book

R.J. Palacio

4,8

Beschreibung

August ist anders. Dennoch wünscht er sich, wie alle Jungen in seinem Alter, kein Außenseiter zu sein. Weil er seit seiner Geburt so oft am Gesicht operiert werden musste, ist er noch nie auf eine richtige Schule gegangen. Aber jetzt soll er in die fünfte Klasse kommen. Er weiß, dass die meisten Kinder nicht absichtlich gemein zu ihm sind. Am liebsten würde er gar nicht auffallen. Doch nicht aufzufallen ist nicht leicht, wenn man so viel Mut und Kraft besitzt, so witzig, klug und großzügig ist - wie August.

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Raquel J. Palacio

WUNDER

Aus dem Englischen

von André Mumot

Carl Hanser Verlag

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel Wonder bei Alfred A. Knopf, an imprint of Random House Children´s Books, a division of Random House, Inc. New York.

ISBN 978-3-446-24284-5

© 2012 by R.J. Palacio

Alle Rechte vorbehalten

Alle Rechte der deutschen Ausgabe:

© 2013 Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG, München

3. E-Book-Auflage 2020

Aus dem amerikanischen Englisch von André Mumot

Satz: Satz für Satz. Barbara Reischmann, Leutkirch

Unser gesamtes lieferbares Programm

und viele andere Informationen finden Sie unter:

www.hanser-literaturverlage.de

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Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Für Russell, Caleb und Joseph

Doctors have come from distant cities

just to see me

stand over my bed

disbelieving what they’re seeing

They say I must be one of the wonders

of God’s own creation

and as far as they can see they can offer

no explanation

Ärzte kommen aus entfernten Städten,

nur um mich zu sehen,

sie stehen an meinem Bett

und glauben nicht, was sie sehen

Sie sagen, ich muss eins dieser Wunder

von Gottes Schöpfung sein,

und soweit sie sehen, können sie

keine Erklärung geben

Natalie Merchant, »Wonder«

1

August

Fate smiled and destiny

laughed as she came to my cradle …

Das Schicksal lächelte, und die Vorsehung

lachte, als sie an meine Wiege trat …

Natalie Merchant, »Wonder«

Normal

Ich weiß, dass ich kein normales zehnjähriges Kind bin. Ich meine, klar, ich mache normale Sachen. Ich esse Eis. Ich fahre Fahrrad. Ich spiele Ball. Ich habe eine Xbox. Solche Sachen machen mich normal. Nehme ich an. Und ich fühl mich normal. Innerlich. Aber ich weiß, dass normale Kinder nicht andere normale Kinder dazu bringen, schreiend vom Spielplatz wegzulaufen. Ich weiß, normale Kinder werden nicht angestarrt, egal, wo sie hingehen.

Wenn ich eine Wunderlampe finden würde und einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, ein normales Gesicht zu haben, das nie jemandem auffallen würde. Ich würde mir wünschen, dass ich die Straße entlanggehen könnte, ohne dass die Leute diese Sache machen, sobald sie mich sehen, dieses Ganz-schnell-woanders-Hinschauen. Ich glaube, es ist so: Der einzige Grund dafür, dass ich nicht normal bin, ist der, dass mich niemand so sieht.

Aber inzwischen bin ich es irgendwie schon gewohnt, dass ich so aussehe. Ich kann so tun, als würde ich nicht merken, was die Leute für Gesichter machen. Wir sind alle schon ganz gut darin: ich und Mom und Dad und Via. Nein, ich nehm das zurück: Via ist nicht so gut darin. Sie kann echt sauer werden, wenn die Leute gemein sind. Einmal auf dem Spielplatz zum Beispiel, da haben einige ältere Kinder so Geräusche gemacht. Ich weiß nicht mal, was genau das für Geräusche sein sollten, weil ich sie gar nicht selber gehört habe, aber Via hat sie gehört, und sie hat gleich angefangen, die Kinder anzubrüllen. So ist sie eben. Ich bin nicht so.

Für Via bin ich nicht normal. Sie behauptet es, aber wenn ich normal wäre, hätte sie nicht so sehr das Gefühl, mich beschützen zu müssen. Und auch Mom und Dad halten mich nicht für normal. Sie halten mich für etwas ganz Besonderes. Ich glaube, der einzige Mensch auf der Welt, der merkt, wie normal ich wirklich bin, bin ich.

Ich heiße übrigens August. Ich werde nicht beschreiben, wie ich aussehe. Was immer ihr euch vorstellt – es ist schlimmer.

Warum ich nicht zur Schule gehe

Nächste Woche komme ich in die fünfte Klasse. Da ich noch nie auf eine richtige Schule gegangen bin, stehe ich total und komplett neben mir. Die Leute glauben, ich wäre nie zur Schule gegangen, weil ich so aussehe, aber das ist es nicht. Es liegt an all den Operationen, die ich gehabt habe. Siebenundzwanzig seit meiner Geburt. Die größeren wurden durchgeführt, bevor ich vier war, an die kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber seitdem hatte ich jedes Jahr etwa zwei oder drei (größere und weniger große), und weil ich klein bin für mein Alter und die Medizin auch vor einige Rätsel stelle, die die Ärzte einfach nicht lösen können, war ich oft krank. Deshalb hatten meine Eltern entschieden, dass es besser wäre, wenn ich nicht zur Schule gehen würde. Jetzt bin ich aber viel kräftiger. Meine letzte Operation liegt schon acht Monate zurück, und wahrscheinlich wird auch in den nächsten paar Jahren keine weitere nötig sein.

Mom unterrichtet mich zu Hause. Sie war früher Kinderbuchillustratorin. Sie zeichnet echt tolle Feen und Meerjungfrauen. Ihr Jungskram ist allerdings nicht ganz so cool. Sie hat mal versucht, einen Darth Vader für mich zu zeichnen, aber der sah am Ende eher aus wie ein komischer Roboter in Pilzform. Ich hab sie schon sehr lange nicht mehr zeichnen sehen. Ich glaube, sie hat einfach zu viel damit zu tun, sich um mich und Via zu kümmern.

Ich kann nicht behaupten, dass ich schon immer zur Schule gehen wollte, denn das wäre nicht ganz wahr. Ich wäre gern zur Schule gegangen, aber nur wenn ich wie jedes andere Kind gewesen wäre, das zur Schule geht. Viele Freunde haben und nach der Schule zusammen abhängen und so.

Ich habe jetzt ein paar echt gute Freunde. Christopher ist mein bester Freund, und dann kommen Zachary und Alex. Wir kennen uns schon, seit wir Babys waren. Und weil sie mich schon immer so kennen, wie ich bin, sind sie an mich gewöhnt. Als wir klein waren, haben wir ständig zusammen gespielt, aber dann ist Christopher nach Bridgeport in Connecticut gezogen. Das ist mehr als eine Stunde entfernt von North River Heights, der äußersten Spitze von Manhattan, wo ich lebe. Und Zachary und Alex gehen jetzt zur Schule. Es ist komisch: Obwohl Christopher der ist, der weggezogen ist, sehe ich ihn häufiger als Zachary und Alex. Die haben jetzt diese ganzen neuen Freunde. Wenn wir uns auf der Straße über den Weg laufen, sind sie aber immer noch nett zu mir. Sie sagen immer Hallo.

Ich hab auch noch andere Freunde, aber nicht so gute wie Christopher und Zack und Alex früher. Zack und Alex haben mich zum Beispiel immer zu ihren Geburtstagspartys eingeladen, als wir klein waren, aber Joel und Eamonn und Gabe haben das noch nie gemacht. Emma hat mich mal eingeladen, aber die hab ich schon lange nicht mehr gesehen. Und natürlich gehe ich immer zu Christophers Geburtstagen. Vielleicht mache ich auch einfach zu viel Wind um Geburtstagspartys.

Wie ich geboren wurde

Ich hab es gern, wenn Mom diese Geschichte erzählt, weil ich dann immer so lachen muss. Sie ist nicht auf die Weise lustig, wie ein Witz lustig ist, aber wenn Mom sie erzählt, können Via und ich uns jedes Mal nicht mehr halten.

Also, als ich damals im Bauch meiner Mom war, hatte niemand eine Ahnung, dass ich, wenn ich rauskommen würde, so aussehen würde, wie ich aussehe. Mom hatte Via vier Jahre früher gekriegt, und das war »der reinste Spaziergang« (Ausdruck meiner Mom) gewesen, sodass es keinen Grund gegeben hätte, irgendwelche speziellen Tests zu machen. Ungefähr zwei Monate bevor ich geboren wurde, fiel den Ärzten auf, dass irgendwas mit meinem Gesicht nicht stimmte, aber sie glaubten nicht, dass es schlimm sein würde. Sie sagten Mom und Dad, ich hätte eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und noch so ein bisschen was anderes. Sie nannten es »kleine Anomalien«.

Es waren zwei Krankenschwestern im Entbindungsraum in der Nacht, als ich geboren wurde. Die eine war sehr lieb und nett. Die andere, sagt Mom, schien so gar nicht lieb und nett zu sein. Sie hatte sehr dicke Arme, und (hier kommt der lustige Teil) sie furzte die ganze Zeit. Also sie brachte Mom zum Beispiel ein paar Eiswürfel, und dann furzte sie eben. Sie nahm Mom den Blutdruck ab und furzte. Mom sagt, es sei unglaublich gewesen, weil die Schwester kein einziges Mal Entschuldigung gesagt hat! Außerdem hatte Moms eigener Arzt in dieser Nacht keinen Dienst, deshalb geriet Mom an so einen schlecht gelaunten Nachwuchsarzt, dem sie und Dad den Spitznamen Doogie gaben – nach irgendeiner alten Fernsehserie oder so. (Sie haben ihn natürlich nicht direkt so angesprochen.) Aber Mom sagt, obwohl alle im Raum irgendwie mürrisch waren, brachte Dad sie die ganze Nacht über zum Lachen.

Als ich aus Moms Bauch kam, sagt sie, wurde es im ganzen Raum sehr still. Mom bekam gar keine Gelegenheit, mich anzuschauen, weil die nette Schwester mich sofort ganz hektisch aus dem Zimmer raustrug. Dad hatte es so eilig, ihr zu folgen, dass er die Videokamera fallen ließ, die in tausend Teile zerschellte. Und dann regte Mom sich sehr auf und wollte aus dem Bett, um zu sehen, wo alle hingingen, aber die furzende Schwester legte ihre sehr dicken Arme um Mom, um sie im Bett zu halten. Im Grunde kämpften sie richtig miteinander, denn Mom war hysterisch und die furzende Schwester schrie sie an, sie solle ruhig bleiben, und dann fingen sie beide an, nach dem Arzt zu brüllen. Aber wisst ihr was? Der war in Ohnmacht gefallen! Lag direkt auf dem Fußboden. Als die furzende Schwester sah, dass er ohnmächtig geworden war, trat sie mit dem Fuß gegen ihn, um ihn wieder wach zu kriegen, und schrie ihn die ganze Zeit an: »Was für’n Arzt sind Sie eigentlich? Was für’n Arzt sind Sie? Steh’n Sie auf! Aufstehen!« Und dann ließ sie ganz plötzlich den größten, lautesten, stinkendsten Furz in der Geschichte der Fürze los. Mom glaubt, dass es der Furz war, der den Arzt aufgeweckt hat. Na jedenfalls, wenn Mom die Geschichte erzählt, spielt sie alles vor – einschließlich der Furzgeräusche – und das ist so so so so lustig!

Mom sagt, die furzende Schwester stellte sich als eine sehr nette Frau heraus. Sie blieb die ganze Zeit über bei Mom. Sie wich ihr nicht mehr von der Seite, auch nicht, als Dad zurückkam und die Ärzte ihnen erzählten, wie krank ich war. Mom erinnert sich noch genau, was die Schwester ihr ins Ohr geflüstert hat, als der Arzt ihr sagte, dass ich die Nacht vermutlich nicht überleben würde: »Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt.« Und am nächsten Tag, nachdem ich die Nacht dann doch überlebt hatte, war es diese Schwester, die Moms Hand hielt, als man sie zum ersten Mal zu mir führte.

Mom sagt, zu diesem Zeitpunkt hatten sie ihr bereits alles über mich erzählt. Sie hatte sich darauf vorbereitet, mich zu sehen. Aber sie sagt, als sie dann zum ersten Mal auf mein winziges, zermanschtes Gesicht hinunterschaute, konnte sie nichts anderes sehen, als wie schön meine Augen waren.

Mom ist übrigens wunderschön. Und Dad sieht sehr gut aus. Via ist hübsch. Nur für den Fall, dass ihr euch das schon gefragt habt.

Bei Christopher

Ich war echt deprimiert, als Christopher vor drei Jahren wegzog. Wir waren damals beide sieben. Wir haben immer stundenlang mit unseren Star-Wars-Actionfiguren gespielt und uns mit unseren Laserschwertern duelliert. Das fehlt mir.

Letzten Herbst sind wir zu ihm nach Bridgeport gefahren. Christopher und ich suchten gerade in der Küche nach Süßigkeiten, als ich hörte, wie Mom mit Lisa, Christophers Mutter, darüber sprach, dass ich im Herbst zur Schule gehen würde. Ich hatte sie noch nie von einer Schule reden hören.

»Wovon sprichst du?«, fragte ich.

Mom sah überrascht aus, als hätte ich das eigentlich nicht hören sollen.

»Du solltest ihm sagen, was du dir überlegt hast, Isabel«, sagte Dad. Er sprach in der anderen Ecke des Wohnzimmers mit Christophers Dad.

»Wir sollten später darüber reden«, sagte Mom.

»Nein, ich will wissen, worüber ihr gesprochen habt«, beharrte ich.

»Findest du nicht, dass du bereit für die Schule bist, Auggie?«, fragte Mom.

»Nein«, sagte ich.

»Ich auch nicht«, sagte Dad.

»Dann war’s das, die Sache ist erledigt«, sagte ich, zuckte mit den Schultern und setzte mich auf ihren Schoß, als wäre ich ein Baby.

»Ich glaube einfach, dass du mehr lernen musst, als ich dir beibringen kann«, sagte Mom. »Ich meine, komm schon, Auggie, denk dran, wie schlecht ich im Bruchrechnen bin!«

»Welche Schule?«, fragte ich. Mir war schon nach Weinen zumute.

»Beecher Prep. Direkt bei uns um die Ecke.«

»Wow, das ist ne tolle Schule, Auggie«, sagte Lisa und streichelte mein Knie.

»Warum nicht Vias Schule?«, fragte ich.

»Die ist zu groß«, antwortete Mom. »Ich glaube, die würde nicht gut zu dir passen.«

»Ich will nicht«, sagte ich. Ich geb’s zu: Ich ließ meine Stimme ein bisschen babyhaft klingen.

»Du musst nichts tun, was du nicht willst«, sagte Dad, kam herüber und hob mich von Moms Schoß. Er setzte sich auf die andere Sofaseite und nahm mich auf den Schoß. »Wir werden dich nicht zwingen, irgendwas zu tun, was du nicht willst.«

»Aber es wäre gut für ihn, Nate«, sagte Mom.

»Nicht, wenn er es nicht will«, erwiderte Dad und schaute mich an. »Nicht, wenn er noch nicht bereit dafür ist.«

Ich sah, wie Mom Lisa anschaute, die ihren Arm ausstreckte und Moms Hand drückte.

»Ihr werdet das Richtige tun«, sagte sie zu Mom. »Das habt ihr doch immer.«

»Lasst uns einfach später darüber reden«, sagte Mom. Ich merkte schon, dass sie und Dad sich darüber streiten würden. Ich wollte, dass Dad den Streit gewann. Auch wenn ein Teil von mir wusste, dass Mom recht hatte. Und die Wahrheit ist, sie war wirklich furchtbar schlecht im Bruchrechnen.

Die Fahrt

Es war eine lange Heimfahrt. Ich schlief auf dem Rücksitz ein wie immer, den Kopf auf Vias Schoß, als wäre sie mein Kissen, und mit einem Handtuch um den Gurt, damit ich sie nicht vollsabberte. Auch Via schlief ein, und Mom und Dad unterhielten sich leise über Erwachsenenkram, der mich nicht interessierte.

Ich weiß nicht, wie lang ich geschlafen hatte, aber als ich aufwachte, schien der Vollmond draußen vor dem Autofenster. Der Nachthimmel sah lila aus, und wir fuhren über einen Highway voller Autos. Und dann hörte ich, wie Mom und Dad über mich sprachen.

»Wir können ihn nicht weiter abschirmen«, flüsterte Mom Dad zu, der den Wagen fuhr. »Wir können nicht so tun, als würde er morgen aufwachen und das alles wäre nicht mehr die Realität, denn das wird nicht passieren, Nate. Wir müssen ihm helfen, dass er lernt, damit umzugehen. Wir können nicht weiterhin alle Situationen vermeiden, die …«

»Aber ihn zur Middle School zu schicken wie das Lamm zur Schlachtbank …«, antwortete Dad wütend, doch er beendete den Satz nicht, weil er im Rückspiegel sah, wie ich aufschaute.

»Was meinst du mit Schlachtbank?«, fragte ich schläfrig.

»Schlaf weiter, Auggie«, sagte Dad sanft.

»In der Schule werden mich alle anstarren«, sagte ich und fing plötzlich an zu weinen.

»Schatz«, sagte Mom. Sie drehte sich um und legte ihre Hand auf meine Hand. »Du weißt, wenn du das nicht tun willst, musst du es auch nicht. Aber wir haben mit dem Schulleiter gesprochen und ihm von dir erzählt, und er möchte dich wirklich gerne kennenlernen.«

»Was habt ihr ihm von mir erzählt?«

»Wie witzig du bist, und wie freundlich und klug. Als ich ihm gesagt habe, dass du schon mit sechs Drachenreiter gelesen hast, hat er nur gesagt: Wow, den Jungen muss ich kennenlernen.«

»Hast du ihm sonst noch was erzählt?«, fragte ich.

Mom lächelte mich an. Ihr Lächeln kam mir irgendwie wie eine Umarmung vor.

»Ich hab ihm von all deinen Operationen erzählt und davon, wie tapfer du bist«, sagte sie.

»Also weiß er, wie ich aussehe?«, fragte ich.

»Tja, wir hatten Fotos vom letzten Sommer in Montauk dabei«, sagte Dad. »Wir haben ihm Fotos von der ganzen Familie gezeigt. Auch den tollen Schnappschuss, wo du die Flunder im Boot hochhältst.«

»Du warst auch dabei?« Ich muss zugeben, ich war ein wenig enttäuscht, dass er bei alldem mitgemacht hatte.

»Wir haben beide mit ihm gesprochen, ja«, sagte Dad. »Er ist ein wirklich netter Mann.«

»Du würdest ihn mögen«, fügte Mom hinzu.

Plötzlich fühlte es sich an, als stünden sie auf derselben Seite.

»Wartet mal, wann habt ihr euch denn mit ihm getroffen?«, fragte ich.

»Er hat uns letztes Jahr durch die Schule geführt«, sagte Mom.

»Letztes Jahr?«, wiederholte ich. »Ihr denkt seit einem Jahr darüber nach und habt mir nichts davon gesagt?«

»Wir wussten gar nicht, ob du überhaupt zugelassen würdest, Auggie«, antwortete Mom. »Es ist nicht leicht, auf diese Schule zu kommen. Man muss einen kompletten Aufnahmeprozess durchlaufen. Ich sah keinen Sinn darin, dass ich dir davon erzähle und du dich womöglich ganz umsonst verrückt machst.«

»Aber du hast recht, Auggie. Wir hätten es dir sagen sollen, als wir letzten Monat erfuhren, dass du zugelassen wurdest«, sagte Dad.

»Im Nachhinein betrachtet«, seufzte Mom, »stimmt das, nehme ich an.«

»Hatte die Frau, die damals zu uns nach Hause kam, irgendwas damit zu tun?«, fragte ich. »Die, die mit mir diesen Test gemacht hat?«

»Ja, schon«, sagte Mom und sah schuldbewusst aus. »Ja.«

»Ihr habt mir gesagt, es wäre ein IQ-Test«, sagte ich.

»Ich weiß. Na ja, das war eine Notlüge«, erwiderte sie. »Es war ein Test, den du für die Schule machen musstest. Ganz nebenbei – du hast sehr gut abgeschnitten.«

»Also habt ihr mich angelogen«, sagte ich.

»Eine Notlüge. Aber, ja, stimmt. Tut mir leid«, sagte sie und versuchte zu lächeln, aber als ich nicht zurücklächelte, drehte sie sich um und schaute wieder nach vorn.

»Was hast du gemeint mit dem Lamm und der Schlachtbank?«, fragte ich.

Mom seufzte und warf Daddy einen ihrer ganz besonderen Blicke zu.

»Ich hätte das nicht sagen sollen«, sagte Dad und schaute mich im Rückspiegel an. »Es stimmt auch gar nicht. Es ist folgendermaßen: Mommy und ich haben dich so lieb, dass wir dich auf jede nur mögliche Weise beschützen möchten. Es ist nur so, dass wir das manchmal auf unterschiedliche Weise tun wollen.«

»Ich will nicht zur Schule gehen«, sagte ich und verschränkte meine Arme.

»Es wäre gut für dich, Auggie«, sagte Mom.

»Vielleicht geh ich nächstes Jahr«, erwiderte ich und schaute aus dem Fenster.

»Dieses Jahr wäre besser, Auggie«, sagte Mom. »Weißt du, warum? Weil du in die fünfte Klasse kommen würdest, und das ist das erste Jahr der Middle School – für alle. Dann bist du nicht der einzige Neue.«

»Ich bin der einzige Neue, der so aussieht wie ich.«

»Ich sage ja nicht, dass es keine große Herausforderung für dich sein wird, denn das weißt du ja sowieso«, sagte sie. »Aber es wird dir guttun, Auggie. Du wirst viele neue Freunde finden. Und du wirst Sachen lernen, die du bei mir nie lernen würdest.« Sie drehte sich wieder auf ihrem Sitz um und schaute mich an. »Als wir den Rundgang gemacht haben, weißt du, was sie da in ihrem Biologieraum hatten? Ein kleines Hühnerküken, das gerade aus seinem Ei schlüpfte. Das war so niedlich! Weißt du, das hat mich ein bisschen an dich erinnert, Auggie, als du ein kleines Baby warst … mit deinen großen braunen Augen …«

Normalerweise liebe ich es, wenn sie von der Zeit sprechen, als ich ein Baby war. Manchmal möchte ich mich zu einem winzig kleinen Ball zusammenrollen, und dann sollen sie mich bloß noch knuddeln und küssen. Ich vermisse es, ein Baby zu sein und noch von nichts eine Ahnung zu haben. Aber für all das war ich jetzt nicht in der Stimmung.

»Ich will da nicht hin«, sagte ich.

»Wie wär’s denn mit folgendem Vorschlag? Kannst du dich nicht wenigstens mit Mr. Pomann treffen, bevor du dich entscheidest?«, fragte Mom.

»Mr. Pomann?«, fragte ich.

»Das ist der Schulleiter«, antwortete Mom.

»Mr. PO-mann?«, wiederholte ich.

»Wirklich wahr«, sagte Dad grinsend und schaute mich im Rückspiegel an. »Kannst du dir so einen Namen vorstellen, Auggie? Ich meine, wer auf der Welt würde je Pomann heißen wollen?«

Ich lächelte, obwohl ich eigentlich nicht wollte, dass sie sahen, dass ich lächeln musste. Dad war der einzige Mensch auf der Welt, der mich immer zum Lachen bringen konnte, egal, wie sehr ich mich dagegen wehrte. Dad brachte immer alle zum Lachen.

»Weißt du, Auggie, du solltest schon deshalb in diese Schule gehen, damit du seinen Namen über den Lautsprecher hören kannst!«, sagte Dad. »Kannst du dir vorstellen, wie lustig das wäre? Hallo, hallo? Mr. Pomann bitte, Mr. Pomann, kommen Sie ins Lehrerzimmer!« Er verstellte die Stimme, sodass sie wie die einer alten Frau klang. »Ach, hallo, Mr. Pomann! Ich hab sie schon von hinten erkannt. Ist Ihnen jemand hinten draufgefahren? Wie geht’s denn dem Allerwertesten?«

Ich fing an zu lachen, nicht mal weil ich das so besonders lustig fand, sondern weil ich einfach keine Lust mehr hatte, sauer zu sein.

»Es könnte allerdings noch schlimmer kommen!«, fuhr Dad in seiner normalen Stimme fort. »Mommy und ich hatten eine Professorin im College, die hieß Miss Arshington.«

Auch Mom musste jetzt lachen.

»Echt wahr?«, fragte ich.

»Alicia Arshington«, antwortete Mom und hob die Hand, als wolle sie schwören.

»Sie hatte ja auch ganz gewaltige Backen«, sagte Dad.

»Nate!«, sagte Mom.

»Was denn? Sie hatte ordentliche Backen, mehr sag ich doch gar nicht.«

Mom lachte und schüttelte gleichzeitig den Kopf.

»Hey, ich hab’s«, sagte Dad aufgekratzt. »Wir verkuppeln die beiden bei einem Blind Date. Das wär’s doch! Miss Arshington, darf ich vorstellen: Mr. Pomann. Mr. Pomann, Miss Arshington. Sie könnten heiraten und dann lauter kleine Popöchen kriegen.«

»Der arme Mr. Pomann«, antwortete Mom und schüttelte den Kopf. »Auggie hat den Mann ja noch nicht einmal kennengelernt, Nate!«

»Wer ist Mr. Pomann?«, sagte Via verschlafen. Sie war gerade erst aufgewacht.

»Das ist der Leiter meiner neuen Schule«, antwortete ich.

Mr. Pomann, bitte, Mr. Pomann!

Ich wäre vor der Begegnung mit Mr. Pomann noch nervöser gewesen, wenn ich gewusst hätte, dass ich auch ein paar Schüler aus der neuen Schule treffen musste. Aber ich wusste es nicht, also war ich, wenn überhaupt, höchstens ein bisschen albern. Ich konnte nicht aufhören, an all die Witze zu denken, die Dad über den Namen von Mr. Pomann gemacht hatte. Als Mom und ich also ein paar Wochen vor Schulbeginn bei der Beecher Prep ankamen und ich Mr. Pomann am Eingang auf uns warten sah, fing ich sofort an zu kichern. Dabei sah er überhaupt nicht so aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich nehme an, ich hatte erwartet, dass er einen riesigen Hintern hat, aber das war gar nicht der Fall. Eigentlich war er ein ganz normaler Typ. Groß und dünn. Alt, aber nicht richtig alt. Er sah nett aus. Er schüttelte zuerst meiner Mom die Hand.

»Hi, Mr. Pomann, schön, Sie wiederzusehen«, sagte Mom. »Dies ist mein Sohn, August.«

Mr. Pomann schaute mich direkt an, lächelte und nickte. Er streckte auch mir die Hand entgegen.

»Hi, August«, sagte er in ganz normalem Ton. »Freut mich, dich kennenzulernen.«

»Hi«, nuschelte ich und ließ meine Hand in seine fallen, während ich auf seine Füße hinunterschaute. Er trug rote Adidas-Schuhe.

»Also«, sagte er und ging vor mir in die Knie, damit ich statt auf seine Turnschuhe in sein Gesicht schauen musste, »deine Mom und dein Dad haben mir schon eine Menge über dich erzählt.«

»Was haben sie denn erzählt?«, fragte ich.

»Wie bitte?«

»Schatz, du musst deutlich sprechen«, sagte Mom.

»Was denn so?«, fragte ich und versuchte, nicht zu nuscheln. Ich geb’s zu, nuscheln ist eine schlechte Angewohnheit von mir.

»Nun, dass du gerne liest«, sagte Mr. Pomann. »Und dass du ein großer Künstler bist.« Er hatte blaue Augen mit weißen Wimpern. »Und Naturwissenschaft macht dir auch Spaß, oder?«

»Eh-eh«, sagte ich und nickte.

»Wir haben ein paar tolle Naturwissenschafts-Wahlfächer hier auf der Beecher«, sagte er. »Vielleicht nimmst du eines davon?«

»Eh-eh«, sagte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, was genau mit Wahlfach gemeint sein sollte.

»Also, bist du bereit für einen Rundgang?«

»Sie meinen, wir machen das jetzt?«, fragte ich.

»Dachtest du, wir gehen ins Kino?«, antwortete er und lächelte, während er sich aufrichtete.

»Du hast mir nicht gesagt, dass wir einen Rundgang machen«, sagte ich mit meiner anklagenden Stimme zu Mom.

»Auggie …«, begann sie.

»Das wird wunderbar, August«, sagte Mr. Pomann und streckte mir seine Hand entgegen. »Versprochen.«

Ich glaube, er wollte, dass ich seine Hand nahm, aber stattdessen nahm ich die von Mom. Er lächelte und ging auf den Eingang zu.

Mommy presste meine Finger kurz zusammen, auch wenn ich nicht weiß, ob es ein »Hab dich lieb«-Drücken oder ein »Tut mir leid«-Drücken war. Wahrscheinlich von beidem was.

Die einzige Schule, die ich bisher von innen gesehen hatte, war die von Via, die ich mit Mom und Dad besuchte, wenn sie im Frühjahr bei den Konzerten mitsang und so. Diese Schule war ganz anders. Sie war kleiner. Sie roch wie ein Krankenhaus.

Die nette Mrs. Garcia

Wir folgten Mr. Pomann einige Flure entlang. Es waren nicht gerade viele Leute da. Und die paar, die da waren, schienen mich überhaupt nicht zu bemerken, auch wenn das daran liegen konnte, dass sie mich nicht sahen. Beim Gehen versteckte ich mich nämlich so halb hinter Mom. Ich weiß, das klingt ziemlich babyhaft, aber ich fühlte mich auch nicht besonders mutig in dem Moment.

Wir kamen schließlich in einen kleinen Raum, auf dessen Tür Middle School Leitung stand. Dort gab es einen Schreibtisch, hinter dem eine nett aussehende Frau saß.

»Das ist Mrs. Garcia«, sagte Mr. Pomann. Die Frau lächelte Mom an, nahm ihre Brille ab und stand auf.

Meine Mutter schüttelte ihr die Hand und sagte: »Isabel Pullman, freut mich, Sie kennenzulernen.«

»Und das hier ist August«, sagte Mr. Pomann. Mom trat ein Stückchen zur Seite, damit ich zu ihr gehen konnte. Dann passierte das, was ich schon eine Million Mal erlebt hatte. Als ich zu ihr aufschaute, weiteten sich ihre Augen für den Bruchteil einer Sekunde. Es ging so schnell, dass es niemand anderem aufgefallen wäre, denn der Rest ihres Gesichts veränderte sich kein bisschen. Sie setzte ein besonders strahlendes Lächeln auf.

»Was für eine Freude, dich kennenzulernen, August«, sagte sie und streckte mir ihre Hand entgegen.

»Hi«, sagte ich leise und gab ihr die Hand. Aber ihr Gesicht wollte ich nicht anschauen, also starrte ich weiterhin bloß ihre Brille an, die an einer Kette um ihren Hals hing.

»Wow, was für ein fester Händedruck«, sagte Mrs. Garcia. Ihre Hand war sehr warm.

»Der Junge hat einen Killerhändedruck«, stimmte Mr. Pomann zu, und über meinem Kopf lachten alle.

»Du kannst mich Mrs. G. nennen«, sagte Mrs. Garcia. Ich nehme an, dass sie mit mir sprach, aber ich schaute mir gerade das ganze Zeug auf ihrem Schreibtisch an. »So nennen mich alle: Mrs. G., ich habe meine Schlosskombination vergessen. Mrs. G., ich brauche ein Entschuldigungsformular, Mrs. G., ich möchte mein Wahlfach ändern.«

»In Wirklichkeit schmeißt Mrs. G. den ganzen Laden«, sagte Mr. Pomann, was wieder alle Erwachsenen zum Lachen brachte.

»Ich bin jeden Morgen ab halb acht hier«, fuhr Mrs. Garcia fort und schaute mich noch immer an, während ich ihre braunen Sandalen anstarrte, auf deren Riemen kleine lilafarbene Blüten steckten. »Falls du also jemals etwas brauchen solltest, August, bin ich diejenige, an die du dich wenden kannst. Zu mir kannst du jederzeit kommen.«

»Okay«, nuschelte ich.

»Oh, was für ein niedliches Baby«, sagte Mom und zeigte auf eines der Fotos an Mrs. Garcias Pinnwand. »Ist das Ihrer?«

»Ach du liebe Zeit, nein!«, sagte Mrs. Garcia und lächelte jetzt ein breites Lächeln, das völlig anders war als ihr strahlendes Lächeln. »Jetzt haben Sie mir aber gerade den Tag gerettet. Das ist mein Enkelsohn.«

»Was für ein Süßer!«, sagte Mom und schüttelte den Kopf. »Wie alt?«

»Auf dem Bild war er fünf Monate, glaub ich. Aber jetzt ist er schon groß. Fast acht Jahre alt!«

»Wow«, sagte Mom, nickte und lächelte. »Also, der ist ja wirklich hübsch.«

»Danke schön!«, sagte Mrs. Garcia und nickte, als wolle sie noch etwas über ihren Enkel sagen. Aber dann wurde ihr Lächeln ganz plötzlich etwas kleiner. »Wir werden hier alle sehr gut auf August aufpassen«, sagte sie zu Mom, und mir fiel auf, dass sie Moms Hand leicht drückte. Ich schaute Moms Gesicht an, und in diesem Moment wurde mir klar, dass sie genauso nervös war wie ich. Ich nehme an, ich mochte Mrs. Garcia – zumindest, wenn sie nicht ihr strahlendes Lächeln aufsetzte.

Jack Will, Julian und Charlotte

Wir folgten Mr. Pomann in einen kleinen Raum, der sich gegenüber von Mrs. Garcias Schreibtisch befand. Er redete, während er die Tür zu seinem Büro schloss und sich hinter seinen großen Schreibtisch setzte, aber ich achtete nicht groß auf das, was er sagte. Ich schaute mir all die Sachen auf seinem Schreibtisch an. Cooles Zeug, ein Globus zum Beispiel, der in der Luft schwebte, und so eine Art Zauberwürfel mit kleinen Spiegeln. Ich fand sein Büro toll. Ich fand es toll, dass all diese ordentlichen kleinen Zeichnungen und selbst gemalten Bilder von den Schülern an der Wand hingen und dass sie gerahmt worden waren, als wären sie etwas Wichtiges.

Mom setzte sich auf einen Stuhl vor Mr. Pomanns Schreibtisch, und obwohl direkt neben ihr ein weiterer Stuhl frei war, entschied ich mich, neben ihr stehen zu bleiben.

»Warum haben Sie ein eigenes Zimmer und Mrs. G. nicht?«, sagte ich.

»Du meinst, warum ich ein Büro habe?«, fragte Mr. Pomann.

»Sie haben doch gesagt, sie schmeißt den Laden«, sagte ich.

»Oh! Nun, ich hab nur einen Scherz gemacht. Mrs. G. ist meine Assistentin.«

»Mr. Pomann ist der Leiter der Middle School«, erklärte Mom.

»Nennt man Sie Mr. P.?«, fragte ich, was ihn zum Lächeln brachte.

»Nein, sagte Mr. Pomann und schüttelte den Kopf. »Niemand nennt mich Mr. P. Allerdings habe ich so das Gefühl, dass man mir jede Menge anderer Namen gibt, von denen ich nichts weiß. Machen wir uns nichts vor, mit einem Namen wie dem meinen lebt es sich nicht so leicht. Du weißt, was ich meine?«

Zugegeben, jetzt musste ich lachen, denn ich wusste genau, was er meinte.

»Meine Mom und mein Dad hatten eine Lehrerin, die hieß Miss Arshington«, sagte ich.

»Auggie!«, sagte Mom, aber Mr. Pomann lachte.

»Also, das ist wirklich schlimm«, sagte Mr. Pomann und schüttelte den Kopf. »Da kann ich ja noch von Glück sagen. Also, hör zu, August, Folgendes hatte ich für heute geplant …«

»Ist das ein Kürbis?«, fragte ich und zeigte auf ein gerahmtes Bild hinter Mr. Pomanns Schreibtisch.

»Auggie, Schätzchen, red nicht dazwischen«, sagte Mom.

»Gefällt er dir?«, fragte Mr. Pomann, drehte sich um und schaute sich das Bild an. »Mir auch. Und ich habe auch erst gedacht, dass es ein Kürbis sein soll, bis mir der Schüler, der es mir geschenkt hat, erklärte, dass es eigentlich gar kein Kürbis ist. Es ist … mach dich auf was gefasst … ein Porträt von mir! Also, August, jetzt frag ich dich: Seh ich wirklich so sehr wie ein Kürbis aus?«

»Nein!«, antwortete ich, obwohl ich eigentlich anderer Meinung war. Etwas an der Art, wie sich seine Backen aufpusteten, wenn er lächelte, ließ ihn wie ein Halloween-Kürbis aussehen. Gerade als ich das dachte, fiel mir auf, wie lustig das war: Backen, Mr. Pomann. Und ich musste ein bisschen lachen. Ich schüttelte den Kopf und hielt mir mit der Hand den Mund zu.

Mr. Pomann lächelte, als könne er meine Gedanken lesen.

Ich wollte gerade noch etwas sagen, aber dann hörte ich ganz plötzlich Stimmen vor der Bürotür: Kinderstimmen. Ich übertreibe nicht, wenn ich das sage, mein Herz fing wirklich an zu rasen, als hätte ich gerade den längsten Sprint der Welt hinter mir. Das Lachen blieb mir im Hals stecken.

Die Sache ist die: Als ich noch klein war, hat es mir nie etwas ausgemacht, andere Kinder kennenzulernen, denn diese Kinder waren ja auch noch ganz klein. An den ganz kleinen Kindern ist das Coole, dass sie nicht extra etwas sagen, um einem wehzutun, auch wenn sie manchmal durchaus Sachen sagen, die wehtun. Aber sie wissen gar nicht, was sie sagen. Bei großen Kindern ist das anders, die wissen, was sie sagen. Und das ist kein Spaß für mich. Unter anderem hab ich mir letztes Jahr meine Haare lang wachsen lassen, weil ich es gut finde, wie mein Pony meine Augen verdeckt: Es hilft mir, die Sachen abzublocken, die ich nicht sehen will.

Mrs. Garcia klopfte an die Tür und steckte ihren Kopf ins Zimmer.

»Sie sind hier, Mr. Pomann«, sagte sie.

»Wer ist hier?«, fragte ich.

»Danke«, sagte Mr. Pomann zu Mrs. Garcia. »August, ich dachte, es wäre eine gute Idee, wenn du ein paar der Schüler kennenlernen würdest, die dieses Jahr mit dir dieselben Homeroom-Stunden haben werden. Ich habe mir gedacht, sie können dich ein bisschen durch die Schule führen, dich sozusagen mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut machen.«

»Ich will niemanden treffen«, sagte ich zu Mom.

Mr. Pomann stand plötzlich direkt vor mir und legte seine Hände auf meine Schultern. Er beugte sich herunter und sagte ganz sanft in mein Ohr: »Es wird alles gut, August. Das sind nette Kinder, versprochen.«

»Du machst das schon, Auggie«, flüsterte Mom so nachdrücklich sie konnte.

Bevor sie noch mehr sagen konnte, machte Mr. Pomann die Tür auf.

»Kommt rein, Kinder«, sagte er, und in den Raum traten zwei Jungen und ein Mädchen. Keiner von ihnen schaute zu mir oder zu Mom herüber. Sie standen an der Tür und sahen eisern Mr. Pomann an, als hinge ihr Leben davon ab.

»Vielen Dank, dass ihr gekommen seid, Leute – vor allem, da die Schule ja erst nächsten Monat anfängt!«, sagte Mr. Pomann. »Habt ihr einen schönen Sommer gehabt?«

Sie nickten alle, aber keiner sprach ein Wort.

»Sehr schön«, sagte Mr. Pomann. »Also, Leute, ich möchte euch August vorstellen, der dieses Jahr als neuer Schüler hier anfängt. August, diese drei sind schon seit dem Kindergarten auf der Beecher Prep, obwohl sie da in dem anderen Gebäude waren. Für sie geht es zwar jetzt auch erst mit der Middle School los, aber sie kennen sich hier ganz genau aus. Und da ihr alle dieselben Homeroom-Stunden haben werdet, dachte ich, es wäre doch schön, wenn ihr euch ein bisschen kennenlernt, bevor das Schuljahr beginnt. Okay? Also, Leute, das ist August. August, das ist Jack Will.«

Jack Will schaute mich an und streckte seine Hand aus. Als ich sie schüttelte, lächelte er ein bisschen und sagte »Hey«, und dann senkte er ganz schnell wieder den Blick.

»Das ist Julian«, sagte Mr. Pomann.

»Hey«, sagte Julian und machte genau dasselbe wie Jack Will: Er nahm meine Hand, zwang sich zu einem Lächeln und schaute schnell zu Boden.

»Und Charlotte«, sagte Mr. Pomann.

Charlotte hatte die blondesten Haare, die ich je gesehen hatte. Sie gab mir nicht die Hand, sondern winkte mir nur ganz kurz zu und lächelte. »Hi, August. Nett, dich kennenzulernen«, sagte sie.

»Hi«, sagte ich und schaute zu Boden. Sie trug knallgrüne Crocs.

»So«, sagte Mr. Pomann und führte die Hände zusammen, als wolle er ganz langsam klatschen. »Ich hatte mir gedacht, dass ihr August auf einen kleinen Rundgang durch die Schule mitnehmt. Vielleicht könnt ihr im dritten Stock anfangen? Dort wird euer Homeroom-Unterricht sein: Raum 301. Glaube ich. Mrs. G., ist …«

»Raum 301!«, rief Mrs. Garcia aus dem anderen Zimmer.

»Raum 301.« Mr. Pomann nickte. »Und dann könnt ihr August die Labore zeigen und den Computer-Raum. Dann geht ihr runter in die Bibliothek und zur Aula im zweiten Stock. Und die Cafeteria dürft ihr natürlich auch nicht auslassen.«

»Sollen wir auch mit ihm in den Musikraum gehen?«, fragte Julian.

»Gute Idee, ja«, sagte Mr. Pomann. »August, spielst du irgendwelche Instrumente?«

»Nein«, sagte ich. Das war nicht gerade mein Lieblingsthema, was daran liegt, dass ich eigentlich keine Ohren habe. Na ja, ich hab schon welche, aber sie sehen nicht wirklich wie normale Ohren aus.

»Nun, den Musikraum anzuschauen, macht dir vielleicht trotzdem Spaß«, sagte Mr. Pomann. »Wir haben eine schöne Auswahl an Schlaginstrumenten.«

»August, du wolltest doch immer Schlagzeug lernen«, sagte Mom und versuchte mich dazu zu bringen, sie anzuschauen. Aber meine Augen waren von meinem Pony verdeckt, während ich auf einen alten Kaugummi starrte, der unter der Arbeitsplatte von Mr. Pomanns Schreibtisch klebte.

»Großartig! Okay, dann würde ich sagen, ihr geht los, Leute«, sagte Mr. Pomann. »Seid einfach in …« Er schaute Mom an. »In einer halben Stunde zurück, okay?«

Ich glaube, Mom nickte.

»Also, ist das okay für dich, August?«, fragte er mich.

Ich antwortete nicht.

»Ist das okay, August?«, wiederholte Mom. Jetzt blickte ich sie an. Ich wollte, dass sie sah, wie wütend ich auf sie war. Aber dann sah ich ihr Gesicht und nickte bloß. Sie schien noch mehr Angst zu haben als ich.

Die anderen Kinder waren schon zur Tür hinausgegangen, also folgte ich ihnen.

»Bis gleich«, sagte Mom und ihre Stimme klang etwas höher als sonst. Ich antwortete ihr nicht.

Der Rundgang

Jack Will, Julian, Charlotte und ich gingen einen großen Flur hinunter zu einer breiten Treppe. Niemand sprach ein Wort, während wir in den dritten Stock hinaufstiegen.

Als wir oben ankamen, gingen wir einen weiteren Flur voller Türen entlang. Julian machte die Tür mit der Nummer 301 auf.

»Hier ist unser Homeroom«, sagte er und blieb vor der halb geöffneten Tür stehen. »Wir haben Miss Petosa. Sie soll ganz okay sein, zumindest für Homeroom. Ich hab gehört, dass sie allerdings voll streng ist, wenn du sie in Mathe kriegst.«

»Das stimmt gar nicht«, sagte Charlotte. »Meine Schwester hat sie letztes Jahr gehabt und sagt, sie ist total nett.«

»Da hab ich was anderes gehört«, erwiderte Julian, »aber ist ja auch egal.« Er schloss die Tür und ging weiter den Flur entlang.

»Das hier ist das Labor für die Naturwissenschaften«, sagte er, als wir zur nächsten Tür kamen. Und genau wie er es gerade eben gemacht hatte, blieb er vor der halb geöffneten Tür stehen und fing an zu sprechen. Er sah mich beim Reden nicht ein einziges Mal an, was okay war, denn ich schaute ihn auch nicht an. »Wen du in Naturwissenschaft kriegst, erfährst du erst am Einschulungstag, aber Mr. Haller wäre gut. Der hat früher auch in der Grundschulstufe unterrichtet. Da hat er immer auf seiner riesigen Tuba gespielt.«

»Es war ein Baritonhorn«, sagte Charlotte.

»Es war ne Tuba«, gab Julian zurück und schloss die Tür.

»Mann, jetzt lass ihn doch da mal reingehen, damit er sich alles anschauen kann«, sagte Jack Will und drückte an Julian vorbei die Tür auf.

»Geh rein, wenn du willst«, sagte Julian. Zum ersten Mal schaute er mich an.

Ich zuckte mit den Schultern und ging auf die Tür zu. Julian trat eilig beiseite, als hätte er Angst, mich versehentlich zu berühren, wenn ich an ihm vorbeiging.

»Gibt nicht viel zu sehen«, sagte Julian und kam hinter mir her. Er fing an, auf einige Sachen zu zeigen. »Das ist der Inkubator. Das große schwarze Ding da ist die Tafel. Das sind die Arbeitstische. Das sind Stühle. Das sind die Bunsenbrenner. Das ist ein ekelhaftes Bio-Poster. Das ist Kreide. Das ist ein Schwamm.«

»Ich bin mir sicher, dass er weiß, was ein Schwamm ist«, sagte Charlotte und klang ein bisschen wie Via.

»Woher soll ich wissen, was der weiß?«, gab Julian zurück. »Mr. Pomann sagt, dass er noch nie zur Schule gegangen ist.«

»Du weißt doch, was ein Schwamm ist, oder?«, fragte mich Charlotte.

Ich gebe zu, dass ich so nervös war, dass ich nicht wusste, was ich sagen oder machen sollte, außer auf den Boden zu schauen.

»Hey, kannst du sprechen?«, fragte Jack Will.

»Ja.« Ich nickte. Ich hatte immer noch keinen von ihnen angeschaut, nicht direkt jedenfalls.

»Du weißt, was ein Schwamm ist, oder?«, fragte Jack Will.

»Klar!«, murmelte ich.

»Ich hab ja gleich gesagt, hier gibt’s nichts zu sehen«, sagte Julian und zuckte mit den Schultern.

»Ich habe eine Frage …«, sagte ich und versuchte, meine Stimme ruhig zu halten. »Ähm. Was ist eigentlich genau Homeroom? Ist das so eine Art Schulfach?«

»Nein, das ist bloß deine Gruppe«, erklärte Charlotte und ignorierte Julians Feixen. »Da gehst du morgens in der Schule als Erstes hin, und dein Homeroom-Lehrer schreibt die Anwesenheit auf und so. So was wie deine Klasse, auch wenn da kein richtiger Unterricht stattfindet. Ich meine irgendwie natürlich schon, aber …«

»Ich glaube, er hat’s verstanden«, sagte Jack Will.

»Hast du’s verstanden?«, fragte mich Charlotte.

»Ja.« Ich nickte ihr zu.

»Okay, dann nichts wie raus hier«, sagte Jack Will und setzte sich in Bewegung.

»Warte, Jack, wir sollen ihm doch seine Fragen beantworten«, sagte Charlotte.

Jack Will verdrehte die Augen, als er sich umdrehte.

»Hast du sonst noch Fragen?«, sagte er.

»Ähm, nein«, antwortete ich. »Oh, na ja, eigentlich doch. Heißt du Jack oder Jack Will?«

»Jack ist mein Vorname. Will mein Nachname.«

»Oh. Weil Mr. Pomann dich als Jack Will vorgestellt hat, deshalb habe ich gedacht …«

»Ha! Du hast gedacht, dass er Jackwill heißt!«, lachte Julian.

»Ja, manche Leute sprechen mich immer mit Vor- und Nachnamen an«, sagte Jack und zuckte mit den Schultern. »Weiß auch nicht, wieso. Egal, können wir jetzt gehen?«

»Lasst uns als Nächstes zur Aula und zur Bühne gehen«, sagte Charlotte und verließ als Erste das Labor. »Da ist es echt cool. Wird dir gefallen, August.«

Die Aula

Charlotte hörte auf dem Weg runter in den zweiten Stock überhaupt nicht mehr auf zu reden. Sie beschrieb Oliver!, das Stück, das im letzten Jahr aufgeführt worden war. Sie selbst hatte den Oliver gespielt, obwohl sie ein Mädchen ist. Während sie davon erzählte, stieß sie die Doppeltüren zu einem riesigen Zuschauerraum auf.

Am anderen Ende des Raumes befand sich eine Bühne, und Charlotte begann, darauf zuzuhüpfen. Julian rannte hinter ihr her, und als er durch die Hälfte der Stuhlreihen gelaufen war, drehte er sich um.

»Komm schon!«, sagte er laut und winkte mir zu, dass ich ihm folgen sollte, was ich dann auch tat.

»An dem Abend saßen Hunderte Leute hier im Publikum«, sagte Charlotte, und ich brauchte einen Moment, um zu kapieren, dass sie immer noch über Oliver! sprach. »Ich war ja so was von nervös. Ich hatte so viel Text und musste diese ganzen Songs singen. Das war super schwer!« Obwohl sie mit mir redete, sah sie mich nicht besonders oft an. »Bei der Premiere saßen meine Eltern ganz hinten, so in etwa da, wo Jack jetzt steht, aber wenn die Lichter aus sind, kannst du so weit gar nicht gucken. Deshalb hab ich bloß immer gesagt: Wo sind meine Eltern? Wo sind meine Eltern? Und Mr. Resnick, unser Theater-Lehrer vom letzten Jahr, hat dann zu mir gesagt: Charlotte, jetzt hör auf, so eine Diva zu sein! Und ich nur so: Okay! Und dann hab ich meine Eltern entdeckt, und dann war es total gut. Ich hab nicht ein einziges Mal meinen Text vergessen.«

Während sie redete, fiel mir auf, dass Julian mich aus dem Augenwinkel anstarrte. Das ist etwas, was mir bei den Leuten sehr oft auffällt. Sie glauben, ich merke nicht, dass sie mich anstarren, aber ich kann es daran erkennen, wie sie ihre Köpfe neigen. Ich drehte mich um, weil ich sehen wollte, wo Jack hingegangen war. Er war im hinteren Teil der Aula geblieben, als fände er das alles langweilig.

»Wir führen jedes Jahr ein Stück auf«, sagte Charlotte.

»Ich glaube nicht, dass er bei einem Theaterstück mitspielen will, Charlotte«, sagte Julian sarkastisch.

»Du kannst auch bei dem Stück mitmachen, ohne wirklich zu spielen«, gab Charlotte zurück und schaute mich an. »Du kannst die Beleuchtung machen. Du kannst die Hintergründe malen.«

»Oh ja, yippie«, sagte Julian und wirbelte seinen Finger durch die Luft.

»Aber das Theaterwahlfach musst du ja nicht belegen, wenn du nicht willst«, sagte Charlotte und zuckte mit den Schultern. »Es gibt auch Tanz und Chor und die Band. Und Rhetorik.«

»Nur Streberspackos nehmen Rhetorik«, unterbrach Julian.

»Julian, du bist so unausstehlich!«, sagte Charlotte, was Julian zum Lachen brachte.

»Ich nehme Naturwissenschaft als Wahlfach«, sagte ich.

»Cool«, sagte Charlotte.

Julian schaute mich direkt an. »Naturwissenschaft ist unter aller Wahrscheinlichkeit das schwierigste Wahlfach überhaupt«, sagte er. »Ich will ja nichts sagen, aber wenn du noch nie zur Schule gegangen bist, glaubst du wirklich, dass du dann auf Anhieb clever genug bist, um Naturwissenschaft zu belegen? Ich meine, hast du überhaupt schon mal Chemie- oder Physikunterricht gehabt? Ich meine, so richtig, und nicht nur so Kindergartenkram?«

»Ja.« Ich nickte.

»Er ist zu Hause unterrichtet worden, Julian!«, sagte Charlotte.

»Das heißt, Lehrer kommen zu ihm nach Hause?«, fragte Julian und sah verblüfft aus.

»Nein, seine Mutter hat ihn unterrichtet«, erwiderte Charlotte.

»Ist sie Lehrerin?«, fragte Julian.

»Ist deine Mutter Lehrerin?«, fragte mich Charlotte.

»Nein«, sagte ich.

»Also ist sie keine echte Lehrerin!«, sagte Julian, als hätte er recht behalten. »Genau das mein ich. Wie kann jemand, der gar kein richtiger Lehrer ist, Naturwissenschaften unterrichten?«

»Ich bin mir sicher, dass du das schaffst«, sagte Charlotte und schaute mich an.

»Jetzt lasst uns einfach in die Bibliothek gehen«, rief Jack und klang echt gelangweilt.

»Warum sind deine Haare so lang?«, fragte mich Julian. Er hörte sich genervt an.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, deshalb zuckte ich nur mit den Schultern.

»Kann ich dich mal was fragen?«, sagte er.

Ich zuckte wieder mit den Schultern. Hatte er mich nicht gerade schon was gefragt?

»Was ist das mit deinem Gesicht? Ich meine, ist das bei einem Brand passiert, oder so?«

»Julian, das ist unhöflich!«, sagte Charlotte.

»Ich bin nicht unhöflich«, sagte Julian. »Ich stelle bloß ne Frage. Mr. Pomann hat gesagt, wir können ruhig Fragen stellen, wenn wir wollen.«

»Aber keine unhöflichen Fragen«, sagte Charlotte. »Außerdem ist er so geboren worden. Das hat Mr. Pomann gesagt. Du hast bloß nicht zugehört.«

»Ich hab so was von zugehört!«, sagte Julian. »Ich hab bloß gedacht, er wär vielleicht zusätzlich noch verbrannt worden.«

»Mann, Julian«, sagte Jack. »Halt einfach die Klappe.«

»Halt doch selber die Klappe!«, schnauzte ihn Julian an.

»Komm schon, August«, sagte Jack. »Jetzt lass uns endlich in die Bibliothek gehen.«

Ich ging hinter Jack her zum Ausgang. Er hielt mir die Doppeltür auf, und als ich an ihm vorbeikam, schaute er mir direkt ins Gesicht, fast als würde er mich auffordern, ihn anzuschauen, und das tat ich auch. Dann musste ich tatsächlich lächeln. Ich weiß auch nicht. Manchmal, wenn ich das Gefühl habe, gleich losheulen zu müssen, kommt es mir mit einem Mal so vor, als müsste ich beinahe lachen. Und genau das Gefühl muss ich in dem Moment wohl gehabt haben, denn ich lächelte so breit, als würde ich gleich loskichern. Aber weil mein Gesicht eben so ist, wie es ist, verstehen die Leute, die mich nicht gut kennen, oft nicht, dass ich lächle. Mein Mund hebt sich nicht an wie die Münder von anderen Leuten. Er zieht sich bloß in die Länge. Aber irgendwie kapierte Jack Will, dass ich ihn anlächelte. Und er lächelte zurück.